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Blutige Berge (Western)

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„Zu gefährlich, Junge.“

Jedediah gab nicht nach: „Ich habe nachgezählt, es sind kaum zehn Krieger im Lager. Die anderen sind hauptsächlich Kinder, Alte und Frauen.“

„Das ist es, was mir Sorgen macht.“

„Wir können es schaffen. Willst du die Leute aus St. Louis sterben lassen?“

„Diese Männer hätten nie in die Berge kommen dürfen.“

„Es sind Weiße.“

„Es sind Fremde. Sie gehen uns nichts an.“

Jedediah wusste, es half nichts. Old Reddy hatte ihm beigebracht, dass ein Mann in den Bergen auf sich allein gestellt war, selbst wenn er in einer Gruppe reiste. Wer nicht auf sich aufpassen konnte, hatte es nicht verdient zu überleben. Erwarte niemals Hilfe, hatte er gesagt, hier draußen braucht ein Mann jedes bisschen Kraft für sich selbst; gewährst du anderen Beistand, reicht es am Ende vielleicht nicht mehr für dich. Jetzt richtete er sich danach. Er hatte in St. Louis mit diesen Männern im Saloon gesessen, aber das bedeutete nun nichts mehr.

Old Reddy zog sich leise zurück. Jedediah konnte wählen: Entweder er folgte ihm, oder aber er … würde was tun? Ihm fiel nichts ein. Die Greenhorns waren verloren.

In dieser Nacht schliefen sie in einem Laubhaufen im Wald, den sie in der Dämmerung aufgeschichtet hatten: Das Notquartier eines Bergläufers. Old Reddy erklärte, das sei ein alter Trick, wenn man vom Winter überrascht wurde und keine Hütte besaß, aber Jedediah sprach nicht mit ihm. Er war wütend, weil sie die Greenhorns ihrem Schicksal überlassen hatten. Nachts fielen die Temperaturen weit unter Null. Die Kälte konnte Jedediah im Laub nichts anhaben, doch die Männer aus St. Louis waren vielleicht schon tot.

Er wusste, was Old Reddy dazu sagen würde: Sie waren tot, als sie in die Berge kamen.

Am nächsten Morgen brachen sie früh auf. Old Reddy wollte die Gegend um das Blackfoot-Lager rasch verlassen. Jedediah stapfte verdrossen hinter ihm her. Der Alte beachtete die Laune seines jungen Partners nicht. So wie er es sah, konnte Jed ihm folgen oder bei dem törichten Versuch, den Greenhorns zu helfen, sein Leben lassen. Den ganzen Vormittag über wechselten sie kein Wort, nur einmal hob Old Reddy den Arm und zischte eine Warnung.

„Schwarzes Eis.“

Sie standen an einem kleinen Fluss, der ein sonniges Tal durchschnitt. Jedediah konnte nur vermuten, was Old Reddy vorhatte. Offenbar wollte er die Spur der Dickhornschafe wiederaufnehmen, und dazu mussten sie auf die andere Seite.

Der Fluss war von Eis bedeckt, aber es hatte seit mehreren Tagen nicht mehr geschneit. Über dem Tal dehnte sich endlos blauer Himmel, der Fluss lag in der fahlen Wintersonne. Der Schnee über der Eisdecke war getaut, und es hätte ein Leichtes sein müssen, auf die andere Seite zu gelangen. Aber Old Reddy zögerte. Er deutete auf das Eis. Um diese Jahreszeit musste es gut einen Meter dick sein, und Jedediah konnte nichts erkennen, was dem widersprach.

„Schwarzes Eis“, wiederholte Old Reddy.

Dunkel schimmernd lag es vor ihnen. Jed erinnerte sich an zugefrorene Seen. Sie waren weiß gewesen, oft grau, manchmal bläulich, aber nie schwarz. Dieses Eis war anders.

„Es lässt das Dunkel der Tiefe durch“, sagte Old Reddy. „Die Sonne hat es ausgezehrt. Ein Schritt, und es bricht.“

Er deutete mit dem Gewehr geradeaus. Er wollte dem Flusslauf folgen und eine Stelle finden, an der die Eisdecke noch unversehrt war. Jedediah stapfte mürrisch weiter. Er hatte Old Reddy noch nicht verziehen und war nicht dazu aufgelegt, mit ihm zu reden. Während der alte Trapper den Krümmungen des Creeks folgte, hielt sich Jed abseits. Er überquerte ein Schneefeld und hielt auf eine Baumgruppe zu, als er im Augenwinkel etwas bemerke. Er blickte sich um.

Außer Old Reddy war keine Menschenseele zu sehen. Vor sich gewahrte Jed ein Loch im Schnee, daumendick, mit verharschtem Rand. Fünf Schritt zu seiner Linken ein weiteres. Luftlöcher. Sie waren breiter als beim letzten Mal. Es mussten zwei wirklich fette Hühner im Boden stecken.

Grinsend schnallte Jedediah seine Schneeschuhe ab. Die Dickhornschafe waren ihnen entkommen, aber ein gebratenes Huhn war auch nicht zu verachten. Vielleicht war er gnädig und gab Old Reddy einen Bissen ab.

Einen Atemzug später sprang ihn das Huhn an.

Der Schnee zu seinen Füßen brach auf und ein Dämon fuhr heraus. Fettiges Wildleder, dunkle Haut, schwarzes Haar. Ein schriller Kriegsschrei erklang. Ein Blackfoot!

Jedediah setzte sich vor Schreck in den Schnee, wodurch er dem Tomahawk entging, der auf seinen Kopf zuraste. Der Indianer, der wer weiß wie lange im Schneeloch gekauert hatte, war steif von der Kälte. Die Beilklinge zischte über Jed hinweg, und dann explodierte das Gesicht des Angreifers. Old Reddy, der sich nie überrumpeln ließ, hatte ohne zögern angelegt und den Krieger erwischt. Das ließ den Blackfoot, der aus dem anderen Loch gesprungen war, innehalten.

Aber der Kampf war noch nicht entschieden.

Aus dem Waldstück oberhalb des Flusses stürmte jetzt unter gellendem Geheul ein Trupp Rothäute. Ein halbes Dutzend Krieger, die Lanzen und Tomahawks schwenkten.

Die Männer, die nicht im Lager gewesen waren.

Ihre Falle war zu früh zugeschnappt, aber das gedachten sie mit schierer Übermacht auszugleichen. Drei Blackfeet liefen sofort auf Old Reddy zu, die anderen kreisten Jed ein.

Der Krieger neben Jedediah schüttelte den Schock über den Tod seines Kampfgefährten ab und holte mit dem Tomahawk aus. Jed hieb ihm dem Kolben seines Gewehrs an den Schädel. Er besaß eine Pirschbüchse, ein altes, unhandliches Ding, das deutsche Einwanderer ins Land gebracht hatten. Waldläufer konnten mit dieser Waffe nicht viel anfangen. Sie schoss treffsicher, war aber schwer. Jed fehlte das Geld für eine der leichteren Pennsylvania-Rifles oder ihre Nachfolgerin, die noch handlichere Kentucky-Rifle. Doch jetzt kam ihm das Gewicht der Waffe zupass.

Der Kolben traf den Blackfoot wie eine Keule am Kopf, und Jed hörte den Knochen brechen.

Inzwischen lud Old Reddy mit raschen Bewegungen seine Waffe. Aber die Angreifer waren schneller. Mit weiten Sprüngen arbeiteten sie sich durch den Schnee und erreichten ihn, ehe er den Ladestock aus dem Lauf ziehen konnte.

Old Reddy drückte ab.

Ein Krieger fiel. Der Ladestock ragte aus seinem Auge.

Der alte Trapper warf das Gewehr beiseite und zog sein Messer. Der Krieger, der ihm am nächsten war, sprang zur Seite und kam dabei der Uferböschung nahe. Old Reddy versetzte ihm einen harten Stoß. Der Indianer fiel aufs Eis.

Ein Knirschen und Splittern.

Der Krieger brach ins eiskalte Wasser. Er keuchte entsetzt, dann riss ihn die Strömung fort.

Schwarzes Eis.

Unter der gefrorenen Flussdecke sah Jed den Körper des Indianers davontreiben wie einen Schatten hinter Glas.

Old Reddy ging zum Gegenangriff über. Er schrie und stieß sein Messer vor. Der verbliebenen Blackfeet zeigten Nerven und wichen zurück.

Old Reddy riss sich die Schneeschuhe von den Füßen, packte sein Gewehr und nahm Anlauf. Er schaffte es fast ans andere Ufer, rutschte ab, brach mit einem Fuß durchs Eis, krallte sich mit den Händen an der Böschung fest und zog sich mit einer gewaltigen Kraftanstrengung in Sicherheit. Dort drüben kamen die Blackfeet nicht ohne weiteres an ihn heran. Beim Versuch, das Eis zu überspringen, wären sie wehrlos, und er konnte sie leicht aufs Korn nehmen.

Die Rothäute ließen es nicht darauf ankommen. Sie waren nur noch zu viert, aber sie hatten jetzt einen Gefangenen: Von allen Seiten näherten sie sich Jedediah, der seine Pirschbüchse hob. Wenn er schon sterben musste, würde er noch einen von ihnen mitnehmen. Er suchte nach einem Ziel, wechselte hektisch zwischen den Angreifern.

Plötzlich blickte er in das Gesicht von Bull Bear.

Es drückte Gleichmut aus. Stoische Ruhe, gepaart mit unerschütterlichem Selbstvertrauen. Bull Bears Hand drückte den Lauf der Büchse zur Seite. Einer der Krieger nutzte die Gelegenheit und sprang auf Jedediah zu.

Die Welt versank in Schwarz.

Als Jed erwachte, sah er Feuer. Vor seinen Augen tanzten rotglühende Funken. Allmählich erkannte er, dass sie nicht vom Schmerz in seinem Kopf herrührten, sondern real waren. Er lag an einem Feuer. Gefesselt, zerschlagen, doch noch immer lebendig. Seine Hände waren auf dem Rücken verschnürt. Die Kleider klebten ihm, durchnässt vom Schnee, am Leib. Er fror, aber die Hitze des Feuers spendete genug Wärme, um seine Lebensgeister zum Tanzen zu bringen.