Joseph

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Wie wir gesehen haben, beschreibt 1. Mose 2 den Garten Eden als einen Ort, wo die Menschen ihr kreatives Potenzial voll ausschöpfen konnten. Die Tragödie ist, dass die falsche Lesart dieser Geschichte zu der immer wiederkehrenden Verleumdung geführt hat, dass Gott der Feind der menschlichen Entwicklung sei, anstatt ihr Urheber.

Das Samen-Projekt

Gott sagt zur Schlange, nachdem sie die Menschen getäuscht hat:

Und ich werde Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau und zwischen deinem Samen und ihrem Samen; er wird dir den Kopf zermalmen, und du wirst ihm die Ferse zermalmen (1Mo 3,15).

Es ist ein Urteil, aber es ist auch die Grundlage für eine erstaunliche Zukunftserwartung. Indem Gott verspricht, dass der Nachkomme der Frau triumphieren soll, erklärt Er, dass die Menschheit nicht am Ende ist – weit gefehlt. Die Menschheitsgeschichte wird komplex und voller Frustrationen und Schwierigkeiten werden; nichtsdestotrotz sagt Gott, dass ein Mensch schließlich den Feind besiegen wird.

Das ist nicht einfach eine Prophezeiung, dass Gott triumphieren wird, was nie bezweifelt wurde. Es ist eine Prophezeiung, dass die Menschheit den Sieg davontragen wird. Am Ende wird es der „Same der Frau“ sein, ein menschliches Wesen, das den Feind überwinden wird.

Und so beginnt die Geschichte des Samens, der seinen absoluten Mittelpunkt in dem findet, den Paulus im Neuen Testament den Samen oder den Nachkommen nennt – nämlich Jesus Christus (Gal 3,16). Das erste Buch Mose enthält den Bericht von der anfänglichen Laufbahn des Samens. Mit der Geburt der Kinder Evas, Kain und Abel, beginnt diese Laufbahn. Das Leben in dieser ersten Familie ist weit davon entfernt, harmonisch und idyllisch zu sein; die schlimmen Folgen der Sünde, die nun in die Welt gekommen ist, zeigen sich mit verheerender Schnelligkeit, als Kain seinen Bruder Abel ermordet.

Das Leben der ersten Menschheitsfamilie wird durch den Brudermord in der ersten Generation getrübt – ein düsteres Anzeichen der auf dem Weg liegenden Schwierigkeiten, um den Samen schließlich in die Welt zu bringen. Eva bleibt ein Sohn übrig – ein Mörder. Aber dann bekommt sie einen weiteren Sohn, Seth, und mit ihm erlangt das Samen-Projekt seine Dynamik wieder: „Und Seth, auch ihm wurde ein Sohn geboren, und er gab ihm den Namen Enos. Damals fing man an, den Namen des HERRN anzurufen“ (1Mo 4,26).

Abschnitt 3: Gericht (1. Mose 5,1–9,29)

Der dritte große Abschnitt in 1. Mose beginnt mit der Abschnittsmarkierung in dieser Form: „Dies ist das Buch von Adams Geschlechtern“ (1Mo 5,1). Dann werden rasant die Nachkommen von Adam bis hin zu Noah aufgezählt. Es wird von zunehmender Gewalt auf der Erde berichtet, mit einigen bemerkenswerten Ausnahmen wie Henoch und Noah. Die Bösartigkeit der Menschheit erreicht einen solchen Höhepunkt, dass Gott sich entscheidet, die Menschen vom Erdboden zu vertilgen (1Mo 6,7). Auf den ersten Blick scheint es das Samen-Projekt zu einem völligen Stillstand zu bringen. Aber es gibt einen Vorbehalt in Gottes Beurteilung: „Noah aber fand Gnade in den Augen des HERRN“ (1Mo 6,8). Entsprechend verengt der Text seinen Fokus auf den Samen Noahs und verwendet noch einmal die wichtige Abschnittsmarkierung „Dies ist die Geschichte Noahs“ (1Mo 6,9). Der Rest dieses Abschnitts wird beherrscht vom Gericht durch die Sintflut, vor der Noah und seine Familie in der Arche gerettet werden.

Es ist nicht unsere Absicht, hier die Erzählung von der Sintflut näher auszuführen, außer dem Hinweis, dass Jesus selbst sich darauf bezog, als es um sein Wiederkommen ging: „Denn wie die Tage Noahs waren, so wird die Ankunft des Sohnes des Menschen sein“ (Mt 24,37). Jesus nutzt die Ereignisse um die Sintflut als ein Beispiel, damit seine Zuhörer besser verstehen können, wie plötzlich und unerwartet seine zukünftige Wiederkehr „auf den Wolken des Himmels mit Macht und großer Herrlichkeit“ sein wird (V. 30).

Das Thema des Gerichts ist verständlicherweise nicht sehr ansprechend für diejenigen, die ein letztes Gericht nicht in irgendeinem Sinn als herrlich ansehen. Doch das ist eine oberflächliche Reaktion, denn das Gericht Gottes ist die andere Seite seiner Liebe; mit anderen Worten: Ein Gott, der letztlich nicht gerecht mit dem Bösen umgeht, kann kein Gott der Liebe sein. Die Tatsache, dass es ein letztes Gericht gibt, sagt uns tatsächlich, dass unser Sinn von richtig und falsch, unser moralisches Bewusstsein, keine Illusion ist.

Heutige Atheisten reagieren gereizt, wann immer das Gericht Gottes erwähnt wird. Sie behaupten, an Gerechtigkeit interessiert zu sein. Doch ihrer Meinung nach werde die große Mehrheit der Menschen nie Gerechtigkeit bekommen, aus dem einfachen Grund, dass die meisten sie in diesem Leben nicht bekommen, und es gebe schließlich kein Leben nach dem Tod, in dem es eine endgültige Beurteilung geben könnte. Der Atheismus sieht es so, dass sich der Terrorist oder der Tyrann, der seine Mitmenschen ermordet und schließlich sich selbst erschießt, der Gerechtigkeit entzieht. Das ist ein irregeleitetes Denken, denn wir leben in einem moralischen Universum, und Gott wird dafür sorgen, dass Gerechtigkeit nicht nur vollzogen wird, sondern auch als vollzogen angesehen werden wird. Der berühmte marxistische Denker Max Horkheimer von der bekannten Frankfurter Schule sagte einmal, er befürchte, dass es keinen Gott geben könnte, denn in dem Fall gäbe es keine Gerechtigkeit. Er hätte sich in dieser Hinsicht keine Sorgen machen müssen; das Universum ist moralisch, und Gott wird dafür sorgen, dass Gerechtigkeit nicht nur vollzogen wird, sondern auch als vollzogen angesehen werden wird.

Fassen wir zusammen: Der erste Abschnitt des ersten Buches Mose berichtet uns davon, dass die Menschen im Bild Gottes geschaffen sind. Der zweite Abschnitt konzentriert sich auf einen wichtigen Aspekt dieses Bildes – dass Menschen moralische Wesen sind. Er erzählt uns von der großen Täuschung, die die Sünde in die Welt brachte, und gibt detaillierte Einblicke, wie dieser Schaden eines Tages ungeschehen gemacht wird, wenn der Same der Frau triumphiert. Der dritte Abschnitt verweist auf die letztgültige Wirklichkeit dieses moralischen Status im Gericht Gottes, einem Gericht, das von Barmherzigkeit durchdrungen ist, da Noah und seiner Familie Rettung gewährt wird.

Man kann den ersten Teil von 1. Mose auch so betrachten, dass er drei Hauptpunkte der christlichen Glaubenslehre vorhersieht: (1) Schöpfung; (2) Sünde und Erlösung; und (3) Gericht und die letzten Dinge.

1 Theogonie – mythische Lehre / Vorstellung von der Entstehung und Abstammung der Götter.

2 Weitere Details für eine biblische und wissenschaftliche Perspektive stehen in meinem Buch: Sieben Tage, das Universum und Gott. Was Wissenschaft und Bibel über den Ursprung der Welt sagen (Institut für Glaube und Wissenschaft, SCM R. Brockhaus Verlag, Witten), 2014.

3 Fjodor M. Dostojewski, Die Brüder Karamasow (übers. v. Hermann Röhl), Leipzig (Reclam jun.) 1924, Kap. 12.

4 Siehe mein Buch Gott im Fadenkreuz: Warum der Neue Atheismus nicht trifft, Witten (SCM R. Brockhaus), 2013.

5 Für eine ausführliche Behandlung dieser Themen verweise ich auf mein Buch Vorher bestimmt? Die Souveränität Gottes, Freiheit, Glaube und menschliche Verantwortung, Dillenburg (Christliche Verlagsgesellschaft) 2019.

6 Alexis Smith, Snake Path, 1992, UC San-Diego-Webseite, aufgerufen am 6. September 2018, http://stuartcollection.ucsd.edu/artist/smith-a.html.

7 Ebd.

2
Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs

Wir erwähnten bereits, dass es im ersten Buch Mose sechs große Abschnitte gibt. Die letzten drei Abschnitte widmen sich der Familiengeschichte der Urväter. Nach der bekannten Abschnittseinteilung „Dies sind die Geschlechter der Söhne Noahs …“ (1Mo 10,1) behandelt der vierte große Teil des Buches zunächst rasch die Generationsfolgen und beschreibt die Anfänge der großen Zivilisationen des alten Orients und seiner Städte wie Babel und Ninive, die berühmte Zentren großer Reiche werden sollten.

Dem aktiven Eingreifen Gottes in Babel, um die Sprachen der Völker zu verwirren, folgt wieder eine besondere Konzentration auf das Samen-Projekt und somit auf die Nachkommen Sems (1Mo 11,10) und schließlich auf Tarah und seinen Sohn Abraham (1Mo 11,27). Abraham war eine wichtige Figur, die nicht nur das erste Buch Mose, sondern den gesamten biblischen Handlungsverlauf überspannt. Er war außerdem Josephs Urgroßvater, und man kann davon ausgehen, dass Josephs Kindheit von den Berichten über Abrahams Großtaten erfüllt war. Um Josephs Geschichte zu verstehen, wird es daher notwendig sein, die Geschichten und Erinnerungen zu skizzieren, die seine Kindheit erfüllt und wohl eine prägende Rolle in seinem Leben gespielt haben dürfen. An dieser Stelle werden wir die Handlung nachzeichnen und später nur Details hinzufügen, wenn sie wichtig werden.

Abschnitt 4: Abraham und seine Söhne (1. Mose 10,1–25,11)

Der Bericht des Lebens Abraham beginnt, als Gott ihm eine Verheißung schenkt, die enorme Auswirkungen auf die nachfolgende Geschichte der Welt hat: „Und ich will dich zu einer großen Nation machen und dich segnen, … und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter der Erde!“ (1Mo 12,2.3). Der Rest des ersten Buches Mose, ja der ganzen Bibel, berichtet uns davon, wie dieses Versprechen erfüllt wurde und noch erfüllt wird. Doch in 1. Mose haben wir mit Joseph das erste Anzeichen des Ausmaßes dieses Segens, als sich der Handlungsverlauf von der nomadischen Familie Abrahams, seinen Kindern und Enkeln auf Joseph ausweitet, der in eine wichtige Position als Verwalter des ägyptischen Reiches katapultiert wird und in dieser Funktion einem großen Teil der alten Welt Hilfsgüter verschafft.

 

Die Verheißung, eine große Nation zu werden, implizierte natürlich, dass Abraham und seine Frau Sara Kinder haben würden, und doch wurde es bald offensichtlich, dass in ihrem Fall etwas mit den organischen Abläufen, Leben weiterzugeben, fehlschlug. Wie viele andere Paare schienen sie unfähig, Kinder zu empfangen. Es ist dieser Umstand, der den anfänglichen Schwerpunkt auf eines der wichtigsten Themen des ganzen Buches richtet: Gottvertrauen.

Der HERR erschien Abraham in einer Offenbarung und sprach zu ihm: „Fürchte dich nicht, Abram; ich bin dir ein Schild, dein sehr großer Lohn“ (15,1). Abrahams Antwort zeigte, wie sehr ihn seine Kinderlosigkeit schmerzte: „Herr, HERR, was willst du mir geben? Ich gehe ja kinderlos dahin“ (15,2). Abraham wies darauf hin, dass ohne einen eigenen Nachkommen sein Diener Elieser sein rechtmäßiger Erbe werden und die Familie aussterben würde. Doch der HERR erwiderte: „Nicht dieser wird dich beerben, sondern der aus deinem Leib hervorgehen wird, der wird dich beerben“ (15,4). Dann ließ der HERR Abraham die Sterne zählen und sagte: „Blicke doch zum Himmel und zähle die Sterne, wenn du sie zählen kannst! Und er sprach zu ihm: So wird deine Nachkommenschaft sein“ (15,5). Abrahams Reaktion war genauso kurz wie tiefgründig: „Und er glaubte dem HERRN; und er rechnete es ihm zur Gerechtigkeit“ (15,6).

Mit dieser Aussage haben wir das zentrale Thema von 1. Mose erreicht: Vertrauen auf Gott und sein Wort. Hierin steckt eine mächtige Logik. Das verhängnisvolle falsche Abwenden von Gott bestand darin, das eigene Vertrauen in eine andere als Gottes Stimme zu legen – eine fortwährende Gefahr für uns alle in einer Welt, wo wir ständig von einer Vielzahl an Stimmen bombardiert werden, die sich alle um unsere ungeteilte Aufmerksamkeit reißen. Der Weg zurück zu Gott muss daher darin liegen zu lernen, auf seine Stimme zu hören und dem zu vertrauen, was Er sagt.

Abraham wird uns in dem biblischen Bericht als ein besonderes Vorbild vorgestellt, wenn es darum geht, Gottes Verheißungen zu vertrauen. Als Ergebnis seines Glaubens an Gott wurde Abraham als gerecht angesehen. Das heißt, Gott sagte von ihm, dass Abraham in einer richtigen Beziehung mit Ihm stand. In der Sprache des Neuen Testamentes war er gerechtfertigt aus Glauben.

Abraham ist zwar die herausragendste, aber nicht die erste Person in 1. Mose, die Gott vertraut. Die Aufzählung der Männer und Frauen des Glaubens in Hebräer 11 umfasst Abel, Henoch und Noah, die vor Abraham lebten. Abraham ist auch nicht die letzte Person des Glaubens, denn ihm folgen in diesem Bericht seine Frau Sara, dann sein Sohn Isaak, Isaaks Sohn Jakob und schließlich (zumindest in 1. Mose) Jakobs Sohn Joseph.

Aus dem biblischen Bericht wird sofort klar, dass das Samen-Projekt zwei Dinge erfordert, die gleichzeitig funktionieren. Es gibt die körperliche Weitergabe des Lebens durch die uns allen vertrauten genetischen Prozesse. Kinder werden ohne ihre Erlaubnis in die Welt geboren. Jeder von uns wacht sozusagen auf, um festzustellen, dass man bereits da ist. Das ist der erste Vorgang. Das zweite Element in diesem Samen-Projekt ist überhaupt kein körperlicher Vorgang und geschieht auch nicht automatisch. Es hat mit einem persönlichen Glauben an Gott zu tun.

Das Neue Testament erfasst diesen Unterschied sehr gut. Johannes sagt, dass der Glaube eine unerlässliche Voraussetzung dafür ist, dass man von neuem geboren wird. Von Jesus wird gesagt: „Er kam in das Seine, und die Seinen nahmen ihn nicht an; so viele ihn aber aufnahmen, denen gab er das Recht, Kinder Gottes zu werden, denen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus Geblüt noch aus dem Willen des Fleisches, noch aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind“ (Joh 1,11–13).

Die Weitergabe des physischen Lebens hängt von der Entscheidung der potenziellen Eltern ab. Kinder haben bei ihrer leiblichen Geburt kein Mitspracherecht. Es ist etwas völlig anderes, wenn es darum geht, von neuem geboren zu werden, denn es ist kein derartiger physischer Prozess. Die Menschen werden von Gott mit der wunderbaren Fähigkeit ausgestattet, Beziehungen einzugehen, wie wir es im zweiten Teil von 1. Mose gesehen haben. Sie können Ja oder Nein sagen; sie können sich entscheiden, einander zu vertrauen oder es eben nicht zu tun. Die wesentliche Frage für sie ist, ob sie diese Beziehungsfähigkeit nutzen, um Gott zu vertrauen. Daher nahmen einige Menschen Christus nicht auf, als Er in die Welt kam. Sie lehnten es aus freien Stücken ab, ihre gottgeschenkte Fähigkeit, Ihm zu vertrauen, zu gebrauchen. Andere wiederum setzten diese Fähigkeit, Gott zu vertrauen, freiwillig ein, und weil sie Ihm vertrauten, erhielten sie das ewige Leben als ein unverdientes Geschenk von Gott.

Diese Glaubensangelegenheit steht im Mittelpunkt des ersten Buches Mose und der Bibel als Ganzes, und es ist daher nicht überraschend, dass sie Gegenstand verschiedener Missverständnisse gewesen ist, die zu Verwirrung geführt haben. So behaupten zum Beispiel einige, wenn die Menschen in der Lage wären, Gott zu vertrauen, dann würde das bedeuten, dass wir zu unserer eigenen Errettung beitragen würden, und somit der Tatsache widersprechen, dass die Menschen durch die Gnade Gottes erlöst werden und nicht durch menschliches Verdienst. Das ist jedoch nicht der Fall.1 Der Apostel Paulus wendet solche Verwirrung ab, indem er das Prinzip ausführlich erklärt, dass Glaube das Gegenteil von Werken ist. Er verwendet Abraham als ein Beispiel und sagt:

Was sollen wir nun sagen, dass Abraham, unser Vater nach dem Fleisch, gefunden habe? Denn wenn Abraham aus Werken gerechtfertigt worden ist, so hat er etwas zum Rühmen – aber nicht vor Gott. Denn was sagt die Schrift? „Abraham aber glaubte Gott, und es wurde ihm zur Gerechtigkeit gerechnet.“ Dem aber, der wirkt, wird der Lohn nicht nach Gnade zugerechnet, sondern nach Schuldigkeit. Dem aber, der nicht wirkt, sondern an den glaubt, der den Gottlosen rechtfertigt, wird sein Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet (Röm 4,1–5).

Die Aussage „Dem aber, der nicht wirkt, sondern … glaubt“ beschreibt, was Abraham tat, und zeigt das Verständnis des Paulus, dass Vertrauen kein Werk ist, obwohl die vertrauende Person das Vertrauen in ihrer eigenen Fähigkeit ausübt (deshalb die Betonung auf „sein Glaube“).

Paulus sagt dasselbe in Epheser 2,8.9: „Denn durch die Gnade seid ihr errettet, mittels des Glaubens; und das nicht aus euch, Gottes Gabe ist es; nicht aus Werken, damit niemand sich rühme.“ Die Errettung erfolgt durch Gnade; sie ist eine wunderbare Gabe Gottes, aber man eignet sie sich durch das ausgeübte Vertrauen an, das wiederum eine andere großartige Gabe Gottes für uns ist. Diese Gabe des Vertrauens kennzeichnet unser ganzes Menschsein als geschaffen im Bild Gottes.

Die praktische Umsetzung war jedoch überhaupt nicht leicht. Abraham vertraute Gott, aber nichts passierte – zumindest nicht sofort. Und in dieses unerwartete Vakuum kam Sara, seine Frau, und schlug eine uralte Form der Leihmutterschaft als Mittel vor, um das verheißene Ziel eines Kindes zu erreichen. Sie hatte eine ägyptische Magd, die wahrscheinlich von ihrem beschämenden Aufenthalt in Ägypten stammte, als Sara vorgegeben hatte, Abrahams Schwester zu sein. Der verzweifelte Wunsch nach einem Kind brachte Sara dazu, Hagar Abraham zu geben. Und so wurde Ismael geboren. Es lief alles ziemlich gut, bis zu Abrahams und Saras großer Überraschung – denn sie waren sehr alt – Sara selbst einen Sohn gebar und ihn Isaak nannte. Es ist nicht verwunderlich, dass es immer mehr Spannungen zwischen Sara und Hagar gab, die erst dann gelöst wurden, als Hagar und Ismael in einer Art und Weise weggeschickt wurden, die viele Fragen aufwirft, obwohl man anmerken muss, dass Gott unmittelbar zu der verzweifelten Hagar sprach und ihr versprach, dass aus Ismael eine große Nation werden würde (siehe 1. Mose 21).

Zwei weitere Vorfälle in Isaaks Leben waren seinem Enkel Joseph sicherlich bekannt. Der erste war, als Gott Abraham befahl, Isaak zu nehmen und ihn auf dem Berg Morija zu opfern. Das war eine moralisch verwirrende und emotional verheerende Aufforderung, da alle Hoffnungen Abrahams auf eine bedeutende Nachkommenschaft nun auf Isaak ruhten. Und doch hatte Gott verheißen, dass es nachfolgende Generationen geben würde, und so schlussfolgerte Abraham – wie Paulus es uns beschreibt –, dass Gott sein Versprechen auch dann erfüllen würde, wenn Er Isaak wieder von den Toten auferwecken müsste. Doch gerade als Abraham dabei war, seinen Sohn zu opfern, griff Gott ein und sagte: „Denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest“ (22,12) und zeigte Abraham einen Widder im Gestrüpp, den er nahm und an Isaaks Stelle opferte.

Die zweite Geschichte in Josephs Erinnerungen ist die romantische Beschreibung, wie Abraham eine Frau für Isaak fand. Er sandte seinen treuen Diener zurück in die Gegend von Haran, von wo er ursprünglich ausgezogen war, um eine Braut für Isaak unter Abrahams Verwandten zu suchen. Der Diener betete um Gottes Führung, und an einem Brunnen traf er eine hübsche junge Frau, die Wasser für seine Kamele schöpfte und ihm sagte, dass sie zu Abrahams Großfamilie gehörte. Ausgiebige Diskussionen folgten, und der Diener beschrieb Isaak, den Sohn Abrahams, in einer Art und Weise, dass Rebekka überredet wurde, ihre Familie zu verlassen und mit Abrahams Diener zurückzureisen, um einen Mann zu heiraten, den sie nie gesehen hatte (siehe 1. Mose 24).

Kurz darauf starb Abraham (25,8), und mit seinem Tod endet der vierte Abschnitt des ersten Buches Mose.

1 Siehe mein Buch Vorher bestimmt? Die Souveränität Gottes, Freiheit, Glaube und menschliche Verantwortung, Dillenburg (Christliche Verlagsgesellschaft) 2019.

3
Isaak und seine Söhne

Wir kommen nun zum Bericht über die zweite Generation, über Isaak und seine Söhne, Jakob und Esau.

Abschnitt 5: Isaak und seine Söhne (1. Mose 25,12–35,29)

Da Jakob der Vater Josephs werden wird, ist es wichtig, Jakob genauer kennenzulernen, um dann Joseph zu verstehen. Wie bei Abraham steht auch bei Jakobs Geburt eine Frau im Mittelpunkt, die keine Kinder empfangen kann. Isaak brachte die Verzweiflung seiner Frau Rebekka im Gebet vor Gott, und sie wurde mit Zwillingen schwanger. Esau wurde vor seinem Bruder Jakob geboren, dessen winzige Hand Esaus Ferse festhielt – ein Umstand, der zu seinem Namen führte.

Der Name Jakob wird im Hebräischen abgeleitet von einem Wort, das „Ferse“ bedeutet und mit einem Verb verwandt ist, das „auf dem Absatz folgen, angreifen, überlisten oder verdrängen“ bedeutet, und das mit einem Adjektiv für „betrügerisch“ verwandt ist. Wir werden sehen, dass der Name absolut passend war.

Die Jungen wurden so verschieden wie Tag und Nacht. Esau wurde ein Jäger und war gern in der wilden Natur, während Jakob das ruhigere Leben eines Schafhirten vorzog. Die Eltern hatten jeweils ihre Lieblingskinder; Isaak bevorzugte Esau und Rebekka Jakob.

Das erste wichtige Ereignis in ihrem Erwachsenenleben, von dem berichtet wird, ist der Tag, als Esau vom Jagen erschöpft nach Hause kommt und sieht, wie Jakob ein leckeres Linsengericht gekocht hat. Er bittet darum, etwas essen zu dürfen, und Jakob, der seine Verschlagenheit an den Tag legt, die ihn noch so charakterisieren sollte, antwortet, dass Esau einen Teller bekommen kann, vorausgesetzt er gibt sein Erstgeburtsrecht in der Familie auf. Esau stimmt so bereitwillig zu, dass es offensichtlich ist, dass ein abstraktes Prinzip wie etwa das Erstgeburtsrecht, das sich auf eine weite Zukunft bezieht, für ihn nicht von Interesse ist. Jetzt ein voller Magen – das ist das Wahre.

Dieser Vorfall sollte sie jahrelang verfolgen und wurde sogar noch verschärft durch das, was geschah, als Isaak alt, blind und bereit war zu sterben. Isaak bat Esau, jagen zu gehen und ein Wildbret für ihn vorzubereiten, damit er ihn dann als seinen Erstgeborenen vor seinem Tod segnen würde. Als Rebekka das hörte, trug sie Jakob auf, eine Ziege zu holen, die sie wie ein Wildbret zubereiten würde. Als Nächstes legte sie Jakob das Ziegenfell um seine Arme, damit sie sich so rau anfühlten wie Esaus Arme, und sandte Jakob anschließend mit dem Essen zu Isaak hinein und sagte ihm, dass er sich als Esau ausgeben und den Segen stehlen solle, der seinem Bruder zustehe. Isaak konnte Jakob nicht sehen und er zögerte zuerst, denn er dachte, er erkenne die Stimme Jakobs, aber am Ende ließ er sich vom Geruchs- und Tastsinn leiten. Er wurde durch die widersprüchlichen Signale seiner Sinnesorgane getäuscht und segnete Jakob anstatt Esau, weil er dachte, dass Jakob Esau sei. Jakob machte sich schnell aus dem Staub, als sein Bruder gerade mit dem zubereiteten Wildbret zurückkehrte. Es überrascht nicht, dass Esau sehr wütend, bitter enttäuscht und entsetzt war, als er hörte, was passiert war. Jakobs winzige Hand – nun groß gewachsen – hatte den Segen ergriffen, der seinem Bruder zustand, indem er seinen Vater überlistete. Sein Verhalten entsprach seinem Namen – der Betrüger oder Verdränger.

 

Diese Charaktereigenschaft Jakobs findet sich zumindest in einem gewissen Ausmaß in jedem menschlichen Herzen wieder und spielt auch im weiteren Verlauf des ersten Buches Mose eine wichtige Rolle.

Rebekka sieht Esaus Zorn und Hass auf seinen Bruder, also überredet sie Isaak auf raffinierte Weise, Jakob zu seinem Onkel Laban gehen zu lassen, um dort eine Frau aus der eigenen Verwandtschaft zu finden, so wie Isaak es Jahre zuvor getan hatte.

Es war eine sehr lange Reise, insgesamt etwa 900 Kilometer lang, die ihn über Damaskus und Karchemisch nach Haran in Mesopotamien führte. Er war noch nicht lange unterwegs, als Jakob seinen berühmten Traum von einer Leiter hatte, die in den Himmel aufragte und von dem Stein ausging, der ihm als Kissen diente. In seinem Traumbild beobachtete Jakob, wie einige Engel die Leiter hinaufstiegen und andere wieder herabstiegen. Und als er das sah, sagte er: „Gewiss, der HERR ist an diesem Ort, und ich wusste es nicht! … Dies ist nichts anderes als Gottes Haus, und dies ist die Pforte des Himmels“ (28,16.17). Für Jakob war diese Begegnung mit Gott so bedeutsam, dass er dem Ort den Namen Bethel gab, das bedeutet „Haus Gottes“. Zweifellos war Jakob vertraut mit Gott, dem Allmächtigen, der im Himmel wohnt, aber in Bethel entdeckte Jakob etwas Bemerkenswertes und Neues an Gott. Die Vision ließ ihn ausrufen: „Gewiss, der HERR ist an diesem Ort“; er entdeckte, dass Gott direkt neben ihm war – und nicht auf der Spitze der Leiter, sondern am Boden der Leiter, genau da, wo Jakob ruhte. Gott regierte das Universum sozusagen von dort aus, wo Jakob war.

Die übrige Symbolik unterstützt diese Vorstellung, denn das Tor einer altertümlichen Stadt war nicht nur ihr Eingang; es war der Ort, wo die einheimischen Regierungsbeamten saßen und ihre Treffen abhielten, um sich um die Belange der Stadt zu kümmern. So saß zum Beispiel Lot im Tor Sodoms; das bedeutet, dass er ein Beamter in der örtlichen Regierung war. Das Tor des Himmels war daher der Ort, von dem aus Gottes engelhafte Amtsträger ihre Befehle erhielten, sie ausführten und für weitere Befehle zurückkehrten. Mit anderen Worten, Jakob befand sich in Gottes Regierungszentrum. In diesem Zusammenhang trägt der Begriff „Haus Gottes“ eher die Bedeutung von Gottes Herrschaft, und nicht so sehr von Gottes Aufenthaltsort. Wenn man in Großbritannien vom Haus Windsor spricht, meint man auch nicht den Palast als Wohnort der Queen, sondern vielmehr ihre Regierung, ihr Regierungsgebäude.

Gott spricht mit Jakob und beeindruckt ihn mit seiner Nähe und seiner Bereitschaft, bei ihm zu sein. Er verspricht, Jakob in seine Zukunft zu führen. Jakob, der immer auf ein Geschäft aus ist, versucht mit Gott zu verhandeln; wenn Gott dieses und jenes für ihn tut, dann wird Er Jakobs Gott sein. Das scheint eine ziemlich unangemessene Reaktion zu sein und deutet wahrscheinlich auf einen Wunsch tief in Jakobs Herzen hin, Gott auf Abstand zu halten, vielleicht um sich selbst mehr Spielraum zu schenken. Wir wissen nur zu gut, dass das menschliche Herz so ist. Selbst wenn uns Gott erscheint und seine Führung und Leitung anbietet, und wir wissen, dass es echt ist, kann diese betrügerische und im Prinzip teuflische Vorstellung auftauchen, dass Gott unseren Lebensstil irgendwie einengen will.

In den folgenden Jahren wird Jakob oft auf die harte Tour lernen müssen, dass Gott für ihn überwältigend ist. Gott gibt ihm Anweisungen und behandelt ihn doch würdevoll als ein verantwortliches menschliches Wesen. Gott wird ihn über die Natur seines Herzens unterrichten, und dieser Prozess ist teilweise schmerzhaft. Jakob sollte der Anführer einer Nation mit einer einzigartigen Rolle in der Welt sein. Je mehr wir ihm und seiner Familiengeschichte folgen, desto mehr finden wir Hinweise auf die Komplexität seiner Beziehung zum HERRN.

Jakob verlässt sein Zuhause und geht zu Laban

Jakob setzte seine lange Reise fort, bis er zu einem Brunnen kam, wo er Rahel, die wunderschöne Tochter seines Onkels Laban traf. Die Begegnung ähnelte sehr der des Dieners seines Großvaters Abraham, der Rebekka als Frau für Abrahams Sohn Isaak fand. Rebekka wurde schließlich Jakobs Mutter.

Jakob, der dies als ein Ereignis der Vorsehung angesehen haben muss, verliebte sich in Rahel und traf schnell eine Abmachung mit Laban: Er würde sieben Jahre für Laban arbeiten, um Rahel als Ehefrau zu bekommen. Doch am Morgen nach der Hochzeit fand Jakob zu seinem Erstaunen und Entsetzen heraus, dass er nicht Rahel, sondern ihre ältere Schwester, Lea, in seinem Zelt hatte. Jakob war wütend und warf Laban vor, ihn betrogen zu haben. Laban entgegnete, dass es nicht der Brauch ihres Stammes sei, die jüngere Schwester vor der älteren zu verheiraten.

Jakobs betrügerischer Charakter hatte ihn selbst eingeholt. Jahre zuvor hatte Jakob als der jüngere Sohn vorgegeben, sein älterer Bruder Esau zu sein, um seinen Vater Isaak zu täuschen – der Jüngere war dem Älteren vorausgegangen. Doch nicht nur das, Lea besaß auch nicht Rahels Schönheit (so wird es zumindest angenommen). Jakob machte nun die schmerzvolle Erfahrung, wie es war, betrogen zu werden – im gewissen Sinne ein echter Geschmack seiner eigenen Medizin, die er seinem Vater gereicht hatte. Friedrich von Logau erfasst dies in seinem Epigramm treffend:

Gottes Mühlen mahlen langsam,

mahlen aber trefflich klein,

ob aus Langmut Er sich säumet,

bringt mit Schärf’ Er alles ein.1

In 1. Mose werden keine Einzelheiten von Jakobs Reaktion beschrieben, aber man kann sich leicht vorstellen, dass die Lektion für ihn nicht umsonst war. Hier war Gott am Werk. Gott behandelt Jakob als vollständig verantwortlich für sein Verhalten seinem Vater und Bruder gegenüber, aber nun sorgt Gott dafür, dass das Zusammenspiel der Umstände es erzwingt, dass Jakob genau die gleiche Art von Verhalten erleben muss.

Wie komplex das ist, sehen wir daran, dass es ein lokaler Brauch war, nicht die jüngere Tochter vor der älteren zu verheiraten. Diese Tradition hatte es wahrscheinlich schon seit Jahrhunderten gegeben, doch wir sind aufgefordert, die Hand Gottes dahinter zu sehen. Tatsächlich nutzt Paulus in Römer 9–11 in seinen langen Ausführungen über die Beziehung zwischen Gottes Souveränität und menschlicher Verantwortung Jakob und Esau als Beispiel für die Vielschichtigkeit von Gottes Handeln.

Laban würde noch Lektionen über Täuschung und List lernen müssen, als er dann wiederum von Jakob überlistet wurde (und auch von Rahel), aber zu diesem Zeitpunkt gab es eine weitere bittere Lektion für Jakob. Isaak konnte wegen seiner schlechten Augen nicht zwischen Jakob und Esau unterscheiden. Vermutlich gab es genug Licht; das Problem waren Isaaks Augen. Weiterhin gab es vermutlich kein Problem mit Jakobs Augen, als er in seiner Hochzeitsnacht in das Zelt hineinging, aber er konnte nicht zwischen Lea und Rahel unterscheiden, weil es kein Licht gab. Im Dunkeln sehen die Menschen gleich aus (und unter diesen Umständen können wir auch sagen: fühlen sich gleich an); Stimmen werden nicht erwähnt, also müssen wir annehmen, dass sowohl Lea als auch Jakob in dieser Nacht nicht sprachen. Jakob musste wie sein Vater Isaak vor ihm die Gefahren erkennen, die darin liegen, auf die eigenen Sinnesorgane zu vertrauen, wenn man die Identität einer Person bestimmen will.