Seewölfe - Piraten der Weltmeere 236

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 236
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Impressum

© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-572-9

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

1.

Sie hatten sich ineinander verbissen wie Kampfhunde. Das Knirschen des Holzes hörte sich an, als stieße die aufgespießte Tartane ihren Todesschrei in den blutroten Morgenhimmel.

Wilde Flüche übertönten den Kampflärm. Die Ruderblätter der spanischen Galeere, die der kleinen Tartane den Todesstoß versetzt hatte, peitschten das Wasser. Die Galeere mußte sich von ihrem Opfer befreien, wenn sie nicht selbst Opfer der beiden anderen Schiffe werden wollte, die pfeilschnell heranschossen und das Deck der Galeere mit ihren Drehbassen unter Feuer nahmen.

Die Männer auf der aufgespießten Tartane bissen zurück. Bleihagel auf Bleihagel fauchte aus den nur armlangen Geschützen, die auf dem Schanzkleid des kleinen Handelsschiffes montiert waren. Zwei spanische Kanoniere, die das Frontgeschütz der Galeere hatten abfeuern wollen, gingen schreiend zu Boden. Ein harter Befehl rief zwei andere Männer heran, und wenig später donnerte das schwere Geschütz auf und riß den Hauptmast mit der langen Lateinerrah ab.

Mit einem Ruck war die Galeere frei. Ein paar wild aussehende Männer in bunten Gewändern und mit Krummsäbeln hatten sich im letzten Augenblick von der sinkenden Tartane auf die Galeere hinübergeschwungen und griffen die mit Brustpanzern und Harnischen bewehrten spanischen Soldaten an.

Ein Pfeilregen ging auf die ungeschützten Angreifer nieder. Einer nach dem anderen fiel, und nur Minuten später lebte keine der wilden Gestalten mehr, die in Todesverachtung die übermächtige Galeere angegriffen hatten.

Dumpf hallten die hämmernden Trommelschläge aus dem Inneren der Galeere, die den Galeerensträflingen den Takt für ihre Ruderschläge angaben.

Die Galeere drehte auf dem Teller. Während hinter ihr die kleine Tartane kenterte und sich die Mannschaft, die den Rammstoß überlebt hatte, an die Wrackteile klammerte, um dem nassen Tod zu entgehen, richtete sich der spitz zulaufende, eisenbeschlagene Rammsporn der Galeere auf die Schebecke, die herangejagt war.

Auf der Poop des schlanken, dreimastigen Schiffes brüllte ein dunkelhäutiger Mann mit bloßem Oberkörper und einem brandroten Turban auf dem Kopf Befehle. In einer gewagten Halse versuchte die Schebecke, dem Rammsporn der Galeere zu entgehen, aber offensichtlich hatte der Kapitän der Schebecke nicht mit dem raschen Drehen der Galeere gerechnet.

Der Rammsporn fraß sich unterhalb der Poop in den Rumpf der Schebecke, die durch ihre eigene Fahrt um sich selbst gedreht wurde und plötzlich mit ihrer Steuerbordseite auf die Galeere zutrieb.

Für beide Mannschaften geschah das völlig überraschend. Die Ruderer an der Steuerbordseite der Galeere schafften es nicht mehr, ihre Riemen einzuholen. Wie dünne Hölzer wurden sie geknickt. Armlange Splitter wirbelten wie Geschosse durch die Luft und zerfetzten in Sekundenbruchteilen das Focksegel der Schebecke. Die angeketteten Galeerensträflinge brüllten. Wahrscheinlich waren einige von ihnen durch die Wucht des Aufpralls von den Riemenenden erschlagen worden.

Die Batterie an Steuerbord der Schebecke war feuerbereit gewesen, doch durch den Rammstoß der Galeere waren die Männer an den acht Geschützen von den Beinen geholt worden. Nur einem war es gelungen, seine brennende Lunte auf das Pulver im Zündloch zu pressen, aber dieser Achtpfünder wurde aus seinen Brooktauen gerissen, polterte auf der schweren Lafette über die Planken und brüllte in dem Moment auf, als seine Mündung längs der Batterie zeigte.

Der Schuß hatte eine verheerende Wirkung. Die schwere Eisenkugel donnerte gegen die nächststehende Kanone, die samt Lafette umgerissen wurde. Sie schmetterte mehr als ein halbes Dutzend Männer zu Boden und bahnte sich dann eine blutige Gasse quer über das Deck, bis sie kurz vor dem Fockmast das Backbordschanzkleid durchschlug und einen Achtpfünder und den Backbordanker mit sich in die See nahm.

Durch den Rückstoß keilte das abgefeuerte Geschütz, das durch keine Brooktaue mehr gehalten wurde, nach achtern aus, überrollte den unglücklichen Kanonier und brach berstend durch die Holzwand unterhalb der Poop.

Der dunkelhäutige Mann mit dem roten Turban fuchtelte mit einem Krummsäbel herum. Seine Worte waren im Geschrei der Männer und im Knirschen des Holzes, das der Rammsporn der Galeere verursachte, nicht zu verstehen. Dennoch begriffen seine Männer, was er von ihnen wollte. Sie brauchten noch einen Augenblick, bis sie den Schock überwunden hatten, doch dann stiegen ihre wilden, wütenden Schreie in den Morgenhimmel, und wie ein Mann warfen sie sich auf die Steuerbordseite, um die Galeere zu entern.

Ein Pfeilregen schwirrte ihnen entgegen. Auf der Corsia der Galeere hatten sich urplötzlich an die fünfzig Soldaten in glänzenden Harnischen erhoben und jagten Pfeil auf Pfeil den angreifenden Männern entgegen, die wie Fliegen umkippten, auf die Decksplanken krachten oder ins Wasser klatschten.

Der Mann mit dem Turban hatte es geschafft, sich mit fünf anderen Männern auf die Vorderplattform zu schwingen. Mit einem wilden Schrei auf den Lippen stürmte er weiter. Sein Krummsäbel zuckte vor und tötete den Mann hinter der Drehbasse, der ihn und seine Männer mit einer Eisenladung hatte von der Plattform fegen wollen.

Mehrere Spanier drangen auf sie ein, aber im Nahkampf konnten sie ihre Bogen nicht gebrauchen.

Der Mann mit dem Turban gab seinen Leuten ein Zeichen. Sie warfen sich den Spaniern entgegen, parierten aber nur ihre Degenangriffe. Es war offensichtlich, daß sie die Spanier nicht töten wollten. Sie brauchten sie noch als Schutzschild gegen die Bogenschützen auf der Corsia.

Die Spanier bemerkten, was die Angreifer beabsichtigten. Vom Tabernakel am Heck der Galeere erscholl ein wilder Fluch, und wie auf Kommando ließen sich die Soldaten auf der Vorderplattform fallen.

Einige der Schützen auf der Corsia hatten ihre Pfeile schon auf die sechs Männer gerichtet, denen es gelungen war, die Galeere zu entern, doch in diesem Moment schoß ihnen aus der Mündung der einen Drehbasse eine armlange Feuerzunge entgegen.

Mit ihr fauchten Eisensplitter durch die Luft und mähten die Männer auf der schmalen Kampfbrücke zwischen den Duchten nieder.

Die Stimme des Kommandanten auf dem Tabernakel überschlug sich. Er hatte wohl als einziger erkannt, daß sich das dritte Schiff, eine Tartane wie das erste gerammte Schiff, ungehindert näherte.

Einen Augenblick später krachten die beiden Geschütze auf der Espale, der hinteren Plattform der Galeere. Eine der Kugeln krachte in den Rumpf der Tartane, die andere fetzte durch die Fock.

Auch die geenterten Männer von der Schebecke, die immer noch Bord an Bord mit der Galeere lag, schossen die kleinen Kanonen auf der Vorderplattform wieder ab und töteten mehrere spanische Soldaten.

Auf den Ruderbänken der Galeere war die Hölle los. Ketten klirrten, nackte Männer sprangen auf und warfen die von den Eisenladungen getroffenen Soldaten, die zwischen die Duchten gefallen waren, über das Dollbord ins Wasser.

Auf einer der vorderen Ruderbänke hatten die Sträflinge es geschafft, sich von ihren Ketten zu befreien. Sie sprangen auf. Einer von ihnen schwang das Ende eines zersplitterten Riemens und wollte es dem Kommandanten auf dem Tabernakel auf den Kopf schlagen.

Der Kommandant drückte eiskalt seine Pistole ab. Die Hände des dunkelhäutigen Sklaven sanken nieder. Er faßte sich mit beiden Händen an die Brust und brach wie vom Blitz getroffen zusammen. Die beiden anderen wurden von Pfeilen der Bogenschützen getötet.

Der dunkelhäutige Mann mit dem roten Turban sprang mit einem Satz von der Vorderplattform auf die Corsia. Mit ein paar blitzschnellen Hieben schaffte er sich Luft, gab aber auch den Bogenschützen Gelegenheit, auf ihn anzulegen.

Er kämpfte wie ein Berserker, und den Spaniern schien es, als sei er der Teufel persönlich, als keiner der Pfeile ihn traf.

Ein wilder, heiserer Schrei drang aus seiner Kehle, und nur Sekunden später ging ein Ruck durch die Galeere.

Die zweite Tartane, auf der sich etwa dreißig Männer befanden, war achtern bei der Galeere längsseits geschoren. Eine Ladung aus einer der Drehbassen auf der Espale konnte den ersten Ansturm bremsen, doch dann gab es kein Halten mehr.

Einen kurzen Moment starrte der spanische Kommandant zum Vorschiff hinüber, wo der Mann mit dem roten Turban einen seiner Männer nach dem anderen niederschlug, dann warf er sich herum, sprang vom Tabernakel auf die Espale und zog mit einer geschmeidigen Bewegung seinen Degen.

 

Es war ein fürchterliches Gemetzel. Zwei Männer standen in seinem Mittelpunkt. Auf der Espale der spanische Kommandant, der ein exzellenter Fechter war, und auf der vorderen Corsia der Mann mit dem roten Turban, dessen Krummschwert so schnell durch die Luft wirbelte, daß es pfeifende Geräusche von sich gab.

Es war ein verzweifelter Kampf der Angreifer. Sie waren beweglicher als die Spanier, aber dafür war es schwerer für sie, den Gegner zu töten, da dieser durch Helme und Harnische geschützt war.

Einige der Galeerensklaven versuchten, den Angreifern zu helfen, indem sie mit ihren Ketten oder Riemen nach den Soldaten schlugen. Aber nachdem ein paar von ihnen getötet worden waren, brach ihr Widerstand zusammen.

Der Mann mit dem Turban hielt immer noch seine Stellung. Von seinen fünf Begleitern lebten nur noch zwei. Sie begnügten sich, ihrem Anführer den Rükken und die Seiten freizuhalten, während der dunkelhäutige Turbanträger mit der unermüdlichen Kraft einer Maschine focht.

Der spanische Kommandant hatte das Heft auf der Espale fest in der Hand. Auf dem Tabernakel hatten sich drei Bogenschützen postiert, die einen nach dem anderen der Enterer abschossen.

Es sah nicht gut aus für die maurisch gekleideten Kämpfer, die mit Todesverachtung die weitaus überlegene Galeere angegriffen hatten. Der spanische Kommandant sah es, und mit einem triumphierenden Schrei spornte er seine Männer an, auch die letzten Gegner von Bord seiner Galeere hinwegzufegen.

Er wich zurück, um seinen Soldaten Platz zu machen. Er selbst bahnte sich einen Weg durch seine Leute, an den Bogenschützen auf dem Tabernakel vorbei auf die Corsia zu. Er hatte nur Augen für den Mann im roten Turban, der unbezwinglich zu sein schien. Nicht einem seiner Soldaten war es bisher gelungen, dem Kerl auch nur die geringste Verwundung beizubringen!

Der Kommandant hatte gerade den Großmast erreicht, als er das seltsame Jaulen hörte.

Er blieb abrupt stehen und zuckte leicht zusammen, als über ihm der Topp des Großmastes splitterte. Sein Kopf flog in den Nacken. Drei der sieben Backbordwanten waren gebrochen, und der Mast schwankte leicht.

Jeder auf der Galeere hatte bemerkt, daß etwas Unvorhergesehenes geschehen war. Selbst der Mann im roten Turban verhielt einen kurzen Augenblick und starrte zu der unter vollen Segeln stehenden Galeone hinüber, die wie aus dem Nichts aufgetaucht war. Weißer Pulverrauch wurde vom Vordeck durch den Fahrtwind hinauf in die Focksegel getrieben.

„Por Dios! Un Inglés!“ schrie der Kommandant. Große Enttäuschung schwang in seiner Stimme mit. Er stieß die vor ihm stehenden Soldaten zur Seite und befahl ihnen mit schriller Stimme, die Mauren endlich von Bord seiner Galeere zu jagen.

Die zweite Kugel des Engländers lag nur einen Faden vor dem Rumpf der Galeere. Eine Wasserfontäne zischte hoch und klatschte zur Hälfte aufs Deck der Galeere. Ein dumpfes Pochen ging durch den Rumpf des Schiffes, als die Kugel, gebremst durch das Wasser, gegen die Bordwand schlug.

Der Mann mit dem roten Turban war zurückgewichen. Er wußte inzwischen, daß er und seine Männer keine Aussichten mehr hatten, den ungleichen Kampf zu gewinnen. Er hatte nur noch so lange kämpfen wollen, bis ihn der Tod ereilte.

Nach einem kurzen Blick auf die heransegelnde Galeone schaute er auf den Kommandanten der Galeere, der mit eingezogenen Schultern unter dem Großmast stand und nicht wußte, wie er sich verhalten sollte.

Der Spanier hatte offensichtlich begriffen, daß die beiden Schüsse nichts anderes als Warnungen waren, die Kampfhandlungen einzustellen. Er wunderte sich zwar, was den Kapitän der englischen Galeone bewogen haben mochte, in diesen Kampf einzugreifen, gab es doch auf einer Galeere kaum Beute, für die es lohnte, sich in Lebensgefahr zu begeben.

Er sah, wie einer seiner Soldaten einen Pfeil auf die Bogensehne legte und den dunkelhäutigen Mann mit dem roten Turban anvisierte. Mit einer ungeduldigen Handbewegung befahl er ihm, den Bogen zu senken. Erst wollte er wissen, was die Engländer vorhatten. Verkeilt, wie seine Galeere in die Schebekke war, hatte er keine Chance, den Geschützen der Galeone zu entgehen.

Er drehte sich um, als er die Schreie seiner Männer hörte. Der Mann mit dem roten Turban und seinen beiden Kampfgefährten hatte die Gelegenheit genutzt und sich ins Meer gestürzt. Auch die Mauren auf der Espale hatten sich auf ihre Tartane zurückgezogen. Das kleine, wendige Schiff löste sich von der Galeere, segelte seitlich an der festhängenden Schebecke vorbei und nahm den Mann mit dem Turban auf, indem einige Männer ihm und seinen Begleitern Taue zuwarfen und sie damit an Bord zogen.

Angesichts der Bedrohung durch die Engländer wagte niemand der spanischen Soldaten, noch einen Schuß auf die fliehenden Mauren abzugeben.

Der Kommandant kümmerte sich nicht weiter um die Tartane, die weitere Männer von der Schebecke an Bord nahm und dann in Richtung der sardischen Küste, die wie ein blaßblauer Streifen über die östliche Kimm ragte, davonsegelte.

2.

„Halte etwas tiefer, Ferris“, sagte Hasard, während er durch das Spektiv zur Galeere hinüberstarrte. Er konnte deutlich im Menschengewoge den Mann mit dem roten Turban erkennen, der wie ein Berserker kämpfte und gegen Pfeile und Degenstiche immun zu sein schien.

Ferris Tucker schrie einen Befehl zum Vordeck hinüber, wo Batuti und Smoky das Geschütz, mit dem sie den Masttopp der Galeere getroffen hatten, schon wieder nachluden. Wenig später krachte die Culverine erneut, und der Seewolf sah durch das Spektiv, daß die Kugel den Rumpf der Galeere nur knapp verfehlte und einen Schwall Wasser über die kämpfenden Männer schüttete.

„Sie geben auf“, sagte Ben Brighton neben dem Seewolf. „Sie wissen, daß wir sie jederzeit auf den Meeresgrund bohren können, wenn wir wollen.“

Hasard nickte. Er fühlte sich nicht besonders wohl in seiner Haut. Keiner seiner Männer hatte etwas gesagt, als er befohlen hatte, Kurs auf die von drei kleinen Schiffen bedrängte Galeere zu nehmen, aber er hatte an Bens Blicken gesehen, daß dieser mit der Entscheidung nicht einverstanden gewesen war.

Wahrscheinlich hatte Ben sogar recht. Was ging sie die Galeere oder die anderen Schiffe an? Sollten sich die Männer darauf doch gegenseitig die Schädel einschlagen. Sie, die Männer von der „Isabella“, konnten es sich nicht leisten, in diesen spanischen Gewässern zuviel Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

Aber es war wie immer gewesen. Hasard wußte, daß er dieses eigenartige Gefühl in sich nie würde unterdrücken können. Er war sich nicht einmal selbst bewußt, was dieses Gefühl war – Neugierde, Kampfeslust, der Wunsch, einem in Bedrängnis geratenen Menschen zu helfen. Wahrscheinlich spielten diese Dinge alle zusammen.

Als er erkannt hatte, daß die wie Mauren gekleideten Angreifer den Kampf um die Galeere verlieren würden, hatte er Ferris Tucker befohlen, einen Warnschuß abzufeuern. Dadurch, daß sich die Galeere in die Schebecke verkeilt hatte, war sie manövrierunfähig geworden und konnte so das Buggeschütz, das als einziges die „Isabella“ hätte gefährden können, nicht in Einsatz bringen, da es fest montiert war.

Erst nach dem zweiten Schuß waren die Kämpfe auf der Galeere eingestellt worden. Der Seewolf sah, wie die bunt gekleideten Angreifer, die den Kampf überlebt hatten, fluchtartig die Galeere verließen und auf die am Heck liegende Tartane sprangen. Der Mann mit dem Turban hechtete mit einem gewaltigen Satz ins Wasser.

„So – und jetzt?“ fragte Ben Brighton.

Der Seewolf hörte den vorwurfsvollen Unterton in der Stimme seines Ersten Offiziers, und er ärgerte sich, wahrscheinlich aber mehr über sich selbst als über Ben.

„Na, immerhin könnten auf der Galeere eine Menge Sklaven angekettet sein, die sich freuen würden, wenn sie mal wieder das tun könnten, was sie wollten“, sagte hinter ihnen die dunkle Stimme Carberrys.

Hasard wandte den Kopf und begann zu grinsen.

„Du sagst es, Ed“, erwiderte er. „Es ist unsere Christenpflicht, den armen Teufeln zu helfen.“

Ben Brighton spürte, daß die Worte gegen ihn gingen.

„Wer weiß denn, ob es arme Sklaven sind, verdammt“, sagte er wütend. „Vielleicht ist es eine Galeere mit Sträflingen. Mit Mördern, Frauenschändern, Totschlägern und Diebsgesindel. Na los, fahrt rüber und schließt ihnen die Ketten auf. Glaubt aber nicht, daß ich auch nur mit der Wimper zucke, wenn sie euch gleich darauf mit ihren Ketten erschlagen.“

„Das nenn ich Freundschaft!“ erwiderte Carberry mit dröhnender Stimme. „Hast du das gehört, Sir? Er hat nicht mal ein nettes Wort für uns übrig, wenn wir unsere große Reise antreten!“

„Nicht, wenn ihr euch wie Idioten benehmt und Selbstmord begeht!“ gab Ben grimmig zurück.

„Schluß!“ sagte Hasard. „Wir werden keinen Selbstmord begehen, Ben. Ich werde mit Carberry und Dan zur Galeere übersetzen und mit dem spanischen Kommandanten sprechen. Dann werden wir sehen, ob es sich um Sklaven oder Sträflinge handelt.“

Ben Brighton unterdrückte ein Stöhnen. Er wußte, daß es vergeblich sein würde, Hasard davon abzuhalten, zur Galeere überzusetzen, aber er verfluchte den Leichtsinn des Seewolfs, der immer wieder unnötig sein Leben aufs Spiel setzte.

„Sie könnten euch als Geiseln nehmen und gegen uns ausspielen“, sagte er resignierend.

Hasard winkte ab.

„Dann setzt du ihnen eine Kugel genau in den Rumpf. Das wird sie schon wieder zur Besinnung bringen.“

Ben Brighton wandte sich ab. Mit gepreßter Stimme gab er den Befehl, das Boot abzufieren, und teilte vier Männer ein, die Hasard, Carberry und Dan O’Flynn zur Galeere hinüberpullen sollten.

Arwenack spielte verrückt, als Dan über das Schanzkleid kletterte. Er sprang aus den Wanten auf Dans Rücken und kreischte, als ob er geschlachtet werden solle. Es gelang Dan nur mit Mühe, den Schimpansen zu beruhigen. Als Bill ihn entgegennehmen wollte, schnappte Arwenack zu. Die scharfen Zähne fetzten ein Stück Stoff aus Bills Hemdärmel, und fluchend schüttelte er die Faust hinter dem Schimpansen her, der wie der Blitz die Wanten hinaufflitzte und vom Großmars aus weiterschimpfte.

Der Seewolf gab seinen Männern noch Anweisungen, hart zurückzuschlagen, wenn die Spanier irgend etwas versuchen sollten. Dann ging er als letzter ins Boot.

Die See war trotz des frischen Windes, der von Süden blies, verhältnismäßig ruhig. Hasard, der das Ruder des Bootes übernommen hatte, sah, wie sich die spanischen Bogenschützen an Bord der Galeere und die Männer auf der Schebecke gegenseitig belauerten. Aber niemand wagte es, angesichts der Bedrohung durch die englische Galeone die Kampfhandlungen wieder zu eröffnen.

Der Seewolf steuerte das Boot so, daß es sich keinen Augenblick in der Schußlinie zwischen der „Isabella“ und der Galeere befand. Er hielt auf das Heck der Galeere zu. Unter dem roten Baldachin, der die Espale, die hintere Plattform, überspannte, stand der spanische Kommandant mit zusammengepreßten Lippen. Immer wieder glitt der Blick des Spaniers zu der Galeone hinüber. Er wußte wohl, daß ein einziger Fehler von ihm seinen Männern das Leben kosten würde.

Unbehelligt erreichte das Boot das mit Goldornamenten geschmückte Heck der Galeere. Hasards Blick glitt von dem Kommandanten zu dem Mann hinter der kleinen Heckkanone, der das Rohr auf das Boot ausgerichtet hatte.

Aus dieser Entfernung bleibt nicht viel von uns übrig, wenn der Mann schießt, dachte der Seewolf, aber der Kommandant, der die Arme vor der Brust verschränkt hatte, unternahm keine Anstalten, den Befehl zum Feuern zu geben.

Sie pullten neben die Heckstelling, und Hasard schwang sich auf den hinuntergelassenen Niedergang, der zur Espale hinaufführte. Carberry und Dan folgten ihm. Das Boot legte sofort wieder ab. Hasard hatte Befehl gegeben, sich außer Reichweite der Bogenschützen zurückzuziehen und erst auf sein Zeichen zur Galeere zurückzukehren.

Im Gesicht des spanischen Kommandanten zuckte kein Muskel, als Hasard vor ihm Aufstellung nahm und mit einer Ehrenbezeigung grüßte.

Der Spanier schien keinen Wert auf Formalitäten zu legen, obwohl er wie ein Caballero gekleidet war.

„Was wollen Sie von uns?“ stieß er in einem erstaunlich akzentfreien Englisch hervor. An dem rollenden R erkannte Hasard, daß er seine englischen Sprachkenntnisse von einem schottischen Lehrer haben mußte.

Der Seewolf warf einen Blick auf die Ruderbänke. Er sah sofort, daß die Ruderer angekettet waren. Also handelte es sich tatsächlich um Sklaven oder Sträflinge. Ein Großteil der Rüderer sah schlimm aus. Auf der Steuerbordseite lagen einige von ihnen blutüberströmt und bewegungslos über den Bänken.

 

Der Seewolf wies zu den angeketteten Ruderern hinunter.

„Ich bin Engländer, Señor“, erwiderte er, „und als Engländer gefällt mir der Anblick angeketteter Männer nicht.“

Hasard las den Haß in den Augen des Spaniers und wußte, daß dieser Haß nicht nur daher rührte, daß er mit seiner Galeone die Galeere bedrohte.

„Es interessiert mich nicht, was Sie beim Anblick von Galeerensträflingen empfinden, Engländer“, erwiderte der Kommandant. „Was wollen Sie? Wir haben nichts an Bord, was sich lohnt, zu stehlen.“

Er hatte das Wort „Engländer“ regelrecht ausgespuckt. Hasard ahnte jetzt, woher der Haß dieses Mannes rührte.

Ein Offizier im Rang eines Hauptmanns trat neben den Kommandanten.

„Wir sollten sie an die Backbordwanten binden, Conde“, sagte er auf Spanisch, „dann werden sie sich hüten, auf uns zu schießen.“

„Sie haben Befehl, auf jeden Fall zu schießen, Capitan“, antwortete Hasard statt des Kommandanten. Er sprach ebenfalls Spanisch, damit die Männer wußten, daß er sie verstand. „Ich verlange, daß die Ketten der Sklaven aufgeschlossen werden. Wer von den Männern die Galeere verlassen will, kann es tun. Er kann an Bord der Schebecke gehen.“

Die Augen des Kommandanten sprühten vor Haß.

„Jetzt bist du der Stärkere, Engländer!“ stieß er zischend hervor. „Deine Kanonen beschützen dich. Aber bete zu Gott, daß du mir nie wieder begegnest, denn das wird dein letzter Tag unter der Sonne sein!“

Hasard konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Wo sollte er diesem Mann noch einmal begegnen? Er würde weitersegeln, wenn die Galeerensklaven befreit waren. Mit seiner unterbemannten Galeere brauchte der Mann einige Zeit, um einen Hafen anzulaufen.

Der Kommandant gab ein paar scharfe Befehle. Die Soldaten zogen sich von der Corsia zurück. Die meisten von ihnen drängten sich auf der Vorderplattform. Einige von ihnen hatten noch Pfeile auf den Sehnen ihrer Bögen, mit denen sie die Männer auf der Schebecke bedrohten.

Niemand von den Spaniern rührte sich.

Hasard begann langsam, wütend zu werden.

„Ihr sollt die Sklaven losschließen!“ sagte er scharf.

„Meinen Männern ist es bei Androhung der Todesstrafe untersagt, einen Sträfling loszuschließen“, erwiderte der Kommandant kalt. „Wenn Sie die Sträflinge befreien wollen, müssen Sie es schon selbst tun.“

Hasard wußte, daß ihm keine andere Wahl blieb. Er konnte die Spanier schlecht dazu zwingen. Er gab Carberry und Dan einen Wink, und die beiden Männer sprangen aufs Tabernakel hinunter und von dort aus auf die Corsia bis zu den ersten Bänken.

Hasard hatte die Blicke der Spanier gesehen, mit denen sie Carberry und Dan betrachteten. Carberry schien sie stark zu beeindrucken. Der große, hart-gesichtige Mann mit dem Kreuz eines Kleiderschrankes und Pranken, die die Größe von Blöcken hatten, verströmte die Kraft eines unbesiegbaren Goliaths. Selbst die Männer, die mit Ketten an die Ruderbänke gefesselt waren, blickten mit einer seltsamen Scheu auf ihn, obwohl er sie doch von ihrem elenden Los befreien wollte.

Carberry brauchte nur mit dem Finger zu schnippen, und der fette Mann, der neben dem Tabernakel stand, warf ihm wortlos die Schlüssel zu, mit denen er das Schloß öffnen konnte, das die Laufkette mit einem mächtigen eisernen Ring in den Wassergang-Anschlußplanken verband.

Carberry wartete. Er drehte sich nach dem Seewolf um, der immer noch neben dem Kommandanten auf der Espale stand, und Hasard wußte, was sein Profos wollte.

Mit ein paar Worten rief er den angeketteten Männern zu, daß er ihnen die Freiheit schenken wolle. Sie hätten die Wahl, mit den Angreifern auf der beschädigten Schebecke das Weite zu suchen oder aber auf der Galeere zu bleiben.

Einen kurzen Augenblick blieb es still, aber dann stieg ein wilder Schrei des Triumphes auf, und als Carberry die ersten Ruderer losgeschlossen hatte, begannen auch die anderen, daran zu glauben, daß sie keinen Traum erlebten.

Die meisten der Sklaven waren dunkelhäutige Gestalten, die denen ähnlich sahen, die die Galeere angegriffen hatten. In Hasard verstärkte sich die Gewißheit, daß es sich um Sarazenen handelte, um Nachkommen der in Südeuropa ansässigen Mauren, die das Mittelmeer einst beherrscht hatten.

Die ersten von ihnen bewegten sich unbeholfen über die Corsia zum Bug der Galeere. Ketten klirrten an ihren Füßen. Diese hatten Carberry und Dan ihnen nicht abnehmen können, denn sie waren festgeschmiedet. Die Soldaten bildeten eine Gasse, durch die die Männer gehen mußten. Die Angst war vielen von ihnen in die Gesichter geschrieben. Offensichtlich trauten sie dem Frieden nicht und erwarteten, jeden Augenblick einen Pfeil in den Rücken zu kriegen.

Erst als einige von ihnen die Schebecke heil erreicht hatten, schöpften die anderen Hoffnung. Sie konnten nicht schnell genug die Laufketten durch die eisernen Ringe an den Manschetten ihrer Fußfesseln ziehen.

Hasard schätzte die Anzahl der Ruderer auf etwa hundertzwanzig Mann. Er verstand die Angst der Soldaten, die jetzt alle ihre Waffen auf die Sklaven gerichtet hatten. Wenn nicht die Bedrohung durch die englische Galeone gewesen wäre, hätten die Sarazenen der Schebecke sicher zum zweitenmal einen Angriff auf die Galeere gewagt.

Rasselnd lief die Laufkette zwischen den Galeerensklaven entlang. Fast die gesamte Steuerbordseite war nun befreit, und Dan O’Flynn marschierte auf dem Kampfsteg zurück, um die ersten Bänke der Backbordseite von der Laufkette zu befreien.

Fast gierig zerrten die Männer an den Ketten, so schien es Dan. Es sah aus, als befürchteten sie, nicht mehr rechtzeitig auf die Schebecke zu gelangen, die sich von der Steuerbordseite der Galeere befreit hatte und nur noch an dem spitzen Sporn hing, der sich tief in ihr Achterschiff gebohrt hatte.

Einer der Sklaven war ein ziemlich junger Mann. Dan schätzte ihn auf höchstens achtzehn Jahre. Sein kräftiger, aber abgezehrter Oberkörper war von Wind und Wetter tief gebräunt. Als einziger der Männer war ihm keine Nervosität anzumerken. Sein Blick war starr geradeaus gerichtet.

Dan bemerkte, daß er zur Espale hinüberschaute, wo Hasard und der Kommandant der Galeere nebeneinander standen und die Befreiungsaktion verfolgten.

Dan kümmerte sich nicht mehr um den Jungen. Er sah, wie die letzten Sklaven von der Steuerbordseite über den Galionslieger der Galeere zur Schebekke hinüberturnten. Carberry stampfte über die Corsia heran und hatte Mühe, den bereits von Dan befreiten Ruderern auszuweichen. Wie es aussah, hatte keiner der Ruderer die Absicht, bei den Spaniern zu bleiben. Dan konnte es ihnen nicht verdenken. Wenn er daran dachte, mit Eisen und Ketten an eine Ruderbank gefesselt zu sein, dann stieg das kalte Grauen in ihm hoch. Das hieß für ihn, jeden Tag zu sterben.

Er sah eine kurze, huschende Bewegung an seiner Seite. Etwas berührte seine Hüfte, und ehe er begriff, daß ihm jemand sein Messer aus der Scheide am Gürtel gezogen hatte, hörte er den wütenden Schrei des Fettkloßes, der die Hand mit der Peitsche hob, um auf den Jungen einzuschlagen.

Dan wirbelte herum. Der Junge war schon zwei Schritte von ihm entfernt. Er lief auf das Tabernakel zu, die rechte Hand, in der er Dans Messer hielt, zuckte in einer kurzen Ausholbewegung zurück.

Dan erkannte, was der Junge vorhatte. Die Peitsche des fetten Aufsehers zischte durch die Luft, aber die neun mit kleinen Eisenkugeln bewehrten Lederriemen waren nicht lang genug, den Jungen zu erwischen.

Mit einem gewaltigen Sprung hechtete Dan vor. Er sah noch, wie Hasard auf der Espale einen Schritt auf den Kommandanten zutrat, dann verdeckte der Rücken des Jungen ihm die Sicht. Seine Hände kriegten die zerrissene Hose des Burschen zu fassen, und mit aller Macht zerrte er daran.

Ein Aufschrei ging durch die Reihe der Soldaten.

Dan spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Er wußte, daß der kleinste Funke das Pulverfaß, das die Galeere in diesem Augenblick war, zur Explosion bringen konnte.

Er spürte, wie der Junge ins Straucheln geriet, dennoch schaffte er es, das Messer zu schleudern. Gleich darauf krachte er aufs Tabernakel, und Dan war über ihm. Er drückte dem Burschen das rechte Knie ins Kreuz und riß seine Arme auf den Rücken. Dann erst hob er den Blick.

Der Kommandant war in die Knie gegangen. Der Seewolf hatte ihn unter den Armen gepackt und zerrte ihn wieder auf die Beine.

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