Buch lesen: «Ein Ende»
I
Alle Welt weiß es, alle Welt sagt es, die Rasse der kleinen Tyrannen ist in Rußland ausgestorben oder nahezu; indessen glaube ich, noch einem begegnet zu sein, und dieses Individuum schien mir eigenartig genug, um mich zu veranlassen, meinen Lesern eine Vorstellung davon zu geben.
Es war im Monat Juli, in voller Sommerhitze, in jener schrecklichen Zeit des Jahres, die die Bauern die »Leiden« genannt haben. Ich wollte sowohl mein Pferd wie mich vor der drückenden Hitze in Sicherheit bringen und flüchtete unter das breite Schutzdach einer Herberge an der Landstraße, deren Besitzer, einen früheren »dvorovoi«, Leibeigenen eines adligen Herrn, ich gut kannte. In seiner Jugend war er ein magerer, schmächtiger Bursche gewesen, jetzt war er ein dicker, wohlbeleibter Kerl mit noch dichtem, aber schon ergrauendem Haar, dicken rundlichen Händen und einem Stierhals. Er trug gewöhnlich einen dünnen Kaftan, der von einem engen Gürtel aus Seidenborte gerafft wurde; weder Strümpfe an den Füßen noch Krawatte am Hals; über einem Beinkleid aus schwarzem Baumwollvelours flatterte das Hemd. Dank seiner Intelligenz hatte er sich ein recht nettes Vermögen gemacht, ohne Argwohn oder Haß zu erregen, was selten bei uns ist. Ich hatte einen Samowar und Tee bestellt; dies Getränk ist während der Hundstage so erfrischend wie bei den stärksten Winterfrösten wärmend.
Alexeijitsch – so hieß mein Wirt – hatte sich zu mir gesetzt, eine Taffe zu trinken, die ich ihm aus Artigkeit angeboten und er aus Höflichkeit angenommen hatte.
Wir plauderten von den Ernten, die gut zu werden versprachen, insbesondere von der Heuernte, die glücklich hereingebracht war, und ein paar vereinzelten Fällen von Rinderpest, als Alexeijitsch plötzlich die Hand auf den Mützenschirm legte, wie um ihn zu verlängern und rief: »Aber da kommt ja unser Raubvogel! Man kann nicht von kranken Tieren sprechen, ohne daß dieses Subjekt auftaucht!«
Ich sah nach der Richtung, wohin Alexeijitschs Finger wies, und erblickte auf der Straße eine recht merkwürdige Equipage auf uns zukommen. Es war ein offener, niedriger, vierrädriger Wagen mit einem breiten Sitz auf dem Vorderteil und hinten mit einer Art Lederkorb, der von einem ebenfalls ledernen Spritzleder bedeckt war; dazu lederne Säcke, eine alte Jagdtasche, eine lange Flinte, die etwas von einem türkischen Karabiner hatte, eine dicke Kürbisflasche, ein Haufen Lappen und Lumpen aller Art, ein enormer Priesterhut, zwei tote Wildenten, eine andere Ente, aber vom Geflügelhof, die ängstlich quiekte neben zwei Hühnern mit gesträubtem Gefieder, die sich offenbar in ihr Schicksal ergeben hatten. Das alles lag und hing bunt durcheinander, erbarmungswürdig von den Stößen des Vehikels geschüttelt, während ein armes schwarzes Kaninchen, auf seinen Läufen sitzend, furchtsam an ein paar Gemüseblättchen schnupperte, die aus den Spalten des Korbes hervorsahen.
Der Mann, der mit gekreuzten Beinen wie ein Türke auf dem Sitz thronte, war nicht weniger merkwürdig als seine Equipage. Es war ein ziemlich hübscher Bursche in den Dreißigern, trotz der Hitze angetan mit einem ganz neuen Schafpelz, über die Hüften eingeschnürt mit einem zirkasischen Gurte. Eine zirkasische Mütze aus langem Kamelhaar fiel ihm in Fransen rings um den Kopf. Er hatte sehr große, helle und harte Augen; seine Wangen, deren Knochen rund, rot und von Fältchen gefurcht waren, zeigten ständig ein impertinentes Lächeln, das noch durch das Rümpfen einer gut gezeichneten Adlernase betont wurde. Ein langer gekräuselter Schnurrbart zeichnete sich über einem immer rafierten Kinn aus, denn der Mann, der ihn trug, wollte weder für einen Bauern, noch für einen Kaufmann und noch weniger für einen Priester gelten.
Sobald er uns bemerkt hatte, hielt er sein Pferdchen mit einem Ruck an und rief uns mit einer Trompetenstimme zu: »Hallo! He! Ihr Väterchen! Seid Ihr draußen, um ein bißchen Luft zu schöpfen? Dein Bauch kann es brauchen, daß du ihn lüftet, Karp Alexeijitsch!«
»Wer ist denn der Herr?« fragte ich leise meinen Wirt.
»Ach«, antwortete dieser, »es ist jemand, dem ich Euch bei Dunkelwerden zu begegnen nicht raten würde – – – besonders, wenn Ihr ein Pferd zuviel habt – – – er würde schnell ein Plätzchen dafür finden – – – Ein großer Pferdeliebhaber!« fügte er mit bitterem Lächeln hinzu.
»Guten Tag, Platon Sergejitsch«, fuhr mein Wirt laut fort und berührte mit der Fingerspitze den Schirm seiner Mütze.
»Wo kommen Sie her? Aus der Stadt?«
»Aus der Stadt? Was habe ich denn in der Stadt zu tun, wenn's beliebt? Reichgewordene Leute zu sehen wie dich? Oder etwa Bureauhasen, die nichts tun als einem in die Hand gucken, um zu sehen, ob da nichts ist, was sie an sich nehmen könnten…?«
»Na, na«, versetzte mein Wirt, »da ist schon lange nichts mehr zu holen… Aber sagen Sie doch, Platon Sergejitsch, was ist das für eine Menagerie, die Sie mit sich herumschleppen? Was wollen Sie denn damit?«
»Das ist ein Zeichen, mein Lieber«, sagte Platon, »daß ich mich als Kaufmann etablieren will – – – warum auch nicht? Weil ich adlig bin? Was ist dabei? Weil mein Urahn Hosen aus Goldstoff getragen hat, die ihm Tamerlan geschenkt hatte? Ubrigens geht dich das alles gar nichts an! Da, kauf' mir lieber dieses Paar Enten ab! Sie sind eben erst geschossen worden! Von der besten Sorte!«