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Das Holly Summer Lesebuch

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Ich bin total durcheinander. Das ist wohl auf die schlaflose Nacht zurückzuführen. Erfolglos versuche ich, ein Gähnen zu unterdrücken, und mache mich innerlich auf seine Ansprache bereit, die gleich folgen wird.

McQueen steht mit dem Rücken zu mir am Fenster und schaut hinaus. Er telefoniert über die Freisprechfunktion. Seinen Gesprächspartner kann ich nicht verstehen, er redet in einer fremden Sprache.

Plötzlich dreht er sich zu mir um und beendet sein Gespräch. Er schaut mich eine Weile mit seinem herausfordernden Blick an.

Ich spüre, wie mir die Röte ins Gesicht steigt und sich mein Pulsschlag beschleunigt. Warum fühle ich mich in seiner Nähe wie das Kaninchen unter dem Blick einer Schlange? Mir wird ganz schwummerig.

Langsam kommt Matthew McQueen auf mich zu, ich habe das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren, und bekomme noch mit, wie er seinen Arm ausstreckt und mich am Ellenbogen anfasst.

»Ms. O’Brian«, höre ich ihn noch rufen und dann wird es endgültig schwarz vor meinen Augen.

Ich liege auf dem alten Chesterfield-Sofa, als ich die Augen aufschlage. Das erste, das ich sehe, ist ein kleiner Riss in der weißen Decke über mir, dann wird mir schlagartig bewusst, wo ich mich befinde. Ich drehe den Kopf zur Seite und schaue in dunkle Augen, die mich besorgt mustern. Was ist passiert? Bin ich tatsächlich im Büro des Chefs ohnmächtig geworden? Das kann doch nicht wahr sein, so was passiert doch nur im Film. Gleich zweimal kurz hintereinander muss er mich vom Boden auflesen. Mein Gott, wie peinlich ist das denn? »Was ist passiert?«

»Sie wurden ohnmächtig. Bleiben Sie ruhig liegen.«

Okay, die bekannte tiefe Stimme von Mr. McQueen dringt an mein Ohr, und schon sitzt er neben mir, zu dicht neben mir, auf dem Sofa. Ich kann seinen Duft einatmen. Er riecht so gut nach teurem Aftershave. Matthew McQueen legt wie selbstverständlich seine Hand in meinen Nacken und hält mir ein Glas an den Mund.

»Das ist Wasser. Trinken Sie.«

Etwas verunsichert greife ich nach dem Glas in seiner Hand und drehe meinen Kopf ein wenig zur Seite, sodass er seine Hand aus meinem Nacken nimmt. Schnell trinke ich einen Schluck.

Er beobachtet mich nachdenklich. »Ich sagte Ihnen doch, Sie sollen auf sich aufpassen, oder liegt es an mir, dass Sie in Ohnmacht gefallen sind? Ich muss ja einen furchtbaren Eindruck bei Ihnen hinterlassen haben. Bin ich wirklich so schrecklich?« Dabei lächelt er mich an. »Sie sollten keine Gewohnheit daraus machen. Passiert Ihnen so etwas öfter?«

Ich kann nur mit dem Kopf schütteln. »Nein, das ist mir noch nie passiert. Und es liegt ganz sicher nicht an Ihnen. Tut mir leid.«

»Dafür brauchen Sie sich nicht zu entschuldigen«, dringt seine ruhige Stimme wieder an mein Ohr. Er hat mich auf das Sofa getragen, und was meinte er mit: Liegt es an mir? Ich werde wieder rot. Ich sollte mich schnellstens unter Kontrolle bekommen.

McQueen steht auf, drückt eine Taste auf seinem Telefon und Jane erscheint kurz darauf in der Tür. Sie verzieht keine Miene, als sie mich hier liegen sieht, so als wäre es die normalste Sache der Welt.

»Jane, sagen Sie Roger Bescheid, er soll in zehn Minuten heraufkommen.«

»Ja, Sir, wird erledigt.«

Und schon ist Jane wieder entlassen. Ich will mich aufsetzen. Es ist schon peinlich genug, dass die Sekretärin gesehen hat, wie ich auf seinem Sofa liege, was soll sie von mir denken? Aber da höre ich schon Mr. McQueens Stimme.

»Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen.«

»Was für einen Vorschlag?«, frage ich benommen und setze mich jetzt doch auf.

»Bleiben Sie ruhig noch liegen und hören Sie mir zu.«

»Danke, es geht schon wieder.«

Er nickt, dann spricht er weiter. »Meine persönliche Assistentin, Martha, ist plötzlich erkrankt, und in der nächsten Woche will ich einen großen Deal mit asiatischen Investoren zum Abschluss bringen. Ich weiß natürlich, dass Sie von der Materie und meinen Geschäften noch keine Ahnung haben. Aber wie ich in Ihren Bewerbungsunterlagen gelesen habe, lebten Sie eine Weile in China und Ihnen ist ein Job als Assistentin der Geschäftsleitung nicht fremd.« Er klingt resolut. Er wird mir doch nicht den Job anbieten wollen? Aber genau in diesem Moment wird mir klar, dass genau das seine Absicht ist. Etwas sagt mir, dass er überhaupt nicht mit einem Nein rechnet. Warum auch? Das ist ein gigantischer Vorschlag für jemanden wie mich.

Himmel. Ich wusste, ich hätte nicht auf Jo hören und meinen Ferienjob bei Mr. Brown in dem Marketingunternehmen so aufbauschen dürfen.

Mr. McQueen redete unbeirrt weiter. »Was meinen Sie? Möchten Sie für Martha einspringen?«

»Ich weiß nicht.«

Er winkt ab. » Sie brauchen dazu kein fundiertes Fachwissen. Meine Termine und Korrespondenz übernimmt zum größten Teil Jane. Sie würden mich auf Konferenzen begleiten, Protokolle führen und besonders bei Geschäftsterminen im Ausland müssten Sie an meiner Seite sein. Solche Meetings sind bei mir in der Regel sehr häufig und Jane kann das nicht alles abdecken.« Er sieht mich dabei fragend an.

Ich bin sprachlos. Er will mich als seine persönliche Assistentin.

Sein Blick ruht auf dem Rotweinfleck, und ich werde schon wieder rot.

»Ach ja, und noch etwas.« Er deutet auf meine Bluse. »Sie sind meine Visitenkarte. Wenn Sie negativ auffallen, fällt es auf mich zurück.«

Endlich erwache ich aus meinem Dornröschenschlaf und schalte wieder auf Empfangsmodus. »Tut mir leid. Als ich heute Morgen aus dem Flieger ausstieg, war mein Koffer nicht aufzufinden, und ich wollte nicht gleich an meinem ersten Tag zu spät kommen, indem ich die Zeit mit Shoppen verbringe. Mein Sitznachbar im Flugzeug war etwas ungeschickt und hat seinen Rotwein verschüttet.«

»Ah ja?« Er zieht die Augenbraue spöttisch hoch und das weckt in mir das Gefühl, einen Fehler begangen zu haben. »Wenn Sie künftig für mich arbeiten, werden Sie anständig gekleidet sein und pünktlich erscheinen. Ich dulde weder schlampige noch unzuverlässige Mitarbeiter«, erklärt er mit einem hintergründigen Lächeln.

In diesem Moment erscheint Roger im Türrahmen. Roger nickt mir grüßend zu.

»Ms. O’Brian, das ist Roger, mein Fahrer. Roger, das ist Ms. O’Brian. Sie wird Martha vorübergehend vertreten.« Dabei schaut er mich fragend an.

Ich zucke unsicher mit den Schultern und nicke. Da ich seiner Aussage also nicht widerspreche, redet er weiter. »Ms. O’Brians Gepäck ist verloren gegangen. Kümmern Sie sich darum! Haben Sie noch Ihre Flugabschnitte, Ms. O’Brian?«, fragt McQueen nun an mich gewandt.

»Äh, nein, ich habe mich bereits selbst darum gekümmert. Danke.«

Mein Chef lächelt mich wieder an. Dachte er etwa, ich könnte das nicht selbst erledigen? Ich habe heute offenbar einen grandiosen Eindruck hinterlassen. Gerade noch kann ich mir ein Augenrollen verkneifen.

»Roger, wir werden bei Richard’s zu Mittag essen. Ms. O’Brian und ich haben einiges zu besprechen. Das werden wir dann beim Essen tun. Ich lade Sie selbstverständlich ein.« Dabei schaut er mich auffordernd an.

Roger dreht sich bereits um und entfernt sich mit den Worten: »Selbstverständlich, Sir«.

Wenige Augenblicke später verlassen wir das Büro und gehen in Richtung Aufzüge. Ich spüre McQueens Hand auf meinem Rücken. Was ist nur mit mir los? Ich habe doch noch nie so eine starke Anziehungskraft zu einem mir fast völlig Fremden empfunden. Jane schaut von ihrem Computer auf und zwinkert mir zu. Ich lächle zurück.

»Jane, falls Greg anruft, ich bin außer Haus«, weist sie mein künftiger Boss noch im Vorbeigehen an. »Sagen Sie meinen Termin mit White für heute Nachmittag ab, den mit Greg verlegen Sie bitte auf heute Abend bei mir zu Hause.«

Der Aufzug kommt prompt und wir steigen ein. Ich beobachte Matthew McQueen von der Seite, bis er sich zu mir umdreht, und werde schon wieder rot. Ein Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus.

»Geht es Ihnen jetzt wieder besser, Vivien?«

Vivien? Er spricht mich mit meinem Vornamen an. Ich reiße mich zusammen und nicke.

»Kommen Sie!« Die Aufzugtüren öffnen sich, McQueen legt seine Hand auf meine Wirbelsäule und leitet mich sanft durchs Foyer, weiter zum Firmenausgang zu dem bereits wartenden SUV. Die Empfangsdame grüßt ihn und schaut uns mit einem neugierigen Blick an. Sie scheint heute einiges geboten zu bekommen.

Roger öffnet mir die Wagentür und ich werde sanft von meinem Chef hineingeschoben. Er wechselt noch kurz ein paar Worte mit seinem Fahrer und setzt sich dann zu mir auf den Rücksitz. Während der Fahrt führt er zwei Telefongespräche und ich entspanne mich langsam. Wie könnte ich auch nicht? Matthew McQueen sieht fantastisch aus und er will mich als seine Assistentin. In Gedanken lasse ich den Tag noch einmal Revue passieren. Ich bin gespannt, was Jo zu den Entwicklungen sagen wird.

Mein Chef lächelt mich immer wieder an, während er telefoniert. Gelegentlich klingt er so selbstbewusst und herablassend, als würde er die Kompetenz seines Gesprächspartners infrage stellen.

Mein Gott, ist dieser Mensch arrogant. Und doch fühle ich mich so in seinen Bann gezogen. Das ist doch verrückt.

Roger stoppt den Wagen vor einer Boutique in einer exklusiven Einkaufsgegend, bevor er aussteigt und uns die Tür geöffnet. McQueen springt heraus und hält mir die Hand entgegen. Mir bleibt nichts anderes übrig, als sie zu ergreifen.

»Ich dachte, wir fahren zum Essen?«, frage ich verwirrt.

»Ms. O’Brian, wollen Sie weiter so herumlaufen?«

Sein Blick schweift von meinem Gesicht zu meiner Bluse und mustert die Flecken missbilligend. Er hat ja recht, ich sollte schnellstens das Outfit wechseln. Aber warum gerade diese Gegend? Die Läden sind mir viel zu teuer. Ich sehe einige Labels der angesagtesten Designer. Das mag McQueens Einkaufsgegend sein, aber nicht meine.

 

»Mr. McQueen, ich … glaube nicht …«, stottere ich.

Er fällt mir ins Wort. »Gehen Sie schon rein und suchen Sie sich etwas Passendes aus. Dann gehen wir essen.«

Ich betrete die Boutique. Vielleicht finde ich ja wirklich etwas Günstiges, das meinen Geldbeutel nicht übermäßig beansprucht.

Die Verkäuferin begrüßt uns überschwänglich. »Mr. McQueen, schön, Sie wieder einmal zu sehen. Was kann ich für Sie tun?«

Hm, er kauft hier wohl öfter ein. Für seine Freundin vielleicht? Ich lasse meinen Blick über die aktuelle Kollektion wandern, in der Hoffnung, vielleicht in irgendeiner Ecke einen Kleiderständer mit reduzierter Ware zu finden. Aber leider werde ich enttäuscht. Meine Aufmerksamkeit wird dennoch von einem himmelblauen, auffälligen langen Sommerkleid angezogen, das ich bereits im Schaufenster kurz bewundern konnte. Ich lasse den zarten Stoff durch meine Hände gleiten, bis ein leises Räuspern von Mr. McQueen mich wieder an den Sinn und Zweck unseres Besuches aufmerksam macht. Ich murmle eine kurze Entschuldigung und wende mich der Verkäuferin zu.

McQueen wirft mir einen kurzen Blick zu und erwidert: »Vielleicht helfen Sie meiner Begleitung. Sie braucht eine neue Bluse. Und dann schicken Sie einige Business-Kostüme mit passenden Schuhen an meine Adresse, Rechnung wie immer«, beauftragt er die Verkäuferin leise, wohl, damit ich es nicht mitbekomme. Oder so tun kann, als ob.

Kostüme auf Firmenkosten? Der Job könnte mir gefallen.

Und die Frau an seiner Seite kann sich glücklich schätzen, wenn er Angestellten gegenüber schon so großzügig ist.

»Selbstverständlich gern, Mr. McQueen«, flötet die Verkäuferin. Sie schaut mich an und fragt: »Größe achtunddreißig?«

»Sechsunddreißig«, antworte ich und folge ihr in den hinteren Teil des Ladens. Wäre ich nicht mit McQueen hier, würde sie mich sicherlich gar nicht wahrnehmen.

Die Verkäuferin zeigt mir einige schöne Oberteile. Ich entscheide mich nach einigem Zögern zwischen der grauen und der rosafarbenen Bluse für die hellrosa Seidenbluse, die sie mir entgegenhält, obwohl ich die graue auch gerne nehmen würde. Sie zeigt mir die Umkleidekabine und zieht den Vorhang hinter mir zu. Davor höre ich McQueen, wie er sich leise mit der Verkäuferin unterhält.

»Welche Schuhgröße haben Sie, Ms. O’Brian?«, dringt seine tiefe Stimme durch den geschlossenen Vorhang zu mir.

»Größe achtunddreißig«, antworte ich, während ich mich von meiner schmutzigen Bluse befreie. Er reicht mir diskret ein paar schwarze High Heels mit passendem Cocktailkleid durch den geschlossenen Vorhang.

»Probieren Sie die hier mal an.«

»Soll ich das Kleid auch anprobieren?«, frage ich etwas irritiert. Ich kann ihn fast vor mir sehen, wie er die Augen rollt, als er mir antwortet.

»Selbstverständlich, ja.«

Das Kleid in Kombination mit den Schuhen ist ein Traum und passt, als wäre es wie für mich gemacht. Echte Louboutins! Die wollte ich schon immer mal haben, aber wo hätte ich solche Schuhe schon tragen können? Ganz abgesehen von dem Preis, der mir ein dickes Loch in mein Budget gerissen hätte. Der Absatz der Schuhe ist mindestens zehn Zentimeter hoch, sodass meine schlanken Beine noch länger wirken.

»Ist die Größe richtig?«, reißt mich mein Chef aus meinen Gedanken. Er muss direkt vor der Umkleidekabine stehen.

Schnell ziehe ich das Kleid aus, schlüpfe wieder in meine Jeans und probiere jetzt die Bluse an. »Das Kleid ist fantastisch, Mr. McQueen, und die Schuhe passen perfekt.«

»Das freut mich«, höre ich ihn sagen.

Die Seide liegt wunderbar weich auf meiner Haut, ich schließe gerade den letzten Knopf und verliebe mich augenblicklich in das edle Kleidungsstück. Ich schaue auf das Preisschild und mir bleibt die Luft weg. Die kann ich mir unmöglich leisten!

Da höre ich bereits McQueens Stimme. »Fertig?«, und schon wird der Vorhang zur Seite geschoben und er steht direkt hinter mir. Er starrt mich über den Spiegel hinweg an und lässt seinen Blick langsam über meinen Körper wandern, sodass ich peinlich berührt wegschaue. Sekunden später treffen sich unsere Blicke erneut im Spiegel. Ich kann seinen warmen Atem im Nacken spüren und könnte schwören, dass sich seine Atmung in den letzten Sekunden beschleunigt hat.

»Reizend. Gefällt sie Ihnen?«, fragt er nun wieder ganz beherrscht.

»Ja, schon, aber die kann ich mir nicht …«

Weiter komme ich nicht. Er unterbricht mich, indem er der Verkäuferin signalisiert, dass er die Bluse kaufen möchte.

»Ach, legen Sie die graue Bluse, die meine Begleiterin in der Hand hatte, auch noch dazu. Es ist doch ihre Größe?«, fragt er die Verkäuferin, die bejahend nickt, dabei zwinkert er mir zu. »Sehen Sie es als kleine Entschädigung für die Sache im Foyer an«, wendet er sich an mich und überreicht mir die Tüte.

»Danke, aber es war doch nicht Ihre Schuld«, antworte ich etwas perplex.

»Nein, aber es war mein Kurierfahrer.«

Da mir hierauf nichts mehr einfällt, was ich erwidern kann, folge ich ihm nach draußen. Roger wartet bereits pflichtbewusst am Wagen und hält uns die Tür auf, um uns ins Restaurant zu fahren.

Sein Club, wie er ihn nennt, befindet sich in einem wunderschönen Stadthaus in der Commonwealth Avenue, einer der teuersten Gegenden der Stadt, wie mir mein Dad erzählt hat. McQueen führt mich ins Restaurant im ersten Stock. Dort werden wir von einem Kellner begrüßt und zu einem ruhigen Platz geleitet.

»Wie immer, Sir?«, fragt der Kellner.

Mr. McQueen nickt und schiebt mich auf einen mit Seide bezogenen Stuhl. Er nimmt mir gegenüber Platz und schaut mir mit seinem durchdringenden Blick in die Augen.

»Ms. O’Brian, ich habe Sie für diesen Job ausgewählt, weil ich mir anmaße, eine exzellente Menschenkenntnis zu besitzen.«

Ich sehe ihn unsicher an.

»Haben Sie etwa Angst vor mir, Ms. O’Brian?«, fragt er mit zuckersüßer Stimme und lächelt mich provozierend an.

Ob ich Angst habe? Mein Gott, ich bin total durcheinander. Ich sitze hier mit dem Firmeninhaber von McQueen International Consulting und er fragt mich, ob ich Angst vor ihm habe. Ich würde es nicht Angst nennen. Ich bin fasziniert, nein, es ist vielmehr. Ich fühle mich von ihm magisch angezogen.

»Nein …«, kommt es zögernd von mir.

»Dann vertrauen Sie mir doch einfach. Ich bin überzeugt, dass Sie Ihre Sache gut machen werden. Ich hätte Sie sonst nicht ausgewählt. Sie haben einen ausgezeichneten Schulabschluss. Soweit ich weiß, waren Sie eine der Besten in Ihrem Jahrgang. Und wie ich schon sagte, die Aufgaben einer Assistentin sind Ihnen nicht fremd. Ich habe mich selbstverständlich erkundigt. Entspannen Sie sich, ich beiße nicht.«

Ich blinzle verblüfft. Worüber hat er sich erkundigt? Hat er etwa in der Marketingfirma, in der ich während meines Bachelorstudiums gearbeitet habe, Erkundigungen über mich eingezogen? »Sie haben mit Mr. Brown gesprochen?« Ich schaue ihn ungläubig an.

Er nickt. »Ein Mann in meiner Position muss über alles informiert sein, Ms. O’Brian. Ich überlasse niemals etwas dem Zufall«, beantwortet er mir meine Frage.

Ich sollte ihn wohl nie unterschätzen.

»Die Arbeit als meine Assistentin wird sich später in Ihren Bewerbungsunterlagen positiv auswirken. Sie werden sehen, Sie werden sich sicher schnell an mich gewöhnen. Davon bin ich überzeugt.« Diesen letzten Satz spricht er betont langsam aus.

Der Kellner serviert mir zwischenzeitlich einen Aperitif, sodass ich einen Moment durchatmen kann.

Der Geschäftsführer der McQueen International Consulting hält mich für fähig genug. Mich, die heute nicht gerade den besten Eindruck hinterlassen hat, um als seine Visitenkarte zu fungieren. Warum hat er nicht Carol gefragt? Sie sieht toll aus, war absolut perfekt gekleidet und ist nicht bereits im Foyer von einem Kurierdienst umgerannt worden, ganz zu schweigen von der Sache in McQueens Büro. Und doch muss ich einiges richtig gemacht zu haben. Und wie er mich des Öfteren angesehen hat und auch gerade jetzt wieder! Es ist wieder da. Unaufhörlich steigert sich dieses warme Gefühl in meinem Inneren, das mich ganz unruhig werden lässt, wenn er mir so nah ist. Ich möchte am liebsten meine Augen schließen, meine Hände auf seine Brust legen und mich von ihm einfach nur fest an sich drücken lassen. Wie er wohl riecht? Und ob dunkle Brusthaare seinen Oberkörper bedecken? Schnell verdränge ich meine unmöglichen Gedanken. Konzentriere mich stattdessen lieber auf das Hier und Jetzt. Meine Neugierde siegt, und warum sollte ich die Chance ablehnen, Martha zu vertreten? Es ist schließlich nicht mein erster Job als Assistentin. McQueen sieht umwerfend aus, scheint auch nett zu sein, vielleicht ein wenig bestimmend, und ich will ihn wahnsinnig gern näher kennenlernen. Wieso zögere ich eigentlich? Vielleicht, weil er mich in diesen ruhelosen Zustand versetzt. Wenn er mich nur ansieht, erhöht sich mein Pulsschlag. Er hat recht, dies hier ist eine einmalige Chance, meine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Und im Grunde scheint für McQueen die Frage längst beantwortet zu sein. Er will mich! Außerdem, was würde das für einen Eindruck auf ihn machen, wenn ich die Zusammenarbeit mit ihm ablehnen würde? Dieser Mann ist der absolute Wahnsinn, auch wenn er mir manchmal doch etwas Angst einflößt, was ich natürlich nie zugeben werde. Ich denke, ich werde den Job machen.

Und dann höre ich mich sagen: »Ich würde mich freuen, als Ihre persönliche Assistentin zu arbeiten, und danke für die Bluse, Mr. McQueen.«

Danke für die Bluse. Habe ich das wirklich gesagt? Wie hört sich das denn an?

McQueen lächelt und wirkt jetzt sichtlich entspannt. »Gut, ich verspreche Ihnen, mit mir wird es nicht langweilig«, sagt er, wieder ganz Chef.

Der Kellner kommt mit unserer Vorspeise und jetzt merke ich erst, wie hungrig ich bin. Mr. McQueen füllt mein Glas erneut mit Wasser und wir genießen das geräucherte Lachstatar mit einer exquisiten Soße.

»Nach dem Essen werde ich Sie zu Ihrer Unterkunft bringen und Sie ruhen sich erstmal aus. Ich brauche Sie schließlich voll einsatzfähig. Nicht, dass Sie mir nochmal in Ohnmacht fallen«, sagt er und grinst mich dabei an.

Wir unterhalten uns jetzt ganz ungezwungen. McQueen erzählt mir, wie er mit einem kleinen Softwareunternehmen angefangen hat, das ziemlich runtergekommen war. Er hat es aufgekauft, das Management ausgetauscht und mit neuen Ideen wieder marktfähig gemacht. Mit den Jahren hat er dann seine Firma erweitert und sich ganz auf Unternehmensberatung spezialisiert. Neben seinen Marketingkenntnissen, mit denen er das Unternehmen schnell aus den roten Zahlen geholt hat, besitzt er auch noch das Talent, Firmen aufzukaufen und dann mit so viel Gewinn wie möglich zu liquidieren. Ihm gehören verschiedene Bürokomplexe in der Stadt, Häuser und sogar ein Firmenjet.

»Erzählen Sie mir von sich, Vivien. In Ihren Bewerbungsunterlagen haben Sie geschrieben, dass Sie sich sehr für Sprachen interessieren. Vor allem für Chinesisch. Wie kommt es, dass Sie gerade diese Sprache gelernt haben?« Er beugt sich ein wenig vor und sieht mich aufmerksam an.

»Dad wurde beruflich nach China versetzt. Das war, als ich elf Jahre alt war. Zu Beginn sollte es nur vorübergehend sein und dann wurden doch drei Jahre daraus. Ich bin dort auf die International School gegangen.«

Er nickt bewundernd. »Ich erwähnte es ja bereits heute Morgen in meinem Büro: Ihre Sprachkenntnisse und Ihre Erfahrungen mit den Gepflogenheiten der chinesischen Lebenskultur im Besonderen machen Sie für mich interessant. Der Ausfall meiner Assistentin kurz vor einem wichtigen Treffen mit meinen chinesischen Geschäftspartnern bringt mich in Schwierigkeiten, wenn ich keinen geeigneten Ersatz finde. Ich habe Ihnen den Job nicht ganz uneigennützig angeboten. Es war einfach eine glückliche Fügung.«

Ich fühle mich geschmeichelt, greife zu dem Glas und trinke einen Schluck, bevor ich weitererzähle. »Ich bin dreiundzwanzig Jahre alt, verbrachte die meiste Zeit meines Lebens in British Columbia. Das war nicht besonders aufregend, und ich bin das einzige Kind meiner Eltern«, berichte ich, als er mich unterbricht.

»Erzählen Sie mir was, das ich noch nicht weiß, Vivien.« Dabei schaut er mich wieder mit diesem abschätzenden Blick eines Wolfes an, der bereit ist, seine Beute zu erlegen.

 

»Was möchten Sie denn wissen?«, frage ich ihn etwas verwirrt.

»Näheres von Ihrer Familie und Ihren Freunden, Hobbys. Haben Sie einen Freund?«

Hoppla! Ob ich einen Freund habe, warum will er das denn wissen? Muss ich ihm das wirklich alles sagen? Ich entscheide mich dafür, zuerst von meinen Eltern zu berichten. Dass ich keinen Freund habe, verschweige ich. Das geht ihn wirklich nichts an. Aber der Gedanke schwirrt immer noch in meinem Kopf umher.

Zum Glück spricht er mich auch nicht weiter darauf an. »Und welche Bücher lesen Sie gerne?«, fragt er stattdessen.

»Ich bevorzuge historische Romane. Außerdem lese ich gerne Stolz und Vorurteil von Jane Austen, das ist mein absolutes Lieblingsbuch. Ich habe es schon zigmal gelesen.«

»Eine Romantikerin also.«

Ich werde rot. Verdammt, warum bin ich nur so unsicher in seiner Nähe? Besonders, wenn er mich so intensiv ansieht, als wollte er tief in meine Seele blicken. Oder bilde ich mir nur ein, dass er ein Interesse an mir hat, das über das rein Geschäftliche hinausgeht? Ich gehe nicht weiter auf das Thema ein und erwähne lieber meine Hobbys, als der Kellner einen weiteren Gang vor mir auf den Tisch stellt. Leider warnt er mich zu spät, dass der Teller heiß ist, und ich verbrenne mich an dem Porzellan. Schnell ziehe ich die Hand zurück und halte sie an das kalte Wasserglas.

»Alles in Ordnung, Vivien?«, fragt McQueen.

»Ja, ja, ist nicht weiter schlimm. Ich bin nicht sehr schmerzempfindlich«, beruhige ich ihn.

Er lehnt sich entspannt zurück, als ich ihm von meiner Leidenschaft, dem Fechten, erzähle. Verblüfft schaut er mich an.

Das hätte er wohl nicht von mir gedacht, mutmaße ich ein bisschen stolz.

»Ja«, sage ich auf sein interessiertes Nachhaken, »ich fechte, seit ich sieben Jahre alt bin. Dieser Sport hat mich sofort fasziniert. Schon nach meiner ersten Trainingsstunde wusste ich, dass ich alles dafür tun würde, um meine Eltern zu überreden, mich im Fechtclub anzumelden. Meine Mom hatte anfangs Bedenken, als sie die Waffen gesehen hat, aber mein Trainer hat sie beruhigt und ihr alles erklärt. Dad meinte, es wäre nur gut für ein Mädchen, mehr Selbstbewusstsein zu entwickeln.«

Dieses Mal breitet sich wieder ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. Das macht ihn noch unwiderstehlicher, aber leider habe ich es erst zweimal an ihm gesehen. »Sie gefallen mir bisher so, wie Sie sind, Vivien. Und als meine persönliche Assistentin nennen Sie mich bitte Matthew!«

Dann wird sein Blick nachdenklich. »Ihre Mom hatte sicher nicht ganz unrecht. Fechten ist ein sehr gefährlicher Sport, oder, Vivien?«

»Na ja, ein paar blaue Flecke sind da nicht ungewöhnlich, ich kann mit Schmerzen umgehen. Aber es hält sich in Grenzen. Ich würde Fechten nicht gerade als gefährlich bezeichnen. Da gibt es doch ganz andere Sportarten, wie Boxen zum Beispiel. Das ist gefährlich.«

Er zieht überrascht eine Augenbraue hoch. »Man muss nur immer die Deckung wahren. Genau wie beim Fechten. Gut zu wissen. Okay, essen Sie auf, dann gehen wir.« Er schmunzelt und es wirkt fast ein wenig jungenhaft.

Die Appartements, die ebenfalls zum Firmenbesitz von McQueen International Consulting gehören, befinden sich am Charles River in Beacon Hill, einem wunderschönen Stadtteil von Boston. Nach einer kurzen Fahrt halten wir vor einem dreistöckigen Haus mit roten Ziegeln. Hier sind für uns Praktikanten vier kleine EinzimmerAppartements reserviert. Ein echter Luxus! McQueen scheint trotz seiner hohen Anforderungen an seine Mitarbeiter den sozialen Gesichtspunkt nie aus den Augen zu verlieren. Oder vielleicht gerade deswegen.

Ich bin wirklich beeindruckt, und jetzt bin ich endgültig davon überzeugt, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe, auch wenn er manchmal sehr fordernd und unnachgiebig wirkt.

McQueen steigt aus dem Auto und hält mir wieder die Hand entgegen, die ich mittlerweile gewohnheitsmäßig ganz selbstverständlich ergreife. Diese dunklen Augen, die mich heute Morgen bereits hypnotisiert haben und dann noch einmal in der Umkleidekabine, scheinen tief in mein Inneres vordringen zu wollen.

Sobald er mich ansieht oder berührt, steht mein Körper in Flammen. Oh Mann, ich sollte meine Gefühle schnellstens unter Kontrolle bekommen, denn sonst weiß ich nicht, wohin das noch führt.

Ich winke ihm noch kurz zu und laufe beschwingt die Auffahrt entlang, als Carol schon neugierig auf mich zukommt.

»War das gerade McQueen in dem schwarzen Auto?«

»Ja, war er.« Dabei drehe ich mich um und sehe nur noch die Rücklichter, die in den Verkehr eintauchen. Ich lächle Carol mit einem hintergründigen Lächeln an. Sicher fragt sie sich, wieso er mich hergebracht hat. Ich spüre regelrecht, wie sie sich zusammennehmen muss, um mich nicht über ihn auszufragen. Ich sollte sie von ihrer Neugier erlösen, also berichte ich ihr von meinem Gespräch in seinem Büro und dem anschließenden Essen.

»Und? Machst du es?«

»Klar, warum nicht«, antworte ich ihr selbstbewusst. »Ich bin das, was er braucht. Eine chinesisch sprechende Assistentin.« Ich grinse.

»Hätte ich an deiner Stelle auch getan. Das ist wirklich toll. Du wirst viel unterwegs sein«, redet sie weiter, während wir das Gebäude betreten.

Carol deutet auf die erste Tür im Erdgeschoss. »Ach ja, die Schlüssel für dein Appartement bekommst du bei Mrs. Gordon. Sie wohnt dort.«

Ich drücke den Klingelknopf und kurz darauf erscheint eine freundliche Dame mit leicht ergrauten Haaren, die sie zu einem Dutt hochgesteckt hat.

»Guten Tag, mein Name ist Vivien O’Brian.«

»Herzlich willkommen, Ms. O’Brian. Ich bringe Ihnen sofort die Schlüssel. Ihr Appartement liegt hinter der letzten Tür am Ende des Ganges.«

Ich lächle sie zum Abschied an und Carol und ich begeben uns in den hinteren Teil des Hauses.

»George hat vorgeschlagen, dass wir uns alle im Garten treffen. Kommst du auch?« fragt Carol mich, während ich die Wohnungstür aufschließe.

»Ich muss mir noch einige Dinge besorgen.«

Carol schaut auf ihre Uhr. »Okay, wenn du magst, begleite ich dich später. Ich liebe es, shoppen zu gehen.« Carol sieht mich von der Seite an.

Ich nicke. »Ich habe sowieso nichts auszupacken, ich bin gleich bei euch.«

»Schicke Bluse, übrigens.«

»Danke«. Dabei kann ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen, ziehe es aber vor zu schweigen, anstatt Carol von meinem Einkaufserlebnis mit McQueen zu berichten.

»Also bis gleich«, ruft Carol mir noch zu, bevor ich in meinem Appartement verschwinde.

»Und, wie ist McQueen? Ist er wirklich so ein Macho, wie jeder behauptet?«, fragt Carol, sichtlich brennend vor Neugier, als ich mich zu den anderen auf einen der Gartenstühle setze.

Ich schaue sie überrascht an. »Wie kommst du darauf?«

»Man informiert sich doch schließlich. Hab da so ein Gerücht in der Firma aufgeschnappt.« Sie will es genau wissen.

»Er ist zielstrebig und er ist unglaublich sexy«, erzähle ich zögernd.

»Das ist nicht zu übersehen«, lacht Carol. »Und lädt dich nobel zum Essen ein. Er geht ganz schön ran.«

»Wir waren nur essen, Carol. Weiter nichts«, widerspreche ich. »Er wollte mich besser kennenlernen. Ist doch selbstverständlich, wenn ich jetzt so eng mit ihm zusammenarbeite. So einer hat an mir doch kein Interesse, der kann fünf an jeder Hand haben.« Aber im Stillen wünsche ich mir tatsächlich, es wäre so. Was natürlich völlig unvorstellbar ist. Er ist der Chef, ich nur die Praktikantin. Ich schüttle innerlich den Kopf über mich.

»Na, wer weiß«, mischt sich Beth augenzwinkernd ein.

»Ich glaube, der ist ein paar Nummern zu groß für mich. Außerdem ist er sicher liiert. So was läuft doch nicht mehr solo rum«, wiegle ich ab.

»Er soll ja ein ziemlicher Draufgänger sein, was Frauen anbelangt. Seit dem Tod seiner Frau hatte er keine feste Beziehung mehr, heißt es. Pass bloß auf!«, warnt Carol mit aufgeregt funkelnden Augen. Ganz offensichtlich liebt sie Klatsch und Tratsch.