Johann Wolfgang von Goethe: Gesammelte Dramen

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PRINZ. Es ist nicht Langeweile, es ist die Gefälligkeit dieser angenehmen Geschöpfe, die mich ängstet. Ach! warum muß ich dem weiblichen Geschlechte zur Qual geschaffen sein? Denn nur eine kann mein Herz besitzen, und die übrigen – Ach! – –

MERKULO. Die hab ich schon oft bedauert! und ich hab ihnen auch gelegentlich mein Mitleiden auf eine so überzeugende Art zu verstehn gegeben, daß ich wirklich sagen kann: ich habe das Glück gehabt, einigen das Leben zu fristen, die auf dem Sprunge standen, durch Ihre Grausamkeit in die elysischen Felder vertrieben zu werden.

PRINZ. Rede davon nicht! vermehre nicht meinen Kummer!

MERKULO. Ich sage nichts! denn wenn man Ihren hohen Stand und Ihre trefflichen Qualitäten zusammennimmt, so ist's evident, daß einer Ihrer Blicke ganz unglaubliche Bewegungen in einem schönen Herzen hervorbringen muß.

PRINZ. Meinen Stand erwähnst du, Unglücklicher? Was ist mein Stand gegen dieses Herz?

MERKULO. Halten Sie mir's zu Gnaden. Wir wollen der Sache ihr Recht antun. Eine wahre Liebe ist zum Exempel was Vortreffliches; aber eine wahre Liebe mit einem wohlgespickten Beutel, darüber geht gar nichts. So auch, was den Stand betrifft –

PRINZ. Rede nur nicht immer! nicht solche Dinge!

MERKULO. Nein, ich müßte undankbar sein, wenn ich es nicht gestände, nicht bekennte! In Ihrer Nähe, mein Gebieter, bin ich ohnehin sicher. Ihre fürstliche Gegenwart zieht, wie ein Gewitterableiter, alle Elektrizität zärtlicher Herzen an sich, daß wir andern vorm Einschlagen ganz gesichert sind.

PRINZ. Ist es bald eilfe?

MERKULO. Es wird gleich sein, und ich gehe, um Sie Ihren Empfindungen in der feierlichen Stunde der Mitternacht allein zu überlassen. Es ist eine vortreffliche neuere Erfindung, daß jeder Stunde, jeder Tagszeit ihre eignen Gefühle gewidmet sind. Darin waren die Alten rechte Tröpfe. In ihren Schauspielen konnte das Feierlichste, Schrecklichste bei hellem Tage und unter freiem Himmel vorgehn; unter eilfe und zwölfe tun wir's aber gar nicht, und ohne Särge, Kirchhöfe und schwarze Tücher läßt sich nichts Rechts ausrichten.

PRINZ. Sind meine Pistolen geladen?

MERKULO. Auf Ihren Befehl, wie immer. Aber ich bitte Sie um Gottes willen, erschießen Sie sich nicht einmal!

PRINZ. Sei ruhig!

Es schlägt eilfe.

Es schlägt!

MERKULO. Sie haben hier eine Glocke, die gar keinen feierlichen Ton hat. Es klingt, als wenn man auf Blech hämmerte; mich könnte nun so etwas gleich vollkommen aus meiner zärtlichsten Fassung bringen.

Die Musik gibt einige Laute und entfernte Melodien zum folgenden an.

PRINZ. Schweig, Unheiliger! und entflieh!

MERKULO. Ab! Ab.

PRINZ. Vergebens sucht ihr mich durch eure Schönheit, durch euer einschmeichelndes Wesen abzuziehen, von den Gedanken wegzuwenden, die ich immer mit den Armen meiner Seele umschlungen halte. Fahrt wohl, ihr sterblichen Mädchen! Das Unsterbliche umschwebt meine Stirne, und die Geister steigen herab, meine Wohnung zu beleben und mein Herz zu beseligen.

Die feierliche Musik geht fort, die Wasserfälle fangen an zu rauschen, die Vögel zu singen, der Mond zu scheinen.

Dich ehr ich, heiliges Licht,

Reiner, hoher Gefühle Freund!

Du, der du mir

Der Liebe stockende Schmerzen

Im Busen auf zu sanften Tränen lösest!

Ach, welche Seligkeiten säuselst du mir

Ins tiefe Heiligtum der Nacht

Und deutest mir

Auf der geheimnisvollen Liebe Ruhestätte!

Ach, verzeih! Ach, mein Herz

Fühlt nicht immer gleich!

Verzeih dem trüben Blick auf deine Schönheit!

Verzeih dem flüchtigen!

Nach der Laube gekehrt.

Hier, hier wohnt meine Gottheit,

Die ganz mein Herz nach ihrem Herzen zieht!

Dies Pochen und dies Zittern!

Ha! es schlägt dem Augenblick entgegen,

Wo die Zauberei

Die Seligkeit des Wahren überflügelt!

O den Genuß, ihr Götter, gabt ihr mir!

O den Genuß bewahret mir, ihr Götter!

Die Laube tut sich auf, man sieht ein Frauenzimmer darin sitzen: sie muß vollkommen an Gestalt und Kleidung der Schauspielerin gleichen, die nachher als Mandandane auftritt.

Himmel, sie ist's! Himmel, sie ist's!

Seligkeit tauet herab. – –

Deine Hand an dieses Herz,

Geliebte, süße Freundin!

Du ganz für mich Geschaffne,

Ganz durch Sympathie Gefundene,

Gewählte!

In dieser schönen Stimmung unsrer Herzen

Wird mir ein Glück, das nur die Götter kennen.

Ach, in hohen Himmelsfreuden

Fühl ich schaudernd mich verschweben!

Ha! vor Wonne stockt mein Leben,

Stockt der Atem in der Brust!

Ach, umweht mich, Seligkeiten!

Lindert dieses heiße Streben,

Und in wonnevolles Leben

Löset auf die schöne Lust!

Während der letzten Kadenz, da die Instrumente die Stimme zu lange nachahmen, setzt sich der Prinz auf eine Rasenbank und schläft endlich ein. Man gibt ihm verschiednemal den Ton an, damit er einfallen und schließen möge; allein er rührt sich nicht, und es entsteht eine Verlegenheit im Orchester; endlich sieht sich die erste Violine genötigt, die Kadenz zu schließen, die Instrumente fallen ein, die Laube geht zu, der mittlere Vorhang fällt nieder, und es zeigt sich.

Ein Vorsaal.

Feria und die vier Fräulein.

FERIA. Mich dünkt, der Prinz pflegt seiner Ruhe ziemlich lange. Es soll nicht gesagt sein, daß ein Mann in unserm Schlosse ungestraft die Morgenröte herbeigeschlafen habe! Sind die Klappern bei der Hand und die Rasseln? Wir wollen ihm ein Chariwari machen und die fatale Schläfrigkeit, unsre verhaßte Nebenbuhlerin, von seinen Augen peitschen.

Lebhafter Tanz zu fünfen mit Kastagnetten und Metallbecken; mitunter tanzt Feria solo. Der Oberste kommt, die Prinzessin zu bitten, daß sie des Prinzen Ruhe nicht stören möge, indem die Wache die Fräulein aufhalten will. Diese machen immer ärgern Lärm. Der hintere Vorhang geht auf; das Theater ist wieder wie zu Anfang des Akts; Merkulo tritt zu gleicher Zeit herein, der Prinz fährt bewegt von seiner Rasenbank in die Hohe, ergrimmt und singt.

Ja, ihr seid's, Erinnyen, Mänaden!

Ohne Gefühl für Liebe,

Ohne Gefühl für Schmerz!

Ich hofft im Arm der Grazien zu baden,

Und ihr zerreißt mein Herz!

Mein Herz! mein Herz!

Zerreißt mein leidend Herz!

Während der Arie begibt sich Feria, die Fräulein und die Wache, eins nach dem andern, auf die Seite; es bleiben allein.

Prinz und Merkulo.

MERKULO. Mein Prinz, fassen Sie sich!

PRINZ. Mein Freund, welche tödliche Wunde!

MERKULO. Gnädiger Herr, nur Chariwari!

PRINZ. Ich will weg! diesen Augenblick mich in die Einsamkeit des Gebirgs verlieren!

MERKULO. Was wird die Prinzessin, was werden die Damen denken?

PRINZ. Denken sie doch, auch nicht, wen sie vor sich haben. Ohne das mindeste Gefühl für das Hohe, Überirdische meiner Stimmung, rasseln sie mit knirschenden Tönen der Vorhölle drein. Ach, ihr goldnen Morgenträume, wo seid ihr hin? auf ewig! auf ewig!

MERKULO. Es war nicht böse gemeint. Schon vor Sonnenaufgang waren die Mädchen geschäftig, ein Dejeuner im Garten zurechtzumachen; wir haben auch wirklich den Morgenstern mit Bratwürsten in der Hand und einem vortrefflichen Glas Zyperwein bewillkommt. Man fürchtete, es möchte alles kalt werden, verderben, und wir wollten Ihr angenehmes Gesicht im Glanz der ersten Morgensonne genießen.

PRINZ. Ja, mit Schellen und Klapperblechen genießt man den Morgen! – Fort! – Leb wohl!

MERKULO. Gnädiger Herr!

PRINZ. Du weißt, meine Entschließungen sind rasch und fest.

MERKULO für sich. Leider!

PRINZ. Ich gehe nach dem Orakel! Laß aufs schärfste dieses Heiligtum bewachen, daß unter keinem Vorwand eine lebendige Seele einen Fuß hereinsetze!

MERKULO. Bleiben Sie beruhigt.

PRINZ. Leb wohl. Ab.

Vierter Akt

Andrasons Schloß, eine rauhe und felsige Gegend, Höhle im Grunde.

Mandandanens Kammerdiener als Askalaphus tritt auf mit einem Reverenz und spricht den Prologus.

Herrn und Frauen allzugleich,

Merkt wohl, das hier ist Plutons Reich,

Und ich, wie ich mich vor euch stelle,

Das ich zuerst bedeuten muß,

Ich nenne mich Askalaphus

Und bin Hofgärtner in der Hölle.

Die Charge ist hier unten neu;

Denn ehmals war Elysium dadrüben,

Die rauhen Wohnungen dahüben,

Man ließ es eben so dabei.

Nun aber kam ein Lord herunter,

Der fand die Hölle gar nicht munter,

Und eine Lady fand Elysium zu schön.

Man sprach so lang, bis daß der seltne Gusto siegte

Und Pluto selbst den hohen Einfall kriegte,

Sein altes Reich als einen Park zu sehn.

Da schleppen nun Titanen ohne Zahl,

Den alten Sisyphus mit eingeschlossen,

Rastlos geschunden und verdrossen,

Gar manches schöne Berg und Tal

Zusammen.

Aus den flutenden Flammen

Des Acherons herauf

Müssen die ewigen Felsen jetzt!

Und, gält's tausend Hände,

Sie werden an irgendeinem Ende

Als Point de vue zurechtgesetzt.

Um eins nur ist es jammerschade,

Ums schöne Erdreich in Elysium!

 

Aber es ist keine Gnade,

Wir gehn damit ganz sündlich um.

Sonst dankt man Gott, wenn man die Steine

Vom Acker hat;

Aber hier! sechs Meilen herum sind keine

Zu finden mehr, und wir haben es noch nicht satt;

Damit verschütten wir den Boden,

Wo das weichste Gras,

Die liebsten Blümchen blühen, und warum das?

Alles um des Mannigfaltigen willen.

Ein frischer Wald, eine feine Wiese,

Das ist uns alles alt und klein;

Es müssen in unserm Paradiese

Dorn und Disteln sein.

Dafür aber auch graben wir in den Hainen

Elysiums die schönsten Bäume aus

Und setzen sie, wo wir es eben meinen,

An manche leere Stelle

Herüber in die Hölle,

Um des Cerberus Hundehaus,

Und formieren das zu einer Kapelle.

Denn, notabene! in einem Park

Muß alles ideal sein,

Und, salva venia, jeden Quark

Wickeln wir in eine schöne Schal ein.

So verstecken wir zum Exempel

Einen Schweinstall hinter einen Tempel;

Und wieder ein Stall, versteht mich schon,

Wird geradeswegs ein Pantheon.

Die Sach ist, wenn ein Fremder drin spaziert,

Daß alles wohl sich präsentiert;

Wenn's dem denn hyperbolisch dünkt,

Posaunt er's hyperbolisch weiter aus.

Freilich, der Herr vom Haus

Weiß meistens, wo es stinkt.

Wie ich also sagte: unsre elysischen Bäume

Schwinden wie elysische Träume,

Wenn man sie verpflanzen will.

Ich bin zu allen Sachen still:

Denn in einem Park ist alles Prunk;

Verdorrt ein Baum und wird ein Strunk.

»Ha!« sagen sie, »da seht die Spur,

Wie die Kunst auch hinterdrein der Natur

Im Dürren ist.« – Ja, leider stark!

Was ich sagen wollte! Zum vollkommnen Park

Wird uns wenig mehr abgehn.

Wir haben Tiefen und Höhn,

Eine Musterkarte von allem Gesträuche,

Krumme Gänge, Wasserfälle, Teiche,

Pagoden, Höhlen, Wieschen, Felsen und Klüfte,

Eine Menge Reseda und andres Gedüfte,

Weimutsfichten, babylonische Weiden, Ruinen,

Einsiedler in Löchern, Schäfer im Grünen,

Moscheen und Türme mit Kabinetten,

Von Moos sehr unbequeme Betten,

Obelisken, Labyrinthe, Triumphbögen, Arkaden,

Fischerhütten, Pavillons zum Baden,

Chinesisch-gotische Grotten, Kiosken, Tings,

Maurische Tempel und Monumente,

Gräber, ob wir gleich niemand begraben –

Man muß es alles zum Ganzen haben.

Ein einziges ist noch zurücke,

Und drauf ist jeder Lord so stolz:

Das ist eine ungeheure Brücke

Von Holz

Und einem Bogen von Hängewerk,

Das ist unser ganzes Augenmerk.

Denn erstlich kann kein Park bestehn

Ohne sie, wie wir auf jedem Kupfer sehn.

Auch in unsern toleranten Tagen

Wird immer mehr drauf angetragen,

Auf Kommunikation, wie bekannt,

Dem man sich auch gleichstellen muß;

Elysium und Erebus

Werden vice versa tolerant.

Wir freuten uns der Brücke schon;

Doch, leider, Acheron und Pyriphlegethon

Speien ewige Flammen;

Da fehlt's uns an gescheiten Leuten.

Und bringen wir die Brücke nicht zusammen,

So will der ganze Park nichts bedeuten;

Das Kostüm leidet weder Erz noch Stein,

Von Holz muß so eine Brücke sein.

Aber warum ich komme! ohne Zeit zu verlieren:

Plutons schönes junges Weib

Geht gewöhnlich hierher spazieren,

Denn drin ist nicht viel Zeitvertreib.

Da sucht sie bei den armen Toten

So schöne Gegenden wie auf Siziliens Boden;

Wir haben's aber nur in Gedichten.

Dann fragt sie täglich nach herrlichen Früchten;

Wir haben aber keine zu reichen:

Pfirschen, Trauben, darnach liefen wir weit;

Holzbirn, Schlehn, rote Beerchen und dergleichen

Ist alles, was bei uns gedeiht.

Zwei höllische Geister bringen einen Granatenbaum in einem Kübel.

Drum hab ich zu einem Treibhaus geraten

Und brüte, zum Exempel, diese Granaten

In einem frostbedeckten Haus

Mit unterirdischem Feuer aus;

Den will ich in die Erde kleben, –

– Er macht alles zurechte, wie er's sagt –

Mit Felsen, Rasen, Moos umgeben,

Daß meine Königin vermeine,

Es wüchse alles aus dem Steine,

Und, wenn sie den Betrug verspürt,

Den Künstler lobe, wie sich's gebührt.

Ab.

Vorbereitende Musik, ahnend seltne Gefühle.

MANDANDANE als Proserpina.

Halte! halt einmal, Unselige! Vergebens

Irrst du in diesen rauhen Wüsten hin und her!

Endlos liegen vor dir die Trauergefilde,

Und was du suchst, liegt immer hinter dir.

Nicht vorwärts,

Aufwärts auch soll dieser Blick nicht steigen!

Die schwarze Höhle des Tartarus

Verwölbt die lieben Gegenden des Himmels,

In die ich sonst

Nach meines Ahnherrn froher Wohnung

Mit Liebesblick hinaufsah!

Ach! Tochter du des Jupiters,

Wie tief bist du verloren! –

Gespielinnen!

Als jene blumenreiche Täler

Für uns gesamt noch blühten,

Als an dem himmelklaren Strom des Alpheus

Wir plätschernd noch im Abendstrahle scherzten,

Einander Kränze wanden

Und heimlich an den Jüngling dachten,

Dessen Haupte unser Herz sie widmete:

Da war uns keine Nacht zu tief zum Schwätzen,

Keine Zeit zu lang,

Um freundliche Geschichten zu wiederholen,

Und die Sonne

Riß leichter nicht aus ihrem Silberbette

Sich auf, als wir, voll Lust zu leben,

Früh im Tau die Rosenfüße badeten. –

O Mädchen! Mädchen!

Die ihr, einsam nun,

Zerstreut an jenen Quellen schleicht,

Die Blumen auflest,

Die ich, ach Entführte!

Aus meinem Schoße fallen ließ,

Ihr steht und seht mir nach, wohin ich verschwand!

Weggerissen haben sie mich,

Die raschen Pferde des Orkus;

Mit festen Armen

Hielt mich der unerbittliche Gott!

Amor! ach, Amor floh lachend auf zum Olymp –

Hast du nicht, Mutwilliger,

Genug an Himmel und Erde?

Mußt du die Flammen der Hölle

Durch deine Flammen vermehren? –

Heruntergerissen

In diese endlosen Tiefen!

Königin hier!

Königin?

Vor der nur Schatten sich neigen!

Hoffnungslos ist ihr Schmerz!

Hoffnungslos der Abgeschiedenen Glück,

Und ich wend es nicht.

Den ernsten Gerichten

Hat das Schicksal sie übergeben;

Und unter ihnen wandl' ich umher,

Göttin! Königin!

Selbst Sklavin des Schicksals!

Ach, das fliehende Wasser

Möcht ich dem Tantalus schöpfen,

Mit lieblichen Früchten ihn sättigen!

Armer Alter!

Für gereiztes Verlangen gestraft! –

In Ixions Rad möcht ich greifen,

Einhalten seinen Schmerz!

Aber was vermögen wir Götter

Über die ewigen Qualen!

Trostlos für mich und für sie,

Wohn ich unter ihnen und schaue

Der armen Danaiden Geschäftigkeit!

Leer und immer leer,

Wie sie schöpfen und füllen!

Leer und immer leer!

Nicht einen Tropfen Wassers zum Munde,

Nicht einen Tropfen Wassers in ihre Wannen!

Leer und immer leer!

Ach, so ist's mit dir auch, mein Herz!

Woher willst du schöpfen? – und wohin? –

Euer ruhiges Wandeln, Selige,

Streicht nur vor mir vorüber;

Mein Weg ist nicht mit euch!

In euern leichten Tänzen,

In euern tiefen Hainen,

In eurer lispelnden Wohnung

Rauscht's nicht von Leben wie droben,

Schwankt nicht von Schmerz zu Lust

Der Seligkeit Fülle. –

Ist's auf seinen düstern Augenbraunen,

Im verschlossenen Blicke?

Magst du ihn Gemahl nennen?

Und darfst du ihn anders nennen?

Liebe! Liebe!

Warum öffnetest du sein Herz

Auf einen Augenblick?

Und warum nach mir,

Da du wußtest,

Es werde sich wieder auf ewig verschließen?

Warum ergriff er nicht eine meiner Nymphen

Und setzte sie neben sich

Auf seinen kläglichen Thron?

Warum mich, die Tochter der Ceres?

O Mutter! Mutter!

Wie dich deine Gottheit verläßt

Im Verlust deiner Tochter,

Die du glücklich glaubtest,

Hinspielend, hintändelnd ihre Jugend!

Ach, du kamst gewiß

Und fragtest nach mir,

Was ich bedürfte?

Etwa ein neues Kleid

Oder goldene Schuhe?

Und du fandest die Mädchen,

An ihre Weiden gefesselt,

Wo sie mich verloren,

Nicht wiederfanden,

Ihre Locken zerrauften,

Erbärmlich klagten,

Meine lieben Mädchen! –

»Wohin ist sie? Wohin?« rufst du;

»Welchen Weg nahm der Verruchte?

Soll er ungestraft Jupiters Stamm entweihen?

Wohin geht der Pfad seiner Rosse?

Fackeln her!

Durch die Nacht will ich ihn verfolgen!

Will keine Stunde ruhen, bis ich sie finde,

Will keinen Gang scheuen,

Hierhin und dorthin.« –

Dir blinken deine Drachen mit klugen Augen zu,

Aller Pfade gewohnt, folgen sie deinem Lenken;

In der unbewohnten Wüste treibt dich's irre –

Ach nur hierher, hierher nicht!

Nicht in die Tiefe der Nacht,

Unbetreten den Ewiglebenden,

Wo, bedeckt von beschwerendem Graus,

Deine Tochter ermattet!

Wende aufwärts,

Aufwärts den geflügelten Schlangenpfad,

Aufwärts nach Jupiters Wohnung!

Der weiß es,

Der weiß es allein, der Erhabene,

Wo deine Tochter ist! –

Vater der Götter und Menschen!

Ruhst du noch oben auf deinem goldenen Stuhle,

Zu dem du mich Kleine

So oft mit Freundlichkeit aufhobst,

In deinen Händen mich scherzend

Gegen den endlosen Himmel schwenktest,

Daß ich kindisch droben zu verschweben bebte?

Bist du's noch, Vater? –

Nicht zu deinem Haupte,

In dem ewigen Blau

Des feuerdurchwebten Himmels,

Hier! hier! – –

Leite sie her!

Daß ich auf mit ihr

Aus diesem Kerker fahre!

Daß mir Phöbus wieder

Seine lieben Strahlen bringe,

Luna wieder

Aus den Silberlocken lächle!

O du hörst mich,

Freundlichlieber Vater;

Wirst mich wieder,

Wieder aufwärtsheben,

Daß, befreit von langer, schwerer Plage,

Ich an deinem Himmel wieder mich ergetze!

Letze dich, verzagtes Herz!

Ach! Hoffnung!

Hoffnung gießt

In Sturmnacht Morgenröte!

Dieser Boden

Ist nicht Fels, nicht Moos mehr;

Diese Berge

Nicht voll schwarzen Grauses!

Ach, hier find ich wieder eine Blume!

Dieses welke Blatt,

Es lebt noch,

Harrt noch,

Daß ich seiner mich erfreue!

Seltsam! seltsam!

Find ich diese Frucht hier?

Die mir in den Gärten droben

Ach! so lieb war –

Sie bricht den Granatapfel ab.

Laß dich genießen,

Freundliche Frucht!

Laß mich vergessen

Alle den Harm!

Wieder mich wähnen

Droben in Jugend,

In der vertaumelten

Lieblichen Zeit,

In den umduftenden

 

Himmlischen Blüten,

In den Gerüchen

Seliger Wonne,

Die der Entzückten,

Der Schmachtenden ward!

Sie ißt einige Körner.

Labend! labend

Wie greift's auf einmal

Durch diese Freuden,

Durch diese offne Wonne

Mit entsetzlichen Schmerzen,

Mit eisernen Händen

Der Hölle durch! –

Was hab ich verbrochen,

Daß ich genoß?

Ach, warum schafft

Die erste Freude hier mir Qual?

Was ist's? was ist's? –

Ihr Felsen scheint hier schrecklicher herabzuwinken,

Mich fester zu umfassen!

Ihr Wolken tiefer mich zu drücken!

Im fernen Schoße des Abgrunds

Dumpfe Gewitter tosend sich zu erzeugen!

Und ihr weiten Reiche der Parzen

Mir zuzurufen:

Du bist unser!

DIE PARZEN unsichtbar.

Du bist unser!

Ist der Ratschluß deines Ahnherrn:

Nüchtern solltest wiederkehren,

Und der Biß des Apfels macht dich unser!

Königin, wir ehren dich!

PROSERPINA.

Hast du's gesprochen, Vater?

Warum? warum?

Was tat ich, daß du mich verstößest?

Warum rufst du mich nicht

Zu deinem lichten Thron auf!

Warum den Apfel?

O verflucht die Früchte!

Warum sind Früchte schön,

Wenn sie verdammen?

PARZEN.

Bist nun unser!

Warum trauerst du?

Sieh, wir ehren dich,

Unsre Königin!

PROSERPINA.

O wäre der Tartarus nicht eure Wohnung,

Daß ich euch hin verwünschen könnte!

O wäre der Kozyt nicht euer ewig Bad,

Daß ich für euch

Noch Flammen übrig hätte!

Ich Königin,

Und kann euch nicht vernichten!

In ewigem Haß sei ich mit euch verbunden! –

So schöpfet, Danaiden!

Spinnt, Parzen! wütet, Furien!

In ewig gleich elendem Schicksal!

Ich beherrsche euch

Und bin darum elender als ihr alle.

PARZEN.

Du bist unser!

Wir neigen uns dir!

Bist unser! unser!

Hohe Königin!

PROSERPINA.

Fern! weg von mir

Sei eure Treu und eure Herrlichkeit!

Wie haß ich euch!

Und dich, wie zehnfach haß ich dich –

Weh mir! ich fühle schon

Die verhaßten Umarmungen!

PARZEN.

Unser! Unsre Königin!

PROSERPINA.

Warum reckst du sie nach mir?

Recke sie nach dem Avernus!

Rufe die Qualen aus stygischen Nächten empor!

Sie steigen deinem Wink entgegen,

Nicht meine Liebe.

Wie haß ich dich,

Abscheu und Gemahl,

O Pluto! Pluto!

Gib mir das Schicksal deiner Verdammten!

Nenn es nicht Liebe! –

Wirf mich mit diesen Armen

In die zerstörende Qual!

PARZEN.

Unser! unser! hohe Königin!

Andrason erscheint mit den Worten: Abscheu und Gemahl usw. Mandandane richtet die Apostrophe an ihn und flieht vor ihm mit Entsetzen. Er erstaunt, sieht sich um und folgt ihr voller Verwunderung.

Fünfter Akt

Vorsaal.

Mana. Sora. Lato. Mela.

SORA. Liebe Schwestern, es koste, was es wolle, wir müssen in des Prinzen Zimmer.

MANA. Aber die Wache?

SORA. Die hindert uns nicht; es sind Männer. Wir wollen ihnen schöntun und Wein geben; damit führen wir sie, wie wir wollen.

LATO. Laß sehn!

SORA. Ich habe vom süßen Wein genommen und ihn mit Schlaftrunk gemischt. Denn, ihr Kinder, es liegt viel dran.

MELA. Wieso?

SORA. Wer nicht neugierig ist, erfährt nichts. Mir brannt es auf dem Herzen, zu wissen, wie's im Zimmer wohl sein möchte, wenn die schönen Sachen alle spielten. Gegen Mitternacht schlich ich mich hinan und guckte durch einen Ritz in der Tür, den ich von alters her wohl kenne.

MANA. Was sahst du?

SORA. Was ihr nicht denkt! Nun glaub ich wohl, daß der Prinz gegen uns so unempfindlich blieb, so verachtend von uns wegging!

LATO. Ach! er ist ein schöner Geist von der neuen Sorte, die sind alle grob.

SORA. Das nicht allein. Er führt seine Geliebte mit sich herum.

MANA. Nicht möglich!

LATO. Ei wie?

SORA. Wenn ich euch nichts aufspürte! In dem verfluchten Kasten, in der geheimnisvollen Laube sitzt sie. Mich wundert nur, wie sie sich mag so herumschleppen lassen, so stille sitzen!

MANA. Drum wurde das Ding von Mauleseln getragen!

MELA. Wie sieht sie aus?

SORA. Ich habe nur einen Zipfel vom Kleide sehen können und daß der Prinz ihre Hand nahm und küßte. Gar nichts weiter. Hernach entstand ein Geräusche; da ruscht ich fort.

LATO. O laßt uns sehen!

MANA. Wenn sich's nur schickte!

SORA. Es ist ja Nacht, kein Mensch wird es erfahren. Ich habe schon den Hauptschlüssel. Nun spielt mit der Wache hübsch die Mädchen.

Musik.

Die Frauenzimmer spielen unter sich kleine Spiele. Die von der Wache kommen einzeln herein und sehen zu; sie rufen einander herbei, endlich mischen sie sich in die Spiele. Die Fräulein tun erst fremd, dann freundlich, endlich bringen sie Wein und

Früchte; die Jünglinge lassen sich's wohl schmecken, Tanz und Scherz geht fort, bis die Wache anfängt, schläfrig zu werden; sie taumeln hin und her, zuletzt in die Kulissen, und die Mädchen behalten das Feld.

SORA. Nun frisch ohne Zeitverlust ins Zimmer! Laßt uns die Verwegene aus ihrer Dunkelheit reißen, ihre Schande zu unserm Triumph offenbaren!

Alle ab.

Der hintere Vorhang geht auf, das Theater verändert sich in die Waldszene. Nacht ohne Mondschein. Um die Laube ist alles düster und stille. Die vier Fräulein kommen mit Fackeln: Pantomime und Tanz, worin sie Neugierde und Verdruß ausdrücken. Sie öffnen die Laube, leuchten starrend hinein und fahren zurück.

SORA. Was ist das? Mandandane!

LATO. Ein Gespenst oder Andrasons Gemahlin!

MELA. Eine Maske. Was steckt darunter?

Sie nähern sich wieder allmählich.

MANA. Wir wollen sie anrufen.

LATO. Heda, junge Dame!

SORA. Sie rührt sich nicht.

MELA. Ich dächte, wir blieben aus dem Spiele; ich fürchte, es steckt Zauberei dahinter.

SORA. Ich muß es doch näher besehn.

MANA. Nimm dich in acht! wenn's auffährt –

LATO. Sie wird dich nicht beißen.

MELA. Ich gehe meiner Wege.

SORA die es anrührt und zurückfährt. Ha!

MANA. Was gibt's?

MELA. Es ist wahrlich lebendig! Sollt es denn Mandandane selbst sein? Es ist nicht möglich!

LATO indem sie sich immer weiter entfernt. Wir müssen's doch heraus haben.

MELA. So redet es doch an!

SORA die sich furchtsam nähert. Wer du auch seist, seltsame, unbekannte Gestalt, rede! rühre dich! und gib uns Rechenschaft von deinem abenteuerlichen Hiersein!

MANA. Es will sich nicht rühren.

LATO. Geh eins hin und nehm ihr die Maske ab!

SORA. Ich will einen Anlauf nehmen! Kommt alle mit!

Sie halten sich aneinander, und es zerrt eine die andre nach sich bis zur Laube.

MANA. Wir wollen am Sessel ziehen, ob's leicht oder schwer ist.

Sie ziehen am Sessel und bringen ihn mit leichter Mühe bis ganz hervor ans Theater; sie gehen drum herum, machen allerlei Versuche, die Maske fällt

herunter, und sie tun einen allgemeinen Schrei.

MANA. Eine Puppe!

SORA. Eine ausgestopfte Nebenbuhlerin!

LATO. O ein schönes Gehirn!

SORA. Wenn sie ebenso ein Herz hat?

MANA. Die soll uns nicht umsonst vexiert haben! Auskleiden soll man sie und in den Garten stellen, die Vögel damit zu scheuchen.

LATO. So was ist mir in meinem Leben nicht vorgekommen.

MELA. Es ist doch ein schönes Kleid.

MANA. Man sollte schwören, es gehöre Mandandanen.

MELA. Ich begreife nicht, was der Prinz mit der Puppe will.

Sie versuchen an der Puppe verschiedenes, endlich bringen sie aus der Brust einen Sack hervor und erheben ein lautes Geschrei.

SORA. Was ist in dem Sack? Laßt sehn, was ist in dem Sack?

MANA. Häckerling ist drin, wie sich's anfühlen läßt.

SORA. Es ist doch zu schwer –

LATO. Es ist auch etwas Festes drin.

MELA. Bindet ihn auf; laßt sehn!

Andrason kommt.

ANDRASON. Ihr Kinder, wo seid ihr? Ich such euch überall ihr Kinder.

MANA. Du kommst eben zur gelegenen Zeit! Da sieh!

ANDRASON. Was Teufel ist das? meiner Frauen Kleider? meiner Frauen Gestalt?

MANA ihm den Sack zeigend. Mit Häckerling ausgestopft.

SORA. Sieh dich um! Das ist die Natur, worin der Prinz lebt, und das ist seine Geliebte.

ANDRASON auffahrend. Ihr großen Götter!

SORA. Mach nur den Sack auf!

ANDRASON aus tiefen Gedanken. Halt!

MANA. Was ist dir, Andrason?

ANDRASON. Mir ist, als wenn mir in dieser Finsternis ein Licht vom Himmel käme.

SORA. Du bist verzückt.

ANDRASON. Seht ihr nichts, ihr Mädchen? Begreift ihr nichts?

MANA. Ja, Ja! das Gespenst, das uns geängstet hat, ist begreiflich genug und der Sack, den ich in meinen Armen habe, dazu.

ANDRASON. Verehre die Götter!

SORA. Du machst mich mit deinem Ernst zu lachen.

ANDRASON. Seht ihr nicht die Hälfte des mir Glück weissagenden Orakels erfüllt? –

MANA. Daß wir nicht darauf gefallen sind!

ANDRASON. »Wenn wird ein greiflich Gespenst von schönen Händen entgeistert« –

SORA. Nichts kann klärer sein!

ANDRASON. »Und der leinene Sack seine Geweide gibt her«. Nun aufgemacht, ihr Kinder! Laßt uns vor allem sehn, was der enthält!

Sie binden ihn auf, und wie sie ihn umschütteln, fällt eine ganze Partie Bücher, mit Häckerling vermischt, heraus.

ANDRASON. Gebt acht, das werden Zauberbücher sein. Er hebt eins auf. Empfindsamkeiten!

MANA. O gebt's her!

Die andern haben indessen die übrigen Bücher aufgehoben.

ANDRASON. Was hast du? »Siegwart, eine Klostergeschichte, in drei Bänden.«

MANA. O das muß scharmant sein! Gib her, das muß ich lesen. – »Der gute Jüngling«!

LATO. Den müssen wir kennenlernen!

SORA. Da ist ja auch ein Kupfer dabei!

MELA. Das ist gut, da weiß man doch, wie er ausgesehen hat.

LATO. Er hat wohl recht traurig, recht interessant ausgesehn.

Es bleibt den Schauspielern überlassen, sich hier auf gute Art über ähnliche Schriften lustig zu machen.

ANDRASON. Eine schöne Gesellschaft unter einem Herzen!

MELA. Wie kommen die Bücher nur da herein?

ANDRASON. Laßt sehn! Ist das alles? Er wendet den Sack völlig um, es fallen noch einige Bücher und viel Häckerling heraus. Da kommt erst die Grundsuppe!

SORA. O laßt sehn!

ANDRASON. »Die neue Héloïse«! – weiter! – » Die Leiden des jungen Werthers«! – Armer Werther!