Schuld und Bühne

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Held

Das Schärfste war, ich hätte das Flugzeug beinahe noch verpasst. Ja, ich weiß, ich hätte sagen sollen "wir hätten" und so weiter. Typisch Mann. Wenn eine Frau dabei war, sagen wir immer "ich", als wollten wir vertuschen, dass wir nur noch bedingt zu haben sind. Bei euch ist es umgekehrt. Ihr sagt immer "wir", wo es nach dem Sinnzusam­menhang nahe liegen würde, "ich" zu sagen. Nur um zu signalisieren, dass ihr das Kunst­stück fertig gebracht habt, euch einen Trot­tel einzufangen. Merk dir das. Vielleicht kannst du es mal gebrauchen, wenn der Hauptunterschied zwischen Mann und Frau diskutiert wird.

Also ich kam, äh, wir kamen vom Peloponnes, aus der Gegend von Nafplia, und sind über den Kanal von Korinth, übrigens immer wieder ein unwirklicher Anblick. Sieht aus, als wär ein galaktischer Rambo gekommen und hätt´ mit einer 20-Kilometer-Kettensäge mal eben einen Keil in den Fels geschnitten. Meine Töchter, die sonst nicht so leicht zu beeindrucken sind, staunten mit offenem Mund und wollten gar nicht wie­der von der Brücke, zumal das Biest immer so sexy vibriert, wenn ein LKW drüberdonnert. Und eh die zu bewegen waren, wieder ins Auto zu kommen, ... na ja, du wirst es ja eines Tages auch noch erleben, wie das ist, so einen nölenden Sauhaufen um sich herum zu haben.

Jedenfalls hat das Zeit gekostet, und dann mussten wir vom Südwesten her nach Athen rein. Der Flugplatz ist im Osten, und dieser ganze verdammte Steindschungel hat keine Umgehungsstraße. Immerhin geht das mehrspurig lang durch, und wenn man nicht völlig bescheuert ist oder wegen der Staus die Nerven verliert, kommt man ohne Abbie­gerei bis zum Flughafen durch. Aber da kam meine Frau plötzlich auf die Idee, die lange Kurve durch die Innenstadt auf die Vouliagmeni abzukürzen. Die Stadtplan liegt ihr auf dem Schoß, aber nein, sie peilt kurz die Sonne an und verfügt "rechts ab". Das muss man sich mal vorstellen. Mitten in Athen faltet sie den Stadtplan zusammen, obwohl auf dem Ding alle Straßen schon brav für die Halbalphabeten in lateinischer Schrift stehen, und auf geht´s nach Ostost­nord oder wie das heißt, nach Sonne und Daumenpeilung. Hä? Stimmt, ich schweife ab, aber weißt du, was gleich kommt, stand im großen und ganzen schon im STERN, und ich red nicht gern drüber, das heißt ich kann´s nur, wenn ich jemanden zum anschmiegen habe ... natürlich, ich bin ein kleiner Erpres­ser, ... ja, so ist es gut.

Wo war ich? Ach ja, der Umweg. Auf einmal war natürlich ... jetzt benutz ich schon zum zweiten Mal dieses Knalldeppenwort natürlich, entschuldige, also dann war die Sonne weg, die Orientierung völlig im Eimer, es fängt an zu schiffen und weit und breit kein Straßenschild. Meine ältere Tochter vollführt von hinten eine halbe Rolle vorwärts auf den Beifahrersitz, um an den Stadtplan zu kommen, den meine Frau ihr verweigert hat, die jüngere fängt an zu plärren, der Stadtplan wird auseinandergerupft und mit Ratsch- und Knülleffekt gewendet, der Reservetank zeigt rot, ein LKW-Fahrer beschimpft mich ohne erkennbaren Grund als malaka, was das heißt, erzähl ich dir später, und ich wusste: In einer Stunde geht das Flugzeug, ich muss noch einchecken und den lahmarschigen Mietwagen zurückbringen. Mit einem Wort: Stress für Fortgeschrittene. Schließlich seh ich an der Ampel ein Bullenauto neben mir. Ich fege also alles zu­sammen, was mit in dieser Scheißsprache einf ... hm? Ja, weiß ich auch. Das Alt­griechisch, das sie mir in der Schule eingetrichtert haben, hat mir gefallen, aber im Laufe der letzten zwei Jahrtausende haben sie´s geschafft, aus jedem Umlaut ein i zu machen, statt endlich das einzuführen, was immer gefehlt hat, nämlich einen ordentlichen Zischlaut, und was dabei raus gekommen ist, ist eine richtige Vogelphonetik. Hör dir mal ´ne Griechin an. Klingt wie ´ne lispelnde Amsel, die die Melodie vergessen hat. Glaubst, ich übertreibe, ja? Also, ich mach dir vor, was ich den Bullen gefragt habe: Me sinchoriete, pu inä to odhos Vouliagmeni, para kaló? Und er dann: Withithithapsagigifewghomalakassassithassissou oder so ähnlich. Ich verstand natürlich kein Wort, startete schweißgebadet durch und bretterne einfach drauflos, bis Pauline, das ist die 13-jährige, einen Bauzaun wieder erkannte, auf dessen Plakaten ein Adele-Konzert angekündigt wurde, und da wusste ich, dass ich durch einen blinden Zufall auf dem richtigen Weg war. Der Flieger hatte 20 Minuten Verspätung, und an alledem sieht man, dass mehrere Zufälle zusammenkommen müssen, um einem Angsthasen zu der Erkenntnis zu verhelfen, dass auch er das Zeug zum Helden hat.

Wir wurden als letzte in den Warteraum ge­lassen, aber es waren vor uns noch zwei identisch gekleidete Typen in der Schlange, den Klamotten nach etwa unteres Management. Ich hörte, wir der eine dem anderen auf­fallend leise etwas Kehliges rüberfauchte, und dachte sofort: Für Holländer sind sie zu dunkel, also haben wir´s mit Geschirrtüchern zu tun. Weiter achtete ich nicht drauf, weil ich mich noch mit meiner Frau in der Wolle hatte wegen der unbekannten Abkürzung, aber am Rande meines Bewusstseins merkte ich doch, wie die Laxheit der Personenkontrolle bei mir Unbehagen auslöste. Die Geschirrtücher legten nur einen Teil ihres Handgepäcks auf´s Band, der erste wurde nur lustlos mit einer Hand abgetastet, weil sich dieser Schnauzbart mit der Suwlakiwampe gerade eine angesteckt hatte, und der mit dem Ringpieper war gerade Pinkeln gegangen. Als der erste Wüstensohn abgegrabbelt war, legten beide ihre Jacketts ab, und als ihnen bedeutet wurde, sie sollten sie wieder anziehen, hatte ich das unbestimmte Gefühl, dass sie ihre Klamotten tauschten, na ja, wie gesagt, ich achtete nicht so drauf, nur, als die Flugplatzbullen uns dann einfach durchwinkten und gestisch klarmachten, wir sollte das Hand­gepäck wieder vom Röntgenband nehmen, hab ich mich dann doch gefragt, wofür diese uniformierten Säcke denn ihrer Ansicht nach bezahlt werden, zumal Athen ja schon in der Vergangenheit Hochkonjunktur bei den Hijackern hatte. Vielleicht fühlten sie sich unterbezahlt, vielleicht waren sie auch nur erschöpft vom Demonstrieren oder vom Wände-Vollmalen. Die Texte waren in der Tat eindrucksvoll, die Piktogramme auch. Meist ging es um die Anregung, Touristen zu fisten oder unserer Bundeskanzlerin einen Analkoitus angedeihen zu lassen. Ich habe auch noch nie so viele Hakenkreuze gesehen wie in Athen. Wir sind nämlich alle Nazis, weil wir so fies waren, ihnen die Milliarden in den Arsch zu blasen. Aber lassen wir das. Ich fahr da eh nicht mehr hin.

Nun gut, schließlich waren wir dann in der Luft und ließen die üblichen Belehrungen über uns ergehen, du weißt schon, die Show mit dem Model, das einem beibringt, wie man in das Mundstück seiner Schwimmflügelchen bläst, und ich löste den Sitzgurt, sagte was Versöhnliches zu meiner Frau, schlug die erste deutsche Zeitung seit zwei Wochen auf, atmete tief durch und dachte so was wie "endlich drei Stunden kein Generve". Und genau da ging der Terz los.

Hinter mir schreit einer was auf Arabisch. Die Klotür kracht. Ich drehe mich um, und was seh ich? Eins der beiden Geschirrtücher. Wie bitte? Na kennst du denn die Bilder nicht von den Jungs mit den Feudeln auf der Birne, die wie die Tücher zum Abtrocknen in der Küche ... aber wenn du drauf bestehst, nenn ich sie Kufiya. Sonst denkst du am Ende noch, ich hätte rassistische Vorurteile. Also der Kamelficker hat ´ne Kalaschnikow in den Händen, die er sich offenbar auf dem Klo zusammengebastelt hat. Er guckt starr nach vorne. Ich wende meinen Kopf wieder und muss mit ansehen, wie ganz nah am Cockpit in der ersten Reihe unauf­gefordert zwei weitere Wüstensöhne auf­springen. Der eine zeigt den Leuten seine schicken Handgranaten, der andere brüllt nach dessen Wink auf deutsch: "Im Namen der Antisatanischen Heilsfront zur Befreiung Jerusalems, zu meinem Bedauern muss ich mitteilen, dass uns die Zionisten zwingen, die­ses Flugzeug zu beschlagnahmen," - er sagte wirklich beschlagnahmen - "bis die Situation, für die wir nicht verantwortlich sind, geklärt ist. Wir werden deshalb die Reiseroute ändern. Von der Notwendigkeit dieser Änderung wird soeben der Flugkapitän durch einen Kameraden unserer Organisation überzeugt. Ich bin nicht legitimiert, das Reiseziel zu benennen. Das erfahren Sie zu gegebener Zeit. Seien Sie versichert, dass jeder Widerstand zwecklos ist, denn ..." und so weiter, kurzum, er hatte den Ton ei­ner amtlichen Verlautbarung, der immer un­gewollt zynisch klingt, er war sehr be­stimmt, allerdings ohne diplomatische Höflichkeit, aber mit einer homöopathischen Prise Antipanicum, also er gab sich wirk­lich Mühe, während der andere eher gelang­weilt die Stewardessen in der Küche ein­pferchte, warum, habe ich bis heute nicht begriffen, wahrscheinlich, weil die Jungs Amateure waren. Stewardessen sind doch be­währte Hilfstruppen wider Willen.

Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass die Kindheit und Jugend des Angeklagten völlig normal verliefen. Ein unwiderlegliches In­diz hierfür ist schon die Tatsache, dass seine drei Geschwister bürgerliche Berufe erlernt haben, Familien gegründet haben und strafrechtlich in keiner Weise in Erscheinung getreten sind. Die Verteidigung mag hier also nicht das beliebte broken-home-Syndrom strafmildernd ins Feld führen. Der Angeklagte hat selbst, und auch das spricht für eine gelungene Sozialisation, eine höhere Schule besucht und anschließend ein Universitätsstudium begonnen.

Das Publikum reagierte gelinde gesagt nicht sehr begeistert auf die Rede, die Frauen kreischten, die Männer stöhnten und fluch­ten und aus einer Gruppe dänischer Passa­giere kamen Töne, die über den seichten Rülpsklang ihres Idioms deutlich hinauswiesen, ja ja, ich weiß, ich hab´s mit dem Klang der Sprachen.

Die Kids, ja ja die, die fingerten fahrig nach der Fernbedienung. Aber aus dem Kanalwechsel wurde diesmal nichts. Alles live. Und unplugged. Das kannten die gar nicht. Meine Frau flüsterte, dass wir jetzt alle zusammenhalten müßten, meine Pauline fragte gefährlich laut, was das denn für Arschlöcher wären, und ich sagte gar nichts und musste grinsen, weil ich, glaub´s mir oder lass es bleiben, an die schweinekomischen Befreiungssplittergruppen im Leben des Brian denken musste. Außerdem, aber das fand ich nicht zum Lachen, kam mir der eine Typ bekannt vor. Immer dieser quälende Gedanke: Den kenn ich doch. Einer von diesen italienischen Pizzabäckern, die untereinander arabisch sprechen und in Wirklichkeit ... Ich weiß nicht, ob es dir genauso geht, immer wenn ich einen kenne und nicht weiß woher, stellt sich heraus, dass er irgendwo bedient oder an der Kasse steht ... aber ich kriegte es nicht auf den Schirm. Und ich dachte weiter, aber dafür muss ich ein bisschen ausholen ... interessiert dich nicht, was ich dachte, hm? Willst Action, keine Angst, die kommt noch ... nein? Na schön. Ich weiß, es klingt nicht sonderlich wahrscheinlich, dass einem in so einer Situation dermaßen viel durch den Kopf schießt, vielleicht ist es auch zum Teil Einbildung, im nachherein in die Erinnerung reingeflickt, zusammenkonstruiert, aber muss nicht sein, also er da vorne erzählte uns in seinem angelernten Bürokratendeutsch, dass es um die Freipressung von heiligen Kriegern ginge, die in Italien wegen eines Anschlags auf den ägyptischen Botschafter in Haft wären. Der ägyptische Botschafter hätte, na klar, bis zu seinem unerwarteten Tod die ehrlose Existenz eines zionisti­scher Agenten geführt.

 

Das war da gerade erst passiert, und wir hatten keine Ahnung, weil wir in dem Ur­laubskaff am libyschen Meer keine deutschen Zeitungen gekriegt hatten. Zum Schluss hatte er noch eine gute Nachricht: Es würde alles nicht lange dauern, weil es zum Stil seiner Organisation gehörte, die früher anders geheißen habe - auch ein origineller Ein­fall, wie ich fand - , sich nicht auf lange Verhandlungen einzulassen oder häppchen­weise langwierige Geiselerschießungen durchzuführen, sondern nach einem kurzen Ultimatum gleich das ganze Flugzeug ein­schließlich der heiligen Krieger in die Luft zu sprengen, aber dazu, keine Sorge, werde es nicht kommen, weil angesichts dieser seriösen Ankündigung die berechtigten Forderungen der Organisation in der Regel sofort erfüllt würden. Es war mir peinlich, noch nie von Jungs gehört zu haben, die die gesamte Eskalationstreppe einer Entführung in einem einzigen Sprung zu nehmen pflegen. Am Ende hatten sie vorher etwas so Publicityfeindliches angestellt wie die Entführung von Taxis in Burkina Faso, wer konnte das schon ahnen?

Ich ersuche das hohe Gericht in aller Form, sich auch weiterhin, das heißt auch bei der Urteilsfindung, von den ernstzunehmenden Drohungen der Organisation, die den Ange­klagten entweder als ihren Märtyrer sterben sehen oder ihn in Freiheit wissen will, unbeeindruckt zu zeigen. Was die Rechtsfolgen der Tat anlangt, so können wir dieser sauberen Organisation weder den einen noch den anderen Gefallen tun. Nach unserem Strafgesetzbuch bleibt eine dritte Lösung, und ich betone: nur eine.

Dann kamen die üblichen entsetzten Warum-gerade-wir-wir-haben-mit-der-Sache-doch-überhaupt-nichts-zu-tun-Zwischenrufe. Der Sprecher kommentierte sie angenehm lakonisch:

"Sie haben halt Pech gehabt, das ist alles."

Das gefiel mir außerordentlich. Der gesamte Nahostkonflikt, der ganze verdammte heilige Krieg, hat bestimmt noch nie eine derart ehrliche Äußerung hervorgebracht. Natürlich war die Ausgangssituation irre: Tjaereborg-Reise. Deutsche Charter-Gesell­schaft. Unter den Passagieren Deutsche, Dänen, Schweden und sogar Finnen, die in diesen Dauerbrenner bekanntlich so wenig involviert sind wie die Schildkröten der Galapagos-Inseln. Also was interessiert die der islamische Fundamentalismus, die Poli­tik der ägyptischen Regierung und das ita­lienische Strafprozessrecht? Und was juckte uns das? Aber in den vorangegangenen Ent­führungsgeschichten, das ist ja das Inter­essante, ließen sich Terroristen auf solche Fragen ein. Rechtfertigten sich umständ­lich, machten Propaganda, als käme es drauf an, unter den Geiseln neue Mitglieder für ihren Verein zu werben, und erklärten den staunenden Urlaubern, dass sie letztlich alle mitschuldig wären. Dass der hier das alles nicht tat, gefiel mir, äh, ach so, ja, ich sagte es schon. Er kam also nicht mit der üblichen Kurzanalyse des Nahostkonflikts, mit seinem verschimmelten Heimatrecht, der Declaration, die Balfour nur verfasst hätte, weil die Zionisten sonst seine Kinder geschlachtet hätten, dem UN-Teilungsplan von 1947, der mit Stimmenkauf und Bestechung zustande gekommen wär, dem amerikanischen Rüstungs- und Dollar-Tropf, an dem Israel hänge, der feindseligen Haltung der arabischen Nachbarn gegenüber den Palästinensern und dem unbegründeten deutschen Schuldkomplex, sei doch Hitler erwiesenermaßen Halbjude gewesen und der Holocaust das Resultat des jüdischen Selbsthas­ses. Er sagte auch nicht, was sonst immer kommt, nämlich dass man einen universellen Kampf gegen die Mächte der Finsternis führe, auch in den Reihen der Palästinenser, und dass es in diesem Kampf keine Zivilisten mehr gäbe, denn die Kinder des Satans seien die Soldaten des Satans von morgen. Er ließ den ganzen Scheiß weg und sagte einfach nur: Pech.

Den ägyptischen Botschafter in Italien er­schießen, das wäre mir vor ein paar Jahren noch so unfassbar anachronistisch vorgekom­men wie der Mordanschlag auf den Papst durch diesen bescheuerten Türken oder der von Galtieri angezet­telte Falklandkrieg, entschuldige, das war ja alles schon vor deiner Zeit, aber man hat sich ja schon an anachronistische Massaker ge­wöhnt. Guck dir das Gemetzel in Syrien an. Gar nicht so weit von hier. Aber ich schweife wieder ab.

Als er fertig war, fing das Geschirrtuch, das nur arabisch sprach und offenbar zum mittleren Al-Qaida-Management gehörte, wieder an, einen zu erzäh­len, und der von eben übersetzte, wobei man ihm anmerkte, dass er nicht begeistert war. Es ging darum, dass im Rahmen des erforder­lichen Selbstreinigungsprozesses der Passagiere dringend die Insignien des Satans entfernt werden müssten, und sie würden jetzt herumgehen und die zionistischen oder sonstwie gottlosen Symbole einsammeln. Ich wusste nicht genau: Hat der Typ nun wirklich ´ne Panne oder spekuliert er auf goldene Kruzifixe und Dollarnoten?

Die Staatsanwaltschaft hat trotz erheblicher Bedenken der Teileinstellung des Verfahrens wegen räuberischen Diebstahls nach § 154 StPO zugestimmt, weil dieses Vermögensdelikt trotz aller kriminellen Energie, die seine Ausführung erkennen lässt, vom Strafrahmen her hinter dem zurückbleibt, was der Angeklagte für das von ihm zu verantwortende Tötungsdelikt zu erwarten hat.

Wie auch immer - auf seinen Wink hin fing der Bursche vom Heck damit an, systematisch die Passagiere zu flöhen. Der Sprecher mit entsicherter Kalaschnikow ging zu ihm und blieb fortan in seiner Nähe. Der Obermacker räumte die andere Gangseite ab, von vorne nach hinten. Auf diese Weise tauschten er und sein Kumpan von hinten letztlich ihre Plätze, während der Sprecher sich nachher wieder nach vorne verfügte. Der Typ, er sich von hinten in Richtung Cockpit durchklaute, sprach ein spastisches Englisch. Ich sah, wie er Parker-Kugel­schreiber einsammelte, offensichtlich, weil deren Logo dem Judenstern ähnelt. Das hatt´ ich schon mal gelesen. Meine Frau und ich guckten uns an und hoben die Achseln. Nichts Satanisches am Körper zu sehen. Ich holte schon mal die American-Express-Karte aus meiner Brieftasche. Die sollten sie haben. Der Filzer kam.

"Hello Cohn", grunzte er und grabschte sich die Karte.

Und ich: "My name is Petry."

"You look jewish, Petry Cohn."

"Thank you for the compliment."

"Which nationality?"

"German."

"German zionist."

"No, german tourist."

Ich muss das Kindergartenniveau verlassen, dachte ich, und da fiel mir spontan was ein.

"Well, Sir," sagte ich aufgesetzt freund­lich, "I must admit, that the 256th part of mine is jewish. My great grandfather´s grandpa had a great grandpa too, and this guy had married a jewish lady. Do you want me to explain, which part of my body is jewish?"

Er blickte etwas irritiert drein.

"You want to bullshit me?" fragte er ver­dächtig leise.

Ich wandte mich an den Sprecher. "Erklären Sie ihm bitte, dass der große Zeh an meinem linken Fuß jüdisch ist. Ich beschneide ihn sogar ab und zu."

Der Sprecher hatte den Tu´s-nicht-Blick, als ich ihm das sagte. Mit seinen Augen stimmte etwas nicht. Die Pupillen waren vergleichsweise riesig.

Von ausgeprägten Wahrnehmungsstörungen oder Verkennungen etwa infolge hirnorganischer Veränderungen oder einer Alkoholhalluzinose kann, um das gleich an dieser Stelle anzu­merken, nach den insoweit überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen überhaupt keine Rede sein.

Ich dachte spontan: Der Typ steht unter Strom. Er übersetzte. Der Grunzer kuckte mich an und haute mir wortlos eine rein. Einfach so mit der Faust auf die linke Wange - buff.

"Behave yourself, jewish pig", murmelte er, und dabei guckte er schon meine ältere Tochter an. Wir auch, und - ach du Scheiße, der Sheriff-Stern auf der Weste. Natürlich auch ein Emblem des Zionismus. Und der Arsch sagt ihr nicht etwa, sie solle es abmachen und es ihm geben, sondern rupft ihr das Ding einfach von der Weste, und diese Weste hatte sie gerade erst von ihrem eigenen Geld gekauft. So ein hübsches teures Westchen, für dessen Erwerb sie in den Ferien gearbeitet hatte, in unserem Garten, aber immerhin. Na ja, denk ich, sie wird sich wieder einkriegen, vielleicht kann man´s nähen, aber sie blickt ihn mit sprühenden Augen an, mir wird schon ganz schwummerig, ich weiß ja, was passieren kann, wenn Pauline so guckt, und sie zieht hoch - qngchrchrchrchrchr - richtig lang und schmutzig, und wlupp, hat der Hijacker den Rotz am linken Jochbein. Nie habe ich meine Tochter so geliebt wie in diesem Au­genblick. Der Schnodder läuft dem Typen mit höhnischer Langsamkeit auf die Wange. Na­türlich hatten wir alle verschärftes Herz­klopfen. Der Grunzer wischt sich den Sabber von der Backe und sagt sehr beherrscht und kalt:

"If you do tings like datt again, I rape you and also your modder and play pingpong with your daddy´s balls, understand?"

Meine Tochter hat verstanden und guckt mich mit dem Willst-du-dir-das-bieten-lassen-Blick an, während meine Frau mir gegen den Unterschenkel tritt, um mir den Mund zu verbieten, aber da brach es schon aus mir raus, und natürlich musste ich Idiot auch noch seinen Scheiß-Akzent nachahmen:

"Listen cocksucker, you should better con­tinue to rape your fadder and your bloody brodders, as your fucking modder taught you in de name of Allah, you dirty son of a bitch."

Er beugt sich zu mir runter, sein Augenzucken wird schlimmer, ich rieche den stinkenden Atem eines Magenkranken, er entsichert hörbar seine Kalaschnikow, ich denke, er wird ja wohl nicht vergessen, dass ein Schuss in einer fliegenden Maschine verheerende Folgen auch für ihn haben kann, und er faucht:

"I promis you, you are de first one, I kill, when we arrive at La Valetta."

Damit hatte er sich verraten. Malta also. Das denk ich als erstes. Also nicht etwa so was wie: Erst mit fünf Frauen geschlafen und schon sterben oder Die Bausparverträge sind noch nicht einmal zugeteilt oder Ihr müßt doch erst meine Frau fragen oder Ich wollte doch eigentlich noch einen Sohn zeugen oder schließlich Für welche Variante des ewigen Lebens entscheide ich mich und wie komm ich jetzt noch mit dem zuständigen Gott ins Geschäft. Wirklich. Mein erster Gedanke, wenn man es so nennen darf, war "Hähä, La Valetta." Obwohl ich damit eigentlich nicht viel anfangen konnte. Nur so was wie da re­den sie wenigstens englisch und die wollen die Ginos vor ihrer Haustür demütigen und dann dauert´s ja nicht so lange.

Und erst dann, glaub´s mir oder lass es, fiel mir ein: Was machen die mit meiner Frau und den Töchtern, wenn sie mich erst mal durch Rausstupsen auf die Landebahn entsorgt ha­ben? Daran entzündeten sich, wie du dir denken kannst, die widerwärtigsten Phanta­sien. Als die mich beim Wickel hatten, spürte ich, wie ein mir in seiner Intensi­tät völlig unbekannter, sozusagen vulkani­scher Zorn in mir hochkochte, und die Lava dieser Wut wälzte sich über meine Todes­angst, bevor diese sich richtig entfalten konnte. Ja, lach nicht. Weißt du, es war nicht nur der Zorn über die Anmaßung, mich totmachen zu wollen, sondern etwas, was ich komischerweise noch viel empörender fand, nämlich die Selbstverständlichkeit, mit der sie davon ausgingen, dass sie mich wie einen Hammel würden abschlachten können. Ihr werdet euch noch wundern - das war von diesem Moment an mein Grundgefühl.

 

Sicher kann man - wie bei den meisten Kapitalverbrechen - auch in diesem Fall dem Angeklagten eine antisoziale Persönlichkeitsstörung attestieren, eine Charakterneurose, eine Soziopathie oder was es sonst noch so an schönfärberischen Umschreibungen für die Abscheulichkeit einer Person gibt - allein, Krankheitswert haben die Gefühlskälte, Grausamkeit und Mitleidslosigkeit des Angeklagten nicht. Sonst könnten wir gleich 9 von 10 Mördern für zurechnungsunfähig erklären. Ohne einen beklagenswerten Charakter morden schließlich die wenigsten.

Meine Kinder und meine Frau guckten erfreulicherweise nicht mehr so, als erwarteten sie etwas von mir, sondern zeigten sich unerwartet liebevoll. Die Nachbarn auf den angrenzenden Sitzreihen zeigten diese merkwürdige Hochachtung, die man zum Tode Verurteilten entgegenbringt, und überspielten dabei auch ihre Verständnislosigkeit für meinen schauder­haften Leichtsinn.

Ich sah mich nach Verbündeten um. Auf den Sitzen, die an den Gang grenzten, saßen meistens Frauen, Halbwüchsige und alte Leutchen. Nur einer kam beim Blick in die vorderen Sitzreihen der Statur nach als Mitwirkender für ein Handgemenge in Frage. Ich sah zunächst nur den Schultergürtel und den Nacken, und dann drehte er kurz den Kopf zur Seite, und ich erkannte ihn. Ich hatte mit ihm mal an der Hotelbar gesessen. Nach dem ersten Liter Retsina hatte er mir seinen Frust darüber anvertraut, dass seine Freundin ihn vor die Wahl gestellt hatte, entweder seines Dschungel-Survival-Trips oder ihrer zu entsagen. Geiler Genitiv, was? Jedenfalls langweilte er sich gräss­lich. Im Rahmen einer kleinen Flucht zog er die wegen Schmelzwasser noch geschlossene Samariá-Schlucht von unten durch, war spätabends wieder da und kriegte Zoff mit seiner Herz-Dame. Kurz nach Mitternacht brach er an der Bar in Tränen aus, fing sich aber wieder, gewann eine Wette, indem er einen nahezu gestreckten Salto rückwärts vom Tresen vollführte, und zerlegte mit einem einzigen Handkantenschlag ein Barhockerbein, weil er sich darüber geärgert hatte, dass das Ding nicht ordentlich verleimt war. Fortan nannte sie ihn Karate-Tom. So´n Typ war das. Ich hatte nach dieser Nacht kaum noch Kontakt zu ihm, weil mir seine hilflose Macho-Nummer ein bisschen sehr fremd war, aber als ich ihn im Flieger wiedererkannte, war ich froh.

Also, ich will´s kurz machen, nach einer Weile kriegten wir Blickkontakt, und durch Augenbewegungen und ebenso vorsichtige wie sparsame Gesten gelang es mir schließlich, ihm klarzumachen, dass ich mit seiner Hilfe meinen Henker erledigen wollte, und er ka­pierte auch, dass das in Höhe seiner Sitz­reihe geschehen sollte. Über die weitere Arbeitsteilung konnte mit Kopfbewegungen Einigkeit erzielt werden. Übrigens war das natürlich leichtsinnig von den Entführern. Sie hätten die sozusagen wehrfähigen Männer entweder auf die Fensterplätze nötigen oder ihnen Handfesseln verpassen müssen. Sie waren nicht besonders gut vorbereitet und fühlten sich mit Allahs Hilfe sicher. Mit zu viel Gottvertrauen kommt man eben nie aus dem Amateurstatus heraus. Ein Glück.

Ich versuchte mich zu entspannen, und ver­sprach meiner Frau, mich direkt nach der Landung bei dem Henker in wohlgesetzten Worten zu entschuldigen. Sonst war nicht viel. Ich wartete auf den Landeanflug. Da wollt ich´s hinter mich bringen, weil ich glaubte, dass sie da am allerwenigsten mit einer Revolte rechnen würden. Nun gut. Das Flugzeug begann, an Höhe zu verlieren. Ich kniff die Schließmuskeln zusammen, stand auf und ging mit weichen Knien einige Meter in Richtung Cockpit. Achmed Grunz, der Henker, saß vorne auf einer Stewardessen-Sitz­klappe. Er blickte hoch.

"Wott do you wont?"

"I´ve got to take a piss."

"Use de lavatory at de odder end, Cohn."

"Sorry, it´s occupied."

Ich ging noch drei Schritte und war fast auf der Höhe von Karate-Tom.

"Stop immidschátly or I shot you down."

Erwartungsgemäß hat der Angeklagte für sich Sonderrechte mit einer Begründung gefor­dert, die so absurd ist, dass sogar sein Verteidiger, der ja in einer wenig benei­denswerten Lage ist und nach jedem Stroh­halm greifen muss, um die Position seines Mandanten zu verbessern, sich diese Taktik bisher erkennbar nicht zueigen machen wollte. Der Angeklagte versteht sich, so sagt er, als politischen Widerstandskämp­fer. Er behauptet, Mitglied einer bisher nicht in Erscheinung getretenen Terrororganisation zu sein, deren Ziele hier nicht diskutiert zu werden brauchen, zumal sie mit Verlaub indiskutabel sind. Außerdem gilt im Lichte unserer Verfassung: Selbst subjektiv ehrenwerte und objektiv uneigennützige Motive rechtfertigen keinen Mord. Die Argumentation des Angeklagten wäre allenfalls dann beachtlich, wenn er für sich den Kombattantenstatus in Sinne der einschlägigen Genfer Konvention beanspruchen könnte, wie das die sogenannte RAF vor 40 Jahren dreisterweise versucht hat. Ein solcher Vorstoß erschien dem Angeklagten, der sonst nicht durch Bescheidenheit hervorgetreten ist, denn doch zu kühn.

Er kam näher, Karate-Tom stellte unauffäl­lig sein Bein in den Gang und Achmed Grunz strauchelte. Zum Glück nur ein bisschen, sonst hätte der Tritt, den ich mindestens eine Stunde lang mental vorbereitet hatte, womöglich seine Eier gar nicht mehr er­reicht. Er kam kaum dazu aufzujaulen, denn Karate-Tom verpasste ihm einen beinharten Handkantenschlag ins Genick.

Die allermeisten Passagiere hatten noch nichts begriffen, nur der Obermacker von hinten kam planmäßig herbeigehechelt, wobei er nach vorn stolperte, weil das Flugzeug etwas steiler runterging. Ich hatte Achmed Grunz schon die Pistole aus dem Gürtel ge­zerrt, mich im Bücken umgewandt und den Kopf kurz hinter einem Sitz in Deckung ge­bracht. Dann kam ich raus und schoss dem Geschirrtuch aus kürzester Distanz zentral auf die Brust. Natürlich flatterte der Lauf, weil ich überhaupt keine Übung mehr hatte - du musst dir vorstellen, mit so ei­nem Ding hatte ich zum letzten Mal beim Barras geschossen, und zwar verdammt schlecht, und außerdem war ich natürlich am Zittern, als er mit der Kalaschnikow auf mich lostaumelte. Und dann auch noch die Angst, einen Passagier zu treffen. Aber ich hatte Schwein. Er kippte nach vor und hätte mich dabei beinahe noch unter sich begraben.

Natürlich herrschten jetzt allgemeines Ge­schrei und hysterisches Gekreische. Ich hörte die Stimmen meiner Familie heraus. Das tat gut. Aber viele waren noch völlig verdattert. Du musst dir vorstellen, alles hatte sich bis dahin in höchstens fünf Sekunden abgespielt, und ich rappelte mich hoch zwischen einem Toten, einem Halbtoten und dem zum Glück sehr gesunden Karate-Tom und sah, was ich erwartet und befürchtet hatte: Der Sprecher schoss probehalber mit seiner Maschinenpistole in die Gepäckfächer. Wir hatten das Glück, dass wir noch mit den an­deren ziemlich verknäult waren, sonst hätte er, dachte ich damals, gleich in uns rein­geballert. Ich sah ihn an und spürte, dass auf seiner Emotionsskala die Nadel zwischen Wahnsinn und Angst hin- und herraste, und ich sah etwas in seiner ausgestreckten linken Faust und hörte ihn überraschend schrill brüllen, während das Flugzeug schon über der Landebahn war:

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