VIRDULA Endlosgeschichten Band 2 - Die Mutter aller Dinge

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„Nicht die Bohne, Don, das ist mir zu hoch, muss ich ehrlich sagen“, meinte Kuky und blickte zu Benjamin hinüber, der in Gedanken vertieft den bunten Teppich anstarrte. „Was meinst du, Benjamin?“, wollte er seine Meinung dazu wissen. Benjamin hob den Kopf und schaute Kuky gedankenverloren an.

„Spaß bei Seite, Don, das nehme ich dir nicht ab. Das Universum ist gigantisch, das passt gar nicht in die Tüte. Außerdem leben wir in einer Welt der Materie, in der schon alles nach Atomstrukturen aufgebaut ist. Ich gebe zu, die Illusionisten kennen einige Tricks, um die Leute zu amüsieren, aber das ist schon alles. Die großen Meister der Illusion verraten nie ihre Tricks, und so werde ich dich nicht weiter nach deinen Tricks ausfragen.“

„Na gut, Leute, lassen wir es dabei. Heute Abend feiern wir eine Party mit meinen neuen Freunden und Partnern im hiesigen Geschäftsbereich. Es sind auch zwei junge Damen mit dabei. Das bedeutet, anständige Kleidung ist angesagt.“

Don beobachtete Kuky. Er ahnte was ihn diesmal bedrückte. „Kuky, du siehst aus wie ein gerupfter Emu. Malek wird dir einige Scheine geben, damit du dir eine echte Pilotenuniform besorgen kannst. Du bist doch unser Flugkapitän und kein Grashüpfer. Concierge Nacho wird wissen, wo so etwas aufzutreiben ist. Mach dich auf die Socken, sonst sind die Läden zu.“

„Und ich dachte ich bin gefeuert“, wunderte sich Kuky.

„Freundschaften kann man nicht heuern und dann feuern Kuky, es sei denn, es sind falsche Freundschaften. Der einzige, der heute meines Wissens gefeuert wurde, war der Generalstaatsanwalt, und den hast du gefeuert. Mach dass du weg kommst“, antwortete Malek und steckte ihm einige hundert Dollar in die Brusttasche. Dass er dabei auch ein winzig kleines Steinchen mit in die Brusttasche versinken ließ, davon ahnte Kuky nichts. So war eben der Malek, einer der es genau wissen wollte. Weil er und Benjamin die meiste Zeit mit Kuky im Flugzeug verbrachten, schien es ihm notwendig, demnächst diesem Freund genau auf die Finger zu schauen.

Kaum war Kuky weg, griff Benjamin das vorherige Thema wieder auf. Er brannte darauf zu erfahren, wie Don und Malek es schafften, diese Szenen im Fernsehen herzuzaubern. Immerhin erlebte er alles bei vollem Bewusstsein mit, aber verstanden hatte er es nicht. Daher fragte er nach.

„Mal angenommen, ich könnte mich mit euren Theorien über Wahrheit und Wirklichkeit anfreunden. Wieso seid ihr zwei in der Lage ein Fernsehgerät einzuschalten ohne es zu berühren? Ich habe genau beobachtet das Malek nichts angerührt hat.“

Benjamin erhob sich vom Sofa ging um den Teetisch, stellte sich vor das Gerät ungefähr so, wie es Malek getan hatte und berührte den Bildschirm. Er zuckte förmlich zusammen, als dieser kurz bläulich aufflackerte und ein Bild mit Ton erschien. Er sah Kuky der im Aufzug mit zwei älteren Damen im Gespräch zeigte.

„Ihr macht euch über mich lustig. Was ist das für ein Trick, Leute?“

„Amüsiere dich doch, Benjamin. Es ist nicht so wichtig, wie du das geschafft hast, sondern wozu. Hab doch ein bisschen Spaß dabei und schau, wie Kuky leibt und lebt. Du fliegst mit diesem Piloten oft nach Winton und zurück, dann musst du auch wissen, mit wem du fliegst“, ermunterte ihn Malek und fuhr fort: „Von Fernsehtechnik verstehst du auch nichts, und trotzdem sitzt du jeden Abend vor der Glotze und wechselst die Kanäle. Don und ich können eben mehr aus dem Gerät herauskitzeln und erweiterte Funktionen in Gang setzen. Das ist doch alles bloß Technik, Atome, Elektronen, Neutronen, Protonen, Spannungsfelder, Frequenzen, alles bloß lauter Fiktionen und Illusionen. Wann auch immer du das Anhängsel an einem Wort ...onen hörst oder auf dem Papier liest, denk daran, was das ist. Man hängt das immer dann dran, um etwas zu definieren, was keiner genau umschreiben kann. Wie bei Religionen. Jeder spricht von Gott und keiner vermag ihn/sie/es zu umschreiben. Und doch glaubt jeder zu wissen, was das sein könnte. Jeder für sich selbst reimt sich seine eigenen Vorstellungen und Theorien.

Es ist denkbar, dass wir unsere eigenen Vorstellungen und Theorien haben, wonach jeder von uns wie ein Gott handeln kann, wann immer wir es möchten. Auch ein einfacher Mensch zu sein und auf diesem Planeten in Frieden sein Leben zu genießen, wie du es am Beispiel von Kuky gesehen hast, ist nicht ohne Haken und Ösen. Leider gibt es Menschen, die nur krumme Sachen im Kopf haben. Du selbst als Zeuge der Affäre mit dem falschen italienischen Conti und den Dunkelmännern mit dem Kokaingeschäft, bist ein gezeichneter Mann. In einer anderen Affäre, in der Alida ihre Eltern verloren hat, steckten die gleichen Dunkelmänner dahinter. Sie ist die Zeugin einer Anklage, deswegen sind die Kerle schon seit langem hinter ihr her. Der Staatsanwalt und der Bischof stecken irgendwie zusammen mit diesen Meuchelmördern und haben Kuky erpresst. Kurz gesagt, wir alle sind auf der Liste dieser Strippenzieher und müssen uns gegen diese Ganoven schützen. Unsere kleinen illusionistischen Tricks helfen uns dabei ihre Absichten zu erfahren und rechtzeitig Gegenmaßnahmen einzuleiten. Das ist eigentlich alles, Benjamin. Wenn du mehr wissen willst, werden wir dich weiter aufklären.“

„Danke, Malek. Es ehrt mich sehr, dass ihr mir so viel Vertrauen schenkt. Gleich am Anfang unserer Beziehung in Winton ist mir aufgefallen, dass Don ein außergewöhnlicher Charakter ist. Er handelt außerordentlich weise und hat in wenigen Tagen alles wieder ins Lot gebracht. Dann lernte ich dich Malek, deine Familie, Edy, Erol, Alida, Ernst, Gisela und zuletzt Lore kennen. Ihr alle habt etwas in eurem Verhalten, das mich gleichzeitig inspiriert und aufatmen lässt. Ihr strahlt eine Aufrichtigkeit und fast unnatürliche Sorglosigkeit aus, und meistert Probleme mit der Lässigkeit eines Mondwandlers. Erst heute ist mir bewusst geworden, dass ihr keine gewöhnlichen Menschen seid. Ich erlebte diese Theatervorführung mit Kuky und dem Fernseher wie in Trance. Wie in einem Science-fiction Film bringt ihr Sachen zustande, von denen keiner glauben kann, dass so etwas möglich ist. Wo auch immer ihr auftaucht, ihr wirbelt die Menschen auf. Ihr bringt neue Ideen, Schwung und könnt alles das aus der Westentasche bezahlen.

Ihr selbst zeigt kein Interesse an Geld, Luxus und sonstigem Zeug, womit sich die Neureichen so gerne schmücken. Ihr seid fast abartig großzügig und schenkt jedem eurer Freunde uneingeschränktes Vertrauen.“ Benjamin atmete tief durch und fasste Mut das Schlusswort auszusprechen: „Ihr seid alle so etwas wie die Engel auf Erden, oder bin ich vielleicht zu weit mit meiner Überlegung gegangen?“

„Ach Benjamin, du spinnst wohl, wir sind genauso wie du und viele andere, lediglich ein bisschen mehr weise. Das kann jeder werden, wenn man sich dazu entscheidet. Kugellager, die mit Anständigkeitsfett geschmiert sind, laufen ewig“, meinte Malek.

Don blickte zur Wanduhr und klopfte mit beiden Händen auf seine Knie.

„Freunde, es wird allmählich Zeit, dass wir uns an die Arbeit machen. Ich muss euch in die Details des hiesigen Projektes einweihen, damit ihr mit den Anwälten weiter kommt. Wir wollen morgen eine Bank übernehmen und den Finanzierungsplan für das Projekt gestalten. Das ist eure Aufgabe und daher hört genau zu.“

„Wir sind ganz Ohr, Kapitän, schieß los“, bemerkte Malek erwartungsvoll.

Don erklärte in kurzen Worten was er vorhatte. Er informierte die beiden über Zahlen und Konditionen, Vorgehensweise und langfristige Pläne. Zum Schluss übergab er ihnen die Verträge sie noch einmal durchzulesen und ging ans Telefon.

„Nacho, mein Freund und Helfer. Ich brauche einen Tisch im Restaurant für zehn Personen für zwanzig Uhr. Kannst du das für uns arrangieren?“

„Klar doch, Kapitän. Ich kann euch auch einen Konferenzraum einrichten lassen, dann seid ihr ungestört. Habt ihr einen besonderen Wunsch in Bezug auf die Speisen und Getränke?“

„Das mit dem Konferenzraum ist eine gute Idee. Was die Speisen anbelangt, so sage dem Chefkoch, er soll ein Überraschungsmenü zusammenstellen und gekühlten hiesigen Weißwein servieren. Danke Nacho, deine Dienste weiß ich sehr zu schätzen.“

„Gern geschehen Kapitän, und lasst es euch gut munden.“ Don legte den Hörer auf und wandte sich wieder den beiden Freunden zu, die sehr angeregt die Verträge kommentierten.

„Ich mache mir jetzt ein heißes Bad, das empfehle ich euch auch. Kurz vor acht treffen wir uns an der Bar.“ Damit war die Sitzung beendet.

--.--

Don erschien als erster an der Bar. Nacho kam gleich zu ihm und führte ihn in den festlich eingerichteten Konferenzraum.

„Soll ich die Gäste gleich hierher bringen? Es wäre natürlich vornehmer, wenn die Vorspeise serviert ist, und ihr so lange an der Bar wartet.“

„Das ist besser so, Nacho. Die Leute sollen sich erst mal kennenlernen.“ Don griff in seine Sakkotasche und zog ein fürstliches Trinkgeld für Nacho hervor.

„Danke, Nacho, auf dich ist immer Verlass“, bedankte er sich freundlich.

„Es war mir ein Vergnügen, Kapitän“, entgegnete er und ließ die Scheine in seiner Hosentasche verschwinden.

Als beide in Richtung Rezeption zurück kehrten, sahen sie wie Kuky mit einer Einkaufstüte den Aufzug betrat.

„Na also, Kuky hat es doch geschafft“, flüsterte Don und schlenderte wieder zur Bar. Dort bestellte er einen Gin Tonic, setzte sich in einen Sessel, denn die Barhocker waren ihm nicht bequem genug. Ein Blick auf die Uhr zeigte, dass er noch Zeit für eine Pfeife hatte. Als er die ersten Wölkchen genüsslich verteilte, war er sehr überrascht als die zwei jungen Damen aus der Kanzlei auf ihn zu kamen. Zu ihrer Überraschung zauberte er zwei rote Rosen aus seiner Sakkotasche und hielt sie ihnen wortlos entgegen. Sie warteten dass der Rosenkavalier sie mit Komplimenten begrüßte. Er aber schwieg und rollte nur mit den Augen. Als Don noch immer stumm da stand, ergriff Karin die Initiative.

 

„Danke schön, Mr. Don, sehr aufmerksam von Ihnen“, sagte sie ein wenig verwirrt. Auch Donna nahm die Rose überrascht entgegen. Sie wunderte sich über den schweigsamen Gentleman, der doch sonst immer so gesprächig war. Verwundert nahm sie seine Hand schüttelte sie heftig und fasste dann Mut sich zu bedanken. Aber Don rollte noch immer mit den Augen und sagte kein Wort. Jetzt wurde die Szene allmählich peinlich und die zwei Damen guckten sich fragend an. In diesem Moment konnte Don ein schallendes Lachen nicht mehr zurück halten. Er klatschte in die Hände, was auf die beiden Damen ansteckend wirkte. Sie lachten mit und klatschten ebenfalls in die Hände.

„Meine Damen, verzeihen Sie bitte mein Benehmen, Sie sind so bezaubernd anzusehen, dass es mir die Sprache verschlagen hat.“ Mit herzhaftem Lachen versuchten Karin und Donna ihr errötetes Gesicht zu kaschieren.

„Mr. Don, Sie sind ein ganz schlimmer Charmeur. Vor Ihnen sollte man sich in acht nehmen“, meinte Karin.

„Keine Bange, meine Damen, ich bin nie lange genug an einem Fleck, um zwei reizende Damen ernsthaft zu verführen. Wo sind Ihre verehrten Anwälte?“

„Die sind im Büro geblieben, als wir zum Friseur eilten“, antwortete Donna. „Vermutlich streiten sie sich noch immer über irgendeinen Paragraphen“, was die beiden Mädels veranlasste über ihren Witz zu kichern.

„Habt ihr zwei schon etwas zum Trinken bestellt? Ich trinke auf eure blühende Schönheit einen Gin Tonic“, verkündete Don der noch immer lachte.

„Wir schließen uns an, obwohl wir noch nie einen getrunken haben“, antwortete Karin etwas schüchtern.

Don ging zur Theke und bestellte drei Drinks, wenig Gin, viel Tonic auf Eis, während die Damen sich bemühten mit ihren engen Röcken die Barhocker zu erklimmen.

„Waren eure Anwälte sauer, dass ich euch zwei zu meinen Vermögens-Verwalterinnen vorgesehen habe?“

„Viel mehr, sie wundern sich ein wenig darüber, dass Sie uns so viel Vertrauen schenken, und wir übrigens auch. Sie kennen uns doch noch gar nicht“, meinte Donna.

„Macht euch keine Sorgen darüber. Euch wird das ganze nicht nur viel Spaß bereiten, sondern auch Ansehen verschaffen. Gerade weil ihr so jung und unvorbelastet seid, werdet ihr eure eigenen Ideen entwickeln. Ich möchte, dass ihr euch um die Waisenkinder und alleinerziehende Mütter kümmert. Ein Mutter-Kind-Dorf mit weltoffener Schule für die Heranwachsenden, Weiterbildung, Stipendien usw. Das sind nur Stichworte, über welche ihr beide demnächst nachdenken sollt. Ihr arbeitet weiter mit in der Kanzlei, die Betonung liegt auf mit und nicht für die Anwälte. Ihr arbeitet auch nicht für mich, sondern mit mir in der Stiftung. Ab dem nächsten Ersten des Monats erhaltet ihr eure Bezüge und Sozialleistungen von unserer Stiftung. Ihr beide habt freie Hand als meine Stellvertreterinnen weiteres Personal einzustellen, größere Büroräume zu mieten und nach eurem Geschmack einzurichten. Über alle diese Sachverhalte sollt ihr euch Gedanken machen. Ich gebe euch eine Woche Zeit über mein Angebot nachzudenken, ob ihr diese Aufgabe annehmen wollt. Es ist viel mehr Arbeit damit verbunden, als ihr euch jetzt denken könnt. Zwei meiner Freunde und Partner waren neulich in Kanada. Dort haben sie einige Orte besucht, in denen christliche Kirchen Sonderschulen für Indianerkinder eingerichtet haben. Eine entsetzliche Affäre mit etwa fünfzigtausend Toten und tausenden missbrauchten Kindern. Eine Schande der Menschheit in einem zivilisierten Land wie Kanada. Aber in Melbourne ist auch gerade etwas Schlimmes mit Waisenkindern passiert. Daher werdet ihr mit Alida reden müssen, sobald sie abkömmlich wird. Ich weiß nicht, welcher Konfession ihr zwei angehört, aber ich wünsche keine Priester und Nonnen, nicht einmal in der Nähe unserer Institutionen zu sehen.“

„Wer ist Alida, wenn ich fragen darf?“, wollte Karin wissen.

„Alida ist die Frau von Erol, beide sind meine Partner genauso, wie ihr es sein werdet, falls ihr euch für diese Aufgabe entscheidet. Sie wird euch einen Bericht von der Kanada Affäre zu lesen geben, damit ihr erfahrt, wie schlimm es werden kann. Die Pharmaindustrie ist besonders scharf darauf solche Kinderheime als ihre Versuchsobjekte zu missbrauchen, weil die Kinder sich nicht wehren können. In der städtischen Bibliothek wird bestimmt über dieses Thema einiges zu finden sein. Die zivilisierte Gesellschaft und die Upperclass können sehr barbarisch mit hilflosen Menschen umgehen, nicht nur mit Kindern und alleinstehenden Müttern. Eure Aufgabe wird es wohl sein, unseren Schützlingen ein würdevolles Leben und eine Ausbildung zu gewährleisten. Das ist eine große Aufgabe, die viel Mut und Verstand abverlangt. Darüber solltet ihr euch klar werden, meine bezaubernden jungen Damen.“

„Die Anwälte sind im Anmarsch, Mr. Don“, sagte Donna und sprang vom Barhocker.

„Setz dich wieder hin, Donna, wir sind nicht im Büro“, schubste Karin ihre Kollegin an. Donna rekelte sich wieder auf den Hocker zurück und streifte diesmal ihren Rock über die Knie. „So ist es brav, Partnerin, wir haben auch unseren Stolz.“

„Wir unterhalten uns weiter beim Essen, die Gäste kommen“, sagte Don und schritt dem jungen Anwaltstrio entgegen. So ging es weiter mit den restlichen Gästen. Don stellte sie alle untereinander vor. Er machte lustige Bemerkungen, orderte Drinks und bemühte sich mit jedem ein paar Nettigkeiten auszutauschen. Kuky kam als letzter. Frisch rasiert im teuren Pilotenzwirn gekleidet, strotzte er vor Stolz einer von Dons Gästen zu sein. Er rührte keinen Alkohol an, sondern trank nur Bitterlemon.

Don fasste ihn beim Arm und zog ihn zur Seite. „Kuky, wir haben eine eilige Aufgabe zu erledigen. Ezra braucht dich dringend in Brisbane, deshalb sollst du morgen früh gleich voll tanken, die Maschine inspizieren und direkt dorthin fliegen. Erschrick nicht, wenn du von Ezra und zwei Detektiven am Flughafen empfangen wirst. Du erinnerst dich an die beiden tüchtigen Detektive? Sie sind von deinem Exfreund Staatsanwalt vom Dienst suspendiert worden. Diese beiden brauchen deine Aussage bezüglich der Erpressung und Nötigung. Diesmal machen sie Nägel mit Köpfen, verstehst du? Die Detektive wissen nichts von dem Spuk, der sich im Büro des Staatsanwaltes abgespielt hat. Es ist denkbar, dass sie es von ihren Kollegen bald erfahren werden. Du hältst deine Klappe und sagst kein Wort darüber, verstanden? Nur Ezra darfst du über alle Details unterrichten. Du hast gesehen, wie wir den Fernseher mit dem Finger berührt haben. Jederzeit, wenn du mit mir, Malek, Ezra, Edy oder Erol kommunizieren möchtest, musst du nur den Fernsehschirm berühren. Das ist kein Witz und kein Trick Kuky, das ist unser Kommunikationssystem. Tu das aber nur, wenn du alleine bist, sonst funktioniert es nicht, merk dir das. Wir wissen jederzeit, wo du bist, und ob dir eine Gefahr droht. Fürchte dich nicht, vor niemandem. Wir sind immer in deiner Nähe, auch wenn du uns nicht sehen kannst.“ Don klopfte ihm auf die Viersterneschulter und zwinkerte mit den Augen. „Entspann dich jetzt, mein Freund, es gibt heute Abend ein Überraschungsmenü.“

„Ich danke dir, Don, du bist ein Mordskerl. Noch nie war mir so zum Heulen zu Mute, mein Freund. Ich gehe kurz zur Toilette und heule mich aus.“ Das tat er dann auch, fast im Laufschritt.

Don ging zurück zu den Partygästen, bemüht, seine eigenen Tränen unter Kontrolle zu halten. Malek erfasste die Situation, entschuldigte sich bei Jerry und Arthur und ging Don entgegen.

„Du bist gerührt das sieht man dir an. Was ist geschehen? Ist was mit Kuky?“, fragte er fast flüsternd.

„Er ist glücklich, Malek, und will sich im Klo ausheulen. Ich habe ihm gesagt, was ihn morgen in Brisbane erwartet, wenn er landet.“

„Das ist gut so, Don. Nimm dich zusammen, wir feiern heute große Dinge, denk daran.“

„Ist schon alles in Ordnung, Malek, ich mag den Kerl und weiß, wie ihm gerade zu Mute ist. Komm, erzähl mir einen Witz, damit wir lachen können.“

„Keine Witze, Don, wir haben Gäste, und du bist der große Meister.“

Der Chefkoch, mit schneeweißer Schürze und geknickter Kochmütze auf dem Kopf, erschien freudestrahlend und verkündete:

„Meine Damen und Herren, es ist angerichtet. Wenn Sie so freundlich sein möchten mir bitte zu folgen.“

In der Tat, im Nu bildete sich eine Polonäse von hungrigen Gästen, die in Richtung Konferenzraum marschierten, die es kaum erwarten konnten, vom Überraschungsmahl kosten zu dürfen. Don der beide Damen links und rechts neben sich platzierte, stand geduldig hinter seinem Stuhl bis alle Gäste Platz genommen hatten. Erst dann nahm auch er als Gastgeber am Kopfende des Tisches seinen Platz ein. Die Kellner entkorkten nacheinander die Weinflaschen. Mit professioneller Höflichkeit baten sie Don eine Kostprobe zu nehmen.

„Bedaure, meine Herren, ich verstehe wenig von Wein, aber mein Freund Jerry umso mehr.“

„Du Witzbold, ich verstehe was von Whisky, aber nichts von Wein, lass die Damen darüber entscheiden“, wehrte Jerry ab.

„Wir können die Gäste nicht ewig warten lassen. Gib die Flasche her, ich verstehe etwas davon“, brummte Arthur und winkte die Kellner zu sich.

Dieses kleine Theatervorspiel löste die Spannung bei den unerfahrenen jungen Partygästen, die Damen kicherten, und Jerry klopfte seinem Freund Arthur auf die Schulter.

„Bravo, Arthur, jetzt weiß jeder, wer die Schampusflaschen für die Schiffstaufen leertrinkt und Spülmittel hineinmischt. Kein Wunder, dass deine Schiffe nie absaufen.“

Bei dieser deftigen Anekdote konnte sich sogar der stocksteife Kellner das Lachen nicht verbeißen. Sie lachten alle so köstlich, dass sogar Nacho an der Rezeption die lustige Gesellschaft hören konnte.

Die Überraschungsvorspeise entpuppte sich als Parmaschinken auf Honigmelone und frischen Dillspitzen. So wusste jeder gleich, dass es sich bei dem Chefkoch um einen Italiener handelte. Den Gästen war es im Grunde genommen egal, keiner bis auf Don, waren Feinschmecker. Die Kellner servierten die zweite Vorspeise, in Cognac eingelegte Backpflaumen, umhüllt mit geräuchertem knusprigem Speck, die noch heiß serviert wurden. Anschließend folgte die Forelle à la Müllerin, wobei die Kellner ganz schön ins Schwitzen kamen, so schnell wurde alles vertilgt und mit gekühltem Weißwein hinuntergespült.

Bei dieser Gesellschaft wurde zuerst gegessen, verdeckt gerülpst und dann geredet. Einfache Menschen eben, mit gesundem Appetit und viel Sinn für gemütliches Beisammensein. Don mochte solche Menschen, die der Mutter Natur die Zügel ließen und die Fesseln einer pervertierten Etikette nicht kannten. Er kannte auch eine andere Sorte von Menschen, die mit verkrampftem Magen der Etikette folgten, sich davor fürchteten nur keinen Patzer bei Tisch zu leisten, die besten Speisen nur zur Hälfte aßen und danach nicht einmal wussten, wie es wirklich geschmeckt hatte, geschweige satt geworden sind.

Er erinnerte sich an eine Reise durch Frankreich die ihn entlang der Loire führte, mit wunderschönen Schlössern und Burgen jenseits des Flusses. Damals bei einer Besichtigungstour erzählte die Touristenführerin von der Zeit, als sich die hohen Herrschaften fast zu Tode kratzten. Irgendein religiöser Quacksalber verkündete, man dürfe sich nicht waschen, das mache die Haut zu dünn und anfälliger für Krankheiten. Die hohen Herrschaften nahmen diesen Schmarren ernst und entwickelten daraus die schwachsinnigsten Formen der Mode Etikette, wie Perücken usw. Die Damen trugen mehrfach übereinander gestülpte lange Röcke, damit der Gestank der ungewaschenen Leiber nicht so schnell entweichen konnte. Man durfte sich nicht öffentlich kratzen, dafür puderte man sich fast bis zum Eingipsen. Als schwachen Trost besprühte sich die ungewaschene adlige Elite mit Duftwässerchen, das die Araber über Spanien nach Frankreich brachten. Mehrere Generationen dauerte dieser Irrtum der vernachlässigten Hygiene. Die Menschen dezimierten sich einmal durch Krankheiten oder durch Weigerung der Herren unter die Röcke der Damen zu kriechen.

Das Lustigste dabei war, dass sich diese hohen Herrschaften im vollen Ernst für Halbgottheiten mit weißer Haut hielten, dafür das einfache Volk meist von der Sonne gebräunt, als dummes Gesindel behandelte. Wie auch immer, dachte Don, kein Wunder, dass sie sich selbst auflösten. Er kannte die Kräfte der Mutter Natur wie kaum ein anderer und wusste, dass sie auf lange Sicht keine Fesseln und widernatürliche Etiketten dulden kann. Ein Rülpser oder ein Furz sind nun mal Produkte unseres Körpers nach den Regeln unserer Mutter Natur. Man soll sie eben sausen lassen, wenn sich eine günstige Gelegenheit dafür ergibt.

 

Offensichtlich war der Chefkoch sichtlich enttäuscht von der Gesellschaft und der Art und Weise, wie sie die Forellen mit den Fingern zerlegten. Kurz entschlossen änderte er sein Menü, und die Kellner servierten mit demonstrativer Verachtung zwei Riesenplatten mit aufgetürmten Kookaburra Wings (frittierte Hähnchenflügel). Welches Gaumenvergnügen er den ausgelassenen Partygästen damit bereitete, ahnte der hochnäsige Chefkoch nicht im Geringsten. Die Kookaburra Wings flogen von der Platte hin zu lüsternen Gaumenhöhlen, wurden dort vom Fleischballast befreit und landeten als nackte Knochen auf den Tellern der Gäste. Die silbernen Messer und Gabeln durften sich diesmal ausruhen. Die Krönung des Etikettenschwindels brachte Arthur zu Tage, als er einen entsetzten Kellner aufforderte die Knochen samt Überbleibsel von den Wings schön einzupacken, damit die zahlreichen Katzen und Hunde auf seiner Werft die Partystimmung miterleben konnten.

Don winkte die Kellner zu sich. Er bestellte reichlich Zitronenwasser und große Servietten, damit sich die Gäste die Hände waschen konnten. Man lachte und rülpste vor lauter Entzücken, zum Schluss doch noch etwas Anständiges zum Essen bekommen zu haben. Der lauwarme Wein wurde völlig ignoriert, stattdessen zischte das eiskalte Bier die Kehle hinunter, entfesselte die mitverschluckte Luft und Biergase, zur Freude und Entspannung der glücklichen Genießer.

„Ein Glück, dass wir diese Horde in einem separaten Raum einquartiert haben“, flüsterte einer der Kellner dem anderen ins Ohr. „Sonst wäre der gute Ruf unseres noblen Hauses im Eimer.“

„Du verlogenes Arschloch, du ahnst ja gar nicht, wie gerne ich mit dieser Clique die Wings vertilgt hätte. Bei dir zu Hause wird genauso mit den Fingern gegessen“, konterte der andere Kellner und leckte sich die Lippen ab.

„Aber unser Monsieur Jacques aus Paris...“, wollte der brave Etikettennarr protestieren.

„Ach der feine Pinkel, der seinen eigenen Schwanz mit den Handschuhen anfasst, aber den Arsch unserer fetten Köchin im Kühlraum vernascht, von dem kannst du nur Blödsinn lernen.“

Kuky, der diesen Dialog mithörte, gab demonstrativ einen lauten Rülpser von sich, worauf die Gruppe mit lautem Klatschen und Lachsalven reagierte. Dieser Befreiungsakt erlöste die steifen Kellner von ihrer Qual. Sie lachten endlich mit.

„Na bitte!“, rief Karin laut. „Die Chinesen wissen am besten, wie man dem Koch ein Kompliment aussprechen kann.“

Das war Grund genug die Ausgelassenheit anzuheizen. Die drei Anwälte schauten ein wenig verlegen in die Runde, lächelten jeden mit einem gekünstelten Lächeln an, als befürchteten sie, mit einem ordentlichen Rülpser ihre Honorare entweichen zu lassen. Kurz nach zehn Uhr wurde der Tisch abgeräumt, Mokka und Karaffen mit eisgekühltem Wasser auf Servierwagen herangefahren. Nicht ein einziges Wort war über die zukünftigen Geschäfte verloren worden.

Die Kellner, die von der lokalen Presse dazu überredet worden waren, nebenbei Mitgehörtes gegen reichlich Trinkgeld einzutauschen, hatten nichts zum Tausch anzubieten. Bis auf viele Lustbarkeiten und deftige Witze bekamen sie keine ernstzunehmende Neuigkeiten zu hören. Don stand auf, bedankte sich mit einem kräftigen Händedruck bei den enttäuschten Kellnern und drückte jedem einen fetten Bakschisch in die Hand.

„Danke, meine Herren, Sie waren sehr zuvorkommend. Wir möchten jetzt unter uns bleiben. Aufräumen können Sie später.“

Das war unmissverständlich ausgedrückt ein Rausschmiss, der keine Spielräume dazwischen zu ließ. Sie verbeugten sich leicht und gingen hinaus in die Welt des Monsieur Jacques und seiner seidenen Handschuhe.

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