Buch lesen: «Attentäter Null»

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Jack Mars

Jack Mars ist der USA Today Bestseller Autor der LUKE STONE Thriller Serie, welche sieben Bücher umfasst (und weitere in Arbeit). Er ist außerdem der Autor der neuen WERDEGANG VON LUKE STONE Vorgeschichten Serie und der AGENT NULL Spionage-Thriller Serie.

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BÜCHER VON JACK MARS

LUKE STONE THRILLER SERIE

KOSTE ES WAS ES WOLLE (Buch #1)

AMTSEID (Buch #2)

LAGEZENTRUM (Buch #3)

EINE AGENT NULL SPIONAGE-THRILLER SERIE

AGENT NULL (Buch #1)

ZIELOBJEKT NULL (Buch #2)

JAGD AUF NULL (Buch #3)

EINE FALLE FÜR NULL (Buch #4)

AKTE NULL (Buch #5)

RÜCKRUF NULL (Buch #6)

ATTENTÄTER NULL (Buch #7)

KÖDER NULL (Buch #8)

Prolog

Ich kann Sara nicht finden.

Das war es, was Todd Strickland ihm per Telefon mitgeteilt hatte. Null war kaum einen ganzen Tag aus Belgien zurückgekehrt, nachdem er den russischen Präsidenten als den Strickezieher hinter einem Versuch mit amerikanischer Einmischung, die Ukraine zu annektieren, entblößt hatte, als er die Nachricht erhielt. Strickland hatte Sara beobachtet, seit sie zu einer emanzipierten Minderjährigen wurde und nach Florida zog, doch jetzt schien sie verschwunden zu sein. Ihr Handy-Service war unterbrochen und die Ortung inaktiv. Selbst ihre Mitbewohner in der Wohngemeinschaft, in der sie ein Zimmer mietete, gaben an, dass sie Sara seit zwei Tagen nicht gesehen hatten.

Schick mir ihre Adresse in einer SMS, hatte Null ihn angewiesen. Ich gehe zum Flughafen.

Nur drei Stunden später stand er vor dem klapprigen Haus in Jacksonville in Florida, das Sara seit etwas mehr als einem Jahr ihr Zuhause nannte. Er ging die gerissenen Betonstufen hinauf und hämmerte mit seiner Faust gegen die Eingangstür, immer wieder und pausenlos, bis jemand endlich aufmachte.

“Mann”, stöhnte ein schlaksiger, blonder Teenager mit tätowierten Armen. “Was zum Teufel machen Sie da?”

“Sara Lawson”, verlangte Null. “Weißt du, wo sie sein könnte?”

Der Augenbrauen des Jungen zogen sich fragen zusammen, doch sein Mund verzog sich zu einem Grinsen. “Warum? Sind Sie auch ein FBI Agent, der nach ihr sucht?”

FBI? Ein Schaudern fuhr Null über den Rücken. Falls jemand sie besucht hatte, der angab, FBI zu sein, könnte man sie entführt haben.

“Ich bin ihr Vater.” Er schritt voran, schubste den Jungen mit seiner Schulter aus dem Weg, als er eintrat.

“Hey, Sie können hier nicht einfach hereinplatzen!” versuchte der Junge, zu protestieren. “Mann, ich rufe die Polizei an —”

Null wandte sich an ihn. “Du bist Tommy, stimmt’s?”

Die Augen des blonden Jungen weiteten sich erschreckt, doch er antwortete nicht.

“Ich habe schon von dir gehört”, sagte ihm Null mit leiser Stimme. Strickland hatte ihm voll in Kenntnis gesetzt, während er sich auf dem Weg befand. “Ich weiß alles über dich. Du wirst nicht die Polizei anrufen. Du wirst nicht deinen Rechtsanwalt-Papa anrufen. Du wirst dich hier auf die Couch setzen und deinen verdammten Mund halten. Verstehst du mich?”

Der Junge öffnete seinen Mund, als ob er etwas sagen wollte —

“Sei still, habe ich dir gesagt”, schnappte Null.

Der schlaksige Junge zog sich wie ein geprügelter Hund auf die Couch zurück und setzte sich neben ein junges Mädchen, das sicher noch keine achtzehn Jahre alt war.

“Bist du Camilla?”

Das Mädchen schüttelte heftig den Kopf. “Ich bin Jo.”

“Ich bin Camilla.” Ein junges, lateinamerikanisches Mädchen kam die Treppe hinunter. Sie hatte dunkles Haar und trug viel zu viel Makeup. “Ich teile mein Zimmer mit Sara.” Sie blickte Null von oben bis unten an. “Sind Sie wirklich ihr Vater?” fragte sie zweifelnd.

“Ja.”

“Was machen Sie dann?”

“Was?”

“Na, was ist Ihr Beruf. Sara hat uns gesagt, was Sie tun.”

“Ich dafür keine Zeit”, murmelte er die Decke an. “Ich bin ein Buchhalter”, sagte er dem Mädchen.

Camilla schüttelte ihren Kopf. “Falsche Antwort.”

Null schnaubte verächtlich. Na klar würde Sara ihren Freunden die Wahrheit über mich erzählen. “Was soll ich dir denn sagen? Das ich ein Spion bei der CIA bin?”

Camilla blinzelte ihn an. “Nun… ja.”

“Echt?” sagte der blonde Junge auf dem Sofa.

Null hielt frustriert beide Hände hoch. “Bitte. Sagt mir einfach nur, wo ihr Sara zuletzt gesehen habt.”

Camilla blickte ihre Mitbewohner und dann den Boden an. “In Ordnung”, sagte sie leise. “Vor ein paar Tagen wollte sie was einkaufen und ich habe ihr…”

“Einkaufen?” fragte Null.

“Drogen, Mann. Red weiter”, sagte der blonde Junge.

“Sie brauchte was, um sich zu beruhigen”, fuhr Camilla fort. “Ich gab ihr die Adresse meines Dealers. Die ist da hingegangen. Sie kam zurück. Am nächsten Morgen ging sie wieder. Ich dachte, dass sie zur Arbeit ginge, aber sie kam nicht mehr heim. Ihr Telefon ist ausgeschaltet. Ich schwöre, mehr weiß ich nicht.”

Null verlor fast die Haltung bei dem Gedanken, dass diese unverantwortlichen Kinder, die kaum Erwachsene waren, einen Teenager alleine zum Haus eines Drogenhändlers geschickt hatten. Doch er schluckte seine Wut ihretwillen herunter. Er musste sie finden.

Sie braucht dich.

“Du weißt noch mehr”, sagte er Camilla. “Ich will den Namen und die Adresse deines Dealers.”

* * *

Zwanzig Minuten später stand Null vor einem Reihenhaus in Jacksonville mit einer schmutzigen Außenfassade und einer kaputten Waschmaschine auf der Veranda. Laut Camilla war dies das Haus des Dealers, ein Type namens Ike.

Null hatte keine Waffe bei sich. Er hatte es so eilig, zum Flughafen zu kommen, dass er nichts außer seinem Autoschlüssel und seinem Handy bei sich hatte. Doch jetzt wünschte er sich, eine mitgebracht zu haben.

Wie stelle ich das jetzt an? Breche ein,verprügele ihn, verlange Antworten? Oder klopfe ich an und unterhalte mich mit ihm?

Er entschied sich dazu, dass letzteres ein besserer Anfang war – und er würde später sehen, wie es weiterginge.

Beim dritten Klopfen rief eine männliche Stimme aus dem Haus. “Verdammt, wart doch mal, ich komm’ ja schon!” Der Typ, der an der Tür erschien, war größer als Null, muskulöser als Null und viel tätowierter als Null (der keine Tätowierungen hatte). Er trug ein weißes Unterhemd, auf dem ein Kaffeefleck zu sein schien und Jeans, die ihm viel zu groß waren und ihm lose von den Hüften hingen.

“Bist du Ike?”

Der Dealer blickte ihn von oben bis unten an. “Bist du ein Bulle?”

“Nein. Ich suche meine Tochter. Sara. Sie ist sechzehn, blond, etwa so groß…”

“Ich habe deine Tochter nie gesehen, Mann.” Ike schüttelte seinen Kopf. Er hatte einen finsteren Gesichtsausdruck.

Doch Null bemerkte das winzige, fast unmerkliche Zucken seines Auges. Ein Flickern auf seinen Lippen, als er sich dazu zwang, nicht böse zu erscheinen. Wut. Er zeigte ein kurzes Aufblitzen von Wut, als Saras Name erwähnt wurde.

“OK. Entschuldigung für die Störung”, sagte Null.

“Ja”, erwiderte der Typ kurz. Er begann, die Tür zu schließen.

Sobald Ike sich halb umgedreht hatte, hob Null einen Fuß an und trat fest direkt unter den Türknauf. Die Tür flog auf, prallte gegen den Dealer und sandte ihn direkt vornüber auf den braunen Teppich.

Null stürzte sich sofort auf ihn, stemmte seinen Unterarm gegen seine Luftröhre. “Du kennst sie”, knurrte er. “Ich habe es in deinen Augen gesehen. Sag mir, wo sie hin ist, oder ich —”

Er hörte ein Knurren und dann eine verschwommene schwarz-braune Gestalt, als ein riesiger Rottweiler ihn ansprang. Er hatte kaum Zeit, um zu reagieren, er konnte nur die Kraft des Hundes entgegennehmen und mir ihr gegen. Zähne wurden gebleckt und bissen in die Luft. Sie fanden seinen Arm und die Reißzähne bohrten sich in sein Fleisch.

Null biss seine eigenen Zähne fest zusammen und rollte sich weiter, sodass der Hund unter ihm war. Er drückte nach vorn, stieß seinen gebissenen Unterarm in das Maul des Hundes, während dieser versuchte, fester zuzubeißen.

Der Dealer stand auf und flüchtete aus dem Zimmer, während Null hinter ihm nach allem griff, was er finden konnte. Der Hund zappelte und schlug unter ihm um sich, versuchte, sich zu befreien, doch Null hielt seine Beine zusammen, sodass er nicht aufstehen konnte. Seine Hand fand eine alte Decke, die über dem Ledersofa hing und er zog sie zu sich.

Mit seiner freien Hand schlug er einmal fest auf die Schnauze des Hundes – nicht fest genug, um ihm ernsthaft weh zu tun, sondern vielmehr, um ihn zu erschrecken, damit seine Zähne seinen Arm freigaben. In der halben Sekunde bevor sie erneut zubissen, wickelte er die Decke um den Kopf des Hundes und ließ seine Beine los, damit er wieder aufstehen konnte.

Dann zog er das Ende der Decke unter seinen Körper und verknotete die Ecken hinter seinem Kopf. Die vordere Hälfte des Rottweilers war jetzt fest in die Decke gewickelt. Der Hund schlug um sich und bockte, versuchte, sich zu befreien – was ihm letztendlich auch gelänge. Null stand auf und eilte hinter dem Dealer her.

Er hastete gerade rechtzeitig in die winzige Küche, um zu sehen, wie Ike eine kleine, hässliche Pistole aus einer Schublade zog. Er versuchte, sie auf Null zu richten, doch dieser sprang vorwärts und hielt sie mit einer Hand auf, bevor er sie mit einer drehenden Bewegung aus dem Griff des Dealers riss, die mindestens einen Finger ausrenkte, wenn nicht brach.

Ike schrie scharf auf und ging in die Hocke, hielt seine Hand fest, während Null mit der Waffe auf seine Stirn zielte.

“Erschieß mich nicht, Mann”, wimmerte er. “Erschieß mich nicht. Bitte erschieß mich nicht.”

“Sag mir, was ich wissen will. Wo ist Sara? Wann hast du sie zuletzt gesehen?”

“OK! OK. Also, sie kam zu mir, aber sie konnte nicht bezahlen. Deshalb haben wir einen Handel abgeschlossen. Sie würde meine Sachen in der Stadt liefern —”

“Drogen”, berichtigte ihn Null. “Du hast sie Drogen liefern lassen. Sag es einfach.”

“Ja. Drogen. Es waren nur ein paar Tage und sie machte es ganz gut, doch dann gab ich ihr eine große Bestellung Pillen…”

“Was für Pillen?”

“Verschreibungspflichtige Schmerzmittel. Und sie ignoriert mich seitdem, Mann. Sie tauchte dort niemals auf, lieferte nicht. Meine Leute waren sauer. Mich hat das mehr als tausend Dollar gekostet. Und sie hat sogar eins meiner Autos mitgenommen, weil sie kein eigenes hatte…”

Null schnaubte laut. “Du hast ihr Drogen im Wert von tausend Dollar gegeben und sie ist mit ihnen abgehauen?”

“Ja, Mann.” Er blickte zu Null auf, seine Hände hielt er abwehrend in Nähe seines Gesichts. “Wenn man es richtig bedenkt, bin ich hier eigentlich das Opfer…”

“Sei ruhig.” Er drückte sanft den Lauf gegen Ikes Stirn. “Wohin ging sie und was für ein Auto hat sie genommen?”

* * *

Null nahm den schwarzen Escalade Geländewagen, den er sich zusammen mit seiner Waffe von Ike,auslieh’ und verwendete das GPS auf seinem Handy, um so schnell wie möglich zum Lieferort zu fahren, während er sich nach einer hellblauen, viertürigen 2001 Chevy Limousine umschaute.

Er sah keine, bevor er den Lieferort erreichte. Zu seinem Verdruss war es ein örtliches Freizeitzentrum. Doch darüber konnte er sich im Moment keine Sorgen machen. Stattdessen dachte er still, Was würde Sara tun? Wohin würde sie fahren?

Er kannte die Antwort schon, bevor er sich die Frage zu Ende gestellt hatte. Sie schwamm auf ihn mit der salzigen Luft zu, so wie eine Erinnerung ganz einfach auftaucht.

Es war kein Geheimnis in ihrer Familie, dass Kate, Mayas und Saras verstorbene Mutter, einen Lieblingsort auf der Welt hatte. Sie hatte die Mädchen an drei Gelegenheiten dort hingebracht. Das erste Mal waren sie nur acht und sechs Jahre alt, und sie sagte ihnen: “Dies ist mein Lieblingsort.”

Es war ein Strand in New Jersey, etwas, das Null normalerweise erschaudern ließ. Der Strand war zu steinig und das Wasser für gewöhnlich zu kalt, außer an zwei Monaten im Sommer. Doch das war es nicht, was Kate daran so mochte. Sie mochte einfach nur die Aussicht. Als kleines Mädchen war sie jedes Jahr dort hingefahren, ihre ganze Jugend hindurch, und sie hatte eine zarte und fast unerklärliche Vorliebe für den Ort.

Der Strand. Er wusste, dass Sara an Strand führe.

Er benutzte sein Handy, um die nächsten Strand zu finden und fuhr wie ein Verrückter dorthin. Er schnitt Leuten den Weg ab, ignorierte Ampeln und es war eine Überraschung, dass kein Polizeiwagen aus einem Versteck herausfuhr, um ihn anzuhalten. Der Parkplatz am Strand war nur ein paar enge Reihen lang, die voll von Autos und glücklichen Familien waren. Doch er sah keine Fahrzeuge, die Ikes Beschreibung entsprachen.

Er suchte drei der größten Strände in der Nähe von Saras Zuhause und Arbeitsstelle ab, doch fand nichts. Das Abendgrauen setzte schnell ein. Im Hinterkopf war er sich bewusst, dass die USA einen neuen Präsidenten hatten. Der ehemalige Sprecher des Hauses war an diesem Nachmittag eingeschworen worden. Maria hatte eine Einladung zu der Zeremonie und war jetzt wahrscheinlich bei irgendeiner Cocktail Party voll von langweiligen Politikern und reicher Wählerschaft, trank Champagner und unterhielt sich gelassen über eine bessere Zukunft, während Null die Küste von Jacksonville nach seiner Tochter absuchte. Seiner entfremdeten Tochter, die das letzte Mal, als sie sich sahen, ihm die Polizei auf den Hals gerufen hatte und ihn anschrie, dass sie ihn niemals wiedersehen wollte.

“Mach schon, Sara”, murmelte er in die Luft, als er seine Scheinwerfer anschaltete. “Gib mir was. Hilf mir, dich zu finden. Es muss doch ein…”

Er hielt inne, als er seinen Fehler bemerkte. Er hatte öffentliche Strände abgesucht. Beliebte Strände. Doch Kates Strand war klein und kaum besucht. Und Sara hatte Drogen im Wert von tausend Dollar. Sie würde Leuten ganz sicher aus dem Weg gehen.

Er hielt am Straßenrand und öffnete den Browser auf seinem Handy. Er suchte verzweifelt nach weniger beliebten Stränden, steinigen Stränden, nach Orten, die andere Leute nicht oft besuchten. Es war eine schwierige Suche und er hatte nicht das Gefühl voranzukommen, bis er auf “Bilder” tippte und dann sah er ihn —

Ein Strand, der sich erstaunlich Kates Strand ähnelte. Als ob er aus seinem eigenen Gedächtnis geformt wäre.

Null fuhr mit etwa hundertzwanzig Stundenkilometern dorthin. Polizei, Verkehrsgesetze und sogar andere Fahrer, die er überholte, waren ihm egal. Es waren Leute, die gelassen am Abend nach Hause fuhren und sich nicht darum kümmerten, dass ihre Tochter irgendwo tot in den Wellen treiben könnte.

Er raste auf den winzigen Schotterparkplatz und trat auf die Bremsen, als er sie sah. Eine blaue Limousine, das einzige Auto auf dem Parkplatz, stand am hintersten Ende. Es war Nacht geworden, weshalb er die Scheinwerfer angeschaltet und den Geländewagen mitten auf dem Parkplatz stehen ließ. Er sprang heraus und rannte hinüber zu der Limousine.

Er warf die Hintertür auf.

Und da war sie, sah gleichzeitig wie der Himmel und die Hölle aus: sein kleines Mädchen, seine jüngste Tochter, blass und wunderschön. Sie lag ausgestreckt auf dem Rücksitz eines Autos, ihre Augen waren glasig und halb geöffnet. Pillen lagen auf dem Boden verstreut.

Null suchte sofort nach ihrem Puls. Er war da, doch langsam. Dann lehnte er ihren Kopf zurück und versicherte sich, dass ihre Atemwege frei waren. Er wusste, dass die meisten Todesfälle durch Überdosis aufgrund blockierter Atemwege geschahen. So kam es für gewöhnlich zu Atem- und schließlich Herzstillstand.

Doch sie atmete, wenn auch nur flach.

“Sara?” sagte er heiser in ihr Gesicht. “Sara?”

Sie antwortete nicht. Er hievte sie aus dem Auto heraus und hielt sie aufrecht. Sie war nicht fähig, auf ihren eigenen zwei Beinen zu stehen.

“Es tut mir so leid”, sagte er ihr. Und dann steckte er ihr zwei Finger in den Hals.

Sie würgte unfreiwillig, zwei Mal, und erbrach sich dann auf dem Parkplatz. Sie hustete und spuckte, während er sie festhielt und ihr sagte: “Alles ist in Ordnung. Alles wird wieder gut.”

Er legte sie in den Geländewagen, ließ die Türen der Limousine mit den auf den Sitzen verstreuten Pillen offen und fuhr drei Kilometer, bis er einen Nachbarschaftsladen fand. Er kaufte zwei Liter Wasser mit einem Zwanzig-Dollar-Schein und wartete nicht ab, bis er sein Wechselgeld bekam.

Dort, auf dem Parkplatz einer Tankstelle in Florida, saß er mit ihrem Kopf auf seinem Schoß auf dem Rücksitz, streichelte ihr Haar und gab ihr kleine Mengen Wasser, während er auf jegliche Anzeichen achtete, dass er sie zur Notaufnahme bringen müsste. Ihre Pupillen waren erweitert, doch ihre Atemwege offen und ihr Puls stieg langsam wieder an. Ihre Finger zuckten ein wenig, doch als er seine Hand in sie legte, schlossen sie sich um sie. Null hielt seine Tränen zurück, erinnerte sich daran, als sie noch ein Baby war. Damals hatte er sie auf den Armen getragen und ihre kleinen Finger hielten seine fest.

Er hatte nicht darauf geachtet, wie lange er dort mit ihr saß. Als er das nächste Mal auf die Uhr schaute, bemerkte er, dass mehr als zwei Stunden vergangen waren.

Und dann blinzelte sie, stöhnte leicht und sagte: “Papa?”

“Ja.” Seine Stimme war nur ein Flüstern. “Ich bin’s.”

“Ist das real?” fragte sie, ihr Stimme schwebte träumerisch an ihn heran.

“Es ist real”, beschwichtigte er sie. “Ich bin hier und ich bringe dich heim. Ich bringe dich weg von hier. Ich kümmere mich um dich, selbst wenn du mich dafür hasst.”

“OK”, stimmte sie sanft zu.

Schließlich entspannte er sich ausreichend, um zu bemerken, dass die Gefahr vorbei war. Sara schlief ein und Null setzte sich auf den Fahrersitz des Geländewagens. Er konnte sie in diesem Zustand nicht in ein Flugzeug bringen, doch er könnte zurückfahren, die ganze Nacht hindurch, falls notwendig. Maria würde das Fahrzeug für ihn loswerden und keine Fragen stellen. Und die örtlichen Behörden würden dem Drogenhändler, Ike, einen Besuch abstatten.

Er blickte über seine Schulter zurück zu ihr, wie sie da eingerollt auf dem Rücksitz saß. Ihre Knie waren angezogen und ihre Wange lehnte sich gegen das sanfte Leder. Sie sah friedlich, aber verletzlich aus.

Sie braucht dich.

Und er musste gebraucht werden.

Kapitel eins

4 WOCHEN SPÄTER

“Bist du bereit?” fragte Alan Reidigger leise, während er das Magazin der schwarzen Glock in seiner dicken Faust überprüfte. Er und Null standen mit dem Rücken gegen eine Sperrholzstruktur gelehnt, versteckten sich in der Dunkelheit. Es war fast zu dunkel, um etwas zu sehen, doch Null wusste, dass es gleich hell wie ein Feuerwerk würde.

“Immer bereit”, flüsterte Null zurück. Er hielt eine Ruger LC9 in seiner linken Hand, eine kleine, silberne Pistole mit einem Magazin aus neun Kugeln, während er die Finger seiner rechten Hand beugte. Er musste weiterhin die Verletzung von vor zwei Jahren beachten, als ein Stahlanker seine Hand zerquetschte, bis sie nutzlos war. Drei Operationen und mehre Monate Physiotherapie später funktionierte sie zwar fast wieder ganz, doch es bestand bleibender Nervenschaden. Er konnte eine Waffe schießen, aber er zielte dabei nach links, ein kleines Ärgernis, das er durch Übungen bewältigen wollte.

“Ich gehe nach links”, erklärte ihm Reidigger, “und sichere den Damm. Du gehst nach rechts. Halt die Augen offen und schau auch hinter dich. Ich bin mir sicher, dass da ein oder zwei Überraschungen auf uns warten.”

Null grinste. “Ach, jetzt gibst du hier also die Anweisungen, du Halbtagskraft?”

“Versuch einfach nur, mit mir mitzuhalten, alter Mann.” Reidigger erwiderte das Grinsen, seine Lippen zogen sich hinter dem dicken Bart, der die untere Hälfte seines Gesichtes versteckte, hoch. “Fertig? Los dann.”

Mit diesem einfachen, geflüsterten Befahl stießen sich beide von der Sperrholzfassade hinter ihnen ab und trennten sich. Null hielt die Ruger hoch, ihr Lauf folgte seiner Sichtlinie, als er um eine dunkle Ecke in eine enge Gasse hineinschlich.

Zuerst war alles nur still und dunkel, kaum ein Geräusch war an dem höhlenartigen Ort zu vernehmen. Null musste seine Muskeln daran erinnern, sich nicht zu verspannen, locker zu bleiben und nicht seine Reaktionszeit zu verlangsamen.

Dies ist genau wie die ganzen anderen Male, sage er sich selbst. Du hast das schon zuvor getan.

Dann explodierten Lichter zu seiner Rechten, eine grelle und aufrüttelnde Reihe von Blitzen. Mündungsfeuer, begleitet von dem ohrenbetäubenden Knall von Schüssen. Null warf sich nach vorn und ließ sich abrollen, kam auf einem Knie an. Die Figur war kaum mehr als eine Silhouette, doch er konnte genug erkennen, um zwei Schuss abzufeuern, welche die Silhouette in ihrem Zentrum traf.

Ich kann’s immer noch. Er kam jetzt auf die Beine, aber blieb geduckt, bewegte sich in der Hocke voran. Augen hoch, achte auf deine Rückendeckung… Er wirbelte gerade rechtzeitig herum, um eine weitere dunkle Figur zu erblicken, die sich in sein Blickfeld schlich und ihm den Weg hinter ihm abschnitt. Null ließ sich zurückfallen, landete auf seinem Hintern, während er weitere zwei Schuss abfeuerte. Er hörte, wie Geschosse über seinem Kopf vorbeizischten, fühlte fast, wie sie sein Haar aufwirbelten. Beide seiner Schüsse trafen, einer in den Oberkörper, der andere in die Stirn der Figur.

Von der anderen Seite der Struktur aus erklangen drei schnell aufeinanderfolgende Schüsse. Dann Stille. “Alan”, zischte er in seinen Ohrhörer. “Gesichert?”

“Warte mal kurz”, erklang die Antwort. Eine Salve von Maschinengewehrfeuer zerriss die Luft und anschließend hörte man zwei krachende Schüsse der Glock. “Alles gesichert. Wir treffen uns an der Seite.”

Null schritt schnell mit dem Rücken gegen die Wand voran. Das raue Sperrholz rieb an seiner schusssicheren Weste. Er bemerkte Bewegung vor sich, auf dem Flachdach der Struktur. Ein einzelner, gutgezielter Schuss in den Kopf beendete die Bedrohung.

Er erreichte die Ecke und hielt inne, atmete tief ein, bevor er sie sicherte. Als er mit der Ruger in der Hand blitzschnell um die Ecke trat, stand er plötzlich vor Reidigger.

“Ich habe drei erwischt”, sagte ihm Null.

“Zwei auf meiner Seite”, brummte Alan. “Was bedeutet…”

Null blieb keine Zeit für einen Warnschrei, als er sah, wie die menschenförmige Figur hinter Alan ins Blickfeld trat. Er hob die Pistole an, zielte über Alans Schulter und feuerte zwei Mal.

Doch er war nicht schnell genug. Als Nulls Schüsse trafen, schrie Alan auf und hielt sich sein Bein fest.

“Ach verdammt!” stöhnte Reidigger. “Nicht schon wieder.”

Null zuckte zusammen, als helles Neonlicht plötzlich angeschaltet wurde und den ganzen Innentrainingsparcours erleuchtete. Absätze schallten gegen den Zementboden und einen Moment später kam Maria Johansson um die Ecke. Ihre Arme waren über ihrem weißen Blazer verschränkt und die Winkel ihres mit Lippenstift geschminkten Mundes waren heruntergezogen.

“Was ist denn los?” beschwerte sich Reidigger. “Warum hören wir auf?”

“Alan”, tadelte ihn Maria, “vielleicht solltest du deine eigenen Ratschläge beachten und hinter dich schauen.”

“Was, das hier?” Alan zeigte auf seinen Oberschenkel, wo ein grüner Paintball auf seinem Hosenbein geplatzt war. “Der hat mich ja kaum gestreift.”

Maria schnaubte verächtlich. “Das wäre eine Oberschenkelblutung gewesen. Binnen neunzig Sekunden wärst du tot.” Zu Null fügte sie hinzu: “Gute Arbeit, Kent. Du bewegst dich wieder so wie früher.”

Null grinste Alan an, der ihm verstohlen den Stinkefinger zeigte.

Die Fabrikhalle, in der sie sich befanden, war einst ein Großhandelsverpackungszentrum, bis die CIA es kaufte und zu einer Trainingsanlage umwandelte. Der Parcours selbst war das Produkt des exzentrischen Agenturingenieurs Bixby, der sein Bestes gegeben hatte, um eine nächtliche Razzia zu simulieren. Das,Lager’, dass sie gestürmt hatten, war aus Sperrholzstrukturen gebaut, während das Mündungsfeuer Stroboskoplichter waren, die über den Parcours verteilt waren. Die Schüsse wurden digital abgespielt und auf hochauflösenden Lautsprechern übertragen. Sie hallten durch den riesigen Raum und klangen in Nulls trainiertem Ohr fast wie wirkliche Schüsse. Die menschenähnlichen Figuren waren Dummies, die aus Ballistik-Gel hergestellt waren und die auf Schienen bewegt wurden, während die Paintball-Waffen automatisiert waren. Man hatte sie programmiert, zu schießen, wenn ihre Bewegungssensoren aktiviert wurden.

Das einzig Echte an der Übung war die scharfe Munition, die sie verwendeten. Deshalb trugen sowohl Null als auch Reidigger schusssichere Westen – und die Trainingshalle stand nur Spezialeinsatzagenten zur Verfügung, was Null wieder geworden war.

Nach dem Fiasko in Belgien, bei dem die beiden den russischen Präsidenten Aleksandr Kozlovsky konfrontierten und den geheimen Pakt entblößten, den er mit dem US Präsidenten Harris hatte, wäre es eine monumentale Untertreibung gewesen, zu behaupten, dass Null und Reidigger ein paar Problemchen hatten. Sie wurden dabei zu internationalen Flüchtigen, die in vier Ländern gesucht wurden, da sie mehr als ein Dutzend Gesetze gebrochen hatten. Doch sie hatten mit der Verschwörung recht und es schien nicht gerecht, dass die beiden den Rest ihres Lebens hinter Gittern verbringen sollten.

Als ließ Maria all ihre Beziehung spielen und streckte ihren eigenen Hals ganz weit für ihre ehemaligen Teamkollegen und Freunde heraus. Es war ein wirkliches Wunder, dass sie es irgendwie schaffte, die ganze Angelegenheit nachträglich wie einen hochgeheimen Einsatz unter ihrer Leitung aussehen zu lassen.

Im Gegenzug mussten sie dafür natürlich wieder zur CIA zurückkommen.

Obwohl Null es nicht laut zugegeben hätte, fühlte es sich für ihn wie ein Heimkehren an. Den letzten Monat über hatte er hart gearbeitet, war ins Fitnessstudio gegangen, legte täglich Zieltraining auf dem Schießplatz ein, boxte und sparrte mit Gegnern, die fast die Hälfte seiner vierzig Jahre alt waren. Das Gewicht, das er in den eineinhalb Jahren Abwesenheit zugelegt hatte, war verschwunden. Seine Zielgenauigkeit mit seiner verletzten rechten Hand hatte sich verbessert. Maria hatte recht, er war fast wieder so wie früher.

Alan Reidigger hingegen hatte sich bei jedem Schritt widersetzt. Die letzten vier Jahre seines Lebens hatte die Agentur gedacht, er wäre tot. Er lebte unter dem Alias eines Mechanikers namens Mitch. Das Letzte, was er wollte, war zur CIA zurückzukehren. Da er aber nur die Wahl zwischen der Agentur und einem Loch in H-6 hatte, willigte er widerstrebend Marias Bedingungen ein – doch eher als eine Ressource anstatt eines voll angeheuerten Agenten, weshalb Null ihn des Spaßes halber als,Teilzeitkraft’ bezeichnete. Alans Einbeziehung fände nur dann statt, wenn er gebraucht würde. Dann würde er Unterstützung bieten und dabei helfen, jüngere Agenten einzuarbeiten.

Doch das bedeutete, dass die beiden zuerst wieder in Kampfform gebracht werden müssten.

Reidigger wischte an der grünen Farbe auf seiner Hose und verschmierte sie damit nur noch breitflächiger über seinen Oberschenkel. “Ich mache das schnell sauber und dann fangen wir von vorne an”, sagte er Maria.

Sie schüttelte ihren Kopf. “Ich verbringe nicht meinen ganzen Tag an diesem stickigen Ort und schaue dir dabei zu, wie du immer wieder erschossen wirst. Wir machen nach dem Feiertag weiter.”

Alan brummte, aber nickte dennoch. Er war damals ein exzellenter Agent gewesen und selbst jetzt bewies er sich immer noch als schneller Denker und nützlich bei einem Kampf. Trotz seines Übergewichts war er schnell. Doch er war schon immer ein Magnet für Kugeln gewesen. Null konnte sich nicht daran erinnern, wie oft Reidigger während seiner Karriere schon angeschossen wurde, doch es musste wohl eine zweistellige Zahl sein – besonders, seit er bei ihrem belgischen Abenteuer an der Schulter getroffen wurde.

Ein junger Techniker fuhr einen Stahlwagen für ihre Ausstattung heraus, während ein Team aus drei anderen den Parcours wieder herstellten. Null nahm die Kugel aus der Kammer der Ruger, ließ das Magazin herausschnappen und legte alle drei auf den Wagen. Dann zog er an den Klettverbandverschlüssen der schusssicheren Weste und zog sie über seinen Kopf aus, fühlte sich plötzlich mehrere Pfund leichter.

“Also, hast du noch mal drüber nachgedacht?” fragte er Alan. “Über Thanksgiving. Die Mädchen würden dich so gerne wiedersehen.”

“Und ich würde sie gerne wiedersehen”, erwiderte er, “aber das wird nichts. Die brauchen ein wenig Zeit allein mit dir.”

Alan erklärte nichts weiter, das brauchte er auch gar nicht. Nulls Beziehung zu Maya und Sara war während der letzten eineinhalb Jahre sehr angespannt. Doch jetzt hatte Sara die letzten paar Wochen bei ihm gewohnt, seit er sie am Strand in Florida gefunden hatte. Er und Maya sprachen immer mehr am Telefon – sie wäre fast in das erste Flugzeug gesprungen, nachdem sie gehört hatte, was ihrer jüngeren Schwester geschehen war, doch Null hatte sie beruhigt und überzeugt, bis zum Feiertag in der Schule zu bleiben. Diese Woche wäre das erste Mal seit ziemlich langer Zeit, dass die drei wieder unter einem Dach weilten. Und Alan hatte recht, es gab immer noch viel zu tun, um den Schaden wiedergutzumachen, der sie für so lange trennte.

€4,80
Altersbeschränkung:
0+
Veröffentlichungsdatum auf Litres:
15 April 2020
Umfang:
371 S. 3 Illustrationen
ISBN:
9781094313139
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