Buch lesen: «Der Kessel der Götter»
1. Auflage 2010
Die Originalausgabe erschien 2003 bei Mandrake of Oxford unter dem Titel „Cauldron of the Gods - A Manual of Celtic Magick“; © 2003 by Jan Fries and Mandrake of Oxford.
Copyright © 2009 by Edition Roter Drache für die deutsche Ausgabe.
Edition Roter Drache, Holger Kliemannel, Postfach 10 01 47, D-07391 Rudolstadt.
edition@roterdrache.org; www.roterdrache.org
Buch- und Umschlaggestaltung: Edition Roter Drache.
Titelbildmotiv: Astrid Bauer. Alle Fotos auf den Umschlag stammen von Jan Fries.
© Bilder by Jan Fries. Der keltische Bildrahmen bei den Übungen und Impressum ist dem Buch „Celtic Frames and Borders“ von Dover entnommen.
Übersetzung aus dem Englischen: Almut Friederich.
Übersetzung der Lieder & Gedichte: Jan Fries.
Lektorat: Helge Lange.
Gesamtherstellung: Wonka Druck, Deutschland.
E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2018
Alle Rechte vorbehalten.
Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Form (auch auszugsweise) ohne die schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert, vervielfältigt oder verbreitet werden.
ISBN: 978-3-944180-32-8
Inhaltsverzeichnis
Cover
Titel
Impressum
Vorwort zur deutschen Ausgabe
0. Einführung: Willkommen im Nemeton
1. Das Volk der Hügel
Übung: Trancereise in die hohlen Hügel
Die Toten auferstehen lassen
Opferplätze unter freiem Himmel: Vom Ende der Hallstattzeit
2. Die Rätsel von La Tène
Talismane
Gefährliche Tote & ungewöhnliche Begräbnisse
Opfergaben für die Tiefe
Die Heiligkeit des Wassers
Übung: Hinab in die Tiefe
Kultplätze
Heilige Haine
Die Tempel Galliens
Die Erforschung von Gournay
Ein Trophäenhort
Roquepertuse
Schatten im Labyrinth
Teutates, Esus und Taranis
Göttin der Pferde
Rhiannon und die Morrigain
Lugus
Kelten und Germanen
Götter des Landes
Cernunnos
Matronen
Andere Kulte
Göttliche Tiere
Kopfkulte
3. Druidische Träume
Druiden in der klassischen Zeit
Rätsel der Keltike
Der Untergang der Druiden
Druiden in Legenden
Die Rückkehr der Druiden
4. Die Entstehung des Bardenstandes
Barden, Vates und Druiden
5. Glaubenswirren
Ein lebendig begrabener Christ
Bardisches Christentum
Buch von Taliesin 9
6. Die Filid von Irland
Die Fibel der Gelehrten
Übung: Das Einzigartige
Poeten und Philosophen
Das Erbe von Babel
Der Weg des Poeten
Unter einem goldenen Zweig
Keltische Harfen
Aus einer dunklen Zelle
Das Land der Lebenden
Übung: Reise in die Anderswelten
7. Die drei Strahlen des Awen
Bardische Raserei
Canu y Cwrwf
Mydwyf Merweryd
Der Geist der Prophezeiung
Der wilde Mann aus den Bergen
Der Atem des Awen
Die Suche nach der Muse
Hanes Taliesin
Kadeir Kerrituen
Golychaf-I Gulwyd
Die Cailleach
Übung: Das Uralte
Die drei Inspirationen Ogyrvens
Das Dreiblatt-Symbol
Die Gottheit der Poeten
Ritual: Brides Bett
Die persönliche Muse
Angar Kyfundawt
8. Taliesin Penbeirdd
Wer war der historische Taliesin?
Die Geschichte von Taliesin
Ärger mit Maelgwn
Der Bardenstuhl
Ritual: Das Küken auf dem Stuhl
Buarth Beird
Eine Sturzflut an Fragen
Kanu y Gwynt
Prif Gyuarch Geluyd
Übung: Rätselmagie
Eine Frage der Identität
9. Zauberei
Das Feuer der Motivation
Die Gaben der Nessel
Das Verfluchungsritual
Leuchtende Segen
Aduwyneu Taliessin
Lorica
Zauberspruch für langes Leben
Strophe aus „Des Rotwilds Schrei”
Grüße für Sonne und Mond
Heilzauber
Zweiter Merseburger Zauberspruch
Gesten
Nachtängste, der böse Blick und Vernichtungszauber
Magische Schlachten
10. Geschichten der Verwandlung
Ein Netz von Romanzen
Dümmling
Mündliche Überlieferung
Der einstige und zukünftige König
Übung: Der zeitliche Rahmen
Übung: Der kulturelle Rahmen
Die Realität formen
Übung: Deine Geschichte
Rituelles Geschichtenerzählen
Der Zauber der Erzählung
Therapeutisches Geschichtenerzählen
Therapeutische Funktionen
Kunstvolle Unbestimmtheit
Werkzeuge zum Halluzinieren
Geschichten und Selbsthypnose
Geschichten als Geister
Andere verzaubern
Ritual: Ein Waldspaziergang
11. Die geheimen Künste
Frith
Imbas Forosna
Dichetal di Chennaib
Teinm Laeda
Cetnad
Toghairm
12. Der ewig hungrige Kessel
Die Kessel der Filid
Der Kessel der Unterwelt
Arthurs Queste
Preiddeu Annwn
Neun britische Anderswelten
Die Bücher der Fferyllt
Aeneis
Vergil, der Magier
Ein Ritus der Wiedergeburt
Mehrphasenbegräbnisse
Zerstückelungsriten
Sibirische Initiationen
Die Chödpa-Trance
Ritual: Der Kesselritus
Kessel der Kreativität
Die Nebelhecke
13. Bäume der Ewigkeit
Die Schlacht der Bäume
Kat Godeu
Ogham-Bäume
B-Gruppe
H-Gruppe
M-Gruppe
A-Gruppe
Doppelvokal-Gruppe
Die Ursprünge des Ogham
Baum-Magie
Ein Baumführer
Eine Handvoll Wälder
Die Matrix Nemetonas
14. Coda: Das Bett Taliesins
Anhang
Zeittaffel
Sprachen und Quellen
Index
Bibliographie
Anmerkung
Verwendete Abkürzungen im Buch
BvT = Buch von Taliessin
RBvH = Rotes Buch von Hergest
SBvC = Schwarzes Buch von Carmarthen
BvA = Buch von Aneirin
Hinweis: Für alle, die damit nicht vertraut sind: Der Stern (*) am Anfang eines Wortes bedeutet, dass es sich um ein rekonstruiertes Wort handelt.
Wildschwein Knoten
Vorwort zur deutschen Ausgabe
ie Übersetzung dieses Buches wurde von Rasputinka gemacht. Vor einigen Jahren überraschte sie meinen Freund Volkert mit der Nachricht, sie hätte aus purer Begeisterung eine komplette Übersetzung verfasst. Was eine gute Meditation ist. Denn das, was man sorgsam übersetzt, liest man auch wirklich ganz genau. Du liest, was da ist und bemerkst, was fehlt. Und beobachtest Dich selbst bei der Wahrnehmung. Und verstehst viel intensiver, als wenn du schnell und schlampig drüberfliegst. Denn manche Texte sollten gut bedacht werden. Und als der Verlag Edition Roter Drache die deutschen Rechte erwarb, stand diese Übersetzung erfreulicherweise schon zur Verfügung. Ich habe dann den Prosatext neu bearbeitet und um einige Kapitel erweitert.
Um bei den Gedichten eine größtmögliche Genauigkeit zu erzielen, habe ich die Übersetzung aller Lieder und Gedichte selbst verfasst. Ich habe mich, was die Four Ancient Books of Wales angeht, zunächst an die von William Skene editierte Version gehalten. Diese vier Manuskripte gehören zum wichtigsten Material über die mittelalterlichen britischen Barden und ihr erstaunliches Weltbild. Eigentlich kommen die Lieder nur teilweise aus Wales, viele von ihnen stammen aus dem heutigen Nordengland und den Gebieten um das südliche Schottland, wo das ursprüngliche Königreich Rheged vermutet wird. Hier sang der erste (bekannte) Taliesin für Urien, hier kämpften die Briten gegen Pikten und Gälen. Und von hier wurden sie ins schöne, aber arme und gebirgige Wales verdrängt, wo ihre Lieder dank viel Glück aufgezeichnet und bewahrt blieben. Die Four Ancient Books und das Mabinogion (mittlerweile auch teilweise in deutscher Sprache erhältlich) sind unsere wichtigsten Quellen zum britischen Keltentum nach der römischen Besetzung.
Da Du ja gerne schwierige Sachen liest, möchte ich zunächst erklären, was es mit dieser Übersetzung auf sich hat. Im deutschen Sprachraum sind die Lieder und Texte der inselkeltischen Barden vernachlässigt worden. In England wurden vor mehr als 150 Jahren die Geschichten aus dem Roten Buch von Hergest (verfasst um ca. 1300) veröffentlicht. Lady Charlotte Guest besorgte die Übersetzung und brachte elf Legenden unter dem Titel Mabinogion heraus. Genau genommen werden nur die ersten vier dieser Geschichten als Mabinogi bezeichnet. Wie auch immer, sie landete mit ihrer Publikation einen Bestseller, der auf die Romantiker des ‘Celtic Twilights’ enormen Einfluss hatte. Bei uns sind erst vor wenigen Jahren die ersten vier Geschichten des Mabinogions in deutscher Sprache erscheinen. Zum Glück in einer qualitativ hochwertigen Übersetzung von Bernhard Maier, die ich jedem Leser dringend empfehlen möchte.
Die Lieder der britischen Barden sind in den letzten Jahrhunderten etliche Male von der kymrischen in die englische Sprache übertragen worden. Dabei stand bedauerlicherweise meist die persönliche Vorliebe der Übersetzer im Vordergrund. Die Kooperation von Owen Pughe, Owen Jones und Edward Williams (1801) litt unter stark romantischen und nationalistischen Interessen. Edward Williams, besser bekannt als Iolo Morgannwg, war vor allem an der Etablierung seines neo-druidischen Ordens interessiert. Iolo sammelte zahlreiche alte Manuskripte und übersetzte wie, es ihm passte. Was er nicht in den Quellen finden konnte, fälschte oder erfand er. Wobei er reichlich Opiumtinktur konsumierte und erstaunliche Kreativität bewies. Das Ergebnis war eine uralte neuerfundene bardisch-druidische Tradition, die sich ungebrochen von der Megalithzeit bis ins 18. Jahrhundert fortsetzte. Und noch heute in Stonehenge zelebriert wird.
Edward Davies Mythology of the British Druids, 1809, und Algernon Herberts Werke Britannia after the Romans (1836) und The Neo-Druidic Heresy (1838) waren einflussreiche Werke, die mit Hilfe heftigster Übersetzungsfehler eine heidnisch-druidische Tradition in der britischen Bardenpoesie nachwiesen. Auf diese Autoren geht auch die Theorie zurück, die Druiden hätten das britischen Christentum geprägt. Was dann zu den bekannten Konflikten zwischen der ‘keltischen’ und der römischen Kirche geführt hätte. Sie waren der Ansicht, die Druiden, welche in den Handschriften flüchtig erwähnt werden, wären direkte Nachfolger jenen Druiden, die zur römischen Besatzungszeit in Gallien die herrschende Klasse ausmachten. Dabei ignorierten sie, dass die gallischen Druiden nicht mit den britischen und irischen Druiden identisch waren, und dass das Wort ‘Druide’ in vielen mittelalterlichen Texten einfach ‘Zauberer’, ‘Hexer’ oder ‘Wahrsager’ bedeutet. Was nicht ganz das selbe ist wie ein Angehöriger einer vorchristlichen Priester-, Gelehrten- und Juristenklasse. Vor allem wollten sie beweisen, dass auch die britischen Barden einen Korpus an uralten heiligen Überlieferungen hinterlassen hätten, der dem schottischen Ossian gleichwertig wäre. Nun, Ossian war damals europaweit ein Bestseller (sogar Goethe und Napoleon waren davon begeistert). Heute ist das Werk als eine typisch romantische Fälschung in Vergessenheit geraten.
Auf die ‘druidische’ Begeisterung folgte dann eine starke Ernüchterung. Verschiedene Forscher gingen daran, die (möglicherweise) heidnisch-keltischen Elemente aus den Texten zu tilgen, und bewiesen schlüssig, dass der Großteil der britischen Gedichte auf die mittelalterlichen Gogynfeirdd Barden zurückging, von denen einige ihre Lieder mit älteren Bruchstücken schmückten. Und wieder wurde hoffnungslos übertrieben. Wo die Vorgängergeneration die Lieder, wenn möglich, ins vorchristliche Heidentum verlegte, datierte Thomas Stephens The Literature of the Kymry (1849) und D. W. Nash The Bards and Druids of Britain (1858) das Material, wann immer möglich, zwischen dem elften und vierzehnten Jahrhundert. Leider lieferten auch sie Übersetzungen, die bestenfalls als einseitig gelten dürfen. Heidnisches Gedankengut oder Hinweise auf die ältere Geschichte wurden prinzipiell nicht für möglich gehalten oder gleich umgedeutet. Nashs Übersetzung erfreut sich, dank ihrer Verwendung durch Robert Graves in seinem Bestseller Die weiße Göttin (1948), immer noch größter Beliebtheit. Diese Version der bardischen Gesänge dürfte zur Zeit im deutschen Sprachbereich am bekanntesten sein. Sie hatte großen Einfluss auf die Matriarchatsforschung und auf die Glaubenswelt des modernen Wicca. Zahllose begeisterte Heiden hielten Graves’ extrem schlampig recherchiertes Werk für eine glaubwürdige Geschichtsstudie. Wobei man Nash nicht vorwerfen kann, was Graves aus seinen Übersetzungen gemacht hat. Denn wo Nash bemüht war, die bardischen Lieder zu entmystifizieren, hat Graves ganz einfach seine persönlichen und reichlich durchgeknallten Visionen der griechischen und vorderasiatischen Mythologie in sie hineininterpretiert. Die Mischung verkauft sich immer noch.
Womit wir zu Skenes The Four Ancient Books of Wales (1868) kommen. Die von ihm editierten Gedichte wurden von namhaften Philologen erstellt. Reverend Silas Evans aus Llanymawddy übersetzte das Schwarze Buch von Carmarthen, das Buch von Aneurin und das rote Buch von Hergest. Reverend Robert Williams aus Rhydycroesau übernahm das wesentlich schwierigere Buch von Taliesin. Ihre Arbeiten wurden mit einer neuen Abschrift der Originaldokumente von Skene bearbeitet und veröffentlicht. Das Ergebnis war die erste wissenschaftliche Übersetzung des bardischen Liedergutes. Für ihre Zeit eine einzigartige Leistung. Ich habe bei der deutschen Übersetzung der Lieder die Skene Version als Grundlage genommen. Aber auch diese weist zahlreiche Schwachpunkte auf. Die Sprachforschung hat mittlerweile viele Fortschritte gemacht. Und auch das Englisch von 1868 ist reichlich altmodisch. Dennoch haben sich bis heute nur wenige Philologen bemüht, eine so umfassende Übersetzung der kymrischen Poesie zu wagen. Es gibt neuere, verlässliche Übersetzungen von Teilen vom Schwarzen Buch von Carmarthen, vom Roten Buch von Hergest, vom Aneirin und von einer Reihe von Taliesin Liedern. 2007 sind endlich die späteren, mystischen Taliesin Lieder von Marged Haycock auf hohem wissenschaftlichen Niveau neu übersetzt worden. Es sagt einiges über die Schwierigkeit des Materials, dass sich hier über hundertdreißig Jahre lang die Skene Übersetzung behauptet hat. In Haycocks Übersetzung werden 26 der schwierigsten Taliesin Lieder auf über 550 Seiten Wort für Wort und Zeile für Zeile genau übertragen, diskutiert und in vielen alternativen Lesungsarten vorgestellt. Das Ergebnis ist einfach begeisternd. In meiner Bearbeitung der mystischen Taliesin Gedichte habe ich häufig ihre Studie konsultiert. Ich möchte hier Marged Haycock für die freundliche Genehmigung danken, ihre Arbeit zu verwenden. Und ich möchte allen begeisterten Keltophilen von ganzem Herzen empfehlen, sich ihr Buch sofort zu bestellen. Legendary Poems from the Book of Taliesin ist direkt bei CMCS Publications, Department of Welsh, Aberystwyth University, Ceredigion, SY23 2AX, Wales, GB erhältlich. Wer wissen will, wie schön, spannend und kompliziert mittelalterliche Manuskripte sein können, ist hier bestens aufgehoben.
Nur um einmal einen kleinen Einblick in dieses verwirrende Thema zu geben, hier ein paar Anmerkungen. Das Buch von Taliesin ist nur in einem einzigen, unvollständigen Manuskript erhalten, und die beiden Lieder daraus, die auch in anderen Dokumenten erscheinen, zeigen Unterschiede in der Länge und Rechtschreibung. Garnicht zu reden von der chaotischen Interpunktion. Wir wissen also mangels Vergleichswerten nicht, wie verlässlich unserer vorliegendes Dokument ist. Das mittelalterliche Kymrisch war keine genormte Sprache, sondern stand am Anfang einer weltlichen Schriftkultur. Die Rechtschreibung hatte keine Norm, sondern richtete sich nach dem örtlichen Dialekt. Dazu kommt, dass das Alter der Lieder stark variiert. Die ältesten Taliesin-Lieder stammen aus dem sechsten Jahrhundert, die neuesten aus dem dreizehnten. Niedergeschrieben wurde das uns erhaltene Manuskript etwa im späten dreizehnten Jahrhundert. Leider verstand der Schreiber nicht alles, was er da so sorgfältig kopierte. Schon die Barden der Gogynfeirdd Zeit (11.-13. Jahrhundert) kannten nicht mehr alle Worte der älteren Sprache, denn diese hatte sich in den vorherigen Jahrhunderten mehrmals stark verändert. Sie verwendeten gelegentlich älteres Material, das sie bei Bedarf erweiterten und umschrieben, um Versmaß und Reime zu erhalten, aber dabei schlichen sich Missverständnisse und Unklarheiten in den Text ein. Sie waren auch ausgesprochen kreativ und erfanden manchmal kurzerhand neue Geschichten zu alten Themen. Aber nicht genug damit. Die vorliegenden Lieder enthalten häufig unverständliche Worte. Viele davon dürften Rechtschreibfehler sein. Aber wenn wir raten müssen, von welchen anderen Worten, haben wir schnell für einen einzigen Begriff eine ganze Reihe möglicher Lesungsarten, die weit voneinander abweichen.
Es gibt also, besonders bei Taliesin, keine sichere Übersetzung. Wir müssen oft Möglichkeiten abwägen. Oder den Kontext betrachten, das Versmaß oder den Endreim rekonstruieren oder vergleichbare Redewendungen der bekannteren mittelalterlichen Literatur zu Rate ziehen. Ich habe also bei meinen Übersetzungen alternative Lesungsarten in Klammern aufgeführt. Das sieht nicht besonders schön aus, ist aber ehrlicher als jede Übersetzung, die glatt und locker über die zahlreichen Möglichkeiten hinwegtäuscht. Wobei ich nun wirklich nicht entscheiden will, welche Interpretation stimmt. Es gibt immer noch andere Interpretationsmöglichkeiten. Manchmal können wir uns nicht einmal sicher sein, wo ein Satz anfängt oder aufhört. In ganz besonders schlimmen Fällen, wenn eine Zeile völlig unsicher ist, habe ich sie mit einem (?) gekennzeichnet.
Für einen tieferen Einblick kann ich nur empfehlen, William Skene im Vergleich mit Marged Haycocks Übersetzung Wort für Wort durchzugehen, und dabei, wenn möglich, weitere Quellen zu konsultieren. Genau so ist meine Übersetzung entstanden. Bei den Liedern aus dem Roten Buch von Hergest waren dies vor allem Übersetzungen von Kenneth Jackson (1935), bei Texten aus dem Schwarzen Buch von Carmarthen Meirion Pennar (1989) und beim Buch von Taliesin John Coe & Simon Young (1995), Ifor Williams (1968) Meirion Pennar (1988) sowie Squire (1975) und Tolstoy (1985). Nash (1858) wurde, in Bezug zum Buch von Taliesin, nur sehr vorsichtig mit beachtet. Beim Hanes Taliesin wurde die vereinfachte Lady Guest Version mit den Übersetzungen von Nash verglichen.
Ich bin sicher, dass meine Übersetzung viele Fehler enthält. Aber die sind unvermeidbar. Denn jede Taliesin Übersetzung ist in erster Linie die Interpretation eines reichlich schwierigen und fehlerhaften Manuskripts. Die Sprachforscher werden noch in Jahrhunderten damit ihren Spaß haben.
Taliesin hat es uns nicht leicht gemacht.
Die britischen Barden sind berühmt für ihre ‘dunkle Sprache’. Genau wie die Kelten der Vorzeit liebten sie Andeutungen, Symbole und Rätsel, verwendeten obskure Metaphern und waren einfach gerne schwierig. Manche ihrer Lieder, wie Lobpreisungen und Sterbegedichte, wurden feierlich und gemessen vorgetragen. Andere wurden in Trancezuständen in voller Raserei und im Telegrammstil improvisiert. Viele Taliesinverse haben ein sehr kurzem Versmaß; manche bevorzugen fünf Silben pro Strophe. Wobei manchmal ein Dutzend oder mehr Zeilen den selben Endreim haben. Bei so kurzen Versen kommt es zu grammatikalischen Problemen. Oft beschränkten sich die Barden auf knappe Andeutungen. Von denen wir viele nicht verstehen. Und die Taliesins waren berühmt dafür, ständig von Thema zu Thema zu hüpfen. Wir wissen nicht einmal, ob sie überhaupt verstanden werden wollten.
Einige der späteren Taliesin Lieder sind so verworren, dass sich die Frage stellt, ob sie aus Bruchstücken zusammengesetzt sind. Wenn in einem Lied aus dem dreizehnten Jahrhundert plötzlich über die Gwyddyl Ffichti (gälischen Pikten) geschimpft wird, ist dies ein guter Hinweis auf ein hohes Alter der Passage. Denn die Pikten waren schon 850 von Kenneth MacAlpin erobert und in die schottischen Völker assimiliert worden. Dummerweise sagt uns dies nichts über das Alter des restlichen Gedichtes. Von den höheren Barden wurden auch prophetische Gesänge erwartet. Gerade wenn es um Wahrsagungen und geschichtliche Referenzen geht, scheint immer wieder an den Liedern herumgebastelt worden zu sein.
Wenn dies Dein erster Ausflug in die verwirrende Welt der bardischen Gesänge ist, mach Dich auf einiges gefasst. Es gibt viel zu staunen, lernen, lachen. Diese Lieder sind nicht einfach zu verstehen. Dafür bleiben sie auch lange interessant. Du kannst immer wieder etwas Neues darin entdecken.
Was Du jetzt vor Dir hast, ist weder geschönt noch exakt. Es ist einfach das Beste, was ich mit meinen begrenzten Mitteln und Kenntnissen machen konnte.
Für Dich sind die Lieder und Gedichte eine Herausforderung. Mehr noch, sie bieten Dir die Chance, viele Jahre lang über Rätsel zu staunen, die vermutlich nie mit Sicherheit gelöst werden. Ein gutes Rätsel kann Dich Dein Leben lang begleiten. Es bleibt immer alt und immer jung und macht immer wieder neuen Sinn. Genau den Sinn, den du jetzt für Dein Leben brauchst. Und wenn Du gerne Gedichte schreibst oder vielleicht eines Tages Taliesin vertonen willst, kannst Du sie ja immer noch umschreiben, verbessern und für Dich neu interpretieren. Das haben die Barden schon immer gemacht. Die dunkle Göttin der Inspiration begleitet Dich. Hier ist Deine Chance!