Untersuchung des Einflusses technologischer Innovationen auf Stoffströme am Beispiel von Vanadium für Redox-Flow-Batterien

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Das Salz-Röstverfahren ist insbesondere für die Gewinnung von Vanadium aus Schlacken der VTM-Verhüttung, direkt aus VTM-Erz oder aus VTM-Konzentrat, bis heute die am häufigsten angewendete Technik (vgl. (Bradbury 2002), (Gilligan und Nikoloski 2020), (Peng 2019)). Dabei wird entweder das V203-haltige Konzentrat oder die Schlacke unter Verwendung von Natriumchlorid, Natriumcarbonat sowie Natriumsulfat in einem Röstofen erhitzt. Das dabei unabhängig von den eingesetzten Natriumverbindungen entstehende Natriumvanadat wird im Anschluss gekühlt, und mit Wasser oder anderen sauren Reagenzien ausgelaugt. (Peng 2019), (Gilligan und Nikoloski 2020) Das Verfahren benötigt jedoch viel Energie und erzeugt zudem Umweltprobleme in Form von korrosiven Gasen wie Cl2, SO2 und HCl als auch metallhaltigen Abwässern und metallhaltigen Feststoffen zur Entsorgung. Ebenso können durch im Nebengestein enthaltenes Chrom im Röstprozess toxische Chromsalze entstehen, die mit ausgewaschen werden und ein substanzielles Entsorgungsproblem und eine hohe Umweltbelastung darstellen. (Li et al. 2017b) Als umweltfreundlichere Alternative kann eine Röstung mit Calciumverbindungen durchgeführt (vgl. (Zhang et al. 2019b)) oder auch gänzlich auf Zusätze für das Röstverfahren verzichtet werden (vgl. (Li et al. 2017b)).

Als Lösungsprozesse kommen die Methoden der sauren sowie alkalischen Laugung und der Wasserlaugung als hydrometallurgische Verfahren zum Einsatz. Der Feststoff muss dabei möglichst in feingemahlener Form vorliegen, um eine große Reaktionsoberfläche zu liefern und so ein effektives Laugen der gesuchten Komponente zu ermöglichen. (Rao 2006) Der hydrometallurgische Prozess der Laugung kommt in seinen unterschiedlichen Optionen sowohl bei der Behandlung von vanadiumhaltigen Primärrohstoffen wie Erzen als auch bei Sekundärrohstoffen wie gebrauchten Katalysatoren, Flugaschen oder sonstigen vanadiumhaltigen Reststoffen zum Einsatz. Ziel ist die Überführung der vanadiumhaltigen Komponenten in Lösung, aus der im Anschluss mittels Fällung oder Lösungsmittelextraktion eine Vanadiumverbindung isoliert und extrahiert werden kann. (Peng 2019) hat die industriell eingesetzten Verfahren zur Laugung von Vanadium in einem Review detailliert beschrieben.

Wasserlaugung (Water Leach Process)

Die Laugung mit Wasser ist das klassische Verfahren zur Laugung der mittels Salzröstung behandelten Vanadiumrohstoffe. Das wasserlöslische Natriumvanadat wird dabei durch den Einsatz von Wasser ausgewaschen.

Säurelaugung (Acid Leach Process)

Die Säurelaugung kommt insbesondere in Verbindung mit dem Calcium-Röstprozess von Vanadiumschlacken zum Einsatz, wird jedoch auch bei der Behandlung von Uranerzen, gebrauchten Katalysatoren, vanadiumhaltigen Reststoffen aus Verbrennungsprozessen und Flugaschen genutzt. Die vanadiumhaltigen Komponenten gehen bei diesem Prozess durch Einsatz von Schwefelsäure in Lösung.

Alkalilaugung (Alcaline Leach Process)

Die alkalische Laugung erlaubt ein selektives Laugen von Vanadium. Als Laugungsmedien kommen meist NaOH oder Na2CO3 zum Einsatz.

Ähnlich wie in der Aufbereitung von primären Erzen wird in vielen Fällen eine Kombination aus beiden Verfahrensschritten (Roast-Leach-Processing) eingesetzt. Welche Laugungsmethode angewendet wird, hängt unter anderem vom spezifischen Vanadiumgehalt des eingesetzten Feststoffes sowie den Begleitelementen ab. Neben dem direkten Auslaugen, welches auch unter Druck oder hoher Temperatur durchgeführt werden kann, ist in vielen Fällen das vorherige Rösten jedoch zwingend erforderlich um das Vanadium in lösliche Verbindungen zu überführen. (Zeng und Cheng 2009a)

Durch Zugabe von Ammoniumsulfat fällt Ammoniummetavanadat (AMV) aus, welches durch Kalzinierung in Vanadiumpentoxid überführt wird. Bei der Ausfällung entstehen schwermetallhaltige Abwässer, die in der Praxis meist mit Calciumhydroxid neutralisiert und in einen festen Abfall zur Deponierung überführt werden. (Liu et al. 2020b) beschreiben ein Verfahren zur Gewinnung von Vanadium und Magnesium aus dem Abwasserstrom um Dissipationseffekte zu verhindern. Im Labor konnten die Autoren 98,15 % der 1 g/ L Vanadium gewinnen und zu einem V2O5 mit einer Reinheit von 98,6 % aufbereiten. Das Verfahren ist jedoch noch nicht in der industriellen Praxis umgesetzt.

Das im Kalzinierungsschritt entstandene pulverförmige Vanadiumpentoxid wird im letzten Verarbeitungsschritt in einem Ofen aufgeschmolzen und zu Flakes mit einer Reinheit von rund 99 % V2O5 verarbeitet. Um noch reineres Vanadiumpentoxid zu erhalten, ist eine Laugung des Kalzinats mit anschließender Solventextraktion oder Ionenaustausch notwendig. (Goonan 2011), (Bradbury 2002) Das Vanadiumpentoxid wird zum Einsatz in der Metallindustrie im Anschluss durch unterschiedliche Reduktionsverfahren zu Ferrovanadium und diversen Vanadiumlegierungen, -carbiden, -carbonitriden oder -chemikalien weiterverarbeitet (Goonan 2011). Dabei werden hauptsächlich folgende Verfahren großindustriell eingesetzt.

Direkte Elektro-Silikothermische Reduktion

Für die Massenproduktion von Vanadium-Silizium-Eisenlegierungen eignet sich die Direkte Elektro-Silikothermische Reduktion von Vanadiumpentoxid in einem elektrischen Schmelzofen. Benötigte Rohstoffe sind hierbei aufgeschmolzenes V2O5, Ferrosilizium, Eisenkomponenten und Kalk. Vanadium-Silizium-Eisenlegierungen werden hauptsächlich zur Regulierung der Materialzusammensetzung in der Stahlindustrie verwendet. (Raja 2007)

Kohlenstoffreduktion

Vanadium ist ein carbidbildendes Element. Daher findet eine Kohlenstoffreduktion von Ausgangsmaterialien wie Vanadiumpentoxid lediglich bei der Produktion von kohlenstoffreichen Stählen statt. Außerdem werden Vanadiumcarbide und -carbonitride gebildet, die ebenfalls in der Stahl- und Werkzeugindustrie eingesetzt werden (Gupta 2002b). Das Verfahren eignet sich folglich nicht bei der Schmelze von kohlenstoffarmen Stählen, bei der Ferrovanadium üblicherweise zum Einsatz kommt. (Raja 2007)

Aluminothermische Reduktion

Die aluminothermische Reduktion wird auch als Goldschmidt-Prozess bezeichnet und dient unter anderem der Aufbereitung von V2O5 zu Ferrovanadium (Gupta 2002a). Vanadiumpentoxid wird mit Aluminium, Eisen, Kalk und Flussspat sowie einem Gemisch aus Natriumnitrat und Aluminiumpulver oder Bariumpentoxid und Aluminium-/Magnesiumpulver vermengt. Nach (Raja, 2007) sind FeV-Qualitäten bis zu 97 % V möglich. Verläuft die aluminothermische Reduktion ohne Eisen, können auch Vanadium-Aluminium-Legierungen gebildet werden, die z. B. in der Luft- und Raumfahrtindustrie genutzt werden. Bei der Elektro-Aluminothermischen Reduktion wird zwischen der einfachen und der direkten Methode unterschieden. Die direkte Reduktion wird in einem elektrischen Schmelzofen durchgeführt. Durch die Zugabe von Aluminium zu einer vanadiumhaltigen Schlacke werden Ferrolegierungen gebildet, die Vanadiumgehalte von 40 bis 50 % aufweisen. Die einfache aluminothermische Reduktion kann im Gegensatz zur direkten Aluminothermischen Reduktion auch unreinere, vanadiumführende Materialien verarbeiten (Goonan 2011).

Nachfolgend sind die grundlegenden Prozessschritte und deren Varianten zusammengefasst dargestellt.

Abbildung 6 Grundlegende Vanadiumverarbeitungsschritte, eigene Darstellung (Peng 2019) und (Gilligan und Nikoloski 2020)

(Peng 2019) benennt insbesondere die Auswirkung der in den Vanadiumrohstoffen vorliegenden Vanadiumverbindungen und Valenzen auf die Auslaugungseffizienz als zukünftiges Schlüsselthema. Die Aufbereitung der vanadiumhaltigen Zwischenprodukte aus den verschiedenen Röst- und Laugungsschritten werden in Zukunft insbesondere vor dem Hintergrund der benötigten hohen Reinheiten für die Batterieentwicklung verstärkt in den Fokus rücken müssen. Dazu ist beispielsweise die Membranelektrolyse zu nennen, die als ein effektiver Ansatz zur Abtrennung von Natrium und Vanadium in Natrium-Vanadat-Lösungen gilt. Damit wird der Einsatz von Ammoniak vermieden und zudem die Generierung höherer Produktreinheiten ermöglicht. (Pan et al. 2017) Ebenso gilt die Nutzung von Mikrowellen in Verbindung mit dem Röstprozess von VTM-Konzentraten sowie Schlacken als vielversprechender Ansatz zur Verbesserung der Vanadiumgewinnungsrate sowie der Verarbeitungszeit (Zhang et al. 2016a).

Ein Zukunftsthema der Prozessoptimierung der Vanadiumgewinnung sowohl aus sekundären als auch aus primären Vanadiumstoffströmen wird die Vereinfachung der Herstellung von hochreinen Vanadiumsalzen und Lösungen sein, die für die Elektrolytherstellung zur Verwendung in VRFB geeignet sind. (Gilligan und Nikoloski 2020) schlussfolgern, dass es im Hinblick auf die Herstellung von Vanadiumelektrolyt das hydro- und pyrometallurgische Ziel sein muss, eine möglichst reine Vanadiumlösung aus den jeweiligen Leachingverfahren zu erhalten. Favorisiert werden eine direkte Lösungsmittelextraktion, damit der herkömmliche Fällungs-/Kalzinierungsprozess überflüssig wird. Energieaufwand und die Umweltbelastung würden stark verringert. Auch eine bisher nicht existente direkte Prozesskette von Erz zu Elektrolyt würde die Produktionskosten und die Umweltbelastung von Vanadium-Redox-Flow-Batterien reduzieren, was den Weg für eine noch breitere Anwendung der Technologie ebnen würde. (Gilligan und Nikoloski 2020) So wird an der Nutzung von Abwässerströmen des Aufbereitungsprozesses gearbeitet, um Vanadium-Ionen zu gewinnen (Liu et al. 2020b). (Liu et al. 2020a) haben dazu ein Prozessschema skizziert, welches das vanadiumhaltige Abwasser der Natriumvanadatausfällung direkt zu Vanadiumsulfat aufbereitet, ohne den Weg über die Herstellung von Vanadiumpentoxid zu gehen. Aus 100 L Abwasser konnten so 1,67 L Elektrolytlösung mit einer Konzentration von ca. 1,5 M Vanadium erzeugen. Der Prozess ist jedoch nur im Labor dargestellt; Über die Funktion als Elektrolyt werden keine Angaben gemacht.

 

2.2.3 Anwendung

Vanadium wird zur Gruppe der Refraktärmetalle gezählt, die nach der International Union of Pure and Applied Chemistry (IUPAC) auch als Übergangsmetalle bezeichnet werden (Worrell und Reuter 2014). Diese Gruppe ist vor allem durch Eigenschaften wie hohe Dichte, große Warmfestigkeit, thermische Beständigkeit, hohe Zugfestigkeit sowie hohe Schmelz- und Siedepunkte definiert. Der Siedepunkt von V liegt bei 3.407 °C und der Schmelzpunkt bei 1.910 °C. Neben Vanadium gehören auch die Metalle Chrom, Niob, Wolfram, Tantal und Rhenium zu den Übergangsmetallen. Aufgrund der genannten Eigenschaften werden die Metalle überwiegend als Legierungselemente eingesetzt, um die Eigenschaften von Stahl zu beeinflussen. Vanadium kann daher den so genannten Stahlveredlern zugeordnet werden und wird insbesondere zur Herstellung von Stählen eingesetzt, die besonders verschleißfest sein müssen. Bereits ein geringer Anteil Vanadium im Stahl hat dabei signifikante Auswirkungen auf dessen Eigenschaften. Der Einsatz von Vanadium zur Legierung von Rohstahl verbessert durch Carbidbildung in der Stahlmatrix mit dem im Rohstahl enthaltenen Kohlenstoff zu V4C3 die Härte, Zugfestigkeit und den Widerstand gegen mechanische Einwirkung. Die werkstofflichen Eigenschaften, die durch das Legierungselement Vanadium erreicht werden, sind in der Standardliteratur detailliert beschrieben (vgl. (Baker 2016), (Baker 2013), (Lagneborg et al. 1999), (Hutchinson et al. 2014)). Die erste großtechnische industrielle Vanadiumnutzung wird 1903 in England in der Stahlindustrie beschrieben; Henry Ford setzte in den USA ab 1905 mit Vanadium legierten Stahl in der Serienproduktion der Automobilfertigung ein. (Bauer et al. 2012), (Sicius 2016)

Da Vanadium meist in sehr geringen Anteilen in Legierungen eingesetzt wird und die spezifischen Eigenschaften als Refraktärmetall einen Recyclingprozess einzelner Komponenten erschweren, erfolgt ein Recycling fast ausschließlich durch die direkte Zugabe der legierten Schrotte in den Schmelzprozess neuer legierter Stähle. Es wird also in der Regel keine spezielle Recyclingtechnologie zur Rückgewinnung der einzelnen Legierungskomponenten angewendet (Martens und Goldmann 2016). Elementar für dieses direkte Recycling sind allerdings eine getrennte Erfassung und Sortierung der Schrotte, um die Gehalte der einzelnen Metalle in den neu produzierten Legierungen kontrollieren zu können.

Die Endanwendungen von Vanadium sind über die vergangenen Jahrzehnte konstant. Betrachtet man die Angaben aus der aktuellen Literatur wie (Buchholz und Foya 2017), (Deloitte Sustainability 2017), (Guthrie 2020) im Vergleich zu den Angaben von (Moskalyk und Alfantazi 2003), so haben sich in den Anwendungen keine relevanten Änderungen ergeben. Neben der Hauptendanwendung im Bereich der Eisenlegierungen wird das Element auch in Nichteisen-Legierungen wie Titan-Aluminiumlegierungen genutzt. Im Bereich der Eisenlegierungen wird Vanadium zur Herstellung unterschiedlichster Stahlgüteklassen und Stahlsorten benötigt, die wiederum für spezifische Anwendungsgebiete vorgesehen sind. Die Einsatzgebiete der vanadiumhaltigen Stähle unterscheiden sich je nach Land (vgl. (Tian et al. 2015)). So wird FeV in nahezu allen Stahlsorten eingesetzt, wobei sich die Gesamtmenge des genutzten FeV global gesehen auf die vier Hauptkategorien der mikro- und niedriglegierten Stähle, Werkzeugstähle, der hochfesten Schnellarbeitsstähle (engl. HSLA – High Strength Low Alloy) und der unlegierten Stähle (engl. AHSS - Advanced High Strength Steel) aufteilt (Eric 2014), (Tian et al. 2015). Die Anwendungen sind daher in den verschiedensten Industriebereichen etabliert und reichen über den Einsatz für Pipeline- und Automobilbau bis hin zu vielseitigen Anwendungen in der Bau- und Maschinenbauindustrie sowie der Energiewirtschaft.

Im Bereich der Nicht-Eisenlegierungen wird Vanadium hauptsächlich im Flugzeugbau sowohl für tragende Teile der Kabine als auch in Turbinenblättern von Flugzeugtriebwerken eingesetzt. Der dritte wesentliche Anwendungsbereich liegt in der chemischen Industrie zur Verwendung als Katalysatormaterial für unterschiedliche Verfahren. In den aktuellen Veröffentlichungen wird jedoch die Verwendung von Vanadium im Batteriespeichersegment in Form von Vanadium-Elektrolyt als vierte Endanwendung explizit genannt. Zur Einordnung und zum Vergleich der Anteile der einzelnen Endanwendungen ist darauf hinzuweisen, dass diese zumeist auf kommerziellen privatwirtschaftlichen Marktanalysen und nicht auf unabhängigen Behördendaten statistischer Ämter beruhen. Der Endanwendung der Vanadium-Redox-Flow-Batteriespeicher werden in den belastbarsten Literaturangaben 1 % (vgl. (Deloitte Sustainability 2017), (Buchholz und Foya 2017), (Guthrie 2020), (Guthrie 2019)) des globalen Vanadiumverbrauchs zugewiesen. Geringe Schwankungsbreiten sowie eine unter Umständen nicht einheitliche Datenbasis ist zu berücksichtigen. Die Verteilung der Vanadiummenge auf die aktuellen Endanwendungen sowie die detaillierte Ansicht verschiedener Stähle am Anteil der Eisenliegerungen sind in nachfolgender Abbildung dargestellt.

Abbildung 7 Vanadiumanwendungen und Aufteilung nach Eisenliegerungen, eigene Darstellung Anwendungen nach (Guthrie 2020) und Eisenlegierungen nach (Buchholz und Foya 2017)

Die identifizierten industriellen Vanadiumstoffströme werden in Kapitel 4 eingehend vor dem Hintergrund der Aufstellung eines Stoffstrommodells und dem Hintergrund der Vanadium-Redox-Flow-Technik analysiert. Aufgrund der Relevanz insbesondere für die Stahlindustrie und der dargestellten Lagerstättensituation muss die Frage beantwortet werden, inwieweit Vanadium als kritischer Rohstoff einzuordnen ist. Die für Vanadium durchgeführten Kritikalitätsstudien werden im folgenden Kapitel näher betrachtet und vor dem Hintergrund der Fragestellung der vorliegenden Dissertation diskutiert.

2.2.4 Vanadium als kritischer Rohstoff

In (Hayes und McCullough 2018) wird dargestellt, dass Vanadium bisher in 24 Kritikalitätsanalysen untersucht und in 11 Studien als kritisch bewertet wurde. Auffällig ist, dass seit 2015 sechs der 11 Einstufungen erfolgten und das Element in der jüngeren Vergangenheit häufiger als kritischer Rohstoff auf Basis wissenschaftlicher Daten definiert wurde. Zuletzt haben (Fortier et al. 2018) sowie (McCullough und Nassar 2017) und (Kelley et al. 2017) Vanadium für die USA als Element mit hoher Kritikalität eingestuft. Vanadium gehörte in der 2010 sowie der 2014 veröffentlichten Studie der EU nicht zu den kritischen Rohstoffen, wurde jedoch 2017 in die Liste der mittlerweile 27 kritischen Rohstoffe aufgenommen. Die EU beschafft primär Vanadium aus Russland (60 %), aus China und Südafrika stammen 11 bzw. 10 %. Die Abhängigkeit von nur drei Ländern ist ein wesentlicher Grund für die Aufnahme des Elements in die Liste der kritischen Rohstoffe (Mathieux et al. 2017). Die hohe Länderkonzentration der Förderung und die starke Abhängigkeit der Stahlindustrie sind die Hauptgründe der Kategorisierung von Vanadium als kritischer Rohstoff. Aus deutscher Sicht ordnen (Bastian et al. 2019) das Element in die höchste der drei Risikokategorien ein. Nachfolgende Abbildungen zeigen die Lage von Vanadium in der Darstellung der Länderkonzentration der Bergwerksförderung und dem gewichteten Länderrisiko.

Abbildung 8 Länderkonzentration und Marktvolumen der Bergwerksförderung 2016, eigene Darstellung nach (Bastian et al. 2019)

Abbildung 9 Länderkonzentration und gewichtetes Länderrisiko der Bergwerksförderung 2016, eigene Darstellung nach (Bastian et al. 2019)

China, Japan, Australien und Südkorea haben das Element bereits 2014 auf die Liste der kritischen Rohstoffe für die nationalen Volkswirtschaften gesetzt (European Comission 2014). Japan bewertet Vanadium dabei als eins von neun Elementen als essenziell für seine Stahlindustrie (vgl. (Takahashi et al. 2010)) und bewahrt seit 1983 eine strategische Reserve von 60 Tagesverbräuchen der Binnenwirtschaft. Weiterhin fordert die Regierung von Unternehmen unverbindlich ein, eigene Lagerbestände in Höhe von 18 Tagesverbräuchen zu unterhalten. (National Research Council 2008a). Dass Kritikalitätsbetrachtungen dynamische Momentaufnahmen darstellen, verdeutlicht, dass unabhängig von den strategischen Reserven Vanadium 2015 von der Liste der kritischen Metalle gestrichen wurde (vgl. (Hatayama und Tahara 2015)). Auch in den USA wurde Vanadium bereits 1992 als kritisch für die Wirtschaft betrachtet (Goldberg et al. 1992). Im Jahr 2008 hat das National Research Council of the National Academies eine Kritikalitätsanalyse für den Bezugsraum der USA für 11 Rohstoffe durchgeführt. Vanadium war einer der vorausgewählten Rohstoffe. Es wurde ein mittleres Versorgungsrisiko für Vanadium in allen Anwendungsfällen definiert und darauf hingewiesen, dass ein schnelles Nachfragewachstum für neue Anwendungsmöglichkeiten bei einem relativ kleinen Markt des Vanadiums das Risiko von Versorgungsengpässen erhöht. Eine Steigerung der Produktion ist in den USA nicht in kurzen Zeiträumen möglich. (National Research Council 2008b)

Vanadium wird in einer Studie von (Erdmann et al. 2011) für die deutsche Wirtschaft als Rohstoff mit mittlerer Kritikalität definiert. Sowohl Versorgungsrisiko als auch Vulnerabilität der Wirtschaft werden als moderat eingestuft. Der Rohstoff Vanadium ist zudem bereits als kritischer Rohstoff, spezifisch für die Energiewende identifiziert worden (vgl. (Moss et al. 2013)). Dabei jedoch ohne Berücksichtigung der Anwendung in Batteriespeichern, sondern vor dem Hintergrund seiner Eigenschaft als wichtiges Legierungselement im Stahl. (Viebahn et al. 2015) identifizieren Vanadium darüber als kritisches Material für die praktische Implementierung der Redox-Flow-Batteriespeichertechnologie (RFB) in das Elektrizitätssystem und beschreiben die hohe konkurrierende Nachfrage aus der Stahlindustrie als Risikofaktor. Im Hinblick auf großflächige Stromspeichermöglichkeiten ist die Rohstoffversorgung für vanadiumbasierte RFB im Kontext der deutschen Energiewende laut (Viebahn et al. 2015) als kritisch anzusehen, da der benötigte Materialbedarf allein für Deutschland die globale Jahresfördermenge übersteigt. Allerdings ist in der Studie angenommen, dass die gesamte prognostizierte Energiespeicherkapazität in Form von VRFB umgesetzt erfolgt. Diese Annahme ist unrealistisch.

Auf Grundlage der aktuell verfügbaren und beschriebenen Studienlage, wird auf eine separate Berechnung der Kritikalität des Stoffs Vanadium in der vorliegenden Dissertationsschrift verzichtet und auf die einschlägige Literatur dazu verwiesen. Die Kritikalitätsanalysen belegen, dass Vanadium möglichst effizient genutzt werden sollte, um die Versorgungsabhängigkeiten zu minimieren und mögliche innovationsbedingte Nachfrageerhöhungen abzufangen. Grund für die Bewertung von Vanadium als kritischer Rohstoff sind insbesondere die Gewinnung als Co-Produkt und damit die Abhängigkeit von weiteren Märkten, die hohe Konzentration der Lagerstätten in wenigen Ländern sowie die Förderung und Produktion, die im Wesentlichen durch drei Länder dominiert wird. Der Vanadiumverbrauch, dessen zukünftige Entwicklung sowie der Auf- und Ausbau von Produktionskapazitäten wird heute vor allem durch den Einsatz in der Stahlindustrie dominiert. Insbesondere die chinesische Stahlindustrie steht dabei als größter Stahlproduzent im Fokus.

Auch wenn Stahlqualitäten genormt sind und die Schwerpunkte der Stahlproduktion in den einzelnen Ländern unterschiedlich sind, existieren nationale Unterschiede in den produzierten und verbauten Qualitäten und in landesspezifischen Standards, etwa im Bereich der einfachen Bewehrungsstähle. (Madias et al. 2017) geben einen Überblick zu den Normen und dem Themenfeld der unterschiedlichen Stahlqualitäten. China hat mit Wirkung vom 1. November 2018 eine neue Norm (GB/T 1499.2.2018) für hochfeste, niedrig legierte (HSLA) Bewehrungsstähle eingeführt, für die mehr Vanadium pro produzierter Stahlmenge benötigt wird. Die Richtlinie soll die Verwendung von minderwertigen Bewehrungsstählen einschränken und ist unter anderem eine Reaktion auf die Folgen der Erdbeben in Sichuan 2008. Die Norm legt die Güteklassen fest, nach der chinesische Stahlunternehmen in Zukunft produzieren müssen. Die alte Güteklasse 2 (335 MPa Zugfestigkeit) wird eingestellt und durch HSLA-Stähle der Güteklassen 3 (400 MPa), 4 (500 MPa) und 5 (600 MPa) ersetzt. Für metallurgische Detailinformationen zu den Güteklassen wird auf (Patel 2018) verwiesen. Obwohl keine spezifischen Anforderungen an den Vanadiumgehalt gestellt wurden, erfordern höhere Zugfestigkeiten eine höhere Vanadium-Intensität. (Wong und Hackney 2019) gehen davon aus, dass sich der Vanadiumgehalt pro Tonne von in China produziertem HSLA-Stahl von 51 g/t im Jahr 2019 auf 62 g/t erhöhen wird. Ähnliche Angaben machen (Perles 2013) und (TMT 2019) und beschreiben dies als Treiber der Vanadiumnachfrage. Nachfolgend ist die Intensität der Vanadiumnutzung in der Gesamtstahlproduktion ausgewählter Länder dargestellt.

 

Abbildung 10 Vanadiumintensität in der Gesamtstahlproduktion, eigene Darstellung nach (Perles 2014), (Perles 2018) und (TMT 2020)

Veränderte Stahlproduktionsvolumina sowie Änderungen in den spezifischen Vanadiumverbrauchsraten sind somit die wichtigsten Einflussvariablen. (Perles 2018) und (TMT 2019) gehen bis 2025 von einer globalen Vanadiumnachfrage von 133.200 t/ a aus und prognostizieren die zu diesem Zeitpunkt verfügbare Produktionskapazität auf 111.900 t V/a respektive 107.000 t V/a, woraus ein Defizit zwischen 23.100 und rund 26.000 t V/a resultieren würde. Darin sind mögliche Nachfrageschübe durch Batteriespeicheranwendungen noch nicht enthalten. Die Analysten (Wong und Hackney 2019) geben für 2025 hingegen eine Prognose von 125.000 t V/a für die Vanadiumproduktion und einen Bedarf von 120.000 t V/a an. Auch hier sind die Entwicklungen für Batteriespeicher nicht berücksichtigt. Bei optimistischer Entwicklung der Technologie wird davon ausgegangen, dass bis 2025 6.000 t V/a zusätzlich durch VRFB benötigt werden.

Um das Defizit auszugleichen, wird der Ausbau der Bergbauproduktionskapazitäten prognostiziert. Die Verfügbarkeit und der Preis chinesischer Exporte werden in den nächsten Jahren ein wichtiger Faktor für die internationale Vanadium-Marktlage und die Entwicklung vanadiumbasierter Technologien und Produkte sein. Zu dieser Produktionssteigerung sind jedoch außerhalb Chinas kurz- bis mittelfristig nur vier Projekte in der Lage. Diese sind zum einen der Ausbau der Förderung aus der brasilianischen Maracas Mine, der Ausbau der südafrikanischen Vametco- und Vanchem-Produktion im Bushveld-Komplex sowie die Inbetriebnahme der australischen Windimurra Mine. Insgesamt wird der zusätzliche Beitrag durch den Ausbau der Primärförderung auf 12.000 t Vanadium pro Jahr geschätzt. (Perles 2019)

Vor dem dargestellten Hintergründen der Primärförderung und Kritikalitätsdimensionen können auch die Recyclingindikatoren zur Bewertung der Kritikalität betrachtet werden. Um anthropogene Stoffströme und deren Entwicklung zu bewerten, existieren Indikatoren, die bestimmte Aspekte komplexer Systeme erfassen. Im Bereich der Metallstoffströme sind insbesondere Recyclingindikatoren ein etabliertes Mittel zur Bewertung (vgl. (Graedel et al. 2011b)). Sie leiten sich aus dem generischen Modell der anthropogenen Metallstoffströme ab.

Abbildung 11 Anthropogener Metallkreislauf, eigene Darstellung nach (Espinoza und Soulier 2017), (Graedel et al. 2011b)

Aus ihnen werden sowohl Ziele abgleitet als auch nachhaltigkeitsbezogene Vorschriften (Espinoza und Soulier 2017). Im Fall von Vanadium existieren in der Literatur jeweils eine Angabe zu einem outpubasierten und einem inputbasierten Indikator. Der outputbasierte Indikator der End-of-Life (EoL)-Recyclingrate (EoL-RR) gibt das Verhältnis aus zurückgewonnenem Vanadium aus EoL-Produkten im Vergleich zu der insgesamt anfallenden EoL-Menge an. Der Indikator betrachtet die Perspektive der Metallproduktion indem er den Metallanteil in EoL-Produkten angibt, der gesammelt, vorbehandelt und schließlich wieder in den anthropogenen Kreislauf zurückgeführt wird:


Der Indikator liefert Informationen über die Leistung der Sammlung und des Recyclings zur Rückgewinnung von Materialien am Ende ihrer Lebensdauer. Metallurgische Verluste, die nach der Vorbehandlung entstehen sind in der Regel gering, sodass sie in diesem Indikator vernachlässigt werden. (vgl. (Espinoza und Soulier 2017), (Mathieux et al. 2017), (Graedel et al. 2011a)). Die globale EoL-RR für Vanadium beträgt nach (Graedel et al. 2011a) <1 %. Dies liegt im Wesentlichen daran, dass Vanadium in der Mehrzahl der Stahlschrotte zu gering konzentriert ist und daher zum Großteil einem nicht-funktionalen Recycling unterliegt, in dem die spezifische Funktion des Metalls nicht oder nur teilweise benötigt wird. Eisen dagegen wird praktisch immer funktionell recycelt. Die Entscheidung für ein funktionales Recycling von Legierungselementen wie Vanadium hängt oft von der Stahlsorte und der Art des zu produzierenden Endproduktes ab. Dabei sind große regionale Unterschiede zu beachten, die Auswirkungen auf die Recyclingeffizienz und dem damit verbundenen Schrottaufkommen haben. (Graedel und Reck 2012), (Reck 2014) Damit werden die Schrotte mit den geringen Vanadiumgehalten zwar stofflich recycelt, aber nicht aufgrund des Vanadiumgehalts. Es ist davon auszugehen, dass die Menge an Vanadium in den Berechnungen dem nicht-funktionalen Recycling zugeordnet wurden.

Betrachtet man den inputbasierten Indikator der Recycling-Input-Rate, der auch als EoL (EoL-RIR) bezeichnet wird, wird die Menge des recycelten Materials als Beitrag zum gesamten Input des Elements in ein Wirtschaftsystem ausgewiesen. Er charakterisiert den Anteil von recyceltem EoL-Material an der gesamten Metallproduktion. Wenn man die metallurgischen Verluste vernachlässigt, entspricht dies ungefähr dem Anteil des EoL-Materials an der verwendeten Gesamtmetallmenge. Für Vanadium betrug die EoL-RIR für Europa im Jahr 2016 nach (Mathieux et al. 2017) 44 %:


Entsprechend besteht auch Potenzial zur Steigerung der Ressourceneffizienz, um die steigende anthropogene Nachfrage zu decken und die Resilienz des Stoffsystems gegenüber innovationsbedingten Schwankungen zu erhöhen. (Watt et al. 2018) warnen auch vor dem Hintergrund der geringen Recyclingquoten vor wieder auftauchenden Umwelt- und Gesundheitsrisiken im Zuge steigender Verwendung von Vanadium in industriellen Anwendungen und entsprechenden Akkumulationen in Abfallströmen. Laut (Watt et al. 2018) muss der globale Lebenszyklus von Vanadium umfassend abgebildet werden. Die Erkenntnisse sollten genutzt werden, um prioritäre Maßnahmen zu identifizieren, durch die eine nachhaltigere V-Nutzung erreicht werden kann.