Buch lesen: «Tödliche Vetternwirtschaft»

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Irene Dorfner

Tödliche Vetternwirtschaft

Leo Schwartz ... und die Giftmorde

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Impressum

VORWORT

ANMERKUNG:

1.

2.

3.

4.

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6.

7.

8.

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10.

11.

Liebe Leser!

1.

2.

Von der Autorin sind bisher folgende Bücher erschienen:

Über die Autorin Irene Dorfner:

Impressum neobooks

Impressum

Copyright © 2015 Irene Dorfner

Copyright © 2. Auflage/2017 Irene Dorfner

Copyright 3.überarbeitete Auflage 2020 –

© Irene Dorfner, Postfach 1128, 84495 Altötting

www.irene-dorfner.com

Lektorat FTD-Script Altötting

EarL und Marlies Heidmann, Erkelenz

Cover-Design: Vanja Zaric, D-84503 Altötting

VORWORT

„Da flehen die Menschen die Götter um Gesundheit an, und wissen nicht, dass sie die Macht darüber selbst besitzen.”

Demokritos

Ich wünsche ganz viel Spaß beim Lesen des 12. Falles mit Leo Schwartz & Co.!!

Liebe Grüße aus Altötting

Irene Dorfner

ANMERKUNG:

Die Personen und Namen in diesem Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Der Inhalt des Buches ist reine Fantasie der Autorin. Auch hier sind Ähnlichkeiten rein zufällig. Die Örtlichkeiten wurden den Handlungen angepasst.

und jetzt geht es auch schon los:

1.

Ein riesiges Feuer brannte in dieser Einöde und sah dabei einem Scheiterhaufen gleich. Der alte Bauernhof wurde hell erleuchtet. Einige Männer, es müssten über 20 sein, standen mit Bierflaschen in der Hand um dieses Feuer und sangen, nein, sie brüllten irgendwelche Lieder, die er nicht verstand. Aber was und wie sie sangen, klang bedrohlich und schüchterte ihn ein. Was zum Teufel war hier los?

Ungläubig verfolgte er zitternd vor Angst und Kälte, was hier abging. Mehrfach glaubte er zu träumen, das Ganze war einfach zu unwirklich. Er lag in der sternenklaren Nacht hinter einem Hügel und war von dem Geschehen etwa 100 Meter entfernt. Näher traute er sich nicht, denn um den Bauernhof gab es nichts, was ihm sicheren Schutz bieten konnte. Seinen Wagen hatte er auf einem Feldweg geparkt und nachdem er sah, was sich vor seinen Augen abspielte, betete er darum, dass weder er, noch sein Wagen entdeckt würde. Alles in ihm brüllte: Weg hier, so schnell wie möglich! Aber er hatte so viel Angst, dass er sich nicht getraute, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Er befürchtete, dass alleine sein Atem ihn verraten könnte. Er zog sich deshalb die Mütze vom Kopf und hielt sie vor Mund und Nase. Seine Glieder waren längst steif geworden, was er überhaupt nicht wahrnahm, zu sehr fesselten ihn die Geschehnisse. Wie lange war er schon hier? Er hatte längst jedes Zeitgefühl verloren, es hätten Minuten oder auch Stunden sein können.

Die Stimmung unter den Männern änderte sich. Es war still geworden, dieses fürchterliche Gebrüll hatte aufgehört und er hörte nur noch die gespenstische Stille der Nacht, was fast noch unheimlicher war. Einer der Männer kam aus dem Haus und entfaltete jetzt feierlich und unter zunehmenden Begeisterungsrufen ein Tuch, das dann an der Fahnenstange an der Seite des Bauernhofes mit zunehmendem, immer stärkerem Beifall gehisst wurde. Er konnte es nicht glauben: Hier, mitten in der Einöde Oberbayerns, vor den Toren des beschaulichen Wallfahrtsstädtchens Altötting am heutigen Ostermontag 2015 wurde im Beisein einer Gruppe brüllender, klatschender Männer eine Hakenkreuzfahne gehisst!

2.

„Ich wurde von einer Bekannten gebeten, einen Todesfall zu überprüfen,“ sagte Rudolf Krohmer, Leiter der Polizeiinspektion Mühldorf, als er mit seinen Kollegen der Mordkommission an diesem sonnigen Dienstagmorgen des 7. April im Besprechungszimmer saß. Das vergangene Osterwochenende war außergewöhnlich ruhig gewesen, obwohl man zu solchen Familienfesten immer mit dem Schlimmsten rechnen musste. Für den Großteil der Polizisten bestand zu diesen Feiertagen eine Urlaubssperre, von der die Beamten und deren Familien verständlicherweise nicht begeistert waren. Aber es war nun mal so: An Familienfeiertagen wurde die Polizei am häufigsten gerufen.

„Wir sollen einen Todesfall überprüfen? Wenn der nicht bei uns gelandet ist, gehe ich davon aus, dass es sich dabei um eine natürliche Todesursache handelt. Das ist nicht Ihr Ernst Chef,“ maulte Viktoria Untermaier, die nichts von diesen Klüngeleien hielt, mit denen sich Krohmer immer wieder abgab. Die 48-jährige, nur 1,65 m große Frau mit der sehr weiblichen Figur war die Leiterin der Mordkommission und hasste es, wenn sie sich mit solcher Arbeit herumschlagen musste.

„Ich weiß, wie sich das anhört. Bevor Sie vorschnell urteilen, hören Sie sich die Sache wenigstens an.“

„Von mir aus,“ sagte Leo Schwartz, der bisher nicht den Eindruck hatte, dass sich der Chef mit unsinnigen Geschichten auseinandersetzte, denn für ihn war Krohmer ein intelligenter und besonnener Mensch, der das Herz auf dem rechten Fleck hatte. Leo mochte Krohmer sehr. Er hatte ihm von Anfang an die Eingewöhnung in Mühldorf nach seiner Versetzung von Ulm hierher sehr einfach gemacht und ihn immer fair und gerecht behandelt. Und obwohl er dazu neigte, seine eigenen Wege zu gehen, um ans Ziel zu kommen, hatte ihm der Chef immer wieder den Rücken gestärkt und hatte ihm stets vertraut.

„Bei meiner Bekannten handelt es sich um eine Spielkameradin aus frühen Kindertagen, wir sind quasi Tür an Tür aufgewachsen. Ihr Name ist Susanne Bruckmayer, wir sind uns am Sonntag während der Ostermesse über den Weg gelaufen. Ich war sehr überrascht, sie nach so vielen Jahren wieder zu sehen und ich habe sie anfangs überhaupt nicht erkannt, schließlich haben wir uns seit fast 35 Jahren nicht mehr gesehen. Sie ist inzwischen aufgrund einer Erkrankung pensioniert, sie war viele Jahre in leitender Position beim Jugendamt in München beschäftigt. Ihre Eltern sind letztes Jahr kurz hintereinander verstorben, wodurch sie das Haus in Mühldorf geerbt hat und wieder hierher gezogen ist.“

„Das ist ja alles sehr rührselig und für manche auch bestimmt interessant. Aber um was geht es denn jetzt genau?“ Viktoria Untermaier war genervt von der Lebensgeschichte der Unbekannten, für die sie sich nicht interessierte.

„Susanne hatte einen Bekannten, der kürzlich urplötzlich verstorben ist. Aus heiterem Himmel.“

„Das soll vorkommen,“ brummte Viktoria.

„Auf dem Totenschein wurde Herzversagen als Todesursache angegeben, aber Susanne glaubt nicht daran. Sie kannte den Verstorbenen sehr gut, vor allem in den letzten Wochen hatte sie viel Zeit mit ihm verbracht. Sie hat mich inständig gebeten, der Sache nachzugehen.“

„Und auf welche Grundlagen stützt sich die Vermutung Ihrer Bekannten?“

„Nur eine Ahnung. Beweisen kann sie natürlich nichts. Aber Susanne ist keine Frau, die sich Hirngespinsten hingibt. Sie steht mit beiden Beinen auf dem Boden und ist sehr intelligent. Sie hat mich davon überzeugen können, die Sache zu überprüfen.“ Krohmer merkte selbst, dass seine Gründe sehr dünn waren. Trotzdem hatte er versprochen, sich der Sache anzunehmen, sonst hätte Susanne keine Ruhe gegeben. Außerdem hatte er die Sorgen in ihren Augen gesehen.

„Du meine Güte,“ stöhnte Viktoria, „da haben Sie sich aber ganz schön einlullen lassen. Wie lange haben Sie die Frau nicht mehr gesehen? 35 Jahre? Sie meinen wirklich, dass Sie die Frau noch so gut einschätzen können? Vergessen Sie’s Chef.“

„Ich habe ihr mein Wort gegeben und würde es sehr begrüßen, wenn sich zwei von Ihnen der Sache annehmen. Hören Sie sich bei der Familie, bei Freunden, Arbeitskollegen und Bekannten des Verstorbenen um. Machen Sie sich ein eigenes Bild und urteilen Sie selbst. Mehr verlange ich nicht.“

„Ich finde, das hört sich nicht verkehrt an. Ich würde das gerne übernehmen,“ sagte Hans Hiebler begeistert. Der 53-jährige, 1,80 m große sportliche und sehr attraktive Mann umgab heute wieder ein sehr betörender Herrenduft, der den anderen fast die Luft nahm. Da kein aktueller Mordfall anstand, lagen alte Mordfälle auf dem Schreibtisch, die die Mordkommission durchzuarbeiten hatte. Er hasste diese Arbeit, mit der sie sich in regelmäßigen Abständen herumplagen mussten. Er machte viel lieber ordentliche, alte Polizeiarbeit. Am liebsten draußen unter Menschen und nicht am Schreibtisch. Man sagt ja, Papier ist geduldig – Hans Hiebler war es in dieser Hinsicht nicht.

„Ich begleite dich,“ rief Leo schnell und kam damit dem neuen Kollegen Sebastian Kranzbichler, genannt Wastl, zuvor, der ebenfalls wie Leo und Hans diese Arbeit nicht mochte und eine Abwechslung witterte. Kranzbichler war enttäuscht; jetzt musste er mit dieser mies gelaunten Viktoria die alten Fälle allein überarbeiten, was bestimmt kein Vergnügen werden würde.

„Ich bedanke mich für Ihr Entgegenkommen, ich weiß das sehr zu schätzen,“ strahlte Krohmer über den Enthusiasmus der Kollegen. „Hier ist die Sterbeurkunde, die ich in weiser Voraussicht mitgebracht habe. Ich wusste ja, dass ich mich auf meine Leute verlassen kann.“ Er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Es handelt sich bei dem Toten um einen gewissen Gerald Haferstock, der am Donnerstag den 19.03.2015 gegen 7.30 Uhr in Töging nahe des Wasserschlosses tot aufgefunden wurde. Der 55-jährige Mann war beim Joggen zusammengebrochen. Eine Obduktion wurde aufgrund der festgestellten Todesursache nicht angeordnet. Haferstock war nicht verheiratet und hatte keine Kinder. Seine betagte Mutter lebt in Altötting, hier ist die Adresse. Hören Sie sich um und verschaffen Sie sich einen persönlichen Eindruck. Sie können auch gerne mit Susanne Bruckmayer sprechen, ihre Adresse habe ich ebenfalls notiert.“

„Gerne Chef. Wir fahren sofort los und melden uns direkt bei Ihnen.“

„Viktoria ist heute sehr schlecht gelaunt. Hattet ihr Zoff?“

„Nein, ihr Gemütszustand hat nichts mit mir zu tun,“ sagte Leo Schwartz. Der 50-jährige Schwabe war seit einigen Monaten mit Viktoria liiert, sie wohnten inzwischen sogar schon zusammen. „Letzte Woche kam ein Einschreiben eines Notars aus Eggenfelden. Viktoria wurde über den Tod einer Tante ihres Exmannes informiert. Sie wurde von dieser Tante testamentarisch berücksichtigt und wurde gebeten, in drei Wochen bei diesem Notar zu erscheinen. Sie mochte die alte Dame sehr und hat sofort telefonisch zugesagt, bis ihr schließlich wenig später bewusst wurde, dass sie dort ihrem Exmann über den Weg laufen könnte. Jetzt ärgert sie sich über sich selber und hat seitdem schlechte Laune. Ich finde das alles amüsant und könnte mich totlachen.“

„Das findest du witzig?“

„Natürlich! Wie kann man nur so schnell und ohne nachzudenken reagieren? Gerade der immer besonnenen Viktoria passierte dieser Fauxpas. Sie hat mich gebeten, sie zu begleiten, aber darauf kann ich gerne verzichten. Ich möchte ihrem Exmann nicht über den Weg laufen. Du hast diesen unsympathischen Kotzbrocken doch selbst kennenlernen dürfen. Erinnerst du dich?“

„Sicher erinnere ich mich an Andreas Untermaier. Der harte Kerl von der Spezialeinheit, der beim Sinderhof-Fall in Tüßling die Hosen gestrichen voll hatte. Ich stand direkt neben ihm und Viktoria, als sie ihm mit einem gezielten Schlag die Nase gebrochen hatte.“

Die beiden mussten lautstark lachen, bis sie Tränen in den Augen hatten, denn der muskulöse und durchtrainierte Andreas Untermaier gab damals ein äußerst jämmerliches Bild ab.

„Wenn ihr der Termin bei diesem Notar so unangenehm ist, warum schlägt sie das Erbe nicht einfach aus?“

„Hab ich ihr auch schon vorgeschlagen, mehrfach sogar. Aber sie mochte diese Tante, was ich ihr nicht ganz glaube, denn sie konnte sich kaum an deren Namen erinnern. Ich bin davon überzeugt, dass sie neugierig ist, was ihr vermacht wurde. Du kennst doch Viktoria.“

„Das muss es sein,“ sagte Leo, als er den Wagen vor dem Grundstück in Altötting-Süd parkte. „Hier wohnt die Mutter des Verstorbenen.“

„Donnerwetter! Das nenne ich ein Anwesen!“ rief Hans beeindruckt. Er liebte diese alten Stadthäuser, die für ihn ein gewisses Flair ausstrahlten, das Neubauten einfach nicht hatten. Schon allein deshalb würde er nie aus dem alten Bauernhaus ausziehen, das er von seinen Eltern geerbt und inzwischen modernisiert hatte. Die Felder und Wiesen waren längst verkauft, aber das Bauernhaus selbst würde er niemals hergeben.

Sie klingelten an dem schmiedeeisernen Tor und hatten die Überwachungskamera längst bemerkt, die nun mit einem Summen direkt auf sie gerichtet war. Leo und Hans hielten ihre Ausweise ins Sichtfeld der Kamera, worauf der Öffner des Tors summte. Der Weg zum Haus war wunderschön angelegt. Zwischen den alten Wegplatten lugte nicht ein einziges Unkraut hervor, die Bepflanzung war akkurat geschnitten. Die Tür wurde geöffnet und eine Frau Mitte vierzig stand vor ihnen.

„Kommen Sie herein. Schuhe bitte sauber abtreten! Frau Haferstock duldet keinen Schmutz in ihrem Haus.“

Sie folgten der Frau mit dem energischen Gang in ein riesiges Wohnzimmer, das mit teuren, schweren Möbeln und dicken Teppichen ausgestattet war.

„Die beiden Herren sind von der Polizei. Soll ich Kaffee machen?“

„Nein danke Paula, die Herren werden nicht lange bleiben. Setzen Sie sich bitte. Was kann ich für Sie tun?“

Die alte Frau saß mit einer dicken Wolldecke im Rollstuhl und war weit über 80 Jahre alt. Die stahlblauen Augen waren hellwach und sie sah die Beamten argwöhnisch an.

„Wir sind wegen Gerald Haferstock hier.“

„Wegen meinem Sohn? Warum? Stimmt etwas nicht mit Geralds Tod? Ich wurde darüber unterrichtet, dass er an Herzversagen gestorben ist, was mich wegen seinem unsteten Lebenswandel nicht überrascht hat. Warum also sind Sie hier? Nun sagen Sie schon und spannen mich nicht länger auf die Folter.“ Elisabeth Haferstock war nicht nur resolut, sondern auch sehr ungeduldig.

„Es gibt einige Ungereimtheiten, denen wir nachgehen müssen,“ antwortete Leo rasch, dem die Situation sehr unangenehm war. Hans hingegen hatte sich zurückgelehnt und sagte kein Wort. Er überließ Leo die Befragung und beobachtete jede Regung der Frau. „Dem Totenschein haben wir entnommen, dass Ihr Sohn während dem Joggen am Inn-Ufer in Töging zusammengebrochen ist. Hatte er irgendwelche Vorerkrankungen?“

„Nicht, dass ich wüsste.“

„Wann haben Sie Ihren Sohn zuletzt gesehen?“

„Ich gehe davon aus, dass Sie sich bereits mit mehreren Personen unterhalten haben, die nicht sehr gut auf mich zu sprechen sind. Die Leute reden viel, wenn der Tag lang ist. Vor allem, wenn der Neid in ihnen aufsteigt, schließlich sind wir eine privilegierte, wohlhabende Familie, die es nur mit Disziplin, Fleiß und Verzicht so weit gebracht hat. Egal, was Ihnen die anderen erzählen, mein Sohn und ich hatten trotz aller Umstände ein gutes Verhältnis. Gerald kam regelmäßig vorbei und hat nach mir gesehen. Das letzte Mal war er zu meinem Geburtstag am 3. März hier.“ Die Züge um ihren Mund wurden noch strenger.

„Was hat Ihr Sohn beruflich gemacht?“

„Er war Architekt. Ich kann nicht beurteilen, ob er seine Arbeit gut gemacht hat, ich verstehe nichts von diesem Metier und ich habe mich auch nie dafür interessiert. Seit drei Generationen gab es nur Anwälte in unserer Familie und ich kann behaupten, dass die Kanzlei Haferstock viele Jahre eine feste Institution in Altötting war. Wir trotzten Kriegen und Wirtschaftskrisen und haben uns während der ganzen Zeit nie etwas zu Schulden kommen lassen. Natürlich sollte Gerald ebenfalls die juristische Laufbahn einschlagen und dann die gutgehende Kanzlei übernehmen, so war es zumindest immer geplant. Aber mein Sohn hat sich trotz guten Zuredens geweigert, Jura zu studieren und hatte sich lieber der Architektur zugewandt. Gerald war nicht davon abzubringen und schließlich haben wir uns damit abgefunden. Naja, die Architektur war immer noch besser als irgendwelche Geisteswissenschaften.“

„Sie haben vorhin den unsteten Lebenswandel Ihres Sohnes erwähnt. Was verstehen Sie darunter?“

„Abgesehen von seinem Beruf, der ihn auf dreckige Baustellen führte, meine ich auch die vielen Vergnügungen, denen er nachgegangen ist. Feiern und Reisen zu den entlegensten Winkeln der Erde war seine Passion. Mein Mann und ich sind nie viel gereist, wir haben immer nur gearbeitet und sind unseren Pflichten nachgegangen, irgendwelche Vergnügungen waren uns fremd. Darüber hinaus meine ich auch seine abartige Zuneigung zu Männern, die er offen ausgelebt hat. Widerlich! Er hat damit dem Ruf der Familie sehr geschadet und wollte auch der Familie und der Anwaltskanzlei zuliebe nicht auf diese Neigung verzichten. Wir haben ihn angefleht, diese Neigung im Verborgenen auszuleben, aber er wollte sich nicht verstecken und bestand darauf, so zu leben, wie er es für richtig hielt. Was will man da machen? Wir haben uns schließlich widerwillig auch damit abfinden müssen. Ich kann mich in der ganzen Familiengeschichte nicht an einen einzigen Mann erinnern, der auch unter dieser Veranlagung gelitten hat.“

Für die alte Frau Haferstock war Homosexualität eine abartige Krankheit. Leo wollte etwas darauf erwidern, aber Hans hielt ihn zurück. Für ihn war es sinnlos, mit dieser Frau darüber zu diskutieren.

„Hatte Ihr Sohn Feinde?“

„Aber nein, wo denken Sie hin. Alle mochten meinen Gerald, er war überall beliebt und hatte einen sehr großen Freundeskreis. Gerald hatte schon als Kind immer ein Lächeln auf den Lippen, kannte keinen Neid und war sehr hilfsbereit. Geschäftlich war er sehr erfolgreich, obwohl man ihm nachsagt, dass er ein sehr harter Verhandlungspartner war. Zumindest das hatte er von seinem Vater geerbt.“

„Hatte er einen festen Lebenspartner?“

„Um Gottes Willen, das weiß ich nun wirklich nicht. Als er mir und seinem Vater damals seine Neigung gebeichtet hat, hat er uns versprechen müssen, uns niemals einen seiner Partner vorzustellen oder gar mitzubringen. Das wäre uns doch sehr unangenehm gewesen. Es hat uns geschockt, dass unser Sohn mit seiner Neigung überall hausieren ging, alle wussten Bescheid! Das muss man sich mal vorstellen! Wir waren das Gespött der Altöttinger und natürlich unserer Klienten. Es hat Jahre gedauert, bis wir uns damit abgefunden haben und man nicht mehr darüber sprach. Ich bin mir sicher, dass man auch heute noch hinter vorgehaltener Hand über unseren Sohn und seine Veranlagung herzieht. Aber heute ist mir das gleichgültig. Mein Mann ist vor acht Jahren verstorben, worauf ich die Kanzlei schweren Herzens verkaufen musste. Aber was sollte ich tun? Ohne einen Nachfolger blieb mir nichts anderes übrig, als das Lebenswerk der Haferstocks an einen befreundeten Anwalt zu verkaufen. Zumindest der Name Haferstock wird zu Ehren meines Mannes weiterhin in der Kanzlei genannt, obwohl ein Haferstock nichts mehr damit zu tun hat. Aber der Nachfolger Dr. Seemann hat damals bei meinem Mann gelernt, der ihn unter seine Fittiche genommen hat. Es ging mir sehr ans Herz, als ich den Namen meines Mannes im neuen Firmenschild las.“ Erst jetzt durch diese Aussage konnte man eine gewisse menschliche Regung bei Frau Haferstock spüren, die immer noch unter diesem Verkauf litt. „Mir geht es gesundheitlich immer schlechter, schon seit Jahren halte ich mich fast nur noch hier im Haus auf. Es ist nicht schön, wenn man alt und einsam ist, das können Sie mir glauben.“

„Ihr Sohn wohnte nicht in Ihrem schönen, großen Haus? Platz wäre in diesem Riesenkasten mehr als genug,“ sagte Hans und erntete durch diese Bemerkung einen scharfen Blick von Frau Haferstock.

„Nein, ich wohne hier seit dem Tod meines Mannes allein. Gerald ist schon vor vielen Jahren ausgezogen, er hat sich in Töging ein Haus gekauft. Das war uns nicht unangenehm, denn in seinem eigenen Haus weit genug weg von Altötting konnte er machen, was er wollte, das hat uns nicht interessiert. Wir sind niemals dort gewesen, um mit seinem Lebenswandel nicht konfrontiert zu werden und auch, um ihn nicht zu stören. Er hatte sein Leben und wir hatten unseres. Sie können sich in Geralds Haus gerne umsehen, ich habe einen Hausschlüssel, den ich noch nie benutzt habe.“

Leo und Hans konnten sich kaum vorstellen, was das für den Sohn bedeutet haben muss. Er wurde wegen seiner Homosexualität aus der Familie quasi ausgestoßen.

„Was passiert mit dem Haus Ihres Sohnes?“

„Das wurde noch nicht entschieden. Mein Sohn hat ein Testament verfasst, das in Kürze verkündet wird. Ich denke, das ist reine Formsache und es wird wohl alles mir als nächste und fast einzige Verwandte zufallen.“

„Sie haben keine weiteren Kinder?“

„Nein, Gerald war unser einziges Kind. Die Erbfolge wird von meiner Seite aus jetzt neu geregelt werden müssen. In der gesetzlichen Erbfolge stehen die missratenen Kinder meiner Halbschwester nun an nächster Stelle und das muss ich unbedingt verhindern. Meine Halbschwester entstammt einem Seitensprung meines Vaters mit einem Kindermädchen und ist mir sehr peinlich. Dieser Skandal konnte damals nur mit großer Mühe unter den Teppich gekehrt werden und ich bin mir sicher, dass diese Schlampe eine große Summe aus meinem Vater gepresst hat. Aber genau weiß ich das nicht, mein Vater hat sich dazu nie geäußert. Zum Glück ist diese Geschichte niemals an die Öffentlichkeit gelangt. Nicht auszudenken, was dann passiert wäre! Womöglich hätte mein Vater die Kanzlei schließen müssen. Meine sogenannte Halbschwester, die sie nun mal auf dem Papier ist, lebt heute in ärmlichen Verhältnissen und hat es zu vier unehelichen Kindern gebracht. Man munkelt sogar, dass sie von verschiedenen Vätern sind. Naja, das war ja zu erwarten. Sie verstehen, dass ich das Vermögen lieber einer wohltätigen Einrichtung zukommen lasse, als es diesen Proleten in den Hals zu werfen.“ Frau Haferstock verzog angewidert das Gesicht. Leo konnte sich lebhaft vorstellen, dass diese versnobte Frau das Geld lieber verbrannt hätte, als es dieser Frau zu geben.

„Wo finden wir Ihre Halbschwester?“

„Ich weiß zwar nicht, was Sie von ihr wollen, aber bitte. Paula gibt Ihnen die Adresse dieser Sippe und natürlich auch die Anschrift und den Hausschlüssel meines Sohnes. Wenn Sie mir jetzt bitte verraten würden, welche Ungereimtheiten bezüglich des Todes meines Sohnes aufgetaucht sind? Ich verstehe nicht, weshalb sich die Mordkommission mit dem Tod befasst.“

„Das können wir Ihnen leider noch nicht sagen, wir sind erst am Anfang unserer Ermittlungen.“ Leo wusste immer noch nicht, was er sagen sollte. Es war ihm fast peinlich, dass sie nur einer vagen Vermutung nachgingen, die jeglicher Grundlage entbehrte.

Leo und Hans verabschiedeten sich hastig bei der alten Frau, bevor sie noch mehr unangenehme Fragen stellte. Beim Hinausgehen überreichte Paula den beiden einen Zettel mit den gewünschten Adressen zusammen mit dem Hausschlüssel von Gerald Haferstock. Eins war klar: Die Frau hatte gelauscht!

„Wie standen Sie zu Gerald Haferstock?“

Paula Ritter sah Leo erschrocken an. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass auch sie befragt wurde. Sie wurde nervös und fuhr sich durch die feuerroten Haare.

„Wir kannten uns nur flüchtig. Natürlich haben wir uns hier im Haus getroffen, dabei unterhielten wir uns hauptsächlich über seine Mutter. Obwohl Frau Haferstock zu ihrem Sohn immer sehr kalt und ablehnend war, machte er sich über ihren Gesundheitszustand große Sorgen. Er war mir gegenüber immer sehr höflich und zuvorkommend. Nicht wie seine versnobte Mutter, die gerne raushängen lässt, dass sie etwas Besseres ist. Nein, Gerald war da ganz anders. Zu Weihnachten und zu meinem Geburtstag hat er mir immer eine kleine Aufmerksamkeit zukommen lassen. Natürlich heimlich, seine Mutter hätte das nicht geduldet. Für sie gab es eine deutliche Grenze zwischen der ehrwürdigen Familie und den Angestellten. Gerald liebte es, hinter dem Rücken seiner Mutter zu agieren und wirkte dabei wie ein kleines Kind. Er war herzlich und lustig, ich vermisse ihn sehr.“ Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie mochte Gerald Haferstock mehr als sie zugeben würde. „Warum sind Sie hier? Ist Gerald doch nicht eines natürlichen Todes gestorben? Ich habe ihn nie als kränklich empfunden, er strotzte geradezu vor Vitalität und hat sehr auf seinen Körper geachtet. Er mied Zucker und Fette aller Art. Und täglich lief er seine Runden an der frischen Luft, zusätzlich zu den Trainingsstunden in seinem eigenen Fitnessraum bei sich zuhause, den er sich extra hat einrichten lassen. Ein riesiger Raum mit den modernsten Geräten in allen Variationen.“

„Sie kennen das Haus des Toten? Waren Sie dort?“

„Gerald hat mich vor Jahren gebeten, mich um sein Haus zu kümmern, wenn er im Urlaub oder beruflich unterwegs war. Sie müssen wissen, dass ich in Winhöring wohne, da ist ein kurzer Abstecher nach Töging für mich kein Problem. Natürlich habe ich das gerne gemacht und er hat mich immer großzügig dafür bezahlt, was nicht nötig gewesen wäre. Aber Gerald bestand auf eine Bezahlung. Seine Mutter wusste nichts davon und ich bitte Sie, es ihr nicht zu sagen.“ Sie druckste herum und man spürte, dass ihr noch etwas auf der Seele lag. „Ich gestehe lieber gleich, dass ich mich seit Geralds Tod um das Haus kümmere, bevor Sie es selbst herausfinden. Ich lüfte die Räume, sehe nach der Post und gieße die Pflanzen. Ich kümmerte mich nach der Beerdigung darum, dass die Mülltonnen geleert wurden und stellte sie wieder an ihren Platz. Natürlich habe ich alles Verderbliche längst entsorgt.“ Verschämt wandte sie den Blick zur Seite. Jetzt, wo sie ihre eigenen Worte hörte, merkte sie erst, wie dämlich sie sich verhalten hatte. Warum hatte sie das getan? Niemand hatte sie darum gebeten und es lag auf der Hand, dass das irgendwann herauskommen würde, schließlich hatten sie die Nachbarn bestimmt beobachtet. Und jetzt wusste es auch die Polizei. Es war nur eine Frage der Zeit, wann Frau Haferstock davon erfuhr; das würde sie ihren Job kosten. Die alte Dame konnte sehr ungehalten reagieren, wenn hinter ihrem Rücken agiert wurde.

„Wo ist die Post?“

„Die habe ich auf Geralds Küchentisch gelegt. Ich habe nichts weggeworfen und niemals würde ich fremde Post öffnen. Ich wollte verhindern, dass der Briefkasten überquillt und dadurch Einbrecher angelockt werden, davon hört man immer wieder im Fernsehen. Bitte verraten Sie mich nicht. Frau Haferstock wird sehr böse, wenn sie davon erfährt. Könnte das bitte unter uns bleiben? Wäre das möglich? Ich bin auf diesen Job angewiesen!“

Diese Frau Haferstock musste ja ein richtiges Monster sein, denn sowohl Leo, als auch Hans konnten die Angst in den Augen der Frau sehen. Leo winkte beschwichtigend ab.

„Ich sehe eigentlich keinen Grund, Ihrer Chefin davon zu berichten. Ist Ihnen vor Herrn Haferstocks Tod oder danach irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen? Denken Sie in Ruhe darüber nach, jede Kleinigkeit könnte enorm wichtig sein.“

„Nein, vor Geralds Tod ist mir nichts aufgefallen, alles war wie immer.“ Plötzlich stockte sie und runzelte die Stirn. „Ich weiß nicht, ob das wichtig ist, aber in Geralds Haus war tatsächlich etwas merkwürdig. Gerald war immer sehr sauber und ordentlich, man könnte ihn auch als pingelig bezeichnen. Nach seinem Tod habe ich Schmutz auf dem Küchenboden, der Arbeitsplatte und in der Spüle gefunden. Nicht viel, nur ein paar Krümel, aber trotzdem hätte Gerald das achtlos liegengelassen. Ich habe natürlich alles sauber gemacht.“

Die beiden fuhren nun zur Halbschwester von Frau Haferstock, einer gewissen Angelika Wagenführ, die in Töging wohnte. Danach wollten sie zum Haus des Verstorbenen, das sich im gleichen Ort befand.

„Das hier muss es sein,“ sagte Hans und blickte an der schmucklosen Hausfassade des 5-geschossigen Wohnblocks empor. Schon die Zufahrt zu der Wohnsiedlung war nicht sehr einladend. „Keine schöne Wohngegend. Wer hier wohnt, lebt nicht gerade auf der Sonnenseite des Lebens.“

Auch Leo war vom Haus und der Umgebung nicht angetan und erinnerte ihn an die heruntergekommene Wohngegend in Mühldorf, wo sie in ihrem vorletzten Fall zu tun hatten.

Sie suchten nach der richtigen Klingel, fanden sie rasch und mussten nur wenige Augenblicke warten, bis der Türöffner betätigt wurde. Zumindest der funktionierte noch. Das Treppenhaus war abgewohnt und schmuddelig. Die Wände waren teilweise verschmiert und vor dem dreckigen Fenster standen zwei vertrocknete Pflanzen inmitten einem Meer toter Fliegen. Dazu roch es im Treppenhaus nach verschiedenen Essensgerüchen, vermischt mit Zigarettenrauch.

„Mit einem Eimer Farbe könnte man einiges machen,“ bemerkte Hans mit einem Kopfschütteln. Er verstand nicht, wie man mit diesen verschmierten, bemalten Wänden und diesem Dreck tagaus, tagein leben konnte. Er hätte längst einen Tag investiert und hätte die Wände gestrichen und gründlich sauber gemacht.

Eine Frau Anfang 60 stand an der Wohnungstür und machte einen ordentlichen Eindruck. Die Kleidung war sauber, die Haare modern zurecht gemacht und die Fingernägel waren frisch manikürt.

„Sie wünschen?“ fragte sie mit einem freundlichen Lächeln.

„Kriminalpolizei Mühldorf. Mein Name ist Schwartz, das ist mein Kollege Hiebler. Wir hätten ein paar Fragen. Dürfen wir reinkommen?“

„Kriminalpolizei? Ist etwas passiert?“ fragte sie erschrocken.

„Aber nein, keine Sorge. Wir haben nur ein paar Fragen.“

„Gott sei Dank! Ich dachte schon, es wäre einem meiner Kinder oder Enkel etwas zugestoßen. Kommen Sie herein, hier haben die Wände Ohren. Ich bin mir sicher, dass es längst die Runde macht, dass die Polizei bei mir ist. Jetzt werden die wildesten Gerüchte gestreut.“

€1,99

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Umfang:
301 S. 2 Illustrationen
ISBN:
9783742748386
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