Buchreihe:Respekt - Wirtschaft -

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Schuld sind immer andere

Tönnies stritt natürlich von Anfang an, in guter alter kapitalistischer Manier, alles ab und war an nichts schuld. Mit Schreiben an Spitzenpolitiker gelobte man Besserung und versprach, dass man alles tun würde, um die unfairen Werkverträge fair zu gestalten.

Wer weiß, was hinter geschlossenen Türen noch alles versucht und verhandelt wurde, um die Lage zu retten. Nicht um den Infizierten oder den Einwohnern der betroffenen Landkreise zu helfen, nein, alles wurde versucht, um das Unternehmen zu retten, denn es geht immerhin um ein Unternehmen mit über 6 Milliarden Umsatz. Da kann man schon ganz schön viel Geld verlieren, wenn die Auflagen für Arbeitsschutz und Sozialleistungen zu groß werden. Das ist doch nachvollziehbar.

Verstanden hatte es unter anderen der ehemalige SPD-Vorsitzende (2009–2017) Sigmar Gabriel. Clemens Tönnies, der Chef der Wurstfabrik, arbeitete mit ihm direkt zusammen.

Wie würde es dir gefallen, wenn für deine Belange der ehemalige Bundesminister eintritt? Er war der Minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (von November 2005 bis Oktober 2009), dann Bundesminister für Wirtschaft und Energie (von Dezember 2013 bis Januar 2017 ) und schließlich auch noch von Januar 2017 bis März 2018 Bundesminister des Auswärtigen.15

Ein Sozialdemokrat engagiert sich – Sigmar Gabriel

Der Sozialdemokrat Gabriel, dessen Partei sich traditionell um die Belange der Arbeiter kümmert, sah es als seine Aufgabe an, gegen ein fürstliches Honorar Herrn Tönnies zu beraten. Zufällig in der Zeit als die Coronakrise das Geschäftsmodell des Fleischbarons bedrohte.

Moralisch zumindest zweifelhaft. So sahen es auch Parteigenossen. „Ich hätte mir von Sigmar Gabriel mehr Zurückhaltung gewünscht“, sagt Thorsten Klute, SPD-Kreisvorsitzender in Gütersloh. „Für uns ist das eine richtig blöde Sache, wir kämpfen hier vor Ort seit Jahren gegen diesen Sumpf rund um die Werkverträge in der Fleischindustrie.“

Die Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sagten dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Für jeden aufrechten Sozialdemokraten ergibt sich dabei aus unseren Grundwerten, an wessen Seite man sich begibt und wo man besser Abstand hält.“16 Grundwerte sind so etwas wie ein Wertekompass.

In diesem Respektbuch geht es genau um einen solchen Wertekompass, der dabei helfen soll, richtige Entscheidungen zu treffen. Es hat etwas mit Moral, mit Anstand und vor allen Dingen mit dem Respekt vor anderen Menschen zu tun. Jemand, der den Respektkompass anwendet, kann nicht für Herrn Tönnies arbeiten, schon gar nicht, wenn er Sozialdemokrat ist.

Herr Gabriel, ein ehemaliger Staatsdiener, der als Sozialdemokrat für das Wohlergehen des Volks zuständig war, ist aber scheinbar ein weiteres Opfer des brutalen Raubtierkapitalismus geworden. Dieses Raubtier hat seine Fangzähne tief in das Hirn dieses Menschen getrieben und ihn völlig abheben lassen. Nur so ist zu erklären wie dieser moral- und respektfreie Mensch sich auch noch mit solchen arroganten und zynischen Worten für seine hoch vergütete Beratertätigkeit verteidigen kann: „Für normale Menschen sind 10.000 Euro viel Geld. Aber in der Branche ist das kein besonders hoher Betrag. Ich bin kein Politiker mehr.“

Wie viel muss man für 10.000 Euro arbeiten?

10.000 Euro im Monat für ein paar Tage Beratung hatte er vereinbart, dazu kam ein vierstelliger Tagessatz für Reisetage. Was wir nicht endgültig wissen ist, wie viele Tage oder Stunden er für diese 10.000 Euro pro Monat ableisten muss. Sind es 3 Tage im Monat oder nur einer? Viel mehr können es nicht sein, denn Herr Gabriel hat ja auch noch ein paar andere Jobs. Soziale Jobs sollte man eigentlich meinen.

Nichts könnte ferner von sozialen Jobs sein. Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister nahm am 20. Mai 2020 sein Mandat als Aufsichtsrat der Deutschen Bank an. Der Spiegel schreibt lakonisch „Ein Sozi aufseiten des Großkapitals?“ und erklärt weiter, „Als Mitglied des Integritätsausschusses im Aufsichtsrat soll nun Gabriel helfen, auszumisten. Dafür wird er ordentlich bezahlt: Die Grundvergütung für Aufsichtsräte bei der Deutschen Bank liegt laut Geschäftsbericht bei 100.000 Euro pro Jahr, hinzu kommen weitere 100.000 Euro für die Mitgliedschaft im Ausschuss. Ein Viertel des Gesamtgehalts wird in Aktien ausbezahlt.“

Ganz wie im Falle Tönnies ficht Gabriel die Höhe dieser Vergütung nicht an, ganz im Gegenteil. „Ob die Bezahlung als Aufsichtsrat der Deutschen Bank ,gut‘ ist, darüber kann man unterschiedlicher Meinung sein“, sagte er im Februar 2020 im SPIEGEL-Gespräch. Er habe ja auch das Angebot gehabt, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie zu werden, das er abgelehnt habe, weil er nicht Lobbyist habe werden wollen. Dort wäre das Gehalt um ein Vielfaches größer.“

Ich muss leider ablehnen

Mir tut er leid. Stelle dir einmal vor, du müsstest einen Job in der Automobilindustrie aus moralischen Gründen ablehnen? Ist das nicht schrecklich? Gut, dass er immerhin einen alternativen Vertrag bei dem ehrenwerten Unternehmen Tönnies, welches Menschen mit Respekt behandelt und sich dem Tierwohl verpflichtet fühlt, bekam und damit seine finanziellen Nachteile etwas kompensieren kann.

Diese 120.000 Euro im Jahr, zu denen scheinbar 200.000 Euro im Jahr von der Deutschen Bank kommen, sichern sein Überleben. Die Spesen, die jeweils dazu kommen und andere Nebentätigkeiten bilden den Grundstock, damit auch in Zukunft noch am Ende des Monats etwas Geld übrig bleibt.

So berichtet der Spiegel davon, dass er auch Mitglied des Aufsichtsrats von „Siemens Energie“ werde, dass er seit November 2019 für die US-Politikberatungsfirma „Eurasia Group“ arbeite und weitere ehrenamtliche Jobs ausübe, etwa als Kuratoriumsmitglied bei der „International Crisis Group“, einer Brüsseler Denkfabrik für Krisenbewältigung, oder als Vorsitzender und Nachfolger des CDU-Vorsitzkandidaten Friedrich Merz bei der „Atlantik-Brücke“, einem einflussreichen Verein zur Pflege der deutsch-amerikanischen Freundschaft.

Seinen mit 15.000 bis 30.000 Euro dotierten Job als exklusiver Autor bei den Zeitungen der Holtzbrink-Gruppe verlor er kurz vor seinem Engagement bei Tönnies. Er soll aber weiter Mitglied eines „Handelsblatt“-Expertenforums bleiben und Beiträge für den „Tagesspiegel“ verfassen.

Maximal 11.786 Euro Rente

Wenn er in Rente geht, hat er zudem erfreulicherweise einen Anspruch von bis zu 4.557 Euro pro Monat. Da er viele Jahre Regierungsmitglied war, steigt die Pension um weitere 392 Euro monatlich bis maximal 11.786 Euro. Eigentlich müsste er mit der Rente, wie alle Bundesbeamte, die schrittweise Anhebung auf 67 Jahre abwarten, doch ehemalige Bundesminister können unter Umständen schon mit 60 ihr Ruhegehalt in Anspruch nehmen.17

Wenn du nun bedauerst, die SPD gewählt zu haben, falls du einer von denen bist, die das getan haben, dann sei nicht allzu besorgt, denn die Politiker anderer Parteien verhalten sich nicht wirklich anders. Sie sind mal mehr oder mal weniger von der Gier nach Geld infiziert und richten ihren Kompass mal mehr oder mal weniger nach der Anziehung des maximalen Profits und Abzocke.

Aber verlassen wir nochmal kurz die Politik und wenden uns wieder Herrn Tönnies zu. Sein Unternehmen musste durch schwere See, denn er wurde doch tatsächlich angegriffen und gar mancher Bürger mochte ihn gar nicht mehr, weil er für solche Unannehmlichkeiten sorgte. Er wurde auch schnell zum Punchingball für lokale und Berliner Politiker. Aber als Mann des Kapitalismus scherte ihn das wenig und auch vielleicht sogar ohne offizielle Hilfe durch ehemalige Minister holte er zu einem weiteren Schlag aus.

Leute wie Clemens Tönnies sind nicht umsonst erfolgreich. Sie kennen oft keine Anstandsgrenzen, kennen sich aber dafür sehr gut mit den Regelwerken und Gesetzen in der Wirtschaft aus. Zudem beschäftigen sie spezialisierte Anwälte, die jedes Gesetz nach potenziellen Vorteilen für die Unternehmen ausleuchten und emotionslos nutzen. Immerhin steht es dem Unternehmen per Gesetz zu und warum sollte es nicht in Anspruch genommen werden, so argumentieren sowohl die Unternehmer und deren anwaltliche Sprachrohre in der Regel.

Anspruch auf Erstattung durch den Staat

Natürlich hatten die Experten bei Tönnies auch nach vorteilhaften Regelungen im Infektionsschutzgesetz gefahndet und waren fündig geworden. Wenn eine Betriebsunterbrechung aufgrund behördlicher Anordnung stattfinden musste, muss das Unternehmen die Gehälter und Löhne weiterzahlen, hat aber Anspruch auf Erstattung durch den Staat von rückwirkend bis zu einem Jahr. Solange brauchte die Firma Tönnies natürlich nicht. Schon Anfang Juli 2020 stellte die Firma Antrag auf Erstattung. Immerhin war der Betrieb von den Behörden geschlossen worden.

Das lag zwar an den Bedingungen, die die Firma Tönnies im Wesentlichen mitzuverantworten hatte, aber geschlossen, nach den gesetzlichen Regeln, hatten den Betrieb die Behörden. Und laut Infektionsschutzgesetz steht den Unternehmen dann eine Erstattung zu. Die halten sich einfach nur an die Gesetze. Dass der Infektionsausbruch mit einer erhöhten Produktion unter engen Bedingungen von der Firma zu verantworten sei, ließe sich laut Tönnies „nicht belegen“.18

„Arbeitnehmer haben das Recht auf Entschädigung für den Verdienstausfall, wenn sie aufgrund einer behördlichen Quarantäneanordnung nicht arbeiten können. Nicht abgedeckt ist dagegen eine Betriebsschließung“, sagt Markus Fischer, Sprecher des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe. „Wir müssen hier genau prüfen: Wann kam die Betriebsschließung, wann die Quarantäne?“

 

Sollten die rechtlichen Voraussetzungen für eine Entschädigung erfüllt sein, werden die Betriebe wohl das Geld bekommen, sofern sie darauf bestehen. Gesetz ist Gesetz.19

Und weil Gesetz Gesetz ist, ist die Äußerung von NRW-Gesundheitsminister Laumann, „Sie können sicher sein, dass die Behörden in Nordrhein-Westfalen freiwillig keinen Cent an Tönnies bezahlen werden“, allerhöchstens eine interessante persönliche Meinung des Ministers. Nobel, aber wirkungslos, denn die Turbokapitalisten wie Tönnies lassen sich sicher nicht von einem Landesminister ins Bockshorn jagen. Sie werden klagen und haben genügend Geld, um zu ihrem Recht zu kommen.

Wird wahrscheinlich wegen Geringfügigkeit eingestellt

Nun, mit dieser wohl gesetzlich verankerten Forderung hat Tönnies in einer Zeit, in der die Welt durch einen kleinen Virus in Angst und Schrecken versetzt wurde, vielleicht den kapitalistischen Bogen überspannt.

Auf Basis von rund 50 Strafanzeigen, die bei der zuständigen Staatsanwaltschaft eingingen, wird inzwischen gegen Herrn Tönnies ermittelt. Einer der Vorwürfe: fahrlässige Körperverletzung. Mit immerhin fünf Beamten ermittelt die Polizei in einer Ermittlungskommission mit dem Namen ,Carne (Fleisch)‘ nun gegen die Geschäftsleitung der Firma Tönnies.

Was dabei herauskommt, bleibt abzuwarten und es wird sicher sehr lange dauern, bis – so meine persönliche Vermutung – das Verfahren wegen Geringfügigkeit oder aus einem anderen lächerlichen Grund eingestellt wird. Aber so läuft das nun mal im Kapitalismuscasino. Wünschenswert wäre, wenn alle Richter so wie Roland Zickler im Cum-Ex-Betrugsfall urteilen würden: Es war kriminell von Anfang an.

Die verzerrte Fratze der Profitgier, des Gewinns und noch mehr Kohle um jeden Preis leuchtet also rund um das Wort Tönnies, wenn man genauer hinschaut. Aber nicht nur durch Ausbeutung der Arbeiter fallen Tönnies und Konsorten auf. Sie sind auch für einen respektlosen, perversen Umgang mit Tieren verantwortlich. Diese Tierwohlverbrecher behandeln Tiere, als ob es Rohstoffe sind.

Ich erlaube mir, sie als Tierwohlverbrecher zu bezeichnen, weil sie meiner Ansicht nach ganz klar gegen § 90a des Bürgerlichen GesetzBuchs Deutschland verstoßen. Dort heißt es eindeutig: „Tiere sind keine Sachen. Sie werden durch besondere Gesetze geschützt.“ Zu sehen und zu hören ist von diesen besonderen Gesetzen nichts.

Stattdessen aasen diese Tierwohlverbrecher lustig weiter und benutzen nicht nur die Tiere, die sie schlachten, sondern auch die Arbeitstiere Mensch munter weiter aus und gerieren sich als moderne Sklavenhalter. Alles unter der Aufsicht einer Regierung, die als Staatsziel den Schutz von Tieren und der Umwelt hat.

Darum geht es mir

In dieser Einleitung zum Thema hast du nun gelesen, wie ungleich Vermögen in Deutschland verteilt ist. Das ist eine Auswirkung des Systems, in dem wir leben. Die sogenannte „soziale Marktwirtschaft“, in der wir angeblich leben, ist bei weitem nicht so sozial, wie man annehmen könnte. Auch bei uns scheißt der Teufel immer auf die größten Haufen. Die Reichen werden immer reicher, die Armen ärmer.

50 % der Bevölkerung haben gar nichts. 10 % der Bevölkerung besitzen zwei Drittel von allem. Das geht, weil unsere Gesetze immer weiter den freien und ungezügelten Kapitalismus ermöglichen. Eine Regel nach der anderen wird abgebaut, immer mehr wird privatisiert und das große Kapital schafft es immer umfangreicher, die Politik zu beeinflussen.

Als gutes und aktuelles Beispiel ist der Tönnies-Fleischkonzern zu nennen, der nicht nur die Gesetze ausnutzt, was ihm auch zusteht, sondern auch mit den Leben seiner unterbezahlten Mitarbeiter, beziehungsweise Leiharbeiter, spielt, um den unstillbaren Durst nach Geld und Gewinnen zu stillen. Mit kaum nachvollziehbare Unmenschlichkeit und einer grandiosen Respektlosigkeit gegenüber Menschen und auch gegenüber dem Tierwohl, katapultiert sich Tönnies, sein Management und seine Investoren, an die Spitze der Besitzenden in Deutschland.

Weit weg von den unteren 50 %, die keine Change haben. Und die, die keine Chance haben, müssen hilflos mitansehen, wie ein ehemaliger Bundesminister sich als Erfüllungsgehilfe an den Konzern verdingt und der Meinung ist, dass 10.000 Euro im Monat, für ein paar Tage Beratung, nicht viel sind. #Pfui Teufel

Es geht um unser Wirtschaftssystem

In diesem Respektbuch geht es um unser Wirtschaftssystem. Es geht um dich und mich und warum die einen es schaffen und die anderen nicht. Es geht um die Politik, die es möglich macht. Es geht um Auswüchse des Turbokapitalismus, von denen du keine Ahnung hattest. Du wirst ungeheuerliche Dinge lesen und dich immer wieder fragen, ob das alles wahr ist, ob das alles wahr sein kann. Es ist wahr und du kannst alles, was ich hier schreibe, nachschlagen und selbst überprüfen.

Mit diesem Wissen wirst auch du ganz sicher meiner Meinung sein, dass wir einen neuen Wertekompass brauchen und dass wir diesen einsetzen und umsetzen müssen. Sonst wird es immer lustig so weitergehen und die Quote der Menschen, die nichts haben und die auch keine Chance haben, wird immer größer. Das ist nicht gut! Auch wenn du selbst über genug Geld und Vermögen verfügst und den freien Kapitalismus gut findest, musst du dir bewusst werden, dass zu viele ausgegrenzte Menschen, die Tag für Tag gefühlt ums Überleben kämpfen, nicht gut für unsere Gesellschaft sind.

Unzufriedene Menschen, Menschen, die schlecht bezahlt werden, die sich ausgenutzt und übervorteilt fühlen, fungierten schon einmal als Brandbeschleuniger in einem der verheerendsten Flächenbrände des 20. Jahrhunderts, dem Zweiten Weltkrieg mit über 60 Millionen Toten!

Die Nazis nutzten genau diese Unzufriedenheit, um den Zweiten Weltkrieg zu entfachen. Die Nazis schafften es den Menschen Hoffnung zu geben und so aufzuhetzen, dass 6 Millionen Menschenleben in den Konzentrationslagern von willfähigen Helfern auf Befehl sadistischer Psychos ausgelöscht wurden, 60 Millionen Menschen getötet wurden und eine ähnlich hoch geschätzte Zahl verletzt, verkrüppelt und kriegsversehrt wurden. Vom Hunger und dem psychischen Leid ganz zu schweigen.

Wir müssen uns neu orientieren

Wir stehen am Anfang eines solchen potenziellen Flächenbrands in Deutschland und generell in Europa, wo es heute schon rechten Populisten gelungen ist, die Parlamente zu betreten. Von hier aus sind es nur noch wenige Schritte bis sie die Parlamente erobern. Das ist eine der potenziellen Auswirkungen der Kluft zwischen denen, die immer mehr haben und denen, die nichts haben.

Am 29.08.2020 gelang es Neonazis auf den Stufen vor dem Eingang zum deutschen Parlament die deutsche Reichskriegsflagge zu schwenken. Einigen Dutzend rechtsradikaler Wirrköpfe war es gelungen die Absperrungen rund um den Bundestag zu durchdringen. Nur drei Polizeibeamte in Schutzausrüstung standen zwischen ihnen und dem Parlament. Es war zwar nur ein symbolischer ,Sieg‘ der Rechten, aber der größte Übergriff seit dem Zweiten Weltkrieg.

Das konnte geschehen, weil die Politik sich zu lange im warmen Wasser der Lobbyisten und in den Seen der Finanzkonzerne geaalt hatte und statt dafür zu sorgen, dass weniger Menschen abgehängt wurden, lieber mehr Geld für die Reichen druckte. Solange Menschen durch den Turbokapitalismus respektlos ausgebeutet werden und die Ungleichheit größer wird, solange werden die, die nicht ins Casino können, dem rechten Mob zugetrieben.

Studien aus den USA, die gleich nach der Wahl von 2020 erstellt wurden, kamen zu genau diesem Ergebnis.20 Sehr zur Verwunderung punktete Joe Biden nämlich nicht bei den Arbeitern, sondern die Intellektuellen, die Besserverdiener, die Unternehmer und die Vermögenden wählten ihn. Einen Sozialdemokraten!

Die „Abgehängten“, eigentlich die Zielgruppe der Sozialdemokraten, wählen mit großer Begeisterung den Polterer, den lügenden und Frauen verachtenden Donald Trump. Das ist ein lauter Warnschrei für unsere Demokratie. Ein fatales Zeichen, dass sich die Geschichte wiederholen könnte und die Menschen sich – wieder einmal – nach einem starken Mann sehen.

Wenn die Politik nicht endlich einen neuen Wertekompass zuhilfe nimmt, die Spaltung noch größer wird und die Natur noch mehr verbraucht wird, wird es wieder zum Brand des Reichstagsgebäudes kommen und menschenverachtende Arschlöcher werden die Macht übernehmen.

Die Finanzkapitalisten, diejenigen, die ursächlich dafür verantwortlich sind, werden das zu nutzen wissen und sich anbiedern, so wie sie es auch unter Hitler getan haben. Wenn Deutschland und möglicherweise Europa dann, nach einem weiteren verheerenden Krieg, wieder aufgebaut werden muss, wenn du und deine Familie nichts mehr zu essen haben und in Zelten hausen müssen, dann werden die gleichen Turbokapitalisten beim Aufbau wieder Geld verdienen, weil ihnen so etwas wie Respekt vor Menschen, dem Tierwohl und der Natur schlicht und einfach fehlt. Für sie gibt es nur einen Leitstern: Profit, koste es was es wolle!

Im nächsten Abschnitt geht es mehr in die Tiefe; um das, was täglich geschieht und so normal ist, dass es gar nicht mehr infrage gestellt wird. Du wirst von einigen Ungeheuerlichkeiten des kapitalistischen Wildwuchses erfahren. Aber obwohl ich hier scheinbar den Kapitalismus verdamme und als schlechtes System darstelle, will ich ausdrücklich drauf hinweisen, dass ich nur den ungezügelten, den Turbokapitalismus, den Casinokapitalimus und den Raubtierkapitalismus anprangere.

Kapitalismus mit Herz

Ich werbe ausdrücklich für einen Kapitalismus mit Herz, dem der Respekt vor Menschen, dem Respekt vor dem Tierwohl und der Respekt vor der Natur als höchstes Gut gilt. Alles, was in diesem Kapitalismus mit Herz geschieht, soll durch den Respektfilter beurteilt werden und dann erst als Gesetz verabschiedet werden. Dann klappt’s auch mit dem Kapitalismus.

In welchem Kapitalismus wollen wir leben?

Der Kapitalismus ist die beste Wirtschaftsform, die wir kennen. Sozialismus und Kommunismus sind Rohrkrepierer und führen zu Ungleichheit, Verarmung und Diktatur, trotz der intuitiv guten Idee.

Aber der von uns gelebte Raubtierkapitalismus führt zu dem gleichen Ergebnis und deshalb brauchen wir einen anderen Kapitalismus. Einen Kapitalismus mit Herz.

Kurt arbeitet bei einer Zeitarbeitsfirma. Diese verleiht ihn –also seine Arbeitsleistung – an eine Firma, die logistische Arbeiten erledigt. Natürlich gegen eine entsprechende Gebühr. Deren Auftraggeber ist eine IT-Firma. Diese Firma betreut unter anderen einen ganz großen Kunden: die Bundeswehr.

Der leider kürzlich verstorbene David Graeber lässt in seinem Buch „Bullshit Jobs“ Kurt zu Wort kommen: „Die Bundeswehr vergibt Aufträge an private Firmen, die die EDV betreuen sollen. Einer dieser Auftragnehmer, beauftragt dazu eine weitere Firma, diese Aufträge zu erledigen. Diese Firma, also der Unter-unter-Auftragnehmer, beauftragt seinerseits wieder eine Zeitarbeitsfirma, bei der ich beschäftigt bin.“21

Jetzt weißt du, wie es dazu kommt, dass Kurt sich um die EDV bei der Bundeswehr kümmert.

Im Lichte dessen kannst du gerne einmal darüber nachdenken, wie es kommen kann, dass der Spiegel folgende Überschrift wählte: „Verteidigungsministerium vergab rechtswidrig millionenschwere Verträge mit Beratern.“22 Der Spiegel Text beginnt so: „Auf Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) kommt eine unangenehme Affäre um die von ihr für viele Millionen Euro engagierten externen Unternehmensberater zu: Nach SPIEGEL-Informationen hat der Bundesrechnungshof (BRH) in einem Einzelfall aufgedeckt, dass das Verteidigungsministerium Aufträge für externe Unternehmensberater für das neu eingerichtete Cyber-Kommando regelwidrig vergeben hat. Konkret geht es zunächst um acht Millionen Euro.“