Parsifal

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Aus der Reihe: Sternenlicht #5
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3. Szene

„Herr Admiral, eine Meldung von der ORB“, drang die Stimme der Kommunikationsoffizierin Uhura an Hoffmanns Ohren.

Überrascht hob Hoffmann die Augenbrauen und wandte sich dem Visiophon vor ihm zu. Per Hologramm tauchte das zerfurchte Gesicht der Generalin Pamina Neyd auf, die als Leiterin der Obersten Raumbehörde Morans fungierte. Ihr streichholzkurzes Haar war bereits ähnlich stark ergraut wie das Hoffmanns. Und auch Neyd war zu uneitel, um es wie in ihren Alterskreisen sonst meist üblich zu färben. „Pamina, ich grüße dich. Wir haben soeben die befohlene Bergung der Datenträger auf Torr IV begonnen. Alle vier Raumkreuzer der BRUNO sind ausgeschleust, weil wir per Resonanzkontakt ein unbekanntes Schiff angepeilt haben, das auf unsere Kontaktversuche nicht reagiert. Und wir möchten lieber kein Risiko eingehen, wie du dir denken kannst.“ Er lächelte schmallippig in die Kamera.

Neyd musterte ihn ernst. Sie hatten im letzten Krieg als Unteroffiziere auf demselben Schlachtkreuzer der militärischen Flotte gedient und standen einander entsprechend nah. Erst nach Neyds Beförderung an die oberste Spitze der Raumbehörde war ihr Kontakt allmählich abgeflaut. Es bleibt eben nicht mehr viel Zeit für alte Freunde und Bekannte, wenn man die Verantwortung für eine ganze Raumflotte mit knapp 500 Schiffen und insgesamt über 5.000 Besatzungsmitgliedern trägt, die von einer Vielzahl als Bodenpersonal dienenden Frauen und Männern unterstützt werden.

„Deshalb rufe ich nicht an, Omar“, entgegnete die Generalin. „Es tut mir leid, aber ihr müsst diese Mission sofort abbrechen. Es gibt einen neuen Auftrag für euch, der keinerlei Aufschub duldet.“

Hoffmann atmete tief durch. „Was ist passiert? Ein Angriff auf Moran?“

Neyd schüttelte leicht den Kopf. „Nein, zum Glück nichts so Dramatisches. Die Sache ist mir selbst ein Rätsel. Aber wir haben von der Regierung die Order erhalten, ein moranisches Entführungsopfer aus der Hand von Raumpiraten zu befreien. Das ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt anscheinend wichtiger als alles andere. Deshalb ergeht dieser Befehl an euch auch als Alphaorder.“

Gegen seinen Willen stieß Admiral Hoffmann ein ungläubiges Lachen aus. „Wie bitte? Etwas so Banales wie ein Piratenüberfall soll unseren sorgsam ausgearbeiteten Einsatzplan auf den Kopf stellen? Das kann nicht dein Ernst sein, Pamina!“

Wie um Entschuldigung bittend zuckte Neyd mit den Schultern. „Du weißt, dass die Regierung uns gegenüber weisungsbefugt ist. Wer zahlt, bestimmt die Musik. Bei dem Entführungsopfer muss es sich meines Erachtens um jemanden handeln, der einem einflussreichen Regierungsmitglied sehr am Herzen liegt. Bitte glaube mir, ich bin selbst irritiert und halte das auch für äußerst fragwürdig. Aber offenbar ist man der Ansicht, es brauche ein so großes Schiff wie die BRUNO, um dieses kleine Piratenproblem zu lösen. Wenn es dich tröstet, kannst du dir also sagen, dass man in den entscheidenden Kreisen auch die Kampfkraft eures Forschungsraumers durchaus zu schätzen weiß. Und insbesondere eure Kreuzer der ORION-Klasse verfügen ja in der Tat über eine beeindruckende Stärke.“ Sie seufzte. „Die Zielkoordinaten lasse ich euch gleich zukommen. Schleuse die vier Kreuzer ein und mach dich unverzüglich auf den Weg. Wie gesagt, das ist eine Alphaorder. ORB Moran Ende.“ Die holografische Darstellung von Neyds Gesicht erlosch.

Admiral Hoffmann schüttelte fassungslos den Kopf. Aber er war nicht gewillt, an diesem absurden Spiel bedingungslos mitzuwirken. Ja, er war ein leitender Offizier und das hierarchische System dieses Berufszweiges war ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Doch hatte er in all den Dienstjahren weder sein Herz versteinern lassen noch sein Gehirn ausgeschaltet. Er wusste, was zu tun war und würde sämtliche Konsequenzen bereitwillig in Kauf nehmen.

4. Szene

„Ich fürchte, wir bekommen Vertreterbesuch.“ Buffon hatte die Ortung übernommen, da die dafür zuständige Ronja Darlfrey die DIANA an Bord der Phönix vor einigen Minuten verlassen hatte. Etwas umständlich bediente er die für ihn ungewohnten Ortungs-Kontrollfelder seines Pultes.

Es wäre auch möglich gewesen, diese Aufgabe dem Bordcomputer zu übertragen, aber es schadete nichts, den jungen Burschen etwas zu fordern, hatte Taunsend stillschweigend entschieden. Man wächst mit seinen Aufgaben. Und das konnte dem noch etwas unfertig wirkenden Buffon wahrlich nicht schaden.

„Ein großer Brocken“, erläuterte der Fähnrich. „Sieht aus wie eine Röhre mit allerlei Anbauten, über 500 Meter lang und 100 Meter im Durstmesser.“

„Also ein Schlachtkreuzer der Konföderation“, murmelte Taunsend, nachdem die holografische Darstellung des fremden Schiffes endlich über der Astroscheibe erschienen war. Das Auftauchen des zuvor versteckten Raumers war zu erwarten gewesen, nachdem die GIORDANO BRUNO unvermittelt das System verlassen hatte, um eine dringendere Mission zu erfüllen. Der Gegner wagte sich nun aus dem Ortungsschatten des Weißen Zwerges. Die Konfrontation mit der GIORDANO BRUNO hatte er gescheut, doch ein einzelner ihrer Kreuzer war für ihn offenbar ein Widersacher, den man vertreiben oder gar vernichten konnte. Zwar verfügte die DIANA wie jedes Schiff der ORION-Klasse über einen Overkill-Werfer, der ganze Planeten zerstören konnte, aber dieser war für ein Feuergefecht gegen ein anderes Raumschiff viel zu ungenau. So blieben ihr hierfür nur ihre vier konventionellen Strahler. Und diese waren den zahlreichen schweren Lasergeschützen eines Schlachtkreuzers deutlich unterlegen.

„Schutzschirm aktivieren!“, befahl Taunsend. Zwar herrschte derzeit kein Kriegszustand zwischen der Sternenlicht Vereinigung und der Fraktalkonföderation, doch die wechselseitige Beziehung war chronisch gespannt. Weder auf politischer noch auf ökonomischer Ebene gab es engere Kontakte. Man wusste nicht einmal viel voneinander. Und das, obwohl in beiden Sternenreichen Abkömmlinge der irdischen Menschheit lebten. Zwar gab es ein Datennetz, welches den gesamten von Menschen besiedelten Teil der Galaxis miteinander verband, doch uneingeschränkten Zugriff darauf hatten nur die Geheimdienste und die höchsten Regierungsebenen.

„Was machen wir nun?“ Astrogator Entwissels Stimme klang belegt. „Soll ich auf Fluchtkurs gehen?“

„Auf keinen Fall!“ Taunsend rieb sich nachdenklich das bärtige Kinn. „Wir lassen Ronja und Kio da unten nicht im Stich. Aber wir sollten auch keinen Zweikampf mit dem Brocken riskieren. Sein aggressives Auftauchen trotz unserer Anwesenheit lässt darauf schließen, dass er es auf ein Feuergefecht mit uns ankommen lassen würde, und dabei würden wir mit ziemlicher Sicherheit den Kürzeren ziehen. Womöglich ist er aus demselben Grund wie wir hier. Und in dem Fall ist er wohl kaum gewillt, tatenlos zuzusehen, wie wir mit diesen Forschungsdaten gen Heimat davondüsen. Das Risiko ist mir jedenfalls zu groß. Flieg in den Ortungsschatten auf der Rückseite des Planetoiden und geh dort auf Tauchstation, Jon!“

Das verschaffte ihnen eine Atempause, mehr aber auch nicht. Fieberhaft suchte Taunsend nach einem passenden Schachzug für diese vertrackte Situation. „Toni, sind die Lichtwerfer einsatzbereit?“

„Ja“, antwortete die junge Frau vom Armierungsstand ein Deck über der Kommandozentrale gewohnt wortkarg.

„Verbindung mit Bodentrupp herstellen“, befahl Taunsend.

Buffon brauchte erfreulicherweise nicht allzu lange, um wieder auf den Kommunikationsmodus umzustellen.

„Pet, was gibt’s?“ krähte Darlfreys stets etwas heisere Stimme unbeschwert. „Wir haben den Eingang zur Station geknackt. Gute Luft herrscht im Inneren leider nicht mehr, eher Vakuum. Wir werden uns jetzt zum Archiv begeben oder wo auch immer diese heißbegehrten Datenträger vor sich hin gammeln mögen. Ist das Abendessen schon fertig oder warum klopfst du an?“

„Die BRUNO und unser gesamter Begleitschutz haben das Feld geräumt.“

„Was? Warum das denn? Haben etwa die eine Esseneinladung bekommen?“

Taunsend schnaubte humorlos. „Alphaorder der ORB. Jedenfalls nähert sich soeben ein Schiff der Konföderation, leider sehr viel größer und vermutlich kampfstärker als wir. Ich weiß nicht, was sie hier suchen, vielleicht wollen sie uns aus reiner Gewohnheit die Suppe versalzen, apropos Essenseinladung. Wir gehen erst mal in Deckung, aber wir lassen euch nicht im Stich, das wisst ihr. Erledigt einfach weiter euren Auftrag und meldet euch per Subfunk, sobald ihr damit fertig seid. Ich hoffe, bis dahin ist mir etwas Schlaues eingefallen. DIANA Ende.“

„Verdammt, das hab ich mir anders vorgestellt.“ Hinter der Scheibe seines Raumhelmes wirkte Muns rundliches Gesicht so besorgt wie nur selten. Der Bordingenieur der DIANA stand in seinem tarnfarbigen Raumanzug Darlfrey gegenüber in der Schleusenkammer der verlassenen Forschungsstation.

„Ich weiß, du hast von lauschigen Büschen geträumt, in denen du mich vor und nach unserem Auftrag kurz vernaschen kannst, du Lustgreis. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.“ Darlfrey zwang sich zu einem aufmunternden Lächeln, auch wenn es ihr schwerfiel.

„Danke, jetzt geht es mir schon viel besser“, feixte Mun. Der leicht untersetzte Leutnant diente seit fast zwanzig Jahren in der Flotte und hatte seine Nerven in aller Regel gut im Griff. „Ich frage mich nur, warum dieser Valan ausgerechnet hier im kosmischen Nirgendwo eine Forschungsstation errichtet hat. Weshalb er diese Einöde dann wieder verlassen hat, kann ich schon besser verstehen. Hier würde ich es auch nicht lange aushalten.“

„Zum Glück fragst du dich selbst. Ich hab nämlich leider auch keine schlaue Antwort darauf. Und nun komm, bringen wir es hinter uns.“ Darlfrey betrat den etwa vier Meter breiten und gut zwei Meter hohen Korridor, der sich hinter der Schleusenkammer ins Innere der Station erstreckte.

 

Wie Taunsend bei der Einsatzbesprechung angekündigt hatte, war die Station nicht sonderlich groß. Das flache quaderförmige Gebäude, dessen Rückseite an eine Felswand angelehnt war, war etwa zwanzig Meter breit und vierzig Meter lang. Allzu viele Räume, die es zu durchsuchen galt, dürfte es also nicht enthalten.

Die Lufterneuerungsanlage, welche die Anlage einst mit Sauerstoff geflutet hatte, war nicht mehr in Betrieb. Das auf der Oberfläche des Planetoiden herrschende Vakuum hatte auch die Station erfasst, obgleich die Eingangstür geschlossen gewesen war und von Darlfrey und Mun durch den Einsatz ihrer HM-6-Strahler hatte geknackt werden müssen. Der breitgefächerte Lichtstrahl ihrer Helmscheinwerfer beleuchtete die hellgrauen Wände, deren Verkleidung nach etlichen Jahrzehnten der Vernachlässigung bereits etliche Risse aufwies.

„Es wäre schön, wenn wir einen Bauplan der Anlage hätten“, bemerkte Mun.

„Warum das denn? Hast du als Kind etwa nicht gerne Suchen gespielt?“

„Eher Verstecken. So hatte ich vor meinem schlagfreudigen großen Bruder wenigstens ab und zu mal meine Ruhe. Du musstest dich natürlich nie verstecken. Du bist ja sogar in der späten Blüte deiner Jahre und voll ausgewachsen noch so klein, dass man dich ohne Lupe kaum sehen kann.“

„Was ich vermutlich mit deinem besten Teil gemeinsam habe, mein lieber Kio, auch wenn ich das noch nie sehen musste und auch keinerlei Verlangen danach empfinde. Und jetzt mir nach, falls deine altersschwachen Augen mich in dieser Finsternis erkennen können.“ Mit raschen Schritten, die bei der geringen Schwerkraft des Planetoiden kaum Mühe erforderten, eilte Darlfrey in das Innere der Forschungsstation.

Die Lautlosigkeit der Szenerie zerrte an den Nerven. Selbst wenn ein Wesen in Todesangst geschrien hätte, wäre es im Vakuum der verlassenen Forschungsstation für andere nicht zu hören gewesen. Deshalb neigten Raumfahrer zur eigenen Beruhigung häufig zu mehr oder weniger sinnvollem Geplapper über den Helmfunk.

Darlfrey hatte sich mit zunehmendem Alter immer öfter gefragt, was schlimmer sei, taub zu werden oder zu erblinden. Nichts mehr sehen zu können war ihr meist als das kleinere Übel erschienen. Nicht nur wegen der Musik, die sie innig liebte. Doch die nur durch das Licht der Helmscheinwerfer durchbrochene Finsternis in der Station führte ihr buchstäblich vor Augen, wie unangenehm auch die ewige Dunkelheit sein musste.

An beiden Seiten des Ganges tauchten nach etwa zehn Metern die ersten Türen auf.

„Wollen wir mal anklopfen?“, fragte Mun.

„Das würde ja denen hinter der Tür die Überraschung verderben.“ Darlfrey drückte auf den Öffnungsknopf neben der Tür zu ihrer Linken. Wie von ihr erwartet, geschah nichts. Es wäre auch verwunderlich gewesen, wenn die Energieversorgung der Station noch funktioniert hätte. Für Stromausfälle gab es jedoch stets auch eine manuelle Vorrichtung zum Öffnen. Darlfrey griff nach dem dafür vorgesehenen Hebel an der linken Seite der Tür und rüttelte daran. Wiederum ohne Ergebnis.

„Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt.“ Mun zückte den HM-6-Strahler und richtete ihn auf die Tür. „Oder hast du etwa ausnahmsweise eine bessere Idee als ich, Ronja?“

Darlfrey schüttelte den Kopf. „Ich bin zwar mit großem Abstand klüger als du, aber in technischen Fragen bist du mir über. Schieß die Tür auf! Beim Haupteingang zur Station hat es ja auch geklappt.“

Der Laserstrahl zerstörte den Schließmechanismus der Tür binnen weniger Sekunden. Mun drückte sie auf. Dahinter beleuchtete sein Helmscheinwerfer einen fensterlosen Raum voller Regale und Schränke. „Müssen wir die etwa alle durchwühlen?“

„Es bleibt uns wohl nichts anderes übrig“, seufzte Darlfrey. „Ich übernehme die linke Seite, du die rechte, einverstanden?“

„Geniale Idee, Ronja. Und da behauptest du, ich wäre dir technisch überlegen.“

Ein heftiger Schlag erschütterte den Kreuzer, begleitet von einem krachenden Geräusch.

„DIANA unter Beschuss“, meldete Buffon mit zittriger Stimme. „Aber der Regenschirm hat dichtgehalten, keine Wasserschäden.“

Taunsend atmete tief durch. Die Konföderierten scherten sich offenbar wie befürchtet nicht darum, ob sie mit einer kriegerischen Handlung gegen ein Schiff der Sternenlicht Vereinigung den brüchigen Waffenstillstand zwischen den beiden Staatenbunden beendeten.

Die DIANA beschleunigte mit Höchstgeschwindigkeit in den Ortungsschatten des Planetoiden. Auch wenn Torr IV nur etwa 500 Kilometer Durchmesser aufwies, bot seine zerklüftete Oberfläche genügend Verstecke für einen lediglich 170 Meter durchmessenden Diskus.

„Zwischen diesen Felsen könnten wir uns auf die Lauer legen“, meldete Entwissel.

Taunsend musterte auf der Astroscheibe vor ihm die angegebene Steinformation, die an ein abstraktes Wimmelbild erinnerte. „Tu das. Und dann sämtliche Aggregate abschalten, die nicht unmittelbar lebensnotwendig sind, Schirme und Werfer inklusive. Wir müssen vermeiden, dass wir energetisch geortet werden können.“

Entwissel stieß ein überraschtes Knurren aus. „Aber dann sind wir wehrlos! Und wenn wir ohne Energie landen, kriegt unsere DIANA einen zerkratzten Bauch!“

„Besser ist der Bauch zerkratzt als geplatzt“, schaltete sich Buffon ein.

„Sehr richtig, Amadeus“, bestätigte Taunsend. „Und in einem offenen Gefecht würden wir mit großer Wahrscheinlichkeit mehr als nur ein paar Kratzer abbekommen. Das Abschalten der Aggregate gibt uns am ehesten die Möglichkeit, einen Kampf zumindest vorerst zu vermeiden. Muss ich meinen Befehl noch näher erläutern, Leutnant Entwissel, oder bist du überzeugt genug, um ihn auszuführen?“

Ohne ein weiteres Widerwort steuerte der zum Eigensinn neigende Astrogator die DIANA in das Felsenversteck. Ein hässliches Knirschen ertönte, als die Unterseite des Kreuzers auf dem blanken Gesteinsboden zu liegen kam. Entwissel stöhnte unterdrückt, als hätte ihn der Aufprall selbst geschmerzt.

Taunsend hatte die Aufgabe des Ingenieurs Mun dem Bordcomputer übergeben. „DIANA, schalte die Energieversorgung auf Stufe 2 runter und dich als KI selbst ab“, befahl er.

„Wird sofort erledigt“, verkündete die angenehme weibliche Stimme der Künstlichen Intelligenz. Das Licht im Kommandoleitstand erlosch, nur die Schaltpulte spendeten noch etwas diffuse Helligkeit.

„Da kommen Schiffe“, wisperte Buffon so leise, als hätte er Angst, der Gegner könnte ihn hören.

Auch Taunsend sah die drei Punkte auf der Astroscheibe. In parallelen Flugbahnen glitten sie einher, sicherlich auf der Suche nach der DIANA. Die Ortung war ebenfalls auf minimale Leistung gestellt, daher war ihre Darstellung lediglich zweidimensional und viel unschärfer als gewohnt. Form und Größe der Schiffe waren nicht zu erkennen. Mit großer Wahrscheinlichkeit handelte es sich um kleine Raumaufklärer, die nur schwach bewaffnet waren.

Unbewusst hielt Taunsend den Atem an, bis die Boote nach wenigen Augenblicken wieder aus der Ortung verschwunden waren. Das Versteck der DIANA war gut genug gewesen. Doch nun wurde es Zeit für den nächsten Schachzug. Taunsend schloss die Lider und versuchte vor seinem inneren Auge den Weg zum Matt für den Gegner zu erkennen.

Aber er sah ihn nicht. Nur die schwarzen Felder des Schachbrettes, die jedoch in Wahrheit das unendliche Weltall sein mochten.

5. Szene

„Ich glaube, das beantwortet deine Frage, warum die Station verlassen wurde.“ Darlfrey schluckte trocken, während sie die vier menschlichen Leichen betrachtete, die wie eingefroren in dem ehemaligen Aufenthaltsraum standen und saßen. Drei waren Männer gewesen, zwei davon mittleren Alters, der dritte bereits leicht ergraut. Der vierte Leichnam war der einer noch recht jungen Frau. Ihre Arme umklammerten wie schutzsuchend einen der Männer. In dem in der Station herrschenden Vakuum hatten keinerlei Bakterien die Körper verwesen lassen können, daher wirkten sie, als wären sie erst vor kurzer Zeit gestorben.

Knapp eine Viertelstunde war vergangen, seitdem Darlfrey und Mun die Forschungsstation betreten hatten. Einen Raum nach dem anderen hatten sie vergeblich durchsucht. Etliche davon waren Mannschaftsquartiere oder Räume, die der Versorgung der einstigen Arbeitsgruppen gedient hatten. Diese gründlich zu durchsuchen hatten sie sich aus Zeitgründen gespart. Und dies waren die ersten Spuren der einstigen Besatzung, auf die sie gestoßen waren.

„Das müssen die Frogs verbrochen haben“, murmelte Mun. „Nur die haben Waffen mit solcher Wirkung. Der Körper erstarrt mitten in der Bewegung wie zu Stein, während das Leben entweicht. Einige der Wissenschaftler in dieser Station konnten wohl fliehen, sonst hätten wir bereits noch mehr Leichen gefunden. Diese armen Teufel hier haben die Frogs aber erwischt.“

„Das erklärt auch, warum diese Datenträger hier in der Station geblieben sind“, ergänzte Darlfrey. „Es blieb schlicht keine Zeit mehr, sie vor der Flucht mitzunehmen. Und die Frogs hatten daran vermutlich kein Interesse. Man weiß ja bis heute nicht, was die überhaupt von der Menschheit wollten.“

„Aber wie sind die Frogs hier hereingekommen? Die Eingangstür war doch geschlossen.“

„Vielleicht haben sie die höflicherweise hinter sich wieder zugemacht, nachdem sie die Besatzung erledigt hatten. Oder sie sind durch einen anderen Eingang eingedrungen, womöglich haben sie sich auch einen freigeschossen. Wer weiß das schon. Aber wir haben Wichtigeres zu erledigen, als solche eher müßigen historischen Fragen zu beantworten.“

Ohne den gespenstischen Aufenthaltsraum näher zu untersuchen, wandten sich die beiden Raumfahrer wieder um und schlossen die Tür hinter sich.

Ein Aufzug führte in ein tieferes Stockwerk. Wie alle energetisch betriebenen Geräte der Anlage war er außer Funktion. Glücklicherweise befand sich daneben ein schmaler Notschacht mit einer Leiter. Diese stiegen Darlfrey und Mun hinunter.

Bislang war ihre Suche ohne Erfolg geblieben. Nur weitere menschliche Leichen hatten sie entdeckt, insgesamt fast ein Dutzend.

„Warum hat dieser Valan seine Forschungsergebnisse auch nicht wie jeder vernünftige Mensch in einer Cloud speichern können?“, knurrte Mun, während er die Regale eines weiteren Raumes, der offenbar als Labor genutzt worden war, systematisch durchsuchte. „Dann wären sie ihm nach der Flucht aus der Station nicht verlorengegangen. Datenträger … das ist doch vorzeitlich!“

„Vorzeitlich, aber sicher“, erwiderte Darlfrey. „Die Schlösser einer Cloud kann man mit den passenden digitalen Werkzeugen knacken, auch wenn ihre Betreiber seit Ewigkeiten regelmäßig behaupten, bei der jeweils neuesten Version wäre das nicht mehr möglich. Datenträger aber musst du dir erst mal materiell besorgen, sonst hast du keine Chance, an die gespeicherten Informationen darauf zu kommen.“

„Unsinn! Natürlich kann man Clouds so sichern, dass kein Unbefugter darauf Zugriff hat“, widersprach Mun. „Wenn sie doch mal geknackt werden, liegt das immer nur daran, dass das Sicherheitsprogramm nicht auf dem neuesten Stand ist. Das hätte Valan auch wissen müssen, wenn er so ein angeblich genialer Wissenschaftler war.“

Unwillkürlich musste Darlfrey lächeln. Mun war wie die meisten Ingenieure äußerst fortschrittsgläubig und verachtete die Technik vergangener Zeiten als minderwertig und unter seiner Würde. „Nun ja, zum Glück bist du noch viel schlauer als dieses Genie und weißt darum alles besser. Nur hilft uns das auch nicht weiter. Wir müssen diese vermaledeiten Datenträger finden.“

Mun fluchte. „Und zu allem Überfluss ist nicht mal unsere Rückkehr zur DIANA gesichert. Warum mussten auch diese blöden Konföderierten hier herumlungern? Aber wie heißt es so treffend? Ein Unglück kommt selten allein. Wenn meine Priyanka wüsste, was ich hier durchmache! Die würde im Nu vor Sorge noch mehr ergrauen als du gefärbte Blondine.“

Darlfrey kicherte. „Dein Goldstück wird mitsamt dem Rest der Familie Mun wohl eher die Gelegenheit nutzen, sich von deinem letzten Heimaturlaub zu erholen.“

„Von wegen. Meine beiden Kinder verehren mich wie einen Weisen, meine Frau begehrt mich auch nach all den Jahren wie einen Sexgott. Aber wer kann es ihnen verdenken?“

Mit einem Hauch von Wehmut dachte Darlfrey an ihr eigenes Zuhause auf Moran. Niemand wartete auf sie in der kleinen Wohnung im lebhaften Zentrum der Hauptstadt, wenn sie aus dem All zurückkehrte. Sie hatte in ihrem mittlerweile über fünfzigjährigen Leben schon viele Männerbekanntschaften gehabt, aber bei keinem hatte sie das Bedürfnis empfunden, den Rest ihrer Tage oder zumindest einen großen Teil davon an seiner Seite zu verbringen oder gar eigene Kinder mit ihm zu bekommen. Sie liebte ihre Arbeit als Ortungsoffizierin an Bord des Forschungskreuzers, sie genoss es, in ihrer Freizeit mit den kernigen Kerlen in den Raumfahrerbars zu flirten und mit einem besonders attraktiven anschließend die Nacht zu verbringen. Aber sie brauchte ihre Unabhängigkeit, sonst fühlte sie sich nicht nur seelisch, sondern auch körperlich unwohl. Sogar in der DIANA war ihr liebster Aufenthaltsort die Ortungskabine im obersten Deck des Kreuzers, die sie mit keinem anderen Besatzungsmitglied teilen musste.

 

„Ronja, ich glaub, ich hab etwas gefunden“, unterbrach Muns Stimme ihre Gedankengänge. In seiner behandschuhten Rechten hielt er einen Kristallwürfel mit etwa zwei Zentimetern Seitenlänge. „Das hier sieht nach Datenträgern aus, wie sie schon in der Vorzeit benutzt wurden. Wenn wir jetzt noch ein Gerät hätten, mit dem man die Dinger öffnen kann, wüssten wir, ob darauf auch das Zeug gespeichert ist, das wir suchen.“

„Ich hab es ja gesagt, diese Datenträger sind sicher. Sogar jetzt, nachdem wir sie gefunden haben, kommen wir nicht an die darauf gespeicherten Informationen. Aber wir packen einfach alle ein, die wir finden. Ich habe in weiser Voraussicht ein paar ausfaltbare Taschen mitgenommen. Du technisches Genie bist ja offenbar nicht auf diese Idee gekommen. Was nicht digital ist, befindet sich eben außerhalb deines Wahrnehmungsvermögens, stimmt’s?“

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