Misogynie

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Die Faszination der Männer für die kriegerische Amazone hat eine lange Geschichte; sie reicht von der Antike bis zur Comic-Heldin Wonder Woman und den Profi-Wrestlerinnen unserer Zeit. Was Amazonen und Wrestlerinnen verbindet, ist die Tatsache, dass ihr Kampf kein Kampf ist, sondern reine Fantasie. Die mit einer gewissen Lustangst einhergehende Faszination der Männer jedoch ist real und nahm bei den Athenern ein Ausmaß an, das an Besessenheit grenzte. Kämpfe zwischen Männern und Amazonen gehörten in der Antike zu den beliebtesten Frauenabbildungen überhaupt. Bis heute sind mehr als 800 entsprechende Kunstwerke erhalten, von denen bei weitem die meisten aus Athen stammen.25 Das Amazonenmotiv ziert so ziemlich alles vom Tempel bis zur Amphore und zum Trinkgefäß. Wohin sich ein Athener auch wenden mochte, unweigerlich fiel sein Blick auf eine Szene, in der ein Mann mit erhobenem Schwert oder Speer eine Frau an den Haaren vom Pferd zerrt, mit einem Dolch auf sie einsticht oder sie zu Tode knüppelt, wobei seine Speerspitze auf ihre entblößte Brust zeigt, während ihre kurze Tunika über die Schenkel hochgerutscht ist. Der heiligste Tempel von Athen, der Parthenon, wurde 437 v. Chr. zu Ehren von Athene, der Schutzgöttin der Stadt Athen, und zur Feier des Sieges der Griechen über die persischen Eindringlinge errichtet. Doch das Bild, das man als Schmuckwerk für Athenes Schild wählte, hatte keinerlei Bezug zu historischen Ereignissen. Es zeigt den sagenhaften Sieg des mythologischen Stadtgründers Theseus über ein einfallendes Amazonenheer. Die Beliebtheit solcher Szenen ist nicht nur damit zu erklären, dass sie das einzige Motiv boten, in dem Frauen nackt oder teilweise unbekleidet abgebildet werden konnten. (Ansonsten durfte den gesellschaftlichen Konventionen zufolge nur der männliche Körper entblößt dargestellt werden). Die Szene wiederholt sich mit pornografischer Hartnäckigkeit. Aber wie in der Pornografie kann die Wiederholung nicht über die drängenden Ängste hinwegtäuschen, die ihr zugrunde liegen.26

Die Ängste des Mannes vor der Frau, die ihr gesetzte Grenzen überschreitet, finden ihren nachhaltigsten und denkwürdigsten Ausdruck in den griechischen Dramen. Sämtliche erhaltenen Tragödien wurden innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne im 5. Jahrhundert von attischen Dichtern geschrieben. Es gibt nur ein einziges Stück aus dieser Zeit, nämlich Philoktetes von Sophokles, in dem keine Frau vorkommt. In den Titeln von mehr als der Hälfte aller Tragödien taucht der Name einer Frau oder eine andere weibliche Anspielung auf. Das Interesse der Dichter richtete sich auf Frauen und ihre ungeheuerlichen Taten.

Die Handlung der Tragödien basierte fast ausschließlich auf Homers großen Epen, ihre Charaktere waren seinen bronzezeitlichen Helden, Heldinnen und Schurken nachempfunden. Es war in etwa so, als wären heutige Dichter einer literarischen Konvention verpflichtet, die sie zwingt, Stoff und Personal all ihrer Romane auf der Artussage aufzubauen. Daher wurde immer wieder die Frage gestellt, wie viel wir aus diesen Dramen tatsächlich über das Leben und die Probleme real existierender Frauen jener Zeit erfahren können. Die Frage ist jedoch nicht, wie wirklichkeitsgetreu sie das Leben der damaligen Frauen wiedergeben, sondern ob das, was sie uns über die gesellschaftlichen Ängste in Bezug auf das Verhältnis zwischen Männern und Frauen verraten, ein realistisches Bild der Situation vermittelt. Und dass sie das tun, steht außer Zweifel.27

In Medea von Euripides ermordet die gleichnamige Heldin ihre Kinder, um sich an ihrem Mann, dem mythologischen Helden Jason, zu rächen, als dieser sie verlässt und eine andere Frau heiraten will. In Agamemnon von Aischylos nimmt sich Klytaimnestra einen Geliebten, als ihr Mann gen Troja in den Krieg zieht; nach seiner Heimkehr ermordet sie ihn und reißt die Staatsmacht an sich. In Sophokles’ Elektra überredet Agamemnons Tochter ihren sich sträubenden Bruder Orest, aus Rache für den Mord an ihrem Vater nunmehr ihre Mutter Klytaimnestra zu töten. Antigone erzählt die Geschichte einer Frau, die entgegen dem Verbot ihres Onkels Kreon ihren Bruder bestattet und dafür zum Tod durch Einmauern verurteilt wird. In Euripides’ Tragödie Die Bakchen wird berichtet, wie die Anhängerinnen des orgiastischen Weingottes Dionysos in Amazonen verwandelt werden. Sie ziehen plündernd durch die Lande, zerstören alles, was ihnen in den Weg kommt, besiegen einen Trupp Soldaten im Kampf und zerreißen König Pentheus bei lebendigem Leib, als er sie heimlich bei einer ihrer angeblichen Orgien beobachten will.

In allen diesen Geschichten nimmt die Tragödie ihren Lauf, wenn sich Frauen gegen das patriarchalische System auflehnen und zeitweise die Fesseln sprengen, die dieses System ihnen auferlegt hat. Indem sie dies tun, berufen sie sich auf das Recht, das die »Natur« fordert. Nicht selten geschieht die Auflehnung im Namen der Familie, deren Belange über die Ansprüche des Staates gestellt werden. »So geh hinunter, wenn du lieben willst, und liebe dort! Mir herrscht kein Weib im Leben«28, ereifert sich Kreon, als Antigone verkündet, dass sie sich aus Liebe zu ihrem Bruder verpflichtet fühlt, diesen gegen das königliche Gesetz anständig zu begraben.

Sich auflehnend überschreiten die tragischen Heldinnen die Grenze zu einem gesellschaftlich nicht annehmbaren weiblichen Verhalten und nehmen dadurch maskuline, fast amazonenhafte Züge an. Als Antigone gegen das königliche Gesetz rebelliert, wird sie von ihrer Schwester Ismene ermahnt: »Dies auch denke, Weiber sind wir und dürfen so nicht gegen Männer streiten.«29

Die Botschaft ist ambivalent, wenn nicht gar widersprüchlich. Einerseits zeigt der Dichter Verständnis für die Frauen, die durch Leid und Unterdrückung zur Auflehnung getrieben wurden, andererseits unterstreicht er in der daraus resultierenden Gewalt und Barbarei das Bild von den Frauen als Naturereignis, als wilde und irrationale Geschöpfe, die eine Bedrohung der von Männern geordneten Welt sind. Am vehementesten wird dies in einem Werk zum Ausdruck gebracht, das geradezu beispielhaft ist für die Frauenfeindlichkeit damaliger Literatur, nämlich in Hippolytos von Euripides:

Fluch euch! Ich werde nimmer satt, die Weiber

Zu schmähn, ob man auch spöttelt, dass ich’s tu.

Denn immer sind von Grund aus schlecht auch sie.

Und wer sie nicht zur Keuschheit kann erziehn,

Gestatte mir, auch künftig sie zu schmähn.30

Auch wenn die Ungerechtigkeiten, unter denen die Frauen zu leiden haben, erkannt werden, bleibt doch die Notwendigkeit bestehen, die patriarchale Ordnung zu verteidigen, in deren Rahmen sie geschehen.

Die Sicht der Frau als »das Andere«, als Antithese des Mannes, spricht deutlich aus den griechischen Dramen. Dafür, dass sich dieser Dualismus der Geschlechter in der abendländischen Kultur so nachhaltig eingebürgert hat, tragen nicht zuletzt Platon und Aristoteles die Verantwortung, die ihn philosophisch und wissenschaftlich untermauert haben.

Platon (429–347 v. Chr.) wird von vielen als der bedeutendste und einflussreichste Philosoph aller Zeiten – von der Antike über das Mittelalter bis zur Neuzeit – angesehen. Seine Ideen über das Wesen der Welt haben sich überall dort, wo die abendländische Kultur und ihr kämpferischster Eroberungstrupp, das Christentum, Fuß fassen konnten, ausgebreitet und die intellektuelle und geistige Entwicklung in Erdteilen und Ländern beeinflusst, die zu Platons Zeit noch gar nicht entdeckt oder erforscht waren. Aber Platons Beitrag zur Geschichte der Misogynie birgt auch Widersprüche.

So wird Platon gelegentlich als erster Feminist gepriesen, weil er in seinem Hauptwerk, Politeia, die Utopie eines Staates entworfen hat, in dem die Frauen die gleiche Ausbildung und Erziehung genießen wie die Männer. Gleichzeitig markiert seine dualistische Sicht der Welt jedoch die Abkehr vom einfachen, veränderlichen Dasein, das seiner Argumentation nach eine Wunschvorstellung ist und vom klugen Mann mit Verachtung behandelt werden sollte. Zu diesem Dasein zählte er auch Ehe und Fortpflanzung, niedere Bereiche des Lebens, die er mit den Frauen assoziierte. Er selbst war nie verheiratet und stellte die »reine« Liebe zwischen Männern über die Liebe zwischen Mann und Frau, die er näher zur animalischen Lust rückte. Platon hat diese Form des Dualismus – der dem Mann geistige Ziele und der Frau die fleischliche Lust zuordnet – nicht erfunden, aber er hat ihm eine philosophische Schlagkraft verliehen, die ihresgleichen sucht.31

Ein Philosoph entwickelt seine Gedanken nicht im luftleeren Raum; so abstrakt oder absurd sie auch sein mögen, es findet sich immer etwas in der konkreten Wirklichkeit, das eine Erklärung dafür liefert. »Platon war das Kind einer Zeit, die noch die unsere ist«32, schreibt Karl Raimund Popper in seiner Kritik an Platons Staatstheorie. Die Suche nach einer höheren, vollkommeneren Welt jenseits des sinnlich Wahrnehmbaren fand vor einem geschichtlichen Hintergrund statt, der von Hungersnöten, Pestepidemien, Unterdrückung, Zensur und blutigen Bürgerkriegen gekennzeichnet war. Die Ereignisse, die Griechenland erschütterten, als Platon ein junger Mann war, prägten sein Denken. Er wuchs als Sohn einer wohlhabenden Athener Familie in der Zeit des Peloponnesischen Krieges zwischen Athen und Sparta auf, der, von wenigen Waffenstillständen unterbrochen, von 431 v. Chr. bis 404 v. Chr. dauerte. Selten hat sich ein Krieg so nachhaltig auf den Verlauf der Geschichte ausgewirkt wie dieser. Die Folgen des Peloponnesischen Krieges für Griechenland kann man mit den Auswirkungen des Ersten Weltkriegs auf Europa vergleichen. Er beendete das goldene Zeitalter des klassischen Griechenland und damit eine der künstlerisch und intellektuell fruchtbarsten Perioden, die die menschliche Zivilisation je erlebt hat. Die Destabilisierung des politischen Gleichgewichts in Griechenland bereitete den Weg für die Eroberungsfeldzüge mazedonischer und später römischer Truppen. Unter der Herrschaft der Dreißig, der pro-spartanischen Oligarchie in Athen, wurde Platons verehrter Lehrer Sokrates nach einer Anklage wegen Gottlosigkeit zum Tod durch Trinken des Schierlingsbechers verurteilt. Der Peloponnesische Krieg – und das allein schon machte ihn zu einem Wendepunkt in der Geschichte – veränderte Platons Sicht der Welt grundlegend. Er war jetzt von einem tiefen Misstrauen, ja Hass gegen die Demokratie erfüllt.

 

Platons erste Utopie war ein totalitärer, von einer Elite regierter und von »Wächtern« nach außen verteidigter Staat, dessen wirtschaftliche Grundlage von einer Unterschicht von Gewerbetreibenden und Bauern gewährleistet werden sollte. In der rigiden Welt dieses Staates sind frivole Lustbarkeiten wie Liebesdichtung und Tanz verboten, den Wächtern sind jeder materielle Besitz und jede Form von Eitelkeit verwehrt. Platon, der den Körper als etwas grundsätzlich Schlechtes betrachtete, machte aus seiner Verachtung für die sinnlich erfahrbare Welt keinen Hehl. In Symposion bezeichnet er individuelle Schönheit als »Nebensächlichkeit« und spricht von der Sterblichkeit als einer »Seuche«. »Wem sie [die Begierden] also nach Kenntnissen und allem dergleichen hinströmen«, erklärt er im sechsten Buch von Politeia, »dem gehen sie, denke ich, auf die Lust, welche der Seele für sich allein zukommt, und halten sich dagegen von der durch den Leib vermittelten zurück, wenn einer nicht zum Schein, sondern wahrhaft philosophisch ist.«33 Nichts ist erlaubt, was die Elite davon abhalten könnte, über das absolute Schöne und das absolute Gute nachzudenken – das absolut todsichere Rezept für absolute Langeweile.

Platon hat alle seine Werke in der Form von Dialogen zwischen Sokrates und seinen Schülern verfasst. In Politeia spricht er sich dafür aus, ausgewählte Frauen in die Klasse der Wächter aufzunehmen und Ihnen die gleichen Pflichten aufzuerlegen wie den Männern, und er begründet dies mit seiner Theorie, der einzige Unterschied zwischen den Geschlechtern liege in den biologischen Rollenverteilungen und physischen Kräften. Männliche und weibliche Wächter sollen gemeinsam ausgebildet werden und lernen, und sie dürfen »weder Häuser zu eigen haben noch Land noch sonst ein Besitztum«34. Gegenseitige Anziehung zwischen den Geschlechtern sei zwar unvermeidlich, so meint er, aber »ohne Ordnung sich zu vermischen oder irgend sonst etwas auf diese Art zu tun, kann wohl weder für fromm geachtet sein in einer Stadt von Seligen noch werden es die Oberen zulassen«35. Um eine echte Elite heranzuziehen, müssen sich die Besten mit den Besten zusammentun und Nachkommen hervorbringen. Die Produkte dieser Paarungen werden gleich nach der Geburt von ihren Müttern getrennt, in einer staatlichen Institution aufgezogen und von Ammen genährt. So bleibt den Müttern das zeitaufwändige und kräftezehrende Geschäft des Stillens erspart. Und da Privatbesitz abgeschafft und daher nichts zu vererben ist, sind »so auch die Kinder gemein, so dass weder ein Vater sein Kind kenne, noch auch ein Kind seinen Vater«36.

Bei Platon geht die Gleichberechtigung der Frauen auf Kosten ihrer geschlechtlichen Identität. Sie sind sozusagen zu Männern ehrenhalber geworden. Der einzige biologische Unterschied, der ihnen zugestanden wird, ist die Vermehrung. (Ein paar Jahrtausende später wird in radikalfeministischen Kreisen die gleiche These aufgestellt werden – dass nämlich Männer und Frauen sich nur in ihren Geschlechtsteilen unterscheiden und alles andere anerzogen sei.) Die weiblichen Wächter dürfen Kinder gebären, aber keine Bindung zu ihnen entwickeln. Die »Mutterrolle« übernimmt der Staat. Kontrolle über die Sexualität ist der Schlüssel zur Herrschaft des Staates über seine Bürger. Sie wird zu einem politischen Instrument. Indem sie alle familiären Bindungen, insbesondere die zwischen Mutter und Kind, negiert, richtet sich Platons Utopie gegen den Gedanken der Individualität an sich. Und das hat sie mit allen totalitären Ideologien gemein, in denen der Individualismus ausgelöscht wird, damit sichergestellt ist, dass die Bedürfnisse des Staates uneingeschränkte Priorität genießen.

Die Verteufelung weltlicher Vergnügen gehört zu den Aspekten in Platons Utopie, die man in totalitären Staaten des 20. Jahrhunderts wiederentdecken kann. Wenn Platon Sex als Mittel zu dem alleinigen Zweck propagiert, eine »Elite zu züchten«, nimmt er die nationalsozialistische Vision einer Herrenrasse vorweg. Die Geschlechtslosigkeit der weiblichen Wächter findet ihr Echo im kommunistischen China, wo Männer und Frauen in ihren Mao-Anzügen nicht mehr zu unterscheiden waren. In Afghanistan verboten die Taliban in ihrem fanatischen Eifer, einen islamischen Gottesstaat zu errichten, nahezu jede Form von Dichtung und Musik, und es galt sogar als subversiv, einen Frisörsalon zu eröffnen. In allen totalitären Staaten seit Platon war der Gebrauch von Make-up für Frauen verpönt.

Für Platon kann »das Andere« in verschiedener Form auftreten. Es kann beispielsweise auch nach Volkszugehörigkeiten definiert werden. Sokrates bezeichnet die Barbaren als die »natürlichen Feinde« der Griechen, so wie Frauen die »natürlichen Feinde« der Männer sind. Die Spaltung der Welt in widerstreitende Prinzipien macht es uns leicht, exklusive Kategorien zur Zuordnung von Menschen zu schaffen. Es ist kein Zufall, dass Misogynie und Rassismus oft im gleichen gesellschaftlichen Umfeld gedeihen.

Platons Dualismus findet seinen entschiedensten philosophischen Ausdruck in der Theorie der Formen, die den Wächtern als zentrale Weisheit und Kernpunkt ihrer Ausbildung vermittelt werden soll. Wer sie nicht begreift, kann die wahre nicht von der falschen Wirklichkeit unterscheiden. Und die wahre Wirklichkeit ist in Platons Augen nur mit dem Verstand fassbar.

Zur Theorie der Formen heißt es in Politeia:

Vieles Schöne und vieles Gute, was einzeln so sei, nehmen wir doch an und bestimmen es uns durch Erklärung. Dann aber auch wieder das Schöne selbst und das Gute selbst und so auch alles, was wir vorher als vieles setzten, setzen wir als eine Idee eines jeden und nennen es jegliches, was es ist. Und von jenem vielen sagen wir, dass es gesehen werde aber nicht gedacht; von den Ideen hingegen, dass sie gedacht werden aber nicht gesehen.37

Diese »Idee eines jeden« setzt Platon mit Gott gleich, der zeitlos ist in seiner Vollkommenheit. In einem Gespräch über das Wesen Gottes definiert er Gott als höchste Verwirklichung der Vollkommenheit und äußert sich abfällig über das homerische Pantheon, in dem die Götter sich, Zauberern gleich, ständig verwandeln. »Also ist es auch für Gott unmöglich, dass er sich selbst sollte verwandeln wollen; sondern jeder von ihnen bleibt, wie es scheint, das er so schön und trefflich ist wie möglich auch immer ganz einfach in seiner eigenen Gestalt«38.

Platons Theorie der Formen untermauert den Mythos der Pandora und ihres verderblichen Einflusses auf die heile Welt der Männer mit einem tragfähigen philosophischen Fundament, und sie liefert den gedanklichen Nährboden für das christliche Dogma der Erbsünde, dem zufolge der Mensch durch den bloßen Akt der Empfängnis von der Vollkommenheit Gottes abfällt und in den Abgrund der Äußerlichkeiten, des Leidens und der Sterblichkeit gestoßen wird. Mit dem Sündenfall geht der von der Frau verführte Mann zwangsläufig auch des vollkommen Guten verlustig. Diese dualistische Sicht der Wirklichkeit diskriminiert die Welt der Sinne und stellt sie in einen ewigen Widerstreit mit der höchsten Erkenntnis: der Erkenntnis Gottes. Sie hat das Bild christlicher Denker nachhaltig geprägt, für die Frauen im wörtlichen wie im übertragenen Sinne das verkörpern, was unbeständig, veränderlich und verachtenswert ist.

Schuf Platon mit seiner Theorie der Formen die philosophische Grundlage für den Frauenhass, so lieferte sein Schüler Aristoteles (384–322 v. Chr.) die wissenschaftliche Rechtfertigung dafür. Auch wenn uns viele der wissenschaftlichen Theorien des Aristoteles heute lächerlich erscheinen, dürfen wir nicht vergessen, dass sie die abendländische Sicht der Welt fast zwei Jahrtausende lang geprägt haben. Erst die wissenschaftliche Revolution im 17. Jahrhundert setzte dem Einfluss seiner Ideen ein Ende. »Vom frühen 17. Jahrhundert an ging nahezu jeder ernstzunehmenden intellektuellen Errungenschaft der Angriff gegen einen aristotelischen Lehrsatz voraus«39, schreibt Bertrand Russell.

Aristoteles ist als einer der erbittertsten Frauenhasser aller Zeiten in die Geschichte eingegangen. Seine Sicht auf Frauen begründet er sowohl auf wissenschaftlicher als auch auf gesellschaftlicher Ebene. Auch wenn er vielleicht ein genauer Beobachter der Natur war – Charles Darwin äußerte sich beeindruckt über seine Beschreibung verschiedener Tierarten –, versagte seine Beobachtungsgabe beim Blick auf die Frauen offensichtlich. Als Zeichen ihrer Minderwertigkeit führte er unter anderem ins Feld, dass sie keine Glatze bekommen, was er als eindeutigen Beweis für ihr kindliches Wesen deutete. Er behauptete außerdem, Frauen hätten weniger Zähne als Männer, was Bertrand Russell zu der Bemerkung veranlasst haben soll: »Dieser Fehler wäre Aristoteles nicht unterlaufen, wenn er seiner Frau ab und zu erlaubt hätte, den Mund aufzumachen.«40

Aristoteles hat den Zweck als fundamentale Größe der Naturwissenschaften eingeführt. Seiner These zufolge ist es der Zweck der Dinge, einschließlich aller lebendigen Dinge, das zu werden, was sie sind. Aristoteles, der noch nichts von Genetik und Evolution wusste, sah den Zweck als Verwirklichung des Potenzials eines jeden Dinges, es selbst zu sein. In gewissem Sinne ist dies die materialistische Variante von Platons Theorie der Formen: Es gibt den einen idealen Fisch, und alle tatsächlich existierenden Fische sind Verwirklichungen dieses einen. Das Ideal ist ihr Zweck.

Auf Menschen, insbesondere auf Frauen übertragen, hat ein solches Konzept unangenehme, aber vorhersagbare Folgen; es wird nicht als Erklärung der Ungleichheit, sondern als deren Rechtfertigung herangezogen. Über die Entstehung der Tiere von Aristoteles ist eines der übelsten Beispiele hierfür. In diesem Werk erklärt der Autor den nach seiner Ansicht unterschiedlichen Zweck von Mann und Frau: »Das Männliche ist dem Weiblichen von Natur aus überlegen; das eine herrscht, das andere wird beherrscht; dieses Prinzip gilt zwangsläufig auch für das gesamte Menschengeschlecht.«41 Daher muss Aristoteles zufolge der männliche Samen Träger der Seele oder des Geistes sein und alle Anlagen des fertigen Menschen in sich vereinen. Die Frau, die den männlichen Samen empfängt, liefert lediglich den Stoff, die nährende Substanz. Das Männliche ist das aktive Prinzip, das Bewegende, die Frau ist das passive Prinzip, das Bewegte. Das Kind kann seine Anlagen nur dann vollständig entwickeln, wenn es männlich ist; herrscht durch einen übermäßig starken Menstruationsfluss im Leib die »kalte Konstitution« des Weiblichen vor, so erreicht das Kind nicht sein volles menschliches Potenzial, es wird, mit anderen Worten, ein Mädchen. Aristoteles’ abenteuerliche Ausführungen gipfeln in der Behauptung, die Frau sei nichts weiter als ein misslungener, verstümmelter Mann.

Vieles von dem, was Aristoteles über das Wesen der Frauen sagt, steht im Zusammenhang mit seinen Theorien zum Sklaventum. Sklaven sind, so meint er, von der Natur dazu bestimmt, das zu sein, was sie sind – genau wie die Frauen. Nur fehle es ihnen an der Urteilskraft, die den Frauen immerhin gegeben, wenn auch mit keinerlei Befugnissen verbunden sei. Für Aristoteles ist Gehorsam die natürliche Haltung der Frau, sie erfüllt damit den Zweck ihres Daseins. Und schließlich war Sklaven und Frauen noch eines gemein: Die Minderwertigkeit gegenüber dem Herrn – dem Sklavenhalter im einen, dem Ehemann im anderen Fall – war ewig und unveränderlich.

Die Verunglimpfung der Frauen als verstümmelte Männer brachte Gepflogenheiten mit sich, die in den Nächten, wenn das Schreien von Neugeborenen die Stille zerriss, nicht zu überhören waren. »Wenn du mit einem Sohn schwanger gehen solltest, wenn das Kind ein Knabe ist, lass es sein, ist es aber ein Mädchen, wirf es fort«, heißt es in einem Brief, den ein Mann namens Hilarion im Jahr eins v. Chr. an seine Frau Alis schrieb. Der Brauch, ungewollte Neugeborene auf Müllplätzen auszusetzen, hielt sich, bis sich das Christentum im Römischen Reich als wichtigste Religion durchsetzte.42 Die Mehrzahl der ausgesetzten Säuglinge waren missgebildete oder kranke Kinder oder eben »verstümmelte Knaben«, also Mädchen. Der Brauch war so verbreitet, dass sich die braven Bürger vom Schreien der ausgesetzten Kleinen vermutlich nicht in ihrer Nachtruhe stören ließen. Archäologen machten bei Grabungen die verblüffende Entdeckung, dass in den Grabstätten Athens aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. doppelt so viele Männer bestattet waren wie Frauen. Im Jahr 180 n. Chr. klagte der römische Geschichtsschreiber Cassius Dio darüber, dass es für die hochgestellten Männer des Reiches keine Frauen mehr zum Heiraten gebe. Frauen, schrieb ein anderer Gelehrter, werden »selektiv beseitigt«. In Verbindung mit einer hohen Sterblichkeit der Frauen im Kindbett oder bei Abtreibungen war daher gesichert, dass die männliche Bevölkerung zahlenmäßig bei weitem stärker war als die weibliche.43 Aber nicht alle ungewollten Töchter starben. Da jeder ausgesetzte Säugling automatisch Sklavenstatus hatte, sahen sich Bordellbesitzer regelmäßig auf den Müllplätzen um und nahmen die Mädchen mit, aus denen später Prostituierte wurden. Wir werden nie erfahren, wie viele Millionen Töchter der Pandora auf den Müllplätzen des griechischen und des römischen Reichs verhungerten und erfroren oder, wenn sie mehr »Glück« hatten, ein Dasein als Prostituierte erwartete.

 

Mit einem zahlenmäßigen Ungleichgewicht zugunsten der männlichen Bevölkerung ist oft ein niedrigerer gesellschaftlicher Status der Frauen verbunden. Heute finden wir eine solche Situation in Teilen Indiens und Chinas, wo die selektive Abtreibung weiblicher Feten dazu geführt hat, dass es weniger Frauen als Männer gibt, und Frauen einen entsprechend niedrigen Status genießen. Als »knappe Ware« werden sie auf ihre Rolle als Ehefrau und Mutter beschränkt.

Wenn Frauen dagegen den Männern zahlenmäßig überlegen sind, steigt ihr gesellschaftliches Ansehen.44 Dieses Phänomen ist in Sparta belegt, der Stadt, die siegreich aus dem Peloponnesischen Krieg hervorgegangen war und Platon als Vorbild für seinen Idealstaat diente. Sparta wich von der Normalität ab: Hier war Säuglingsmord zwar durchaus gebräuchlich, aber es wurde nicht zwischen Jungen und Mädchen unterschieden, sondern nur zwischen kranken und gesunden Kindern. Alle gesunden Nachkömmlinge wurden aufgezogen, und da Jungen bei der Geburt oft schwächlicher und anfälliger sind als Mädchen, wurden mehr männliche als weibliche Säuglinge ausgesetzt. Die Kriege, in die Sparta ständig verwickelt war, taten ihr Übriges, um die Sterblichkeitsrate unter den Männern drastisch hochzutreiben. Zudem heirateten spartanische Frauen relativ spät für die damalige Zeit. Dadurch standen ihre Chancen, eine Schwangerschaft zu überleben, um einiges besser. Weil von spartanischen Frauen erwartet wurde, dass sie als Mütter der künftigen Krieger in bester körperlicher Verfassung waren, sorgte sich der Staat um ihre Gesundheit. Sie trainierten – sehr zum Entsetzen, wahrscheinlich aber auch zum heimlichen Ergötzen des übrigen Griechenland – nackt wie die Männer, nahmen an sportlichen Wettkämpfen teil und waren im Allgemeinen kräftiger und gesünder als ihre Geschlechtsgenossinnen anderswo. Die Athenerin Lysistrata sagt in Aristophanes’ gleichnamiger Komödie zu einer Frau aus Sparta:

Wie hübsch du bist. Und wie gesund ihr seid,

Und Muskeln! – Du könnt’st einen Stier erwürgen!45

Darüber hinaus bestand ihre nicht eben züchtige Alltagskleidung aus einer kurzen, freizügigen Tunika, was Aristoteles und andere griechische Moralapostel mit Entrüstung zur Kenntnis nahmen. Eine spartanische Frau konnte den Besitz ihres Mannes erben und verwalten, was dazu führte, dass sich im 4. Jahrhundert v. Chr. zwei Drittel des Grundbesitzes in Sparta in Frauenhand befand. Das Ergebnis dieser Gesellschaftsordnung war – auf den ersten Blick ein Paradox – ein Militärstaat, in dem Frauen einen höheren Stand innehatten als in Athen, dem Mutterland der Demokratie.

Sparta verschwand von der Bühne der Geschichte, und die Rechte der spartanischen Frauen fanden nur noch als widernatürliche Kuriosität Erwähnung. Platon und Aristoteles dagegen lebten fort als die beiden Säulen des philosophischen und wissenschaftlichen Denkens in der westlichen Welt, auf denen das wuchtige Gebäude des Christentums ruhte. Platons Theorie der Formen mit der ihr immanenten Verachtung für die sinnlich erfahrbare Welt und Aristoteles’ biologischer Dualismus, der Frauen als misslungene Männer betrachtet, lieferten das intellektuelle Rüstzeug für die vielen Jahrhunderte der Frauenfeindlichkeit, die folgen sollten.

5 Siehe Statistiken in: Steven Pinker, Das unbeschriebene Blatt. Die moderne Leugnung der menschlichen Natur, deutsch von Hainer Kober, Berlin, Berlin Verlag 2003, S. 18

6 Hesiod, Werke und Tage, übersetzt und herausgegeben von Otto Schönberger, Stuttgart, Philipp Reclam jun. 1996, S. 11

7 Ebd., S. 9

8 Hesiod, Theogonie, übersetzt und herausgegeben von Otto Schönberger, Stuttgart, Philipp Reclam jun. 1999, S. 49

9 Robert E. Meagher, Helen: Myth, Legend, and the Culture of Misogyny, London, New York, Continuum 1995

10 Hesiod, Werke und Tage, S. 11

11 Sarah B. Pomeroy, Frauenleben im klassischen Altertum, deutsch von Norbert F. Mattheis, Stuttgart, Kröner 1985, S. 63

12 Aus einer altbabylonischen Tafel, deren Text in die neueren Übersetzungen des Gilgamesch-Epos keinen Eingang gefunden hat.

13 Susan Blundell, Women in Ancient Greece, Cambridge, Harvard University Press 1995

14 Der griechische Dichter Semonides schrieb im 7. Jahrhundert v. Chr.: »Denn Zeus hat dies als größtes Übel geschaffen: die Frauen, und legte es uns als Fessel und unzerreißbare Bande an.«

15 Christopher Marlowe, Die tragische Geschichte vom Leben und Tod des Doktor Faustus, 4. Akt, deutsch von Alfred van der Velde, Stuttgart, Reclam 1966

16 Homer, Ilias, 6. Gesang, deutsch von Johann Heinrich Voß, Frankfurt am Main, Insel 1990

17 Euripides, Die Troerinnen, übertragen von Ernst Buschor, München, C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung 1957, S. 50

18 Sigmund Freud, Das Unbehagen in der Kultur. Und andere kulturtheoretische Schriften, Frankfurt am Main, Fischer 1997, S. 82f.

19 Aus dem Vorwort von Larousse Encyclopedia of Mythology, London, Hamlyn 1968

20 Zitiert in: Eva Keuls, The Reign of the Phallus, New York, Harper & Row 1985

21 »A Husbands Defense, Athens circa 400 B. C.« in: Mary R. Lefkowitz und Maureen B. Fant (Hrsg.), Women’s Life in Greece and Rome. A sourcebook in translation, Baltimore, The Johns Hopkins University Press, 3. Aufl. 2005

22 Pomeroy, Frauenleben im klassischen Altertum, a.a.O.

23 Ebd.

24 James N. Davidson, Kurtisanen und Meeresfrüchte. Die verzehrenden Leidenschaften im klassischen Athen, München, Siedler Verlag 1999

25 Keuls, The Reign of the Phallus, a.a.O.

26 Abby W. Kleinbaum, The War against the Amazons, New York, New Press 1983. »Verwundet, geprügelt, besiegt und niedergemacht mit den Speeren der klassischen Helden, mit der moralischen Entrüstung der Kirchenväter und zahlloser Kämpfer für das Christentum, mit den Künsten und Kräften der Helden der Renaissance, mit der Unerschrockenheit und Gier der Conquistadores der frühen Neuzeit, leben die Amazonen doch fort und begegnen uns wieder und immer wieder in der westlichen Kultur«, schreibt Kleinbaum in Anspielung auf die Hartnäckigkeit des Amazonen-Mythos.

27 Aristophanes hat in seinen ebenfalls im 5. Jahrhundert entstandenen Komödien ganz ähnliche Themen aufgegriffen und Frauen porträtiert, die sich gegen die gesellschaftliche und politische Ordnung und bestehende Moralvorschriften auflehnen. Zweifellos spiegeln sich in seinen Stücken die Sorgen, Interessen und Zwänge seiner Zeit wider. Aus der Tatsache, dass sich die Stoffe und Motive in Tragödien und Komödien gleichen, können wir schließen, dass beide ein relevantes Bild ihrer Zeit wiedergeben.