Laramie-Saga (1) Der Anfang

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Slim zweifelte nicht an den Worten, und sein Gesicht verfinsterte sich. Eiskalte Wut stieg in ihm auf. Sofort, wenn es dem Jungen etwas besser ginge, würde er den Männern, die das getan hatten, nachreiten und sie zur Rechenschaft ziehen …

Plötzlich fielen Schatten auf die beiden. Der Rancher blickte auf und zuckte unmerklich zusammen: Cheyenne-Krieger! Sie richteten ihre Pfeile auf ihn, und ihr Gesichtsausdruck war von freundlich mehr als weit entfernt. Die Krieger waren den Spuren ihres Stammesgenossen gefolgt und kamen zwar zu spät, um zu verhindern, was geschehen war, aber dass sie schon Rache genommen hatten, davon kündeten die blutigen Skalps, die an ihren Pferden hingen. Ein leicht flaues Gefühl breitete sich in Tylers Magengegend aus.

Er erwartete nun, dass der Junge angesichts der veränderten Situation schnurstracks zu seinem Volk laufen würde, aber der blieb ganz ruhig, in fast freundschaftlicher Haltung, neben dem Rancher stehen. Dann sagte er etwas, was Slim nicht genau verstand, aber immerhin senkten die Indianer daraufhin Pfeile und Bogen. Ein gut gebauter, hoch gewachsener Krieger mit feinen Zügen ritt etwas vor und sprach Tyler an. Wieder verstand er nicht alles, aber doch so viel, dass er aufgefordert wurde, die Männer zu begleiten. Sein Einwand, er müsse zu seiner Ranch zurück, half nichts – die Cheyenne bedeuteten ihm, sich anzuklei-den und ihnen zu folgen. Seine Schusswaffen hatten sie längst an sich gebracht, und so blieb ihm nichts anderes übrig, als mit ihnen zu reiten. Schon bald wurde Slim klar, dass er kein einfaches Stammesmitglied aus dem Wasser gezogen hatte. Der hoch gewachsene Indianer wich dem Jungen nicht von der Seite – er schien so etwas wie sein persönlicher Beschützer zu sein – und auch die anderen Männer behandelten ihn mit auffallendem Respekt.

Als sie Cheyenne-Land erreichten, wurden sie von etlichen weiteren Indianern in Empfang genommen. Tyler fühlte sich ausgesprochen unwohl. Der Begleiter des Jungen bedeutete ihm, abzusteigen. Einen Augenblick lang spielte der Rancher mit dem Gedanken, seinem Pferd die Sporen in die Flanken zu drücken und davonzujagen, aber er sah sofort die Sinnlosigkeit solchen Handelns ein. So schnell ihm der Gedanke gekommen war, so schnell verwarf er ihn wieder. Nein, ein solcher Versuch wäre einem Selbstmord gleichgekommen. Es blieb ihm keine andere Wahl als den Befehlen zu folgen, und so stieg er ab.

Einige der Männer waren bereits zu einem Tipi geeilt, welches deutlich größer war als die anderen Zelte – es fiel nicht schwer zu erkennen, dass es das des Häuptlings war. Die Indianer nahmen Slim in die Mitte und geleiteten ihn dort hin. Der Häuptling – ein großer, schlanker Mann etwa Mitte der Vierzig – trat heraus und musterte ihn mit unbewegtem Gesicht von oben bis unten. Tyler musste eingestehen, dass es Zeiten gab, in denen er sich deutlich wohler gefühlt hatte als gerade jetzt. Der Häuptling trat dicht vor ihn und schaute ihn eine Weile lang stumm an. Dann, plötzlich, sagte er in Slims Sprache: „Weißer Mann, ich danke dir. Und das ganze Volk der Cheyenne dankt dir. Du hast meinem Sohn, dem zukünftigen Häuptling der Cheyenne, das Leben gerettet. Wir machen dir zu Ehren ein großes Fest.“

Es blieb Tyler nichts anderes übrig als der Einladung zu folgen, und das Fest war auch gar nicht so schlecht. Zwar gab es Dinge zu essen und zu trinken, von denen er wirklich nicht so genau wusste, was es sein könnte, aber das meiste davon schmeckte zugegebener Weise gut, und er war hungrig und durstig. Als die Krieger allerdings einen großen Kreis bildeten und zu dumpfen Trommelklängen begannen, rhythmisch auf den Boden zu stampfen und sich immer schneller um den Häuptling, dessen Sohn, seinen Begleiter und um Slim zu drehen, wurde ihm wieder mulmig. Dann, plötzlich, nach einem Trommelwirbel, herrschte beklemmende Stille. Die Cheyenne standen unbeweglich, wie erstarrt, im Kreis. Es war inzwischen dunkel geworden, und einige Feuer erhellten nahezu gespenstisch die Szenerie. Slim konnte eine Bewegung zwischen den Tipis ausmachen. Die Männer lösten den Kreis auf und bildeten eine Gasse. Dann erkannte der Rancher, was geschah: Vier besonders kräftige Krieger führten ein Pferd in Richtung des Häuptlings. Beim Näherkommen erkannte Tyler, dass es ein außergewöhnlich großes und muskulöses Tier war – ein prachtvoller Rapphengst, der trotz seiner Größe über ein beachtliches Temperament verfügte. Der Rappe blähte die Nüstern und rollte die Augen, und sein leises Wiehern klang wie eine gefährliche Kampfansage. Nervös tänzelte er hin und her. Slim stand auf – es war ihm wohler, diesem Tier nicht sitzend zu begegnen. Der Häuptling und sein Sohn taten es ihm gleich. Dann begann der Häuptling in der Stammessprache zu reden, und dieses Mal verstand der große blonde Mann jedes Wort:

„Weißer Mann, ich und mein Volk sind dir zu großem Dank verpflichtet. Nimm als Zeichen unserer Dankbarkeit diesen Hengst als Geschenk. Und noch eines: Ich bitte dich, mein Bruder zu sein, verbunden durch unser Blut.“

Slim atmete tief ein. Er war sich über die große Ehre, die ihm zuteil wurde, völlig im Klaren. Bemüht, verständlich ebenfalls in der Sprache der Cheyenne zu antworten, dankte er. Der Gedanke. dass er sich nun selbst die Haut an seinem Unterarm soweit anritzen sollte, bis es blutete, verursachte ihm ziemliches Unbehagen, aber ihm blieb nichts anderes übrig. Wortlos nahm er das gereichte große Kampfmesser, presste die Lippen zusammen und fuhr über seinen Arm. Die Klinge war so scharf, dass er den Schnitt kaum spürte. Blut trat hervor. Er sah, dass der Häuptling „Flying Cloud“ es ihm gleich getan hatte, und nun legten sie ihre Unterarme aufeinander und vollzogen die Zeremonie. Dann legte der Häuptling Slim eine Art Amulett um den Hals.

„Wenn mein weißer Bruder irgendeine Hilfe benötigt, die die Cheyenne ihm gewähren können – zeige ihnen dieses Totem, und der Rote Mann wird dir helfen, wenn es in seiner Macht steht …“

Während der ganzen Zeit stand der schwarze Hengst unruhig tänzelnd und stampfend in ihrer Nähe. Nun wandte Slim sich ihm zu.

„Wie ist sein Name?“, fragte er. Was er zur Antwort bekam, war für einen weißen Mann, auch wenn er die Sprache der Cheyenne beherrschte, ziemlich unaussprechlich und viel zu lang für einen Pferdenamen.

Der Rancher trat zu dem Hengst, und der reagierte heftig. Wütend schnaubend rollte er mit den Augen, legte die Ohren flach nach hinten und warf den Kopf zurück. Unruhig stampfend und tänzelnd wich er ein wenig vor Slim zurück. Der Rancher ergriff ohne Hast den Strick, der um den Hals des Tieres lag und sprach beruhigend auf es ein:

„Easy boy, easy. Hush …“

Wild bäumte sich das Tier auf und schlug donnernd mit den Vorderhufen. Tyler lachte leise und sagte „Du solltest Thunder heißen.“

Dem Hengst schien die Stimme des Mannes zu gefallen, denn nach einer Weile stand er ganz ruhig. Die Wildheit in seinen Augen begann, einer gelassenen Neugier zu weichen. Es dauerte nicht allzu lange, bis es Slim gelang, die Nüstern des Tieres zu berühren, und bald war der Hengst ihm gegenüber zutraulicher als jedem anderen Menschen zuvor. Als der Rancher zwei Tage später die Cheyenne verließ, führte er das Pferd ganz locker an seinem Seil mit sich.

Kaum zurück auf der Ranch, begann Tyler damit, Thunder zuzureiten, und schon bald duldete der Hengst das erste Mal den Sattel auf seinem Rücken. Ganz langsam und schonend nach seiner neu praktizierten Methode der Ausbildung gewöhnte Slim ihn an eine Last, und eines Tages war es soweit: Er schwang sich – oder besser gesagt: Er glitt – zum ersten Mal in den Sattel. Trotz seines Gewichts tat er es so sacht und schonend, dass das Tier nicht stieg oder bockte, und ganz locker, wie selbstverständlich, ritt der Rancher es an. Oh ja, sie kamen gut miteinander zurecht. Der Hengst war ein ausgesprochen starkes Tier, dabei trotz seiner Größe ungeheuer schnell und wendig. Wenn ihn sein Reiter zu vollem Galopp trieb, bebte der Boden, und auf steinigem Untergrund stoben tatsächlich Funken unter seinen Hufen hervor.

Auch Jess ritt jetzt meist einen Rappen, ein feines, elegantes Tier, ebenfalls von erstaunlicher Schnellig- und Wendigkeit. Slim und er fingen es eines Tages aus einer Herde von Mustangs heraus, und Yates ritt es zu. Der Mann war von dem Wesen des Pferdes fasziniert und beschloss, es für sich zu behalten. Es war nicht zu übersehen, dass sein treuer Cruiser, der ihn all die Zeit begleitet hatte, nun langsam in die Jahre kam. Und so wählte Jess für anstrengende Ritte seinen „Neuen“, den er nicht ganz ohne Ironie und mit einem Augenzwinkern im Hinblick auf Slims Pferd „Flash“ nannte …

Eines Tages, als er ihn ausprobierte, musste er zugeben, dass der Rappe in der Tat noch schneller zu sein schien als Cruiser in seiner besten Zeit, und so forderte er übermütig seinen Freund zu einem Rennen heraus.

„Wer zuerst dort drüben auf der anderen Seite des Baches landet, ist Sieger!“

Jess hatte erst auf der Tyler-Ranch gelernt, dass auch wetten ohne jeglichen Einsatz und ohne Aussicht auf Gewinn Spaß machen konnte, und so ging es ihm inzwischen einfach um die Sache selbst.

„Okay“, folgte Slim der Herausforderung, „wir werden ja sehen …“

Im ersten Moment etwas schwerfällig galoppierte Thunder an. Er pumpte Luft in die mächtigen Lungen, und es dauerte eine Weile, bis er sein eigenes Gewicht und das seines Reiters auf Tempo brachte. Yates’ Pferd hingegen schoss pfeilschnell los, und der Texaner wusste, dass er niemals zuvor schneller geritten war. Flash und er waren eine Einheit, eine Harmonie, sie waren einfach eins. Sicher, die Wette zu gewinnen, setzte Jess zum Sprung über den Bach an, als er aus dem Augenwinkel heraus einen mächtigen, schwarzen Schatten an sich vorbeifliegen sah: Thunder! Eine gute halbe Länge landete Slim vor ihm auf der weichen Böschung. Breit grinsend wandte er sich dem Freund zu: „Well?“ – Das war das einzige, was er sagte.

 

***

Für den Ritt zur Versteigerung nach Laramie aber hatte Jess nun noch einmal Cruiser gewählt; er nahm ihn gerne noch für leichte, nicht besonders anstrengende Aufgaben.

Die Männer erreichten die Stadt am frühen Abend und ritten zum Mietstall, um ihre Tiere für die Nacht zu versorgen. Das erste, was ihnen beim Betreten des Stalls auffiel, waren zwei wundervolle, ausnehmend edle Pferde – das eine ein Dunkelfuchs von kastanienbrauner Farbe mit einer vielleicht um eine Nuance helleren Mähne, das andere ein extrem dunkler Brauner mit dem Glanz von poliertem Palisander. Sie hatten sie nie zuvor in der Gegend gesehen, und es waren ganz offensichtlich keine Mustangs. Jess pfiff leise bewundernd durch die Zähne, und Slim ließ ein leises „wow“ hören.

„Feine Tiere“, bemerkte Yates, und, von Tyler kam – wie meist ein wenig wortkarg – kurz und knapp „Ja.“

Die Pferde blickten sie aufmerksam aus wunderschönen, klaren, großen Augen an, die weichen Nüstern blähten sich interessiert, und die feinen, spitzen Ohren drehten sich in Richtung der Neuankömmlinge.

„So etwas Schönes sieht man nicht alle Tage“, fuhr Jess fort, „wem sie wohl gehören mögen?“

Dann fiel der Blick der Männer auf zwei Sättel, die genau zu den Pferden passten. Sie wirkten sehr teuer und strahlten dabei eine dezente Eleganz aus. Alles an ihnen erschien edel, und sie hatten so gar nichts mit jenen protzigen Sätteln gemein, wie sie manches Mal von reichen Mexikanern oder auch Texanern verwendet wurden. Beide trugen die Initialen ihrer Besitzer; auf dem einen war ein JC, auf dem anderen ein CC einpunziert.

Noch einmal pfiff Jess leise bewundert durch die Zähne; Slim nickte anerkennend mit dem Kopf.

Der Texaner sprach den Gedanken aus, der auch seinem Freund zur gleichen Zeit durch den Kopf geschossen war: „Da will bestimmt jemand von außerhalb mit auf die Miles-Ranch bieten.“

Tylers Antwort war vorprogrammiert: „Ja“, und sein Gesicht wurde hart und verfinsterte sich leicht. Zu gut kannte Jess ihn, und er wusste, dass diese Miene nichts Gutes verhieß. Zu oft hatte er erlebt, dass Slim unnahbar wurde und sich auch den überzeugendsten Argumenten verschloss, wenn er so dreinblickte. Vorsichtshalber sagte Yates deshalb: „Du denkst an unsere Abmachung? Wir gehen nicht über unser vereinbartes Limit – auch, wenn wir das Land nicht bekommen können!“

Die Antwort war ein unverständliches, brummendes Knurren, und noch einmal wandte Jess sich eindringlich an den Rancher: „Slim! Wir haben eine Abmachung!“

„Ja, Jess. Ich weiß.“

Ohne ein weiteres Wort miteinander zu wechseln, versorgten sie ihre Pferde und gingen dann in den Saloon. Es waren ungewöhnlich viele Gäste dort, angezogen von dem Ereignis des nächsten Tages: Einige Rancher aus Wyoming, einige Bürger der Stadt. Etliche Cowboys, die Arbeit suchten, die auf einer neu bewirtschafteten Ranch sicherlich anfiel, und sogar ein paar Saloonmädchen aus Cheyenne hatten sich eingefunden. Viele der Tische waren besetzt; am Spieltisch herrschte reges Treiben. Ein Gemisch aus Alkoholdunst, Essensgeruch, Tabakrauch und Stimmengewirr erfüllte die Luft, und der Pianist spielte eifrig.

An der Theke stand ein Fremder. Er war ein gut aussehender Mann, ungefähr so alt wie Jess, fast so groß wie Slim, dabei aber etwas schlanker. Er war bis auf das Hemd ganz in Schwarz gekleidet, und sein gepflegtes Outfit verriet, dass er kein Cowboy war. In seinem ebenfalls schwarzen, fein punzierten Revolvergurt aus bestem Leder steckten zwei sicherlich nicht billige, dezent verzierte Colts, und er trug edle Sporen aus echtem Silber. Die teuren Stiefel glänzten, kein Stäubchen haftete daran. Die Haare des Fremden waren dunkel wie Ebenholz mit einem leichten Stich ins mahagonifarbene. Das Beeindruckendste aber waren seine Augen: Sie schimmerten in einem ganz außergewöhnlichen Farbton zwischen Jade und Türkis. Es ließ sich leicht erkennen, dass er mit den fremden Pferden im Mietstall zu tun hatte. Höflich grüßten die beiden Freunde, als sie an den Tresen traten, und freundlich erwiderte der Fremde den Gruß. Slim hatte keine große Lust auf Unterhaltung, aber Jess konnte eine gewisse Neugier nicht unterdrücken und sprach den Mann an. „Geschäftlich in der Stadt?“

„Ja“, kam die Antwort, und im Gegensatz zu Slims kurzen „Jas“ brachte er dadurch, wie er es sagte, deutlich zum Ausdruck, dass er sich gerne weiter unterhalten wollte. Und nachdem Jess und er ein wenig miteinander geredet hatten, erzählte der Fremde, dass er mit seinem Vater in der Stadt sei. Dann fuhr höflich fort: „Nebenbei – ich bin Jonathan Carpenter, kurz ‚Jon’ genannt.“

Slim schaute noch immer ziemlich unbeteiligt drein, und so übernahm es Jess dieses Mal, ihre Namen zu nennen: „Ich bin Jess Yates, und dies ist Slim Tyler.“

„Tyler? Der Besitzer der Tyler-Ranch?“ Jonathan Carpenter drehte sich fragend dem Rancher zu.

Von dem kam wieder einmal ein kurzes, knappes „Ja“ als Antwort.

„Ah“, sagte Jonathan, „dann werden wir ja bald Nachbarn.“

„Wir werden WAS?“, knurrte Slim.

„Nachbarn.“

Tylers Gesicht wurde hart. Natürlich war ihm schon klar, warum der Fremde und dessen Vater in der Stadt waren, aber dieses Selbstverständnis, dass sie die Ranch ersteigern würden, gefiel ihm absolut nicht.

Jonathan ließ sich von der abweisenden Haltung seines Gegenübers nicht abschrecken: „Darf ich Sie beide zu einem Drink einladen?“, fragte er.

Wieder kam so etwas wie ein Knurren von Slim, etwas Unverständliches, was Jess als ein „No“, einstufte; er selber aber antwortete mit einem leichten Lächeln: „Ja, danke“, und etwas zögernd setzte er hinzu „gern.“

Der Barkeeper brachte drei Whiskeys, und Jon Carpenter prostete den beiden zu. „Cheers – auf gute Nachbarschaft“, dann leerte sein Glas in einem Zug.

„Cheers“, erwiderte Yates. Auch er war jetzt unangenehm berührt von der Selbstverständlichkeit, mit der Jonathan davon ausging, dass es bald eine „Carpenter-Ranch“ geben würde, aber mit einem kräftigen Schluck leerte er ohne ein weiteres Wort sein Glas.

Einige der anderen Gäste hatten einen Teil der Unterhaltung mitbekommen und musterten Jonathan Carpenter. Es war leicht zu erkennen, dass ihm als völlig Fremdem eine gewisse Ablehnung entgegenschlug. Gerade auch die Cowboys hofften, dass Slim und Jess die Ranch ersteigern würden, denn sie waren als Arbeitgeber beliebt und für ihre Fairness und Menschlichkeit ihren Leuten gegenüber bekannt. Wer bereit war, hart zu arbeiten und sich bei ihnen an bestimmte Regeln hielt, der hatte einen guten Job. Eine dieser Regeln war, dass niemals ein Tier allzu derb behandelt oder gar misshandelt werden durfte. Die Freunde machten jedem, den sie neu einstellten, klar, dass er in einem solchen Fall eine Stunde Zeit hätte, seine Sachen zu packen und zu verschwinden. Und nur ein einziges Mal war so etwas geschehen: Tyler sah, wie einer der Cowboys ein Pferd misshandelte. Wütend hatte er den Mann von dem Tier weggerissen, worauf hin dieser ihn mit der Faust schlug. Da hatte der Cowboy die geballte Kraft und den wilden Zorn des Ranchers zu spüren bekommen: Slim schlug ihn hart nieder und sagte – für seine Verhältnisse wirklich ungewöhnlich – ziemlich laut: „Ich habe gesagt: Wer so etwas macht, hat eine Stunde Zeit zu verschwinden. Das gilt nicht mehr! Du verlässt SOFORT die Ranch.“

Damit packte er den noch auf dem Boden sitzenden Mann bei den Revers seiner Weste, riss ihn auf die Füße und stieß ihn so derb von sich, dass er gleich noch einmal im Staub landete.

Tyler stand mit sturer Mine an der Theke und schien durch das Glas, welches vor ihm stand, hindurchzublicken.

Yates stupste ihm kameradschaftlich leicht den Ellenbogen in die Seite. „Hey Slim. Sei kein Spielverderber. Komm, trink mit uns.“

Slim schaute seinen Freund an, und so ganz allmählich verzogen sich die dunklen Wolken aus seinem Blick. Sein freundlicher Gesichtsausdruck kehrte langsam zurück, dann erhob er sein Glas, nickte kurz den beiden Männern zu und trank ebenfalls aus. Das Eis war gebrochen, und es folgte eine lockere, angenehme Unterhaltung.

Jonathan erzählte, dass die Carpenters in Tennessee eine große Baumwollplantage besäßen und auch, dass sein Vater schon immer Sehnsucht nach dem Westen hatte. Durch Zufall hätten sie von der Versteigerung erfahren, und sein Vater wolle nun die Gelegenheit beim Schopfe packen, um eine Ranch hier in Wyoming zu erwerben. Und auch er, Jonathan, hätte viel Interesse am Westen und allem, was dazugehört.

Eigentlich gefiel Slim gar nicht, was er da hörte, aber Jona-than Carpenter war ihm irgendwie sympathisch, und so unterhielt auch er sich schließlich freundlich mit dem Mann aus Tennessee. Irgendwann sagte der Rancher scherzhaft: „Na, es wird sich ja zeigen, wer den Zuschlag erhält“, worauf Jonathan erwiderte: „Wenn sich die Carpenters etwas in den Kopf gesetzt haben, bekommen sie es.“

Er sagte es ruhig, freundlich und völlig gelassen. Er sagte es ohne die geringste Arroganz in seinem Tonfall. Aber er sagte es so, dass kein Zweifel an dem Ernst seiner Aussage aufkam.

Jess sah sofort, wie sich Slims Blick wieder verfinsterte, und schnell stieß er so, dass Jonathan es nicht sehen konnte, den Freund an. „Hey Slim, lass uns fragen, was es heute zu essen gibt, ich habe allmählich Hunger.“

Tyler fing sich sofort. „Ja, gute Idee, Jess. Ich habe auch Hunger.“

Er fragte den Barkeeper, was sie zu essen bekommen könnten, und, weil der Saloon an diesem Abend so gut besucht war, gab es sogar zwei Gerichte zur Auswahl. Die Aussicht auf ein saftiges Steak mit grünen Bohnen und gerösteten Kartoffelschnitzen verbesserte Tylers Laune immer mehr, und als die drei Männer in friedlicher Eintracht zu einem der noch freien Tische gingen, um auf ihre Mahlzeit zu warten, war es nicht zu übersehen, dass sich hier eine neue Freundschaft anbahnte.

Sie hatten den Tisch noch nicht erreicht, als ihnen ein finster dreinblickender Cowboy in den Weg trat. „Mr. Tyler – sie werden doch nicht zulassen, dass irgendein hergelaufener Dandy die Miles-Ranch bekommt?“ Dabei baute er sich drohend vor Jonathan auf. Drei weitere Viehtreiber waren hinter den Mann getreten und schauten Slim herausfordernd an. Der blieb äußerlich völlig ruhig.

„Mal sehen, wer das Rennen macht“, erwiderte er knapp und wollte weiter zum Tisch gehen, da hörte er, wie der Cowboy zu Jonathan sagte: „Wir brauchen hier keine fremden Rancher, die Angst davor haben, selbst zuzupacken und sich die Stiefel schmutzig zu machen.“ Mit diesen Worten spie er deftig auf Jonathans Fuß. Der reagierte mit erstaunlicher Gelassenheit.

„Ruhig, ganz ruhig, Mann“, sagte er – „überleg dir gut, was du sagst und was du tust – vielleicht willst du irgendwann doch einmal für mich arbeiten.“

Die Antwort war ein ablehnendes, aggressives Gemurmel der übrigen Männer, die hinter dem Sprecher standen. Es waren inzwischen einige geworden, und ihre Haltung war eindeutig. Jonathan blieb immer noch scheinbar gelassen, und er versuchte, sich seinen Weg zum Tisch zu bahnen, als ihn einer hart bei der Weste packte und „Verschwinde von hier“ zischte. Jonathan stieß heftig die Hand des anderen zurück. Sofort schlug der Mann zu und traf Carpenter so hart im Gesicht, dass er taumelte. Jon schlug zurück, aber zwei, drei andere gingen nun zusätzlich auf ihn los. Das ließ der Gerechtigkeitssinn von Slim und Jess nicht zu, und sie kamen dem neuen Bekannten zu Hilfe. Innerhalb kürzester Zeit war die schönste Saloonschlägerei im Gange. Irgendein Bursche hatte den Texaner von hinten gepackt und hielt ihn fest, und ein anderer wollte ihn schlagen. Jess stieß sich vom Boden ab und trat dem von vorn Angreifenden mit beiden Beinen vor die Brust, so dass dieser nach rückwärts fiel. Den, der ihn festhielt, packte er beim Kopf, kugelte ihn über sich und warf ihn auf die Dielen, dass es krachte. Jonathan und sein Kontrahent rollten wie zwei ineinander verbissene Hunde vor dem Tresen herum, und Slim hatte gerade seinen Gegner über einen Tisch geworfen und hechtete ihm mit einem mächtigen Sprung nach, da gellte ein Schuss durch den Raum.

„Hold it“ befahl eine energische Stimme, und ein zweiter Schuss verlieh dieser Forderung Nachdruck. Die Rauferei wurde tatsächlich eingestellt, und alles blickte zu dem Mann, dem diese Stimme gehörte. Er stand oben auf der Treppe, die zu den Gästezimmern führte: Eine schlanke Gestalt mit silberweißem, vollem Haar, elegant gekleidet, stolz und aufrecht. In den Händen hielt er einen reich mit Silber beschlagenen, überaus gepflegten Henry-Stutzen, und seine Miene ließ keinen Zweifel daran, dass er seinen Worten mit einem gezielten Schuss Nachdruck verleihen würde. Unschwer war zu erkennen, mit wem man es zu tun hatte: Die Ähnlichkeit mit Jonathan war verblüffend – Charles Carpenter.

 

In diesem Moment flog die Pendeltür des Saloons auf, und Sheriff Martin Randell stand mit gezogener Waffe im Raum. Erstaunt stellte er fest, dass die Rauferei ohne sein Eingreifen beendet war. Er sprach ein paar ernsthafte Worte zu den sich langsam wieder beruhigenden Leuten, Tische und Stühle kamen zurück an ihren Platz, die Scherben wurden zusammenkehrt, und alles ging zum normalen Geschehen über. Martin Randell trat zu Slim und Jess. Dabei sagte er laut in die Runde „Glaubt mir, ich sperre jeden, der hier noch einmal randaliert, in eine Zelle. – Jeden!“ Damit wandte er sich augenzwinkernd an die beiden Freunde und bohrte Yates scherzend den Zeigefinger in die Rippen.

„Howdy, ihr beiden. Was war denn hier los?“, fragte er, und Tyler schilderte ihm mit einem leichten Grinsen kurz die Situation. Inzwischen war Charles die Treppe hinunter gekommen und zu seinem Sohn gegangen. Auch er fragte, was passiert sei, und Jonathan erzählte ihm ebenfalls das Geschehen. Dann suchten seine Augen Slim und Jess.

„Dad, darf ich dir Slim Tyler und Jess Yates vorstellen? – Slim, Jess, dies ist mein Vater, Charles Carpenter.“

„Sehr erfreut, Sie kennenzulernen“, sagte der elegante Mann und setzte ein freundliches „Danke, dass Sie meinem Sohn geholfen haben“ hinzu.

Tyler und Yates antworteten lächelnd mit einem „Hello, Mr. Carpenter“, und noch ehe einer von ihnen weiter etwas sagen konnte, fragte Charles genau das, was vor erst recht kurzer Zeit sein Sohn ebenfalls gefragt hatte. „Slim Tyler – Besitzer der Tyler-Ranch?“

Und was konnte als Antwort von Slim anderes kommen als wieder sein kurzes, knappes „Ja.“ Dann setzte er hinzu „und Jess Yates ist mein Partner.“

Auch den nächsten Satz hatten die beiden Männer an diesem Abend schon gehört, nur war es dieses Mal Charles Carpenter, der ihn aussprach: „Oh, dann sind wir ja bald Nachbarn.“ Es schien, als solle sich die gesamte Konversation wiederholen, aber noch bevor wieder dunkle Schatten in Slims Gesicht aufsteigen konnten, sagte Jess schnell „Bevor das Ganze hier losging, wollten wir gerade essen. Mr. Carpenter, möchten Sie uns keine Gesellschaft leisten?“

Freundlich nickend nahm Charles das Angebot an, und bald saßen die vier Männer, dieses Mal unbehelligt, an einem Tisch und aßen. Slim und Jess schauten sich ihre neuen Bekannten gut an: Die Ähnlichkeit zwischen Vater und Sohn war verblüffend. Ein einziger, dafür aber besonders hervorstechender Unterschied war die Farbe ihrer Augen. Schimmerten die Jonathans geheimnisvoll bläulich-grün, so waren die seines Vaters braun und sanft wie die eines Wapitis. Aber das schien wirklich der einzige Unterschied zu sein – selbst in Haltung, Gestik und Stimme war das Vater/Sohn-Verhältnis nicht zu übersehen.

Nach dem Essen wurde lange über vieles, vor allem aber über die Miles-Ranch, gesprochen, und die Unterhaltung verlief außerordentlich entspannt. Die Männer waren sich ausgesprochen sympathisch, und irgendwann meinte Charles, Tyler und Yates sollten ihn beim Vornamen nennen, ein Angebot, dem die Freunde gern folgten.

Die Carpenters hielten sich schon seit ein paar Tagen in der Stadt auf und hatten den Besitz eingehend begutachtet. Sie hatten auch herausgefunden, dass die Möglichkeit bestand, weiteres Land hinter der Ranch zu erwerben. Und nun sagte Charles „Nun, Slim, wenn wir den Zuschlag bekommen haben, brauchen wir auch einen gewissen Grundstock an Zuchtvieh. Und wir brauchen Pferde, gut ausgebildete Pferde. Wir haben gehört, dass wir beides von euch bekommen können …?“

Jess wollte gerade „Ja, die Möglichkeit besteht sicherlich“, sagen, aber Slim kam ihm zuvor, und er konnte einen leisen gewissen scharfen Unterton in seiner Stimme nicht vermeiden: „WENN ihr den Zuschlag bekommt, Charles …“

Die einzige Reaktion des Älteren war ein wissendes, selbstbewusstes Lächeln, und Jonathan konnte sich ein herzhaftes Schmunzeln nicht verkneifen.

Tyler atmete tief. Yates war bis zum Äußersten angespannt, sofort bereit, die Lage zu entschärfen, falls es sich als notwendig erweisen sollte. Aber der Rancher blieb ganz ruhig, als er nun sagte „Es ist spät geworden, ich denke, wir sollten schlafen gehen – gute Nacht, Charles, gute Nacht, Jonathan.“ Damit erhob er sich.

„Gute Nacht, Slim, gute Nacht, Jess“, erwiderten Vater und Sohn, und Charles Carpenter setzte noch ein leises, aber herzliches „Und nochmals danke für die Unterstützung bei Jons Auseinandersetzung“ hinzu.

Die beiden Freunde gingen die Treppe hinauf zu ihren Zimmern.

„Schlaf gut, Slim“, sagte Yates und klapste ihm dabei freundschaftlich zwischen die Schulterblätter.

„Danke, du auch“, kam es von Slim. Er zögerte einen Moment, als wolle er noch etwas hinzufügen, aber dann öffnete er schweigend die Tür.

Beide schliefen zunächst schnell ein, aber Yates erwachte nach kurzer Zeit wieder, und er hörte durch die dünnen Wände, wie sich der Freund ein paar Mal unruhig hin und her warf – was ziemlich ungewöhnlich war. Normaler Weise hatte der Rancher einen tiefen, sehr, sehr ruhigen Schlaf. Oftmals legte er sich abends hin, schlief ein und erwachte am nächsten Morgen eben in genau jener Position, in der er sich zur Ruhe begeben hatte. Selbst Sturm, Hagel und Donner konnten ihn nicht wecken, allerdings aber jedes kleinste außergewöhnliche Geräusch. Dann war er ohne jegliche Anlaufzeit sofort hellwach. Am Anfang ihrer gemeinsamen Zeit, als sie sich noch ein Zimmer teilten, fand der rastlose Texaner oftmals keinen Schlaf. Dann hatte er still dagelegen und den ruhigen, gleichmäßigen Atemzügen des Freundes gelauscht, und sie wirkten auf ihn so entspannend, dass schließlich auch er einnickte.

Am nächsten Morgen trafen sich Tyler und Yates zeitig zum Frühstück. Charles und Jonathan Carpenter kamen ebenfalls bald die Treppe hinab. Sie machten einen ausgeruhten, frischen Eindruck und wirkten „wie aus dem Ei gepellt“ – Gentlemen durch und durch. Freundlich grüßten sie zu Slim und Jess hinüber, setzten sich aber an einen anderen Tisch. Kurz vor zehn erhoben sich die beiden Freunde ebenso wie die Carpenters und die meisten der anwesenden Gäste, um sich pünktlich zum Beginn der Versteigerung im Bürgersaal der Stadt einzufinden.

Hier herrschte eine Geräuschkulisse aus Stühle rücken, Räuspern und leisem Gemurmel. Der Bürgermeister betrat den Raum, und es wurde schlagartig still. Jess knuffte seinen Partner noch einmal in die Rippen und sagte sehr leise „Denk an unser Limit.“ Obwohl er es so leise gesagt hatte, war die Eindringlichkeit in seinem Ton nicht zu ignorieren. Slim nickte nur knapp.

Nach ein paar einleitenden Worten eröffnete der Bürgermeister die Versteigerung.

Zunächst boten einige Bürger und einige andere Rancher mit, und es ging zügig Schlag auf Schlag, aber von einer gewissen Höhe an waren es schließlich nur noch zwei Männer, die sich gegenseitig überboten: Slim Tyler und Charles Carpenter. Und dann, plötzlich, lag das Gebot der Carpenters 500 Dollar über jener Summe, die sich Tyler und Yates als Limit gesetzt hatten. Es durchzuckte die Freunde wie ein Schlag, und Slim sog wieder einmal scharf den Atem ein. Gespannt blickte Jess ihn an, und kaum hörbar, aber wieder sehr eindringlich und fast warnend kam ein leises „Slim.“

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