Buch lesen: «Eine Stunde hinter Mitternacht»

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Eine Stunde hinter Mitternacht

Hermann Hesse

Inhaltsverzeichnis

Der Inseltraum.

Albumblatt für Elise.

Die Fiebermuse.

Incipit vita nova.

Das Fest des Königs.

Gespräche mit dem Stummen.

An Frau Gertrud.

Notturno.

Der Traum vom Ährenfeld.

Impressum

Der Inseltraum.

Eine langhin gewölbte, sanfte Welle hob meinen Kahn mit dem gerundeten Bug auf das Gestein. Ein schiffbrüchiger Träumer verliess die Ruderbank und dehnte die Arme dem stummen Lande entgegen. Mein purpurner Mantel war mürbe geworden und warf von den Hüften abwärts weiche demütige Falten. Meine Arme und mein Hals waren von Rudern und Fasten mager geworden, mein Haar war lang gewachsen und bog sich in dichter Fülle in den Nacken. In dem dunkelgrünen, stillen Gewässer der Bucht lag mein Spiegelbild gebreitet, und ich sah, dass auf der langen Fahrt alles an mir anders geworden war, brauner, schlanker und biegsamer. Auf meinen Wangen hatten grausame Stunden Denkmale ihrer Gefahren und Niederlagen und Überwindungen geschaffen. Alle Morgen ohne Sonne, an denen ich mit wunden Gliedern an mein Fahrzeug geklammert hing, alle Stürme, die mir die Abgründe des Meeres zeigten, hatten sich mir in Ecken und Furchen mit tiefer Schrift auf Wangen und Hals geschrieben.

Aber meine Augen standen klar in weiten Höhlen, mit wachsamen Kinderblicken. Sie hatten viele Nächte durchwacht und nach den ewigen Sternen gesucht und die farbigen Nächte des Meeres aufmerksam durchdrungen nach aufsteigenden Segeln oder Gestaden. Sie hatten viele Tage lang keinen Staub gesehen und selten nur mit lächelnder Sehnsucht von ferne das Grün vorübergleitender Wälder und den Rauch aus fernen, verborgenen Städten gestreift. Nun lachten sie hell und gross mich aus dem glatten Spiegel an. Und nun tranken sie den lange entbehrten Anblick der weissen Steine, der bräunlichen Erde, der Gräser und Gebüsche. Ich sah die Luft um die Gebüsche wie einen feinen, weisslichen Rand, denn ich war lange der Luft entwöhnt, welche über Erde und Grünem ist. Meine Nüstern sogen mit scheuer Lust den vollen, zärtlichen Duft der Wiese und des nackten Bodens, und mein Fuss trat stark und schonend zugleich auf das köstliche Gut des festen Erdreiches.

Ein Wind kam lässig vom Lande zu mir geflogen. Er trug einen Geruch von Waldkraut und einen leisen Duft aus entfernten Gärten. Da reckte ich in süsser Wonne ihm beide Arme weit entgegen und fühlte mit Lust seinen weichen Hauch meinen Fingern und Händen entlang und an meinen Schläfen hin gleiten, die der schneidenden Seewinde gewohnt waren.

Ich zog mein graues Boot auf den Sand und strich mit der Rechten über die harte Wölbung des Bordes, die von meinen klammernden Händen geglättet war. Darauf wandelte ich landeinwärts bis zu dem hohen Gebüsche, das dicht und ringförmig wie eine Mauer stand und sich weiter erstreckte, als meine Blicke reichten. Ich ging der grünen Hecke entlang und freute mich des warmen, bläulichen Schattens, der von grüngoldenen Lichtern durchwirkt war. Mein Gang führte über eine Wiese mit weichen Gräsern, welche allmählich höher wurden und mit seidenen Blüten meine Kniee berührten. Die grasige Fläche lag im hellen Sonnenlicht, nur der Rand, den ich entlang schritt, war von den hohen Büschen mit einem gleichmässigen Schattenbande gesäumt.

Indem ich weiter schritt und eine linde Müdigkeit meine Kniee leicht befing, that sich zu meiner Linken ein schmaler Eingang, einem Thore ähnlich, in die Gebüsche auf. Ich erblickte ein grünes Dunkel, von einem Muschelpfad durchschnitten, und im Hintergrunde ragende Baumkronen. Der Eingang aber war durch eine künstlich gewundene Blumenkette verboten. Ich stand eine Weile, und meine Augen badeten sich in dem zarten Dämmer und erfreuten sich an der Stufenfolge sanfter Farben. Denn von der lichtgrünen Hecke bis zu den halbsichtbaren Geheimnissen des innersten Haines zerfloss das Grün in tausend Schatten; das Auge folgte begierig dem mählich vertieften Dunkel bis zu den entferntesten, braunen Waldfarben und kehrte mit neuer Lust zu dem gelblichen Licht der besonnten Wiese zurück.

Ich löste die Blumenkette in fröhlichem Übermut von den rundköpfigen Pfeilern, dass der Eingang offen lag, und schlang das rot und weisse Gewinde um Hals und Hüften, so dass ich wie zu einem Sommerfeste geziert war. Darauf ging ich behutsamen Schrittes dem halben Dunkel entgegen. Ich fand ein genaues Kreisrund aus dem Dickicht geschnitten, mit dichten Wänden von jungen Stämmen und Büschen, und auch der schmale Pfad war künstlich durch das wilde Gehölz gehauen. Durch die Wipfel überhängender Bäume sank ein braun und grünes Licht. In dem runden Aushau war die Erde mit hellem Sande bestreut, und zwei schmale, halbrunde Sitzbänke aus Marmor standen einander gegenüber. Eine tiefe Waldstille lag darauf. Ich wandte mich und folgte dem Pfad, der in die Tiefe des Haines führte. Mein Haupt ward von dem ungewöhnten Dufte schwer und ich hörte das Klingen meines raschen Blutes.

Als ich einige Zeit gegangen war, wuchs die Schwere meiner Kniee, und ich ersehnte einen Ort zu ruhen. Indem bog sich mein Weg und wurde breiter, und die auf beiden Seiten schnell zurücktretenden Waldwände gönnten den Anblick eines lichten Raumes, welcher sich weit ausdehnte und wie ein Garten anzusehen war. Viele breite und schmale Wege, oft von Gebüsch gesäumt, schlangen sich um Rasenflächen und um Beete, in welchen Rosen und andere vielfarbige Blumen in Pracht und Fülle wohlgepflegt und ohne braune Blätter standen. In der Mitte des ebenen Gartens erblickte ich edle Gruppen alter Bäume, hinter denen ein Bau, Palast oder Tempel, aus Marmor in dämmerndem Weiss sich zeigte.

Eine niedrige Bank, von grossen Cypressen ganz beschattet, zog mich an. Ich setzte mich in den weichen Rasen und lehnte das Haupt mit darunter gekreuzten Armen gegen den steinernen Sitz, wie ich zuweilen in stillen Nächten an meiner Ruderbank gelegen hatte. Ich schaute hoch über mir den weiten Himmel in wunderbarer Bläue und wenig kleine, blanke Flaumwölklein ruhig stehend, dann schloss ich die Augen und ergötzte mich an dem roten Schimmer, der mir durch die Lider drang. Darauf neigte der Gott des Schlafes sich über mich und löste mir wohlthätig die müden Glieder.

Meine Seele hob die Schwingen im Traum; die Bilder von gestern und ehegestern erwachten zu neuer Schrecknis oder Trauer. Das Meer umdrängte mein Fahrzeug mit peitschenden Wassern und der Himmel zürnte in Unwettern. Und gewaltiger als der Himmel lag die lautlose, lang ersehnte, schwer zu tragende Einsamkeit über mir. Und dahinter das Land, aus dem ich mich gerissen, mit geräuschvollen Städten. Ein müdes Echo, ein halbverlorener Duft, ein halbvergessenes Jugendlied — so war in Schmutz und Geräusch ein Schimmer von Schönheit und Kunst gegossen. Wie oftmals sah ich dort ihr scheues Licht in ängstlichen Reflexen, und zitterte mit ihr, und litt mit ihr! Ferner noch mit altmodisch lichten Himmeln lagen die Frühlinge meiner Kindheit und rührten mit zärtlichem Dufte an mein Herz.

Auf leisen Fittichen flog mein Traum über die verschlungenen Pfade meines Lebens zurück bis zu den ersten Sonnenaufgängen, und schwebte lang in verflogener Schwermut über den ersten Bergen, die ich erstieg, und über dem Haus meines Vaters.

Die Sonne war über die Ränder der Cypressenwand gestiegen und traf meine schlummernden Augen mit heissem Lichte. Ich hob das Haupt und erwachte zum neuen Anblick des tiefen Himmels und des grünen Gartenlandes.

Helle Stimmen klangen in mein Ohr und ich hörte, dass es Menschenstimmen waren, welche in übermütigen Rufen ihre Lust kundgaben. Es war aber in diesen Stimmen ein reiner, meertiefer, metallener Grund, den ich nie bei Menschen vernommen hatte und welcher an den unberührten ersten Fall einer frischen Quelle erinnerte, so ohne Wissen von Unrat und so voll von Lust am Leben und an der eigenen Schönheit. Es war darin der starke und süsse Ton, den wir mit unbeschreiblicher Beklemmung zu hören vermeinen, so oft unsre Seele mit den Menschengeschlechtern der alten, goldenen Zeitalter traurige Unterredungen pflegt.

Indem ich vorsichtig die breiten Fächer der Zweige teilte, erblickte ich eine Schaar junger Frauen mit schlanken Leibern um einen vergoldeten Ball bemüht. Sie waren in zwei Lager geteilt und führten einen anmutigen Krieg um den Besitz des blanken Zierats, den ein lachendes Mädchen immer von neuem über ihre Häupter hin empor warf. Sie trugen helle, weite Gewänder und die Haare zumeist in einfache Knoten gebündelt. Ich sah die reinen Linien der Hälse und Nacken, wenn sie sich bückten oder mit ganz zurückgelegten Häuptern nach dem Fall des Spielzeuges spähten. Ich sah die zarten Grübchenformen der Knöchel, über denen sich goldene oder weisse Sandalenbänder kreuzten. Ich sah die bewegten schlanken Leiber, beim Laufen vorgebeugt, und die schönen, leicht geröteten Arme, die sich häufig aus den weichen Falten der Oberkleider reckten.

Plötzlich vernahm ich ein Wipfelzittern über mir, und der goldene Ball fiel neben mich weich in den Rasen. Ich nahm ihn auf, und mein Herz begann mit hastigen Schlägen zu pochen wie Einem, der einer grossen Gefahr oder einem grossen Glücke unvermutet ins Auge sieht. Die Spielerinnen eilten schon meinem Versteck entgegen.

Ich brach durch den Busch und stand wie ein Gespenst vor der hellen Schaar, den Ball in der Rechten hoch empor haltend. Ich warf ihn in die Lüfte, aber sie wichen seinem Falle aus und standen mit erstaunten Augen vor dem Fremden. Da ich näher schritt, teilte sich ihre Menge und liess eine breite Gasse meinem Wandel frei. Aufschauend gewahrte ich eine hohe Frau mir nahe gegenüber stehen, welche die Schönste und die Königin der andern war.

Ich schlug den Blick zum Boden nieder und neigte mich vor ihr. Ein weisses Kleid floss in priesterlichen Falten lang von ihren Knieen, und sie war von einer solchen Reinheit und Würde umgeben, dass plötzlich mein Sinn klein und voll Scham wurde. Alle Irrwege, die ich gegangen war, alle Lästerungen, die ich gethan hatte, und alles Hässliche und Kranke meines unstäten Lebens ward mir schwer bewusst, und aller Glanz und Stolz fiel von mir ab. Ich lag auf den Knieen und beugte mein Haupt in Scham und Demut, da sie ihre reine Stimme erhob. Ihre Stimme war voller und prächtiger als die Stimmen der übrigen Frauen, und hatte einen fürstlich hohen Ton, vor dem meine Scheu erschrak. „Was suchst du hier, mein Freund, und wie hast du den Weg zu uns gefunden?“

Ich schaute auf und sah grosse Augen ernst auf mich gesenkt. „Den Weg zu dir fand ich durch hundert einsame Tage und Nächte auf dem feindlichen Meer, durch hundert Ängste und bange Nachtwachen. Mein Arm ist hager geworden von der Mühsal der Fahrt, und meine Hände sind wund geworden. Ich trage einen Purpur, der aus deinem Lande ist und von dir mir in die Wiege ist gelegt worden. Aber meine Hände sind befleckt und meine Augen voll Ekels geworden, ich bin müde und unwert, den Purpur länger zu tragen, der für frohe Hände und selige Augen bestimmt ist. Und bin gekommen, ihn zurückzugeben.“

„So wenig gilt dir der königliche Schmuck?“ fragte die Königin und heftete wieder unbeweglich den ernsten Blick auf mich. „Ich kenne dich wohl, du Müder. Ich bin über deinem Leben gewesen, ich habe deiner Kindersehnsucht von blauen Bergen und deiner Knabenfrömmigkeit von Göttern erzählt. Ich zeigte manches Mal deiner Ahnung die Bilder und Gleichnisse der Schönheit. Warst du es nicht, der die Tempel, in welchen ich dich beten lehrte, zerstört und der die Gärten der Liebe, deren Pforte ich dir zeigte, geschändet hat? Warst du es nicht, der die Lieder, die ich dich singen lehrte, in Gassenlieder verkehrte und der die Becher der Freude, die ich dir reichte, zur Trunkenheit missbrauchte?“

„Ich war es. Ich ging in der Irre, so oft du mir ferne warst. Ich habe oft die Arme verlangend nach dir gebreitet und habe nach dir gerufen und alles Ehrwürdige meiner frühesten Jugend beschworen, aber du erhörtest mich nicht, und das Leben rollte tot an mir vorüber. Da verzweifelte mein Herz und fluchte seinen Göttern und sank von allen Höhen. Ich bin nun müde des Fallens und Wiederaufstehens — nimm dein Geschenk wieder, leg’ es auf härtere Schultern, und lass mich werden, wie andre sind!“

Die Königin schaute zur Seite. Ich wagte einen schnellen Blick auf ihr Gesicht, das mir eigen vertraut erschien, und sah den Schatten eines Lächelns darauf. „Mich wundert“, sagte sie, „dass solcher Kleinmut den beschwerlichen Weg zu unsrer Insel gefunden hat.“

„Nicht Kleinmut, meine Königin! Mich trieb der Ekel vom Leben, mich stiess der Dunst der Städte und die geräuschvolle Lust ihrer Tempel von sich, auf der Fahrt wuchs noch täglich mein Verlangen nach deinem Anblick. Arbeit und Gefahr hat mich herb gemacht, die Einsamkeit befreite mein Auge von den Dünsten des verlassenen Lebens. Und da ich dein Land mit sanften Höhen aus blaueren Meeren langsam erstehen sah, da lernte mein verjüngtes Herz einen neuen, fröhlichen Stolz. Als ich deinen Boden betrat, reckte ich Beterarme nach seinen Wundern aus, ich ging durch deinen Wald als ein Wiedergeborener. Wahrlich, fester zog ich den Purpur um meine Schultern und mein Gang war nicht der Gang eines Büssers. Hinter jenem Dickicht lag ich im Grase gestreckt und belauschte das Spiel deiner Frauen, und mein Herz schlug tiefe Schläge. Aber mein Auge ertrug deinen Anblick nicht; alles was unwert und krank an mir ist, übermannte mich vor deiner Reinheit.“

„Steh auf!“ sagte sie nun mit einem gütig tiefen Ton, „und dränge mich nicht um eine Antwort. Sei mein Gast und versuche noch einmal, unter meiner Herrschaft zu leben!“ Ich erhob mich mit unsicherem Blick. Die Schönste aber nahm meine linke Hand und führte mich zu den wartenden Frauen. „Begrüsse meine Freundinnen“, sagte sie, „und sieh, ob nicht eine dir bekannt ist.“ Da geschah meinem Auge etwas Seltsames, indem ich mit einem freien Grusse unter die schönen Gestalten trat. Überall sahen bekannte Augen mich an, ich fand Bewegungen und Blicke, die ich zu andern Zeiten schon gesehen hatte, und wunderte mich, dass ich die Schönen nicht mit Namen zu nennen vermochte. Allmählich erkannte ich einige, und bald merkte ich wohl, dass alle schönen Frauen, die ich gekannt und bewundert hatte, hier versammelt waren. Eine jede aber war nur kenntlich durch eben die besonderen Seltenheiten, durch welche sie für mein Auge irgend einmal reizend, verschieden von den andern und schöner als die andern, hervorgetreten war. Alle Augenblicke meines Lebens, welche durch den Anblick der Frauenschönheit wertvoll und liebenswert geworden waren, lebten hier unvergänglich in herrlichen und vollkommenen Bildern. Von diesen Frauen konnte keine den übrigen vorgezogen oder nachgesetzt werden, nur die einzige Königin vereinigte auf eine wunderbare Art die vielfachen besonderen Schönheiten in ihrem vollkommenen Wuchse und in der Bildung ihres Angesichts, dessen Würde und Lieblichkeit ich über alle Bilder und Lobpreisungen erhaben fand. Ihre Augen aber, wenn sie die meinigen ruhig und freundlich trafen, riefen in mir den Frühling meiner ersten Liebe mit aller verlorenen und beweinten scheuen Wonne wach.

Die Nacht zog ihren schwarzen Kreis enger um die Gärten; sie kam rasch und herrisch wie die Nächte des Südens. Nach einander versanken Hügel, Wald und Gebüsche, bis auch die nahestehenden schnell und lautlos sich verhüllten und plötzlich in das Reich der Geheimnisse verschwanden.

Ich sass zu Füssen der Königin in dem weiten Halbrund einer offenen Halle. Die schweren Säulen hoben sich rein und ruhig, Wächtern gleich, von der matthellen Himmelsferne ab. Zwei rote Feuer brannten am Eingang in steinernen Becken, über uns hing eine silberne, vierflammige Ampel. Von drei Seiten kam die schwere Nachtluft herein und führte den Duft des wohlriechenden Öles in langsamen Wogen davon. Das Meer, dessen Geräusch am Tage nicht bis in den Palast und die Gärten reichte, sang gedämpft in grossen Rhythmen. Der Gesang der Frauen war kaum verstummt und in der Luft lag noch ein feiner Nachhall festlicher Melodien. Mir wurde eine kleine fünfsaitige Laute gebracht, die Augen der Wartenden hingen an meinem Munde. Ich schloss die Augen und sog den Duft der Nacht und fühlte ihr lindes Wehen in meinem Haar. Mein Herz war voll wehen Glückes und meine Stimme zitterte, als ich zu singen begann. Mein Finger rührte an die feinen Saiten — ich hatte lange Zeit nimmer gesungen, der Takt und Tonfall der Verse stieg mir neu und berückend zu Haupt.

Ich sang von einem vergangenen Sommer, da zum ersten Mal mein Knabenauge an der Gestalt und dem Gange eines jungen Weibes hing. Und sang von den späten Abenden, da der Lindenduft schwoll und da ich mein wehes Verlangen mit wilden Schlägen über den schwarzen Weiher ruderte, da ich die Bänke und Wege und Treppen besuchte und alle Stätten, an denen ich die schlanke Wohlgestalt des Tages aus banger Ferne erblickt hatte. Von den Tagen, da meine Liebe mich auf heissem Pferde in langen Ritten umhertrieb. Ich gedachte der in Fülle erblühten Rosenhecken und pries die schattigen Gänge, welche der Duft des Jasmin erfüllte.

Von den Frauen lächelten manche, und manche sahen mich aus grossen Augen ernsthaft an. Als ich den Blick nach der Allerschönsten wandte, sah ich breite, bläuliche Lider über ihren Augen geschlossen und sah einen holden Mund und feine Wangen in sanften Frühlingsfarben, und eine blanke Stirn von krausem Blondhaar fröhlich verschattet. Ich erblickte das Bild meiner ersten Liebe, schön und verzaubert von Erinnerung und Heimweh, wie es manchmal in Lieblingsträumen mir erschien. Mein Herz war erregt und schwer von Liedern und Sehnsüchten einer andern Zeit. Ich berührte die Hand der Königin. „Erinnerst du dich, Lieblichste?“

Sie lächelte und schlug die Augen auf. „Sag’, bist du nicht glücklicher als Andere gewesen?“ Ich nickte leise mit dem Haupt und konnte mein Auge nicht von den Lippen wenden, die Elisens Lippen waren.

„Bist du auch dankbar gewesen?“ Da ward ich traurig und musste das Haupt wieder senken. Sie winkte einer der Frauen, welche aus dem mit reicher Kunst aus Silber getriebenen Mischkrug eine leichte Schale mit süssem Weine füllte. Sie nahm das zierliche Gefäss und bot es mir freundlich hin. „Du bedarfst nun der Ruhe. Trinke und lege dich schlafen. Meine Gastfreundschaft wird deinen Schlummer beschützen.“

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