Steinreich

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Steinreich
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Hugo Berger

Steinreich

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Steinreich von Hugo Berger

Warum?

Protagonisten:

1-Fix

2-Stephan Steinreich

3-Strapsi

4-unglaublich-

An einem Vierundzwanzigsten hatte ich die Idee Lotto zu spielen.

5-Träume werden wahr-

6-Freiheit-

7-Glücksfee-

8-Kneipinger-

Neun gecrashte Autos

9-Porsche-

10-Traumurlaub-

11-Überholspur-

12-das Leben ist eine Party-

Mit zwölf meine erste Mutprobe

13-Hotel California-

14-Haus in den Wolken-

15-Höhenflug-

16-ein Profi namens Rudi-

17-Männertraum-

Unvergesslich, Strapsi`s siebzehnter Geburtstag.

18-Katarina o.H., Schummler und Blondie-

19-Renate-

20-Parkplatz?-

21-Rätselstunde-

22-Notar-

23-Geister, die ich rief-

24-die Story meines Lebens-

25-Black Jack-

26-Interview-

Meine erste Nutte kostete dreiundvierzig Mark.

27-Kleine Geschenke-

28-Visitenkarten-

29-plötzlich Manager-

30-Aussprache-

31-Hotel-California-Party-

32-Karriere-

33-Party-time-

34-Flucht-

35-Resümee-

36-neues Quartier-

37-Wiedergutmachung-

38-auf Sand gebaut-

39-Experten-

40-alte Liebe-

41-schlechte Nachrichten-

42-Glück im Spiel-

Der persönliche Wienerwürstchen-Rekord lag bei einundvierzig Stück.

43-comeback-

44-Rechtsweg ausgeschlossen-

45-die Hoffnung stirbt zuletzt-

46-Über den Wolken-

47-Restguthaben-

48-Leuchtfeuer-

Die Eins war meine persönliche Glückszahl

49-den Sternen nahe-

50-Gespenster-

51-Rückblick-

Nachwort:

Impressum neobooks

Steinreich von Hugo Berger

Impressum

1. Auflage 20.05.2021

Texte: © Copyright Horst Gebetsberger

Umschlag: © Copyright Horst Gebetsberger

Verlag: Horst Gebetsberger

Bgm.-Jungwirth-Str. 4 B

94161 Ruderting

horst-gebetsberger@t-online.de

Druck: epubli, ein Service der neopubli GmbH,

Berlin

Printed in Germany

ISBN

Warum?

Die Glücksritter, die Glücksschweine, die vom Glück verfolgten, die Pechverweigerer, die, die immer auf der Gewinnerstraße sind, die, denen das Scheißglück einfach so in den Schoß fällt, die Pilze des Glücks, die sogar bei einer aberwitzigen Chance von 1:14 Millionen oder noch aberwitziger mit einer Chance von 1:140 Millionen als Jackpotknacker unglaubliche sieben- oder sogar achtstellige Gewinnsummen abräumen, die Glücksprofis… die Auserwählten halt …

Wer hat noch nie von dem Wahnsinn geträumt, die sechs Richtigen zu haben, oder sogar den Jackpot zu knacken? Und wer hat sich noch nie darüber Gedanken gemacht, was man mit so einem Riesengewinn anfangen würde?

Auch wenn die Chance, zu den wenigen Auserwählten eines überglücklichen Mega-Gewinnes zu gehören, mathematisch ziemlich unwahrscheinlich ist, es passiert. Nicht jede Woche, aber häufiger, als vom Hai gebissen, vom Blitz getroffen zu werden oder eine Stecknadel im Heuhaufen zu finden.

Und wer jetzt noch meint, dass das bereits der absolute Gipfel aller potenziellen Glückskinder war, dann sollte man auf keinen Fall die Wiederholungs-Super-Glücks-schweine ausklammern, die immer wieder das mathematisch eigentlich unmögliche Kunststück schaffen, innerhalb eines Lebens sogar zweimal einen Megagewinn abzuräumen. Wie irre das auch immer sein mag, es lässt durchaus den ultravagen Hoffnungsschimmer zu, dass an dem volkstümlichen Sprichwort vom Glückspilz und vom Pechvogel ein hauchdünnes Etwas an Wahrheit sein könnte, zumindest in dieser Geschichte, die sich selbst erzählt.

Sie handelt von Stephan Steinreich, dem Lottospieler, dem ich mein Protagonisten-Ich zugedacht habe, meinem allerbesten Blutsbruder-Kumpel Tom Freund, der auf den Rufnamen Fix hört und meiner Mehrfach-Ex, die Angela Tussinger, die aus gutem Grund einfach nur Strapsi war.

Sofern es eine Formel für Lotto-Glück gibt, dann ist es das X der hochgradigen Unwahrscheinlichkeit multipliziert mit der Wurzel aus komplettem Irrsinn. Um es vorwegzunehmen, vergiss alles das, was du oder der Rest der Welt sich vorstellt, diese Geschichte ist anders, ziemlich anders.

Glücklich ist nicht der, der anderen so vorkommt, sondern der, der sich dafür hält (Seneca)

Protagonisten:

Albert Alzheimer/ Kunde von Essen auf Rädern

Bettina Nymphenbacher/ Stephans 1. Mädchen

Biggi Zicke/ Tankstellen-Kollegin

Billy Boy/ Barkeeper Hotel California

Bleifrei/ Chef +Tankstellenpächter

 

Blondie Sommer /Reisebürotante

Daniel Ehrlich/ Banker bei der Bank von Nebenan

Dr. Heinz Durchblick/ Notar + Cousin v. StB Edi Fuchs

Dr. Gottfried Leichenblass/ Hotelarzt

Edi Fuchs/ Steuerberater

Fix (Tom Freund) sein bester Freund, Autoschrauber

Frank Bank/ neuer Banker der Bahama-Bank)

Frau Maus/ Rezeptionistin Hotel Graue Maus

Fritz Schmieringer/ Pressefotograf +Kollege von Kati

Gamaschen-Ali/ Kumpel aus der Suchtklinik

Gupi/ Gummipuppe

Hassan Nakamura/ Kumpel aus der Suchtklinik

Hermann Monster /Sicherheitsmann im Hotel California

Hotel Graue Maus/ zweitklassiges Hotel

Hotel California (KKH = Kim Kong Hotel)

Hubert Schummler/ Versicherungsagent ABC Versicherung

Isabella Steinreich/ Mutter von Stephan

Jonny Rollator/ Kunde von Essen auf Rädern

Katarina ohne H (Kati) Journalistin vom Schmierblatt-Express

Kevin Krass/ GF Schuldnerberatung Krass & Witzig

Kim Kong Tui/ Hoteldirektor Hotel California

Kneipinger/ Wirt von Stephans Stammkneipe

Lucky/ Barkeeper im Hotel California

Maxilein/ Stiefbruder von Stephan

Nicole Liebhuber/ das 2. Mädchen von Stephan

Norbert Schlaumann-Armleuchter/ Lotto-Berater

Niemehr (Niemand/Niewieder)/ Rechtsanwalt

Opa Max Steinalt/ Stephans Opa und Oma Luise

Otto Pappenheimer/ Kollege Tankstelle

Paul Schlau/ Vertreter von Frank Bank in der Bahama Bank

Paulinchen Petze/ Kollegin Tankstelle

PS Schnellinger (Paul Simon)/ Autoverkäufer

Reiner Wucher/ Vermieter

Renate Schönhaus/ Immobilien-Maklerin

Rudi Vollschutz/ ehemaliger Versicherungsagent und undurchsichtiger Geschäftsmann

Stephan Steinreich/ Jackpotgewinner und der ewiger Verlierer

Strapsi (Angela-Julia Tussinger) Ex von Stephan, Friseuse

Susanne Glück/ Lottotante

Süße/ Bank-Assistentin bei Bahama Bank

Tante Hilde /Stephans erfundene Erb-Tante

Weißbier-Hugo/ Kumpel aus der Suchtklinik

Willi/ Stiefvater

1-Fix

Tom und ich waren superdicke Freunde wie Tom Sawyer und Huckleberry Finn und manchmal spinnefeind wie Katz und Maus. Wir waren Kumpels auf Biegen und Brechen und gingen uns dann wieder jahrelang aus dem Weg. Wir haben die wildesten Dummheiten gemacht und waren beinahe Todfeinde. Zwei wie Pech und Schwefel und dann wieder …. Konkurrenten… und wir waren gleich alt aber ansonsten einer von dem anderen so ziemlich das gegenseitige Gegenteil und sind es bis heute geblieben.

Kaum vorstellbar, dass dieser damals sechsjährige neunmalkluge Bengel aus Berlin-Neukölln, zu meinem Kumpel, Freund und Blutsbruder geworden ist, als er mit seinen Eltern in das Mehrfamilienhaus meiner tiefbayerischen Heimat eingezogen ist, in dem ich mit meiner Mutter gewohnt habe. Tom, oder Fix, wie ihn sein Vater so gern nannte, hatte eine große Klappe und war nie auf den Mund gefallen, clever, technisch äußert geschickt und immer einen Schritt voraus, egal um was es ging. Kurz, ein echter Draufgänger, oder wie wir in Niederbayern zu sagen pflegen: ein voglwuider Hundling, der sich so ziemlich alles zugetraut hat, was Gott verboten hat, und trotzdem dabei immer mächtig Dusel hatte.

Vielleicht sollte man unsere Freundschaft -zumindest phasenweise- auch eher als eine praktische Zweckfreundschaft bezeichnen. Ich sein Buhmann für alle Gelegenheiten und er derjenige, von dem ich jeden Trick hätte lernen können und der meine Unfall-Schrottis, beziehungsweise das, was davon übriggeblieben ist, wieder zusammengeflickt hat. Und doch, wir haben uns irgendwie ergänzt, Tom Freund und ich. Natürlich war es mehr als absehbar, dass es in unserer Freundschaft auch mächtig Zoff geben würde und Zerwürfnisse vorprogrammiert waren, die teilweise über Jahre hinaus gegangen sind. Der Grund war immer derselbe. Es war seine Hurenbock-Seele und es ging immer um dasselbe Mädchen.

Man kann unsere Freundschaft auch mit einem deftigen Kotelett vergleichen, das einige unverdauliche Knorpel hat, die man beim besten Willen nicht hinunterschlucken kann oder an denen man eine Ewigkeit kaut, bis sie endlich verdaut sind. Der Sieger am Ende war dann trotzdem Fix.

2-Stephan Steinreich

Ich dagegen war wie das Butterbrot, das immer mit der falschen Seite auf den Boden gefallen ist. Das bedauernswerte Butterbrot hieß Stephan. Dafür habe ich wenigstens einen verflucht gut klingenden Familiennamen von meiner Mutter bekommen, Steinreich, Stephan Steinreich. Mein Vater dafür Fehlanzeige und Fragezeichen. Das war`s.

Stopp, es ist zwar keinen Pfifferling wert, aber ich habe es so reichlich, dass es schon weh tut. Gutmütigkeit. Ja, ehrlich. Es ist diese verdammt blöde Sorte von Gutmütigkeit, die mich immer wieder auf alle Lügen und Versprechungen hereinfallen lässt. Ob ich darauf stolz sein soll? Wenn nicht, dann kann ich als ungewünschte Zugabe noch mein ausgeprägtes Versager-Gen draufpacken, und der erklärte Pechvogel meines Jahrgangs mit der bescheidenen Daseinsberechtigung einer Rest-Mülltonne ist perfekt, danke.

3-Strapsi

Und dann war da noch die Strapsi. Sie liebt mich, sie liebt mich nicht, sie liebt mich vielleicht, sie liebt mich wieder nicht. Sie ist nur ein Jahr jünger als ich, aber trotzdem war sie mir beziehungstechnisch immer meilenweit voraus. Sie geisterte seit meiner Schulzeit in meinem Leben herum und tauchte immer wieder auf. Immer dann, wenn ich nicht damit gerechnet hatte.

Meine Mehrfach-Ex war ein echter Hingucker, das muss ich ihr lassen. Die geile Maus war und ist ein richtig böses, böses Mädchen. Sie raubte mir mein Hirn und meinen Restverstand, und das nicht nur einmal. Eigentlich ist ihr Name Angela Tussinger und ihr Plan A war eine Karriere als Model und als konsequente Folge davon sehr viel Zaster zum Flatrate-Shoppen.

Genaugenommen hatten wir so wenige Gemeinsamkeiten, wie eine ausgestopfte Fledermaus mit einem gegrillten Hendl am Oktoberfest, bis auf die Sache mit dem Glück. Hier ging es ihr nicht viel besser als mir. Auch sie konnte nicht von sich behaupten, ständig davon verfolgt zu werden. Es hat sie trotzdem nicht abgehalten, jahrelang immer wieder und immer noch davon zu träumen, eines Tages in einem Haufen voller Geld zu schwimmen, während sie sich Tag für Tag in dem ungeliebten Friseursalon ihrer noch weniger geliebten Tante die Füße in den Bauch gestanden hat. Dabei wäre sie noch vor ein paar lächerlichen Wochen tatsächlich so verdammt nah dran gewesen, unglaublich nahe. Doch eben nur nahe. Da hat die geldgeile Zuckerschnecke echt Pech gehabt, dieses Miststück mit dem megascharfen Hinterteil und ihrem nimmerstillen frechen Mäulchen. Manchmal ist das Schicksal schon echt gemein oder soll ich es einfach ein eindeutiges Zeichen von Gerechtigkeit nennen?

4-unglaublich-

Kennst du so einen Tag, an dem du mit dem falschen Fuß aufgestanden bist, dir mit dem anderen so fest die große Zehe an der Bettkante angestoßen hast, dass der höllische Schmerz wie ein Pfeil durch deinen ganzen Körper sticht; du beim Duschen auf der Seife ausrutschst und volle Kante mit dem Hinterkopf gegen die altmodischen Fliesen krachst, dir anschließend eine volle Tasse brühend heißen Kaffees über das frisch gebügelte weiße Oberhemd schüttest; dir ein Rechtsabbieger den Parkplatz wegschnappt, für den du schon unzählige Minuten als Linksabbieger in der Warteschleife stehst und du am liebsten wie ein HB-Männchen in die Luft gehen möchtest; wie du nach zusätzlichen dreißig Minuten Weiter-Parkplatz-Suchen mindestens fünfhundert Meter weit zur Arbeit hetzt, während es wie aus Gießkannen zu schütten begonnen hat und du klitschnass wirst, weil du wie selbstverständlich den Regenschirm zu Hause vergessen hast? Natürlich hast du auch kein passendes Kleingeld für den Parkautomaten dabeigehabt und damit einen deftigen Strafzettel riskiert. Genau so ein Tag muss es gewesen sein, als mich die Gebärmutter zusammen mit ein paar zuvor ausgelaufenen Litern Fruchtwasser gnadenlos ausgespuckt hat in eine Welt, die mit einem Güterzug voller Missgeschicken auf mich gewartet hat um die Katastrophen und Pechsträhnen wie einen Bandwurm durch mein Leben ziehen zu lassenbis zu diesem denkwürdigen Sonntagvormittag, dreiundvierzig Jahre später, als die Radiostimme sechs Zahlen und eine Zusatzzahl aufzählte.

Nein, ich konnte es einfach nicht glauben. Wieder und wieder stelle ich mir diese Frage, warum genau ich, warum genau jetzt, nach einem Leben, das nicht mehr wert war als ein Hundehaufen am Bürgersteigrand. Warum plötzlich diese wahnsinnige Wende in meinem Leben, in dem das Wort Glück ein Fremdwort gewesen war? Vierzig Jahre eines Lebens, das prall gefüllt war wie ein Fotoalbum mit Erinnerungen an Niederlagen, Enttäuschungen und Reinfällen. Ganz ehrlich, nein, das konnte nicht sein, das war unmöglich, ausgerechnet ich, der Superlooser meines Jahrgangs. Das war so verdammt abwegig wie eine Kondompflicht beim E-Roller-Fahren, der Eberhofer als weibliche Teilnehmerin bei Guido Kretschmer`s Shopping-Queen, oder eine Friday-for-Future-Demo-Plicht für Außerirdische.

Okay, ich wollte mich ja nicht dagegen wehren, geschweige denn beschweren, keinesfalls, ich wäre ja völlig irre gewesen. Das war alles nur so gigantisch unfassbar gewesen. Doch wie ich über mein bisheriges Leben nachgedacht hatte und das, was mir alles widerfahren war … ja, genaugenommen ich hatte es verdient und zwar so was von verdammt richtig verdient, nachdem das Glück lange genug einen Riesenbogen um mich gemacht hatte. Nun war es nichts anderes als eine Gerechtigkeit die längst überfällig war. Überfällig für mich und um ein Vielfaches mehr gerechtfertigt, als für jeden anderen Lottogewinner auf dieser ungerechten Welt, endlich den großen Wurf zu machen, endlich sorglos auf dem Zebrastreifen meines künftigen Lebens zu wandern.

Hätte mich jemand gefragt, wie ich mich dabei gefühlt habe, ob ich das Bedürfnis hatte, wie ein geköpftes Huhn im Kreis herumzulaufen? Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht mehr so genau. Wie hätte ich diesen wahnsinnigen Glücks-Meilenstein mit viel zu banalen Worten treffend beschreiben sollen? Irgendwie war ich noch gefangen im Biotop meiner erfolglosen Vergangenheit, als ob ich die alten Fesseln nicht abschütteln könnte. Dabei lag der Schlüssel für meine neue Freiheit direkt neben mir. Ich brauchte ihn nur benutzen, statt mich immer noch mit den idiotischen Gedanken eines Vergangenheits-Versagers zu beschäftigen. Die Karten meiner Zukunft waren neu gemischt worden und diesmal war es mein Joker gewesen.

 

Die Bilder sind in meinem Kopf immer noch präsent, als ob es gerade passiert wäre. Der Regisseur in meinem Kopf drückt auf den Knopf und spult den ganzen Film noch einmal ab. Meine Augen sitzen in der ersten Reihe einer überdimensionalen Kino-Leinwand in 3D.

An einem Vierundzwanzigsten hatte ich die Idee Lotto zu spielen.

Es passierte irgendwo auf dem kurzen Weg zwischen Küchenzeile und abgenutzter Kunstleder-Couch, als die Radiostimme routinemäßig ein paar Zahlen heruntergeplappert hat, Sonntagvormittag, im Anschluss an die Nachrichten. Eigentlich weiß ich ehrlich gesagt gar nicht, weshalb ich da überhaupt immer wieder zugehört hatte. Es war nichts anderes als reine Zeitverschwendung. Ein geborener Jahrhundertpechvogel mit einem Anti-Glücks-Karma wie dem meinem hätte sich das beruhigt schenken können. Aber da gab es doch diese Geschichte mit dem blinden Huhn und dem Korn? Egal. Drei Zahlen waren im Geräusch-Mix einer sich selbst abschaltenden Kaffeemaschine, dem Knarzen der veralteten Küchenkästchen-Schublade und dem Rascheln der Kunststoffverpackung zu meinen Ohren durchgedrungen, als ich mit der Kartoffel-Chip-Tüte wieder auf der Couch gesessen bin. Wie üblich, sollte das mein zweites Frühstück sein und zugleich mein Mittagessen, so wie ich es alle Sonntage gehandhabt hatte. Obwohl ich zugegeben noch nie der begnadete Zahlenmerker gewesen bin, hatte sich meine Zahlenreihe mit den sechs Ziffern längst irgendwo wie ein Brandzeichen in einer Gehirnspalte so tief eingegraben, dass ich sie blind und aus dem Tiefschlaf erwachend rückwärts hätte aufzählen können. Vielleicht einfach deshalb, weil ich das Lieblingsglücksspiel der Deutschen Woche für Woche -völlig zwecklos, wie schon erwähnt- mitgespielt hatte. Obwohl… immerhin drei Richtige, das war im Ausnahmefall schon mal vorgekommen, okay. Drei Richtige, ein Zehner, das ist ein saftiges Schnitzel beim Schnitzelwirt. Verdammt, vielleicht auch ein Vierer, das ist ein Fuffi. Egal, Gewinn ist Gewinn, selbst ein Zehner ist für mich okay. Warum ich überhaupt noch auf die überflüssige Idee gekommen war, auch die anderen Zahlen im Bildschirmtext zu checken, weiß ich nicht mehr. Gewohnheit, banal und simpel!

Heilige Scheiße, auch die vierte Zahl stimmte überein! Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass ich schon mal vier richtige Kreuzchen gehabt habe, wow. Aber was dann kam hat mir den Boden unter den Füssen weggezogen, freier Fall, absoluter Irrsinn. Mein Herzschlag begann zu hämmern, bumbum bumbum. Konnte das sein? Die fünfte und die sechste Zahl waren ebenfalls identisch! Lesefehler? Nochmal. Skeptisch verglichen meine Augen die Zahlen im Bildschirmtext in gedanklicher Zeitlupe Zahl für Zahl. Aber mein auf Verlierer getrimmter Verstand konnte immer noch nicht begreifen, was meine Augen gerade abgelesen hatten.

Was war da gerade passiert? Hatte ich soeben dieselben Zahlen gelesen, die ich regelmäßig auf meinem Lottoschein ankreuzte? Meine Zahlen? Was, wenn ja? War ich besoffen oder träumte ich? Unmittelbar stieg eine gewaltige Hitzewelle in mir auf, die sich im nächsten Augenblick in den Temperatur-Keller meines Media-Markt-Kühl-schranks verwandelte und mich wie zu einem Eisklumpen gefroren dasitzen ließ, regungslos und unfähig einen klaren Gedanken zu fassen. Wo blieb der urgewaltige Freudenschrei und der Ausbruch der Emotionen? Ich kann mich lediglich noch daran erinnern, dass mich einen zeitlosen Gedankengang später ein Schock wie ein Stromschlag in die schlachthofgraue Realität meines Looser-Daseins zurückholte.

Verflucht, wo habe ich diesen verdammten Lottoschein? In der Schublade? Im Geldbeutel? Ich habe doch gespielt und abgegeben, oder? Ich habe doch diese Zahlen angekreuzt, so wie immer, oder nicht? Wie ein urplötzlicher Messerstich waren diese Fragen gnadenlos in mich eingedrungen und hatten dabei jeden Bruchteil von aufkommender Freude zu blanker Panik werden lassen. Das Wechselbad von Freude und Angst war wie eine kochende Suppe, die im nächsten Moment zur Tiefkühlkost erfror. Es erstickte den vermeintlichen Traum vom Glück im Keim, bevor er überhaupt die Chance eines Atemzugs hatte. Vielleicht wäre ich unter normalen Umständen angesichts des Unglücks im Glück und einem abhanden gekommenen Lottoschein mit den sechs Richtigen sogar bewusstlos zusammengeklappt, wenn ich nicht an das Szenario gewöhnt gewesen wäre, immer auf der Verliererseite zu sein. So aber war ich nur wie versteinert, unfähig mich zu bewegen, unfähig zu schreien, unfähig irgendwas Rationales oder Emotionales von mir zu geben. Die Frage aber blieb, wo war der verdammte Lottoschein.

Was hatte ich in meinem bedauernswerten second-hand-Leben nicht schon alles verloren. Das waren mehr als nur Handy, Autoschlüssel und die PIN meiner Bankkarte. Das waren mein Elternnest, kaum dass ich Achtzehn war, den Kontakt zu meiner Restfamilie oder das, was man Familie nennen könnte, meine pretty woman -mehrmals-, mein Großvater, der einzige, der wirklich zu mir gehalten hat, der Autofahrer-Lappen, wegen ein paar lächerlichen Promille, mehr als ein Job, von denen die meisten es aber gar nicht wert waren, eine abgefackelte Bude für eine viel zu hohe Miete, alles, was etwas Geld wert gewesen wäre, einschließlich des für mich Erspartem meines Großvaters beim Black Jack, die meisten meiner Autos, nachdem sie unfallbeschädigt nicht mehr reparierbar waren, meine Glaubwürdigkeit, mein bisschen Stolz und am Ende die Hoffnung und der Glaube an die Gerechtigkeit. Und jetzt auch noch die Fahrkarte in ein anderes Leben. Was nun? Lottoschein suchen.

Zugegeben, meine Bude war weit entfernt von einem perfekt durchorganisierten Zentrum eines pflichtbewussten spießigen Aktensortierers. Leitz-Ordner mit einem alphabetischen Register sind auch nicht unbedingt mein Ding und der unkatholische Stapel ohne irgendwelche einschränkenden Sortier-Systeme ist mir grundsätzlich schon immer deutlich sympathischer gewesen. Natürlich bedeutet das im Gegenzug, dass sich eine Geburtsurkunde, ein Schreibstück oder ein simples Heftpflaster zwischen dem Kochbuch für Singles und den alten Schallplatten, die ich kaum mehr anhöre, hineingemogelt hat. Und genauso natürlich konnte eine Packung Nudeln bei den Auswechselglühbirnen hinter dem provisorischen Werkzeugkasten im Abstellfach untergetaucht sein. Aber so ein lächerlich kleiner Lottoschein, der konnte weiß Gott wo überall vor sich dahindümpeln. Ob ich wollte oder nicht, es gab nur den einen verfluchten Weg, die ganze Single-Bude komplett auf den Kopf zu stellen, so sehr ich eine solch aufwendige Aktion auch hasste.

Es überraschte mich gar nicht, dass dieses scheiß kleine Papier-Ding mit den sechs Kreuzchen einfach nicht zum Vorschein kommen wollte, egal wo ich auch suchte. Es war echt zum Kotzen. Selbst der Papierkorb und der Abfallkorb blieben eine Niete. Es war zum Verrücktwerden, zum Durchdrehen. Na klar, so was von verdammt klar. Nicht mal das funktionierte bei mir. Und genau in diesem wichtigen Moment in meinem Drecks-Leben war das Looser-Karma, das mich seit meiner Kindheit wie eine unausrottbare Seuche verfolgt hat, wieder präsent. Es hatte wieder einmal mehr die beschissene Oberhand gewonnen, eigentlich gar keine Überraschung. Die ganze Durchwühlerei war für den Arsch gewesen. Am Ende blieb also nur eine wie von einem FBI-Team zerlegte Junkie-Unterkunft übrig und die sehr schmerzhafte Erkenntnis, dass ich mir wohl den Gewinn meines Lebens einfach in die Haare schmieren konnte, scheiß drauf.

Alles war wie immer! Mit Ausnahme meiner relativ stabilen Gesundheit hat sich das komplette Pechvogel-Programm wie ein dunkelroter Faden durch die Biografie meines Lebens gezogen.

Mein erstes negatives Highlight war mein Vater. Er war einfach nicht existent, niemand, den ich so nennen konnte. Nicht einmal meine Mutter konnte das. Sie war eine attraktive, schlanke blonde Frau, Isabella Steinreich. Sie hatte keinen Krümel Geld und musste mich allein großziehen und nebenbei die Miete für unsere Wohnung aufbringen. Erst heute war mir klar geworden, womit sie sich finanziell in dieser Zeit über Wasser gehalten hatte, und warum sie mich jeden Nachmittag zum Spielen rausgeschickt hat, egal welche Jahreszeit, egal welches Wetter und mir strengstens verboten hat vor sechs Uhr abends wieder zuhause zu sein. Das ist erst anders geworden nach meinem zweiten negativen Highlight, als sie diesen Kotzbrocken von Stiefvater, den Willi, geheiratet hat. Er wird wohl einer dieser Nachmittags-Männer-Besucher gewesen sein. Ich wusste nie, warum, aber er hat mich auf dem Kicker gehabt, vom ersten Tag an. Für ihn war ich nur ein lästiger Bengel.

Mann, so eine Riesenscheiße! Verdammt, was wäre das für ein Ding gewesen, ein Lottogewinn, fettes Geld, endlich in die Sonne eines Lebens zu blicken, das man als lebenswert bezeichnen konnte. Ich habe es mir immer in tollen Bildern ausgemalt, echt oberaffengeil. Jokü-Riepa-Pokau-Mefli-Neuwo. (Job kündigen, Riesenparty, Porsche kaufen, Mexiko fliegen und neue Wohnung).

Die Hitliste war schon lang in meinem Kopf verewigt als ob ich sie als kleiner Junge in einen Baum oder in eine Parkbank eingeritzt hätte, so wie es die Liebespaare mit ihren Vornamen und einem Herzen tun. Die Wunschliste war gerade in diesem Augenblick sie so penetrant vor meinen Augen gewesen wie der TV-Werbeblock fünf Minuten vor Ende des Blockbusters.

Werbung eins, ich kündige den unterbezahlten Job, gefolgt von Werbung zwei, in der ich eine Riesenparty mit allem Drum und Dran schmeiße. In der dritten Produkt-Platzierung erscheint ein nagelneuer roter Porsche, der ganz allein mir gehört, anschließend fliege ich nach Mexiko zum Traumurlauben und im letzten Werbejingle suche ich mir eine megaschicke neue Wohnung in einer gepflegten Gegend, die sich sehen lassen kann. Vermutlich war das nicht großartig abweichend von der Wunschliste anderer Glücksschwein-Kollegen, die ihren verfickten Lottoschein tatsächlich in und zur der Hand haben.

Das wäre mein Traum gewesen. Verdammt nochmal und ich bin so scheiß nahe dran gewesen. Ich mochte es nicht glauben, ich konnte es nicht glauben. Diese verflixte Lottoquittung konnte sich doch nicht in Luft aufgelöst haben.

In meiner ausweglosen Situation musste ich an Fix denken, er hätte den Schein mit Sicherheit gefunden. Er hat immer alles gefunden, den versteckten Schlüssel jeder Gartenlaube, mein geheimes Kondomversteck, den Weg zur abgelegensten Spelunke, vielleicht sogar diese Nadel in diesem Heuhaufen, einfach alles. Er hatte immer die Nase dafür, den richtigen Riecher. Fix, seinem Ausweis nach eigentlich Tom Freund, schlaksige einsneunzig und dunkelhaarig. Er war ein echtes Phänomen auf seine Art, und trotzdem hat er -bis auf seine zugegeben geniale Autoschrauberei- nichts daraus gemacht. Aber wenn ich ihn gefragt hätte, an welcher Stelle ich suchen sollte, dann hätte er mich wahrscheinlich einfach angesehen, voller Zuversicht, so wie er es immer tat. Er würde nicht lange gegrübelt, in seinen unzähligen Hosen- und Jackentaschen herumgekramt und ermahnend zu mir gesagt haben:

„Meine Fresse, jetzt mach dir bloß nicht ins Hemd. Wir finden dieses verfickte Papierschnipsel.“ Bestimmt hätte er dazu einen Gesichtsausdruck aufgesetzt, als ob er nachdenken würde und kurz darauf einen seiner Schraubenschlüssel aus der Hosentasche gefingert haben. Mit ihm hätte er in der Manier eines Profi-Zauberers in der Luft herumgefuchtelt wie mit einem Zauberstab, ihn auf mich gerichtet und dann hätte er gesagt:

„Du weißt es. Mach deine Augen zu, denk an einen geilen dreihundert-PS-Schlitten, stell dir den Kofferraum vor, das Handschuhfach, die Seitenablage, das Konsolenfach. Denk an nichts anderes.“ Nach einer gut inszenierten Gedankenpause wäre an dieser Stelle immer sein „ich zähle bis drei!“ gekommen, gefolgt von einem coolen Grinsen und seinem Standardspruch: „Des kleinen Mannes Sonnenschein ist ficken und besoffen sein … oder dieser Lottoschein.“

Und plötzlich hatte ich den einzigen Platz im Kopf, an dem ich noch nicht nachgesehen hatte. Wie ein Geistesblitz, zu simpel, um es auf Anhieb gewusst zu haben. Meine unspektakuläre Hosentasche, in der sich so manches sammelte, was gerade noch Platz fand.

Fix war ein Unikum an Ideen und Einfällen. In unserer Tom-und-Huck-Phase sind wir fast täglich ausgerückt, Schatzsuche statt Schule. Fix war von dem zwanghaften Drang besessen, etwas auszugraben zu wollen. Von seinen supergeheimen auf Pergament gekritzelten Schatzkarten behauptete er felsbrockenfest, dass er sie in einem uralten Buch in der öffentlichen Bibliothek gefunden hatte. Kann man glauben oder nicht. Egal, wir waren Jungs und wir haben wirklich alles Mögliche ausgebuddelt, einen Klodeckel, ein Gebiss, eine Blechdose mit unbekannten verrosteten Münzen, ein vergrabenes Mofa und ein paar Knochen.

Natürlich liegt jetzt -mehr als 20 Jahre später- der Verdacht nahe, dass er die Schatzkarten selbst gekritzelt und auch den ganzen Kram selbst verscharrt hat, um ihn dann später unter großem Trara mit mir wieder ans Tageslicht zu befördern und mit der Trophäe seine Schatzsucher-Fähigkeiten unter Beweis stellen wollte. Aber er war einfach der Typ für die Show, das hat er nie abgelegt, dieser irre Hundling. Im Gegenteil, er hat sein schauspielerisches Talent mit den Jahren weiter perfektioniert und daraus etwas gemacht, das er in allen möglichen Lebenslagen angewendet hat. Und er tut es immer noch.