Unbändig berührt

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Aus der Reihe: Berührt #4
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Unbändig berührt
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Deutsche Erstausgabe (ePub) November 2020

© 2020 by Jessica Martin

Verlagsrechte © 2020 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk, Taufkirchen

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

Bildrechte Umschlagillustration

vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

Druckerei: CPI Deutschland

Lektorat: Debora Exner

ISBN-13: 978-3-95823-852-7

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www.cursed-verlag.de


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Klappentext:

Jonas ist frisch geschieden und will sich eigentlich erst mal selbst neu kennenlernen, bevor er sich in die nächste Beziehung stürzt. Als sein Nachbar Marek mit einer Grippe zu kämpfen hat, ist es für Jonas selbstverständlich, ihm unter die Arme zu greifen. Dass er Marek kurz darauf auf einer BDSM-Party über den Weg läuft, hat er allerdings nicht erwartet. Die gegenseitige Anziehung ist unbestreitbar und dass sie auch auf dieser speziellen Ebene miteinander harmonieren, könnte perfekt sein. Aber Marek will nicht als Experiment herhalten und Jonas ist sich nicht sicher, ob er sich so bald schon wieder fest binden will. Doch wahre Liebe lässt sich nicht bändigen…

Kapitel 1

Jonas

Der Mann tat es schon wieder. Es war das vierte Mal innerhalb der letzten anderthalb Stunden. Jonas wusste das so genau, weil sein Bad direkt unter dem seines Nachbarn lag und dieses Haus verdammt hellhörig war.

»Meine Güte«, murmelte er, denn es klang schrecklich gequält. Als es im nächsten Moment laut schepperte, war Jonas schneller im Hausflur und drückte auf den Klingelknopf seines Nachbarn, als er darüber nachdenken konnte, was er da überhaupt tat.

»Herr Zając?«, rief er durch die Tür, wobei er sich nicht sicher war, ob er den Namen richtig aussprach, und klopfte laut. Als sich drinnen nichts regte, klingelte er erneut und ließ den Finger diesmal länger auf dem Knopf.

Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und sein Nachbar stand vor ihm. Er sah furchtbar aus. Sie waren einander bisher nur gelegentlich im Hausflur begegnet, aber da war er stets ordentlich frisiert gewesen, hatte Jeans und T-Shirt getragen und nett gelächelt. Im Moment jedoch war von all dem nichts zu sehen, denn seine Haare waren zerzaust und glänzten fettig und unter dem schmuddeligen Bademantel trug er augenscheinlich Schlafzeug. »Was?«

»Bitte entschuldigen Sie die Störung. Ich wollte mich nur vergewissern, dass bei Ihnen alles in Ordnung ist«, begann Jonas und versuchte, den muffigen Geruch zu ignorieren, der aus der Wohnung kam. »Ich konnte Sie im Bad hören und auch das laute Scheppern.«

Schwerfällig sackte sein Nachbar gegen die Flurwand und lehnte die Stirn an die Tapete. »War nur 'n Glas«, brummte er und Jonas fiel auf, wie blass der Mann war.

»Sind Sie krank?«

Herr Zając drehte langsam den Kopf, sodass er ihn ansehen konnte, und rang sich ein müdes Lächeln ab. Seine Augen waren blutunterlaufen. Er sah echt elend aus. »So krank wie noch nie in meinem Leben.«

»Kann ich irgendwas tun? Brauchen Sie Medizin?«, bot Jonas an.

Sein Nachbar schüttelte den Kopf und zog wenig elegant die Nase hoch. »Ich sterb hier einfach vor mich hin.«

Da er das ganz sicher nicht ernst meinte, schmunzelte Jonas. »Darf ich reinkommen?« Auf ein schwerfälliges Nicken hin, wagte er sich in die fremde Wohnung, denn sie konnten nicht länger an der offenen Tür rumstehen. Außerdem hatte er wirklich Bedenken, dass sein Nachbar umkippte, so schwach wie er auf den Beinen war, und allein könnte er den muskulösen Mann nicht wieder aufrichten, daher bedeutete er ihm, von der Tür wegzugehen, damit er sie hinter sich schließen konnte. »So schnell stirbt es sich nicht.«

»Woher wollen Sie das wissen?«, murmelte Herr Zając und schleppte sich vor ihm her den Flur entlang und ins Schlafzimmer.

Auf dem Weg dorthin warf Jonas einen Blick ins Bad, dessen Fußboden von Scherben übersät war. »Ich bin Zahnarzt«, meinte er schulterzuckend, als sein Nachbar endlich auf dem Bett saß. »Mir erzählen die Menschen regelmäßig, dass sie vor Angst oder Schmerzen sterben, aber dann verlassen sie die Praxis doch aus eigener Kraft und auf zwei Beinen.«

Hier musste dringend gelüftet werden, daher ging er zum Fenster und nachdem er es geöffnet hatte, sah er sich genauer um. Auf dem Fußboden herrschte ein ziemliches Klamottenchaos und dem Berg benutzter Taschentücher neben dem Bett nach zu urteilen, war sein Nachbar im Moment nicht in der Lage, für Ordnung und Hygiene zu sorgen.

»Zahnarzt? Sadist, also?«

Lachend schüttelte Jonas den Kopf, denn Herr Zając hätte nicht weiter danebenliegen können. »Nicht wirklich. Ich mag es lieber, Leute von ihren Schmerzen zu befreien oder davor zu bewahren, als ihnen welche zuzufügen.«

Sein Nachbar murmelte etwas vor sich hin, während er sich unter seiner Decke verkroch, obwohl es Ende August und somit warm war.

»Waren Sie schon beim Arzt?«

»Gestern«, bekam er leise zur Antwort, bevor ein Seufzen ertönte, gefolgt von einem offensichtlichen Fluchen, dessen Übersetzung er jedoch nicht kannte. Vermutlich war sein Nachbar Russe oder Pole, denn obwohl er fließend Deutsch sprach, hatte er einen leichten Akzent. Leider beherrschte Jonas keine der osteuropäischen Sprachen. Trotzdem war es bestimmt kein nettes Wort gewesen.

»Wie bitte?«

Herr Zając seufzte erneut und schlug die Decke zurück. »Ich muss meiner Chefin den Krankenschein noch schicken.«

»Bleiben Sie liegen!«, bat Jonas eilig. »Wenn Sie mir die Adresse geben, stecke ich den Zettel in einen Umschlag und werfe ihn in den Briefkasten. Ist ja gleich unten an der Ecke.«

»Ich hab keine Briefmarke hier.«

»Ich kann ihn auch am Montag mit in die Praxispost geben«, entgegnete er, denn er war sich sicher, dass sein Nachbar weder jetzt noch in zwei Tagen in der Lage wäre, selbst zur Post zu laufen.

Der Mann musterte ihn einen Moment, doch es fiel ihm sichtlich schwer, die Augen offen zu halten. Sie wirkten glasig und die Wangen waren nun gerötet, wohingegen der Rest seines Gesichts weiterhin blass und eingefallen wirkte. Vermutlich hatte er Fieber und sicherlich auch zu wenig getrunken.

»Ich werde Ihnen etwas zu trinken bringen, ja?«, bot Jonas an, als Herr Zając sich wieder hinlegte und damit kämpfte, wach zu bleiben. »Sie sehen wirklich nicht gut aus.«

»Vielen Dank auch«, kam es matt zurück, aber es schwang ein Lachen mit.

Schmunzelnd verließ Jonas das Schlafzimmer und ging in die Küche, die jeder Apotheke hätte Konkurrenz machen können. Zwischen diversen Erkältungsmitteln lag der gelbe AU-Schein und Jonas konnte sich nicht davon abhalten, einen Blick darauf zu werfen. Sein Nachbar hieß mit Vornamen Marek, war erst zweiunddreißig – also elf Jahre jünger als Jonas – und für die nächsten zehn Tage krankgeschrieben. Ihm fiel auf, dass sein Hausarzt im gleichen Ärztehaus praktizierte, in dem Jonas seine Praxis hatte, was aber wohl nicht verwunderlich war, da es die einzige Allgemeinarztpraxis in diesem Viertel war.

»Herr Nachbar? Sind Sie noch da?«

»Ja!«, rief Jonas zurück, nahm ein Glas von der Ablage, um es an der Spüle zu füllen, und trug es ins Schlafzimmer. »Hier, bitte. Sie haben sich ziemlich oft übergeben, da sollten Sie viel trinken.«

»Haben Sie mich gehört?« Herr Zając wirkte eindeutig unbehaglich, während er ihm das Glas abnahm.

Jonas zuckte nur mit den Schultern, denn es musste seinem Nachbarn nun wirklich nicht peinlich sein. »Das Haus ist ziemlich hellhörig.«

»Können Sie das Fenster wieder zumachen?«

Jonas eilte zum Fenster und nachdem er es geschlossen hatte, zog er den Vorhang zu. »Soll ich Ihnen eines der Medikamente bringen, die Sie in der Küche horten? Ein Schmerz- und Fieber-mittel vielleicht?«

»Das zögert das Unvermeidbare nur hinaus«, murmelte sein Nachbar und schenkte ihm ein müdes Lächeln, während er die Decke bis zum Kinn hochzog. »Es geht schon ohne. Danke für Ihre Sorge, aber ich werd's überleben. Der Arzt meint, es ist die Grippe, also halten Sie sich lieber nicht länger als nötig in meiner Gegenwart auf.«

Jonas musste schmunzeln. »Okay, wenn Sie meinen. Aber ich werde Ihr Badezimmer fegen, da liegt überall Glas. Ich bin geimpft, also werde ich mich nicht gleich anstecken.«

»Stimmt, das Glas wollte ich noch zusammenkehren.« Das auf diese Worte folgende resignierte Seufzen artete in einen Hustenanfall aus, den Jonas besorgt beobachtete. Schließlich beruhigte sich sein Nachbar und ließ sich völlig fertig ins Kissen sinken.

 

Als Jonas sich sicher war, dass Herr Zając nicht erstickt, sondern lediglich weggenickt war, machte er sich auf die Suche nach Besen und Kehrblech.

Kapitel 2

Marek

Sein Kopf dröhnte und sein Hals brannte wie Feuer, während sein Magen offenbar Achterbahn fuhr. Mit der Befürchtung, schnell ins Bad zu müssen, versuchte Marek, die Augen zu öffnen, aber sie waren wie zugeklebt. Ein paar Minuten lang lag er reglos da, bis sein Magen nicht mehr so stark rebellierte.

Schwerfällig rollte er sich schließlich auf den Rücken und blinzelte ins schummrige Licht, das aus dem Flur ins Zimmer fiel. Er konnte sich gar nicht daran erinnern, es angelassen zu haben. Allerdings erinnerte er sich daran, dass er Besuch gehabt hatte. Sein neuer Nachbar aus der Wohnung unter ihm hatte geklingelt und sich beschwert, dass er zu laut gewesen war. Oder hatte er sich Sorgen gemacht? Kerzengerade saß Marek im Bett. Hatte er ihm seinen Krankenschein mitgegeben?

Verwirrt und verdammt noch mal viel zu zittrig auf den Beinen quälte er sich aus dem Bett und schleppte sich in die Küche. Zum Glück hatte sich sein Magen etwas beruhigt, dafür hing er ihm in den Kniekehlen, aber er hatte keinen Appetit auf irgendwas.

Da er zudem keine Ahnung hatte, wie spät es war, warf er einen Blick auf die Küchenuhr und zuckte zusammen. Heilige Scheiße, er hatte den ganzen Samstag verschlafen! Eigentlich sollte er bereits auf dem Weg zu einer Exklusivparty sein, aber dafür war er nicht mal annähernd fit genug. Dabei fanden die nur ein paarmal im Jahr statt und die Eintrittskarten kosteten ein Vermögen. Psiakrew!

Er musste auf jeden Fall seinem besten Freund Frank Bescheid geben, damit er und sein Partner nicht unnötig auf ihn warteten. Auf der Suche nach seinem Handy fegte Marek beinahe eine Packung Halsschmerztabletten vom Tisch und steckte die Schachtel gleich mal in die Tasche seines Bademantels, damit er sie griffbereit hatte.

Sein Handy lag auf seinem Krankenschein – Gott sei Dank –, doch als er es hochnahm, fiel ihm ein gelber Zettel auf, der an der Hustensaftpackung klebte. Das war definitiv nicht seine Handschrift und auch keine Dosierungsanleitung. Im Gegenteil, die Nachricht samt Handynummer ließ ihn blinzeln.

Hallo, Herr Nachbar. Bitte melden Sie sich, wenn Sie wach sind, dann bringe ich Ihnen Suppe. Jonas Bender

Er hatte keine Ahnung, wie der Typ auf eine solche Idee kam, aber er musste sich erst mal bei Frank melden. Sprechen konnte er nicht, denn sein Hals war staubtrocken und brannte immer noch fürchterlich. Außerdem lief ihm ununterbrochen die Nase. Nachdem er Frank eine Nachricht geschickt hatte, steckte er sich eine Halsschmerztablette in den Mund, lehnte sich auf dem Stuhl zurück und atmete so tief durch, wie sein Hustenreiz es zuließ. Gott, er war wirklich noch nie dermaßen außer Gefecht gesetzt gewesen.

Bevor er sich entscheiden konnte, ob er das Risiko, etwas zu essen, eingehen sollte oder sich lieber wieder hinlegte, vibrierte sein Handy. Es war Frank.

Was für ein beschissenes Timing. Keine Chance, dass es mit einer Tablette geht?

Resigniert tippte er eine Antwort. Nicht mal, wenn ich die ganze Schachtel einwerfe. Die Grippe hat mich voll im Griff.

Wir haben einen neugierigen Single-Sub im Schlepptau... Erinnerst du dich an den Newbie von der Party neulich?

Oh, das konnte doch wohl nicht sein Ernst sein. Der Kerl, den Frank meinte, war absolut niedlich und aufgrund seiner Unerfahrenheit auch herrlich unbeholfen gewesen. Leider war er gegangen, bevor sie sich näher hatten kennenlernen können. Genauer gesagt, hatte der Kleine die Flucht ergriffen, aber Marek hatte Subs, die eine Herausforderung waren, schon immer bevorzugt. Er hätte ihn wirklich gern noch mal wiedergesehen, aber heute war das ausgeschlossen. Alter, wenn ich könnte, wäre ich dabei, aber ich sterbe hier! Ohne Scheiß, nenn mir irgendein Grippesymptom – ich habe es.

Verdammt, tut mir leid, Mann. Ich melde dich beim Gastgeber ab und komme morgen Mittag rum. Brauchst du was?

Nachdenklich ließ er seinen Blick über den Tisch schweifen. Bin versorgt, aber danke. Gehe gleich wieder ins Bett. Viel Spaß. Eigentlich wollte er sich gern sofort hinlegen, aber er konnte sich selbst nicht mehr riechen – trotz verstopfter Nase –, daher schleppte er sich ins Bad. Irgendwas war anders, aber ihm fiel erst beim Zähneputzen auf, dass sämtliche Handtücher nicht mehr an ihren Haken hingen und die Waschmaschine END anzeigte. Er konnte sich gar nicht daran erinnern, sie angestellt zu haben.

Kurze Zeit später lief der Trockner und gerade als Marek debattierte, ob er noch die Anstrengung einer Dusche auf sich nehmen sollte, klingelte es an der Tür. Er warf einen Blick durch den Spion und war irritiert, als er seinen Nachbarn auf der anderen Seite stehen sah. Machte der Mann sich wirklich so große Sorgen oder warum tauchte er schon wieder bei ihm auf?

»Keine Sorge, ich lebe noch«, sagte er, als er die Tür öffnete. Seine Stimme klang schrecklich und sein Hals schmerzte immer noch höllisch.

Herr Bender grinste verlegen. »Das ist gut.«

»Haben Sie mich wieder im Bad belauscht?«, hakte Marek argwöhnisch nach, woraufhin sein Nachbar die Augen aufriss und eilig den Kopf schüttelte.

»Nein! Also, ja, ich habe Sie gehört, daher wusste ich, dass Sie auf sind, aber das war Zufall, weil ich auch gerade im Bad war. Ich habe nicht darauf gewartet oder will Sie kontrollieren oder so.«

»War nur ein Witz«, versicherte er, aber Herr Bender schluckte nur schwer und senkte den Blick.

»Ich will mich nicht aufdrängen. Tut mir leid, wenn ich diesen Eindruck gemacht habe.«

»Nein, schon gut. Sind Sie noch mal mutig genug, reinzukommen? Ich muss mich hinsetzen.«

»Natürlich!«, platzte es aus seinem Nachbarn heraus und er schob Marek regelrecht ins Wohnzimmer zur Couch. »Haben Sie schon etwas gegessen?«

»So lange bin ich noch nicht wach.«

Seltsamerweise schien sein Nachbar mit dieser Antwort zufrieden zu sein, denn er nickte. »Ich gehe gleich runter und hole die Suppe.«

Ungläubig blinzelte Marek, während Herr Bender ihm ein Kissen aufschüttelte. »Sie haben nicht wirklich extra was gekocht, oder?«

»Doch, natürlich. Das hatte ich doch versprochen. Darf ich mir Ihren Wohnungsschlüssel borgen? Dann müssen Sie nicht noch mal aufstehen.«

»Das war aber wirklich nicht nötig«, brachte er perplex hervor, obwohl die Aussicht auf eine warme Mahlzeit gerade himmlisch klang.

»War kein Problem. Haben Sie den Tee getrunken?«

»Tee?«

»Den ich Ihnen auf den Nachtschrank gestellt habe.«

»Hab ich nicht gesehen«, entgegnete er, wobei ihm nun doch mulmig zumute wurde. »Wie lange waren Sie denn noch da, nachdem ich eingeschlafen bin?«

Sein Nachbar schluckte. »Wirklich nur kurz. Weil der Tee noch ziehen musste. Ich habe nebenbei die Scherben im Bad aufgefegt und mir erlaubt, Ihre Handtücher in die Waschmaschine zu stecken. Gerade wenn man krank ist, sollte man besonders auf Hygiene achten.«

»Okay.« Es klang irgendwie schon plausibel, zumal – wenn seine Erinnerung ihn nicht trog – sein Nachbar Arzt und daher in diesen Dingen wohl pingeliger war. Trotzdem war der Typ ein Fremder. »Danke... schätze ich.«

Herr Bender strahlte. »Sehr gern. Ich hol mal eben das Essen, ja? Wenn Sie den ganzen Tag geschlafen haben, haben Sie doch sicher Hunger.«

Das hatte er in der Tat, daher nickte er. »Der Schlüssel steckt von innen.«

»Ist gut. Ich beeile mich.« Mit diesen Worten rauschte er aus dem Wohnzimmer und im nächsten Moment fiel auch schon die Tür ins Schloss.

Marek wusste absolut nicht, was er von dem Verhalten seines Nachbarn halten sollte, und holte sicherheitshalber sein Handy aus der Küche. Schnell schob er es in die Tasche seines Bademantels, denn kaum lag er wieder auf dem Sofa, hörte er auch schon, wie seine Wohnungstür aufgeschlossen wurde.

Kapitel 3

Jonas

Nachdem er den Suppentopf sowie den Brötchenkorb in die Küche seines Nachbarn balanciert hatte, sah er durch die angrenzende Tür zur Couch. »Darf ich Teller von Ihnen nehmen?«

»Im Schrank neben dem Herd«, krächzte Herr Zając. Seine Stimme klang wie ein Reibeisen und er sah immer noch elend aus. »Besteck ist in der Schublade darüber.«

»Alles klar.«

Die Suppe war noch lauwarm, daher brauchte sie nur ein paar Minuten auf dem Herd. »So. Ich hoffe, Sie mögen Hühnersuppe.« Mit einem abwartenden Lächeln stellte Jonas wenig später einen vollen Teller auf den Couchtisch und eilte in die Küche zurück, um sich ebenfalls etwas zu holen.

Als er schließlich sein Essen ins Wohnzimmer trug, blickte Herr Zając ihn dermaßen erwartungsvoll an, dass Jonas auffordernd auf den Teller deutete. Im gleichen Moment knurrte der Magen seines Nachbarn unüberhörbar.

»Das war deutlich«, bemerkte Jonas schmunzelnd.

Sein Nachbar wartete noch, bis er saß, und wünschte ihm guten Appetit, doch dann machte er sich über das Essen her. Sein Enthusiasmus räumte Jonas' Bedenken aus, dass die heiße Suppe im Hals brennen könnte, aber er hatte sie auch extra nicht zu stark gewürzt. Als er ihm ein Brötchen anbot, griff sein Nachbar ebenfalls beherzt zu. Er hoffte, dass sein Magen das Essen drin behalten konnte, aber etwas Warmes im Bauch half bestimmt bei der Genesung.

Außerdem fand Jonas es nett, mal nicht allein essen zu müssen. Auch wenn seinem Gegenüber wegen der heißen Suppe die Nase lief und er ständig schniefen musste. Als Jonas ihm eine Packung Taschentücher aus der Küche holte, nahm Herr Zając sie verlegen an.

»Danke. Das Essen ist wirklich lecker«, murmelte er, nachdem sie ein paar Minuten schweigend gegessen hatten. Sein Blick fiel auf den Brötchenkorb und er stutzte. »Sind die Brötchen etwa auch selbst gebacken?«

Jonas nickte. »War kein Problem. Ich koche und backe gern, aber für mich allein lohnt es sich nicht so richtig. Und meine Tochter steht eher auf Pizza als auf gesunde Suppe.« Betont lässig zuckte er mit den Schultern und hoffte, dass sein Nachbar ihn dank der persönlichen Infos nicht mehr so argwöhnisch musterte, auch wenn er verstand, warum er ihn im Auge behielt. Immerhin hatte er sich schon zweimal quasi selbst eingeladen. Besser gesagt aufgedrängt. Eigentlich war das Fremden gegenüber überhaupt nicht seine Art und er konnte es sich nur mit seinem Medizinerherz erklären, das einen offensichtlich Leidenden nicht sich selbst überlassen konnte.

»Wie alt ist sie denn?«, wollte Herr Zając wissen.

»Sechzehn.« Er konnte ein leises Seufzen nicht verhindern, was seinen Nachbarn zum ersten Mal überhaupt die Mundwinkel heben ließ.

»Ein Teenager. Mein Beileid.«

Jonas musste lachen. »Danke. Ich habe Thea nur jedes zweite Wochenende bei mir, daher muss ich zugeben, dass ich sie mehr verwöhne, als ich sollte.«

»Verstehe.«

Er glaubte ihm kein Wort, denn Herr Zając hatte sicherlich keine Kinder. Zwar war Jonas nicht in den Raum gegangen, der direkt über Theas Zimmer lag, aber wenn sein Nachbar eine Familie hätte, würde er hier sicher nicht allein vor sich hin vegetieren.

»Solange sie gern bei Ihnen ist, können Sie an zwei Tagen nicht so viel falsch machen, oder?«

Er hatte definitiv keine Kinder. »Meine Ex würde Ihnen da wohl widersprechen.«

»Scheidung?«, wollte Herr Zając wissen und als Jonas nickte, verzog er das Gesicht. »Tut mir leid.«

»Eigentlich ist es schon okay«, sagte er abwinkend und mittlerweile meinte er das auch so. Er hatte ein paar Wochen gebraucht, um sich an den neuen Alltag zu gewöhnen, aber so war es besser. Auf jeden Fall besser, als eine Ehe zu führen, die keinen mehr glücklich machte. »Zwar ist es ungewohnt, allein zu wohnen. Außer, wenn Thea da ist, natürlich. Aber die Scheidung kam nicht wirklich überraschend. Wir haben uns einvernehmlich getrennt.«

»Deswegen der Umzug hierher?«

»Ja, genau. Anja behält das Haus, weil wir Thea nicht komplett aus ihrer gewohnten Umgebung reißen wollten, und ich habe einen kürzeren Arbeitsweg.« Er zuckte mit den Schultern. Es war eine logische Entscheidung, auch wenn er das Haus hin und wieder vermisste und die Wohnung ihn einengte. Dafür hatte er hier im Mietshaus seine Nachbarn sehr viel schneller kennengelernt als in der Vorstadt, wo kaum einer mal über seinen Gartenzaun guckte und wenn, dann höchstens, um über anderer Leute seltsamen Lebensstil zu lästern. Dabei fiel ihm etwas ein. »Ich hoffe, ich habe Ihren Nachnamen heute Mittag richtig ausgesprochen. Falls nicht, tut mir das sehr leid.«

 

»Hm... Ich kann mich nicht mehr daran erinnern«, meinte sein Nachbar und zog die Augenbrauen zusammen. Er musterte ihn ziemlich intensiv und Jonas spürte, dass er rot wurde, daher richtete er seinen Blick auf den Teller. »Wie haben Sie ihn denn ausgesprochen?«

»Oh nein«, entgegnete Jonas mit einem peinlich berührten Lachen. »Darauf lasse ich mich gar nicht erst ein. Immerhin kann ich dabei nur danebenliegen.«

Sein Nachbar grinste. »Okay, das stimmt wohl.« Er hatte ein schönes Lächeln und die kleinen Fältchen um seine Augen zeigten, dass er es oft tat. »Mein Nachname wird Sajontz ausgesprochen. Mit stimmhaftem S.«

»Ist das Russisch?«, fragte Jonas und hoffte, nicht zu neugierig zu wirken.

»Polnisch. Wir können uns aber gern duzen.«

Er nickte sofort, denn er war sich nicht sicher, ob er die Aussprache des Nachnamens richtig hinkriegen würde. »Sehr gern. Ich bin Jonas.«

»Marek«, sagte sein Nachbar und deutete auf die leeren Teller. »Vielen Dank fürs Essen. Es war großartig.«

»War wirklich nicht der Rede wert«, versicherte Jonas ehrlich. Marek sah schon wieder ziemlich müde aus, aber so krank, wie er war, brauchte er auch viel Ruhe. »Okay, dann lasse ich dich mal wieder allein. Darf ich was von der restlichen Suppe hierlassen? Sonst muss ich noch drei Tage davon essen.«

Marek lächelte. »Da sage ich nicht Nein.«

Zufrieden sammelte Jonas ihre Teller ein und brachte sie in die Küche. Zum Glück hatte sein Nachbar einen Geschirrspüler. Einen Topf fand er auch schnell und füllte Marek ein paar Kellen ab. Die Brötchen ließ Jonas ihm auch da, denn er konnte sich ja jederzeit neue backen.

»Wenn ich wieder fit genug bin, revanchiere ich mich.«

Er sah über seine Schulter zu Marek, der am Türrahmen lehnte und kaum noch die Augen aufhalten konnte. »Ist doch keine große Sache. Ich hätte nicht ruhig schlafen können, ohne zu wissen, ob du in Ordnung bist.«

»Du kennst mich doch gar nicht.«

Er zuckte mit den Schultern, denn er hätte für so ziemlich jeden anderen das Gleiche getan. Ganz der verweichlichte Samariter, der er laut seiner Ex schon immer war und immer sein würde. Früher hatte sie es zuvorkommend genannt und vor ihren Freundinnen damit geprahlt, wie aufmerksam er war. Achtzehn Jahre später störte es sie plötzlich so sehr, dass sie es nicht mehr ertrug, mit einem übersensiblen Klammeraffen verheiratet zu sein, sondern ihre Freiheit brauchte.

»Hey, alles klar?«

Jonas zuckte zusammen, denn er hatte nicht erwartet, dass sein Nachbar ihn so genau beobachten würde, und angesichts des besorgten und dennoch irgendwie unnachgiebigen Tonfalls musste er schlucken. »Ja. Sicher.« Er rang sich ein Lächeln ab und griff nach den Topfhenkeln, um sich irgendwo festzuhalten. »Ruh dich gut aus. Ich hatte dir meine Handynummer aufgeschrieben. Ruf gern an, wenn ich noch irgendwas für dich tun kann. Was vom Einkaufen mitbringen oder Nachschub aus der Apotheke holen.«

»Mein bester Freund kommt morgen vorbei, aber danke.«

»Okay. Na, mein Angebot steht. Falls deinem Freund was dazwischenkommt.« Er war sich nicht sicher, warum er gerade irritiert war, denn es sollte ihn eigentlich beruhigen, dass Marek schließlich doch jemanden hatte, der sich um ihn kümmern konnte.

Sein Nachbar lächelte und das seltsame Gefühl in Jonas' Bauch war wie weggeblasen. Als Marek im nächsten Moment gähnte und den Kopf gegen den Türrahmen lehnte, schaltete er sofort.

»Dann mal ab ins Bett mit dir. Du siehst aus, als würdest du gleich umkippen.«

»Ja«, seufzte er. »Aber ich glaub, ich wechsle auf die Couch rüber. Mir tut schon alles weh vom Liegen.«

»Gute Idee. Viel trinken, nicht vergessen«, empfahl Jonas, bevor ihm einfiel, dass er wohl wieder zu aufdringlich war. Marek war erwachsen und brauchte keinen überfürsorglichen Nachbarn mit Helfersyndrom, der sich ständig selbst einlud und dann auch noch ungefragt Ratschläge erteilte. »Okay, ich bin dann mal weg.«

»Danke für deine Hilfe, Jonas.« In Mareks Stimme schwang ehrliche Dankbarkeit mit, die Jonas das Gefühl gab, vielleicht doch nicht ganz so unwillkommen zu sein.

»Gern geschehen.« Er ging lieber, solange sein Nachbar noch einen positiven Eindruck von ihm hatte. »Gute Besserung noch.«

»Danke schön. Die Suppe hilft garantiert dabei.«

Jonas erwiderte Mareks aufrichtiges Lächeln. »Wir sehen uns.«

Sein Nachbar hielt die Wohnungstür auf und nickte ihm noch mal freundlich zu, als Jonas im Hausflur stand. »Bis dann.«

»Bis bald.«

Als er in seine Wohnung kam, war es wie so oft viel zu still, aber heute fühlte es sich nicht so beklemmend an, allein zu sein, sondern mehr nach... Freiheit.

Anja und er waren ein tolles Team gewesen – zumindest bis sie es nicht mehr gewesen waren. Sie hatten gut zueinander gepasst und zusammen eine wundervolle Tochter großgezogen, aber irgendwann hatten sie sich wohl in der Routine des Alltags verloren. Sie hatten die Wünsche und Harmonie als Familie zu lange über ihre individuellen Bedürfnisse gestellt und waren zwangsläufig enttäuscht worden. Daraus konnte er Anja genauso wenig einen Vorwurf machen wie sie ihm. Sie hatte es nur eher erkannt als er und den Mut gehabt, die Konsequenzen zu ziehen.

Aber so langsam fing Jonas an, wieder zu spüren, wer er war. Was er brauchte und was ihn glücklich machte. Früher hatte er es gewusst und gedacht, es von Anja zu bekommen. Nur hatte er es ihr nicht gesagt, daher hatte wiederum sie es nicht gewusst und es ihm auch nicht geben können. Obwohl er sich nicht sicher war, ob sie eine solche Beziehung gewollt hätte.

Dennoch bereute er die Ehe nicht. Sie hatten so viele schöne Jahre zusammen gehabt und natürlich hatten sie Thea. Seine Tochter war sein Ein und Alles und kam für ihn an absolut erster Stelle, auch wenn sie in ein paar Jahren selbst erwachsen sein würde.

Vermutlich war genau jetzt der richtige Zeitpunkt, um ab und an ein wenig egoistisch zu sein und sich selbst wiederzufinden.

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