Johann Wolfgang von Goethe: Gesammelte Dramen

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OBERST. Fassen Sie sich!

NICHTE. Leben Sie wohl! Diese letzten tröstlichen Worte werden mir immer gegenwärtig bleiben. Zum Oberst. Ich sehe an Ihren Augen, daß ich scheiden soll. Möge Ihre Menschlichkeit belohnt werden!

Sie geht mit der Wache ab.

OBERST. Das arme Geschöpf dauert mich! Kommen Sie! Alles ist gut gegangen. Ihre Belohnung wird nicht ausbleiben.

RITTER. Sie mag sein, welche sie will, so fürstlich, als ich sie erwarten darf; ich werde nichts genießen können, denn ich habe nicht recht gehandelt. Mir bleibt nur ein Wunsch und eine Hoffnung, das gute Mädchen aufzurichten und sie sich selbst und der Welt wiederzugeben.

Der Triumph der Empfindsamkeit

Personen.

Andrason, ein humoristischer König

Mandandane, seine Gemahlin

Dieselbe noch einmal

Feria, seine Schwester, eine junge Witwe

Mana,

Sora,

Lato,

Mela, Hoffräulein der Feria

Oronaro, Prinz

Merkulo, sein Kavalier

Der Oberste seiner Leibwache

Leibwache

Mohren

Bediente

Askalaphus, Mandandanens Kammerdiener

Erster Akt

Saal, im guten Geschmacke dekoriert.

Mana und Sora begegnen einander.

MANA. Wo willst du hin, Sora?

SORA. In den Garten, Mana.

MANA. Hast du soviel Zeit? Wir erwarten den König jeden Augenblick; verliere dich nicht vom Schlosse.

SORA. Ich kann es unmöglich aushalten; ich bin den ganzen Tag noch nicht an die freie Luft gekommen.

MANA. Wo ist die Prinzessin?

SORA. In ihrem Zimmer. Sie probiert mit der kleinen Mela einen Tanz und läuft jeden Augenblick ans Fenster, zu sehen, ob der Bruder kommt.

MANA. Es ist eine rechte Not, seitdem die großen Herren auf das Inkognito gefallen sind. Man weiß gar nicht mehr, woran man ist. Sonst wurden sie monatelang voraus angekündigt, und wenn sie sich näherten, war alles in Bewegung; Kuriere sprengten herbei, man konnte sich schicken und richten. Jetzo, eh man sich's versieht, sind sie einem auf dem Nacken. Wahrhaftig, das letztemal hat er mich in der Nachtmütze überrascht.

SORA. Darum warst du heut so frühe fertig?

MANA. Ich finde keine Lust daran. – Wenn mir ein Fremder auf der Treppe begegnet, wird mir's immer bang; ich denke gleich, es ist wieder einmal ein König oder ein Kaiser, der seinen gnädigen Spaß mit uns zu treiben kommt.

SORA. Diesmal ist er nun gar zu Fuße. Andre lassen sich doch ins Gebirge zum Orakel in Sänften tragen, er nicht so; allein, mit einem tüchtigen Stabe in der Hand, trat er seine Reise an.

MANA. Schade, daß er nicht zu Theseus' Zeiten gelebt hat!

Feria tritt auf, mit ihr Mela.

FERIA. Seht ihr noch niemand? Wenn ihm nur kein Unglück begegnet ist!

SORA. Seid ruhig, meine Fürstin! Die Gefahren und der üble Humor scheinen sich beide vor ihm zu fürchten.

FERIA. Er will mich nur einen Augenblick sprechen und dann gleich wieder fort.

Lato tritt auf.

LATO. Der König kommt.

FERIA. Wohl! sehr wohl!

LATO. Ich sah hinüber in das Tal und erblickte ihn eben, als er über den Bach schritt.

FERIA. Laßt uns ihm entgegengehen.

SORA. Da ist er.

Andrason kommt.

FERIA. Sei uns willkommen! herzlich willkommen!

ALLE. Willkommen!

ANDRASON. Ich umarme dich, meine Schwester! Ich grüße euch, meine Kinder! Eure Freude macht mich glücklich, eure Liebe tröstet mich.

FERIA. Mein Bruder, bedarfst du noch Trostes? Hat das Orakel dir keinen gegeben? Möchtest du doch immer vergnügt sein! Möchte dir doch immer wohl sein! Wir waren, seit du uns ehegestern verließest, voller Hoffnung für dich und dein Anliegen.

MANA. Majestät! –

ANDRASON. Schönheit!

SORA. Herr!

ANDRASON. Gebieterin!

LATO. Wie soll man Euch denn nennen?

ANDRASON. Ihr wißt, daß ihr keine Umstände mit mir machen sollt.

MANA für sich. Nur damit er auch keine mit uns zu machen braucht.

LATO. Wir möchten von dem Orakel hören.

SORA. Hat das Orakel nichts Gutes gesagt?

MELA. Habt Ihr das Orakel nicht unsertwegen gefragt?

ANDRASON. Liebe Kinder, das Orakel ist eben ein Orakel.

LATO. Sonderbar!

ANDRASON. Daß ein zartes Herz, voller Gefühle, Hoffnungen und Ahnungen, das einer ungewissen Zukunft sehnsuchtsvoll entgegenlebt, nach Würfeln hascht, den Becher schüttelt, Wurf über Wurf versucht und in dem Glückstäfelchen sorgfältig forscht, was ihm die Würfe bedeuten, und dann fröhlich oder traurig einen halben Tag verlebt, das mag hingehn, mag recht gut sein.

LATO für sich. Woher er alles weiß? Damit habe ich mich erst heute beschäftigt.

ANDRASON. Daß ein schönes Kind Punkte über Punkte tüpfelt, nachschlägt und sucht, was ihr für ein Gatte werden möchte? ob der Liebhaber treu ist? und so weiter, das find ich wohlgetan.

MELA für sich. Er ist ein Hexenmeister! Wenn wir allein sind, wissen wir nichts Bessers.

ANDRASON. Aber wer ein positives Übel, Zahnweh oder Unfrieden, im Hause hat, der frage keinen Arzt und kein Orakel! Ihr Wissen und ihre Kunst fällt zu kurz; dies und jenes Mittelchen und vorzüglich Geduld ist, was sie euch empfehlen.

FERIA. Kannst du, darfst du uns sagen? Hat's dir eine Antwort gegeben? Darfst du sie entdecken?

ANDRASON. Ich will sie in vier Sprachen übersetzen und an allen Landstraßen aufhängen lassen, es weiß doch kein Mensch, was es soll.

FERIA. Wie?

ANDRASON. Da ich ankomme und eingeführt werde –

SORA. Wie sieht's im Tempel aus?

MANA. Ist der recht prächtig?

FERIA. Ruhe, ihr Mädchen!

ANDRASON. Wie mich die Priester zur heiligen Höhle bringen –

MELA. Die ist wohl schwarz und dunkel?

ANDRASON. Wie deine Augen. – Ich trete vor die Tiefe und sage klar und vernehmlich: »Geheimnisvolle Weisheit! hier tritt ein Mann auf, der sich bisher für den Glücklichsten hielt; denn es geht ihm nichts ab; alles, was die Götter einem Menschen Gutes zueignen können, schenkten sie mir, selbst das köstlichste aller Besitztümer versagten sie mir nicht: ein treffliches Weib. Aber – ach! daß Aber und Aber sich immer zu dem Danke gesellen, den wir den Göttern zu bringen haben! – Diese Frau, dieses Muster der Liebe und Treue, nimmt seit kurzem unglücklicherweise an einem Menschen teil, der sich ihr aufdringt und der mir verhaßt ist. Dir, hohe Weisheit, der alles bekannt ist, sag ich nichts weiter und bitte: enthülle mir mein Schicksal! gib mir Rat und, was mehr ist, Hülfe!« – Ich dächte, das hieße sich deutlich erklären?

LATO. Wir verstehn es wohl.

FERIA. Und die Antwort?

ANDRASON. Wer sagen könnte: ich verstehe sie!

SORA. Ich bin höchst neugierig – Haben wir doch manches Rätsel erraten!

MELA. Geschwinde!

ANDRASON. Ich steh und horche, und es fängt von unten auf an – erst leise – dann vernehmlich – dann vernehmlicher:

»Wenn wird ein greiflich Gespenst von schönen Händen entgeistert« –

ALLE. Oh!

ANDRASON. Gebt mir ein Licht. Das greifliche Gespenst soll entgeistert werden.

LATO. Von schönen Händen.

ANDRASON. Die fänden sich allenfalls. Ein greiflich Gespenst, das ist etwas aus der neuen Poesie, die mir immer unbegreiflich gewesen ist.

FERIA. Es ist arg.

ANDRASON. Wartet nur und merkt; es kommt noch besser:

»Wenn wird ein greiflich Gespenst von schönen Händen entgeistert

Und der leinene Sack seine Geweide verleiht« –

ALLE. Oh! oh! Ei! Oh! ah! ha! ha!

ANDRASON. Seht! Ein leinen Gespenst und ein greiflicher Sack und Eingeweide von schönen Händen! Nein, was zuviel ist, bleibt zuviel! Was so ein Orakel nicht alles sagen darf!

MANA. Wiederholt es uns!

ANDRASON. Nicht wahr, ihr hört gar zu gerne, was erhaben klingt, wenn ihr's gleich nicht versteht?

»Wenn wird ein greiflich Gespenst von schönen Händen entgeistert

Und der leinene Sack seine Geweide verleiht« –

Seid ihr nun klüger, meine Lieben? Nun aber merkt auf:

»Wird die geflickte Braut mit dem Verliebten vereinet:

Dann kommt Ruhe und Glück, Fragender, über dein Haus.«

SORA. Nein, das ist nicht möglich!

ANDRASON. O ja; die Götter haben sich diesmal sehr ihrer poetischen Freiheit bedient.

LATO. Habt Ihr es nicht aufgeschrieben?

ANDRASON. Freilich! Hier ist die Rolle, wie ich sie aus den Händen der Priester erhielt.

LATO. Laßt es uns lesen, vielleicht wird es uns klärer.

Andrason bringt eine Rolle aus dem Gürtel und wickelt sie auf. Die Frauenzimmer drängen sich wechselsweise zu, lesen, lachen und machen ihre Anmerkungen. Es kommt auf den guten Humor der Schauspielerinnen an, dieses munter und angenehm vorzustellen; deswegen ihnen überlassen bleibt; hier

zu extemporieren. Die Hauptabsicht dieser Wiederholung ist, daß das Publikum mit dem Orakelspruch recht bekannt werde.

FERIA. Das ist höchst sonderbar und unbegreiflich! Wie ist es dir weiter ergangen? Hast du nicht irgendeine Aufklärung gefunden?

ANDRASON. Nicht Aufklärung, aber Hoffnung. Verwundert über die unverschämte Dunkelheit der Antwort, aber nicht außer Fassung gebracht, trat ich aus der Höhle. Ich sah den ältesten Priester auf einem goldenen Sessel sitzen. Ich nahte mich ihm, und indem ich einige Edelsteine in seinen Schoß legte, rief ich aus: »O welche Fülle der Weisheit kommt uns von den Göttern! Wie erleuchtet werden wir, die wir auf dunkeln Wegen irren, durch ihre Offenbarungen! Aber nicht raten allein, helfen müssen die Unsterblichen. Der Jüngling, über den ich mich beklage, der mir das Leben verbittert, wird ehstens hier erscheinen, voll Zutrauens und Gehorsams. Möge die alles durchdringende Stimme der Götter ihn ergreifen, sein Herz fassen und ihm gebieten, nie wieder einen Fuß über meine Schwelle zu setzen! Mein Dank würde ohne Grenzen bleiben.« – Der Alte nickte mit dem Kopfe, sein weißer Bart bewegte sich murmelnd; ich ging mit wechselnder Hoffnung und Sorgen zurück und bin nun hier.

 

FERIA. Möge alles zum Besten ausschlagen! – Du verzeihst, Bruder; ich muß vor Tafel mit meinen Räten, die schon lange warten, noch einige Geschäfte abtun; ich lasse dir die Kinder; unterhalte dich mit meinem muntern Geschlechte.

ANDRASON. Ich danke dir, Schwester. Wenn ich dich missen soll, weiß ich nichts Bessers als diese freundlichen Augen.

FERIA. Bald seh ich dich wieder. Ab.

SORA. Sagt uns nun, Herr, was Ihr denkt.

ANDRASON. Von der geflickten Braut?

SORA. Ich meine, was Ihr tun wollt.

ANDRASON. Tun! als ob das Orakel nichts gesagt hätte; mit meinem Übel beladen wieder nach Hause gehn und nach meiner Frau sehen, die ich in wunderbaren Zuständen anzutreffen fürchte.

SORA. Was macht sie denn indessen?

ANDRASON. Sie geht im Mondscheine spazieren, schlummert an Wasserfällen und hält weitläufige Unterredungen mit den Nachtigallen. Denn seitdem der Prinz weg ist, einen Zug durch seine Provinzen und hiernächst zum Orakel zu tun, ist's nicht anders, als ob ihre Seele in einen langen Faden gezogen wäre, der bis zu ihm hinüberreichte. Eins noch, an dem sie großes Vergnügen findet, ist, daß sie Monodramen aufführt.

MANA. Was sind das für Dinge?

ANDRASON. Wenn ihr Griechisch könntet, würdet ihr gleich wissen, daß das ein Schauspiel heißt, wo nur eine Person spielt.

LATO. Mit wem spielt sie denn?

ANDRASON. Mit sich selbst, das versteht sich.

LATO. Pfui, das muß ein langweilig Spiel sein!

ANDRASON. Für den Zuschauer wohl. Denn eigentlich ist die Person nicht allein, sie spielt aber doch allein; denn es können noch mehr Personen dabeisein, Liebhaber, Kammerjungfern, Najaden, Oreaden, Hamadryaden, Ehemänner, Hofmeister; aber eigentlich spielt sie für sich, es bleibe ein Monodrama. Es ist eben eine von den neuesten Erfindungen; es läßt sich nichts darüber sagen. Solche Dinge finden großen Beifall.

SORA. Und das spielt sie ganz allein für sich?

ANDRASON. O ja! Oder, wenn etwa Dolch oder Gift zu bringen ist – denn es geht meistens etwas bunt her –, wenn eine schreckliche Stimme aus dem Felsen oder durchs Schlüsselloch zu rufen hat, solche wichtige Rollen nimmt der Prinz über sich, wenn er da ist, oder in seiner Abwesenheit ihr Kammerdiener, ein sehr alberner Bursche; aber das ist eins.

MELA. Wir wollen auch einmal so spielen.

ANDRASON. Laßt's doch gut sein und dankt Gott, daß es noch nicht bis zu euch gekommen ist! Wenn ihr spielen wollt, so spielt zu zweien wenigstens; das ist seit dem Paradiese her das üblichste und gescheiteste gewesen. Nun noch eins, meine Besten – daß wir die Zeit nicht mit fremden Dingen verplappern –, meine Hoffnung, wieder glücklich zu werden, ruht nicht allein bei den Göttern, sondern auch auf euch, ihr Mädchen.

SORA. Auf uns?

ANDRASON. Ja, auf euch! und ich hoffe, ihr werdet das Eure tun.

MANA. Wie soll das werden?

ANDRASON. Der Prinz, wenn er nach dem Orakel geht, wird hier vorbeikommen, euch seine Ehrerbietung zu bezeigen, wie Fremde gewöhnlich tun, die diesen Weg nehmen. Meine Schwester wird artig sein und ihm Quartier anbieten; ihm anbieten, daß sie seine Leute, sein Gepäcke beherbergen will, indes er sich ins Gebirge nach dem Orakel tragen läßt, wo jeder, er sei, wer er wolle, allein, ohne Gefolge anlangen muß. Wenn er nun kommt, meine Besten, so sucht sein Herz zu rühren. – Ihr seid liebenswürdig. Ich will die als eine Göttin verehren, die ihn an sich zieht und mich von ihm befreit.

SORA. Gut! Euch ist er unerträglich, und uns wollt Ihr ihn zuschieben! Wenn er uns nun auch unerträglich ist?

ANDRASON. Seid ruhig, Kinder! Das findet sich. Ihr andern liebt meistenteils an den Männern, was Männer an sich untereinander nicht leiden können. Und gewiß, er ist so übel nicht und wäre, denk ich, noch zu kurieren.

MELA. Wie sollen wir es denn anfangen?

ANDRASON. Bravo, liebes Kind! du zeigst doch guten Willen! Ich muß erst eure Anlagen ein wenig kennenlernen. Laßt sehn! Stellt euch vor, ich sei der Prinz; ich will ankommen, schmachtend und traurig tun – wie wollt ihr mich empfangen?

Sie beginnen einen lebhaften Tanz.

ANDRASON. Nicht doch, Kinder, nicht doch! Meint ihr, daß alles Wild nach einer Witterung geht? Mit einem solchen Bauerntanz wollt ihr meinen sublimierten Helden gewinnen? Nein! seht auf mich! das muß in einem andern Geiste traktiert werden.

Sanfte Musik.

Er macht ihnen die hergebrachten Bewegungen vor, womit die Schauspieler gewöhnlich die Empfindungen auszudrücken denken.

ANDRASON. Habt ihr wohl achtgegeben, Kinder? Erstlich, immer den Leib vorwärtsgebogen und mit den Knien geknickt, als wenn ihr kein Mark in den Knochen hättet! Hernach immer eine Hand an der Stirne und eine am Herzen, als wenn's euch in Stücken springen wollte; mitunter tief Atem geholt, und so weiter. Die Schnupftücher nicht vergessen!

Die Musik geht fort, und die Fräulein befolgen seine Vorschrift. Er stellt den Prinzen vor; bald korrigiert er sie, bald nimmt er die Person des Prinzen wieder an; endlich hört man eine Trompete in der Ferne.

ANDRASON. Aha!

LATO. Es wird aufgetragen.

ANDRASON. Es heißt zu Pferde und zu Tische! Beides eine schöne Einladung. Kommt! diese Empfindsamkeit zuletzt hat mich hungriger gemacht als meine Reisen bisher.

Zweiter Akt

Saal, in chinesischem Geschmacke, der Grund gelb mit bunten Figuren.

Mana und Sora.

MANA. Nun, das heiß ich ein Gepäcke! Der ganze Hof ist voll Kisten, Kasten, Mantelsäcke und ungeheurer Verschläge.

SORA läuft ans Fenster. Wir werden ihm den ganzen Flügel des Palastes geben müssen, nur seine Sachen unterzubringen.

MANA. Es ist abscheulich, wenn Mannspersonen reisen, als ob sie Wöchnerinnen wären. Über uns halten sie sich auf, daß, wenn wir doch auf vier Wochen ins Bad gehen, der Schachteln, Kästchen, Pappen und Wachstücher kein Ende werden will; und sich erlauben sie's!

SORA. Wie mehr Sachen, liebes Kind, die sie uns übelnehmen.

Ein Bedienter kommt.

BEDIENTER. Der Kavalier des Prinzen läßt sich melden.

MANA. Führt ihn herein.

Bedienter ab.

Sieh zu, es hat sich doch nichts an meinem Kopfputze verschoben?

SORA. Halt! – Die Locke hier – Er kommt.

Merkulo tritt herein.

MERKULO. Vollkommene Damen! Es sind nicht viel Augenblicke meines Lebens, worin ich mich so glücklich fühlte als in dem gegenwärtigen. Sonst werden wir armen Diener meistenteils bei verdrießlichen Angelegenheiten vorgeschoben, bei angenehmen Ereignissen stehen wir zurück; aber diesmal erhebt mich mein Prinz über sich selbst, indem er mich voraus in die Wohnung des Vergnügens und der Reize sendet.

MANA. Sie sind sehr gütig.

SORA. Und recht willkommen. Wir haben so viel Gutes von dem Prinzen gehört, daß wir vor Neugierde brennen, ihn zu sehen.

MERKULO. Mein Fürst ist glücklich, daß er schon in der Entfernung Ihre Aufmerksamkeit auf sich ziehen können; und wenn er, wie ich nicht anders hoffe, durch seine Gegenwart Ihre Gunst erhalten sollte, so kann er sich als den glücklichsten der Menschen preisen. Dürfte ich nicht indes Ihrer Prinzessin aufwarten, an die er mir eine Unzahl Verbindlichkeiten aufgetragen hat?

MANA. Sie werden ihr bald vorgestellt werden können. Sie hat uns befohlen, Ihnen diese und die anstoßenden Zimmer anzuweisen. Bedienen Sie sich davon, soviel und wie Sie's nötig finden.

MERKULO. Wollen Sie mir erlauben, daß ich unsere Gerätschaften, deren freilich nicht wenige sind, herein- und in Ordnung bringen lasse?

MANA. Nach Ihrer Bequemlichkeit.

Merkulo mit einer Verbeugung ab.

SORA. Wir wollen bleiben. Ich bin gar zu neugierig, was sie alles mitbringen.

Es läßt sich ein lebhafter Marsch hören, und es kommt ein Zug. Merkulo voraus, der Oberste, die Wache, sodann Trabanten, welche Kasten von verschiedener Größe tragen, vier Mohren, die eine Laube bringen, und Gefolge. Sie umgehen das Theater. Die Kasten werden auf beiden Seiten, die Laube in den Grund und ein großer Kasten auf die Laube gesetzt. Die stummen Personen gehn alle ab, der Marsch hört auf. Es bleiben Sora, Mana, Merkulo.

SORA. Wer sind denn die hübschen bewaffneten jungen Leute, und wer ist der Herr, der uns salutierte?

MERKULO. Das ist der Oberste über des Prinzen Kriegsvolk, und die andern sind junge Edelleute, militärische Edelknaben meines gnädigsten Herrn und lose Vögel.

MANA. Wir erstaunen, mein Herr! Sie führen Dekorationen mit sich! Wollen Sie etwa eine Komödie spielen? Vermutlich ist die Theatergarderobe in diesen Kasten?

MERKULO. Verzeihen Sie, meine Damen! – Eigentlich sollte ich den Finger auf den Mund legen und Sie mit guter Art bitten, diesen Saal, der von nun an ein Platz der Geheimnisse wird, zu verlassen; allein wie vermag ich das gegen Ihre Güte und gegen Ihre Reize! Nur vor unheiligen fremden Augen bewahren wir unsere heiligen Empfindungen, nicht vor so angenehmen Seelen, deren Teilnehmung wir wünschen.

SORA. Sagen Sie uns um 's Himmels willen, was soll die Laube?

MERKULO. An diesem Zug, meine schönen Kinder, können Sie einen großen Teil des Charakters meines liebenswürdigen Prinzen erkennen. Er, der empfindsamste Mann von allen Männern, der für die Schönheiten der Natur ein gefühlvolles Herz trägt, der Rang und Hoheit nicht so sehr schätzt als den zärtlichen Umgang mit der Natur –

SORA. Ach, das ist ein Mann für uns! Wir gehn auch gar zu gern im Mondschein spazieren und hören die Nachtigallen lieber als alles.

MERKULO. Da ist eins zu bedauern, meine vortrefflichen Damen! Mein Prinz ist von so zärtlichen, äußerst empfindsamen Nerven, daß er sich gar sehr vor der Luft und vor schnellen Abwechselungen der Tageszeiten hüten muß. Freilich, unter freiem Himmel kann man's nicht immer so temperiert haben, wie man wünscht. Die Feuchtigkeit des Morgen- und Abendtaues halten die Leibärzte für höchst schädlich, den Duft des Mooses und der Quellen bei heißen Sommertagen für nicht minder gefährlich! Die Ausdünstungen der Täler, wie leicht geben die einen Schnupfen! Und in den schönsten wärmsten Mondnächten sind die Mücken just am unerträglichsten. Hat man sich auf dem Rasen seinen Gedanken überlassen, gleich sind die Kleider voll Ameisen, und die zärtlichste Empfindung in einer Laube wird oft durch eine herabfahrende Spinne gestört. Der Prinz hat durch seine Akademien Preise ausgesetzt, um zu erfahren, ob diesen Beschwerden, zum Besten der zärtlichen Welt, nicht abgeholfen werden könne? Es sind auch verschiedene Abhandlungen gekrönt worden; die Sache aber ist bis jetzo noch um kein Haar weiter.

SORA. Oh, wenn je ein Mittel gegen die Mücken und Spinnen erfunden werden sollte, machen Sie es doch ja gemeinnützig! Denn wenn man oft in himmlischen Entzückungen aufgefahren ist, erinnert einen das leidige Geziefer, mit seinen Stacheln und krabbligen Füßen, gleich wieder an die Sterblichkeit.

MERKULO. Inzwischen, meine schönen Damen, hat der Prinz, der seinen Genuß weder verschoben noch unterbrochen haben will, den Entschluß gefaßt, durch tüchtige Künstler sich eine Welt in der Stube zu verschaffen. Sein Schloß ist daher auf die angenehmste Weise ausgeziert, seine Zimmer gleichen Lauben, seine Säle Wäldern, seine Kabinette Grotten, so schön und schöner als in der Natur; und dabei alle Bequemlichkeiten, die Stahlfedern und Ressorts nur geben können.

SORA. Das muß scharmant sein!

MERKULO. Und weil der Prinz so sehr dran gewöhnt ist, wie er denn in jedem Lustschloß seine Natur hat, so haben wir auch eine Reisenatur, die wir auf unsern Zügen überall mit herumführen. Unser Hof-Etat ist mit einem sehr geschickten Manne vermehrt worden, dem wir den Titel als Naturmeister, Directeur de la nature, gegeben haben. Er hat eine große Anzahl von Künstlern unter sich. Ein würdiger Schüler von ihm ist dieser Mann hier, der unsere Natur auf der Reise besorgt und den ich die Ehre habe, Ihnen in dieser Qualität zu präsentieren. Was uns allein noch abgeht, das sind die kühlen Lüftchen. Die Versuche davon sind immer noch unvollkommen; wir hoffen aber, aus Frankreich auch diesem Mangel nächstens abgeholfen zu sehen.

 

SORA. Um Vergebung, was ist in den Kasten da? Darf man's wissen?

MERKULO. Geheimnisse, meine schönen Fräulein, Geheimnisse! Aber Sie haben das Geheimnis gefunden, die Geheimnisse meines Herzens aufzulösen, so daß Ihnen eben weiter nichts verborgen bleibt. Hier führen wir die vorzüglichsten Glückseligkeiten empfindsamer Seelen bei uns. In diesem Kasten sind sprudelnde Quellen.

MANA. Oh!

MERKULO. Hier in diesem ist der Gesang, der lieblichste Gesang der Vögel verborgen.

MANA. Warum nicht gar?

MERKULO. Und hier in diesem größern ist Mondschein eingepackt.

SORA. Es ist nicht möglich! Lassen Sie's uns doch sehn.

MERKULO. Es steht nicht in meiner Gewalt. Der Prinz allein weiß diese Herrlichkeiten in Bewegung und Leben zu setzen. Er ganz allein darf sie fühlen; ich könnte Ihnen nur den groben Stoff sichtbar machen.

MANA. O wir müssen den Prinzen bitten, daß er uns die Maschinen einmal spielen läßt.

MERKULO. Um 's Himmels willen, lassen Sie sich nichts merken! Und besonders unter dem Titel von Spielen würde der Prinz seine Liebhabereien nicht erkennen. Jeder Mensch, meine schönen Fräulein, treibt seine Liebhabereien sehr ernsthaft, meistens ernsthafter als seine Geschäfte. Indessen halte ich für Schuldigkeit, Ihr Vergnügen, soviel an mir ist, zu befördern, und wollte Ihnen gern unsre Raritäten, wenngleich nur leblos, vorzeigen, wäre nur die Dekoration des Saales einigermaßen mit dieser eingeschloßnen Natur übereinstimmend.

MANA. So vollkommen muß man die Illusion nicht verlangen.

SORA. Dem ist leicht abzuhelfen. Wir haben ja die gewirkten Tapeten, die nichts als Wälder und Gegenden vorstellen.

MERKULO. Das wird allerliebst sein.

SORA. He!

Ein Bedienter kommt.

Sagt dem Hoftapezier, er soll die gewirkte Waldtapete gleich herunterlassen!

MERKULO. An mir soll's auch nicht fehlen.

Musik.

Er gibt ein Zeichen, und in dem Augenblicke, als sich die Szene in Wald verwandelt, verwandeln sich die Kasten in Rasenbänke, Felsen, Gebüsche und so

weiter; der Kasten über der Laube in Wolken. Der Dekorateur wird sorgen, daß das Ganze übereinstimmend und reizend sei und mit der verschwindenden Dekoration einen recht fühlbaren Kontrast mache.

MERKULO. Bravo! Bravo!

SORA. O wie schön!

Sie besehen alles auf das emsigste, solange die Musik fortdauert.

MANA. Die Dekoration ist allerliebst.

MERKULO. Um Vergebung, nicht Dekoration, sondern künstliche Natur nennen wir das; denn das Wort Natur, merken Sie wohl, muß überall dabeisein.

SORA. Scharmant! Allerliebst!

MERKULO. Da muß ich Sie noch ein Kunstwort lehren, mit dem weit zu reichen ist. »Scharmant! Allerliebst!«, das könnten Sie allenfalls auch von einer Florschürze, von einem Häubchen sagen. Nein, wenn Sie etwas erblicken, es sei, was es wolle, sehn Sie es steif an und rufen: »Ach, was das für einen Effekt auf mich macht!« – Es weiß zwar kein Mensch, was Sie eigentlich sagen wollen; denn Sonne, Mond, Fels und Wasser, Gestalten und Gesichter, Himmel und Erde und ein Stück Glanzleinewand, jedes macht seinen eignen Effekt; was für einen, das ist ein bißchen schwerer auszudrücken. Halten Sie sich aber nur ans Allgemeine: »Ach! was das für einen besondernEffekt auf mich macht!« – Jeder, der dabeisteht, sieht auch hin und stimmt in den besondern Effekt mit ein; und dann ist's ausgemacht – daß die Sache einen besondern Effekt tut.

MANA. Mit allem dem scheint mir Ihr Prinz Liebhaber vom Theater.

MERKULO. Sehr! sehr! Das Theater und unsere Natur sind freilich nahe miteinander verwandt. Dabei ist er ein trefflicher Schauspieler. Wenn Sie ihn bereden könnten, etwas vor Ihnen aufzuführen!

SORA. Haben Sie denn eine Truppe bei sich?

MERKULO. Das nicht! Wir sind aber alle eine Art von Komödianten. Und dann agiert der Prinz, wenn's dazu kommt, meistenteils allein.

SORA. Ach! davon haben wir schon gehört.

MERKULO. Ei! – Sehen Sie, meine Damen, das ist eine Erfindung oder vielmehr eine Wiederauffindung, die unsern erleuchteten Zeiten aufbehalten war. Denn in den alten Zeiten, schon auf dem römischen Theater, waren die Monodramen vorzüglich eingeführt. So lesen wir zum Exempel vom Nero –

MANA. Das war der böse Kaiser?

MERKULO. Es ist wahr, er taugte von Haus aus nichts, war aber drum doch ein exzellenter Schauspieler. Er spielte bloß Monodramen. Denn erstlich sagt Suetonius – Nun, das werden Sie alles in der trefflich gelehrten Schrift eines unserer Akademisten über diese Schauspielart lesen! Sie wird auf Befehl unsers Prinzen geschrieben und auf seine Kosten gedruckt. Wir führen aber auch die neusten Werke auf, wie man sie von der Messe kriegt: Monodramen zu zwei Personen, Duodramen zu dreien, und so weiter.

SORA. Wird denn auch drin gesungen?

MERKULO. Ei, gesungen und gesprochen! Eigentlich weder gesungen noch gesprochen. Es ist weder Melodie noch Gesang drin, deswegen es auch manchmal Melodram genannt wird.

SORA. Wie ist das?

MERKULO. Gelegentlich, meine Fräulein! Gelegentlich!

SORA. Nun, wir hoffen, der Prinz soll gut Freund mit uns werden. Wir hoffen, Sie sollen recht lange bei uns bleiben. Sie bleiben doch recht lange bei uns?

MERKULO. Gar zu gütig! – Ach! wer glauben könnte, daß so eine Einladung aus einem so schönen Herzen käme! Es ist aber leider eins der gewöhnlichen Hofkomplimente, womit man einen Fremden bewillkommt, nur um sich zu versichern, daß er bald wieder weggehen werde.

MANA. Warten Sie nur, wir haben dem Prinzen schon allerlei Scherze von unsrer Art zugedacht, die ihn gewiß unterhalten sollen.

MERKULO. Meine Fräulein, ich wünsche Ihnen Glück und uns allen! Möchten Sie sein Herz, sein zärtlich Herz, gewinnen und ihn durch Ihren Liebreiz aus der sanften Traurigkeit ziehen, in der er verschmachtet!

SORA. Ach! Wir haben auch zärtliche Herzen, das ist just recht unsre Sache.

MANA. Bringen Sie uns nicht auch neue Liedchen mit?

SORA. Ja, wir haben's in der Art, wenn wir eine hübsche Melodie finden, singen wir sie meist tot, daß sie kein Mensch mehr hören mag.

MANA. Kein Liedchen an den Mond?

MERKULO. Oh, deren haben wir verschiedene. Ich kann gleich mit einem aufwarten.

SORA. Tun Sie's ja!

MERKULO singt.

Du gedrechselte Laterne

Überleuchtest alle Sterne,

Und an deiner kühlen Schnuppe

Trägst du der Sonne mildesten Glanz.

SORA. O pfui! das ist gar nichts Empfindsames!

MERKULO. Schönes Kind, um 's Himmels willen, es ist aus dem Griechischen!

MANA. Es gefällt mir ganz und gar nicht.

MERKULO. Daran ist wohl die Melodie schuld, ich hab es immer gedacht. Das Lied an sich selbst ist gewiß vortrefflich; hören Sie nur!

Er singt's auf die Melodie: »Monseigneur, voyez nos larmes«, und die Fräulein fangen an mitzusingen.

BEDIENTE. Der Prinz kommt! Man eilt ihm entgegen!

Merkulo und die Fräulein gehn singend ab.

Dritter Akt

Wald, die Laube im Grunde wie zu Ende des vorigen Akts.

Die vier Fräulein führen den Prinzen unter einer sanften Musik herein. Merkulo folgt ihnen. Die Frauenzimmer bemühen sich in einem gefälligen Tanze um den nachdenklichen und in sich selbst versunkenen Ankömmling; er antwortet ihren Freundlichkeiten nur gezwungen. Da die Musik einen Augenblick pausiert, spricht.

MERKULO für sich. Das sind recht Homerische Sitten, wo die schönen Töchter des Hauses sich um die Fremden bemühen. Ich hätte wohl Lust, mich ins Bad zu setzen und mich abreiben zu lassen.

Die Musik geht fort; endlich, da die Fräulein ihre Bemühungen ganz vergeblich sehn, eilen sie verdrießlich davon, und es bleiben

Prinz und Merkulo.

PRINZ. Gesegnet seist du, liebe Einsamkeit! Wie erbärmlich habe ich mich seit dem Eintritt in dieses Haus zwingen müssen!

MERKULO. Das muß ich Eurer Durchlaucht bekennen, daß mir's manchmal unbegreiflich gewesen ist, wie Sie sich an einer wohlbesetzten Tafel und zwischen liebenswürdigen Frauen ennuyieren können?