Buch lesen: «Mondschein»
J.D. David
Mondschein
Legenden von Valorien
Legenden von Valorien
Mondschein
J.D. David
Impressum
© 2016 J.D. David
Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
ISBN 978-3-7418-3739-5
Printed in Germany
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Prolog 755 St. Gilbert
König Thanhold von Valorien stand auf dem Wehrgang von Burg Eisentor. Sein Blick war gen Süden gewandt. Die Arbeiten des Feindes waren bald abgeschlossen. Überall waren die Soldaten in den rot-weißen Farben Kargats zu sehen. Bogenschützen, Speerträger, und insbesondere die gefürchteten kargatianischen Schwertkämpfer, mit ihren starken Rüstungen und großen Schilden. Insgesamt maß die Streitkraft des Feindes über fünftausend Mann, angeführt von des Königs Sohn, Kronprinz Beorn. Doch weniger waren es die Männer des Feindes, die dem König Sorgen bereiteten. Es waren die Belagerungswaffen, die am gesamten feindlichen Ufer aufgestellt waren. Der Feind hatte schwere Triboke aufgebaut, die die starken Mauern der Burg Eisentor brechen sollten. Und bald würden sie so weit sein. Bald würde der Angriff starten, und die Hölle über die tapferen Männer Valoriens hereinbrechen.
Burg Eisentor war die erste und wichtigste Verteidigungslinie Valoriens. Sie war das Tor zu dem Land König Thanholds. Würde sie fallen, dann war der Weg durch die weiten Ebenen Valoriens offen, über die vielen kleinen Gehöfte und Dörfer bis zur Hauptstadt Elorath. Die mächtigen Mauern der Feste waren bis zu fünfzehn Schritt hoch und ragten direkt aus den Fluten des großen Flusses Calas. Die Front der Burg wurde von vier Türmen geziert, Mächtige an den Ecken der Burg und zwei weitere die das Tor umschlossen. Das Tor selbst war gut acht Schritt breit und komplett aus Stahl. Von außen war es mit dem Wappen Valoriens geziert, in der Mitte ein nach unten zeigendes Schwert, das oben, rechts und links von drei Sternen umrandet war, die für die drei Herzogtümer standen. Auch auf den Zinnen der Feste waren die blauen Banner mit den silbernen Zeichen zu sehen, die seit jeher die Könige Valoriens zierten.
Nachdem man das stählerne Tor der Burg passiert hatte, endete das Königreich Valorien. Und dort lag die Brücke, die die beiden verfeindeten Reiche Valorien und Kargat trennte. Oft hatten beide Seiten versucht die Brücke zu zerstören, aber nichts konnte dem Bauwerk aus den Zeiten des Alten Reiches etwas anhaben. Sieben Pfeiler aus Marmor stützten die gut gepflasterte Straße, die über die Brücke verlief. Ebenso wie das Tor der Burg Eisentor war auch die Brücke gut acht Schritt breit. Auf der anderen Seite des Flusses endete die Brücke lediglich in einer befestigten Toranlage mit zwei Türmen, die weit weniger mächtig war als die valorische Grenzburg, doch Kargat konnte durch seine überlegene Mannesstärke eine Invasion aus Valorien stets aufhalten. Viele Legenden rankten sich um diese Brücke sowie die zweite, kleinere Brücke, die weiter östlich die beiden Reiche verband. Man erzählte über Zauberei des Alten Reiches, über die Baukunst der Altvorderen und weiteres, das erklären konnte, wieso die beiden Brücken nicht zerstört werden konnten. Zumindest mit keiner Macht, die in Valorien oder Kargat bekannt war.
König Thanhold drehte sich um und sah seinen engsten Getreuen in die Augen. Dort waren die beiden Herzöge Sylvius von Tandor und Helmbrecht von Rethas. Ersterer wirkte deutlich jünger als er war, denn die Kraft strotzte aus seinem entschlossenen Blick und den noch vollkommen schwarzen Haaren, trotz seiner über vierzig Jahre. Helmbrecht dagegen war schon grau, und nur an dem ordentlich gestutzten Vollbart erkannte man die einst rötliche Färbung der Haare. Neben beiden standen die Freiherren Heinrich von Goldheim und Victor von Andtweil, Ritter Roland von Corben und natürlich sein engster Untergebener, Freiherr Geron von Dämmertan, den Thanhold selbst einst in Knappschaft genommen und bis zum Ritterschlag begleitet hatte. Alle sechs waren Ritter Valoriens, die anerkanntesten und edelsten Krieger des Reiches. Seit jeher gab es höchstens zehn Ritter, jeder hatte einen Platz im Rittersaal der Kronburg in Elorath. Den Rittern stand nur noch der König vor, als elfter dieses erlesenen Kreises. Thanhold wusste die östliche Brücke von drei weiteren Rittern unter der Führung des Freiherrn Arthur von Freital bewacht und somit sicher. Der Letzte der Zehn, der Herzog von Fendron, war auf dem Weg um die Streitkräfte der Burg Eisentor zu verstärken. Doch noch war er nicht eingetroffen, was dem König große Sorgen machte.
„Geron, haben wir schon Neuigkeiten von Herzog Richard von Fendron gehört? Wird er bald eintreffen?“, fragte er seinen langjährigen Freund und Untergebenen.
„Nein, Königliche Majestät, haben wir leider nicht“, antwortete dieser in seinem gewohnt zackigen und militärischen Ton. Der König nickte nachdenklich. Er schaute wieder über die Mauer hinweg. Die feindlichen Truppen sammelten sich bereits. Es würde nicht mehr lange dauern, und der Angriff würde beginnen. Vielleicht sogar noch heute, spätestens morgen im ersten Licht der Sonne.
„Majestät, Ihr müsst eine Entscheidung treffen. Vielleicht noch einige Stunden, dann wird der Feind angreifen. Wir wissen nicht, wie lange unsere Mauern gegen diese Belagerungsmaschinen standhalten werden. Ihr müsst entscheiden, wie wir nun vorgehen. Wir können uns nicht mehr auf Herzog Richard verlassen. Wir müssen den Männern, die wir hier haben, vertrauen“, rief Freiherr von Goldheim den König aus seinen Gedanken. Dieser wandte seinen Blick wieder in den eigenen Burghof, wo die Soldaten Valoriens alles auf den nahenden Sturm vorbereiteten. Das Tor wurde noch weiter verstärkt, Pfeile auf den Wehrgängen platziert, und die Soldaten bereiteten sich vor, rüsteten sich, schliffen ihre Waffen. Es fehlte den Männern von Valorien nicht an Entschlossenheit, aber König Thanhold sorgte sich um die Anzahl. Fünftausend Feinden mit schweren Belagerungsmaschinen standen nur etwa eintausend Verteidiger entgegen. Und wenn die Angreifer genug Zeit hatten, würden sie die gesamte Burg in Schutt legen, bevor sie diese dann stürmten.
Thanhold richtete seinen Blick zu seinen Rittern: „Wir können hier nicht tatenlos verharren. Wir können nicht warten, bis die Triboke der Kargatianer unsere stolze Burg zerschmettern und unsere Männer abschlachten. Wir können nicht darauf warten, dass sie das Tor nach Valorien öffnen. Du hast Recht, Heinrich, wir können nicht mehr auf Herzog Richard warten. Er könnte morgen eintreffen, er könnte aber auch erst in einigen Tagen, Wochen eintreffen, wenn alles bereits zu spät ist. Geron, wie viele Reiter können wir aufbringen.“
„Vierhundert der Männer können wir bestimmt auf Pferde setzten, vielleicht fünfhundert. Seit die Truppen aus Tandor angekommen sind, haben wir einen guten Nachschub an Pferden.“
Der König nickte zufrieden.
„Gut. Helmbrecht, du bleibst hier und ordnest alle Männer, die nicht mit uns reiten. Bereite dich darauf vor die Burg solange wie möglich zu halten, sollten wir nicht erfolgreich sein“, befahl der König dem schon alten Herzog von Rethas, der mit ernstem Blick den Befehl mit einem „Jawohl, mein König!“, bestätigte.
„Alle anderen Ritter reiten mit mir. Wir werden mal sehen, ob dieser Sohn einer Hure einen Angriff der valorischen Reiter erwartet. Also, meine Ritter. Auf, auf, die Altvorderen blicken an diesem Tag auf uns.“ Der König zog sein Schwert und reckte es in die Luft. Wie in einer Bewegung zogen die Anwesenden sechs Ritter ihre Schwerter. Es handelte sich hier nicht um normale Schwerter. Sie waren nicht nur von edelstem Material, sondern offensichtlich auch meisterlich geschmiedet, das konnte sogar ein Laie erkennen.
„Treu und Ehr!“ rief der König.
„Valorien!“, stimmten die sechs Ritter ein und drehten sich fort, um ihre Aufgaben zu erfüllen.
„Prinzliche Majestät, unsere Truppen sind, wie Ihr befohlen habt, bereit zum Angriff auf das Eisentor. Auch unsere Artillerie ist jetzt bereit, die Mauern der Burg unter Beschuss zu nehmen. Wir warten nur noch auf Euren Befehl. Sollen wir noch heute Nachmittag den Angriff starten? Oder wünscht Ihr erst im Morgengrauen anzugreifen?“, fragte General Taskor Graufels den Oberbefehlshaber der kargatianischen Truppen vor der Burg Eisentor. Er schaute hoch zu dem Prinzen. Der Erbe der Königswürde Kargats war ein stattlicher Mann, der viele seiner Diener überragte. Sein Leib war durch viele Jahre des Kampfes gestählt und zwei kleine Narben zierten sein Gesicht, verliehen ihm eine herausragende Stärke. Diese wurde von den kurzen schwarzen Haaren und dem dunklen Dreitagebart untermauert.
Kronprinz Beorn erhob sich aus seinem Thron, der im Heerführerzelt des kargatianischen Heerlagers stand. Der Thron war recht einfach, aus Holz gefertigt mit hohen Armstützen. Auf der Rückenlehne, über dem Kopf des Kronprinzen, war das Wappen Kargats eingearbeitet. Auf einem viergeteilten rot-weißen Hintergrund war mittig eine Krone zu sehen, zusätzlich war im oberen Teil links auf rotem Grund ein weißer Stern und rechts auf weißem Grund ein roter Stern abgebildet. Der Sitz war mit den Fellen verschiedener Tiere gepolstert.
„Gut, General. Ich wünsche noch heute anzugreifen. Sie dürfen heute Nacht nicht mehr ruhig schlafen. Befiehl den Männern Aufstellung zu nehmen, die Triboke sollen auf meinen Feuerbefehle warten. Lass mein Pferd satteln, und meine Leibgarde soll sich bereit machen, ich werde die Schlacht selbst anführen.“
Der General salutierte kurz und zackig. „Jawohl, mein Herr. Wir sind in einer Stunde angriffsbereit.“
Taskor fluchte innerlich. Er hielt es für keine besonders gute Idee, bereits heute Nachmittag anzugreifen. Natürlich, wenn man noch länger wartete war es möglich, dass Valorien noch Verstärkungen erhalten würde. Aber der Nachmittag war einfach zu kurz, um einen solch massiven Angriff sinnvoll zu starten. In seinen Gedanken versunken wollte General Taskor gerade das Zelt verlassen als der Eingang aufgeschlagen wurde und ein Bote, der offensichtlich sehr in Eile war, hereingeplatzt kam. Sofort verbeugte er sich ehrfurchtsvoll, als er vor dem General stand und den Kronprinzen im hinteren Teil des Saales sah.
„Was willst du?“ fuhr der General den Boten an. Dieser musste erstmal Luft holen, bevor er antworten konnte.
„Prinzliche Majestät, Euer Gnaden, das Eisentor... Es hat sich geöffnet. Und König Thanhold... Er... Er... Er greift uns an.“, keuchte er.
General Taskor schaute schockiert zu Kronprinz Beorn, der sowohl ihn als auch den Boten mit einem bösen Blick bedachte. Der Kronprinz hatte mit vielem gerechnet, mit der Verteidigungsstärke der Valoren, mit ihrer Durchhaltestärke, mit der Härte der Mauern oder des berühmten Tores, aber niemals, niemals hätte er mit einem Angriff gerechnet. Waren ihre Truppen nicht deutlich überlegen? Waren sie nicht die Angreifer? Was dachte sich dieser König Thanhold nur? Was passierte hier?
„General, sofort, alle Mann sollen Aufstellung nehmen. Meine Leibgarde zu den Pferden. Wir werden den valorischen Schweinen zeigen, wo sie ihr Hochmut hinführt.“
Wütend stampfte Beorn aus dem Zelt, dicht gefolgt von General Taskor.
Geron von Dämmertan blickte über die Schulter hinweg über die Männer, die hinter ihnen waren. Sie hatten es wirklich geschafft, gut fünfhundert Reiter zu stellen. Er blickte in entschlossene Gesichter. Alle waren sich der Verantwortung bewusst, die jeder hier gegenüber ihrem Reich und Heimat Valorien hatte. Jeder wusste, dass einige den Abend nicht mehr erleben würden. Doch alle waren bereit, hier an diesem Tage hinter König Thanhold zu reiten. Geron wendete seinen Blick wieder nach vorne. Dort schwangen gerade die beiden schweren Flügel des Eisentors auf und gaben den Blick auf die Brücke über den Calas preis. Auf der anderen Seite war ein Meer aus rot-weiß zu sehen. Doch der Ritter erkannte, dass der Feind auf einen Angriff nicht vorbereitet war. Dieses Überraschungsmoment war es, auf den der waghalsige Plan des Königs baute. Oben auf den Mauern stand Helmbrecht von Rethas mit entschlossenem Blick. Er wusste genau, dass sein hohes Alter einen solchen Plan nicht mehr wirklich erlaubte, dennoch war der alte Ritter traurig darüber, nicht mit seinen jungen Gefährten mit reiten zu können. Sollten sie scheitern, so würde er Burg Eisentor halten, und wenn es seinen letzten Tropfen Blut kosten würde.
König Thanhold wandte sich noch einmal an seine treusten Untergebenen, um die Befehle zu bestätigen: „Sylvius, mein alter Gefährte, du nimmst die linke Flanke, Victor, du wirst die Reiter der rechten Flanke befehligen, Heinrich, du befehligst die Nachhut, Roland, Geron, euch möchte ich an meiner Seite wissen. Achtet darauf, dass alle Triboke zerstört werden. Aber haltet euch nicht zu lange auf. Ihr wisst, dass ich auch einige Männer lebend wieder sehen will. Wenn eure Aufgabe erfüllt ist, dann zieht euch in die Mitte zurück, von dort aus werden wir uns gemeinsam wieder nach Burg Eisentor zurückziehen“
Vor den fünf Rittern war nur noch die Leibgarde des Königs mit ihren schwer gepanzerten Pferden und großen Schilden. Auch wenn sie kaum Beschuss durch den Feind erwarteten, war dies wohl doch ein guter Schutz gegen feindliche Bogenschützen. In der Mitte vor dem König vorweg ritt der Hauptmann der Garde mit dem Banner Valoriens.
„Hauptmann, das Banner!“, rief der König laut und der Hauptmann reckte das blau-silberne Banner in die Höhe. König Thanhold drehte sich zu seinen Männern um.
„Tapfere Recken, Krieger, Männer Valoriens. Die Altvorderen blicken an diesem Tage auf uns. Burg Eisentor ist die Pforte in unsere Heimat. Reiter, ihr werdet heute diese Pforte verteidigen. Der Feind wird die Kraft Valoriens spüren. Auf, meine treuen Untertanen, auf zu Ruhm und Glorie. Treu und Ehr.“
„Valorien!“ erschallte es aus so vielen Kehlen, dass die Mauern der Burg erzitterten und selbst der Feind auf der anderen Flussseite dies hören musste. Dann begab sich der Heertross in Bewegung.
Die Brücke erzitterte unter hunderten von Pferdehufen. Maximal fünf Pferde ritten nebeneinander, was das Bild aber nicht weniger eindrucksvoll machte. Ein scheinbar unendlicher Strom aus valorischen Reitern floss auf die Toranlage zu. Das Tor stand weit offen, da die kargatianischen Truppen ihren eigenen Angriff vorbereitet hatten. Entsprechend waren auch die Türme stark unterbesetzt, die Hauptkraft der Armee Kargats befand sich noch im Heereslager hinter dem Tor. Die Verteidiger versuchten gerade noch das Tor zu schließen, um den Sturm aufzuhalten, doch schnell erkannten sie, dass es bereits zu spät war.
Das Tor war noch nicht halb geschlossen, als die ersten Pferde durch die Verteidiger brachen. Obwohl diese noch Speere hochgerissen hatten konnte die schwere Reiterei nicht mehr aufgehalten werden. Wie ein Keil stießen die valorischen Reiter hinter ihrem König in die Kräfte des Feindes. König Thanhold wurde von vorne und hinten von seiner Leibwache abgeschirmt, an den Seiten waren seine Ritter, sodass dieser zu diesem Zeitpunkt noch keinem Feind begegnen musste. Kurz orientierend schaute er sich nach links und rechts um. Das Torhaus war im Prinzip bereits genommen. Seine Reiter, die nach und nach von der Brücke kamen, schlugen den letzten, kleinen Widerstand nieder. Seine Ritter und Anführer waren noch unverletzt, was ihn deutlich beruhigte. Der erste Teil des waghalsigen Angriffs war gelungen. Thanhold sah, wie sich die Hauptmacht des Feindes sammelte und als Front aus rot-weiß auf ihn zukam. Ihr Angriff durfte nicht stoppen.
„Die Flanken ausbrechen!“ befahl er laut und Herzog Sylvius von Tandor und Freiherr Victor von Andtweil führten ihre Truppen in energischem Galopp am Flussufer entlang auf die feindlichen Belagerungsmaschinen zu.
Während die Soldaten aus Kargat noch ziemlich ungeordnet durch das Lager liefen war die gesamte Reiterei Valoriens am Tor angekommen. Dort war der letzte Widerstand endgültig niedergeschlagen worden, einige Überlebende liefen auf der großen Straße, die den kleinen Flussdeich etwas abwärts ins Heerlager führte. Der König wusste, dass sie möglichst schnell den Angriff fortführen mussten, um den Vorteil der Überraschung nicht zu verlieren. Dennoch ließ er seine Truppen sich kurz formieren.
„Auf Männer, für unsere Heimat, schickt die verdammten Kargatianer dorthin zurück, wo sie entsprungen sie. Treu und Ehr!“
Mit einem lauten Ruf „Valorien“ rollte die Reiterei wie eine Welle den Hügel hinunter, auf das Heerlager des Feindes zu. König Thanhold sah sein Ziel, das sich gerade vor dem Zelt des Heerführers sammelte. Von seiner Leibgarde umgeben stand dort unter der rot-weißen Flagge Kargats der Feind, den es zu töten galt. Kronprinz Beorn.
Herzog Sylvius von Tandor durchstieß den Leib des kargatianischen Artilleristen mit seinem Schwert. Die Klinge durchglitt die leichte Rüstung des Soldaten ohne großen Widerstand zu erfahren und drang durch den Brustkorb des jungen Mannes. Röchelnd ging dieser zu Boden und gesellte sich damit zu den anderen kargatianischen Soldaten. Sie hatten bereits den zweiten Tribok erreicht und seine Reiter zerstörten diesen gerade.
„Gut. Auf weiter! Uns stehen noch zwei dieser Maschinen bevor, dann können wir unserem König beistehen“, rief er zu seinen Männern und trieb sie zum nächsten Tribok an.
In Gefechtsformation galoppierten sie auf die nächste der Maschinen zu. Sylvius sah mit besorgter Miene die feindlichen Soldaten, die sich mittlerweile bei dem Tribok gesammelt hatten. Bei den ersten beiden Stellungen war ihnen kaum geordneter Widerstand entgegengetreten, dafür war ihr Vorteil der Überraschung noch zu groß gewesen. Aber der Feind schlief nicht und hatte mittlerweile die Absichten der valorischen Reiter durchschaut. Der Hauptangriff auf das Lager, der vom König geführt war, war hauptsächlich Ablenkung, um von den Flankenangriffen auf die Triboke abzulenken. Die kargatianischen Soldaten am Tribok hatten eine passable Defensivformation aufgebaut. Die etwa einhundert Mann bestanden aus Schwertkämpfern und Speerträgern, die abwechselnd in Formation standen. Eine wirklich harte Nuss, besonders für Kavallerie. Aber sie hatten weder Zeit noch Raum, eine andere Taktik als den Frontalangriff zu wählen. Sylvius atmete tief durch.
„Wir müssen da jetzt durch. Treu und Ehr.“, rief er und seine Männer brüllten ein langgezogenes „Valorien!“ als sie auf den Feind zu galoppierten.
„Verdammt!“ brüllte Beorn, als er auf seinem Pferd sitzend Richtung Tor schaute. Er hatte gerade erfahren, dass es offensichtlich einen Ausfall gab, aber dass sie schon das Tor durchbrochen hatten, das hatte er wirklich nicht erwartet. Er war von Versagern umgeben, soviel war sicher. Also musste er das jetzt selbst in die Hand nehmen. Er trieb sein Pferd an und ritt weiter nach vorne, als der Hauptangriff gerade begann.
„Alle Mann zur Verteidigung vorbereiten. Bildet drei Verteidigungslinien mit Schilden und Speeren. Dahinter alles was wir an Schützen haben.“
Die Offiziere gaben die Befehle so schnell wie möglich weiter. Dennoch war sich Kronprinz Beorn sicher, dass sie den Angriff nicht stoppen konnten. Obwohl sie zahlenmäßig weit überlegen waren, war der Haufen, der sich Armee nannte, viel zu unkoordiniert, um die valorischen Reiter zu stoppen. Von wegen bereit zum Angriff. Taskor würde etwas zu hören kommen, wenn das hier zu Ende war.
„General Taskor, diese Reiter müssen aufgehalten werden.“, brüllte der Kronprinz seinen General an.
„Jawohl Prinzliche Majestät, darf ich auf die Flankenausfälle des Feindes hinweisen?“, antwortete dieser.
„Das ist mir doch egal. Diese Welle muss gestoppt werden, dann holt unsere Infanterie diese Schweine schon von ihren Gäulen. Und General, ich rate dir, meine Erwartungen zu erfüllen, oder ich werde sehr ungehalten. Also, auf! Du koordinierst die Verteidigung von vorne.“, brüllte Beorn zurück und schaute sich an, wie Taskor mit einem Nicken verschwand.
Die von König Thanhold angeführte Reiterei bildete erneut einen Keil, um in das Heerlager des Feindes einzudringen. König Thanhold war sich bewusst, dass seine berittenen Truppen ihren großen Vorteil innerhalb der kleinen Zeltstadt verlieren würden. Also galt es möglichst geschlossen durch den Feind auf den Oberbefehlshaber zuzureiten.
Die ersten Versuche einer Verteidigungslinie wurden recht schnell gesprengt. Um sie herum spürte der König erneut die Anzeichen einer Schlacht. Er hatte schon viele gefochten, und kannte die Bilder und Gerüche nur zu genau. Er hörte die Schreie der Männer, er hörte das Stöhnen der Sterbenden und das Wiehern der Pferde. Er roch den Geruch der Schlacht, die Pferde, den aufgewirbelten Schlamm, den Schweiß und das Blut. Sein Schwert färbte sich langsam rot, als sie die zweite Verteidigungslinie erreichten. Die ersten zwei seiner schwer gepanzerten Gardisten waren bereits gefallen. Obwohl auch weitere Reiter zurückblieben lichteten sich ihre Reihen nicht merklich. Und seine beiden treuen Ritter, Geron und Roland, blieben standhaft an seiner Seite.
Der König blickte nach vorne. Die Linie des Feindes war stärker geworden, der Sturm aus Valorien war vorerst gestoppt worden, doch der Kronprinz war schon deutlich in Sicht. König Thanhold hatte das Gefühl ihm für einen kurzen Moment direkt in die Augen zu schauen. Er sah Unbehagen in den Augen des jungen Heerführers. Aber auch Hochmut und Arroganz. Thanhold würde dem Jungspund schon zeigen, was Krieg bedeutete.
„Geron, ich möchte dort durch. Nimm einige der besten Männer und brich diese verdammte Reihe!“
Geron von Dämmertan ritt aus der vordersten Reihe heraus und winkte einige Männer zu sich, die ihm folgten. Er galoppierte an der Schlachtreihe entlang zwischen die Zelte. Einige herumlaufende Männer mussten das Schwert des Ritters spüren, bevor sie sich wirklich zur Wehr setzten konnten.
„Los Männer, wir müssen die Flanke aufreiben, sodass der König die Reihen durchstoßen kann. Für Valorien! Für den König!“, rief er und griff die linke Flanke des Gegners an.
Sylvius von Tandor riss es unvermittelt aus dem Sattel und er wurde nach vorne geschleudert. Sein Pferd schrie auf und ging zu Boden, nachdem sich ein kargatianischer Speer in dessen Leib gebohrt hatte. So schnell wie es in seiner schweren Rüstung ging, rappelte sich der Herzog wieder auf, orientierte sich und sah sich hinter den feindlichen Reihen. Umgehend war er von mehreren Feinden umgeben.
Sylvius sah, dass die Reiterei die feindlichen Linien an mehreren Stellen durchbrochen hatte und nun die kargatianischen Truppen aufrieb. Aber jetzt musste er sich erstmal seiner eigenen Haut erwehren. Mit einem schnellen Ausfall nach vorne versuchte er aus der ungünstigen Situation zu entfliehen. Ein Schlag des Schildes brachte den nächsten feindlichen Soldaten aus dem Gleichgewicht und er durchbohrte ihn mit seinem Schwert. Gerade wollte er aus der Lücke ausbrechen, als er aus dem Augenwinkel einen nahenden Axthieb sah, den er mit hochgerissenem Schild abwehren konnte. Dennoch warf ihn der Schlag zurück zwischen die kargatianischen Soldaten.
Er spürte einen Schwertschlag auf seine linke Schulter und einen weiteren Schlag an seinen Oberschenkel, der ihn einknicken ließ. So schnell wie er konnte fuhr er herum und schlug einen weiteren Angreifer mit seinem Schild nieder. Er parierte einen weiteren Schwerthieb mit seiner Klinge und versenkte sie, nachdem er den Angreifer ins Leere laufen ließ, in dessen Brust.
Er spürte den nächsten Schlag in seinen Rücken. Schmerz durchzog seinen Körper. Ein Hieb auf seinen Helm raubte ihm endgültig die Orientierung. Er hörte die Schreie der Männer, er hörte seinen eigenen keuchenden Atem. Schmerzvoll spürte er, wie ein Speer einen Weg durch seine Rüstung fand. Sein Schwert entglitt ihm aus seinen Händen. Er sah noch die Klinge der valorischen Ritterschaft zu Boden fallen, dann wurde alles schwarz um ihn.
„Celan“, flüsterte er noch. „Mögest du ein würdiger Erbe sein“.
Dann ging Herzog Sylvius von Tandor das letzte Mal zu Boden.
Kronprinz Beorn sah mit Schaudern, wie die valorische Reiterei der zweiten Verteidigungslinie in die Flanke fiel und diese komplett aufrieb. Langsam wurde er unruhig.
„Meine Leibgarde, schart euch um mich.“, rief er und die schweren Reiter schirmten ihn weiter ab. Nur noch durch eine kleine Lücke konnte er die Vorkommnisse der Schlacht sehen. Kurz erwog er, sich zurück zu ziehen, aber der Befehl seines Vaters war klar gewesen: Durchbrecht das Eisentor, mit allen Mitteln!
Würde er sich jetzt zurückziehen, wäre diese Chance endgültig vertan. Und außerdem konnte es nicht sein, dass ein zahlenmäßig deutlich unterlegener Feind die Hauptmacht der kargatianischen Streitmacht aufrieb. Er würde hier standhaft bleiben, bei seiner Ehre.
Die dritte Verteidigungslinie, die in den Hoffnungen des Kronprinzen eigentlich standhalten sollte, wurde geradezu weggefegt, von der hinter König Thanhold stürmenden Reiterei. Es gab nicht mal viel Gegenwehr. Mit Furcht in den Augen hielten viele der dort stehenden Männer nicht stand, zogen sich zurück, zerstreuten sich. Der größte Fehler, den man bei einer heranstürmenden Kavallerie begehen konnte.
Beorn zog seine Streitaxt aus dem Halfter am Sattel. Er hielt nicht viel von Schwertern. Eine wahre Waffe des Krieges war nun einmal die Axt. Und er würde diesen herannahenden Sturm aus Valorien aufhalten. Hier und jetzt.
„Zum Angriff!“, brüllte er und seine Leibgarde und der Rest der kargatianischen Kavallerie stürmten König Thanhold entgegen.
Geron von Dämmertan schloss nach seinem erfolgreichen Manöver wieder zu seinem König auf. Mit einem ernsten Nicken honorierte dieser den Erfolg, konzentrierte sich dann aber wieder auf den Sturm der dritten Verteidigungslinie.
Sie hatten mittlerweile viele tapfere Krieger verloren, von den einstigen fünfzehn Mann der königlichen Leibwache waren nur noch sechs übrig, Ritter Roland war am Bein verletzt, biss aber die Zähne zusammen. Er war ein wahrer Dickkopf, und solch eine kleine Wunde konnte ihn nicht davon abhalten, die wohl wichtigste Schlacht seines Lebens zu schlagen. Also ritten sie weiter, dem Banner mit dem Schwert und den drei Sternen hinterher auf den Feind in rot-weiß zu.
Der Sturm der Kavallerie Valoriens wurde mit dem Gegenangriff des Kronprinzen Kargats zum Erliegen gebracht. Schnell bildete sich ein Kampf Reiter gegen Reiter heraus. Nach und nach umschloss die kargatianische Infanterie die Reiter, auch wenn es der valorischen Nachhut noch gelang, den Weg zum Rückzug freizuhalten. Von den Reitern von Herzog Sylvius und Freiherr Victor war noch nichts zu sehen, sie schienen noch mit dem Angriff auf die Triboke beschäftigt.
König Thanhold stieß sein Schwert in den Bauch eines Reiters aus Kargat. Er sah noch, wie sich der weiße Teil dessen Wappenrocks rot färbte und der Reiter dann von seinem Pferd kippte. Neben ihm hatten Roland und Geron ebenfalls ihre Feinde getötet.
Der König streckte sein Schwert in den Himmel. Sofort sammelte sich der Rest seiner Leibgarde um ihn, alle unter dem Banner des Königs. Thanhold hatte die gesamte Zeit den jungen Kronprinzen Beorn im Auge. Dann gab er seinem Pferd die Sporen und ritt weiter auf sein Ziel zu. Nur noch wenige Schritte, dann hatte er ihn erreicht. Er sah wie einer seiner Leibgardisten von einem Speer durchstochen vom Pferd fiel. Der Speerträger konnte sich jedoch seines Erfolges kaum erfreuen, da sein Schädel sofort darauf von Gerons Schwert gespalten wurde.
Nur noch fünf Schritte.
Zwischen ihnen befanden sich nur noch einige Leibgardisten des Kronprinzen. Der König drängte weiter nach vorne. Die beiden kargatianischen Reiter wurden von Roland und Geron besiegt. Außer diesen befanden sich nur noch drei Leibgardisten in Thanholds Nähe. Dann war niemand mehr zwischen ihm und dem Kronprinzen.
Mit einem letzten Tritt trieb er sein Pferd bis zu dem Prinzen und hob sein Schwert zum Schlag.
Beorn bereitet sich auf den Angriff vor. Schnell sah er, dass seine Leibgarde die Angreifer nicht für immer aufhalten konnte. Zurückweichen war keine Möglichkeit.
„Gebt Taskor das Zeichen.“, befahl er nach hinten. Dort wurde ein Hornstoß gegeben. Dann sah Beorn den Angriff ankommen. Der Kronprinz erkannte sofort, dass es sich um den König handeln musste. Seine edle Rüstung, sein Aussehen, das war definitiv König Thanhold. Der Kronprinz erkannte die dunkelbraunen Haare, die aus dem Helm ragten, und die gleiche Farbe besaßen wie der Bart, der jedoch von ersten grauen Strähnen durchzogen war. Das Gesicht des Königs wirkte hart, entschlossen, und kampferfahren. Beorn hob sein Schild, das unter dem Schlag des Königs erzitterte. Er erkannte ein böses Funkeln in den braunen Augen seines Feindes. Sofort hob er seine Axt zum Gegenangriff.
Obwohl seine Schläge langsamer waren als die Schwerthiebe seines Gegners, steckte in diesen mehr Kraft. Thanholds Schild erzitterte, als die Axt darauf landete. Die Axt hinterließ eine deutliche Kerbe. Der König lenkte sein Pferd näher an Beorns, um den Geschwindigkeitsvorteil seines Schwertes besser ausnutzen zu können. Er ließ eine Folge von mehreren Hieben auf den Gegner nieder, welche Beorn aber mit seinem Schild abwehren konnte. Aus der Deckung heraus startete der Kronprinz einen Angriff, mit dem Thanhold nicht gerechnet hatte. Die Axt hackte sich an den oberen Rand des Schildes an und zog diesen nach vorne. Thanhold sah mit Schreck noch den Schild seines Feindes, der auf ihn zukam, als er schon getroffen war.
Kurz wurde ihm schwarz vor Augen und er spürte, wie er sein Gleichgewicht und damit seinen sicheren Sitz im Sattel verlor. Mit einem metallischen Klirren schlug er auf der Erde auf.