Die Reise in einem Cocktailshaker

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Costa da Morte – Stürme in den Rias

An unserem Stegplatz entwickelten wir eine fast hysterische Energie, räumten auf, lüfteten die Polster und nahmen Kontakt auf zu den Leuten am sich langsam belebenden Steg. Ganz nebenbei fingen Lothar und ich zwei Meeräschen, die in großen Schwärmen um unser Boot schwammen. Mit Toastkrümeln angefüttert und vom Toast am winzigen Haken überlistet, zappelten zwei davon binnen Minuten an der Schnur.

Sofort lernten wir auch die ersten Fahrtensegler kennen, Tine und Frank aus Hamburg, die mit ihrem Boot Stina vor Anker lagen und am Steg vorbei kamen, als ich gerade mit den Meeräschen posierte. Sie schienen mein Anglerglück nicht so zu würdigen, wie ich es erwartet hätte. Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste: nicht alle Meeräschen dieser Welt teilen das paradiesische Leben ihrer Artgenossen in den sauberen Prielen an der Nordseeküste. Bei uns auf den Inseln als Delikatesse hoch gehandelt, schwimmen die meisten ihrer Spezies in den südlichen Ländern in dreckigen Hafenbrühen und ernähren sich mitunter aus stinkenden Kloaken. Zum Glück war ich zu diesem Zeitpunkt noch unwissend. Unsere beiden Meeräschen schmeckten einfach köstlich.

Nach dem Ende unserer erfolgreichen Überfahrt schwebten wir auf einer Wolke aus Glück und 94 Stunden Schlafmangel. Der anfänglich etwas deprimierende Eindruck von La Coruna bestätigte sich überhaupt nicht. Die Stadt entpuppte sich als eine pulsierende und schöne Metropole. Am ersten Abend liefen wir einem mir sehr bekannten Sound hinterher. Highway to Hell, ein Song von AC/DC, dröhnte über die Dächer der Altstadt und ich konnte nur hoffen, dass er nicht uns gewidmet war. Die Australischen Meisterrocker spielten im Stadion am Hauptstrand. Bis uns die Augen zufielen saßen wir an den belebten Straßen und waren wie berauscht vom Leben. Für die Spanier schien der Tag erst um 22.00 Uhr zu beginnen. Noch gegen Mitternacht waren viele Familien mit kleinen Kindern unterwegs.

Maret und verbrachten ich den kommenden Tag hauptsächlich dösend am Strand. Vor der Kulisse massiger Hochhäuser und den vielen ultraschicken und sonnengebräunten Menschen fühlten wir uns fast wie an der Copa Cabana. Bald schon mussten wir uns von Lothar verabschieden. Plötzlich waren wir wieder zu zweit, doch mit Tine und Frank waren die ersten Gleichgesinnten aufgetaucht, die unsere Weggefährten auf dem weiteren Wegen um den Atlantik werden sollten.

Für die folgenden Wochen hatten wir noch keine genaueren Pläne geschmiedet. Die Kanarischen Inseln wollten wir bis Oktober erreichen. Dafür hatten wir noch zwei Monate Zeit. Nach ein paar Tagen intensivem Nichtstuns waren unsere Batterien wieder voll und wir bereit für neue Taten. Die Wetteraussichten schienen jedoch alles andere als rosig, West-Südwest, fünf Beaufort mit Schauerböen. Über die Biskaya war in den vergangenen Tagen ein gewaltiges Sturmtief hinweggezogen, der Rest des Hurrikans Ivan.

Als wir aus der Bucht von La Coruna fuhren, war die Dünung immer noch meterhoch. Mit Mühe kreuzten wir an der Halbinsel Malpica vorbei und dem schwer atmenden Ozean entgegen. Natürlich blieb es nicht bei den fünf angekündigten Windstärken, es blieb auch nicht bei sechs. West-Südwest sechs bis sieben Beaufort, damit wurde es komplett ungemütlich. Wie schon damals vor Borkum stand ich beim Segelwechsel knietief im Wasser und schrie wütend gegen die Elemente. Tine und Frank waren längst über alle Berge. Ihre Stina, eine 12m lange Slup, Holzbau, traditioneller Riss, ein wunderschönes Boot, war natürlich viel schneller und bei diesen Bedingungen angenehmer zu segeln als unsere Balu.

Am Abend erreichten wir Lage, was auf Galizisch wie Latsche ausgesprochen wird, eine Kleinstadt an der Nordwestecke Galiziens. In dem Fischerstädtchen wollten wir auf Freunde aus Oldenburg warten, die mit dem Fahrrad in dieser Ecke Spaniens unterwegs waren.

Hinter dem Molenkopf des kleinen Hafens warfen wir unseren Anker. Ein Schwell aus Südwest drückte mächtig in die Bucht und ließ die ankernden Segelyachten rollen. Der Wind legte noch zu. Für den morgigen Tag waren neun Beaufort angesagt, Sturm.

Bordtagebuch Mittwoch 11.August - „Ein kleiner Junge in einer Siedlung am Rande des Ortes zeigt uns einen Weg hinauf zu einer Kapelle. Hier oben bekommt man nicht nur göttlichen Beistand, sondern kann auch die gesamte Ria de Corme y Lage und den offenen Atlantik überblicken. Tosend brechen sich die Wellen an der wild zerklüfteten Felsküste. Wie gut, dass wir nicht dort draußen sind! Am Abend sitzen wir mit den Oldenburgern vor einem kleinen Restaurant am Hafen, von dem aus wir ganz nebenbei auch unsere Balu im Auge behalten können. Nacheinander werden uns Köstlichkeiten dieser Region aufgetischt, Pimientos al Padron, Mini-Paprika in Salzkruste geröstet, Navajas, Schwertmuscheln, Pulpo, Sardinas fritas, Rotwein. Später regnet es so heftig, dass unsere Plätze unter den Sonnenschirmen geflutet werden.

Als wir zu Balu zurückkehren wollen, ist unser Dinghy verschwunden. Wir hatten es am Steg der Marina festgebunden. Anfangs kann ich es gar nicht glauben, aber unsere Anna ist nirgends zu finden. Da stehen wir im strömenden Regen und können nicht mehr zurück auf unser ankerndes Zuhause. Hätten wir das Schlauchboot doch nur angeschlossen! Während ich aufgeregt den Steg auf und ab laufe, klopft Maret bei einem spanischen Motorboot, auf dem noch Licht zu sehen ist. Der Skipper und seine Frau holen uns in die Kajüte und bieten sofort Wasser, Wein, Essen an. Es könnte ein netter Abend werden, doch uns ist jetzt gerade nicht danach. Der Skipper ruft die Polizei, die auch gleich zu kommen verspricht. Kurze Zeit später ruft von draußen jemand ins Boot, dass unser Dinghy am anderen Ende des Hafens liegt, direkt am Ende des Molenkopfes. Zwei Polizisten kommen vorbei, fahren mit uns auf die andere Hafenseite und tatsächlich, da liegt es an den großen Steinen der Mole. Alles ist dran, nichts kaputt. Ein Angler hat es dort festgemacht. Gerettet! Was für ein Glück haben wir da! Hätte der Wind ein wenig südlicher geweht, unser Beiboot würde jetzt auf dem offenen Atlantik treiben.“

Bordtagebuch Freitag 13.August - Lage – Camarinas - „Heute wieder ein Segelerlebnis zum Abgewöhnen! SW 6-7, Regen, hohe Wellen, Maret heult vor Wut. Unseren Zielhafen Finistere geben wir auf und nach nur 15 Meilen fällt der Anker in Camarinas. Tine und Frank geben uns Trost. Auch denen ist es nicht besser ergangen. Wenn die beiden weiter gesegelt wären, hätten wir restlos an unserer Befähigung für eine solche Segeltour gezweifelt und wären nach Hause umgekehrt! Dann hätten wir nicht hierher gehört. Was soll man eigentlich noch alles aushalten?“


Costa Da Morte

Regen, Sturm, Kälte, unsere Stimmung war wieder einmal auf dem Tiefpunkt. Ab Spanien wird alles gut, so hatte es geheißen. Stattdessen empfing uns Galizien mit dem kältesten und regenreichsten Sommer seit 75 Jahren. Aber wir gaben nicht auf und hangelten uns langsam an der Costa da Morte entlang immer weiter nach Süden.

Von Camarinas aus fuhren wir mit dem Bus nach Santiago de Compostela. Wir besuchten die berühmte Kathedrale des heiligen Jakob vom Felde. Tausende Pilger waren hier. Überwiegend ältere Menschen mit langen Wanderstöcken bevölkerten die Gassen der engen Altstadt. In der Kathedrale herrschte ein Gedränge wie auf einem Hauptbahnhof zur Stoßzeit. 2004 war ein sogenanntes heiliges Jahr und damit auch die Erklärung für den Ansturm auf diese spirituelle Ereignisstätte des Christentums. Nach einer Verfügung des Papstes Calixto II aus dem 12. Jahrhundert werden Pilgern, die Santiago in einem heiligen Jahr besuchen, alle Sünden vergeben.

Zurück in unserer Ria ließen wir uns am nächsten Morgen von Böllerschüssen aus dem Schlaf knallen. Die Fiestas an dieser Küste begannen pünktlich um 7.00 Uhr und endeten erst kurz vor dem nächsten Sonnenaufgang.

Den brüchigen Fassaden einiger alter Häuser an der Seefront von Camarinas sah man an, dass hier lange Zeit bittere Armut herrschte. Die Abwässer gingen immer noch ungeklärt in den Hafen. An einem dicken Rohr roch es übel, dort schlürften Hunderte von Meeräschen eine ölige und stinkende Brühe. Der Appetit darauf war uns nun restlos vergangen!

Auf einem Aushang wurden Fischer für die Entenmuschelfischerei gesucht, 620€ Verdienst im Monat. Nicht eben viel für einen so lebensgefährlichen Knochenjob. Die Entenmuscheln werden von den Fischern in der Brandungszone von den Felsen gesammelt. Das geschieht oft unter Einsatz des Lebens, denn die Percebeiros werden mit Leinen am umspülten Felsen abgeseilt und müssen mit langen Stangen die muschelförmigen Krebstiere unter der Wasserlinie vom Felsen kratzen. Jeweils 4kg ist das Tagessoll eines Muschelfischers. In großen Kisten werden die Percebes nach Madrid und Paris verfrachtet, wo sie für viel Geld in den besten Restaurants angeboten werden.

Aus einem Internetcafe in Camarinas schrieb ich an unsere Freunde: „Die Küste Costa da Morte trägt ihren Namen wirklich zu recht. Sie ist wild zerklüftet, tosende Brandung bricht sich an ihren Felsklippen. Da touristisch wenig erschlossen, trifft man überwiegend nur auf einheimische Urlauber.

Hier in Camarinas lagen gestern noch viele gefrustete Segler, die teilweise schon seit einer Woche eingeweht waren. Heute Vormittag sind ein paar Wagemutige aufgebrochen, obwohl das Wetter nicht wirklich besser geworden ist. Hier in den Rias liegen alle vor Anker, wir auch. Irgendwo ist immer ein Dinghy von Boot zu Boot unterwegs, um Informationen auszutauschen. Hauptthema ist natürlich das Wetter. Alle warten sehnsüchtig auf den portugiesischen Norder, der zu dieser Jahreszeit mit einer fast hundertprozentigen Wahrscheinlichkeit weht, aber eben nur fast 100%. Viele werden von Portugal aus weiter nach Madeira segeln. Das wird auch für uns der nächste große Sprung, vor dem wir ein wenig Bammel haben, aber Bammel, das haben wir inzwischen gelernt, den haben alle. Und genervt vom vielen Wind aus immer der falschen Richtung sind auch alle. Also ist es eigentlich ganz nett, so ein bisschen, wie damals mit meinen Eltern auf dem Campingplatz in Schillig während eines verregneten Sommers. Nur sind die Pfützen hier viel, viel größer und Delfine gab es früher nur im Vorabendprogramm und nicht vor dem eigenen Bug.“

 

Delfine ums Boot ...

Anton ohne Mast – bei den Islas Cies

Natürlich kehrte eines guten Tages der Sommer zurück und genauso schnell wie die letzte Regenwolke hinter dem Horizont, verschwand auch unsere Endzeitstimmung. Immer mehr Gleichgesinnte gesellten sich zu unserer Karawane, Segler aus Holland, Frankreich, England, der Schweiz, oder Deutschland. Fahrtensegler aus Spanien trafen wir hier leider nicht, dafür aber gab es in jedem noch so kleinen und ärmlichen Hafen einen Segelclub mit einer sehr aktiver Jugendabteilung. Überall huschten kleine Jollen über die Rias. Spätestens bei den Islas Cies in der Ria de Vigo bekamen wir eine Ahnung davon, was uns in der Karibik erwarten würde.

Bordtagebuch Samstag 21.August - „Paradiesische Zustände, dem Nirwana ganz nah. Hier könnten wir für die nächsten 11 Monate bleiben. Gleich vor dem Frühstück geht es an den Strand. Fallen uns vor Glück in die Arme. Traumhafte, strahlend weiße Badebuchten mit türkisblauem Wasser. Schroffe Felsen, wohlriechende Eukalyptuswälder, Sonne, nette Ankernachbarn, kitschige Sonnenuntergänge, was wollen wir mehr! Jetzt am Wochenende ist es knallvoll mit Booten, überwiegend sind es Einheimische Sommerfrischler. Am Abend brutzeln am Strand die Grills um die Wette. Nur wir haben bald nichts mehr zu essen und der Supermercado am Campingplatz entpuppt sich leider als ein schlecht ausgestatteter Kiosk mit Apothekenpreisen. Bei uns gibt es heute die letzten Bohnen mit angebratenem Schinken und Salzkartoffeln. Tine und Frank kommen noch auf ein Glas Wein an Bord. Frank hat immer das aktuelle Wetter. Ein Monsterhoch soll sich über den Azoren ausbilden und mit bis zu 1033hpa Druck den langersehnten Norder, oder auch portugiesischen Passat bringen.“

Auf den Islas Cies diskutierten wir, ob wir uns ein Radargerät anschaffen sollten. Die Radarfrage beschäftigte uns schon seit einigen Tagen und ließ uns keine Ruhe. Radar ist gut bei Nebel, vornehmlich an Küsten, wie diesen in Nordspanien und Frankreich. Zudem könnte ein solches Wunderding während der Nachtfahrten quasi zu einem dritten Besatzungsmitglied werden. Der Wachhabende könnte sich schlafen legen und das Gerät auf Alarm schalten. Das Gerät würde sich jede 10 Minuten anschalten, einmal die Runde am virtuellen Himmel drehen und bei Annäherung eines unbekannten Objektes Alarm geben. Sich darauf zu verlassen wäre natürlich unseemännisch, wurde zwar auf einigen Booten, besonders von Einhandseglern praktiziert, aber selten laut ausgesprochen. Es gab viele Pros und wenige Contras. Zu den Contras gehörten der hohe Preis und das Unbehagen bei dem Gedanken an ein führerloses Boot in der Nacht. Blätterwerfen und Ching-Chang-Chong sagten zweimal nein, unser Gefühl sagte zweimal ja. So kamen wir zu keiner vernünftigen Lösung. Das Thema nervte uns bereits.

Am Abend traf wir uns mit der deutschen Kolonie am Strand, den zwei Skipperinnen von der Beatrix aus Hamburg, Mikey, Maria, Daniel, Su und Bernd Mansholt von der Nis Randers, Uli, Astrid und Reiner von der Luna aus Fehmarn und berichteten von unseren Abenteuern. Daniel und ich jammten dazu ein wenig an der Gitarre, Bernd holte seine Mundharmonika aus der Tasche. Irgendwann begann es zu nieseln. Doch dieses kurze Wetterintermezzo saßen wir aus.

Bald schon mussten wir unser kleines Paradies verlassen, denn die Lebensmittelvorräte waren schlussendlich aufgebraucht. Kurz bevor wir den Anker lichteten, kam ein mastloses Boot in die Bucht. „Ach, das ist doch Anton ohne Mast!“ Es war ein deutscher Segler, dessen Unglücksgeschichte ihm bereits vorausgeeilt war. Marie und Mikey paddelten ihm entgegen. Der Einhandsegler Anton hatte seinen Mast eine Woche zuvor bei La Coruna verloren, als er bei Maschinenfahrt in eine hohe Welle einstampfte. Dabei riss das Vorstag und Anton lief schnell zum Vorschiff, um ein Fall als Notstag einzubändseln. Gerade auf dem Vorschiff angekommen, brach der Mast nach hinten weg. Wie durch ein Wunder war er heil davongekommen. Der Mast kippte nämlich genau auf die Stelle, an der er Sekunden vorher noch gestanden hatte, zertrümmerte zum Glück nur den Heckkorb und hinterließ eine tiefe Delle im Steuerrad. Ein neuer Mast war bereits unterwegs nach Vigo. Die Stadt lag nur ein paar Meilen landeinwärts am Ende der Ria. „Anton ohne Mast“ widmete ich meinen ersten Song dieser Reise, den ich passend „Costa da Morte“ nannte.

Was neben den Lebensmitteln ebenfalls zur Neige ging und uns ans Festland trieb, war unser schwindender Brennstoffvorrat. Wie viele andere Fahrtensegler kochten auch wir mit Petroleum. Unser Optimus war zwar etwas komplizierter zu handhaben, als ein Gaskocher, war dafür aber ungleich sicherer. Am Ankerplatz ging nun das Gerücht um, in Portugal gäbe es kein Petroleum. Also zogen alle Segler los und kauften wie die Verrückten die Regale spanischer Tankstellen entlang der Segelroute leer. In Nordspanien werden im Winter kleine Heizradiatoren mit dem Petroleo betrieben.

Wir hatten in unserer Sorge bereits ein Mail an alle Trans-Ocean-Stützpunktleiter auf den Kanarischen Inseln geschickt. Heinz-Jürgen Schneider, TO auf Teneriffa, hatte uns dankenswerter Weise geantwortet. Nach seinen Informationen gab es auf seiner Insel eine Ölraffinerie, die reinstes und günstiges Petroleum herstellte. Also hatten wir von nun an eine Sorge weniger. Wir mailten diese Information sogleich weiter an die Crews der anderen Boote.

Zwei Tage verbrachten wir in Baiona, der alten Hafenstadt, in der Columbus nach seiner Rückkehr von seiner ersten Karibikfahrt 1493 die Entdeckung des Seeweges nach Indien verkündete. Eine wunderschöne, alte Stadt, in der wir es bestimmt noch ein paar weitere Tage ausgehalten hätten, doch uns trieb es schon wieder weiter, denn wir wollten den Anschluss an unsere Karawane nicht verpassen. Doch auf dem Prada de Conceilo in der Altstadt fand am nächsten Tag ein Flamenco-Konzert statt. Sollten wir nicht also auch morgen noch bleiben? Irgendwie fühlten wir uns gehetzt, dabei waren es allein wir, die unser Tempo bestimmten. Doch wenn die anderen weiterzogen, mussten auch wir los. Und so kachelten wir von einem Hafen zum nächsten, ohne irgendwo wirklich anzukommen. Unser Ziel hieß zwar Karibik, aber es lag ja auch noch etwas dazwischen. Ich merkte, wie mir das Leben als Getriebener immer weniger behagte. Wo sollten wir denn endlich mal länger bleiben, als nur ein oder zwei Tage? In Porto? In Lissabon? Auf Madeira? Auf den Kanaren?

Zum Glück blieben wir und lagen zwei weitere Tage am Steg des Real Club Nautico de Yates. Königlich fühlten wir uns in dieser luxuriösen Marina, umschlungen von der Anlage des alten Castello. Das Konzert auf dem Rathausplatz glich einem Stakkato aus Klagerufen und Gitarrensalven. Ich wusste gar nicht, wie traurig Flamenco sein kann. Wie gut, dass wir diesen Abend erleben durften. Wie gut aber auch, dass wir bald danach aufbrachen, denn noch am Tag unserer Abreise detonierte in einer der Mülltonnen am königlichen Segelclub eine Bombe der Eta. Zum Glück wurde niemand verletzt.

Portugal - alte Geschichten auf See

Unsere Weltkarte war bald um einen weiteren weißen Fleck ärmer, denn nur 30 Meilen waren es vom spanischen Baiona bis zum portugiesischen Viana do Castello am Rio Lima. Unterwegs zog unsere Albin Ballad unter gut gefüllten Segeln und ausgebaumter Genua II an der Segel schlagenden und dahinrollenden Luna aus Burg auf Fehmarn vorbei. Als wir in den Hafen von Viana einliefen, wurden wir von der stehenden Hitze dort förmlich erschlagen. Zum ersten mal empfing uns drückende Hitze! Maret war sofort begeistert und sah die Dinge völlig anders als ich. Ich hoffte auf baldige Abkühlung. Die Marina am Rio Lima war relativ neu, schlicht, sauber und in Ordnung. Balu bekam einen Platz zwischen kleinen Fischerbooten, was sich bereits am nächsten Morgen als fatal erweisen sollte, denn die Pescadores begannen ab etwa 3.00 Uhr in der Frühe unter lautstarkem Palaver, ihre Boote für den Fang klar zu machen.

Hier in Portugal sollte nun das große und gefürchtete Einklarieren bei Zoll und Immigration beginnen. Die Portugiesen nähmen es mit den Bootspapieren sehr genau, hieß es in unserem Revierführer, „The Atlantic Coast of Spain and Portugal“. Wir waren gespannt, denn bislang hatten wir unsere Papiere noch nirgendwo vorzeigen müssen.

Im riesigen, neuen Marinagebäude saß sehr verloren ein kleiner Mann in einem Rollstuhl und jappste in der Hitze. Er schien verständlicherweise etwas missgestimmt und war für keinen Spaß zu haben. Englisch radebrechend fragte er mich aus, wobei ich oft nachfragen musste, da ich ihn nur sehr schwer verstand. Stoisch hackte er meine Angaben in seinen Computer, Name des Bootes, Länge des Bootes, Breite, Tiefgang, Anzahl der Masten, Anzahl der Rümpfe, Bootstyp, Besegelung, Art des Riggs, Baujahr, Farbe des Rumpfes, Baumaterial des Rumpfes, Höchstgeschwindigkeit, Heimathafen, Motorennummer, Art der Maschine, Typ der Maschine, Hersteller der Maschine, Stärke der Maschine, Name des Kapitäns, Name des Eigners, Namen der Crew, alle Passnummern, Adressen, geladene Fracht, zu verzollende Güter, Waffen an Bord, Haustiere. Ich war erschlagen von so vielen Fragen, doch nahm es mit Humor. Auf diese Weise erfuhr ich Dinge über mich und das Boot, die ich selbst niemals zu erfragen gewagt hätte!

Nicht nur unser Revierführer, auch Frank hatte uns vorgewarnt. Er war vor vielen Jahren bei Stinas erster Tour nach Portugal einmal nachts vom ankernden Boot gezerrt worden, weil er und Tine nicht korrekt einklariert hatten. Eine ganze Nacht lang wurde er von augenscheinlich betrunkenen Zöllnern in schmutzstarrenden Unterhemden verhört und dann ohne erkennbares Zeichen einfach wieder vor die Tür gesetzt. Brav beantwortete ich also dem schwitzenden Mann im Marinabüro jede noch so merkwürdig anmutende Frage und verkniff mir oberschlaue Bemerkungen jeder Art.

Die Stadt Viana do Castello war schön anzuschauen bot aber im Vergleich zur Nachbarstadt Baiona wenig Überraschendes. Zu unserer Verwunderung wurden hier, nur ein paar Kilometer vom immer etwas übernächtigten Spanien entfernt, die Bürgersteige bereits um 19.00 Uhr hochgeklappt. So schlenderten wir, vorbei an schicken Renaissance-Giebeln, durch fast menschenleere Gassen und ließen uns von kleinen Moskitos zerstechen. Die Mücken hatten hier die Oberhand und machten uns auch in den kommenden Nächten zu schaffen, befanden wir uns doch in einer brackigen Flussmündung und nicht mehr in einer Meeresbucht mit salzigem Seewasser.

Weit und breit war kein Supermercado mehr geöffnet. So traf es sich gut, dass die Crew der Luna uns zu sich einlud. Bei den drei Extremnordatlantikbezwingern in spe kochte es sich hervorragend und wir halfen kräftig mit, die Whiskyvorräte an Bord zu dezimieren. Mit einer Mixtur aus Bewunderung und entsetztem Kopfschütten sprachen wir ausführlich über die abenteuerliche Pläne, auf dem Weg von den Kanaren in die Karibik auch noch den Sengal anzulaufen, die Kapverden zu besuchen und dann auf dem Rückweg von der Karibik bis Neufundland und über Grönland zurück in die Nordsee zu segeln. Das alles in einem Jahr. Wahnsinn! Mir kam schon unser Programm viel zu lang vor!

Wegen der Mücken und der frühaufstehenden Fischer hielt es uns nicht lange in Viana de Castello. Mit der Genua II und doppelt gerefftem Groß bei sechs Windstärken von schräg achtern surften wir weiter nach Süden. Unsere Fahrt entlang der portugiesischen Küste mit dem endlich voll erblühten Norder im Rücken ging jedoch nicht wirklich geradeaus, sondern glich eher einem Slalom durch ein Meer unzähliger kleiner Fähnchen, die Stellnetze in der Tiefe markierten. Zum Glück trieben die Netze nicht an der Oberfläche, sonst wäre es ziemlich gefährlich gewesen, hier auch nachts durchzurauschen.

Aus dem Törn von Viana do Castello nach Süden wurde eher unfreiwillig unsere erste Nachtfahrt zu zweit. Spätestens, als wir von weitem die hässlichen Schlote an der Mündung des Douro sahen, machten wir die Seekojen klar. Die Marina von Leixoes an der Douromündung war geschlossen, eine Pipeline war geplatzt, der ganze Hafen verölt. Diese Info erhielten wir per SMS von der Stina, die trotz der Sperrung dort vor Anker lag. Die Aussicht auf einen öligen Ankerplatz machte nicht gerade Lust auf einen Stop. Damit ließen wir aber auch die alte Hafenstadt Porto aus, die nur wenige Meilen flussaufwärts lag.

 

Ich war schon einmal dort, 1986 mit ein paar Freunden in einem alten R4. Wie gerne hätte ich diese Stadt der gekachelten Häuser und Portwein getränkten Kopfsteinpflaster im alten Viertel der Weinhandlungen von noch einmal von See aus besucht. Mit dem Sonnenuntergang kam der Mond fast voll am östlichen Horizont hervor und erleuchtete die See silbrig glänzend. Leider verschwand in Küstennähe mit dem Sonnenuntergang auch meistens der Wind.

Bordtagebuch Sonntag 29. August – „Ich übernehme das Kommando gegen Mitternacht Höhe Aveiro. Die Stadt südlich von Porto liegt an einer großen Lagune in der man wunderbar ankern können soll, doch mitten in der Nacht in ein unbekanntes und flaches Tidengewässer zu fahren, wollen wir nicht riskieren.

Am Himmel über mir funkeln die Sterne wie wild und der Mann im Mond grinst freundlich. Es ist keine schwere Entscheidung, einfach weiter zu segeln. Wir dürfen bloß nicht gegen die Fähnchen fahren! Auch als wir unseren Abstand zur Küste vergrößern, kollidieren wir ab und zu mit den Stellnetzbojen. Ich stiere leicht paralysiert nach vorne und halte Ausschau, doch habe es fast aufgegeben, den Dingern auszuweichen. Man sieht sie immer erst im letzten Augenblick.

Der Wind hat sich schlafen gelegt und das Wummern der Maschine lässt auch mich dösen. Ich falle in Sekundenschlaf-Attacken, aus denen ich mit kleinen Adrenalinstößen wieder hochschrecke. Die Angst, dass eine Bojenleine sich in der Schraube verfängt, ist größer als meine Müdigkeit. In den Dämmerzeiten spielt sich in meinem Hirn ein Rollback ab, das Leben per Daumenkino. Ich denke an meine Eltern, dieses Jahr hätten sie Goldene Hochzeit, mein Vater, sieht er mich von dort oben? Schließlich kehre ich in meinen Gedanken zurück in das Portugal des Jahres 1986.

Aveiro - Eine Taverne unter freiem Himmel. Fisch und Berge von Muscheln. Ein freundlicher Wirt und seine entzückende Tochter. Wir in einer Art chaotischer Euphorie nach der langen Fahrt durch Frankreich und Spanien. Viel Regen und Nebel in Galizien und dann endlich hier die Sonne, der viele Wein, die große Tafel, die Soldaten spät nachts, das Gezeche bis in den frühen Morgen, das üppige Trinkgeld an die bildhübsche Tochter. „It´s ok“, sagen wir zu Abchied und werfen ihr sehnsüchtige Blicke hinterher. Und dann noch die Disco zum Schluss, Leben wie zum Abschuss freigegeben. Wir fünf suhlten uns in unserem ersten richtigen Trennungsschmerz. Was hatten wir gelitten. Die Nächte durften einfach nicht enden. Der nächste Morgen kam und die Sonne brannte gnadenlos vom Himmel auf unsere zertrümmerten Schädel. Wir flohen von einem Ort zum nächsten und hinterließen immer lautstark unsere Spuren und mussten immer spätestens dann weiterziehen, wenn man begann, dem Ort unsere Anwesenheit anzusehen. Immer auf der Flucht vor dem Regen und vor dem Chaos, das wir meinten zuhause gelassen zu haben, das man uns aber ständig ansah. Wir trugen es mit uns herum, wie Scheiße am Schuh.“

Als der Mond am westlichen Horizont hinter einer schwarzen Wolkenwand verschwindet, wird es am östlichen Himmel dämmrig hell. Die Wolkenwände vor dem Mondlicht am westlichen Himmel wirken bedrohlich dunkel. Ist das Nebel oder ein Regengebiet? Feuchtigkeit klebt am ganzen Schiff. Für einen kurzen Augenblick kriechen die Dämonen der Nacht von hinten den Nacken hoch. Die Sicherheitsleine habe ich eingepickt. Was wäre, wenn ich jetzt von Bord ginge? Maret schläft und niemand würde es bemerken. Wie oft schnelle ich selbst während meiner Freiwache aus der Koje hoch, wenn ich ein komisches Geräusch höre und bin erst beruhigt, wenn ich Maret im Cockpit sitzen sehe.

Ein starker Kaffee um halb sieben macht den Kopf klarer. Die Sonne geht vor einem rosa Himmel auf und die Welt ist sofort wieder in Ordnung. Sogar die dunklen Wolken verlieren ihre düsteren Schatten und verschwinden im Licht. Ich fühle mich fast ausgeschlafen und lasse Maret liegen. Als sie übernimmt, mache ich Frühstück. Großes Frühstück! Ich habe einen Bärenhunger nach dieser Nacht.

(Die Erlebnisse und Gefühle dieser Nacht habe ich in meinem zweiten Cocktailshaker-Song verarbeitet, „When the night comes“)