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Blutige Berge (Western)

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Jed spannte die Muskeln an. Seine Handgelenke schmerzten. Lederstricke. Nicht gut. Solche Fesseln konnte man nicht zerreißen.

Ein Paar Mokassins trat in sein Gesichtsfeld.

Einer der Blackfeet blickte höhnisch grinsend auf ihn herunter. Jedediah zog eine Grimasse, und der Krieger trat ihm in den Leib. Er war jung, etwa in Jeds Alter. Er hatte sich Blut auf die Stirn geschmiert, und Jedediah fragte sich, ob es sein Blut war. Der Blackfoot trug eine Keule. Er war der Krieger, der Jed niedergeschlagen hatte.

Bull Bear saß auf der anderen Seite des Feuers und sah schweigend zu, wie der Junge den Gefangenen traktierte. Während dieser noch einmal zutrat, spuckte er verächtlich klingende Worte in der Blackfoot-Sprache aus, die dem Weißen einen langsamen Tod versprachen.

Dann sagte Bull Bear etwas, ein einziges Wort nur, aber der junge Krieger ließ von seinem Opfer ab. Jedediah empfand Dankbarkeit, doch als er Bull Bears gleichgültigem Blick begegnete, wurde ihm klar, dass es dem Kriegshäuptling nur darum ging, dass sein Gefangener aus eigener Kraft laufen konnte, sobald sie zum Lager des Stammes aufbrachen.

Jed überdachte seine Möglichkeiten. Wenn seine Lederfesseln trockneten, würden sie sich noch enger um die Handgelenke zuziehen. Eine Flucht mit gebundenen Händen war aussichtslos. Es gar nicht erst zu versuchen, würde jedoch den sicheren Tod bedeuten. Die Blackfeet würden ihm an der Seite der Greenhorns Höllenqualen bereiten. Der Schnee unter seinem Körper war geschmolzen und sickerte nass durch seine Hose. Jedediah stieß seine Hände in den Matsch. Vielleicht konnte er die Stricke aufweichen.

Während er verstohlen arbeitete, blickte er sich um. Sie lagerten am Rande eines Wäldchens, vor ihnen dehnte sich ein Schneefeld, die Sonne stieg am stahlblauen Himmel höher. Winternebel kroch über das Land. Ein neuer Tag brach an. Dies war der Ort, an denen ihnen die Blackfeet aufgelauert hatten. Die Rothäute hatten die Nacht hier verbracht, vermutlich um zu warten, bis ihr Gefangener aus seiner Ohnmacht erwachte und wieder alleine gehen konnte.

Doch weshalb ließen sie ihn überhaupt am Leben? Jedediah ahnte die Antwort: Bull Bear hoffte, dass Old Reddy kam, um seinen Gefährten zu befreien. Er wartete auf den alten Trapper, um ihn zu töten.

Hoffnung keimte in Jed. Old Reddy. Ihm würde doch sicher etwas einfallen, oder? Nein, machte er sich klar. Der Alte würde nicht kommen. Jedediah hatte bewiesen, dass er nicht auf sich aufpassen konnte. Statt sich neben Old Reddy am Fluss zu halten, war er blindlings über das Schneefeld gestapft und den Blackfeet direkt in die Arme gelaufen.

Von Old Reddy hatte er keine Hilfe zu erwarten.

Nach einer Weile schien Bull Bear zu demselben Schluss zu gelangen. Die Blackfeet rüsteten zum Aufbruch. Jedediah verdoppelte seine Anstrengungen, aber die Stricke saßen zu fest. Der junge Krieger zerrte ihn grob auf die Füße, und Jed befürchtete, er könne seinen Versuch, die Fesseln zu lösen, bemerken. Aber dann gerieten die Indianer jenseits des Feuers plötzlich in Streit, und der Junge wandte seine Aufmerksamkeit den anderen zu. Jedediah kannte ein paar Worte der Blackfoot-Sprache. Es reichte, um zu verstehen, dass es um sein Gewehr ging. Die alte deutsche Pirschbüchse gehörte zur Beute der Rothäute. Jetzt war sie verschwunden.

Die Krieger gaben sich gegenseitig die Schuld. Ihre Auseinandersetzung wurde immer lauter, bis Bull Bear den Streit mit einer herrischen Geste beendete. Anscheinend war er zu dem Schluss gekommen, dass sie die Büchse gar nicht mit ans Feuer gebracht, sondern sie am Ort des Kampfes zurückgelassen hatten, denn er befahl den anderen aufzubrechen, während er selbst zurückblieb, um das Gewehr zu suchen. Eine Schusswaffe stellte für Indianer eine Kostbarkeit dar. Einen Wert, der sich kaum in Pelzen, Pferden oder Frauen ausdrücken ließ.

Ein Gewehr war große Medizin. Umso erstaunlicher, dass sie die Pirschbüchse tags zuvor vergessen hatten.

Sie zogen durch die unberührte Winterlandschaft. Die Blackfeet hatten Jedediah seine Schneeschuhe umgebunden, denn nur so war es möglich, überhaupt voranzukommen. Wenn er stolperte, fiel er hin, weil er mit auf den Rücken gebundenen Händen nur schwer das Gleichgewicht halten konnte. Die Krieger lachten und zerrten ihn rau auf die Füße.

Als Jedediah erneut stürzte, stieß der junge Blackfoot gutturale Laute aus und drohte ihm mit seiner Kriegskeule. Die anderen beiden lachten erneut, und der Junge stapfte verärgert weiter. Bald befand er sich einige Schritte vor den anderen. Vielleicht war es das, was ihm das Leben rettete.

Ein Schuss rollte über die Landschaft. Der Indianer hinter Jedediah wurde von den Füßen gerissen und landete mit einem dumpfen Geräusch im Schnee.

Der Krieger, der vor Jed ging, fuhr erschrocken herum. Jedediah, der starr dastand, sah, wie dem Indianer eine Blutfontäne aus dem Rücken schoss. Dann erst hörte er das Krachen des zweiten Schusses. Er kannte das Geräusch.

Es war seine Pirschbüchse.

Gedanken wirbelten durch seinen Verstand.

Hatte Bull Bear die Waffe gefunden? Aber warum schoss er auf die eigenen Krieger?

Der junge Blackfoot begriff schneller. Er hob seine Keule und stürmte auf Jedediah zu. Die Schneeschuhe machten seine Bewegungen plump und langsam.

Jed ließ sich fallen und stieß seinem Gegner die Füße in den Leib. Der Junge stürzte und verlor die Keule.

Trotzdem war es nur eine Frage der Zeit, bis er dem gefesselten Mann den Garaus machen würde.

Er kam auf die Beine und suchte nach seiner Keule. Ein weiterer Schuss krachte. Die Kugel pfiff über den Kopf des Jungen hinweg. Die Bewegung, mit der er sich nach seiner Waffe gebückt hatte, rettete ihm das Leben. Der Blackfoot gab die Keule auf und floh.

Jedediah rappelte sich auf und hielt nach dem Schützen Ausschau. Sein Herz machte einen Freudensprung, als er Old Reddy auf sich zukommen sah, die Pennsylvania-Rifle in der Hand, die Pirschbüchse über der Schulter. Er musste das Gewehr in der Nacht aus dem Lager der Blackfeet gestohlen haben, um mehr Feuerkraft zu haben. Dann hatte er den richtigen Augenblick für einen Hinterhalt abgepasst. Old Reddy zog sein Messer und durchtrennte Jedediahs Fesseln.

„Ich dachte nicht, dass du kommen würdest“, sagte Jed.

Der Alte zuckte mit den Schultern.

Statt etwas zu sagen, ließ er die Pirschbüchse fallen und fing hektisch an, sein eigenes Gewehr zu laden, und jetzt erkannte Jedediah, dass Old Reddys Bewegung kein Schulterzucken gewesen war. Ein Pfeil hatte ihn getroffen. Der Schaft ragte aus seiner Seite.

Über den Schnee stürmte Bull Bear heran.

Warum er keinen zweiten Pfeil abschoss, würde Jed für immer ein Rätsel bleiben. Der Blackfoot musste geahnt haben, dass Old Reddy die Pirschbüchse gestohlen hatte und war seinen Kriegern in einiger Entfernung gefolgt, um seinem Todfeind eine Falle zu stellen.

Trotzdem war er zu spät gekommen.

Vielleicht fürchtete Bull Bear, das Duell gegen das Gewehr zu verlieren, denn er kämpfte sich mit grimmiger Entschlossenheit durch den Schnee, in der Faust einen Tomahawk. Den Bogen hatte er zurückgelassen. Nur der Köcher mit den Pfeilen wippte auf seinem Rücken.

Old Reddy schüttete Pulver in den Lauf. Er wirkte hektisch; der Pfeil in seiner Hüfte machte ihm zu schaffen und das Auftauchen von Bull Bear hatte ihn erschüttert.

Kugel, Ladestock. Der Trapper war fast fertig, als der Blackfoot seinen Tomahawk warf. Jedediah hörte, wie das Beil in Old Reddys Schulter einschlug. Mit einem Stöhnen ging der Alte zu Boden. Bull Bear warf sich über ihn, riss den Tomahawk aus dem Fleisch und holte aus.

Jedediah rammte ihn.

Bull Bear kippte von Old Reddy, kam aber schnell wieder hoch und stürzte sich auf Jed. Der Blackfoot hatte seine Schneeschuhe verloren, was in dieser Situation ein Vorteil war. Jed stolperte und fiel rücklings in den Schnee.

Bull Bear ragte über ihm auf, das Kriegsbeil erhoben.

Das war’s, dachte Jed, und war völlig verblüfft, als ihm Blut ins Gesicht spritzte.

Eine knöcherne Pfeilspitze ragte aus Bull Bears Kehle.

Während des Kampfes waren dem Blackfoot Pfeile aus dem Köcher gefallen. Old Reddy hatte sich einen geschnappt und sie dem Indianer von hinten durch den Hals gestoßen. Schwer atmend ließ er sich neben Jed in den Schnee fallen.