Misogynie

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28 Sophokles, Antigone, 2. Akt, 1. Szene, übersetzt von Friedrich Hölderlin, Frankfurt am Main, Insel 1979

29 Ebd.

30 »Hippolytos«, in: Euripides, Tragödien, übersetzt von Hans von Arnim und Franz Werfel, Wiesbaden, Berlin, Vollmer 1958, S. 105

31 Platons Dualismus war kein neuer Gedanke. Im 6. Jahrhundert v. Chr. hatte Pythagoras eine Tabelle der Gegensätze aufgestellt. Die Tabelle enthielt zehn Begriffspaare, die der Überzeugung des Philosophen nach die Welt beherrschen, darunter gut/böse, rechts/links, Licht/Dunkelheit, begrenzt/unbegrenzt und männlich/weiblich. Auch die vier Elemente, die in der Auffassung der Antike die gesamte Natur ausmachten, bildeten zwei Gegensatzpaare: Feuer und Luft, Erde und Wasser. In dieser Sicht war der Unterschied zwischen Mann und Frau ein ewiger und unveränderlicher Gegensatz und eine nie versiegende Quelle des Konflikts.

32 Karl Raimund Popper, »Der Zauber Platons« in: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd.1, Tübingen, Mohr, 7. Auflage, 1992

33 Platon, Politeia. Der Staat, nach der Übersetzung von Friedrich Schleiermacher, in: Platon, Werke in acht Bänden, vierter Band, hrsg. von Gunther Eigler, Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2001, S. 473

34 Ebd., S. 415

35 Ebd., S. 397

36 Ebd., S. 393

37 Ebd., S. 537f. Im Höhlengleichnis erklärt Platon seine Theorie von der falschen Auffassung der sinnlich wahrgenommenen Welt: In einer unterirdischen Höhle sind Menschen von Kindheit an gefangen und so festgebunden, dass sie nur auf die ihnen gegenüberliegende Höhlenwand blicken können. Hinter ihnen brennt ein Feuer, und zwischen dem Feuer und ihrem Rücken gehen Leute vorbei, von denen die Gefangenen nur den Schatten sehen, den sie an die Wand werfen. Weil sie nichts anderes kennen, halten sie dies für die Wirklichkeit. So wie die Gefangenen sich von den Schatten einer Wirklichkeit täuschen lassen, die sie nie unmittelbar gesehen haben, wissen wir, die wir die Welt nur durch die Sinne erfahren haben, nichts über die universale und unvergängliche Welt der vollkommenen Formen, von der das, was wir um uns herum sehen, hören, schmecken und ertasten, ein bloßer Schatten ist. Der Philosoph gleicht dem Gefangenen, der aus der Höhle entkommen ist und die Welt außerhalb ihrer gesehen hat.

38 Ebd., S. 171

39 Bertrand Russell, Philosophie des Abendlandes. Ihr Zusammenhang mit der politischen und sozialen Entwicklung, übersetzt von Elisabeth Fischer-Wernecke und Ruth Gillischewski, Frankfurt am Main, Holle 1950

40 Bertrand Russell zitiert in: Keuls, The Reign of the Phallus, a.a.O.

41 Aristoteles, Werke in deutscher Übersetzung, herausgegeben von Ernst Grumach, Hellmut Flashar, Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft o. J.

42 Lefkowitz und Fant (Hrsg.), Women’s Life, a.a.O.

43 Pomeroy, Frauenleben im klassischen Altertum, a.a.O.

44 Marcia Guttentag und Paul F. Secord, Too Many Women: The Sex Ratio Question, Thousand Oakes, Sage Publications 1983

45 Aristophanes, Lysistrata, neu übersetzt von Erich Fried, Berlin, Wagenbach 2000, S. 35

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Frauen vor den Toren: Misogynie im alten Rom

Die römischen Frauen waren der Fleisch gewordene Alptraum der griechischen Männerwelt. Sie hielten nichts von der angeblich auf den attischen Staatsmann Perikles zurückgehenden frauenfeindlichen Parole, eine gute Frau sei eine solche, über die man nicht spricht, nicht einmal mit lobenden Worten. Im Athen des 5. Jahrhunderts v. Chr. hatte man sich an die Parole gehalten, was den guten Frauen dort eines eingebracht hatte: Sie waren vollkommen in Vergessenheit geraten. Wir kennen kaum eine mehr beim Namen. In Rom sorgten die Frauen hingegen dafür, dass man sie kannte, und über einige von ihnen hat man bis heute nicht aufgehört zu reden. Messalina etwa, deren Name zum Synonym für einen ausschweifenden Lebenswandel wurde; Agrippina, die Frau, die ihre »widernatürlichen« Aspirationen skrupellos verfolgte und deren Weg zur Macht mit Leichen gepflastert war; Sempronia, die gebildete Römerin, die die weibliche Sphäre verließ, um in der männlichen Welt der Verschwörungen und Umstürze mitzuwirken; Kleopatra, die kluge Verführerin, die sich durch Intrigen an die Spitze des Reiches brachte und es in einen blutigen Bürgerkrieg stürzte; und schließlich Julia, die widerspenstige Tochter des Kaisers, die sich den Plänen ihres Vaters widersetzte und damit eine Staatskrise heraufbeschwor. Sie begegnen uns in den Schriften der römischen Geschichtsschreiber und Dichter als anschauliches Beispiel dafür, wie Frauen damals von den Männern gesehen wurden. Was über sie gesagt wurde, ist oft alles andere als wohlwollend. Aber Gift und Galle haben sich als ein ebenso wirkungsvolles historisches Konservierungsmittel erwiesen wie Schwärmerei und Begehrlichkeiten der Männer. Die überlieferten Gefühlsausbrüche lassen erahnen, wie stark die Wirkung war, die von diesen Frauen ausging, und welche Hürden sie zu nehmen hatten.

Die Römer waren keine kreativen Denker. Sie ersannen keine neue Theorie oder Philosophie, um die Unterdrückung und Entmenschlichung der Frauen zu rechtfertigen. Die Stereotypen, die sich in Griechenland herauskristallisiert hatten, reichten ihnen vollkommen (wie vielen nachfolgenden Kulturen, einschließlich unserer eigenen, auch). Aber die römischen Schriftsteller gewährten uns einen Blick hinter die Kulissen. In den literarischen und historischen Porträts der Handvoll Frauen, die eine der größten Zivilisationen mitprägten, wird deutlich, welche Kämpfe sie ausfechten mussten, um sich zu behaupten.

Die römische Form der Misogynie unterschied sich von der griechischen von Anfang an in einem Punkt sehr deutlich. In Griechenland gründete sich der Frauenhass auf die Angst vor dem, was Frauen tun könnten, wenn sie die Freiheit besäßen, es zu tun. Aber wenn Frauen sich tatsächlich gegen Männer auflehnten, geschah dies, soweit bekannt ist, im häuslichen Umfeld, und die Welt erfuhr nur indirekt aus dem Reich der Fiktion etwas davon. Römische Frauen dagegen kämpften von Anfang an gegen ihre Unterdrückung und machten keinen Hehl aus ihren Gefühlen und Forderungen. Sie nahmen ihr Schicksal nicht als gegeben hin und trugen ihren Protest in die Öffentlichkeit. In Rom wurde der Schleier der Anonymität gelüftet. Frauen nahmen teil am öffentlichen Leben und schrieben Geschichte. Sie mischten sich in Kriege ein und setzten ihnen ein Ende; sie ermordeten ihre Ehemänner; sie kämpften als Gladiatorinnen in der Arena; sie untergruben die väterliche Autorität; sie strebten sogar nach persönlicher Erfüllung in ihren Liebesbeziehungen und wiesen die ihnen zugedachte Rolle als Gebärmaschinen künftiger Herrscher zurück; und sie kamen der politischen Macht gefährlich nah – zum Schrecken ihrer männlichen Zeitgenossen, die zum Gegenschlag ausholten und mit das schwerste Geschütz auffuhren, das in der Literatur und Geschichtsschreibung je auf Frauen gerichtet wurde.

Das Feld, auf dem diese Schlacht geschlagen wurde, war eines der größten und mächtigsten Weltreiche aller Zeiten, ein Staatsgebilde, das in seiner besten Zeit von Schottland bis zum Irak reichte und in seinen Grenzen 60 Millionen Menschen und eine beeindruckende Vielfalt von Kulturen vereinte. Die Hauptstadt Rom war im 1. Jahrhundert n. Chr. mit Einwohnerzahlen zwischen einer und zwei Millionen die größte bis dahin bekannte Metropole. Es war das New York seiner Zeit, eine Stadt der ungezügelten Freuden und der unvorstellbaren Pracht, voll pulsierenden Lebens, überbordend von Menschen verschiedener Hautfarbe aus allen Winkeln des sich ausdehnenden Reichs.

Von den Millionen Stadtbewohnern der damaligen Zeit sind uns heute nur wenige namentlich bekannt. Die Mehrheit von ihnen gehörte zum kleinen Kreis der Oberschicht, jenen Auserwählten, die erbittert um Ehre, Macht und Reichtümer stritten in einem Zirkus, der in jeder Hinsicht so blutig und tödlich war wie die Arena, in der die Gladiatoren Roms unter sengender Sonne und dem Gejohle des Mobs um ihr Leben kämpften.

In dieser Arena der Oberschicht finden wir 2.000 Jahre später auch die Namen der römischen Frauen, die uns heute noch bekannt sind. Definiert sind sie über ihre Beziehung zu Männern: als Töchter, Schwestern, Geliebte, Ehefrauen und Mütter. Wie die Heldinnen der griechischen Tragödien kämpften sie für das Wohl ihrer Sippschaft. Nur war dies kein Theater und kein Schauspiel. In Rom ging es um Leben und Tod.

Wie in Griechenland war die erste große Hürde, die eine Frau im Leben zu nehmen hatte, die Gefahr, dasselbe gleich nach der Geburt zu verlieren. Gegründet war diese Gefahr auf ein Gesetz, das angeblich auf den Stadtvater Romulus zurückging und die Tötung weiblicher Säuglinge vorschrieb. Diesem Gesetz zufolge sollten »alle Knaben, aber nur das erstgeborene Mädchen« aufgezogen werden – eine Aufforderung, nachgeborene Töchter auszusetzen.

 

Die Eheschließung war die nächste große Hürde, mit der ein Mädchen beim Erreichen der Pubertät konfrontiert wurde. Zu Beginn der römischen Geschichte, im 7. Jahrhundert v. Chr., waren die Frauen unvorstellbar restriktiven Ehegesetzen unterworfen, die dem Mann uneingeschränkte Macht über seine Ehefrau bis hin zur Entscheidung über deren Leben und Tod einräumten. Ein Mann durfte zusammen mit deren Verwandten über seine Frau zu Gericht sitzen, und wenn sie »des Ehebruchs für schuldig befunden oder des Weintrinkens überführt wurde, so konnte sie, wie Romulus bestimmt hatte, für beide Vergehen mit dem Tode bestraft werden«46. Wenn es je ein Gesetz gab, das häusliche Gewalt proklamiert hat, dann dieses. Egnatius Metellus, Mitglied einer der reichsten Familien der römischen Republik, wird von dem Geschichtsschreiber Valerius Maximus als Paradebeispiel für vorbildliches Verhalten in der Ehe gepriesen, weil er, bei seiner Heimkehr seine Gattin beim Weintrinken erwischend, nicht faul zum Knüppel griff und das lästerliche Weib zu Tode prügelte:

Er wurde nicht nur keines Verbrechens angeklagt, sondern es machte ihm auch niemand einen Vorwurf. Alle sahen dies als Beispiel für einen Menschen, der seine gerechte Strafe für einen Verstoß gegen die Gesetze der Sittsamkeit und Enthaltsamkeit erhalten hat. Denn eine Frau, die unbescheiden dem Weingenuss frönt, verschließt allen Tugenden die Tür und macht sie weit auf für die Laster.47

Ein anderer Zeitgenosse, den Valerius Maximus in höchsten Tönen lobt, ist Gaius Sulpicius Gallus, der sich von seiner Frau scheiden ließ, weil sie sich mit unbedecktem Haupthaar in der Öffentlichkeit blicken ließ. Seine Worte, die Maximus kolportiert, könnten aus dem Mund eines saudischen Prinzen unserer Zeit stammen: »Das Gesetz schreibt vor, dass nur meine Augen allein deine Schönheit blicken dürfen. Nur diesen Augen darfst du der Schönheit Zierde darbieten, nur für sie liebreizend sein …«48

Des Weiteren berichtet Maximus von einem Mann, der sich von seiner Frau scheiden ließ, nachdem er sie in freundschaftlicher Unterhaltung mit einer ehemaligen Sklavin überrascht hatte. Er begründete seinen Schritt damit, dass eine solche Freundschaft unter Frauen Fehlverhalten fördere und es besser sei, der Sünde vorbeugend zu wehren, als sie im Nachhinein zu bestrafen.49 Die Todesstrafe drohte nach dem Gesetz auch einer Frau, die ihren Schwiegervater schlug. Es versteht sich von selbst, dass das Recht, eine Scheidung auszusprechen, nur dem Ehemann zustand.

Die Römer übernahmen von den Griechen die Überbetonung der weiblichen Tugend und stellten diese in direkten Zusammenhang mit der Ehre der Familie und dem Wohl des Staates. Das berühmteste Beispiel für die Verteidigung der weiblichen Tugend ist die Geschichte der Lukretia, einer wohlanständigen Ehefrau in den frühen Tagen des alten Rom, die von den Sittenwärtern der späteren »dekadenten« Jahre oft als Inbegriff weiblichen Wohlverhaltens angeführt wird. Tatsächlich ist ihre Geschichte beispielhaft für die Gefahren, denen eine Frau ausgesetzt ist, wenn sie versucht, sich an Moralvorschriften zu halten, die auf dem frauenfeindlichen Grundsatz basieren, nur eine sittsame Frau sei eine gute Frau.

Lukretias Ehemann Collatinus begeht den Fehler, die Schönheit und Tugend seiner Frau vor dem römischen König Tarquinius Superbus in höchsten Tönen zu preisen. Bewunderung geht oft einher mit dem Wunsch, das bewunderte Objekt herabzuwürdigen, Bilder der Unschuld erregen vermutlich häufiger sexuelle Begierden als pornografische Darstellungen. Getrieben von dem Verlangen, Lukretia den Heiligenschein der treuen Ehefrau herunterzureißen, droht Tarquinius, sie und einen ihrer Sklaven zu ermorden und ihre nackten Leichen gemeinsam ins eheliche Bett zu legen, wenn sie sich weigere, sich ihm hinzugeben. Wissend, welche Schande es über ihren Mann und ihre Familie bringen würde, wenn man sie der Liebschaft mit einem Sklaven überführt glaubte, wählt sie das kleinere der beiden Übel. Auch wenn sie eindeutig gezwungen wurde, sich Tarquinius’ Wünschen zu fügen, hat sie sich nach römischem Gesetz des Ehebruchs schuldig gemacht und ersticht sich folgerichtig mit einem Dolch, nachdem sie ihrem Mann und ihrer Familie erzählt hat, was geschehen ist. Wie so viele Vergewaltigungsopfer gibt Lukretia sich selbst die Schuld und bestraft sich (wie der heilige Augustinus so treffend ausführt) für ein Unrecht, das ein anderer an ihr begangen hat.50 Misogynie stellt Frauen, gleichgültig, ob sie »gute« oder »böse« Mädchen sind, stets vor das gleiche Dilemma: Sie wecken in den Männern Begierden, für die aber nicht diejenigen, die sie begehren, sondern sie selbst verantwortlich gemacht werden.

Für Rom hatte die Geschichte einen glücklichen Ausgang, der allerdings der armen Lukretia wenig nützte. König Tarquinius wurde vom aufgebrachten Volk gestürzt, die Monarchie wurde abgeschafft und die Republik gegründet, die fast 500 Jahre Bestand haben sollte, bevor sie der kaiserlichen Alleinherrschaft weichen musste. Lukretias Beispiel aber muss bis heute dafür herhalten, Frauen einzureden, dass sie ohne ihre Tugend nichts wert seien.

Die römische Geschichte liefert das erste Beispiel für ein »Date Rape« im ganz großen Stil: den Raub der Sabinerinnen. Und die Sabinerinnen waren die ersten Frauen, die mit ihrem beherzten Eingreifen in einen Krieg ein Zeichen für künftige Nachahmerinnen setzten. Weil in Rom Frauenmangel herrschte, luden die Stadtgründer ihre Nachbarn, das Volk der Sabiner, zu einem großen Fest ein. Auf ein verabredetes Zeichen von Romulus hin ergriffen die Römer die hübschesten Frauen der Sabiner und schleppten sie fort. Wie der Geschichtsschreiber Titus Livius berichtet, wurden die Frauen von den Römern respektvoll behandelt, und der König überredete sie, zu bleiben und ihre Entführer zu heiraten. Dass ihm dies gelang, indem er, wie es bei Livius heißt, den Sabinerinnen das römische Eherecht vorlas, um ihnen zu zeigen, dass es den Gesetzen ihres eigenen Volkes haushoch überlegen sei, ist allerdings ein ziemlich unglaubwürdiger Teil der Geschichte. Es kam zum Krieg zwischen den nach Rache dürstenden Sabinern und den Römern, den die Frauen beendeten, indem sie sich zwischen die feindlichen Fronten warfen, um zu verhindern, dass sich ihre neuen Ehemänner und ihre Brüder und Väter gegenseitig umbrachten.

Die Römer nahmen die Erzählung als Teil der frühen Geschichte ihrer Stadt für bare Münze und schrieben den Sabinerinnen zu, in Wirklichkeit erreicht zu haben, was Aristophanes als fiktionalen Stoff präsentiert, wenn er in seinem Lustspiel Lysistrata von den griechischen Frauen erzählt, die den Peloponnesischen Krieg beenden, indem sie ihren Männern den Sex verweigern.

Bis in Julius Caesars Zeit stand an der Via Latina, die von Rom aus in Richtung Süden führt, ein Tempel, der zur Erinnerung an die Frauen errichtet worden war, die ebenfalls Rom vor einem Krieg bewahrt hatten. Nachdem der römische Feldherr Coriolan seines unerträglichen Hochmutes wegen in die Verbannung geschickt worden war, sammelte er die Feinde Roms um sich und zog gegen seine eigene Heimatstadt zu Felde. Er stand bereits vor den Toren der Stadt, und alles schien verloren, bis sich ihm eine Delegation von Frauen, darunter seine Mutter und seine Frau, in den Weg stellte und ihn dazu bewegte, umzukehren. Wieder einmal war Rom durch das beherzte Eingreifen von Frauen gerettet und ein kostspieliger Krieg verhindert worden.

Obwohl die Frauen in Rom einem repressiven Rechtssystem unterworfen waren, waren sie nie in der Art vom öffentlichen Leben ausgeschlossen, wie es bei den Griechen und in der orientalischen Welt überhaupt der Fall war. Über die offensichtlichen Unterschiede sind einige erstaunte Berichte von griechischen Romreisenden überliefert, die der Geschichtsschreiber Cornelius Nepos im 1. Jahrhundert v. Chr. so kommentierte:

Andererseits ist sehr vieles nach unseren Sitten wohlanständig, was bei jenen für anstößig gilt. Welcher Römer zum Beispiel scheut sich, sein Weib zu einem Gastmahl zu bringen? Oder wessen Hausfrau hat nicht den vordersten Teil des Hauses inne und verkehrt nicht unter dessen zahlreichen Besuchern? Ganz anders in Griechenland: Dort wird sie weder zu einem Gastmahl gezogen, außer unter Verwandten, noch hat sie ihren Sitz anderswo als im inneren Teil des Hauses, dem so genannten Frauengemach, wohin außer den nächsten Anverwandten niemand Zutritt hat.51

Noch erstaunter müssen die Griechen gewesen sein, als die Römerinnen ihre Einmischung in öffentliche Angelegenheiten noch weiter trieben, indem sie auf die Straße gingen und die erste Frauenprotestbewegung in der Geschichte der Menschheit ins Leben riefen. 215 v. Chr., während der karthagische Feldherr Hannibal im Zweiten Punischen Krieg das Römische Reich bedrohte, hatte Rom das so genannte Oppische Gesetz erlassen, das Frauen vorschrieb, wieviel Gold und Schmuck sie besitzen und welche Kleidung sie in der Öffentlichkeit tragen durften. 20 Jahre später – der Krieg war längst beendet – verlangten die Frauen zu wissen, warum das Gesetz noch immer in Kraft sei. Nachdem alle Versuche, sie abzuwimmeln, gescheitert waren, wurde in der Sache eine Senatsdebatte anberaumt. Am dafür festgesetzten Tag versammelten sich die Frauen auf dem Forum Romanum – wo das Senatshaus, der Regierungssitz des alten Rom, noch heute steht –, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen.

Der erbittertste Gegner einer Aufhebung des Oppischen Gesetzes war Cato der Ältere, der brillanteste Redner seiner Zeit. Cato gehörte zwar zur Schicht der Neureichen, berief sich aber in seinen Reden gern auf die Gründungsväter und den alten Adel und deren Werte – harte Arbeit, Enthaltsamkeit und einfaches Leben –, die Rom in seinen Augen groß gemacht hatten. Wie viele selbsternannte Sittenwächter befleißigte er sich eines demonstrativ einfachen Lebensstils. Seine Rede vor dem Senat, die der Geschichtsschreiber Livius in seinem Werk festgehalten hat, war eine Tour de Force des Frauenhasses:

Mitbürger, wenn jeder von uns verstanden hätte, bei seiner eigenen Frau das Recht und die Würde des Mannes zu behaupten, hätten wir jetzt mit allen Frauen zusammen weniger Last. Jetzt wird unsere Entscheidungsfreiheit, um die es zu Hause durch die Herrschsucht der Frauen geschehen ist, auch hier auf dem Forum zermalmt und mit Füßen getreten. Und weil wir sie jede einzeln nicht im Zaum gehalten haben, haben wir jetzt vor ihnen allen Angst … Ich bin gerade erst, nicht ohne zu erröten, mitten durch den Zug der Frauen auf das Forum gelangt. Wenn mich aber nicht die Achtung mehr vor der Würde und dem Ehrgefühl Einzelner als vor allen zurückgehalten hätte – es sollte nicht so aussehen, als seien sie vom Konsul zur Rede gestellt worden –, hätte ich gesagt: »Was ist das für eine Sitte, aus dem Haus zu laufen, die Straßen zu belagern und fremde Männer anzusprechen! Konntet ihr nicht jede zu Hause die eigenen Männer genau um dasselbe bitten?« … Lasst einer unbeherrschten Natur und einem ungezähmten Geschöpf die Zügel schießen und hofft, dass sie selbst ihrer Hemmungslosigkeit ein Ziel setzen. Wenn ihr das nicht tut, ist dies noch das geringste, von dem, was die Frauen nur widerwillig hinnehmen, obwohl es ihnen durch Sitte und Gesetz auferlegt ist. Freiheit in allen Dingen begehren sie, eher noch Hemmungslosigkeit, wenn wir es beim wahren Namen nennen wollen. … Wenn ihr duldet, dass sie einzelne rechtliche Bestimmungen in Frage stellen und euch abtrotzen und dass sie am Ende den Männern gleichgestellt sind, glaubt ihr, dass ihr sie dann noch ertragen könnt? Sobald sie angefangen haben, gleichberechtigt zu sein, werden sie euch auf der Stelle über sein.52

Cato erzielte mit seiner Rede nicht die gewünschte Wirkung. Das Oppische Gesetz wurde vom Senat aufgehoben. Aber seine Argumente sind die gleichen, die bis heute ins Feld geführt werden, um Frauen ihre Rechte vom Urnengang bis zur selbstbestimmten Geburtenkontrolle vorzuenthalten. Cato formuliert es erstaunlich deutlich: Gebt den Frauen auf einem Gebiet gewisse Freiheiten, und schon sind der Unmoral in allen anderen Bereichen Tür und Tor geöffnet.

Weniger als ein Jahrzehnt nach der Abschaffung des Oppischen Gesetzes wurde Rom von einem Skandal erschüttert, den Livius, in einer späteren und »dekadenteren« Phase schreibend, als Beweis dafür anführt, dass Cato recht hatte. Dieser Skandal, der die Hexenjagden des Mittelalters gewissermaßen vorwegnahm, führte zu einem Rundumschlag gegen unorthodoxe religiöse Bräuche.

Die römische Staatsreligion war eine männlich dominierte Angelegenheit. Schutz vor dem Zorn übermächtiger Götter boten bestimmte sich wiederholende Opferrituale. Die Ausübung der Rituale war an gesellschaftliche Klassen gebunden; Kulthandlungen, bei denen sich die gesellschaftlichen Grenzen zwischen Patriziern und Plebejern verwischten, wurden misstrauisch beäugt. Für einige religiöse Bereiche waren die Frauen zuständig, beispielsweise für den Kult der Göttin Fortuna, die den Frauen Glück im Liebesleben verhieß, oder für die Gebete am Altar Pudicitia Plebeia, der zu Ehren der plebejischen Keuschheit errichtet worden war und, wie Livius beklagt, von den Plebejerinnen ziemlich vernachlässigt wurde. Der berühmteste von Frauen ausgeübte Kult war der Dienst im Tempel der Vesta, der Göttin des Herdes, die über das heilige Feuer Roms wachte, das im Innern ihres Tempels, eines der schönsten Bauwerke auf dem Forum Romanum, loderte. Sechs Vestalinnen genannte Priesterinnen, ausgewählt aus den edelsten Familien der Stadt, nährten die Flamme, die einem alten und tiefverwurzelten Glauben zufolge niemals ausgehen durfte, sollte Rom nicht untergehen. Ging es durch Unachtsamkeit doch einmal aus, drohten der verantwortlichen Vestalin drakonische Strafen. Die Priesterinnen der Vesta waren während ihres 30 Jahre währenden Dienstes zur Jungfräulichkeit verpflichtet. Verstieß eine von ihnen gegen dieses eherne Gesetz, so wurde sie lebendig begraben. Freud hat die Vermutung geäußert, die Verantwortung für das ewige Feuer sei deswegen den Frauen übertragen worden, weil es aufgrund der weiblichen Anatomie weniger wahrscheinlich war, dass sie auf die Flammen urinieren und sie so löschen würden!53 Ob dies zutraf oder nicht, sei dahingestellt. Jedenfalls ließen sich um 186 v. Chr. nur noch wenige Frauen für die altrömische Frömmigkeit begeistern. Orientalische Mysterienkulte wie die Bacchanalien fanden dagegen regen Zulauf vor allem weiblicher Anhänger, für die sie eine emotionale Befreiung von den moralischen Fesseln verhießen, in denen sie lebten.

 

Im Jahr 186 v. Chr. kam es, wie Livius berichtet, zu einem folgenschweren Geständnis. Eine ehemalige Sklavin sagte vor Gericht aus, sie habe an Festen zu Ehren von Bacchus, dem Weingott, dessen Kult sich von Griechenland nach Rom ausgebreitet hatte, teilgenommen. Aus Sorge um ihren Geliebten, der von seiner Mutter gedrängt wurde, sich dem neuen Kult anzuschließen, zeichnete sie das Schreckensbild entfesselter Matronen, die sich nächtens zu wilden Trinkgelagen und Liebesorgien versammelten. Dabei seien, wie sie erzählte, »unnatürliche« Sexualpraktiken an der Tagesordnung, die zu den Initiationsriten gehörten. Wer sich weigere, diese mitzumachen, werde getötet, sein Leichnam heimlich verscharrt. Frauen aus den besten Kreisen verkleideten sich mit Tierfellen als Bacchantinnen, betranken sich und rannten wie besessen kreischend und lallend mit wild wehendem Haar durch die Nacht. Die Kultanhänger rekrutierten sich aus allen gesellschaftlichen Schichten, selbst Sklaven gehörten dazu. Die römischen Herren, die an jeder Ecke einen Sklavenaufstand witterten, mussten solche Verhaltensweisen in gesellschaftlicher wie in sexueller Hinsicht als subversiv, als Gefahr für die bestehende Ordnung empfinden.

Was die ehemaligen Sklavin 186 v. Chr. berichtete, erinnert fatal an die angeblichen sexuellen Ausschweifungen, die den als Hexen verschrienen Frauen im Mittelalter vorgeworfen wurden. Die Anhängerinnen des Bacchuskults wurden, ebenso wie die später als Hexen angeklagten Frauen, bezichtigt, jeden zu töten, der ihnen im Weg war, selbst ihre eigenen Kinder. Einige wurden beschuldigt, schwarze Magie zu betreiben. Das Bild der mittelalterlichen Hexe beginnt sich vor uns abzuzeichnen: Frauen in der Blüte ihrer Jugend oder alte Weiber mit Natterngeflecht im Haar, die sich den wüstesten Orgien hingeben und zu mitternächtlicher Stunde höllische Tränke aus Froschblut, Knochen und den sterblichen Resten der von ihnen gemordeten Kinder zusammenbrauen. Dieses frauenfeindliche Bild weiblicher Bosheit entstand etwa 1.200 Jahre, bevor in Europa die erste Hexe verbrannt wurde. Aufgrund eines Senatsbeschlusses wurden die männlichen Anhänger des Bacchuskults verhaftet und hingerichtet, die weiblichen in ihr Elternhaus gebracht, wo der Pater Familias die Todesstrafe gegen sie verhängte. Bis zu 7.000 Menschen sollen dabei den Tod gefunden haben.

Ein anderer römischer Geschichtsschreiber, Sallust (86–35 v. Chr.), berichtet in einem seiner Werke von der Verwicklung hochgestellter Frauen in Verschwörungen und subversive Umtriebe. Im Jahr 63 v. Chr. sammelte sich eine Schar verarmter Patrizier, die angesichts ihrer erdrückenden Schuldenlast keinen anderen Ausweg als einen Staatsstreich sahen. Ihr Anführer war Lucius Sergius Catilina, ein Mann, von dem Sallust behauptet, er besitze »große Geistes- und Körperkraft, aber ein schlechtes und verrottetes Herz«54. Einen Aspekt der Verschwörung stellt Sallust, selbst ein gescheiterter Aufrührer, als besonders beunruhigend heraus.

Man berichtet, er habe in der bezeichneten Zeit sehr viele Leute jeglichen Schlags für sich angeworben, auch viele Weiber, die anfangs für ihre ungeheuere Verschwendung die Mittel durch Prostitution beschafft, dann aber, als die Jahre ihrem Erwerb, jedoch nicht ihrem üppigen Lebensstil ein Ende setzten, große Schulden gemacht hatten. Mit ihrer Hilfe glaubte Catilina in der Lage zu sein, die Sklaven in der Hauptstadt aufzuwiegeln, die Stadt anzuzünden und ihre Männer entweder für sich zu gewinnen oder zu töten.55

Er nennt nur eine dieser Aufwieglerinnen und ehemaligen Edelprostituierten beim Namen – Sempronia, die aus einer der angesehensten Familien Roms stammte.

Zu diesen gehörte auch Sempronia, die schon viele Verbrechen mit der kriminellen Energie eines Mannes begangen hatte. Diese Frau war, was Herkunft und Aussehen, außerdem was Mann und Kinder angeht, vom Glück recht begünstigt. In der griechischen und lateinischen Literatur war sie bewandert; sie spielte die Leier und tanzte kunstfertiger, als es eine anständige Frau braucht; dazu kommt vieles mehr, was ihrem üppigen Lebensstil diente. Doch galt ihr immer alles höher als Ehre und Keuschheit. Ob sie gegenüber ihrem Geld oder ihrem Ruf rücksichtsloser war, konnte man nicht leicht entscheiden; sie war so fieberhaft wollüstig, dass sie öfter den Männern nachlief als diese ihr. Öfter hatte sie schon vor dieser Zeit Wort gebrochen, Anvertrautes abgeschworen, an Mord teilgenommen: Durch Verschwendung und Mittellosigkeit war sie jählings gesunken. Aber ihre Begabung war ganz annehmbar: sie konnte Verse machen, Witz spielen lassen, bald zurückhaltend, bald gefühlvoll, bald ungeniert reden, kurz: sie besaß viel Anmut und Laune.56

Sempronia war eine Zeitlang Julius Caesars Geliebte, und man munkelte, eines ihrer Kinder, Decimus Brutus, sei dessen Sohn. (Er hatte als Verschwörer eindeutig mehr Erfolg als seine Mutter, gehörte er doch zu der Gruppe von Attentätern, denen Julius Caesar 44 v. Chr. zum Opfer fiel.)

Catilinas Verschwörung flog auf, die daran Beteiligten wurden hingerichtet. Sempronia allerdings kam ungeschoren davon, und spätere Geschichtsforscher äußerten Zweifel an ihrer von Sallust behaupteten Komplizenschaft. Kein Zweifel besteht dagegen an der Geisteshaltung des Geschichtsschreibers, dieser Mischung aus Missbilligung und Faszination, mit der er ihr Porträt zeichnet. Sie tanzt, dichtet Verse, unterhält Liebesbeziehungen, bewegt sich in subversiven Kreisen, macht Sklaven rebellisch – hätte es in Rom Marihuana gegeben, Sempronia hätte bestimmt nicht gezögert, es zu rauchen. Sie ist der Prototyp der unkonventionellen Intellektuellen, die in allen ihren Verkörperungen von den eifernden Moralaposteln kommender Jahrhunderte erbittert angefeindet werden wird. Dass sie eine »moderne« Frau war, scheint in Sallusts Augen ihr schwerster Fehler gewesen zu sein. Mit seinem Bericht will er mahnend aufzeigen, was passiert, wenn Frauen ihrem persönlichen Vergnügen ebenso offen nachgehen wie Männer. Verschwenderischer Lebensstil führt bei Frauen zu sexuellen Ausschweifungen, und diese machen aus ihnen hoffnungslose Rebellinnen, die sich nicht einmal scheuen, mit Sklaven gemeinsame Sache zu machen. Rebellische Frauen, die sich mit aufsässigen Sklaven zusammentun – das war die ultimative Schreckensvision für die Regierenden des Römischen Reichs.

In den Jahren nach dem gescheiterten Umsturz wurde Rom von einem blutigen Bürgerkrieg erschüttert, an dessen Ende schließlich die republikanische Staatsform abgeschafft und mit Julius Caesar das Zeitalter der diktatorischen Alleinherrschaft eingeläutet wurde. Während eine Handvoll einflussreicher Familien um die Macht in dem sich ausdehnenden Reich stritten und das Ausüben öffentlicher Ämter immer gefährlicher wurde, sahen sich die Frauen auf ein vertrauteres Feld des Konkurrenzkampfes zurückgedrängt. Zugang zur Macht hieß Verbindung zum Herrschenden oder ein ähnliches Privileg; es hieß, sich für die Karriere der eigenen Sprösslinge, vor allem der männlichen, nach Kräften einzusetzen. Je näher die Frauen an der Quelle der Macht waren, umso erbitterter wurde ihr Kampf. So lieferten sie den misogynen Moralisten des Kaiserreichs eine ganze Galerie weiblicher Schurken, die ganz und gar nicht in das traditionelle Bild der häuslichen, fügsamen und bescheidenen Ehefrau passten.