Tin Star

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Aus der Reihe: Texas Ranches #1
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Tin Star
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Deutsche Erstausgabe (ePub) März 2021

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2006 by J.L. Langley

Titel der Originalausgabe:

»The Tin Star«

Published by Arrangement with J.L. Langley

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2021 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

Bildrechte Umschlagillustration

vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

Druckerei: CPI Deutschland

Lektorat: Katherina Ushachov

ISBN-13: 978-3-95823-872-5

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de


Aus dem Englischen

von Anne Sommerfeld

Liebe Lesende,

vielen Dank, dass ihr dieses eBook gekauft habt! Damit unterstützt ihr vor allem die*den Autor*in des Buches und zeigt eure Wertschätzung gegenüber ihrer*seiner Arbeit. Außerdem schafft ihr dadurch die Grundlage für viele weitere Romane der*des Autor*in und aus unserem Verlag, mit denen wir euch auch in Zukunft erfreuen möchten.

Vielen Dank!

Euer Cursed-Team

Klappentext:

Als Jamie sich vor seinem Vater als schwul outet, sitzt er plötzlich ohne Job und ohne Zuhause auf der Straße. Seine Rettung kommt unerwartet in der Gestalt von Ethan, dem besten Freund seines großen Bruders, der ihn ohne zu zögern auf seiner Ranch Tin Star aufnimmt. Jamie hat schon seit seiner Jugend Gefühle für Ethan, hat sich aber nie wirklich große Hoffnungen gemacht, dass diese erwidert werden könnten. Dementsprechend überrascht ist er, als Ethan tatsächlich auf seine Annäherungsversuche eingeht. Doch texanische Cowboys sind nicht gerade für ihre Toleranz bekannt und schon bald haben Jamie und Ethan mit Anfeindungen und Schlimmerem zu kämpfen und müssen sich fragen, ob es nicht besser wäre, die geliebte Ranch aufzugeben…

Widmung

Für Ann Lory. Ich wusste, dass du es schaffst! Glückwunsch! Du hast so hart gearbeitet und verdienst es!

Kapitel 1

Ethan hatte wieder mal viel zu lange vor dem Computer gesessen. Das war die eine Sache, die er daran hasste, die Ranch zu führen; er würde viel lieber draußen mit den Tieren arbeiten. Er sah vom Monitor auf, als er hörte, wie ein Pick-up die Schotterpiste zur Rückseite des Hauses entlangfuhr, und lauschte dann dem Knistern des Herbstlaubs, als jemand über die trockenen Blätter zur Veranda marschierte.

»Fuck! Fuck! Scheiße! Verdammt!« Ethan runzelte die Stirn, als Johns Stimme erklang. Die Hintertür wurde zugeknallt, dann wurden die Schranktüren geöffnet und wieder geschlossen.

Das war nicht gut. Ganz und gar nicht gut. Die Schimpftirade kam nicht unerwartet. Immerhin hatte John schon immer ein hitziges Gemüt gehabt, hatte aber noch nie geklungen, als wäre er den Tränen nahe. Eigentlich konnte er sich in den letzten 26 Jahren nur an eine Gelegenheit erinnern, bei der John geweint hatte, und das war beim Tod seiner Mama vor drei Jahren gewesen.

»Oh, Scheiße.«

Ethan speicherte seine letzten Änderungen an den Aufzeichnungen über die Herde ab und ging dann in die Küche, um herauszufinden, was John, seinen Freund seit der ersten Klasse, so aufwühlte. Vermutlich war ein gelegentlicher emotionaler Aufruhr ein geringer Preis, wenn man dafür jemanden hatte, dem man vertrauen und auf den man sich verlassen konnte und der zusätzlich nur ein Stück die Straße runter wohnte.

»Ethan? Bist du hier, Mann? Wo ist der verfickte Whiskey?!«

Er betrat die Küche in dem Moment, als Johns brauner Stetson über den Küchentisch rutschte. Ethan fing den Hut auf, bevor er zu Boden fiel. »Oberstes Regal in der Vorratskammer. Da ist eine Flasche Jack.« Barfuß tapste er durch den Raum, holte zwei Gläser und stellte sie auf den Tisch.

John brachte die Flasche, drehte den Küchenstuhl herum und setzte sich rittlings darauf. Er sah Ethan nicht an, sondern verschränkte einfach die Arme auf der Rückenlehne des Stuhls und legte seinen Kopf darauf.

Ethan schenkte ihnen ein und schob John anschließend sein Glas zu. Er kannte John gut genug, um ihm Zeit zu geben. John würde ihm sagen, was los war, wenn er bereit war; ihn zu drängen, würde das Unausweichliche nur hinauszögern.

John hob den Blick – seine blauen Augen waren blutunterlaufen – und stürzte den Whiskey mit einem Schluck hinunter. Mit dem Handrücken wischte er sich über den Mund und schob sein Glas dann zu Ethan, damit er es nachfüllte.

Ethan schenkte noch einmal nach und sah zu, wie John es austrank und dann nach der Flasche griff. Seufzend nahm er einen Schluck aus seinem eigenen Glas. Mann, das brennt. Er legte die Füße auf dem Stuhl neben sich hoch und wartete, dass John mit dem Trinken fertig wurde.

Schließlich hob John den Kopf und fuhr sich mit den Fingern durch seine kurzen schwarzen Haare, sodass sie von seinem Kopf abstanden. »Jamie ist schwul.«

Ethans Augen weiteten sich und er schluckte den Kloß in seiner Kehle hinunter. Seine Füße rutschten vom Stuhl und schlugen mit einem dumpfen Schlag auf dem Holzfußboden auf. Was zur Hölle sollte er dazu sagen? Er nahm sein Glas und trank den Rest seines Whiskeys aus.

James Killian. Jamie. Johns kleiner Bruder war ihnen auf Schritt und Tritt gefolgt, als er jünger gewesen war. Sie hatten nirgendwohin gehen können, ohne dass der Kleine versuchte, sich ihnen anzuschließen. Scheiße, Jamie war ein guter Kerl… selbst wenn er nicht mehr wirklich ein Kind war. Letzten Herbst war er 21 geworden.

»Er kommt heute Morgen einfach so ins Büro, während Dad und ich die Bücher durchgehen, setzt sich auf die alte Ledercouch und meint, dass er uns etwas sagen muss.«

»Also… er hat was? Einen Freund, den er mit nach Hause bringen will, oder so was?«

John starrte ihn ein paar Minuten lang an, dann schüttelte er den Kopf. »Weiß nicht. Ich habe absolut keine Ahnung. Scheiße, ganz kurz dachte ich, er würde uns nur aufziehen.«

»Und, was ist passiert?«

»Was meinst du mit Was ist passiert? Er hat uns gesagt, dass er schwul ist, und Dad hat ihn rausgeschmissen. Er hat Jamie rausgeschmissen, Ethan! Aus dem Haus und aus der Quad J!«

Ethan blinzelte. Jamie war nicht nur Johns Bruder, sondern auch der Vorarbeiter der Ranch. Obwohl ihre Schwester Julia nach San Antonio gezogen war und dort als Krankenschwester arbeitete, waren die Brüder auf der Familienranch Quadruple J geblieben. Jamie war geblieben, um John bei der Leitung zu helfen, als ihr Vater Jacob in den Ruhestand ging. John war jetzt der Ranchmanager, während ihr Vater ihre Arbeit überwachte. Jacob behauptete, er wolle sichergehen, dass sie es richtig machten.

»Was? Ist das nicht ein bisschen übertrieben? Er gehört zur Familie!«

John nickte und nahm einen weiteren, großen Schluck aus der Flasche. »Jepp, er hat ihm gesagt, dass er seinen Scheißarsch hier rausbewegen soll.«

»Was zur Hölle sollst du ohne Vorarbeiter machen? Scheiße, John! Das ist einfach beschissen!«

Sein Freund zuckte mit den Schultern und schwankte ein wenig zur Seite, ehe er sich mit einem Ruck wieder aufrichtete. »Tja, was soll'sch tun? Ich weiß nicht… will jetz' einfach n-nich' drüber reden….«

Ethan konnte die gelallten Worte kaum verstehen. Er stand auf und tigerte durch den Raum. »Was zum Teufel, Mann? Er ist dein Bruder! Wohin zur Hölle soll er denn gehen?«

John hob eine Schulter und fiel beinahe wieder vom Stuhl. »Weiß nich'… Ich hoff' einfach, dass'm gut geh'.«

Ethan eilte zu ihm, um ihn wieder aufzusetzen. »Hast du heute schon was gegessen?«

John schüttelte den Kopf. »Nur'n Whiskey.«

Kein Wunder, dass er so schnell so dicht war. Ethan zog ihn hoch und führte ihn ins Wohnzimmer.

John wehrte sich nicht, schnappte sich aber die Whiskeyflasche, als sie am Tisch vorbeigingen. »Wo geh'n wir hin?«

»Zur Couch, bevor du umkippst.« Ethan setzte John auf die Couch und ließ sich dann neben ihm auf den Sessel fallen. »Verdammt!«

Johns Kopf wackelte auf und ab und Ethan vermutete, dass es ein Nicken darstellen sollte. »Jepp… Sooo unblau-gli-blich. Mein kleiner Bruber… Hatte keine Ahnung. Kannst' das glau'm? Un' wie bei dir lie'm die Mä'chn ihn. Is' schon lustich…«

Ethan schüttelte den Kopf und sah auf, als die Whiskeyflasche aus Johns Hand rutschte. Er fing sie auf, bevor sie auslief, stellte den Alkohol auf den Couchtisch und lehnte sich anschließend wieder zurück, während er sich mit den Fingern durch die Haare fuhr. Was für ein Durcheinander!

Ethan vergrub das Gesicht in den Händen. Jamie war ein guter Kerl… Und auch ein gut aussehender Kerl. John hatte recht, eine Menge Frauen hatten versucht, seine Aufmerksamkeit zu erregen – und, was das anging, sicher auch Männer. Jamie verdiente es nicht, seine Familie wegen etwas so… Unwichtigem zu verlieren. Genauso wenig wie John. Sein Freund stand gerade vielleicht unter Schock, ganz zu schweigen davon, dass er betrunken war, aber Ethan wusste, dass John versuchen würde, Jamie zu finden, sobald er wieder klar denken konnte… Wie lange das auch immer dauern würde. Verflucht soll der alte Killian sein! Sturer, eigensinniger Mistkerl!

 

Ethan wusste besser als die meisten, wie es war, ohne Familie zu sein. Er und seine Tante Margaret waren alles, was von seiner übrig geblieben war. Seine Mutter war bei einem Autounfall gestorben, als er drei gewesen war, seinen Bruder hatte er im Irakkrieg verloren und dann war sein Vater vor fünf Jahren einem Herzinfarkt erlegen.

Johns lautes Schnarchen unterbrach seine Gedanken.

Ethan sah an sich selbst hinunter. Er trug eine graue Jogginghose und sein weißes Toby-Keith-T-Shirt. Er musste sich was anziehen und aus dem Haus raus, frische Luft schnappen und nachdenken, bevor er durchdrehte. Aber zuerst musste er herausfinden, ob er John helfen konnte… und Jamie. Er wusste nicht, was er tun konnte, aber er musste es wenigstens versuchen. Dass Jacob Killian seinen eigenen Sohn rausschmiss, passte ihm nicht. Er hatte eine Ranch. Das Mindeste, was er tun konnte, war, dem Kleinen einen Job und einen Schlafplatz in der Baracke anzubieten. Die Tin Star konnte immer einen guten Cowboy gebrauchen.

Er ließ John seinen Rausch auf der Couch ausschlafen und ging in sein Büro, um in seinem Adressbuch nach Jamies Handynummer zu suchen.

Verdammt! Er hatte den Kleinen immer gern gehabt, aber wer hätte gedacht…

***

Jamie fuhr an den Straßenrand und stellte den Motor aus. Wohin zum Teufel sollte er gehen? Er hatte 52 Dollar und 37 Cent in der Brieftasche. Alles, was er besaß, war auf der Quad J zurückgeblieben; alles außer den Klamotten, die er am Leib trug, und seinem Wagen. Er hatte keinen Job, keine Freunde, die keine Rancharbeiter waren, und seine Schwester wohnte anderthalb Stunden von hier entfernt. Und das würde auch nur unter der Voraussetzung funktionieren, dass Jules etwas mit ihm zu tun haben wollte. Er fragte sich, was sie sagen würde. Würde sie ihm sagen, dass er sich verpissen sollte? Oder würde sie den Zorn ihres Daddys riskieren und zu ihm stehen?

Er nahm seinen Hut ab und legte ihn umgedreht neben sich, ehe er sich frustriert mit beiden Händen durch die Haare fuhr.

Das war eines der dümmsten Dinge gewesen, die er je getan hatte. Wenn er sich selbst in den Arsch treten könnte, würde er es tun. Was zur Hölle hatte er sich dabei gedacht? Es war nicht so, als hätte es irgendeinen Grund gegeben, es seiner Familie zu sagen. Es gab niemand Besonderes in seinem Leben, also hätte er sich auch keine Gedanken darüber machen müssen, einen Typen mit nach Hause zu bringen, um ihn seiner Familie vorzustellen.

Allerdings hatte es jahrelang an ihm genagt, etwas zu sagen, und mitten in der letzten Nacht hatte er endlich den Mut aufgebracht, um es durchzuziehen. Er hatte die Neuigkeiten auf Teufel komm raus erzählen wollen, weil er es satthatte, Geheimnisse zu haben, weil er es satthatte, so zu tun, als wäre er etwas, das er nicht war. Er war die halbe Nacht wach geblieben und hatte geübt, wie er es ihnen sagen würde. Warum hatte er nicht einfach seinen verdammten Mund halten können?

Seufzend blinzelte er die Tränen weg. Er würde deswegen nicht weinen. Scheiß auf sie! Er hatte gewusst, dass sie nicht glücklich sein würden; er hatte sogar gewusst, dass es viel Geschrei geben würde, aber er hatte nicht erwartet, hochkant rauszufliegen. Scheiße, er wusste, dass sein Dad nicht der aufgeschlossenste Mensch war, aber er hatte immer zu seiner Familie gestanden… na ja, bis jetzt.

Es nützte nichts, er musste irgendwo unterkommen, bis er einen Job fand. Er wühlte in der Mittelkonsole nach seinem Handy, um seine Schwester anzurufen, als es klingelte.

Wo zur Hölle ist es? Nach dem zweiten Klingeln fand er es, ließ es aber beinahe fallen, als er sah, wer ihn da anrief.

Er schlug mit der Faust auf das Lenkrad. »Fuck!« Von all den Menschen, die ihn jetzt anrufen konnten… Was zum Teufel wollte er von ihm? Er tippte auf die Taste und hielt sich das Handy ans Ohr. »Killian.«

»Jamie?«

»Was willst du, Ethan? Hat John dich gleich angerufen?« Er atmete hastig ein. »Scheiße, Mann! Wenn du mir sagen willst, dass ich in die Hölle komme oder dass ich ein Freak bin und sich meine Mama im Grab umdreht, verschwendest du nur deinen Atem.«

Er hörte ein Seufzen, dann ertönte diese tiefe, sexy Stimme am anderen Ende der Leitung. »Eigentlich liegt er voll wie eine Haubitze auf meiner Couch. Wo bist du, Kleiner?«

»Warum zur Hölle willst du das wissen?«

»Hör zu, Jamie, lass den Scheiß. Ich bin nicht dein Feind. Ich hab nur angerufen, um zu sehen, ob ich helfen kann. Kannst du irgendwo hin?«

Jamie nahm das Handy vom Ohr und starrte es an. Was zur Hölle? Seine Augen brannten erneut und er spürte, wie ihm etwas Feuchtes übers Gesicht lief. Er hatte Ethan sein ganzes Leben lang vergöttert. War es möglich, dass der beste Freund seines Bruders ihn nicht hasste? Ethan und John waren sich immer einig gewesen – wie war es möglich, dass sie bei dieser Sache unterschiedlicher Meinung waren? Oder vielleicht suchte John nach ihm. Konnte es sein, dass John ihn nicht wie ihr Daddy zu Hackfleisch verarbeiten wollte? Ihm wurde klar, dass er eigentlich keine Ahnung hatte, was sein Bruder dachte. John hatte bei seiner Ankündigung einfach nur sprachlos dagestanden.

»Jamie?«

Er holte tief Luft und wischte sich mit dem Handrücken übers Gesicht. Anschließend legte er sich das Handy wieder ans Ohr und öffnete den Mund, um zu antworten, brachte aber kein Wort heraus.

»Jamie! Bist du noch dran?«

Als er seine Stimme wiederfand, brachte er nicht mehr als ein Flüstern zustande. »Ja… ja. Ich bin noch dran.«

»Hör zu. Dein Daddy wird an die Decke gehen, wenn er herausfindet, dass ich es dir angeboten habe, aber hoffentlich wird er letzten Endes nachgeben: Wenn du einen Job und eine Unterkunft brauchst, bis die Scheiße mit deiner Familie vorbei ist, hab ich ein leeres Zimmer in der Baracke. Und ich kann immer einen guten Helfer gebrauchen.«

Jamie schluckte. »Das ist nicht nur ein Versuch, mich zu dir zu holen, damit du und John mir etwas Verstand einprügeln könnt, oder?«

Die tiefe Stimme lachte ihm leise ins Ohr. »Nee.« Es folgten ein paar Sekunden Stille, ehe Ethan fragte: »Würde es was helfen?«

»Nein. Ich bin, was ich bin, Ethan. Ich habe es satt etwas vorzuspielen, und es ist mir scheißegal, was alle anderen denken. Wenn du und John also einen verkorksten Plan habt, um….«

»Hey! Deine sexuelle Orientierung interessiert mich einen Scheiß, Jamie. Wir… Scheiße, Kleiner… wir kennen uns schon so lange. Ich wollte nur sichergehen, dass du irgendwo hinkannst.«

Toll! Genau das, was er brauchte: Mitleid.

»Außerdem würdest du mir einen Gefallen tun. Seit Bobby weg ist, fehlt mir jemand.«

Jamie riss die Augen auf und starrte an die Decke, um die Tränen zurückzuhalten. Verdammt, es war so typisch Ethan, ihm eine Möglichkeit zu bieten, wenigstens seinen Stolz zu behalten. Er grinste. Ethan hatte immer die sozialen Fähigkeiten gehabt, die seinem Bruder fehlten. »Okay. Ich kann in einer Stunde da sein. Ist das in Ordnung?«

»Ja, klar. Wie schon gesagt, John ist hier. Ich glaube, dass du mit ihm reden solltest, allerdings ist er dazu gerade nicht in der Lage. Geh einfach zur Baracke, bring deine Sachen unter und entspann dich. Morgen kannst du dann anfangen zu arbeiten.«

Jamie ließ den Motor an und sah in den Rückspiegel. »Ehrlich gesagt hab ich keinerlei Zeug, Ethan. Nur meinen Pick-up. Ich melde mich bei Bill, wenn ich ankomme, und sehe, ob er Arbeit für mich hat.« Er fuhr wieder auf den Highway und hoffte, dass Ethans Vorarbeiter kein Problem mit einem neuen Rancharbeiter hatte… vor allem mit einem schwulen. Egal, was Ethan sagte, Jamie wusste verdammt gut, dass auf der Tin Star keine Kräfte fehlten, selbst wenn Bobby nicht da war, da Ethan neben seinen leitenden Aufgaben auch auf der Ranch arbeitete.

»Was meinst du damit, dass du kein Zeug hast?«

Er seufzte und wollte nicht wirklich zugeben, es so eilig gehabt zu haben, dass er nicht einmal daran gedacht hatte, seine Sachen zu holen. »Ich musste irgendwie echt schnell weg, weißt du?«

Ethan seufzte ebenfalls. »Ja, verstehe. Ich hab ein paar Klamotten, die dir passen sollten, bis wir deine Sachen holen können. John kann sich später darum kümmern. Komm einfach zurück. Ich sage Bill, dass du kommst.«

Nachdem Ethan aufgelegt hatte, schaltete Jamie sein Handy aus und warf es wieder in die Mittelkonsole. Auf dem Weg zur Tin Star lief Feed Jake im Radio. Scheiße! Genau das brauchte er jetzt, ein Lied über einen Hund, damit er sich schuldig fühlte, weil er Fred zurückgelassen hatte. Scheiße, er hatte seine Mädchen total vergessen. Fred und George waren immer noch auf der Quad J. Jamie stöhnte. Warum fühlte man sich im deprimierten Zustand bei jedem verdammten Lied im Radio nur noch deprimierter?

George würde klarkommen, sie war mit den anderen Pferden draußen auf der Ostweide und würde ihn wahrscheinlich ein paar Tage nicht vermissen. Aber Fred… Fred war sein Baby. Er hatte den kleinen Deutschen Schäferhund mit nach Hause gebracht, als sie gerade mal sechs Wochen alt gewesen war, und sie hatte seitdem jede Nacht am Fußende seines Bettes geschlafen. Wahrscheinlich suchte sie bereits nach ihm. Er hatte sie heute Morgen rausgelassen, als er ins Büro gegangen war, um mit Dad und John zu reden, und hatte sie dann ganz vergessen.

Verdammt! Was für ein beschissener Tag aus der Hölle! Er war nicht nur als Sohn und Bruder ein Versager, sondern war auch ein beschissener Daddy für seine Babys.

Kapitel 2

Ethan nahm seinen Hut vom Haken neben der Hintertür und ging zum Stall, um seinen Vorarbeiter Bill zu suchen. Nach seinem Telefonat mit Jamie hatte er seine Jogginghose gegen eine Jeans getauscht und sich dann entschieden, draußen etwas zu tun zu finden, damit John auf der Couch seinen Whiskeyrausch ausschlafen konnte. Die Aufzeichnungen über die Herde konnten warten. Er bezweifelte ohnehin, dass er heute viel Papierkram schaffen würde. Ihm gingen einfach zu viele Dinge durch den Kopf.

Er trat hinaus in den sonnigen Herbstnachmittag und zog seinen Strohhut etwas tiefer ins Gesicht, um seine Augen vor der Sonne zu schützen. Man musste das texanische Wetter einfach lieben; man wusste nie, was man von einem Jahr aufs andere bekam – eigentlich sogar von einem Tag auf den anderen. Letztes Jahr um diese Zeit hatte er bereits eine dünne Jacke getragen. Dieses Jahr war es noch immer ziemlich warm. Er hatte noch nicht einmal seinen Filzhut rausgeholt. Eigentlich war es sogar warm genug, um ein T-Shirt statt eines Hemdes tragen zu können.

Er fand Bill im Maschinenschuppen, wo er an dem Motor eines ihrer Traktoren arbeitete. Bill sah auf und nahm seine Baseballkappe ab, als Ethan hereinkam. Er wischte sich mit dem Unterarm über die Stirn und setzte die Kappe wieder auf. »Na, wen haben wir denn da. Hast du endlich den Hintern aus dem Bett geschwungen, Junge?«

Ethan grinste den älteren Mann an. Bill war auf der Tin Star Vorarbeiter, seit Ethan vier war, und hatte Ethan mindestens die Hälfte dessen beigebracht, was er darüber wusste, ein Cowboy zu sein und eine Ranch zu führen.

»Ich bin seit sieben wach und versuche, die Aufzeichnungen über die Herde zu überarbeiten.«

Bill schüttelte den Kopf und spuckte auf den Boden. »Sieben Uhr morgens. Du warst schon immer ein faules Stück.« Der Tadel wirkte nicht, weil sich ein Grinsen auf seinem alten, wettergegerbten Gesicht ausbreitete.

Ethan lachte leise. »Faul? Dann solltest du wissen, dass ich bis drei Uhr morgens wach war und Ed und Hayden geholfen hab, das Kalb auf die Welt zu holen.«

Bill nickte. »Jepp, gute Arbeit, Junge. Ich hab's mir heute Morgen angesehen. Mama und Baby scheint's gut zu gehen. Und da du diese Cowboys aus dem Bett geholt hast, kann ich wohl etwas nachsichtig mit dir sein.«

»Das ist überaus nett von dir, Bill. Hör zu, wir bekommen einen neuen Arbeiter. Ich dachte, er kann bei euch in der Baracke unterkommen, da wir das Extrazimmer haben.«

Bill kratzte sich am Kopf, drehte sich dann zu der Kühlbox um, die an der Wand stand, und nahm eine Cola heraus. Er hielt die Dose hoch. »Willst du eine?«

»Nee, danke.«

Bill öffnete den Verschluss, nahm einen Schluck und lehnte sich dann mit dem Rücken an die Wand. »Warum hast du noch jemanden eingestellt? Wir kommen zu Viert gut klar.«

Tja, Scheiße. Natürlich hatte er gewusst, dass Bill fragen würde, aber er hatte sich noch nicht entschieden, was er ihm erzählen würde. Und er wusste – so sicher, wie der Himmel blau war –, dass Bill noch misstrauischer werden würde, sobald er herausfand, wer der Neue war. Ethan seufzte und stützte die Unterarme auf dem Traktor ab.

 

»Es ist Jamie. Er hatte Krach mit seinem Daddy und Killian hat ihn rausgeschmissen.«

Bill riss die Augen auf. »Warum sollte der alte Mann so was Dämliches machen? Sie haben den Jungen gerade erst zum Vorarbeiter gemacht, als der alte Hank endlich in den Ruhestand gegangen ist. Der Junge ist ein verdammt guter Cowboy! Hank hat ihn selbst ausgebildet. Jamie ist blitzgescheit und kann gut mit Menschen und Tieren umgehen.«

Ethan nickte. »Ja, ich weiß. Sein Daddy wird wahrscheinlich wieder zur Vernunft kommen und ihn zurücknehmen, aber bis dahin hab ich ihm Arbeit und eine Unterkunft angeboten. Und wenn er bleibt, na ja… Vielleicht mache ich ihn zum Vorarbeiter, wenn du in den Ruhestand gehst.«

Ethan stieß sich vom Traktor ab, ging zur Kühlbox und nahm sich eine Cola. Hoffentlich würde Bill es dabei belassen. Er wollte bei dieser ganzen Sache wirklich nicht ins Detail gehen. Es war eine Familienangelegenheit und musste nicht öffentlich breitgetreten werden. Verdammt, der Kleine hätte den Mund halten sollen. Es gab keinen Grund, den Leuten seine Privatangelegenheiten zu erzählen.

»Ich hab vor einer Weile gesehen, wie John wie von der Tarantel gestochen hierhergefahren ist… Muss ein verdammt heftiger Streit gewesen sein. Na ja, es ist zu unserem Vorteil und ich hab ihn immer gemocht. Der Kleine arbeitet hart und kennt sich aus. Wenn du kein Problem mit ihm hast, hab ich auch keins. Ich mach Platz für ihn.«

»Ja, es wird funktionieren. John hat zwei Drittel vom Jack Daniels getrunken, den ich in der Vorratskammer hatte, deshalb schläft er sich gerade aus.« Ethan öffnete seine Dose, trank einen großen Schluck und warf sie dann auf dem Weg nach draußen in den Müll. »Danke, Bill.«

»Gern geschehen.«

Ethan trat in den hellen Sonnenschein hinaus und sah, dass sein Appaloosa auf ihn zutrottete. Gerade als er das Gatter erreichte, klingelte sein Handy. Er zog es von seinem Gürtel und klappte es auf. »Hier ist Ethan.«

»Oh mein Gott, Ethan! Daddy hat mich gerade angerufen. Er hat Jamie rausgeschmissen! Du musst ihn finden. Ich erreiche weder ihn noch Johnny. Jamie ist schwul, Ethan, und er hat es Daddy und Johnny erzählt und Daddy hat…«

»Whoa! Langsam! Jules, beruhige dich! John ist hier und Jamie auf dem Weg hierher.«

Julias Stimme verlor etwas von ihrer Hektik, aber der Wortschwall ebbte nicht ab. Wenn überhaupt, legte sie sogar noch einen Zahn zu. »Oh, Gott sei Dank! Geht's Johnny gut? Ich meine, kommt er damit klar? Großer Gott, Jamie! Ich hab mich immer gefragt, aber, na ja, ich wusste es nicht. Wusstest du es? Wusstest du, dass Jamie schwul ist?«

Ethan grinste, während er einen Fuß auf den untersten Balken des Gatters stellte. Im Kreis der Familie redete Julia immer in Rekordgeschwindigkeit und sie zählte ihn zur Familie. Kein Fremder, der sie außerhalb der Arbeit hörte, würde vermuten, dass sie Krankenschwester war. Und eine verdammt gute noch dazu. Vermutlich war das der Tatsache geschuldet, dass sie andernfalls bei ihrem Daddy und ihren zwei ungestümen Brüdern kaum zu Wort kommen würde.

»Also, Jules, wenn du mal kurz tief einatmen und mich auch zu Wort kommen lassen würdest, könnte ich deine Fragen beantworten.«

»Tut mir leid, Ethan. Ich bin nur… Ich hatte letzte Nacht von sieben Uhr abends bis sieben Uhr morgens eine Doppelschicht und dann hat mich Daddy mit seinem Anruf geweckt. Und du weißt, was für Sorgen ich mir um meine Brüder mache. Um euch drei.«

Ja, das wusste er. Julia war eine Glucke, nicht nur bei ihren Brüdern, sondern auch bei ihm. Es war überhaupt nicht wichtig, dass sie zwei Jahre jünger war als er und John und neun Jahre älter als Jamie.

»Nein! Du, dir Sorgen machen? Niemals!«

»Ethan Whitehall! Hör auf mich aufzuziehen und sag mir, was du weißt. Ich drehe hier durch.«

»Das ist irgendwie offensichtlich, Liebes.« Er atmete tief ein und tätschelte Spot, als das Pferd auf der Suche nach einem Leckerchen näher kam und ihn mit der Nase anstupste. Das verdammte Tier war so verwöhnt, dass es dachte, Ethan müsste ihm jedes Mal etwas mitbringen, wenn er aus dem Haus kam.

»Das ist, was ich weiß: John kam vor etwa anderthalb Stunden vorbei und hat endlos geflucht. Er hat fast eine ganze Flasche Whiskey getrunken, bevor er aussprechen konnte, dass Jamie ihm und eurem Dad eröffnet hat, dass er schwul ist. Dann ist er auf meiner Couch eingepennt. Ich hab Jamie angerufen; er schien nicht zu wissen, wo er hinsollte, also hab ich ihm gesagt, dass er auf die Tin Star kommen soll.« Ethan drehte sich um, lehnte sich rücklings an den Zaun, verschränkte einen Arm vor der Brust und wartete auf Jules' nächsten Schwall an Fragen.

»Und, was hält Johnny von der ganzen Sache? War er aufgebracht, weil Daddy Jamie rausgeworfen hat?«

»Ja, ich glaube schon. Ich glaube, er ist ziemlich aufgewühlt.«

Julie seufzte. »Meine armen Babys.«

Spot stieß zweimal seine Schulter an, schnappte sich dann seinen Hut und trottete damit durch den Pferch.

Ethan wirbelte herum und sah finster drein. »Du kleiner Scheißer! Komm sofort wieder her!«

»Hm?«

»Nicht du, Jules. Spot hat grad meinen Hut geklaut.«

»Oh.« Sie kicherte. »Weißt du, Ethan, das überrascht mich.«

»Dass Spot meinen Hut geklaut hat?«

Sie stöhnte. »Nein. Dieses Pferd ist eine Plage, das überrascht mich kein bisschen. Ich hätte gedacht, dass sich Johnny für Jamie einsetzt.«

Spot wieherte und warf mit Ethans Hut zwischen den Zähnen den Kopf vor und zurück, während er über die Koppel stolzierte.

Seufzend kletterte Ethan über den Zaun. Mit einem Handy am Ohr war das nicht leicht, aber es gelang ihm. »Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass er sich gegen euren Daddy stellt, oder? John leitet die Quad J und viele Leute verlassen sich auf ihn. Er kann nicht einfach kündigen, nur weil euer Daddy nicht tut, was er Johns Meinung nach tun sollte. Außerdem sind alle Cowboys homophob… na ja, außer die, die schwul sind. Und die meisten dieser Jungs sind schlau genug, um die Klappe zu halten und so zu tun, als wären sie auch homophob. Deshalb verstehe ich nicht, warum Jamie es nicht für sich behalten hat.«

»Ja, aber Johnny beschützt Jamie normalerweise. Immerhin ist er sein kleiner Bruder. Außerdem hat er dich immer sehr unterstützt.« Ethan hörte, wie sie tief einatmete und schluckte, ehe sie herausplatzte: »Wusstest du, dass Jamie schwul ist?«

Er stöhnte, war sich aber nicht sicher, ob es wegen Julia oder Spot war, der gerade außerhalb seiner Reichweite herumtänzelte. »Nein, ich wusste nicht, dass er schwul ist. Soweit ich weiß, gibt es kein Schwulen-Register. Und es ist ja nicht so, als hätte ich ein übersinnliches Gaydar oder so was.« Endlich war der Cowboyhut in Reichweite und er zog ihn Spot aus dem Maul. »Gib her, du Nervensäge.«

»Sei kein Klugscheißer, Ethan! Ich hab nur gefragt. Was wird Daddy davon halten, dass du Jamie aufnimmst?«

Ethan setzte sich den Hut wieder auf und kletterte zurück über den Zaun. »Ich weiß nicht, aber ich konnte den Jungen nicht einfach… Ach, Scheiße! Du, deine Familie und meine Tante Margaret seid alles, was ich habe, Jules. Ich konnte Jamie das nicht allein durchstehen lassen – auch wenn er selbst schuld ist, weil er seine persönlichen Angelegenheiten ausgeplaudert hat. Euer Daddy wird schon irgendwann einlenken… hoffentlich.«

»Tja, Ethan, nicht jeder sieht die Dinge so wie du. Es gibt keinen Grund, warum seine Familie nicht wissen sollte, dass er schwul ist. Himmel, wahrscheinlich hatte er es satt, dass John und ich ihm die ganze Zeit Mädchen vor die Nase gesetzt haben.« Sie seufzte erneut. »Du und Johnny seid schon seit einer Ewigkeit Freunde und ich will nicht, dass es deshalb Probleme zwischen dir und Daddy gibt. Das könnte dir allerhand Schwierigkeiten machen, er könnte sogar seinen Sitz im Stadtrat nutzen, um alle gegen dich aufzubringen. Seid ihr nicht auch Partner in so einer neuen Steakhouse-Sache?«