Untersuchung des Einflusses technologischer Innovationen auf Stoffströme am Beispiel von Vanadium für Redox-Flow-Batterien

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1 Einleitung

Der Erfolg technologiebasierter Innovationen basiert nicht nur auf der experimentellen Entwicklung und deren technologischer Machbarkeit. Um technologische Innovationsprozesse in die industrielle Praxis umzusetzen, müssen unterschiedliche Voraussetzungen erfüllt sein. Diese Voraussetzungen sind vielseitig, interdisziplinär und volatil und sind die Summe unterschiedlicher Variablen, die Einfluss auf bestehende Systeme, Märkte und Stoffströme haben können. Technologische Innovationen für nachhaltiges Wirtschaften benötigen zur Umsetzung eine systematische Untersuchung des industriellen Metabolismus (Ayres 1989a) (vgl. Kapitel 2.5) und der Betrachtung komplexer Stoffströme. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund von zirkulären Rohstoff- und Produktsystemen. Ressourcenknappheit (Retief et al. 2016) und die Elektrifizierung der Energieversorgung in Verbindung mit dem Ausbau erneuerbarer Energieträger (IEA 2018) sind globale Megatrends, die auch Auswirkungen auf die deutsche Industrie haben (Grömling und Haß 2009). Die vorliegende Dissertationsschrift befasst sich im Rahmen einer Stoffstromanalyse mit der Verknüpfung von Energie- und Rohstoffwende am Beispiel einer technologischen Innovation im Batteriespeichersegment.

Industrie und Gesellschaft werden mittel- bis langfristig durch die zunehmende Dezentralisierung des Energiesystems, strombasierte Produktion und Mobilität vermehrt auf orts- und zeitunabhängige Energieversorgung angewiesen sein. Energiespeichertechnologien entkoppeln den Zeitpunkt des Verbrauchs von dem Zeitpunkt der Energieerzeugung und sorgen so für die benötigte Flexibilität zwischen der Energiebereitstellung und der Energienachfrage (Sterner und Stadler 2017), (Wietschel und Ullrich 2015). Doch insbesondere chemische Energiespeichertechnologien in Form von Batteriespeichern sind rohstoffintensiv, bieten Funktionalitäten auf Basis spezifischer chemischer Elemente und sind auf definierte metallische Rohstoffe angewiesen, die verfahrensbedingt oft nicht substituierbar sind. Somit hängt deren erfolgreiche Implementierung in die künftige Energieinfrastruktur auch davon ab, ob die für die Technik benötigten Rohstoffe sicher, kostengünstig und langfristig verfügbar sind (Wesselak et al. 2013). Im Fall der Vanadium-Redox-Flow-Batteriespeicher (VRFB) ist dies das Metall Vanadium. Durch die dortige Verwendung als redoxaktives Material in schwefelsauren wässrigen Elektrolyten zur chemischen Speicherung elektrischer Energie bietet die Technologie das grundsätzliche Potenzial, sich zukünftig als wesentliche Endanwendung des Metalls zu entwickeln. Damit rücken bestehende Vanadiumanwendungen vermehrt in den Fokus und es gilt zu überprüfen, inwieweit Zielkonflikte in der Rohstoffnutzung vorliegen und zu vermeiden sind.

Vanadium ist ein häufiges Element der kontinentalen Erdkruste, doch primäre geochemische Anomalien in Form von Vanadiumanreicherung zu bauwürdigen Lagerstätten sind selten. Vanadium wird daher hauptsächlich als Neben- oder Koppelprodukt gewonnen. Hauptrohstoff sind vanadiumhaltige Titanomagnetiterze (VTM). Je nach Lagerstättentyp und geochemischen Voraussetzungen kann die Gewinnung von Vanadium direkt aus den aufbereiteten Konzentraten durchgeführt werden. Häufiger ist jedoch die Gewinnung als Co-Produkt der Roheisenerzeugung. Dabei wird aus den VTM eine vanadiumhaltige Schlacke erzeugt, die im Anschluss als Ausgangsmaterial für die Vanadiumgewinnung dient. Weiterhin tragen vanadiumhaltige Aschen, die bei der Verbrennung von vanadiumhaltigen Kohlenwasserstoffen anfallen, sowie die Aufbereitung ausgedienter Katalysatoren der Erdölraffination und Chemieindustrie in geringem Umfang zur Deckung des Bedarfs bei. Nicht alle Verfahren liefern jedoch Vanadium in der Qualität, die für Anwendungen in Batteriespeichern notwendig ist. Produktion und Lagerstätten konzentrieren sich zudem auf wenige Länder, die Raffination auf wenige Unternehmen. Der Upstream-Bereich der Wertschöpfungskette ist in der EU nicht vorhanden. Der Rohstoff Vanadium ist bereits als kritischer Rohstoff für die Energiewende identifiziert worden (Moss et al. 2013), jedoch ohne Berücksichtigung der Anwendung in Batteriespeichern. Die Versorgung der Speichertechnologie für zukünftige Ausbauszenarien ist somit nicht zweifelsfrei gesichert, insbesondere auch wegen der möglichen Nutzungskonkurrenz mit den etablierten Hauptanwendungen des Rohstoffs wie der Eisen- und Stahl- sowie Nicht-Eisenindustrie. Als nicht wirtschaftlich substituierbares Legierungselement in unterschiedlichen Stahlanwendungen sowie Titanlegierungen wird Vanadium unter anderem als kritischer Rohstoff im EU Report on Critical Raw Materials and the Circular Economy gelistet (Mathieux et al. 2017). Der ressourceneffiziente Umgang mit vanadiumhaltigen Stoffströmen und deren Analyse gehören daher zum wirtschaftsstrategischen Vorgehen auf dem Weg zur Annäherung des linearen Wirtschaftssystems an eine zirkuläre Wirtschaftsweise – Circular Economy –, um eine effiziente Nutzung des Metalls zu ermöglichen und die Rohstoffbasis für alle Anwendungszwecke zu sichern. Der Erschließung und Bewertung neuer bisher für die Vanadiumgewinnung nicht berücksichtigter Stoffströme und der Analyse der Auswirkungen auf das bestehende Rohstoffsystem kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. In der vorliegenden Arbeit werden diese an einem konkreten Anwendungsfall einer technologischen Innovation zur Elektrolytgewinnung aus der Weißpigmentindustrie untersucht.

1.1 Ziel

Filtersalz als Nebenprodukt des Sulfatverfahrens zur Titandioxidproduktion soll als potenzieller Stoffstrom zur Verbreiterung der Rohstoffbasis von Vanadium im Allgemeinen und zur Produktion von Vanadiumelektrolyt im Besonderen dienen. Ein Gewinnungsverfahren des Vanadiums aus dem Nebenprodukt konnte im Labormaßstab erarbeitet werden. Inwieweit sich diese technologische Innovation sowie veränderte Nachfragesituationen bestehender Anwendungsgebiete für Vanadium auf das industrielle System des Elements auswirken, wird in der vorliegenden Arbeit untersucht.

Ziele sind demnach die Erstellung eines globalen Modells industrieller Vanadiumstoffströme, die Erstellung einer Szenarioanalyse zur Abbildung von Entwicklungspfaden sowie die Ableitung von quantitativen Potenzialen der Elektrolytgewinnung aus der Titandioxidindustrie. Insbesondere wird die Beantwortung der Fragestellung untersucht, welchen Einfluss die technologische Innovation zur Verbreiterung der Rohstoffbasis für Vanadium-Redox-Flow-Energiespeicher und welchen Beitrag zur Rohstoffsicherung der Batteriespeichertechnik sie haben kann. Voraussetzung für die Analyse ist die interdisziplinäre Verknüpfung von Daten zu Gewinnungsverfahren, Anwendungen und Märkten von Vanadium. Vor dem Hintergrund des Ausbaus von Energiespeichertechnologien und des spezifischen Rohstoffbedarfs von Vanadium in Vanadium-Redox-Flow-Batteriespeichern wird daher in der vorliegenden Dissertationsschrift mittels Stoffstromanalyse ein globales Stoffstrommodell für das Element Vanadium entwickelt, mit dem dessen Wege durch industrielle Systeme qualitativ und quantitativ analysiert werden. Die Stoffstromanalyse wird dabei in Kombination mit einer Szenarioanalyse durchgeführt. Die Szenarioanalyse soll dabei helfen, Empfehlungen für das zukünftige Stoffstrommanagement auf Basis von konsistenten Entwicklungspfaden abzuleiten.

Die im Rahmen der Dissertation durchgeführte rohstoffwirtschaftliche Analyse von Vanadium betrachtet die geogenen und anthropogenen Rohstoffe, aus denen es gewonnen wird, die Nutzung des Elements in relevanten Industrien und die Bindung in maßgeblichen Produkten und Reststoffen. Dafür werden sowohl Informationen zu verschiedenen Gewinnungs- und Aufbereitungsverfahren sowie der industriellen Nutzung von vanadiumhaltigen Materialien einbezogen. In der Szenarioanalyse werden Deskriptoren und deren Wirkungsbeziehungen aufgestellt, um eine Aussage treffen zu können, wie die technologische Innovation der Elektrolytgewinnung aus dem Sulfatverfahren und der bestehende Vanadiumstoffstrom in Wechselwirkung stehen. Durch Abbildung der konsistenten Szenariopfade im Stoffstrommodell und unter Einbeziehung des Potenzials aus der Titandioxidindustrie können letztlich die Auswirkungen der technologischen Innovation auf das bestehende industrielle Stoffstromsystem von Vanadium quantitativ bestimmt werden. Die durchgeführte Analyse anhand des Beispiels Vanadium wird zudem auf spezifische Vor- und Nachteile sowie im Hinblick auf generelle Übertragbarkeit bewertet.

Ausgehend von einer übergeordneten Denkweise einer möglichst effizienten Nutzung von Ressourcen wird das aufgestellte Modell mit Hilfe der Ergebnisse aus der Szenarioanalyse bewertet. Mit der Verknüpfung der Stoffstrom- und der Szenarioanalyse wird analysiert, wie sich der globale Vanadiumstoffstrom bei steigender Nachfrage durch Energiespeichertechnologien verändert und welchen qualitativen und quantitativen Einfluss ein innovatives technologisches Verfahren zur Vanadiumgewinnung auf den industriellen Metabolismus ausübt.

1.2 Vorgehen

Methodisch basiert die Arbeit auf der Durchführung einer literaturbasierten Stoffstromanalyse und dem daraus abgeleiteten qualitativen und quantitativen Stoffstrommodell in Verbindung mit einer Szenarioanalyse. Dafür werden Daten verschiedener Gewinnungs- und Aufbereitungsverfahren der industriellen Nutzung von vanadiumhaltigen Materialien ausgewertet und mit Hilfe der Modellierungssoftware STAN (subSTance flow ANalysis)1 (vgl. Kapitel 3.2) abgebildet. In der Szenarioanalyse werden dazu Faktoren identifiziert und Deskriptoren aufgestellt, welche die zukünftige Entwicklung der Nutzung von Vanadium in den verschiedenen Wertschöpfungsketten beeinflussen können. Weiterhin wird ein Modell des theoretischen Potenzials des Sulfatverfahrens zur Gewinnung von Vanadium als Nebenprodukt aufgestellt. Das Vorgehen besitzt generischen Charakter und ist prinzipiell auf jedes Element des Periodensystems übertragbar, um den Einfluss technologischer Innovationen auf Stoffströme abzuleiten.

 

In Kapitel 2 wird ein Überblick über den betrachteten Stoff Vanadium sowie über die Vanadium-Redox-Flow-Batteriespeicher gegeben. Weiterhin werden die Grundlagen zum Thema des Stoffstrommanagements und der verfahrenstechnische sowie rohstoffliche Hintergrund des Sulfatverfahrens als potenzieller neuer Stoffstrom zur Vanadiumgewinnung dargestellt. Kapitel 3 definiert den methodischen Rahmen. Der zu betrachtende Stoff Vanadium wird in Kapitel 4.2 auf die notwendigen Daten und Informationen für das Stoffstrommodell analysiert und eine Wissensbasis erstellt. Auf Grundlage von Kapitel 2 und den erarbeiteten Informationen aus Kapitel 4.2 werden diese in Kapitel 4.3 abstrahiert und in das qualitative Stoffstrommodell überführt. Zudem werden in Kapitel 4.4 Szenarien entwickelt, die in Kapitel 4.5 im Stoffstrommodell abgebildet werden. Die Auswirkungen der identifizierten Szenarien auf das Stoffstrommodell von Vanadium werden im Anschluss in Kapitel 5 diskutiert. Kapitel 6 bietet eine Zusammenfassung der durchgeführten Arbeitsschritte sowie Einschätzungen zum Übertragbarkeitspotenzial und gibt einen Ausblick auf den weiteren Forschungsbedarf.

2 Grundlagen

Die nachhaltige Energieversorgung basiert neben dem Einsatz erneuerbarer Energieträger und einer resilienten Energieinfrastruktur auch auf einer gesicherten Verfügbarkeit der Rohstoffe, die für Stromspeicher- und Stromerzeugungstechnologien notwendig sind. Rohstoffe sind unerlässlich, um den Ausbau der Netzinfrastruktur mit Speicher- und Erzeugungstechnologien sowie strombasierter Produktionsverfahren und die damit verbundenen Klimaziele nicht zu gefährden. Gleichzeitig ist die gesicherte, kostengünstige Energieversorgung maßgeblicher Faktor der zukünftigen Rohstoffgewinnung. Unter Berücksichtigung der geologischen Gegebenheiten hängt stellvertretend für viele Rohstoffe die Umsetzung neuer Kupferbergbauprojekte nach (Koppelaar und Koppelaar 2016) in absehbarer Zeit stark von der Art der regionalen Energiequelle und ihren Kosten sowie einer wirtschaftlichen Stromspeicherlösung für den industriellen Dauerbetrieb ab. Dass die Energiewende und Rohstoffwende miteinander verbunden sind, zeigt allein der Fakt, dass zwischen 8 % und 10 % des weltweiten Gesamtenergieverbrauchs auf die Gewinnung von Rohstoffen zurückgeführt werden. Dabei sind metallurgische Prozesse, dazugehörige Logistik und andere bergbaubezogene Aktivitäten nicht mit eingerechnet (Calvo et al. 2016).

Aufgrund der Dezentralisierung der Energieversorgung, dem Ausbau erneuerbarer Energien im Stromnetz, dem Rückbau fossiler Elektrizitätsversorgung sowie der beginnenden Elektrifizierung des Transports und dem Ausbau einer strombasierten Industrie, werden zukünftig in verstärktem Maße Energiespeichertechnologien eingesetzt werden. Hierdurch steigt der Bedarf an technologiespezifischen Rohstoffen, insbesondere an Metallen, für die Herstellung und den Betrieb von Energiespeichern. Dies wird sich auf die Nachfrage von technologiespezifischen Metallen auswirken. Die sichere Verfügbarkeit, die Preisstabilität und der Zugang zu weltweiten Rohstoffvorkommen wird an Bedeutung gewinnen. Die Versorgungssicherheit mit spezifischen Rohstoffen und das Management von Produkten und Stoffströmen aus dem Bereich der Zukunftstechnologien, insbesondere in den erneuerbaren Energien und der Energieversorgung, rücken folglich vermehrt in den Fokus von Industrie, Politik und Forschung. Vor diesem Hintergrund müssen aktuelle sowie zukünftige geogene und anthropogene Stoffströme, mögliche Substitute sowie Konflikt- und Recyclingpotenziale identifiziert, dokumentiert und analysiert werden, um möglichen Verfügbarkeitsrisiken, Engpässen und Konkurrenzsituationen mit anderen Technologien entgegenwirken zu können. Wie sich die Rohstoffsituation als auch das Energieversorgungssystem in Zukunft entwickeln wird, ist aufgrund vielfältiger Einflussfaktoren schwierig vorauszusagen. Geopolitik, Handelshemmnisse und die teils hohe Konzentration der Weltrohstoffproduktion auf wenige global agierende Bergbauunternehmen sowie zum Teil politisch instabile Förderländer sind vor dem Hintergrund der gesicherten Rohstoffversorgung eine große Herausforderung (Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) 2018). Neue Technologien bedingen zudem Nachfrageschübe nach spezifischen Materialien, die meist auch mit einem Nachfragerückgang zuvor genutzter Materialien einhergehen. Das Angebot an Basismetallen ist dabei im Allgemeinen elastisch und dürfte auf die Nachfrage reagieren. Die mit den Basismetallen produzierten Begleitmetalle haben daher eine begrenzte Angebotselastizität. Wenn der technologische oder gesellschaftliche Wandel zu einem Nachfragerückgang nach einem Basismetall führt, kann dies zu erheblichen Angebotsengpässen der geochemisch vergesellschafteten Begleitmetalle führen (Sprecher et al. 2017). Die potenziellen Auswirkungen technologischer Innovationen auf bestehende und zukünftige Stoffströme, sowohl biotischer als auch abiotischer Art, müssen daher strukturiert und methodisch erfasst sowie qualitativ und quantitativ bewertet werden.

2.1 Herausforderungen der Rohstoffversorgung

Metallische Rohstoffe sind neben den Energierohstoffen die Basis der wirtschaftlichen Entwicklung und bilden den Beginn der Wertschöpfungskette für viele wichtige Güter der heutigen Industriegesellschaft. Der Rohstoffbedarf wächst bedingt durch die globale demografische Entwicklung und den immer vielfältigeren Einsatzgebieten vieler Metalle stetig. Einfach erschließbare Lagerstätten werden seltener und die Metallgehalte in den abgebauten Erzen sinken, wohingegen der Energieverbrauch und der gesamte Materialumsatz sowie die Produktion ansteigen (Calvo et al. 2016). Aufgrund der historischen Datenlage wurden die Trends für Kupfer (Mudd et al. 2013) und Nickel (Mudd und Jowitt 2014) beschrieben, jedoch wurde dies unmittelbar mit Innovationen in der Förder- und Aufbereitungstechnologie verbunden, die somit Mengen an bisher ökonomisch nicht relevantem Nebengestein in bauwürdiges, wenn auch metallarmes Erz verwandelten. So wurde der Abbau von Armerzen bis vor kurzer Zeit noch nicht mit der geologischen Endlichkeit des Rohstoffs und der mineralogischen Barriere2 in Verbindung gebracht, sondern vielmehr als Ausdruck der Verbesserung der Fördertechnologien als der Erschöpfung hochwertiger Lagerstätten verstanden (West 2011). Bisher wurde es als wahrscheinlicher angesehen, dass eine Reihe komplexer sozialer, ökologischer und wirtschaftlicher Faktoren die zukünftige Rohstoffwirtschaft und Verfügbarkeit bestimmen werden und ob einzelne Projekte entwickelt oder nicht entwickelt werden. Auf Grundlage aktueller Daten beschreiben (Calvo et al. 2016) jedoch, dass der Rückgang der Erzgehalte im Falle von Kupfer kein theoretisches Thema mehr ist, sondern als globale Realität bei den in Betrieb befindlichen Bergwerken angenommen werden muss, verursacht durch den steigenden Bedarf an Rohstoffen.

Der Primärbergbau wird auch in Zukunft einer der wichtigsten Wege sein, die globale Nachfrage nach Rohstoffen zu bedienen und die dafür notwendige Energie wird mittelfristig global gesehen nach wie vor von fossilen Energieträgern bereitgestellt werden. Aufwand, Umweltbelastung und gleichzeitig die Kosten der Gewinnung steigen perspektivisch. Sinkende Erzkonzentrationen sind mit hohen ökologischen, sozialen und ökonomischen Risiken und Belastungen verbunden, da immer mehr Abraum und nicht werthaltiges Nebengestein unter hohem Energie- und Wassereinsatz bewegt und prozessiert werden muss (Calvo et al. 2016), (Koppelaar und Koppelaar 2016). Böden und Landflächen werden durch den Abbau von Armerzen stark beansprucht und oft wird tiefgreifend in bestehende Ökosysteme eingegriffen. Die Möglichkeiten, um der immer aufwändigeren Extraktion von abiotischen Rohstoffen zu begegnen, ist die Nutzung von Armerzlagerstätten unter strengeren Umweltauflagen und steigenden Energie- und Umweltkosten. Dem Stoffstrommanagement, der Nutzung von Sekundärrohstoffen und den Alternativen zu bestehenden Stoffströmen wird eine immer höhere Bedeutung beigemessen, um die Umweltprobleme der Vorkette zu umgehen und Ressourcen effizient zu nutzen (Calvo et al. 2016).

Die Rohstoffbasis von Hochtechnologieanwendungen und die damit verbundenen rohstoffwirtschaftlichen, technologischen und geologischen Gegebenheiten müssen daher auf Risiken und Zielkonflikte analysiert werden. Darüber hinaus stellen (Løvik et al. 2018) heraus, dass sich die aktuelle Forschung zur Sicherung der Rohstoffversorgung hauptsächlich auf spezifische technologische Entwicklungen fokussiert, wohingegen systemweite Verbesserungen und produktbezogenes Recycling eher vernachlässigt werden. Diese These unterstützen (Nguyen et al. 2018) indem herausgestellt wird, dass die Gewinnung von Prozesswissen und die rohstoffliche Betrachtung aus einem weiteren Blickwinkel notwendig ist, um die Komplexität der aktuellen Stoffströme adäquater abzubilden. Zu diesem Prozesswissen gehört auch die systematische Analyse der Rohstoffe auf geopolitische, technologische und wirtschaftsgeologische Gegebenheiten.

Viele Rohstoffe unterliegen hinsichtlich Lagerstätten und Verarbeitung einer Länderkonzentration sowie geopolitischen Risiken und gelten als kritisch oder auch als strategisch, wenn sie für definierte Anwendungen in einer Volkswirtschaft essenziell sind. Diese Einordnungen sind jedoch im Zusammenhang mit spezifischen Vorgaben und Systemgrenzen zu verstehen. Um eine möglichst objektive, mess- und vergleichbare Bewertung von Rohstoffen durchführen zu können, wurde das Maß der Kritikalität durch Wissenschaft und Politik eingeführt. Basis aller aktuellen Kritikalitätsbewertungen liegen im Verteidigungssektor. Die konzeptionellen Grundlagen dafür wurden vor dem Ersten Weltkrieg durch die USA gelegt und durch den Strategic and Critical Materials Stockpiling Act im Jahr 1939 gesetzlich festgeschrieben. In den 1980er Jahren wurde der Rahmen der Rohstoffbewertung aus rein militärischen Gesichtspunkten und Verteidigungsanwendungen ausgeweitet. Der Fokus richtet sich seitdem vermehrt auf Hochtechnologieanwendungen, erneuerbare Energien sowie Informations- und Kommunikationstechnologien (Hayes und McCullough 2018).

Die Kritikalität eines Stoffs ist mindestens zweidimensional und berücksichtigt immer das Maß für das Risiko, welches aus einem gewählten Indikator hervorgeht, sowie für die Betroffenheit des Betrachters innerhalb der gesetzten Systemgrenze. Damit ist implizit, dass das Maß der Kritikalität eines Rohstoffs immer relativ ist und somit nie der Rohstoff als kritisch bezeichnet werden muss, sondern seine Funktion. Aktuelle Kritikalitätsbewertungen sind mehrdimensional und berücksichtigen meist rohstoff- und wirtschaftspolitische aber auch geographische und technologische Indikatoren, deren gemeinsame Auswertung eine Gesamtbeurteilung hinsichtlich Risiko und Betroffenheit erlauben. Systemgrenzen und Betrachtungsebenen können sowohl international, national, regional und lokal, als auch industrieoder unternehmensspezifisch ausgelegt sein. Die möglichen Indikatoren wurden in den vergangenen Jahren 20 Jahren stetig erweitert. Ein vermehrter Anstieg wissenschaftlicher Publikationen ist seit Anfang der 2000er Jahre zu beobachten (vgl. (Hofmann et al. 2018)). In (Erdmann und Graedel 2011), (Achzet und Helbig 2013) und (Jin et al. 2016) sind alle aktuellen Ansätze der Kritikalitätsbewertung zusammengefasst. Etablierte Parameter sind z. B. die geologische Verfügbarkeit sowie Parameter, die rohstoffwirtschaftliche Gegebenheiten hinsichtlich Hauptexporteuren und Importeuren charakterisieren. Die Importproblematik und die daraus resultierenden Risiken werden beispielsweise mit Hilfe des Herfindahl-Hirschmann-Indexes (HHI) für die Länderkonzentration und des Aggregate-Governance-Indexes der Weltbank für die politischen Verhältnisse (Länderrisiko) dargestellt. Unter der Länderkonzentration versteht man die Verteilung der globalen Rohstoffproduktion auf die jeweiligen Rohstoffförderländer. Ist dieser Wert für einen Rohstoff hoch, bedeutet das eine starke Abhängigkeit der Weltwirtschaft von einem Förderland und damit den dortigen politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnissen. Das Länderrisiko setzt sich aus sechs Indikatoren zusammen. Die Indikatoren werden unter dem Begriff der Worldwide Governance Indicators (WGI) zusammengefasst, jährlich von der World Bank für 215 Staaten erhoben (Kaufmann et al. 2010) und sind frei verfügbar. Die durch den HHI ermittelte Länderkonzentration der Rohstoffproduktion wird gegen das Länderrisiko-Rating aufgetragen, um potenzielle Risiken in der Versorgungssicherheit zu beschreiben.

 

Wann ein nicht-energetischer, metallischer Rohstoff somit als kritisch bezeichnet wird, muss vor dem Hintergrund des Fehlens einer einheitlichen, systematischen Definition und der unterschiedlichen Verwendung in der Literatur (vgl. (Hofmann et al. 2018)) erläutert werden. Synonym zu dem Terminus kritischer Rohstoff, werden in der wissenschaftlichen Literatur sowie in der Medien- und Finanzwelt auch die Begriffe wirtschaftsstrategische Rohstoffe/Metalle, seltene Metalle oder Hightech-Rohstoffe sowie Hochtechnologie-Metalle verwendet. Die Unterschiede in der Benennung sind auf die jeweilige Betrachtungsperspektive zurückzuführen. Bereits (Clark und Reddy 1986) weisen in ihrer Analyse von Chrom, Mangan und Cobalt für die US-Wirtschaft darauf hin. Unter dem Begriff der Hightech-Rohstoffe oder Hochtechnologie-Metalle sind Rohstoffe zusammengefasst, die in moderner Informations- und Kommunikationselektronik, Elektrofahrzeugen oder Techniken zur Erzeugung erneuerbarer Energie zum Einsatz kommen. Die Verwendung dieses Sammelbegriffs entspricht dem Gedanken, Rohstoffe nach ihrem primären und spezifischen Einsatzzweck zu definieren und zu gruppieren. Eine ähnliche Einordnung kann bei den Begriffen der Stahlveredler oder der Energierohstoffe zugrunde gelegt werden. Damit ist jedoch noch keine Bewertung der physischen Verfügbarkeit verbunden.

Der Definition als Sammelbegriff stehen die Begriffe kritischer Rohstoff, wirtschaftsstrategischer Rohstoff oder seltener sowie knapper Rohstoff gegenüber. Ihnen geht eine Verhältnisbildung zwischen Indikatoren voraus, die je nach Fragestellung und Systemgrenze unterschiedlich ausfallen. Eine Einschränkung auf den Verwendungszweck findet dabei nicht statt. Der Begriff der seltenen oder knappen Rohstoffe ist häufig mit der reinen geologischen Verfügbarkeit bzw. der Marktverfügbarkeit assoziiert. Die Begrifflichkeiten wirtschaftsstrategisch oder kritisch basieren hingegen auf der Berücksichtigung eines umfassenden Kritikalitätsansatzes. Dabei kann der Terminus wirtschaftsstrategischer Rohstoff synonym zu dem Begriff des kritischen Rohstoffes verwendet werden. In Anlehnung an die 2011 durch die Europäische Kommission erstmals veröffentlichten im mindestens dreijährlichen Turnus seitdem 2014 sowie 2017 (vgl. (Mathieux et al. 2017)) verpflichtend fortgeschriebenen Studien zu Critical Raw Materials for the EU werden die Rohstoffe als kritisch definiert, deren geologische Verfügbarkeit und Versorgungssicherheit bei einer gleichzeitig hohen industriellen Relevanz stärker gefährdet ist als bei anderen Rohstoffen. Die wirtschaftliche Bedeutung, Versorgungsrisiken wie die Konzentration der Produktion, politische und wirtschaftliche Stabilität, Substituierbarkeit, Recyclingmöglichkeiten und Umweltrisiken sind als Kriterien der Kritikalität heranzuziehen (Mathieux et al. 2017). Die Methodik impliziert, dass sich einzelne Indikatoren mit der Zeit und dem Betrachtungsraum verändern. Die rohstoffnutzenden Systeme sind Innovationsprozessen ausgesetzt und Elemente, Lagerstätten und Produktionsstandorte können ebenso schnell an Relevanz gewinnen wie verlieren. Daher gilt die Kritikalität eines Rohstoffs immer nur unter bestimmten Rahmenbedingungen, ist somit insbesondere durch seine Funktion bestimmt und stellt eine Momentaufnahme dar. Die Kritikalität von Rohstoffen ist ein entsprechend dynamischer Parameter, dessen Erhebungsmethodik, Indikatoren und Gewichtung der einzelnen Indikatoren nach wie vor Gegenstand aktueller wissenschaftlicher Diskussionen sind (vgl. (Schneider et al. 2014), (Jin et al. 2016), (Frenzel et al. 2017), (Blengini et al. 2017), (Nguyen et al. 2018), (Bach et al. 2017), (Ferro und Bonollo 2019), (Dewulf et al. 2016)) und stetiger Weiterentwicklung unterliegen. Auf eine eigene Kritikalitätsanalyse von Vanadium wird im Rahmen dieser Arbeit aufgrund der Aktualität durchgeführter Kritikalitätsbewertungen in der wissenschaftlichen Literatur verzichtet.