Buch lesen: «Das Geisterschiff»
HUBERT HAENSEL
Das Geisterschiff
HOPF Autorenkollektion
Inhalt
Impressum
Vorwort
Das Geisterschiff
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
Mein Freund, der Roboter
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
Mentalität
Vorschau
Impressum
Originalausgabe Januar 2021
Text © Hubert Haensel
Copyright © 2021 der E-Book-Ausgabe by Verlag Peter Hopf, Minden
Covergestaltung: etage eins, Jörg Jaroschewitz
Covermotiv © sdecoret / de.depositphotos.com
Innenillustration © Alex Braccu
Korrektorat: Thomas Knip
ISBN ePub 978-3-86305-374-1
Alle Rechte vorbehalten
Die in diesem Roman geschilderten Ereignisse sind rein fiktiv.
Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten, mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und unbeabsichtigt.
Der Nachdruck, auch auszugsweise, die Verarbeitung und die Verbreitung des Werkes in jedweder Form, insbesondere zu Zwecken der Vervielfältigung auf fotomechanischem, digitalem oder sonstigem Weg, sowie die Nutzung im Internet dürfen nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages erfolgen.
Vorwort
Liebe Freunde utopischer Literatur,
was wäre, wenn wir unsere Träume nicht hätten? Haben Sie sich auch schon diese Frage gestellt? Ich meine nicht die bedrückenden Träume, aus denen wir schweißgebadet aufschrecken, sondern die schönen, angenehmen, die uns in fremde Welten entführen und bei denen wir froh sind, dass wir sie haben. Weil sie uns für Stunden von Stress und Sorgen befreien und lange in der Erinnerung nachklingen. Gerade in Zeiten wie diesen, in denen wir äußeren Zwängen mehr oder weniger machtlos gegenüberstehen, geben die angenehmen Träume uns das Gefühl von Freiheit und Freude zurück. Umso schöner, wenn alte Träume, an denen wir uns schon vor Jahrzehnten erfreuen konnten, sich als treue Begleiter erweisen.
Genau das bietet uns die Autorenkollektion. Ich kann eingestehen, dass ich zuletzt mit Freude Band 3 gelesen habe. Hanns Kneifels »Das Logbuch der Silberkugel« hatte es mir schon angetan, als ich den Roman erstmals als Heft der TERRA-Reihe las, und er hat bis heute nichts von seinem Flair verloren. Viele schöne Erinnerungen wurden dabei wach …
… Erinnerungen, die sich ebenso einstellten, als ich meine beiden im vorliegenden Buch enthaltenen Romane wieder las.
Da ist »Das Geisterschiff«, mein erster veröffentlichter Roman, geschrieben im letzten Jahrtausend – nun ja: 1977. Ich habe Raum und Zeit in diesen Roman hineingepackt und genau das, was mich schon in jungen Jahren bewegt hat, den Kontakt mit fremdem Leben. Wird er friedlich verlaufen oder feindselig? Dass wir allein sind, ist angesichts der Milliarden von Sonnen in unserer Milchstraße für mich schon ausgeschlossen. Die moderne Forschung zeigt uns, wie viele Sonnen eigene Planeten haben. Von den Abermillionen Galaxien will ich erst gar nicht reden. All das, was in der frühen Science-Fiction an Phantasie steckt, scheint sich also mehr und mehr zu bewahrheiten. Und auch wenn wir bislang keinem außerirdischen Leben begegnet sind – es ist wohl nur eine Frage der Zeit.
Apropos Zeit. Neben der unendlichen Weite des Weltraums ist die Zeit mein zweites Faible. Sie werden es sehen, sobald Sie »Das Geisterschiff« lesen. Mit der Zeit zu spielen erscheint mir jedenfalls ebenso faszinierend wie mit dem Raum.
Der zweite in diesem Taschenbuch enthaltene Roman ist »Mein Freund, der Roboter«. Ich will nicht behaupten, er sei das Gegenteil des Geisterschiffs, aber er ist einfach eine luftige, lockere, lustige Geschichte. Ich musste beim Nachlesen selbst oft genug schmunzeln oder gar lachen. Und das wünsche ich Ihnen ebenfalls.
Apropos: Wo sind eigentlich die Regisseure und Produzenten unter den SF-Lesern? »Mein Freund, der Roboter« wäre bestimmt keine sündhaft teure Produktion und mit den heutigen tricktechnischen Mitteln gut zu machen. Nichts für ungut, aber ich könnte mir den Roman sehr gut als unterhaltsamen Film für die ganze Familie vorstellen.
Und schließlich noch eine kleine Zugabe: Ein Kurzgeschichtenwettbewerb des Kelter Verlags war schuld daran, dass ich erst zum Hobby-Schriftsteller wurde und mich Anfang des neuen Jahrtausends als hauptberuflicher Autor selbstständig machte. Ich erhielt damals den 2. Preis, eine ausreichende Motivation, mich an längeren Romanen zu versuchen. Meine Story »Mentalität« ist kurz und prägnant, und, wie ich finde, ein Anstoß zum Nachdenken. Das Thema ist heute so brisant wie Mitte der 1970er Jahre.
Zu dieser Geschichte gibt es längst eine sehr schöne Illustration unseres Lesers Alexander Braccu, die wir Ihnen ebenfalls nicht vorenthalten wollen.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen sehr viel Lesespaß und Freude mit diesem und allen zukünftig erscheinenden Bänden der Autorenkollektion.
Ach ja, sollte jemand zufällig einen Film-Regisseur kennen, der dieses Buch noch nicht gelesen hat …
Herzlichst Ihr
Hubert Haensel, 4. Dezember 2020
HUBERT HAENSEL
Die Hauptpersonen des Romans:
Samuel Finch: Kommandant der MADELEINE
Jack Swensson: Erster Offizier der MADELEINE
Dave Quinger: Der Funker schießt auf sich selbst
Oam-Pham-Phu: Ein Androide, der den Frieden will
Zu allen Zeiten wussten Sagen und Legenden von mystischen Dingen und unerklärbaren Geschehnissen zu berichten ‒ gerade das hochtechnisierte Raumfahrtzeitalter mit seinem sich ständig verändernden Weltbild bot den besten Nährboden für fantastische Geschichten.
Eine der bekanntesten, gleichzeitig der hartnäckigsten Erzählungen war die des Geisterschiffs. Schiff der toten Seelen, so wurde es von den Völkern der Galaxis genannt, lange schon, bevor die irdische Menschheit begonnen hatte, interstellare Raumfahrt zu betreiben.
Furcht und Schrecken galten als die ständigen Begleiter seines Fluges. Doch wo lag der Unterschied zwischen Dichtung und Wahrheit, falls es so etwas wie eine Wahrheit überhaupt gab?
1.
Die Koordinaten lauteten: Nord 67 b ‒ grün 8 delta/13.
Roter Überriese Debair ‒ eines der rund zwei Dutzend kosmischen Funkfeuer auf der Route Agmon IV/Terra, gleichzeitig Orientierungspunkt für den Weiterflug zu mindestens fünf besiedelten Sauerstoffwelten.
Am 9. August 2452 materialisierte die MADELEINE in unmittelbarer Nähe des Überriesen; die MADELEINE, ein kleiner, altersschwacher Frachter unter privater Flagge. Mit einem Viertel der Lichtgeschwindigkeit tauchte er aus dem Hyperraum auf, der Sonne gefährlich nahe.
Für Captain Samuel Finch war dies ein Grund mehr, den alten Kahn und vor allem seine interesselosen, profitgierigen Eigner in das hinterste Feuer der Hölle zu wünschen.
»Es ist eine Schande, wie unser Schiff verkommt«, fluchte Finch im Brustton voller Überzeugung. »Irgendwann geht es schief, dann landen wir auf direktem Weg in der nächsten Sonne.«
Außer dem Captain hielten sich drei weitere Männer in der Zentrale auf.
Jack Swensson, ein stämmiger, kräftiger Bursche, war eigentlich zu Besserem geboren. Doch wie das Schicksal mitunter sein kann, hart und keineswegs auf Standesunterschiede bedacht: Einige Unregelmäßigkeiten hatten ihn, den angehenden Offiziersanwärter bei der Raumflotte, zur Handelsmarine verschlagen. An Bord der MADELEINE erfüllte er die Funktion des Ersten Offiziers, was gleichbedeutend war mit einem Mädchen für alles, angefangen von der Vertretung des Captains bis hin zum Dienst auf dem Maschinendeck.
Der Mann an den Ortungsgeräten hieß Steven Kincaid. Aufgewachsen im Milieu alternder, kranker Skipper, waren Schiffe wie dieser Frachter seine Heimat. Er fühlte sich auf der MADELEINE rundum wohl.
Dave Quinger saß angespannt vor dem Funkpult und suchte alle Frequenzen ab.
»Wir sollten abmustern«, sagte Swensson gereizt. »Dann wären wir unsere Sorgen los.«
»… und unseren Job ebenfalls«, entgegnete Kincaid. »Kein Reeder würde uns die modernen halbautomatischen Schiffe anvertrauen. Nein, mein Freund, wir sind gezwungen, auf der MADELEINE zu bleiben und mit ihr zusammen alt zu werden oder unterzugehen, je nachdem.«
Für Selbstvorwürfe war es schon lange zu spät. Swensson hatte sein Geschick in der Hand gehabt, den richtigen Zeitpunkt aber verpasst.
»Uns fehlt der Mut, und ich will verdammt sein, wenn wir nicht selbst daran schuld sind. Was bleibt uns anderes übrig, als auf diesem Seelenverkäufer durch die halbe Milchstraße zu schippern?«
Finch zog es vor, zu schweigen. Achtlos knüllte er den Datenträger zusammen, den der Rechner vor wenigen Minuten ausgespuckt hatte, und warf ihn seinem Ersten zu: »Programmiere du den Kurs! Ich muss nachdenken.«
Der Captain hatte das Schott noch nicht erreicht, da gellte der Alarm durchs Schiff. Finch fuhr auf dem Absatz herum.
»Ein anderer Kahn in der Nähe!«, meldete Kincaid von der Ortung.
Das allein wäre nichts Weltbewegendes gewesen, schon gar nicht in geringer Entfernung zu einem Funkfeuer. Finch gab jedoch viel auf Vorahnungen; wie beinahe jeder Raumfahrer war er abergläubisch. Und das eigenartig taube Gefühl, das sich in seinen Armen ausbreitete, hatte ihn schon immer vor drohenden Gefahren gewarnt.
»Entfernung acht Millionen Kilometer, rasch sinkend«, las Kincaid endlich die hereinkommenden Daten ab.
Die Ortung zeigte lediglich einen verwaschenen länglichen Reflex. Obwohl das fremde Schiff schon in wenigen Minuten und mit höchstens tausend Kilometern Distanz den Kurs der MADELEINE kreuzen würde.
»Die wollen was von uns«, argwöhnte Finch.
Quinger schüttelte den Kopf: »Kein Kontaktversuch bislang.«
»Grundlos rücken die uns nicht so nahe auf den Pelz. Ich habe ein ungutes Gefühl dabei …«
Erste Störungen hatten sich im Ortungsbild schon abgezeichnet. Ab einer Distanz von zwei Millionen Kilometern lieferten die Sensoren keine Anzeige mehr. Von einer Sekunde zur nächsten verschwand das fremde Schiff von den Bildschirmen.
Der Captain schlug auf den Alarmknopf. Wieder ertönte das an- und abschwellende Heulen, das auch jene Besatzungsmitglieder erreichen sollte, die tief in den Frachträumen arbeiteten.
»Aus!«, bemerkte Quinger. »Sogar das Rauschen der Statik ist verstummt. Ich fürchte, unsere Funkanlage hat endgültig den Geist aufgegeben.«
»Ich schalte um auf Direktbeobachtung!«, warnte Finch.
Die Optik war auf die Riesensonne Debair justiert. Von den Schirmen sprang ein gleißendes Rot herab. Nur zögernd schwenkte der Aufnahmebereich zur Seite, wich die Sonnenglut der Schwärze des Alls.
»Diese verfluchte schwerfällige Technik!«
Die Filter hatten sich einen Sekundenbruchteil zu spät vorgeschaltet, und der Captain blinzelte gegen die Blendung an. Immerhin stabilisierte sich die Wiedergabe. Die Vergrößerung ließ erste Einzelheiten erkennen.
»Zigarrenförmig. Offensichtlich Sol-Typ wie unsere MADELEINE, wenn auch modifiziert«, erkannte Swensson.
Die übergroßen Stabilisierungsflossen im Heckbereich und erst recht nicht die in der Rumpfmitte befindliche kugelförmige Ausbuchtung passten zu einem irdischen Schiff. Auch keines der bekannten raumfahrenden Völker baute so.
Und das seltsame Leuchten, das den Raumer umgab. War es ein besonderer energetischer Schutzschirm?
»So etwas habe ich nie gesehen«, sagte Kincaid. »Dabei fliege ich seit meinem zwölften Lebensjahr von einem Stern zum nächsten.«
»Du meinst, wir haben es mit Fremden zu tun?«
»Man muss nur eins und eins zusammenzählen, um zu diesem Schluss zu kommen.«
Mit einem Schlag wurde es dunkel. Selbst die vielen kleinen Kontrollskalen und Anzeigen, die für gewöhnlich ihren flackernden Schein durch die Zentrale schickten, erloschen.
»Der Ärger reißt nicht ab«, schimpfte Finch. »Das Notaggregat versagt den Dienst.«
Ein unterdrückter Aufschrei antwortete ihm, gefolgt von dumpfem Poltern. Dann war es totenstill. Erst nach wenigen Sekunden erklang ein zaghaftes Stöhnen. Gleich darauf Swenssons Stimme, fast im Flüsterton.
»Mich hat jemand heftig angerempelt und gegen die Konsole gestoßen. Mir brummt der Schädel.«
»Wer bitte?«, fragte Finch irritiert. »Keiner außer uns …«
Wieder polterte es, diesmal unmittelbar vor dem Captain. Die Finsternis ließ absolut nichts erkennen.
»Ich bin es jedenfalls nicht!«, rief Kincaid. »Ich habe mich nicht von meinem Platz wegbewegt.«
Eine eisige Hand legte sich auf Captain Finchs Nacken. Er schauderte, drehte sich jedoch sofort im Sessel herum und ließ die Arme vorschnellen. Nur war da nichts, was er hätte festhalten können. Ein leises Kichern hing in der Luft, als wolle sich jemand über seinen Versuch lustig machen.
»Wer ist da?« Samuel Finch bemühte sich, seiner Stimme einen festen Klang zu geben. Ihm war bewusst, wie banal die Frage klang, aber was hätte er sonst sagen sollen?
»Du glaubst mir also«, triumphierte Swensson.
Wieder erklang dieses Kichern.
»Bei allen Raumgeistern …«, Steven Kincaid verschluckte sich vor Erregung. »Da draußen, das muss das Geisterschiff sein! Man hört schauderhafte Dinge, und es soll so aussehen wie … wie …«
Als hätte es nur dieser Feststellung bedurft, um eine Reaktion des Unbekannten auszulösen, sprang die Beleuchtung wieder an. Ein schneller Blick in die Runde überzeugte die Männer davon, dass sie nach wie vor allein waren.
»Sehr farbenprächtig.« Finch lachte beim Anblick von Swenssons blutunterlaufener Stirn. »Das soll ein Geist verursacht haben?«
Der Bildschirm war ausgeschaltet. Dabei war der Captain sich völlig sicher, während des Energieausfalls nicht einen einzigen Schalter berührt zu haben. Und Swensson und Kincaid waren überhaupt nicht in seine Nähe gekommen.
»Es spukt!«, stellte Swensson mit Siegermiene fest. »Wir sollten aus diesem Raumsektor verschwinden!«
Beide Raumer hatten den Punkt erreicht, nach dem ihre Flugbahnen sich wieder voneinander entfernten. Nicht allzu groß, aber trotzdem irgendwie Furcht einflößend stand das fremde Raumschiff vor dem sternenübersäten Hintergrund der Milchstraße. Seine Außenhülle schimmerte im Widerschein der Sterne teils in metallischem Blau, teils kräftig grün, und die vielfältigen Aufbauten waren so exotisch, dass sie bestimmt keiner irdischen Werft entstammten.
Eine treffende Beschreibung abzugeben, fiel ohnehin schwer. Die Konturen waren alles andere als stabil, sie flossen ineinander, schienen ständig neue Formen und Farben zu bilden.
Dennoch schien es den vier Raumfahrern, die gebannt jede Veränderung verfolgten, als hätten sie dieses Schiff irgendwann schon gesehen. Sie wussten nur nicht, wann und wo. Es war fremd, trotzdem wirkte es vertraut.
»Wir sollten beschleunigen und verschwinden, solange wir die Möglichkeit dazu haben!«, drängte Swensson.
Captain Finch zögerte. Vielleicht aus Neugierde – wer vermochte das zu beurteilen. Jedenfalls zögerte er zu lange.
Es war, als würde eine riesige Glocke angeschlagen, und den Resonanzkörper bildete die MADELEINE. Die isolierenden Schichten in der Außenhülle warfen die Schwingungen zurück und verstärkten sie binnen Sekunden zu einem einzigen mächtigen Gong.
Die Sterne überschlugen sich, wurden zu schmalen, gebogenen Linien. Der Überriese Debair erschien wieder im Erfassungsbereich der Optik. Auch wenn die Instrumente nichts dergleichen anzeigten, der Frachter rotierte mit einem Mal um eine Diagonalachse.
Zunehmend schneller erfolgte der Wechsel: das Dunkel des Weltraums ‒ der glühende Schein der Sonne …
Dunkel ‒ grell ‒ dunkel ‒ grell … Ein Chaos aus Farben und Gefühlen griff nach der Besatzung des Frachters.
Die Belastung setzt enorme Kräfte frei, erkannte der Captain. Wenn die MADELEINE nicht standhält, sind wir verloren.
Wie oft hatte er ein klägliches Ende prophezeit, irgendwo in der endlosen Einsamkeit zwischen den Sternen. Nun schien es gekommen, und Finch fühlte trotz allem Trauer, er wollte das Unvermeidliche nicht akzeptieren, sich dagegen aufbäumen …
Der Antigrav versagte, erste Andruckkräfte wurden wirksam. Der Captain spürte, wie ihm das Bewusstsein schwand. Er wollte sich zur Wehr setzen, dagegen ankämpfen, aber er schaffte es nicht. Er nahm nicht einmal mehr das irisierende Leuchten wahr, das die MADELEINE umfloss und unaufhaltsam ins Schiff vordrang.
*
Mehr als eine Stunde war vergangen, in der das fremde Raumschiff Kurs und Geschwindigkeit der MADELEINE angepasst und außerdem die Rotation des Frachters mithilfe von Magnetfeldern aufgehoben hatte.
Höchstens hundert Meter trennten beide Raumer voneinander. Eine Gestalt im Raumanzug löste sich aus dem Schlagschatten des unbekannten Schiffes und strebte der MADELEINE entgegen.
Es war zweifellos ein Mensch, der den Frachter betrat, nachdem er die Außenschleuse überraschend schnell geöffnet hatte. Zielstrebig bewegte er sich durch die engen Korridore. Einem Beobachter wäre keineswegs entgangen, dass er sich an Bord genauestens auskannte. Das Zentraleschott glitt vor ihm zur Seite. Er sah sich vorsichtig um und nickte zufrieden. Die Besatzung war ohne Bewusstsein. Was der Mann auch beabsichtigte, von dieser Seite hatte er keine Störung zu befürchten.
Neben dem Sessel des Kommandanten verharrte er eine Weile. Ein Hauch von Wehmut lag in seinen Augen, ein feuchter Schimmer, und um seine Mundwinkel zuckte es.
Captain Samuel Finch und der Fremde waren einander ähnlich wie ein Ei dem anderen. Der Fremde wirkte jedoch älter, reifer und in seiner ganzen Ausstrahlung erfahrener. An seinen Schläfen zeichneten sich erste graue Haare ab. Obwohl er biologisch kaum älter als fünfzig Jahre sein mochte, sprach aus seinem Blick die Erfahrung eines sehr langen Lebens. Die Art und Weise, wie er sich bewegte, zeugte von weit mehr Elan und Willensstärke, als Captain Samuel Finch je besessen hatte.
Der Fremde wandte sich abrupt ab und widmete seine Aufmerksamkeit dem Bordrechner. Er gab über die Tastatur Zahlen und Bezeichnungen ein, die eindeutig dem galaktischen Koordinatensystem entstammten.
Schließlich betrachtete er zufrieden sein Werk, ließ den ausgeworfenen Kontrollstreifen in einer Tasche seines Raumanzugs verschwinden und verließ die MADELEINE auf dem Weg, auf dem er gekommen war.
Er hatte sich nicht länger als dreißig Minuten an Bord des Frachters aufgehalten.
*
Captain Finch fühlte sich hundeelend, als er wieder zu sich kam. Sein erster Blick galt dem Chronometer. Er erschrak, denn er war mindestens zwei Stunden ohne Bewusstsein gewesen – eine Zeitspanne, während der viel geschehen sein konnte.
Die Bildschirme zeigten weiterhin den Überriesen Debair. Unverkennbar war, dass die MADELEINE sich der Sonne näherte. Bislang war ihre Anziehungskraft aber nicht stark genug, den Frachter endgültig in ihren Bann zu zwingen.
Erleichtert registrierte der Captain, dass die Rotation des Schiffes aufgehört hatte.
Endlich regten sich auch Swensson und Kincaid. Das Erste, was Swensson über die Lippen brachte, war die Frage nach dem Angreifer.
»Das Schiff ist verschwunden«, antwortete Finch, ohne den Blick von den Bildschirmen abzuwenden. »Der Raum ist im weiten Umkreis leer.«
»… und wir leben noch!«, sagte Kincaid erleichtert.
Der Captain ging nicht darauf ein. »Was wollten der oder die Fremden von uns?«, fragte er. »Wer greift einen Frachter an, nur um anschließend sang- und klanglos wieder zu verschwinden?«
»Wir sollten uns davor hüten, normale Maßstäbe anzulegen«, gab Swensson zu bedenken. »Ein Geisterschiff, dessen Besatzung wer weiß wie aussehen mag, lässt sich nicht mit Logik erfassen. Die Legenden berichten ohnehin sehr viel Ungereimtes.«
Über Bordrundruf trafen die ersten Anfragen ein, was eigentlich vorgefallen sei. Der Captain speiste alle mit wenigen nichtssagenden Worten ab.
Kurz darauf erfolgte der Hypersprung, mit dem sie die zweihundert Lichtjahre bis Omicron II binnen weniger Sekunden zu überwinden gedachten. Samuel Finch hatte den Kurs nach den bereits vorliegenden Daten programmiert und den Frachter bis auf die erforderliche Eintauchgeschwindigkeit beschleunigt.
Der brennende Schmerz der Entstofflichung und die Rematerialisation folgten unmittelbar aufeinander.