Buch lesen: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 22»
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© 1976/2013 Pabel-Moewig Verlag GmbH,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-248-3
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
1.
Mac Dundee sprang brüllend zur Seite, als er das Rauschen über sich hörte und mit einem kurzen Blick nach oben feststellte, daß die Kettenkugel der Spanier die Fallen der Großrah zerschossen hatten.
Die schwere Spiere taumelte. Die Backbordnock verfing sich für einen Moment in den Webleinen der Wanten, dann riß sie sich los, und die mächtige Rah schlug mit ohrenbetäubendem Krachen aufs Deck.
Das Splittern des Holzes mischte sich mit dem Schreien der Männer. Mac Dundee sah, wie drei seiner Kameraden von der Spiere regelrecht erschlagen wurden. Das angeschlagene Großsegel färbte sich vom Blut eines Mannes innerhalb von Sekunden dunkelrot. Ein Mann mit blutüberströmtem Gesicht taumelte an ihm vorbei. Ein anderer hockte auf den Knien und versuchte verzweifelt, den armlangen Holzsplitter, der in seiner Brust steckte, herauszuzerren.
Mac Dundee warf einen kurzen Blick zu den beiden spanischen Galeonen hinüber, die in der Bucht von Puerto de Caldera ankerten und das angreifende Piratenschiff mit einem Hagel von Kugeln und griechischem Feuer überschütteten.
Mac Dundee wurde vom Tod seiner Kameraden nicht berührt. Er starrte nur haßerfüllt hinauf zum Quarterdeck. Seine rechte Hand, in der er ein Enterbeil hielt, zuckte. Am liebsten hätte er es dem größenwahnsinnigen Araber, der dieses Schiff befehligte, entgegengeworfen und ihm den Kopf mit seinem lächerlichen Turban gespalten.
Eine Kugel der Spanier sägte die Marsstenge des Großmastes in zwei Teile. Der Araber auf dem Quarterdeck brüllte sinnlose Befehle, auf die niemand mehr hörte. Die Piraten hatten nur noch den Wunsch, sich vor den herabkrachenden Spieren in Sicherheit zu bringen.
Das Großmarssegel, das im auflandigen Wind flatterte, seit dieser Idiot von Araber das Schiff hatte beidrehen, lassen, senkte sich über den Großmars. Kreischend zerriß die Segelleinwand. Zum Glück hielt das Großmarsstag und verhinderte, daß auch noch die Marsrahe aufs Deck krachte und das Chaos vergrößerte.
Die Geschützmannschaften an Backbord wurden durch die Trümmer der Großrah stark behindert. Eine Kanone war mitsamt der Lafette umgekippt, und zehn Männer bemühten sich vergeblich, sie wieder aufzurichten.
Mac Dundee nahm seinen haßerfüllten Blick von dem tobenden Araber. Jetzt ging es um ihrer aller Leben. Er packte die Axt in seiner rechten Faust fester und sprang den Männern bei den Backbordkanonen zur Hilfe. Wie ein Berserker begann er auf die Spieren und Taue einzuhacken, und nach wenigen Augenblicken hatte er es geschafft, die eine Hälfte der zersplitterten Großrahe über Bord zu befördern.
„An die Geschütze, Männer!“ brüllte er aus Leibeskräften, um das Getöse zu übertönen, das die heranzischenden Kugeln der Spanier verursachten, wenn sie in die Takelage schlugen.
Mac Dundees Axt hieb weiter auf geteertes Tauwerk ein. Er sah nicht die verbissenen Gesichter seiner Kameraden, die genau wie er mit dem Blut der Toten und Verwundeten besudelt waren. Zum Glück hielten die Spanier bisher nur hoch in die Takelage, um dem angreifenden Schiff seine Bewegungsfähigkeit zu nehmen. Mac Dundee mochte nicht daran denken, welch verheerende Wirkung eine in die Kuhl einschlagende Kugel haben würde. Fast fünfzig Männer drängten sich hier. Sie alle hatte Mac Dundee mit seinem Eingreif en aufgerüttelt. Sie schrien ihre verzweifelte Hoffnung hinaus.
Das erste Geschütz war feuerbereit. Mac Dundee schrie dem Mann mit der Lunte zu, er solle feuern, um die Spanier abzulenken, aber er wußte nicht, ob der Mann ihn verstanden hatte.
Mac Dundee sprang auf ihn zu und riß ihm die Lunte aus der Hand. Ein kurzer Blick genügte ihm, um festzustellen, daß das Geschütz richtig visiert war. Zischend fraß sich die Flamme durchs Zündkraut.
Mac Dundee sprang zurück.
Mit ohrenbetäubendem Krachen explodierte das Pulver und jagte die Kugel hinaus. Die Brooktaue fingen die zurücksetzende Kanone auf. Ein Mann schrie gellend auf. Ein Rad der Lafette war über seinen Fuß gerollt.
„Bringt ihn weg, verdammt!“ brüllte Mac Dundee. „Schmeißt den Idioten über Bord! Sind die anderen Geschütze feuerbereit? Gebt es den Spaniern, oder ihr werdet bald selbst ein Fraß für die Fische sein!“
Er lief zum nächsten Geschütz, das gerade abgefeuert wurde und polternd zurückrollte. Keuchend blieb er stehen und beobachtete, wie die Kugel in der Luft auseinanderklappte und die beiden Hälften, die durch eine Kette miteinander verbunden waren, ins Taumeln gerieten.
Die Piraten brüllten begeistert, als die Kugel in der Takelage der einen Galeone einschlug und den halben Vormast abrasierte.
Im selben Moment hörte Mac Dundee den Schreckensschrei von der Back.
„Feuer!“
Für Sekunden schienen die Männer an Bord des Piratenschiffes vor Schrecken erstarrt zu sein. Selbst der Araber auf dem Quarterdeck schrie nicht mehr. Dann gerieten die Männer in Bewegung. Eimer flogen an Steuerbord über das Schanzkleid, wurden wieder hochgerissen und zur Back hinaufgereicht. Einige Männer schlugen mit Segeltuch auf die Flammen ein, die das Griechische Feuer der Spanier entzündet hatte.
Mac Dundee drängte sich an den Männern vorbei, die die zweite Kanone wieder luden. Die dritte Kanone lag immer noch umgestürzt auf dem Deck, aber jemand hatte jetzt ein Tau an der Lafette befestigt und rief den anderen zu, ihm zu helfen.
Mac Dundee brüllte ein paar Befehle, die sofort befolgt wurden. Erst jetzt bemerkte Mac Dundee, daß sich niemand der Leute mehr um den Araber kümmerte. Er warf einen kurzen Blick zum Quarterdeck hoch. Jetzt hielt der Kerl mit dem Lappen um dem Kopf die Schnauze. Er stand vornübergebeugt an der Quarterdeckreling und starrte in die Kuhl, in der Mac Dundee für Ordnung sorgte.
Mac Dundee begann zu grinsen.
Deine Tage sind gezählt, Araber, dachte er. Wenn, wir das hier heil überstehen, dann lasse ich dich in Stücke hauen und den Fischen zum Fraß vorwerfen. Du hast zum letztenmal in deinem Leben jemand mit deinem Krummschwert die Rübe abgehauen.
Er spuckte aus und wandte sich den Leuten zu, die es geschafft hatten, die dritte Kanone aufzurichten. Sein Blick glitt hinüber zu den ankernden Galeonen, die in der Bucht von Puerto de Caldera Silber und Gold aufgenommen hatten. Die eine Galeone bedeutete keine Gefahr mehr für das Piratenschiff, die andere dagegen würde erst in ein paar Minuten ihre Breitseite voll zum Tragen bringen, wenn das Schiff der Piraten vorbeitrieb.
Mac Dundee verfluchte den Araber, der zu feige gewesen war, trotz des auflandigen Windes zwischen den beiden ankernden Galeonen hindurchzufahren und beim Passieren beide Breitseiten abzufeuern. Verdammt, das Schiff wäre dabei vielleicht aufgelaufen und zum Teufel gegangen, aber sie hätten sicher eine der beiden Galeonen erobert.
Jetzt konnten sie nur noch zusehen, mit heiler Haut zu entrinnen, und selbst wenn es ihnen gelang, den Geschützen der Spanier zu entgehen, bestand noch die Gefahr, daß sie mit ihrem Schiff, das kaum noch manövrierfähig war, auf die Klippen am Ende der Bucht trieben.
Mac Dundee strich sich über die glatten schwarzen Haare, die im Nacken zu einem Zopf zusammengebunden waren. Seine Hand glitt über die glutrote Narbe an der linken Kopfseite, wo einmal ein Ohr gewesen war, bevor der verfluchte Araber es mit seinem Krummschwert abgeschlagen hatte.
Der Haß auf Ali Pascha, der jetzt hilflos oben auf dem Quarterdeck stand und nicht wußte, was er tun sollte, durchlief in Wellen Mac Dundees Körper. Einen kurzen Augenblick war er versucht, seine Pistole aus dem Gürtel zu reißen und den Araber einfach über den Haufen zu knallen. Aus den Augenwinkeln nahm er die weißen Rauchwölkchen wahr, die plötzlich an Backbord der zweiten Galeone aufstiegen. Sekunden später hörte er schon das ekelhafte Jaulen, und kurz bevor eine der abgefeuerten Kugeln das Schiff erreichte, konnte er sie deutlich erkennen.
Mac Dundee warf sich einfach nach hinten. Er fiel mit dem Rücken auf die Gräting und verschränkte beide Arme über dem Gesicht.
Es hörte sich an, als berste das ganze Schiff auseinander.
Als Mac Dundee merkte, daß er unverletzt geblieben war, sprang er wieder auf. Seine Augen weiteten sich vor Entsetzen. An der Stelle, wo eben noch eins der Geschütze gestanden hatte, klaffte ein breites Loch im Schanzkleid. Das Brooktau, das die Lafette halten sollte, hing nur noch in einer Verankerung. Mac Dundee wandte den Kopf.
Das Geschütz war mit der Lafette über die gesamte Breite des Decks gerutscht und hatte eine blutige Spur der Zerstörung hinterlassen. Zwei Männer lagen reglos da, ein weiterer kroch davon und schrie seinen Schmerz hinaus. Ihm fehlten beide Füße.
Das schwere Geschütz war gegen das Steuerbordschanzkleid geprallt und abermals umgekippt. Ein paar Männer waren bereits dabei, die Lafette zu vertäuen, damit sie nicht zusammen mit der Kanone zurück zur Backbordseite schlitterte und noch einmal mit Urgewalt zwischen die Männer raste.
„Schießt, ihr Hundesöhne!“ brüllte Mac Dundee die Männer an den anderen beiden Geschützen an. Er sah, daß sich einer der Männer immer noch um den kleinen Italiener kümmerte, dessen rechter Fuß von der Lafette der ersten Kanone zerquetscht worden war. Mac Dundees Schläfenadern schwollen an. „Verdammt, Bowie!“ brüllte er. „Ich habe befohlen, den Kerl über Bord zu schmeißen! Er ist uns hier nur im Weg!“
Mac Dundee spürte ein unangenehmes Kribbeln im Nacken, als er in die eisgrauen Augen des Engländers blickte, der seinen Befehl ignorierte.
„Du hast hier einen Dreck zu befehlen, Einohr“, sagte Jeff Bowie kalt. „Wenn hier einer im Weg steht, dann bist du es. Spring doch selbst über Bord.“
Mac Dundee sah rot. Er hieb mit der Axt zu. Der Engländer tauchte im letzten Augenblick unter der scharfen Schneide weg. Mit einem dumpfen Laut schnitt die Axt in das Schanzkleid, daß Mac Dundee Mühe hatte, sie wieder herauszureißen.
Jeff Bowie hatte den kleinen Italiener aufgehoben und trug ihn unter die Back. Mac Dundee wollte hinter ihm her, als die nächste Kugel der Spanier in die Takelage schlug. Ein Blick nach oben sagte Mac Dundee, daß nun alles verloren war.
Die Vormarsstenge neigte sich nach Steuerbord. Der Vormars war von der Kugel völlig zerschmettert worden. Die Männer flüchteten von der Back, um den herabstürzenden Spieren zu entgehen.
Zu allem Unglück brach auch noch das Großmarsstag. Das Großmarssegel riß völlig entzwei. Die Rahe krachte auf den Großmars und rasierte ihn weg, bevor sie mit ohrenbetäubendem Krachen wie ein Speer ins Deck schlug und sich durch die Gräting bohrte.
Der ersten Geschützmannschaft gelang es, trotz des Zustandes in der Kuhl einen weiteren Schuß abzufeuern, der die zweite spanische Galeone in Höhe der Wasserlinie traf.
Mac Dundee hatte von dem Treffer nichts gesehen.
Er trieb die Männer an, das Durcheinander von Takelwerk und Spieren über Bord zu befördern. Er selbst hieb wieder mit seiner Axt auf das Wirrwarr ein und schickte die Männer an die Großmarsrah, die wie ein überdimensionaler Zahnstocher aus der Mitteldeckgräting ragte. Mit vereinten Kräften gelang es ihnen, die Spiere nach Steuerbord zu schaffen und über das Schanzkleid zu wuchten.
Mac Dundee erschrak, als er über die Reling blickte. Die Vormarsstenge hing mit ihrem Takelwerk über Bord, und das gesplitterte Ende konnte sich jeden Moment in den Schiffsrumpf bohren. Mit der immer noch an den Fallen und Brassen hängenden Großrah wirkte die Vorstenge wie ein Treibanker. Einen Moment lang überlegte Mac Dundee, ob sie dadurch einem Auflaufen auf die Klippen entrinnen konnten.
Er starrte zu den Klippen hinüber. Er kniff seine Augen ein paarmal zusammen, aber er hatte sich nicht getäuscht.
Hinter den Klippen segelte ein weiteres Schiff heran!
Für Mac Dundee stand außer Frage, daß es sich um einen Spanier handelte, denn andere Schiffe gab es nicht in diesen Gewässern. Sie waren verloren. Sie würden diesem Schiff genau vor die Kanonen treiben, und eine einzige Geschützsalve würde genügen, ihr Schiff in tausend Teile zu pusten.
„Schmeißt das Zeug über Bord!“ schrie er. Er wußte, was sie jetzt tun mußten. Es gab keine andere Möglichkeit mehr. Noch waren das Focksegel, die Blinde und das Lateinersegel am Besan gesetzt und unbeschädigt. Wenn es ihnen gelang, die Spieren an Steuerbord loszuwerden, konnten sie das Schiff drehen und vor dem Wind in die Bucht einlaufen.
Mac Dundee war sich klar darüber, daß sie die Bucht von Puerte de Caldera mit ihrem eigenen Schiff nie wieder würden verlassen können. Aber warum sollte es ihnen nicht gelingen, eine der spanischen Galeonen zu entern? Die Spanier hatten nur von dem Fehler des Araber profitiert, sonst hätten sie ihre wenigen Geschütze nicht so zielsicher ins Treffen führen können.
Als Mac Dundee den Aufgang zum Quarterdeck erreichte, spürte er, wie ein Ruck durch das Schiff ging. Er blickte nicht zurück. Er wußte, daß die Männer es geschafft hatten, die Spieren über Bord zu werfen und das Schiff von der Umklammerung durch das Takelwerk zu befreien.
„Ruder hart Backbord!“ brüllte Mac Dundee, kaum daß er das Quarterdeck betreten hätte. Mit Genugtuung registrierte er, daß der Rudergänger seinen Befehl ohne Zögern ausführte.
Das Schiff neigte sich leicht nach Steuerbord, als sich der auffrischende Wind in den Segeln fing und sie zu füllen begann.
Mac Dundee hatte nur Augen für den Araber, dessen rechte Hand hinunter zur Hüfte tastete, wo sein Krummschwert, mit dem er so fürchterliche Wunden schlagen konnte, in einer edelsteinbesetzten Scheide steckte.
Die Augen Ali Paschas waren aufgerissen und rollten. Kleine Äderchen waren geplatzt und färbten das Weiße rot.
Mac Dundee sah die Angst in diesen roten Augen und hätte jubeln können. Er wußte, daß er den Araber in diesem Augenblick hätte töten können, ohne daß einer der Mannschaft einen Vorwurf gewagt hätte, doch er wollte seine Rache auskosten.
„Ich übernehme das Schiff, Araber“, sagte er kalt. „Dir haben wir diesen Mist zu verdanken, weil du im entscheidenden Moment zu feige warst, alles zu riskieren. Jetzt sitzen wir in der Falle, und wir können ihr nur entrinnen, wenn wir alle wie die Teufel kämpfen. Einen Feigling können wir dabei nicht gebrauchen!“ Er hatte seine Stimme erhoben und blickte die beiden Vertrauten Ali Paschas an, die wortlos ein paar Schritte zurücktraten. „Bindet ihn an den Besan“, fuhr Mac Dundee fort. „Wenn wir sterben müssen, dann soll der Araber zusehen. Bevor es mit uns vorbei ist, werde ich ihm persönlich den Kopf abschlagen.“
Mac Dundee blickte in die Runde. In vielen Gesichtern sah er Zustimmung, andere wirkten teilnahmslos. Drei Männer führten Mac Dundees Befehl aus und banden Ali Pascha am Mast fest.
Mac Dundee hatte den abgesetzten Piratenkapitän absichtlich nicht bei seinem Namen genannt, den sich der größenwahnsinnige Araber selbst gegeben hatte. Die Männer an Bord sollten erkennen, daß der Araber ein Nichts war ohne seine beiden muskelbepackten Leibwächter und ohne sein Krummschwert, mit dem er so meisterlich umgehen konnte.
Mac Dundee hatte die beiden Leibwächter keine Sekunde aus den Augen gelassen. Er wußte, daß er ihnen nicht den Rücken zukehren durfte, wenn die akute Gefahr, in der sich das Schiff jetzt befand, erst einmal vorbei war.
Ohne Hast zog er seine Pistole aus dem Gürtel, legte an und schoß. Der Leibwächter, der die Kugel einfing, hatte so schnell gar nicht begriffen, was geschehen war. Er preßte die Hände auf das Loch in der Brust und sackte zur Seite, ohne einen Laut von sich zu geben.
Der zweite Mann reagierte sofort. Sein Messer flog blitzend durch die Luft, doch Mac Dundee war auf der Hut. Er warf sich einfach nach vorn und tauchte nur einen Schritt vor dem Leibwächter auf. Der Mann war nicht schnell genug, um den Hieb mit der Axt zu entgehen, der die rechte Schulter bis tief hinunter zur Brust spaltete.
Mac Dundee ließ seine Männer nicht zur Besinnung kommen.
„O’Driscoll!“ brüllte er. „Vorbereiten zum Entern! Roskill und Buchanan an die Drehbassen auf der Back! Beharkt die Dons, bevor wir sie rammen! Und dann will ich jeden von euch kämpfen sehen, als gelte es, einen Ausweg aus der Hölle zu finden, verstanden?“
„Aye, aye!“ schrien die Männer zurück.
Mac Dundees Hände krallten sich um die Wulst der Quartergalerie. Ein Hochgefühl des Glücks überschwemmte ihn. Auf diesen Augenblick hatte er sein Leben lang gewartet. Er war Kapitän eines Piratenschiffes! Daß er dabei gleichzeitig seine Rache befriedigen konnte, indem er den Araber tötete, der ihn bis aufs Blut gepeinigt hatte, war nur eine kleine Zugabe, die er allerdings genießen wollte.
Mac Dundee war jetzt fast sicher, daß sie es noch schaffen konnten. Er sah, daß an Deck der spanischen Galeone, die sie ansteuerten, Zustand herrschte. Der Kapitän ließ den Anker lichten. Segel wurden gesetzt.
Mac Dundee strich mit der linken Hand über die glutrote Narbe an seinem Kopf.
„Zu spät!“ flüsterte er heiser. „Wir kriegen euch!“
Einer der Männer auf dem Quarterdeck, die ihn sofort akzeptiert hatten, als sei er schon jahrelang ihr Kapitän, wies nach Steuerbord.
Mac Dundee wandte den Kopf. Ein Schiff war hinter den Klippen aufgetaucht. Es fuhr mit halbem Wind über Seuerbordbug auf die beiden ankernden Galeonen zu.
Mac Dundee pfiff durch die Zähne. Der Kapitän dieses Schiffes mußte ein Wahnsinniger sein, bei Legerwall mit vollem Zeug in diese Bucht zu segeln. Was hatte der Mann vor?
Mac Dundee starrte zu dem kleinen Schnellsegler hinüber, der nur zwei Masten hatte und am Großmast unter einem Großmarsrahsegel ein Gaffelsegel fuhr. Unter dem Bugspriet blähte sich die Blinde und schien das schnelle Schiff vorwärts zu reißen.
Unruhe erfaßte Mac Dundee. Er spürte, wie die Blicke seiner Männer an ihm hingen. Sie erwarteten, daß er etwas unternahm. Aber wie sollte er etwas unternehmen, wenn ihm völllig schleierhaft war, was der neue Feind, der da heranbrauste, im Schilde führte? Fast sah es so aus, als wolle er ihnen zu Hilfe eilen und nicht den Spaniern.
Mac Dundee wußte, daß er jetzt keine Schwäche oder Unentschlossenheit zeigen durfte.
„Wir halten den Kurs!“ rief er. „Alle Männer halten sich bereit zum Entern!“ Er biß die Zähne zusammen. Er wollte sich auf die spanische Galeone konzentrieren, die ab und zu noch Kanonenschüsse abfeuerte, aber nicht mehr traf. Doch immer wieder schweiften seine Blicke hinüber zu dem schnellen Segler, der sich eine Lücke zwischen der ankernden Galeone und dem Land zu suchen schien.
Obwohl Mac Dundees Schiff vor dem Wind lief, war es langsamer als der andere Segler. Mac Dundee konnte es nicht begreifen, aber der Mann hatte tatsächlich die Lücke gefunden und stieß hinein, und als dann seine drei Backbordgeschütze zu feuern begannen und die Kugeln in der Takelage des Spaniers einschlugen, herrschte an Deck des Piratenschiffes sekundenlang völlige Ruhe, bevor ein Sturm der Begeisterung losbrach.
Das schnelle Schiff war kein Feind!
Mac Dundee konnte sich nicht vorstellen, wer es war, der zu seinen Gunsten in den Kampf eingriff. Das wichtigste war, daß es sich nicht um einen Spanier handelte. Wahrscheinlich war es ein anderes Piratenschiff. Mac Dundee war in diesem Augenblick bereit, mit den anderen Piraten die zu erwartende Beute zu teilen, doch je mehr sie sich der Galeone näherten, desto mehr setzte sich seine unermeßliche Habgier durch.
Irgendwie würde es ihm schon gelingen, die anderen zu überfahren, auch wenn er ihnen zu verdanken hatte, daß er sein Leben nicht in dieser Bucht aushauchen mußte.
2.
Seit dem Ruf Dan O’Flynns, der im Großmars hockte, befand sich die Mannschaft der „Isabella III.“ in Gefechtsbereitschaft. Zuerst hatte Dan nur die vom Wind zum Land hinübergetriebenen, zerfaserten Rauchwölkchen gesehen, dann hatte er die Mastspitzen erkannt, die nur eben über die Klippen ragten, an die Philip Hasard Killigrew seiner Meinung nach viel zu dicht heransegelte.
Noch bevor sie die Klippen umrundet hatten, wußten alle Männer an Bord der „Isabella III.“, was sie erwartete.
Der Kanonendonner war unmißverständlich.
Die Frage war nur, wer sich dort in die Haare geraten war. Nach Hasards Informationen hielten sich auf dieser Seite des Neuen Kontinents nur Spanier auf. Es gab nur eine Möglichkeit.
Die Dons hatten Francis Drake und die „Golden Hind“ aufgespürt und lieferten ihr nun einen Kampf auf Leben und Tod.
Philip Hasard Killigrew preßte die Lippen aufeinander. Er betete darum, daß er nicht zu spät auf dem Schauplatz des Gefechtes erschien.
Seine eisblauen Augen richteten sich auf die Klippen. Sie liefen fast zu nah an sie heran. Hasard wußte das, aber nur dann, wenn er wie der Blitz aus heiterem Himmel zwischen die Feinde fuhr, hatte er die Möglichkeit, gegen einen vielleicht übermächtigen Feind zu bestehen.
Hasard lächelte und entblößte seine weißen, ebenmäßigen Zähne, als er Ben Brightons mißbilligenden Blick auf sich ruhen sah. Er wußte, daß Ben dieses Mnöver für selbstmörderisch hielt, aber der Bootsmann hatte sich inzwischen schon so sehr an seinen Kapitän gewöhnt, daß er nicht einmal mehr Einwände gegen Irrsinnsmanöver erhob.
Hasard schaute zur Takelage seines kleinen Schiffes hoch. Er fuhr die „Valdivia“, die er in „Isabella III.“ umgetauft hatte, noch nicht lange, und dennoch war er bereits eins mit dem Schiff. Es war hervorragend getrimmt, und mit seinem Gaffelsegel am Großmast wies es Segeleigenschaften auf, wie Hasard sie bisher nur von den kleinen Loggern kannte, die von französischen Küstenschiffern gefahren wurden.
Auf der Suche nach der „Marygold“ und der „Elizabeth“ hatte er mit Ben Brighton und Ferris Tucker den letzten Schliff in den Trimm des Schiffes gebracht. Ben Brighton hatte ein neues, größeres Segel für den Großmars nähen lassen, daß der „Isabella III.“ noch mehr Geschwindigkeit verlieh. Hasard war sicher, daß kein Spanier, der an dieser Küste segelte, in der Geschwindigkeit mit der neuen „Isabella“ mithalten konnte.
„Verdammt, Hasard, willst du uns alle zu den Fischen schicken?“
Ben Brighton hatte es nicht mehr ausgehalten. Alarmiert wies er mit der rechten Hand auf die kleinen Schaumkronen vor den ins Wasser ragenden Klippen. „Vielleicht reichen die Klippen noch ein paar hundert Yards unter Wasser weiter“, fuhr Ben Brighton fort. „Wir ...??
„Okay, Ben“, unterbrach Hasard seinen Bootsmann. „Geh etwas härter an den Wind. Aber wenn wir an den Klippen vorbei sind, läßt du die ‚Isabella‘ voll abfallen. Ich möchte den Dons die ersten Schüsse in die Takelage setzen, bevor sie überhaupt merken, daß ein neuer Gegner aufgetaucht ist.“
„Aye, aye“, murmelte Ben Brighton. Ihm war nicht wohl bei diesem Unternehmen. Er wußte gern immer vorher, was ihn erwartete. Seiner Meinung nach hätte es nicht geschadet, wenn sie weiter von der Küste geblieben wären und sich erst einmal vergewissert hätten, ob es überhaupt Kapitän Drake mit seiner „Golden Hind“ war, der dort in der Klemme steckte. Ben gab dem Rudergänger Pete Ballie den Befehl, ein paar Strich nach Backbord zu gehen. Als er sich umdrehte, stand Hasard nicht mehr neben ihm. Er war hinunter in die Kuhl gegangen, um mit Ferris Tucker und Al Conroy, die für die drei Backbord- und die drei Steuerbordgeschütze verantwortlich waren, zu sprechen.
Ben Brighton wußte, was das zu bedeuten hatte. Er war jetzt für den Kurs verantwortlich.
Die Schaumkronen waren nur knapp einen Faden vom Schiff entfernt. Ben Brighton war darauf vorbereitet, jeden Augenblick das fürchterliche Krachen zu vernehmen, wenn der Rumpf der „Isabella“ von den unter Wasser liegenden Klippen aufgerissen wurde.
Doch dann hatten sie die Klippen umschifft und hatten plötzlich den Blick in die weite Bucht frei.
Dan O’Flynns Stimme überschlug sich fast, als er zum Deck hinunterschrie, was er erkannte.
„Zwei ankernde spanische Galeonen, die von einem anderen Schiff angegriffen werden. Es ist nicht die ‚Golden Hind‘!“
Gebannt starrten die Männer in die Bucht.
Hasard kniff die Augen zusammen. Blitzschnell erfaßte er die Situation. Das Schiff, das die beiden Spanier angriff, war schon ziemlich gerupft. Der Großmast ragte wie ein kahler, vom Blitz gespaltener Baum in den Himmel. Die Vorderstenge fehlte. Das Schiff wurde mit dem Focksegel, der Blinde und dem Besansegel gefahren und hielt geradewegs auf die der „Isabella“ näher gelegene Galeone zu.
Ohne Zweifel waren die Angreifer Piraten, die ihre letzte Chance in einem Rammstoß sahen, um das andere Schiff entern zu können. Mit den wenigen Segeln, die ihnen noch zur Verfügung standen, konnten sie es niemals schaffen, sich von der Luvküste freizusegeln.
Als Ben Brighton von Dan O’Flynn hörte, daß die „Golden Hind“ von Francis Drake nicht in dieser Bucht war, zögerte er mit dem Befehl, die „Isabella“ abfallen zu lassen. Im Angesicht der kämpfenden drei Galeonen war es besser, aufs offene Meer hinauszusegeln und dem Gefecht zu entgehen.
„Abfallen, Ben!“ brüllte Hasard. Er hatte sich entschlossen, in diesen Kampf einzugreifen, der leichte Beute versprach, denn die Gegner hatten sich bereits gegenseitig geschwächt, daß Hasard der lachende Dritte sein wollte.
„Steuere zwischen der Küste und der ankernden Galeone hindurch!“
Ben Brighton kroch ein kalter Schauer über den Rücken, als er den Befehl an Pete Ballie und die Männer, die die Segel bedienten, weitergab.
Der Teufelsbraten schafft es noch mal, daß ich meinen Verstand verliere, dachte er.
„Backbordgeschütze feuerbereit!“
Hasards Stimme scholl fest und klar über das Deck des schnellen Seglers. Ohne Hast, aber dennoch in Sekundenschnelle hatte Ferris Tukker die drei Backbordneunpfünder richten lassen. Noch wiesen die Mündungen auf Fadenlänge ins Wasser, aber wenn Ben Brighton mit der „Isabella“ über Steuerbordbug ging und der Wind das Schiff zur Seite drückte, hatten sie ihr Ziel genau im Visier.
Hasard sah, daß die Piraten viel langsamer waren als die „Isabella“. Gleichzeitig erkannte er, daß auf der ankernden Galeone Zustand herrschte. Der Kapitän hatte befohlen, den Anker einzuholen und Segel zu setzen, obwohl es bei diesen Windverhältnissen Wahnsinn war. Ohne eigene Geschwindigkeit war die Galeone dazu verdammt, an die Küste zu treiben und an den Klippen zu zerschellen.
Der Kapitän schien das selbst schnell begriffen zu haben, denn als sich der Heckanker vom Meeresboden gelöst hatte, trieb die Galeone sofort ab.
Ferris Tucker fluchte. Er mußte seine Kanonen neu richten. Er ließ die Richtkeile über den Stellblöcken etwas anziehen, so daß die Mündungen der Geschütze höher wiesen.
Ben Brighton hatte auf das kurze Abtreiben der Galeone augenblicklich reagiert. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn. Die Lücke zwischen der Küste und der spanischen Galeone war noch enger geworden. Dann ging er über Steuerbordbug. Die Masten schienen sich im Wind zu biegen. Die Männer braßten die Rahen auf die Sekunde genau. Die Segel gaben keinen Ton von sich.
Im selben Augenblick schrie Ferris Tucker: „Feuer!“
Die Neunpfünder der „Isabella“ spuckten Feuer.
Hasard eilte aufs Quarterdeck zurück. Er sah, wie alle drei Kugeln in die Takelage der Galeone einschlugen und die herabstürzenden Spieren das Deck des Spaniers verwüsteten.
„Den Kurs halten, Ben!“ schrie Hasard durch den nachrollenden Donner der Geschütze. „Wir entern die andere Galeone! Stenmark und Batuti, nehmt euch noch fünf Mann und haltet euch bereit. Ferris, die Backbordgeschütze bereit zum zweiten Schuß?“
„Aye, aye, Sir!“
Eine Handbewegung genügte, um Ben Brighton zu erklären, was er zu tun hatte. Die „Isabella“ schoß parallel zur an Heck- und Buganker liegenden zweiten Galeone hinüber.
„Holt das Großsegel ein!“
Der Gaffelbaum rauschte am Großmast nieder, und die „Isabella“ verlor sofort an Geschwindigkeit. Ben Brighton preßte die Lippen aufeinander. Hoffentlich war die Bucht nicht so seicht, daß sie aufliefen, wenn er die „Isabella“ nach dem Entern in den Wind drehte und sie sich nach einer Halse wieder freikreuzen mußte.
Als der Bugspriet der „Isabella“ fast auf Höhe der Galeone war, ließ Ben Brighton beidrehen. Die Segel begannen zu killen. Es war, als hätte eine riesige unsichtbare Faust das Schiff gestoppt.
Ferris Tucker brüllte den Befehl zum Feuern, und die noch heißen Kanonen jagten zum zweitenmal ihre tödliche Ladungen dem Feind entgegen.
Zwei der drei Kugeln schlugen in Höhe des Schanzkleides ein und fegten die Kuhl praktisch leer. Auf diese geringe Entfernung hatten sie eine verheerende Wirkung. Die dritte Kugel rasierte den Vormast ab, der der Länge nach über das Deck der Galeone krachte und in tausend Teile zersplitterte.
Stenmark, Matt Davies, Batuti, Dan O’Flynn, Gary Andrews, Blacky und Karl von Hutten hielten ihre Enterhaken bereit und schleuderten sie zur Galeone hinüber, als die Back der „Isabella“ dicht an das Achterdeck des schwer beschädigten Schiffes heranfuhr.
Wie die Affen turnten die Männer hinüber. Sie trafen auf wenig Widerstand. Der Kapitän lag unter einer Spiere begraben. Sie hatte ihm das Rückgrat zerschmettert. Die anderen Spanier, die den Beschuß durch die „Isabella“ unverletzt überstanden hatten, ergaben sich mit bleichen Gesichtern.
Dan O’Flynn starrte in die Kuhl des Spaniers hinunter. Er mußte sich schnell abwenden, als er das Ausmaß der Zerstörung erkannte. Er hatte schon oft dem Tod ins Auge blicken müssen, seit er mit Hasard Killigrew und Francis Drake auf Kaperfahrt war, aber er konnte sich an den fürchterlichen Anblick nicht gewöhnen.
Innerhalb weniger Minuten hatten die sieben Männer von der „Isabella“ die spanische Galeone in ihre Gewalt gebracht. Batuti winkte zu Hasard und Ben Brighton hinüber, doch die hatten keine Zeit, den Erfolg der Männer abzuwarten.
Der kostenlose Auszug ist beendet.