Dennis & Guntram – Zaubern für Helden

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Dennis & Guntram – Zaubern für Helden
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Hubert Wiest

Dennis und Guntram – Zaubern für Helden

(Band 4)

Für Nina, Janek, Ben und Lola

WAS BISHER GESCHAH

Fünftklässler Dennis Blauberg hat endlich einen guten Freund gefunden, den zehnjährigen Zauberer Guntram Mempelsino von Falkenschlag. Ein Zauberer als Freund könnte vieles einfacher machen. Doch seit Kalle, der Anführer der Haibande, in Guntrams Zauberstab gebissen hat, geht beim Zaubern so einiges schief.

Dennis und Guntram gehören nach einer Mutprobe im Schwimmbad auch zur Haibande, aber immer bestimmt Kalle, wo es langgeht. Das nervt manchmal ziemlich. Trotzdem halten die Fünf von der Haibande zusammen, wenn es darauf ankommt.

1. Der Duda


„Hey, du da, nenne mir fünf deutsche Bundesländer!“, rief Herr Zieseke, der Geografie-Lehrer. Sein Finger deutete direkt auf Dennis. Dennis wich aus. Er bog sich zur Seite. Vielleicht meinte Zieseke überhaupt nicht ihn, sondern Flora in der hinteren Reihe. Doch der Zeigefinger folgte Dennis wie eine Kompassnadel dem Nordpol. Dennis bekam einen tomatenroten Kopf. Nicht, dass Dennis fünf deutsche Bundesländer wie aus der Pistole geschossen gewusst hätte. Nein, sicher nicht, aber drei wären ihm schon eingefallen. Viel mehr ärgerte Dennis, dass Zieseke seinen Namen nach zwei Monaten noch immer nicht kannte. In der alten Schule wusste Frau Bretscher die Namen aller Kinder gleich am zweiten Tag, und sie vergaß nicht einen einzigen Geburtstag.

„Du da, sag schon“, bohrte Herr Zieseke nach.

„Nennen Sie erst meinen Vornamen, dann können wir über die Bundesländer reden“, gab Dennis pampig zurück.

Dennis erschrak. Hatte er das wirklich gesagt? Am liebsten wäre er im Boden versunken und nie wieder aufgetaucht. Welcher Teufel hatte ihn da geritten?

Die fünfte Klasse war nie besonders ruhig, schon gar nicht in Geografie. Aber jetzt erstarrten alle wie schockgefroren. Niemand bewegte sich. Keiner blätterte in seinem Heft. Nicht ein einziger Papierflieger segelte durchs Klassenzimmer. Kein Atemzug war zu hören.

Nur Herr Zieseke sog die Luft durch die Zähne, dass es pfiff. Mit knarzenden Schuhen schritt er auf Dennis zu. Noch einen Augenblick kostete Herr Zieseke die Stille aus. Dann bellte er: „So eine Unverschämtheit ist mir noch nie untergekommen, so wahr ich Zieseke heiße. Bis zur nächsten Stunde schreibst du alle sechzehn Bundesländer auf. Und zwar jedes fünfzig Mal. Hast du mich verstanden, du da?“ Herr Zieseke drehte ab und schritt in aller Ruhe zum Pult.

Fünfzig Mal? Das war Wahnsinn. Dennis zitterte vor Wut. Sein Kopf dröhnte. Ohne vom Tisch aufzusehen murmelte er ganz leise: „Blödmann.“ Doch er hatte die Stille unterschätzt.

Herr Zieseke zuckte zusammen und fauchte wie ein angeschossener Löwe: „Du da, das habe ich ganz genau gehört. Einhundert Mal. Du schreibst jedes Bundesland einhundert Mal auf.“

Die Klasse verharrte mucksmäuschenstill.

Herr Zieseke schritt die Reihen ab. „Wer möchte sich dem da anschließen?“, rief er in scheinbar bester Laune und deutete mit dem Daumen lässig über seine Schulter - dorthin, wo Dennis saß.

Keiner muckste. Selbst Kalle, der sonst nie ein Blatt vor den Mund nahm, saß wie versteinert auf seinem Stuhl.

„Na also. Es geht doch. Ein bisschen Disziplin und Ordnung sind das halbe Leben“, sagte Herr Zieseke und nahm ein Stück Kreide in die Hand.

Dennis sackte in sich zusammen. Hundert Mal sechzehn Bundesländer ergab eintausendsechshundert Wörter. Wenn man die Länder mit den Doppelnamen wie Schleswig-Holstein als zwei Wörter zählte, waren es noch viel mehr. Dafür würde er den ganzen Nachmittag brauchen. Ausgerechnet heute, wo er die anderen im Skatepark treffen wollte. Das konnte er sich jetzt komplett abschminken.

Dennis hörte nicht einmal den Schulgong, so sehr kreisten seine Gedanken um die ungerechte Strafe. Er fühlte sich wie in einem Wattenebel. Umständlich stopfte er die Bücher in seine Schultasche.

Auf dem Heimweg schlug Guntram vor, dass er die Hälfte der Worte übernehmen würde. Dennis' Last schien sich für einen Augenblick zu halbieren, doch dann winkte er ab: „Du hast eine andere Schrift. Der Zieseke merkt so etwas. Das ist zu gefährlich. Sonst lässt er mich weltweit alle Städte tausend Mal aufschreiben.“

„Das sind aber viele“, schluckte Guntram erschrocken.

Zu Hause pfefferte Dennis seinen Schulranzen in die Ecke. Jetzt konnte er die Tränen nicht mehr unterdrücken.

„Mama, die neue Schule ist total bescheuert“, beschwerte er sich bei seiner Mutter. Und dann erzählte er, was passiert war. Fast alles. Nur das mit dem Blödmann erwähnte er nicht. Über so ein Detail würde sich seine Mutter höchstens aufregen.

Frau Blauberg zog die Augenbrauen zusammen und machte eine dicke Falte auf der Stirn: „Da ist Herr Zieseke aber zu weit gegangen. Den werde ich mir kaufen.“ Sie wischte ihre Hände am Geschirrhandtuch ab und warf es wütend Richtung Spüle. „Mit diesem Herrn Geografie-Lehrer werde ich gleich einen Termin ausmachen.“

Dennis erschrak. Um Himmels willen, nein. Das würde alles noch viel schlimmer machen. „Mama, das ist nicht nötig“, versuchte er seine Mutter zu beschwichtigen. „Damit komme ich schon alleine klar.“

Und plötzlich hatte Dennis das Gefühl, dass er diese Kleinigkeit mit dem Blödmann doch hätte erwähnen sollen. Aber irgendwie passte das jetzt nicht. Er würde es später nachholen.

Dennis setzte sich an seinen Schreibtisch und begann, die Bundesländer aufzuschreiben. Es dauerte, bis er alle sechzehn ein einziges Mal aufgeschrieben hatte. Einhundert Mal, das war doch Wahnsinn! Und dann stellte er auch noch fest, dass er Baden-Württemberg und Thüringen falsch geschrieben hatte. Konnte man Thüringen nicht auch ohne h schreiben, genau wie Tür? Aber das würde der Zieseke ihm nie durchgehen lassen. Diese rasende Ungerechtigkeit! Warum durfte ein Lehrer das? Tränen schossen Dennis in die Augen. Eine tropfte herab. Mitten auf Bayern. Und Bayern verschmierte zu einem großen blauen Fleck, als wäre es der Chiemsee. Wütend riss Dennis das Papier vom Block und zerknüllte es. Er schnappte sich ein Kissen vom Bett und kickte es durchs Zimmer. Immer wieder. Bis das Regal schepperte. Sein Globus stürzte vom Schreibtisch und der Sockel brach ab. „Geschieht ihm ganz recht“, fauchte Dennis. Diese bescheuerte Geografie!

Frau Blauberg steckte ihren Kopf zur Tür herein. „Dennis!“, sagte sie in vorwurfsvollem Ton.

Jetzt fiel ihm Mama auch noch in den Rücken.

Doch dann lächelte Frau Blauberg und meinte: „Es nützt doch nichts, wenn du dich so aufregst. Setz dich hin und fang einfach an. Vielleicht schreibst du die Bundesländer heute fünfundzwanzig Mal auf und morgen sehen wir weiter. Ich backe jetzt einen Apfelkuchen. Du weißt schon, das Rezept von Oma.“

Dennis nickte. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen, als er an den köstlichen Oma-Apfelkuchen dachte. Er schniefte und wischte mit einem Taschentuch übers Gesicht. Dann nahm er ein neues Blatt Papier und einen Bleistift und begann. Fünfunfzwanzig Mal schrieb er das Wort Bayern und dann Bremen. Zuerst die kurzen Bundesländer, hatte er sich überlegt.

Am Abend hatte sich seine Laune dank des Apfelkuchens merklich gebessert. Und der nächste Schultag war auch in Ordnung, da hatten sie keine Geografie.

Doch als Dennis am nächsten Mittag nach Hause kam, machte seine Mutter so ein merkwürdiges Gesicht. Nach süßsaurem Kürbis sah sie aus. Ziemlich ungenießbar.

„Was ist los?“, fragte Dennis.

„Mein Sohn, wir müssen miteinander reden. Setzen wir uns an den Küchentisch.“

Dennis hatte ein mulmiges Gefühl. Diese Gespräche am Küchentisch führte seine Mutter nur, wenn es um furchtbar wichtige Dinge ging. Und seit wann nannte sie ihn mein Sohn? Dennis hockte sich auf die Stuhlkante. Verkrampft saß er da. Sein Magen klumpte, als hätte er einen ganzen Topf Käsefondue alleine gegessen.

Frau Blauberg schob ihre Lesebrille auf die Nase, obwohl sie gar nichts vorlesen wollte. Ernst blickte sie über den Brillenrand und sagte: „Dennis, ich erwarte von dir, dass du mir die Wahrheit erzählst.“

„Mach ich doch“, antwortete Dennis bockig. Er hatte keine Ahnung worauf seine Mutter hinauswollte.

„Ich war heute Vormittag in deiner Schule“, sagte sie, und ohne die Mundwinkel auch nur einen Millimeter zu verziehen fuhr sie fort: „Ich hatte ein Gespräch mit Herrn Zieseke.“

„Aber das solltest du nicht“, sagte Dennis. Und dann fiel ihm wieder diese Kleinigkeit ein, die er vergessen hatte seiner Mutter zu erzählen.

Frau Blauberg hielt das offenbar nicht für eine Kleinigkeit. Sie brauste auf: „Da hab' ich mich aber schön blamiert bei deinem Herrn Zieseke. Blödmann hast du ihn genannt.“

Dennis lief knallrot an. Jetzt war die Kleinigkeit wenigstens heraus. „Ich wollte es dir noch sagen, Mama. Gestern habe ich es einfach vergessen.“ Dennis hatte ein schlechtes Gewissen, aber irgendwie war er auch wütend auf den Zieseke und regte sich auf: „Mama, der Zieseke will, dass wir alle Bundesländer auswendig können und kennt noch nicht einmal meinen Namen.“

Frau Blauberg setzte ihre Lesebrille wieder ab und sah längst nicht mehr so ärgerlich aus. Sie strich Dennis über den Kopf und sagte: „Ich will dir doch helfen. Alles was ich von dir erwarte, ist Ehrlichkeit.“

Dennis nickte und schob ein trotziges Aber hinterher. Frau Blauberg legte ihm den Zeigefinger auf den Mund und sagte: „So übel ist Herr Zieseke gar nicht. Der arme Mann unterrichtet über hundert Schüler. Er tut sich einfach wahnsinnig schwer, alle Namen und Gesichter zu lernen. Er hat mir versprochen, sich zu bemühen.“

 

Dennis grummelte.

Und Frau Blauberg lächelte schon wieder, als sie verkündete: „Ich habe mit Herrn Zieseke verhandelt. Es genügt, wenn du alle Bundesländer fünfundzwanzig Mal aufschreibst.“

„Danke“, murmelte Dennis. „Dann habe ich die Strafarbeit wenigstens schon erledigt.“ Trotzdem blieb so ein mulmiges Gefühl.

Am nächsten Morgen begann die Schule mit Geografie. Natürlich ließ sich Herr Zieseke als Erstes Dennis' Strafarbeit zeigen. Ganz genau las er sie durch und zählte die Wörter.

Die Klasse war so still, dass man Herrn Ziesekes Finger über das Papier fahren hörte.

Ob es wieder ein Donnerwetter geben würde?

Herr Zieseke sah auf Dennis herab. Er machte seinen Mund ganz dünn und sagte: „Na also, geht doch.“ Dann wandte er sich an die Klasse: „Wir schreiben heute in der zweiten Stunde einen kleinen Test. Ich möchte sehen, ob ihr die Bundesländer ordentlich gelernt habt.“

Ein Stöhnen ging durch die Klasse. Herr Zieseke fuchtelte mit dem großen Lineal durch die Luft, um die Kinder zur Ruhe zu ermahnen, und begann mit dem Unterricht.

Dennis hatte sich fest vorgenommen heute besonders gut zuzuhören. Aber so richtig gelang ihm das nicht. Es war so langweilig. Herr Zieseke schritt die Fensterreihe ab. Wie immer trug er einen dunkelbraunen Cordanzug. So einen mit aufgenähten Lederflicken an den Ellenbogen. Dennis fand das lächerlich. Herr Zieseke hatte seine Ärmel bestimmt nicht aufgewetzt.

Da beugte sich Guntram zu Dennis hinüber und flüsterte: „Ziesekes Cordhose ist an den Knien ganz ausgebeult. Ob er dort auch bald Lederflicken aufnäht?“

Dennis musste kichern, so sehr er sich auch auf die Lippe biss.

Wie ein Nashorn walzte Herr Zieseke auf Dennis zu. Sein Zeigefinger ragte aus dem Cordsakko. Er schien Dennis fast zu durchbohren.

„Du da, was habe ich gerade gesagt?“, schnauzte er Dennis an. Dennis zitterte vor Wut und schnaubte. Herr Zieseke sprach ihn immer noch nicht mit Namen an!

Das Schnauben schien Herrn Zieseke zu verwirren. Für den Augenblick ließ er von Dennis ab und fuhr mit dem Unterricht fort. Er erzählte irgendetwas von Endmoränen und der Eiszeit. Mann, war das langweilig. Dennis kochte vor Wut auf den Zieseke.

Nach einer gefühlten Ewigkeit ertönte der Pausengong. Alle Kinder drängten nach draußen, so schnell sie nur konnten.

„Seid pünktlich zurück“, mahnte Herr Zieseke, damit wir unseren kleinen Test schreiben können. „Vielleicht wollt ihr die Bundesländer in der Pause noch einmal wiederholen.“

Im Pausenhof stand die ganze Klasse so dicht zusammen wie sonst nie. Keiner fehlte.

„Der Zieseke ist wirklich ein Idiot“, schimpfte Kalle, „eine Frechheit, wie er Dennis behandelt.“

Eddie und Bruno nickten.

„Meinen Namen kennt er auch nicht“, meldete sich Flora.

Da drängelte sich Guntram in die Mitte. „Ich glaube, ich hab' da so eine Idee“, sagte er und wedelte mit seinem dunkelgrünen Samtumhang.

Dennis schöpfte Hoffnung und deutete auf Guntrams Zauberstab.

Guntram schüttelte den Kopf. „Den brauchen wir nicht“, sagte er. „Ich weiß, wie wir Herrn Zieseke eine kleine Lektion erteilen.“

Alle Kinder starrten Guntram erwartungsvoll an. Sogar Kalle spitzte die Ohren und knuffte Bruno in die Seite, er solle doch endlich still sein.

„Der Zieseke nennt alle du da“, erklärte Guntram.

„Ach nee“, fuhr Dennis genervt dazwischen.

Guntram Mempelsino von Falkenschlag räusperte sich und fuhr fort: „Wenn Herr Zieseke unbedingt möchte, heißen wir alle du da, zumindest in der nächsten Stunde.“

Niemand schien Guntram zu verstehen.

Guntram zwinkerte und sagte: „Auf den Test schreiben wir alle unseren neuen Namen: Du da. So nennt er uns schließlich.“

Bei Dennis machte es klick. Und er sah an den Gesichtern der anderen Kinder: Sie hatten es auch verstanden. Alle waren Feuer und Flamme.

Ein paar Kinder kicherten, als Herr Zieseke am Ende der nächsten Stunde die Arbeiten einsammelte. Schließlich hielt er vierundzwanzig Arbeiten von du da in den Händen. Und Herr Zieseke hatte überhaupt nichts bemerkt. Er war viel zu beschäftig damit, für Ruhe zu sorgen. Und dann rauschte er aus dem Klassenzimmer.

In der nächsten Woche zitterte Dennis genau wie alle anderen Fünftklässler vor der Geografie-Stunde. Vielleicht hatten sie es doch übertrieben?

Herrn Ziesekes Schuhe knarzten, als er das Klassenzimmer betrat. Es war totenstill. Dennis starrte auf seinen Tisch. Niemand wagte, Herrn Zieseke anzusehen.

Herr Zieseke donnerte seine Aktentasche aufs Pult, und dann fing er an, laut zu lachen. Noch nie hatte Dennis Herrn Zieseke lachen gehört. „Kinder, da habt ihr mich ganz schön an der Nase herumgeführt. Einen Spiegel habt ihr mir vorgehalten, so hat sich meine Frau ausgedrückt. Sie meinte, ich muss mich bei euch entschuldigen und schleunigst eure Namen lernen.“

Herr Zieseke ging durch die Reihen und sagte: „Es tut mir leid, Andrea, Jana, Michael, Sebastian.“ Dennis zitterte, als Herr Zieseke vor ihm stand und zum ersten Mal seinen Namen aussprach: „Entschuldigung, Dennis.“

Dennis grinste und Guntram stieß ihn freundschaftlich in die Rippen. „Manchmal geht es auch ganz ohne Zaubern“, flüsterte er.

2. Die Monatskarte


Die 37er-Straßenbahn bimmelte, als sie quietschend am Mühlbachplatz hielt. Dennis drückte sich vom Bordstein ab, so fest er konnte. Die Türen sprangen auf. Gleich hinter Kalle, Eddie und Bruno schwang er sich ins Abteil. Platz vier, noch vor Guntram. Das war ziemlich gut, aber auch notwendig, um noch einen Sitzplatz zu ergattern.

„Rüpel“, schimpfte ein Mann hinter ihm. „Stellt euch gefälligst hinten an“, nörgelte ein anderer. In einer langen Schlange warteten viele Leute an der Haltestelle.

Nur nicht umdrehen. Auf keine Diskussion einlassen, hatte Dennis von Kalle gelernt. Einfach nicht hinsehen und die Kopfhörer auf volle Lautstärke.

Keuchend ließ sich Dennis auf den letzten Platz in der Viererreihe fallen. Kalle, Eddie und Bruno grinsten ihn an. Sie klatschten ein. Nur Guntram war wieder einmal viel zu langsam gewesen. Er ließ sich von einem Anzugmenschen abdrängen und konnte von Glück sagen, dass er noch einen Stehplatz bekam, ehe die Türen die Straßenbahn wie eine Sardinendose verschlossen.

Die neue Schule war viel weiter entfernt. Bis zum Mühlbachplatz fuhren sie jetzt mit dem Fahrrad, und dort stiegen sie in die Straßenbahn. Natürlich kamen sie immer erst auf den allerletzten Drücker an. Wenn sie sich ganz hinten in die Warteschlange einreihten, bekämen sie niemals einen Sitzplatz. Nur Guntram war der Meinung, dass sie sowieso den ganzen Tag in der Schule sitzen mussten und ein bisschen Stehen überhaupt nicht schadete. Guntram verstand überhaupt nicht, worum es ging. Ihm fehlte der Sportsgeist. Es war Ehrensache, einen Sitzplatz zu erkämpfen, da musste Dennis Kalle und den anderen recht geben.

Eine ältere Dame in einem viel zu warmen braunen Wollmantel stand im Gang, direkt neben Kalle. Sie sprach Kalle an. Dennis verstand nicht, was sie sagte, seine Musik dröhnte laut aus den Kopfhörern. Dieser Trick war wirklich super. So konnte er jedem lästigen Gespräch aus dem Weg gehen.

Kalle fingerte in der Jackentasche nach seinem MP3-Player. Er stellte ihn noch etwas lauter und wippte zur Musik. Die Oma hatte überhaupt keine Chance, ihn zu erreichen.

An der Haltestange, die von Kalles Sitz bis hinauf zur Decke führte, klammerte sich die alte Frau fest. Sie war ziemlich klein, kaum größer als Kalle im Sitzen. Ihre Hände reichten nicht hinauf zu den Griffen, die von der Decke baumelten. Sie stand krumm nach vorne gebeugt. Herr Blauberg würde schimpfen, wenn Dennis seinen Rücken so schief machen würde. Aber die Frau hatte wohl keinen Vater mehr. Als die Straßenbahn über die Mühlbachbrücke rumpelte, wurde die Frau hin und her gerissen. Es sah fast aus, als würde sie tanzen. Dennis machte die Augen zu und wippte immer wilder mit dem Oberkörper zur Musik. Da stupste ihn jemand an der Schulter. Die alte Frau? Dennis kniff die Augen zusammen. Er beschloss, die alte Frau nicht zu bemerken. Da packte ihn jemand an der Schulter. Ängstlich öffnete er seine Augen einen winzigen Spalt. Eddie und Bruno grinsten ihn spöttisch an.

„Was ist los?“, fragte Dennis seine Freunde und setzte seine Kopfhörer ab.

„Bei dir sieht das komisch aus, wie in einem Fitnessstudio. Ich meine, wie du herumwackelst“, sagte Eddie, und Bruno nickte dazu.

Dennis erstarrte augenblicklich wie tiefgefroren, und sein Gesicht glühte knallrot. Er beschloss, cooles Wippen zu Hause vor dem Spiegel zu üben.

„Eddie, lass Dennis in Ruhe“, fuhr Kalle dazwischen. „Ich hab' da so ein kleines Problem.“

„Was für ein Problem, Chef?“, fragte Bruno.

„Es geht um den Schulausflug zur Sommerrodelbahn nach Birnberg.“

„Nächsten Montag, das wird super“, freute sich Bruno. „Den ganzen Tag rodeln anstatt Mathe, Englisch und Deutsch.“

„Genau das ist das Problem. Ich habe die zwanzig Euro noch nicht bezahlt und heute ist die allerletzte Möglichkeit, hat Herr Zieseke gesagt. Sonst darf ich nicht mitfahren und muss stattdessen in die Parallelklasse gehen. Und ich Idiot habe mein Geld heute wieder vergessen“, gab Kalle kleinlaut zu.

Betreten sahen Dennis, Eddie und Bruno zu Boden.

„Kann mir vielleicht einer von euch zwanzig Euro leihen?“, fragte Kalle.

„Zwanzig Euro?“, wiederholte Eddie. „Ich wäre froh, wenn ich zwei Euro hätte.“ Und Bruno schüttelte ganz schnell den Kopf, damit er nicht in Verdacht kam, zwanzig Euro zu besitzen.

Sechs Augen starrten Dennis an. Er hatte das Gefühl, dass ihn sogar die alte Frau im Wollmantel ansah. Dennis druckste herum. Ihm wurde plötzlich ganz heiß. Er wischte sich mit dem Jackenärmel über die Stirn. Ja, heute hatte er zwanzig Euro dabei. Aber das war überhaupt nicht sein Geld. Das konnte er nicht einfach verleihen. Mama hatte es ihm gegeben.

„Nun sag schon“, drängte Kalle.

Dennis fühlte sich ziemlich unwohl. Am liebsten hätte er mit Guntram getauscht, der immer noch an der Tür stand und nach draußen starrte.

„Ja, schon, aber ich kann dir das Geld nicht geben“, sagte Dennis.

„Was soll das? Ich gebe es dir doch zurück! Ich dachte, du bist mein Freund!“ Kalle drehte sich wütend zur Seite.

„Meine Mutter hat mir zwanzig Euro mitgegeben, aber davon muss ich die Monatskarte für die Straßenbahn kaufen. Morgen beginnt der November.“ Dennis machte ein ganz zerknirschtes Gesicht.

Kalle ließ nicht locker: „Das ist überhaupt kein Problem. Du leihst mir jetzt die zwanzig Euro, und ich gebe dir das Geld morgen früh zurück. Dann darf ich zur Rodelbahn mitkommen, und du kannst dir rechtzeitig die Monatskarte kaufen.“

„Hm, das müsste gehen“, überlegte Dennis. Er brauchte die neue Monatskarte erst morgen. Dennis zog seinen Geldbeutel aus der Hosentasche und fischte den Zwanzig-Euro-Schein heraus. „Aber du musste mir das Geld unbedingt morgen früh zurückgeben“, sagte er, „sonst kann ich nicht mit der Straßenbahn fahren.“

„Klar, mache ich. Danke, Dennis“, grinste Kalle ehrlich erleichtert.

Und an diesem Tag redeten Dennis, Guntram, Kalle, Eddie und Bruno nur noch von der Sommerrodelbahn. Das würde ein riesiger Spaß werden.

Am nächsten Morgen fuhren Dennis und Guntram mit dem Fahrrad fünf Minuten früher los, damit sich Dennis noch die neue Monatskarte kaufen konnte. Er war der Einzige in der Haibande, der keine Jahreskarte hatte. Doch am Mühlbachplatz warteten weder Kalle noch Eddie und Bruno. Dabei hatten sie es doch extra ausgemacht. Dennis wurde nervös. Er tippelte auf und ab. Die Schlange an der Straßenbahnhaltestelle wurde immer länger. Die Frau in dem braunen Wollmantel hatte sich auch eingereiht. Wo blieben nur seinen Freunde? Dennis' Hände fühlten sich ganz feucht an.

Da bimmelte schon die Straßenbahn um die Kurve. Endlich, in diesem Moment schossen Kalle, Eddie und Bruno um die Ecke. Sie rasten über den Mühlbachplatz und legten direkt neben Dennis und Guntram eine Vollbremsung hin.

„Gerade noch geschafft“, schnaufte Kalle, als er von seinem Fahrrad sprang und das Schloss zuschnappen ließ.

 

„Mein Geld, hast du mein Geld dabei?“ Dennis sah Kalle mit aufgerissenen Augen an.

Die Straßenbahn quietschte. Jeden Moment würde sie halten. Dennis hatte ein mieses Gefühl. Wie sollte er es jetzt noch schaffen eine Monatskarte zu kaufen?

Kalle schlug sich mit der Hand auf die Stirn. „Ich wusste doch, dass ich etwas vergessen habe. Morgen bringe ich dein Geld mit. Ganz bestimmt.“

„Mei-ne Mo-nats-karte“, stammelte Dennis.

Aber das schien Kalle nicht aus der Ruhe zu bringen. „Ist doch kein Problem. Dann fährst du heute ohne Karte. Die kontrollieren sowieso nie.“

„Ich soll schwarzfahren?“, fragte Dennis mit zitternder Stimme.

„Nein, du fährst nicht schwarz. Du kaufst die Monatskarte nur einen Tag später. Darüber regt sich kein Mensch auf“, erklärte Kalle. Eddie und Bruno nickten. Und auch Guntram machte ein zuversichtliches Gesicht.

Die Türen der Straßenbahn fuhren zischend auf.

„Los geht's“, rief Kalle. Er spurtete an der Warteschlange vorbei. Eddie und Bruno hinterher. Und sogar Guntram drängelte heute so sehr, dass er ein „Frechheit“ abbekam. Dennis atmete tief ein und hetzte seinen Freunden nach. Auf dem Trittbrett trat er einem Mann aus Versehen auf den Fuß, sodass dieser mit der Aktentasche um sich schlug. Zum Glück war Dennis längst ins Abteil geklettert und ließ sich neben den andern auf den allerletzten Sitzplatz fallen. Er hatte ein mieses Gefühl. Er wollte nicht schwarzfahren. Guntram versuchte, ihn zu beruhigen: „Dennis, es ist alles in Ordnung. Morgen kaufst du die Monatskarte.“

„Es tut mir wirklich leid, dass ich dein Geld vergessen habe“, entschuldigte sich Kalle. „Ich schreibe es gleich auf. Dann vergesse ich es bestimmt nicht.“ Kalle kramte in seiner Schultasche und zog sein Hausaufgabenheft heraus.

Die Frau im braunen Wollmantel stand wieder neben den Jungs und klammerte sich an der Haltestange fest. Die Straßenbahn rumpelte los.

Von hinten schob sich ein Mann in schwarzer Lederjacke durch den Gang. Er trug seine Haare streng gescheitelt. Der Mann kämpfte sich nicht wortlos durch die Straßenbahn. Er sprach jeden Fahrgast einzeln an und unterhielt sich kurz mit ihm.

„Was will der?“, fragte Dennis nervös und zeigte mit dem Finger auf den Mann.

Guntram zuckte mit den Schultern: „Weiß nicht? Den kenne ich nicht.“

Kalle drehte sich nach dem Mann um und als er wieder zu Dennis sah, war er ganz blass im Gesicht. „Das ist ein Kontrolleur“, murmelte er. Der Kontrolleur war nur noch vier Sitzreihen entfernt.

Dennis rang nach Luft, riss seinen obersten Jackenknopf auf. Er fühlte sich, als hätte ihm der Kontrolleur bereits einen Magenschwinger verpasst. „Was soll ich tun?“, japste er.

„Wir springen einfach an der nächsten Station raus“, schlug Kalle vor.

„Bis dahin hat er uns längst erwischt“, zischte Dennis. „Guntram, du musst mir helfen. Bitte.“

Guntram Mempelsino von Falkenschlag konzentrierte sich. Er schien zu wissen, dass es jetzt wirklich darauf ankam. Guntram riss ein Blatt Papier aus dem Schulranzen und zückte seinen Zauberstab. Zackig schwang er ihn hin und her. Er murmelte Zaubersilben und endlich hörte Dennis das erlösende Plombat.

Es war allerhöchste Zeit. Der Kontrolleur stand nur noch zwei Reihen entfernt. Er schnauzte gerade eine Frau an, sie solle gefälligst ihren Kinderwagen ordentlich an den Rand schieben und ihren Fahrschein herzeigen. Der Kontrolleur machte einen ungenießbaren Eindruck. Dennis lief es eiskalt über den Rücken.

Das Blatt Papier zuckte unter Guntrams Zauberstab. Es blitzte kurz auf und im nächsten Moment schrumpfte es zu einer kleinen Karte zusammen. Es leuchtete marzipanrosa und war rund wie ein Bieruntersetzer. In goldenen Schnörkelbuchstaben stand darauf zu lesen: Dennis' Monatskarte.

„Spinnst du?“, rief Dennis. „Das geht niemals als Fahrkarte durch. Das Ding kann ich dem Kontrolleur auf keinen Fall zeigen.“

Guntram machte ein betretenes Gesicht. „Ich kann's ja noch einmal probieren“, murmelte er und ließ den Zauberstaub über die rosa runde Fahrkartenfälschung kreisen.“

Eddie und Bruno rutschten ein wenig zur Seite, so als würden sie Dennis nicht kennen.

„Gleich hält die Straßenbahn“, murmelte Kalle.

Aber es war zu spät. Der Kontrolleur stand schon vor ihnen. Er hatte sich breitbeinig aufgestellt. Es gab kein Entkommen. Die alte Frau im braunen Wollmantel hatte er mit dem Ellenbogen zur Seite geschoben: „Fahrkartenkontrolle“, bellte er und hielt den Jungs seinen Ausweis unter die Nase.

Umständlich kramte Kalle in seiner Hosentasche. Eddie hatte seine Fahrkarte als Erster gefunden. Bruno machte so eine bescheuerte Verbeugung, als er sein Ticket vorzeigte. Zuletzt fischte Guntram seine neue Monatskarte aus dem Geldbeutel.

„Und du?“, wandte sich der Kontrolleur an Dennis.

Dennis wäre am liebsten in Ohnmacht gefallen. Er starrte auf den Boden.

„Deine Fahrkarte!“, forderte der Kontrolleur.

Der Kontrolleur würde ihn bestimmt gleich verhaften und seine Eltern anrufen. Dennis haspelte: „Ich, ich meine, also …“ Aber Dennis meinte überhaupt nichts.

„Aha, ein Schwarzfahrer“, schnarrte der Kontrolleur. „Name, Adresse, Telefonnummer.“ Zufrieden strich er sich über den Scheitel. „Wird's bald?“

„Dennis. Dennis Blauberg.“

In diesem Moment drängelte sich die Frau im braunen Wollmantel vor. Sie drückte dem Kontrolleur einfach ihre Handtasche in den Bauch.

„Guter Mann“, sagte sie, „für meinen Enkel Dennis habe ich die Karte gelöst.“

Sie hielt dem verdutzten Kontrolleur eine gültige Fahrkarte unter die Nase.

Dennis starrte die Frau ungläubig an. „Wieso ...?“, murmelte er.

Guntram kniff Dennis in den Arm.

„Warum nicht gleich so?“, knurrte der Kontrolleur und warf einen abschätzigen Blick auf die Fahrkarte. Enttäuscht ließ er von Dennis ab.

„Danke“, murmelte Dennis fassungslos und starrte die Frau im braunen Mantel an.

„Ich habe euch gestern zugehört“, sagte die Frau zu Dennis und lächelte. „Es ist nicht deine Schuld, dass du keine Monatskarte kaufen konntest. Du hast einem Freund aus der Patsche geholfen. Da dachte ich mir, heute helfe ich dir.“

Kalles Kopf leuchtete rot wie eine Weihnachtskugel. „Morgen bringe ich das Geld mit. Ganz bestimmt“, murmelte er und kritzelte noch ganz viele Ausrufezeichen in sein Hausaufgabenheft.

„Vielen Dank“, stammelte Dennis. Dann stand er auf und fragte: „Möchten Sie meinen Platz haben?“

„Ja, gerne.“ Die Frau strich ihren Wollmantel glatt und setzte sich.

„Wenn Sie möchten, halten wir Ihnen jeden Morgen einen Sitzplatz frei“, schlug Dennis vor.

„Klar, ist doch Ehrensache“, meinte Kalle. Eddie und Bruno nickten. „Ganz genau“, fügte Guntram hinzu und schob seinen Zauberstab zurück in den Umhang.

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