Buch lesen: «Faust I + II: Gesamtausgabe»
Johann Wolfgang von Goethe
Faust I + II: Gesamtausgabe
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Inhaltsverzeichnis
Titel
FAUST: Der Tragödie erster Teil
Nacht
Vor dem Tor
Studierzimmer
Studierzimmer
Auerbachs Keller in Leipzig
Hexenküche
Straße (I)
Abend.
Spaziergang
Der Nachbarin Haus
Straße (II)
Garten
Ein Gartenhäuschen
Wald und Höhle
Gretchens Stube
Marthens Garten
Am Brunnen
Zwinger
Nacht. Straße vor Gretchens Türe
Dom
Walpurgisnacht
Walpurgisnachtstraum
Trüber Tag. Feld
Nacht, offen Feld
Kerker
FAUST: Der Tragödie zweiter Teil
1. Akt
2. Akt
3. Akt
4. Akt
5. Akt
Impressum neobooks
FAUST: Der Tragödie erster Teil
Zueignung
Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten, Die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt. Versuch ich wohl, euch diesmal festzuhalten? Fühl ich mein Herz noch jenem Wahn geneigt? Ihr drängt euch zu! nun gut, so mögt ihr walten, Wie ihr aus Dunst und Nebel um mich steigt; Mein Busen fühlt sich jugendlich erschüttert Vom Zauberhauch, der euren Zug umwittert.
Ihr bringt mit euch die Bilder froher Tage, Und manche liebe Schatten steigen auf; Gleich einer alten, halbverklungnen Sage Kommt erste Lieb und Freundschaft mit herauf; Der Schmerz wird neu, es wiederholt die Klage Des Lebens labyrinthisch irren Lauf, Und nennt die Guten, die, um schöne Stunden Vom Glück getäuscht, vor mir hinweggeschwunden.
Sie hören nicht die folgenden Gesänge, Die Seelen, denen ich die ersten sang; Zerstoben ist das freundliche Gedränge, Verklungen, ach! der erste Widerklang. Mein Lied ertönt der unbekannten Menge, Ihr Beifall selbst macht meinem Herzen bang, Und was sich sonst an meinem Lied erfreuet, Wenn es noch lebt, irrt in der Welt zerstreuet.
Und mich ergreift ein längst entwöhntes Sehnen Nach jenem stillen, ernsten Geisterreich, Es schwebet nun in unbestimmten Tönen Mein lispelnd Lied, der Äolsharfe gleich, Ein Schauer faßt mich, Träne folgt den Tränen, Das strenge Herz, es fühlt sich mild und weich; Was ich besitze, seh ich wie im Weiten, Und was verschwand, wird mir zu Wirklichkeiten.
Vorspiel auf dem Theater
Direktor. Theatherdichter. Lustige Person:
DIREKTOR. Ihr beiden, die ihr mir so oft, In Not und Trübsal, beigestanden, Sagt, was ihr wohl in deutschen Landen Von unsrer Unternehmung hofft? Ich wünschte sehr der Menge zu behagen, Besonders weil sie lebt und leben läßt. Die Pfosten sind, die Bretter aufgeschlagen, Und jedermann erwartet sich ein Fest. Sie sitzen schon mit hohen Augenbraunen Gelassen da und möchten gern erstaunen. Ich weiß, wie man den Geist des Volks versöhnt; Doch so verlegen bin ich nie gewesen. Zwar sind sie an das Beste nicht gewöhnt, Allein sie haben schrecklich viel gelesen. Wie machen wir’s, daß alles frisch und neu Und mit Bedeutung auch gefällig sei? Denn freilich mag ich gern die Menge sehen, Wenn sich der Strom nach unsrer Bude drängt, Und mit gewaltig wiederholten Wehen Sich durch die enge Gnadenpforte zwängt; Bei hellem Tage, schon vor vieren, Mit Stößen sich bis an die Kasse ficht Und, wie in Hungersnot um Brot an Bäckertüren, Um ein Billet sich fast die Hälse bricht. Dies Wunder wirkt auf so verschiedne Leute Der Dichter nur; mein Freund, o tu es heute!
DICHTER. O sprich mir nicht von jener bunten Menge, Bei deren Anblick uns der Geist entflieht. Verhülle mir das wogende Gedränge, Das wider Willen uns zum Strudel zieht. Nein, führe mich zur stillen Himmelsenge, Wo nur dem Dichter reine Freude blüht; Wo Lieb und Freundschaft unsres Herzens Segen Mit Götterhand erschaffen und erpflegen.
Ach! was in tiefer Brust uns da entsprungen, Was sich die Lippe schüchtern vorgelallt, Mißraten jetzt und jetzt vielleicht gelungen, Verschlingt des wilden Augenblicks Gewalt. Oft, wenn es erst durch Jahre durchgedrungen, Erscheint es in vollendeter Gestalt. Was glänzt, ist für den Augenblick geboren, Das Echte bleibt der Nachwelt unverloren.
LUSTIGE PERSON. Wenn ich nur nichts von Nachwelt hören sollte. Gesetzt, daß ich von Nachwelt reden wollte, Wer machte denn der Mitwelt Spaß? Den will sie doch und soll ihn haben. Die Gegenwart von einem braven Knaben Ist, dächt ich, immer auch schon was. Wer sich behaglich mitzuteilen weiß, Den wird des Volkes Laune nicht erbittern; Er wünscht sich einen großen Kreis, Um ihn gewisser zu erschüttern. Drum seid nur brav und zeigt euch musterhaft, Laßt Phantasie, mit allen ihren Chören, Vernunft, Verstand, Empfindung, Leidenschaft, Doch, merkt euch wohl! nicht ohne Narrheit hören.
DIREKTOR. Besonders aber laßt genug geschehn! Man kommt zu schaun, man will am liebsten sehn. Wird vieles vor den Augen abgesponnen, So daß die Menge staunend gaffen kann, Da habt Ihr in der Breite gleich gewonnen, Ihr seid ein vielgeliebter Mann. Die Masse könnt Ihr nur durch Masse zwingen, Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus. Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen; Und jeder geht zufrieden aus dem Haus. Gebt Ihr ein Stück, so gebt es gleich in Stücken! Solch ein Ragout, es muß Euch glücken; Leicht ist es vorgelegt, so leicht als ausgedacht. Was hilft’s, wenn Ihr ein Ganzes dargebracht? Das Publikum wird es Euch doch zerpflücken.
DICHTER. Ihr fühlet nicht, wie schlecht ein solches Handwerk sei! Wie wenig das dem echten Künstler zieme! Der saubern Herren Pfuscherei Ist, merk ich, schon bei Euch Maxime.
DIREKTOR. Ein solcher Vorwurf läßt mich ungekränkt. Ein Mann, der recht zu wirken denkt, Muß auf das beste Werkzeug halten. Bedenkt, Ihr habet weiches Holz zu spalten, Und seht nur hin, für wen Ihr schreibt! Wenn diesen Langeweile treibt, Kommt jener satt vom übertischten Mahle, Und, was das Allerschlimmste bleibt, Gar mancher kommt vom Lesen der Journale. Man eilt zerstreut zu uns, wie zu den Maskenfesten, Und Neugier nur beflügelt jeden Schritt; Die Damen geben sich und ihren Putz zum besten Und spielen ohne Gage mit. Was träumet Ihr auf Eurer Dichterhöhe? Was macht ein volles Haus Euch froh? Beseht die Gönner in der Nähe! Halb sind sie kalt, halb sind sie roh. Der, nach dem Schauspiel, hofft ein Kartenspiel, Der eine wilde Nacht an einer Dirne Busen. Was plagt ihr armen Toren viel, Zu solchem Zweck, die holden Musen? Ich sag Euch, gebt nur mehr und immer, immer mehr, So könnt Ihr Euch vom Ziele nie verirren Sucht nur die Menschen zu verwirren, Sie zu befriedigen, ist schwer— Was fällt Euch an? Entzückung oder Schmerzen?
DICHTER. Geh hin und such dir einen andern Knecht! Der Dichter sollte wohl das höchste Recht, Das Menschenrecht, das ihm Natur vergönnt, Um deinetwillen freventlich verscherzen! Wodurch bewegt er alle Herzen? Wodurch besiegt er jedes Element? Ist es der Einklang nicht, der aus dem Busen dringt, Und in sein Herz die Welt zurücke schlingt? Wenn die Natur des Fadens ew’ge Länge, Gleichgültig drehend, auf die Spindel zwingt, Wenn aller Wesen unharmon’sche Menge Verdrießlich durcheinander klingt; Wer teilt die fließend immer gleiche Reihe Belebend ab, daß sie sich rhythmisch regt? Wer ruft das Einzelne zur allgemeinen Weihe, Wo es in herrlichen Akkorden schlägt? Wer läßt den Sturm zu Leidenschaften wüten? Das Abendrot im ernsten Sinne glühn? Wer schüttet alle schönen Frühlingsblüten Auf der Geliebten Pfade hin? Wer flicht die unbedeutend grünen Blätter Zum Ehrenkranz Verdiensten jeder Art? Wer sichert den Olymp? vereinet Götter? Des Menschen Kraft, im Dichter offenbart.
LUSTIGE PERSON. So braucht sie denn, die schönen Kräfte Und treibt die dichtrischen Geschäfte Wie man ein Liebesabenteuer treibt. Zufällig naht man sich, man fühlt, man bleibt Und nach und nach wird man verflochten; Es wächst das Glück, dann wird es angefochten Man ist entzückt, nun kommt der Schmerz heran, Und eh man sich’s versieht, ist’s eben ein Roman. Laßt uns auch so ein Schauspiel geben! Greift nur hinein ins volle Menschenleben! Ein jeder lebt’s, nicht vielen ist’s bekannt, Und wo ihr’s packt, da ist’s interessant. In bunten Bildern wenig Klarheit, Viel Irrtum und ein Fünkchen Wahrheit, So wird der beste Trank gebraut, Der alle Welt erquickt und auferbaut. Dann sammelt sich der Jugend schönste Blüte Vor eurem Spiel und lauscht der Offenbarung, Dann sauget jedes zärtliche Gemüte Aus eurem Werk sich melanchol’sche Nahrung, Dann wird bald dies, bald jenes aufgeregt Ein jeder sieht, was er im Herzen trägt. Noch sind sie gleich bereit, zu weinen und zu lachen, Sie ehren noch den Schwung, erfreuen sich am Schein; Wer fertig ist, dem ist nichts recht zu machen; Ein Werdender wird immer dankbar sein.
DICHTER. So gib mir auch die Zeiten wieder, Da ich noch selbst im Werden war, Da sich ein Quell gedrängter Lieder Ununterbrochen neu gebar, Da Nebel mir die Welt verhüllten, Die Knospe Wunder noch versprach, Da ich die tausend Blumen brach, Die alle Täler reichlich füllten. Ich hatte nichts und doch genug. Den Drang nach Wahrheit und die Lust am Trug. Gib ungebändigt jene Triebe, Das tiefe, schmerzenvolle Glück, Des Hasses Kraft, die Macht der Liebe, Gib meine Jugend mir zurück!
LUSTIGE PERSON. Der Jugend, guter Freund, bedarfst du allenfalls, Wenn dich in Schlachten Feinde drängen, Wenn mit Gewalt an deinen Hals Sich allerliebste Mädchen hängen, Wenn fern des schnellen Laufes Kranz Vom schwer erreichten Ziele winket, Wenn nach dem heft’gen Wirbeltanz Die Nächte schmausend man vertrinket. Doch ins bekannte Saitenspiel Mit Mut und Anmut einzugreifen, Nach einem selbstgesteckten Ziel Mit holdem Irren hinzuschweifen, Das, alte Herrn, ist eure Pflicht, Und wir verehren euch darum nicht minder. Das Alter macht nicht kindisch, wie man spricht, Es findet uns nur noch als wahre Kinder.
DIREKTOR. Der Worte sind genug gewechselt, Laßt mich auch endlich Taten sehn! Indes ihr Komplimente drechselt, Kann etwas Nützliches geschehn. Was hilft es, viel von Stimmung reden? Dem Zaudernden erscheint sie nie. Gebt ihr euch einmal für Poeten, So kommandiert die Poesie. Euch ist bekannt, was wir bedürfen, Wir wollen stark Getränke schlürfen; Nun braut mir unverzüglich dran! Was heute nicht geschieht, ist morgen nicht getan, Und keinen Tag soll man verpassen, Das Mögliche soll der Entschluß Beherzt sogleich beim Schopfe fassen, Er will es dann nicht fahren lassen Und wirket weiter, weil er muß.
Ihr wißt, auf unsern deutschen Bühnen Probiert ein jeder, was er mag; Drum schonet mir an diesem Tag Prospekte nicht und nicht Maschinen. Gebraucht das groß, und kleine Himmelslicht, Die Sterne dürfet ihr verschwenden; An Wasser, Feuer, Felsenwänden, An Tier und Vögeln fehlt es nicht. So schreitet in dem engen Bretterhaus Den ganzen Kreis der Schöpfung aus, Und wandelt mit bedächt’ger Schnelle Vom Himmel durch die Welt zur Hölle.
Prolog im Himmel
Der Herr. Die himmlischen Heerscharen. Nachher Mephistopheles. Die drei Erzengel treten vor.
RAPHAEL. Die Sonne tönt, nach alter Weise, In Brudersphären Wettgesang, Und ihre vorgeschriebne Reise Vollendet sie mit Donnergang. Ihr Anblick gibt den Engeln Stärke, Wenn keiner sie ergründen mag; die unbegreiflich hohen Werke Sind herrlich wie am ersten Tag.
GABRIEL. Und schnell und unbegreiflich schnelle Dreht sich umher der Erde Pracht; Es wechselt Paradieseshelle Mit tiefer, schauervoller Nacht. Es schäumt das Meer in breiten Flüssen Am tiefen Grund der Felsen auf, Und Fels und Meer wird fortgerissen Im ewig schnellem Sphärenlauf.
MICHAEL. Und Stürme brausen um die Wette Vom Meer aufs Land, vom Land aufs Meer, und bilden wütend eine Kette Der tiefsten Wirkung rings umher. Da flammt ein blitzendes Verheeren Dem Pfade vor des Donnerschlags. Doch deine Boten, Herr, verehren Das sanfte Wandeln deines Tags.
ZU DREI. Der Anblick gibt den Engeln Stärke, Da keiner dich ergründen mag, Und alle deine hohen Werke Sind herrlich wie am ersten Tag.
MEPHISTOPHELES. Da du, o Herr, dich einmal wieder nahst Und fragst, wie alles sich bei uns befinde, Und du mich sonst gewöhnlich gerne sahst, So siehst du mich auch unter dem Gesinde. Verzeih, ich kann nicht hohe Worte machen, Und wenn mich auch der ganze Kreis verhöhnt; Mein Pathos brächte dich gewiß zum Lachen, Hättst du dir nicht das Lachen abgewöhnt. Von Sonn’ und Welten weiß ich nichts zu sagen, Ich sehe nur, wie sich die Menschen plagen. Der kleine Gott der Welt bleibt stets von gleichem Schlag, Und ist so wunderlich als wie am ersten Tag. Ein wenig besser würd er leben, Hättst du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben; Er nennt’s Vernunft und braucht’s allein, Nur tierischer als jedes Tier zu sein. Er scheint mir, mit Verlaub von euer Gnaden, Wie eine der langbeinigen Zikaden, Die immer fliegt und fliegend springt Und gleich im Gras ihr altes Liedchen singt; Und läg er nur noch immer in dem Grase! In jeden Quark begräbt er seine Nase.
DER HERR. Hast du mir weiter nichts zu sagen? Kommst du nur immer anzuklagen? Ist auf der Erde ewig dir nichts recht?
MEPHISTOPHELES. Nein Herr! ich find es dort, wie immer, herzlich schlecht. Die Menschen dauern mich in ihren Jammertagen, Ich mag sogar die armen selbst nicht plagen.
DER HERR. Kennst du den Faust?
MEPHISTOPHELES. Den Doktor?
DER HERR. Meinen Knecht!
MEPHISTOPHELES. Fürwahr! er dient Euch auf besondre Weise. Nicht irdisch ist des Toren Trank noch Speise. Ihn treibt die Gärung in die Ferne, Er ist sich seiner Tollheit halb bewußt; Vom Himmel fordert er die schönsten Sterne Und von der Erde jede höchste Lust, Und alle Näh und alle Ferne Befriedigt nicht die tiefbewegte Brust.
DER HERR. Wenn er mir auch nur verworren dient, So werd ich ihn bald in die Klarheit führen. Weiß doch der Gärtner, wenn das Bäumchen grünt, Das Blüt und Frucht die künft’gen Jahre zieren.
MEPHISTOPHELES. Was wettet Ihr? den sollt Ihr noch verlieren! Wenn Ihr mir die Erlaubnis gebt, Ihn meine Straße sacht zu führen.
DER HERR. Solang er auf der Erde lebt, So lange sei dir’s nicht verboten, Es irrt der Mensch so lang er strebt.
MEPHISTOPHELES. Da dank ich Euch; denn mit den Toten Hab ich mich niemals gern befangen. Am meisten lieb ich mir die vollen, frischen Wangen. Für einem Leichnam bin ich nicht zu Haus; Mir geht es wie der Katze mit der Maus.
DER HERR. Nun gut, es sei dir überlassen! Zieh diesen Geist von seinem Urquell ab, Und führ ihn, kannst du ihn erfassen, Auf deinem Wege mit herab, Und steh beschämt, wenn du bekennen mußt. Ein guter Mensch, in seinem dunklen Drange, Ist sich des rechten Weges wohl bewußt.
MEPHISTOPHELES. Schon gut! nur dauert es nicht lange. Mir ist für meine Wette gar nicht bange. Wenn ich zu meinem Zweck gelange, Erlaubt Ihr mir Triumph aus voller Brust. Staub soll er fressen, und mit Lust, Wie meine Muhme, die berühmte Schlange.
DER HERR. Du darfst auch da nur frei erscheinen; Ich habe deinesgleichen nie gehaßt. Von allen Geistern, die verneinen, ist mir der Schalk am wenigsten zur Last. Des Menschen Tätigkeit kann allzu leicht erschlaffen, er liebt sich bald die unbedingte Ruh; Drum geb ich gern ihm den Gesellen zu, Der reizt und wirkt und muß als Teufel schaffen. Doch ihr, die echten Göttersöhne, Erfreut euch der lebendig reichen Schöne! Das Werdende, das ewig wirkt und lebt, Umfass euch mit der Liebe holden Schranken, Und was in schwankender Erscheinung schwebt, Befestigt mit dauernden Gedanken! (Der Himmel schließt, die Erzengel verteilen sich.)
MEPHISTOPHELES (allein). Von Zeit zu Zeit seh ich den Alten gern, Und hüte mich, mit ihm zu brechen. Es ist gar hübsch von einem großen Herrn, So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen.
Nacht
In einem hochgewölbten, engen gotischen Zimmer Faust, unruhig auf seinem Sessel am Pulte.
FAUST. Habe nun, ach! Philosophie, Juristerei und Medizin, Und leider auch Theologie Durchaus studiert, mit heißem Bemühn. Da steh ich nun, ich armer Tor! Und bin so klug als wie zuvor; Heiße Magister, heiße Doktor gar Und ziehe schon an die zehen Jahr Herauf, herab und quer und krumm Meine Schüler an der Nase herum— Und sehe, daß wir nichts wissen können! Das will mir schier das Herz verbrennen. Zwar bin ich gescheiter als all die Laffen, Doktoren, Magister, Schreiber und Pfaffen; Mich plagen keine Skrupel noch Zweifel, Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel— Dafür ist mir auch alle Freud entrissen, Bilde mir nicht ein, was Rechts zu wissen, Bilde mir nicht ein, ich könnte was lehren, Die Menschen zu bessern und zu bekehren. Auch hab ich weder Gut noch Geld, Noch Ehr und Herrlichkeit der Welt; Es möchte kein Hund so länger leben! Drum hab ich mich der Magie ergeben, Ob mir durch Geistes Kraft und Mund Nicht manch Geheimnis würde kund; Daß ich nicht mehr mit saurem Schweiß Zu sagen brauche, was ich nicht weiß; Daß ich erkenne, was die Welt Im Innersten zusammenhält, Schau alle Wirkenskraft und Samen, Und tu nicht mehr in Worten kramen.
O sähst du, voller Mondenschein, Zum letztenmal auf meine Pein, Den ich so manche Mitternacht An diesem Pult herangewacht. Dann über Büchern und Papier, Trübsel’ger Freund, erschienst du mir! Ach! könnt ich doch auf Bergeshöhn In deinem lieben Lichte gehn, Um Bergeshöhle mit Geistern schweben, Auf Wiesen in deinem Dämmer weben, Von allem Wissensqualm entladen, In deinem Tau gesund mich baden!
Weh! steck ich in dem Kerker noch? Verfluchtes dumpfes Mauerloch, Wo selbst das liebe Himmelslicht Trüb durch gemalte Scheiben bricht! Beschränkt mit diesem Bücherhauf, den Würme nagen, Staub bedeckt, Den bis ans hohe Gewölb hinauf Ein angeraucht Papier umsteckt; Mit Gläsern, Büchsen rings umstellt, Mit Instrumenten vollgepfropft, Urväter Hausrat drein gestopft— Das ist deine Welt! das heißt eine Welt!
Und fragst du noch, warum dein Herz Sich bang in deinem Busen klemmt? Warum ein unerklärter Schmerz Dir alle Lebensregung hemmt? Statt der lebendigen Natur, Da Gott die Menschen schuf hinein, Umgibt in Rauch und Moder nur Dich Tiergeripp und Totenbein.
Flieh! auf! hinaus ins weite Land! Und dies geheimnisvolle Buch, Von Nostradamus’ eigner Hand, Ist dir es nicht Geleit genug? Erkennest dann der Sterne Lauf, Und wenn Natur dich Unterweist, Dann geht die Seelenkraft dir auf, Wie spricht ein Geist zum andren Geist. Umsonst, daß trocknes Sinnen hier Die heil’gen Zeichen dir erklärt. Ihr schwebt, ihr Geister, neben mir; Antwortet mir, wenn ihr mich hört! (Er schlägt das Buch auf und erblickt das Zeichen des Makrokosmus.)
Ha! welche Wonne fließt in diesem Blick Auf einmal mir durch alle meine Sinnen! Ich fühle junges, heil’ges Lebensglück Neuglühend mir durch Nerv’ und Adern rinnen. War es ein Gott, der diese Zeichen schrieb, Die mir das innre Toben stillen, Das arme Herz mit Freude füllen, Und mit geheimnisvollem Trieb Die Kräfte der Natur rings um mich her enthüllen? Bin ich ein Gott? Mir wird so licht! Ich schau in diesen reinen Zügen Die wirkende Natur vor meiner Seele liegen. Jetzt erst erkenn ich, was der Weise spricht. “Die Geisterwelt ist nicht verschlossen; Dein Sinn ist zu, dein Herz ist tot! Auf, bade, Schüler, unverdrossen Die ird’sche Brust im Morgenrot!” (er beschaut das Zeichen.)
Wie alles sich zum Ganzen webt, Eins in dem andern wirkt und lebt! Wie Himmelskräfte auf und nieder steigen Und sich die goldnen Eimer reichen! Mit segenduftenden Schwingen Vom Himmel durch die Erde dringen, Harmonisch all das All durchklingen!
Welch Schauspiel! Aber ach! ein Schauspiel nur! Wo fass ich dich, unendliche Natur? Euch Brüste, wo? Ihr Quellen alles Lebens, An denen Himmel und Erde hängt, Dahin die welke Brust sich drängt— Ihr quellt, ihr tränkt, und schmacht ich so vergebens? (er schlägt unwillig das Buch um und erblickt das Zeichen des Erdgeistes.)
Wie anders wirkt dies Zeichen auf mich ein! Du, Geist der Erde, bist mir näher; Schon fühl ich meine Kräfte höher, Schon glüh ich wie von neuem Wein. Ich fühle Mut, mich in die Welt zu wagen, Der Erde Weh, der Erde Glück zu tragen, Mit Stürmen mich herumzuschlagen Und in des Schiffbruchs Knirschen nicht zu zagen. Es wölkt sich über mir— Der Mond verbirgt sein Licht— Die Lampe schwindet! Es dampft! Es zucken rote Strahlen Mir um das Haupt—Es weht Ein Schauer vom Gewölb herab Und faßt mich an! Ich fühl’s, du schwebst um mich, erflehter Geist Enthülle dich! Ha! wie’s in meinem Herzen reißt! Zu neuen Gefühlen All meine Sinnen sich erwühlen! Ich fühle ganz mein Herz dir hingegeben! Du mußt! du mußt! und kostet es mein Leben! (Er faßt das Buch und spricht das Zeichen des Geistes geheimnisvoll aus. Es zuckt eine rötliche Flamme, der Geist erscheint in der Flamme.)
GEIST. Wer ruft mir?
FAUST (abgewendet). Schreckliches Gesicht!
GEIST. Du hast mich mächtig angezogen, An meiner Sphäre lang gesogen, Und nun—
FAUST. Weh! ich ertrag dich nicht!
GEIST. Du flehst, eratmend mich zu schauen, Meine Stimme zu hören, mein Antlitz zu sehn; Mich neigt dein mächtig Seelenflehn, Da bin ich!—Welch erbärmlich Grauen Faßt Übermenschen dich! Wo ist der Seele Ruf? Wo ist die Brust, die eine Welt in sich erschuf Und trug und hegte, die mit Freudebeben Erschwoll, sich uns, den Geistern, gleich zu heben? Wo bist du, Faust, des Stimme mir erklang, Der sich an mich mit allen Kräften drang? Bist du es, der, von meinem Hauch umwittert, In allen Lebenslagen zittert, Ein furchtsam weggekrümmter Wurm?
FAUST. Soll ich dir, Flammenbildung, weichen? Ich bin’s, bin Faust, bin deinesgleichen!
GEIST. In Lebensfluten, im Tatensturm Wall ich auf und ab, Wehe hin und her! Geburt und Grab, Ein ewiges Meer, Ein wechselndes Wehen, Ein glühend Leben, So schaff ich am laufenden Webstuhl der Zeit Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.
FAUST. Der du die weite Welt umschweifst, Geschäftiger Geist, wie nah fühl ich mich dir!
GEIST. Du gleichst dem Geist, den du begreifst, Nicht mir! (verschwindet)
FAUST (zusammenstürzend). Nicht dir? Wem denn? Ich Ebenbild der Gottheit! Und nicht einmal dir! (es klopft)
O Tod! ich kenn’s—das ist mein Famulus— Es wird mein schönstes Glück zunichte! Daß diese Fülle der Gesichte Der trockne Schleicher stören muß! (Wagner im Schlafrock und der Nachtmütze, eine Lampe in der Hand. Faust wendet sich unwillig.)
WAGNER. Verzeiht! ich hör euch deklamieren; Ihr last gewiß ein griechisch Trauerspiel? In dieser Kunst möcht ich was profitieren, Denn heutzutage wirkt das viel. Ich hab es öfters rühmen hören, Ein Komödiant könnt einen Pfarrer lehren.
FAUST. Ja, wenn der Pfarrer ein Komödiant ist; Wie das denn wohl zuzeiten kommen mag.
WAGNER. Ach! wenn man so in sein Museum gebannt ist, Und sieht die Welt kaum einen Feiertag, Kaum durch ein Fernglas, nur von weitem, Wie soll man sie durch Überredung leiten?
FAUST. Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht erjagen, Wenn es nicht aus der Seele dringt Und mit urkräftigem Behagen Die Herzen aller Hörer zwingt. Sitzt ihr nur immer! leimt zusammen, Braut ein Ragout von andrer Schmaus Und blast die kümmerlichen Flammen Aus eurem Aschenhäufchen ’raus! Bewundrung von Kindern und Affen, Wenn euch darnach der Gaumen steht; Doch werdet ihr nie Herz zu Herzen schaffen, Wenn es euch nicht von Herzen geht.
WAGNER. Allein der Vortrag macht des Redners Glück; Ich fühl es wohl, noch bin ich weit zurück.
FAUST. Such Er den redlichen Gewinn! Sei Er kein schellenlauter Tor! Es trägt Verstand und rechter Sinn Mit wenig Kunst sich selber vor! Und wenn’s euch Ernst ist, was zu sagen, Ist’s nötig, Worten nachzujagen? Ja, eure Reden, die so blinkend sind, In denen ihr der Menschheit Schnitzel kräuselt, Sind unerquicklich wie der Nebelwind, Der herbstlich durch die dürren Blätter säuselt!
WAGNER. Ach Gott! die Kunst ist lang; Und kurz ist unser Leben. Mir wird, bei meinem kritischen Bestreben, Doch oft um Kopf und Busen bang. Wie schwer sind nicht die Mittel zu erwerben, Durch die man zu den Quellen steigt! Und eh man nur den halben Weg erreicht, Muß wohl ein armer Teufel sterben.
FAUST. Das Pergament, ist das der heil’ge Bronnen, Woraus ein Trunk den Durst auf ewig stillt? Erquickung hast du nicht gewonnen, Wenn sie dir nicht aus eigner Seele quillt.
WAGNER. Verzeiht! es ist ein groß Ergetzen, Sich in den Geist der Zeiten zu versetzen; Zu schauen, wie vor uns ein weiser Mann gedacht, Und wie wir’s dann zuletzt so herrlich weit gebracht.
FAUST. O ja, bis an die Sterne weit! Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln. Was ihr den Geist der Zeiten heißt, Das ist im Grund der Herren eigner Geist, In dem die Zeiten sich bespiegeln. Da ist’s denn wahrlich oft ein Jammer! Man läuft euch bei dem ersten Blick davon. Ein Kehrichtfaß und eine Rumpelkammer Und höchstens eine Haupt- und Staatsaktion Mit trefflichen pragmatischen Maximen, Wie sie den Puppen wohl im Munde ziemen!
WAGNER. Allein die Welt! des Menschen Herz und Geist! Möcht jeglicher doch was davon erkennen.
FAUST. Ja, was man so erkennen heißt! Wer darf das Kind beim Namen nennen? Die wenigen, die was davon erkannt, Die töricht g’nug ihr volles Herz nicht wahrten, Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten, Hat man von je gekreuzigt und verbrannt. Ich bitt Euch, Freund, es ist tief in der Nacht, Wir müssen’s diesmal unterbrechen.
WAGNER. Ich hätte gern nur immer fortgewacht, Um so gelehrt mit Euch mich zu besprechen. Doch morgen, als am ersten Ostertage, Erlaubt mir ein’ und andre Frage. Mit Eifer hab’ ich mich der Studien beflissen; Zwar weiß ich viel, doch möcht’ ich alles wissen. (Ab.)
FAUST (allein). Wie nur dem Kopf nicht alle Hoffnung schwindet, Der immerfort an schalem Zeuge klebt, Mit gier’ger Hand nach Schätzen gräbt, Und froh ist, wenn er Regenwürmer findet!
Darf eine solche Menschenstimme hier, Wo Geisterfülle mich umgab, ertönen? Doch ach! für diesmal dank ich dir, Dem ärmlichsten von allen Erdensöhnen. Du rissest mich von der Verzweiflung los, Die mir die Sinne schon zerstören wollte. Ach! die Erscheinung war so riesengroß, Daß ich mich recht als Zwerg empfinden sollte.
Ich, Ebenbild der Gottheit, das sich schon Ganz nah gedünkt dem Spiegel ew’ger Wahrheit, Sein selbst genoß in Himmelsglanz und Klarheit, Und abgestreift den Erdensohn; Ich, mehr als Cherub, dessen freie Kraft Schon durch die Adern der Natur zu fließen Und, schaffend, Götterleben zu genießen Sich ahnungsvoll vermaß, wie muß ich’s büßen! Ein Donnerwort hat mich hinweggerafft.
Nicht darf ich dir zu gleichen mich vermessen; Hab ich die Kraft dich anzuziehn besessen, So hatt ich dich zu halten keine Kraft. In jenem sel’gen Augenblicke Ich fühlte mich so klein, so groß; Du stießest grausam mich zurücke, Ins ungewisse Menschenlos. Wer lehret mich? was soll ich meiden? Soll ich gehorchen jenem Drang? Ach! unsre Taten selbst, so gut als unsre Leiden, Sie hemmen unsres Lebens Gang.
Dem Herrlichsten, was auch der Geist empfangen, Drängt immer fremd und fremder Stoff sich an; Wenn wir zum Guten dieser Welt gelangen, Dann heißt das Beßre Trug und Wahn. Die uns das Leben gaben, herrliche Gefühle Erstarren in dem irdischen Gewühle.
Wenn Phantasie sich sonst mit kühnem Flug Und hoffnungsvoll zum Ewigen erweitert, So ist ein kleiner Raum ihr nun genug, Wenn Glück auf Glück im Zeitenstrudel scheitert. Die Sorge nistet gleich im tiefen Herzen, Dort wirket sie geheime Schmerzen, Unruhig wiegt sie sich und störet Lust und Ruh; Sie deckt sich stets mit neuen Masken zu, Sie mag als Haus und Hof, als Weib und Kind erscheinen, Als Feuer, Wasser, Dolch und Gift; Du bebst vor allem, was nicht trifft, Und was du nie verlierst, das mußt du stets beweinen.
Den Göttern gleich ich nicht! zu tief ist es gefühlt; Dem Wurme gleich ich, der den Staub durchwühlt, Den, wie er sich im Staube nährend lebt, Des Wandrers Tritt vernichtet und begräbt.
Ist es nicht Staub, was diese hohe Wand Aus hundert Fächern mit verenget? Der Trödel, der mit tausendfachem Tand In dieser Mottenwelt mich dränget? Hier soll ich finden, was mir fehlt? Soll ich vielleicht in tausend Büchern lesen, Daß überall die Menschen sich gequält, Daß hie und da ein Glücklicher gewesen?— Was grinsest du mir, hohler Schädel, her? Als daß dein Hirn, wie meines, einst verwirret Den leichten Tag gesucht und in der Dämmrung schwer, Mit Lust nach Wahrheit, jämmerlich geirret. Ihr Instrumente freilich spottet mein, Mit Rad und Kämmen, Walz und Bügel. Ich stand am Tor, ihr solltet Schlüssel sein; Zwar euer Bart ist kraus, doch hebt ihr nicht die Riegel. Geheimnisvoll am lichten Tag Läßt sich Natur des Schleiers nicht berauben, Und was sie deinem Geist nicht offenbaren mag, Das zwingst du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben. Du alt Geräte, das ich nicht gebraucht, Du stehst nur hier, weil dich mein Vater brauchte. Du alte Rolle, du wirst angeraucht, Solang an diesem Pult die trübe Lampe schmauchte. Weit besser hätt ich doch mein Weniges verpraßt, Als mit dem Wenigen belastet hier zu schwitzen! Was du ererbt von deinen Vätern hast, Erwirb es, um es zu besitzen. Was man nicht nützt, ist eine schwere Last, Nur was der Augenblick erschafft, das kann er nützen.
Doch warum heftet sich mein Blick auf jene Stelle? Ist jenes Fläschchen dort den Augen ein Magnet? Warum wird mir auf einmal lieblich helle, Als wenn im nächt’gen Wald uns Mondenglanz umweht?
Ich grüße dich, du einzige Phiole, Die ich mit Andacht nun herunterhole! In dir verehr ich Menschenwitz und Kunst. Du Inbegriff der holden Schlummersäfte, Du Auszug aller tödlich feinen Kräfte, Erweise deinem Meister deine Gunst! Ich sehe dich, es wird der Schmerz gelindert, Ich fasse dich, das Streben wird gemindert, Des Geistes Flutstrom ebbet nach und nach. Ins hohe Meer werd ich hinausgewiesen, Die Spiegelflut erglänzt zu meinen Füßen, Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag.