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Der Minnesänger

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»Wohlan denn, Meister,« sagte der Schloßherr aufstehend, »betrachtet Euch für diese Tage als ein Glied meiner Familie; lehrt meine Tochter Einiges von Eurer Kunst; den Rest der Zeit verbringen wir in anregender Unterhaltung. Unser Mahl sollt Ihr stets theilen, so lange wir allein sind, denn Ihr begreift, nicht wahr, daß edle Ritter . . . «

»Gewiß, Herr, ein Minnesänger von niedriger Geburt darf seine Stellung nicht vergessen, mein Geheimniß selbst zwingt mich außerdem, eingezogen und demüthig zu sein, somit werdet Ihr keine Anmaßung oder Unbescheidenheit von mir zu befürchten haben.«

»Komm nun, Meister,« sagte der Ritter, »das Wetter ist herrlich, die Sonne scheint hell und warm, wir wollen einen He Gang um die Burg machen. Editha ist eine echte Naturfreundin, sie wird Euch mit mehr Begeisterung, als ich, auf die Schönheiten der Landschaft aufmerksam machen.«

Sie verließen die Burg und durchwanderten mehrere Stunden die Umgegend, hin und wieder am Rande eines Felsens niedersitzend, und auszuruhen oder den Blick in das tiefe Thal zu genießen.

Editha war selig; eifrig wies sie ihren Begleiter auf die er malerischen Punkte der Gegend hin, die sieh nach allen Richtungen dem Auge darboten, sei es lieblich oder schrecklich, grün und blumig oder felsig und wild.

Es kamen, besonders auf dem Rückwege, auch Augenblicke, wo man, des Sehens und Bewunderung müde, den Naturschönheiten nur geringe Aufmerksamkeit schenkte.

Dann unterhielt sich der Ritter mit dem Jüngling über vielerlei Dinge und war erstaunt über dass Verständniß, das richtige Urtheil und die Kenntnisse, welche dieser an den Tag legte.

Mehr und mehr fühlte Graf Günther sich zu seinem Gaste hingezogen; was ihm am meisten an ihm gefiel war seine große Bescheidenheit und Zurückhaltung.

Editha in ihrer kindlichen Unbefangenheit plauderte mit dem Sänger wie mit einem Bruder, er aber vergaß nie den Abstand, der ihn von der Erbin von Felsenburg trennte: er antwortete ihr stets in so ruhiger ernster Weise und dabei so höflich und fein, daß der Graf angesichts der unedlen Geburt seines Gastes voll Staunens darüber war und nur in dessen Verkehr mit Leuten vornehmen Standes eine Erklärung dafür fand.

Gegen Mittag langten sie wieder in Felsenburg an, wo Wilfried beim Mahle neben dem Schloßherrn seinen Platz angewiesen erhielt.

Später mußte er, Edithas Bitten nachgebend, beginnen, sie Lieder und Gedichte zu lehren. Er that es mit solchem Eifer und sie nahm seine Unterweisungen so bereitwillig auf, daß der Erfolg nicht zweifelhaft sein konnte.

Editha hatte eine klare liebliche Stimme und viel richtiges Gefühl, ihrem Vater gewahrte es große Freude, als er sie mit Wilfried um die Wette singen hörte.

So verging der Tag in stillem Genuß. Mit dem Abend stellten sich bei Wilfried die Sorgen wieder ein. Er setzte sich in seinem Schlafgemach auf einen Stuhl und begann über Alles nachzudenken,was ihm heute begegnet war.

Seine Lage erschien ihm sehr gefährlich, denn er konnte es sich nicht verhehlen, daß die Jungfrau einen tiefen Eindruck auf sein Herz machte, und wohin sollte das führen? War er doch verurtheilt, von aller Liebe fern, fünf lange Jahre allein umher zu irren! Unvorsichtig, thöricht hatte er gehandelt, als er sich verleiten ließ, auf Felsenburg zu weilen. Nun konnte er freilich vor der großen Jagd nicht fort; wenn der Burgherr und seine Tochter die ihnen gestellte Bedingung hielten, durfte er sein gegebenes Wort nicht brechen.

»Doch was schadet es,« fuhr er in seiner Betrachtung fort, »daß ihr Bild mich verfolgt, ihr Blick mir in’s Herz dringt, so lange Niemand etwas davon weiß? Nur fünf Tage, dann bin ich frei, dann gehe ich fort, weit fort über den Rhein und wage mich nie wieder in diese Gegend. Fünf Tage gehn rasch vorbei, nur eine süße Erinnerung wird mich dann noch mit Editha verbinden.«

Nach einem kurzen Dankgebet zu Gott und einer Bitte um ferneren Schutz begab er sich getröstet zur Ruhe.

IV

Vier Tage vergingen ohne daß Wilfried Veranlassung gefunden hätte, sein Bleiben auf Felsenburg zu bedauern.

Editha kannte nun bereits eine Menge von Liedern, sie war voll Dankes gegen ihn und legte stets dieselbe ungezwungene Freundschaft für ihn an den Tag.

Der Ritter fand mehr und mehr Gefallen an seiner von der Unterhaltung und hatte wiederholt versucht, ihn zu noch längerem Verweilen zu bewegen, doch Wilfried blieb fest, er trieb fühlte, daß er abreisen mußte, wollte er nicht Gefahr laufen zu verrathen, was in seinem Herzen vorging.

Der Morgen der großen Jagd brach an. Zweimal war Wilfried bereits aus dem Schlafe gedeckt worden durch Hörnerschall, der die Ankunft von Gästen verkündigte.

Er kleidete sich an und trat an das Fenster, da sah er einen prächtigen Reiterzug am Ufer des Flusses, Ritter auf edlen Pferden mit ihren Jägern, Dienern und der kläffenden Meute.

Voll tiefer Trauer dachte er bei diesem Anblick der väterlichen Burg Iserstein, seiner armen Mutter, seines Vaters; er dachte der glänzenden Jagden, die er früher selbst angeführt hatte, sah im Geist den finstern Eberwald, die Wölfe, Bären und Hirsche, die vor ihm flohen, drückte seinem Rosse die Sporen in die Weichen, flog dahin über Berg und Thal, erreichte, erlegte das Wild und glaubte das Jagdhorn lustig erschallen zu hören.

»O seliger Lenz meines Lebens, frohe Jugendzeit,« seufzte er, »ewig heiterer Himmel, an dem das Lächeln meiner Mutter wie eine helle Sonne glänzte, wo bist Du geblieben! Freiheit, Ansehn, ritterlicher Ruhm, Ihr seid für den armen Wilfried verloren, nur in der Erinnerung darf er sich an Euch erfreun.«

Er ging dann hinunter und begab sich nach dem Frühstück mit dem Burgherrn und seiner Tochter in den innern Schloßhof, um wenigstens den letzten Vorbereitungen zur Jagd beizuwohnen.

Etwa zwölf Ritter waren mit ihren Dienern dort versammelt, es herrschte ein reger Leben und Treiben.

Die Pferde, welche man in den Stall gebracht hatte, um sie fressen und ausruhn zu lassen, wurden eben wieder herausgeführt und gezäumt, auch den Hunden die Freiheit gegeben, ihr fröhliches Bellen mischte sich in das Pferdegewieher.

Auf Wilfried machte das Bild einen so tiefen Eindruck, daß er kaum noch den Worten Edithas lauschte, welche neben ihm stand und ihm die Namen der Ritter nannte oder von der Beute sprach die man bei früheren Jagden heimgebracht hatte. Der Jüngling war wie im Fieber, das Blut trieb heftig durch seine Adern, sein Herr schlug ungestüm der Freude entgegen, auf die er verzichten sollte.

Als Alles bereit, und man im Begriff war aufzusteigen, sagte sein freundlicher Wirth lachend zu ihm:

»Es thut mir nur leid, Meister, daß Ihr der Jagd nicht wenigstens aus der Ferne folgen könnt; für Jemanden der so Etwas nie gesehn hat, verlohnte es sich wohl der Mühe, doch ihr könnt wahrscheinlich nicht reiten?«

»Da irrt sehr, Herr,« versetzte Wilfried mit stolz aufleuchtendem Blick, »ich bin sogar ein ziemlich guter Reiter.«

»Wirklich? Wollt Ihr es einmal versuchen? Es würde mich freuen, Euch bei der Gesellschaft zu sehen.«

Graf Günther befahl einem der Jäger, dem Minnesänger sein Pferd abzustehn, weil gerade dieses Thier sanft und und umgänglich war.«

Der Mann konnte seinen Verdruß ob dieses Befehles nicht verbergen, da er dadurch gezwungen wurde, in der Burg zu bleiben.

»Du bist ungehalten, daß Du nun nicht mitgehn kannst Martin?« sagte sein Herr; »ein Mittel gäbe es wohl noch, Du müßtest den Hengst besteigen . . . «

»Gnädiger Herr, Ihr wißt, daß das unmöglich ist,« unterbrach ihn der Jäger, ich bräche den Hals, bevor wir aus der Burg wären. Noch Keiner hat sich auf dein Rücken dieses wilden Thieres halten können.«

Diese Worte weckten Wilfrieds Eifer.

»Gestattet, das; man mir dass wiederspänstige Thier vorführe, ich will versuchen, ob ich es nicht bändigen kann,« sagte er.

: Graf Günther und die übrigen Ritter suchten ihn von diesem gefährlichen Unternehmen abzubringen und Editha vereinte ihre Bitten mit den Vorstellungen ihres Vaters, der Jüngling aber, hingerissen von feuriger Begierde, bestand so entschieden auf seinem Vorhaben, daß man endlich nachgab, überzeugt, daß er selbst dessen Vermessenheit einsehn würde, sobald er des Thieres ansichtig geworden.

Wilfried erhielt nun scharfe Sporen, die er sorgfältig an seine seinen Stiefeln befestigte; Edithas Mahnungen zur Vorsicht schien er nicht zu hören.

Da brachten denn zwei Diener den Hengst, den man den Teufel nannte; es war ein prächtiges Thier, ungeduldig wohl, doch noch ziemlich fügsam, so lange es keinen Reiter auf seinem Rücken fühlte. Jetzt reckte es den Hals, sah mit glühenden Augen umher und wieherte dann so mächtig, daß die ganze Burg davon wiederhallte.

Wilfried stellte sieh vor das Pferd und sagte laut:

»Nun gib Acht: Du heißest Teufel; wärest Du aber der böse Feind in eigener Person, Du fändest heute Deinen Meister. Betrag’ Dich gut, sonst stirbst Du unter mir.«

Die Hilfe der Diener wehrte er ab; mit einem Satz war er im Sattel und drückte dem Pferde die Sporen ein.

Schnaubend begann es rechts und links auszuschlagen sich zu bäumen und so ungebärdig zu benehmen, daß Wilfried, wie man glaubte, seiner Gewalt unmöglich widerstehen konnte.

Die Ritter ließen die übrigen Pferde näher dem Thore zuführen, während sie selbst auf der Schlosstreppe standen und mit ängstlicher Verwunderung dem Schauspiele zusahen.

Durch seine nutzlosen Versuche und den fortgesetzten Sporenschlag zu wilder Raserei hingerissen, stellte sich der Hengst auf die Hinterfüße und bemühte sich aus allen Kräften, den Reiter abzuwerfen.

Alle Zuschauer waren überzeugt, daß der kühne Jüngling bald zerschmettert auf den Steinen liegen würde. Editha stieß einen Angstruf aus und erhob die Hände flehend zum Himmel. Als sie aber dass Thier nach jedesmaligem Steigen, wieder auf die Vorderfüße zurückfallen und Wilfried wie festgewachsen auf seinem Rücken sitzen sah, verwandelte sich ihre Angst in Bewunderung und mit freudig glänzenden Augen beobachtete sie des Jünglings Kraft und Heldenmuth.

 

Einen ähnlichen Eindruck machte der Auftritt auf die übrigen Anwesenden, es war auch in der That ein schöner Anblick, den Minnesänger in siegender Gewandtheit mit dem wilden, rasenden Thiere kämpfen zu sehen.

Seine strahlenden Augen, seine weithin tönende Stimme, seine kräftigen Bewegungen, Alles bezeugte, daß er gewohnt war zu befehlen und seinem Willen Geltung zu verschaffen.

Nach etwa einer halben Stunde dieses großartigen Kampfes fiel der weiße Schaum in Flocken von dem Munde des Pferdes, das Blut floß aus seinen zerrissenen Seiten.

Da blieb es plötzlich stehn, an allen Gliedern zitternd, schweißbedeckt und keuchend, und senkte muthlos den Kopf zur Erde.

Alle Ritter, selbst die Diener beglückwünschten laut den muthigen Ueberwinder, dem es jetzt erst klar wurde, daß er eine Unvorsichtigkeit begangen hatte, die sein Geheimniß in Gefahr bringen konnte. Seine Aufregung legte sich, er sah ein, daß man ihn mit Fragen bestürmen würde, wie er zu dieser Geschicklichkeit im pferdebändigen gelangt sei.

Er gab einem der Diener den Zügel und näherte sich den Rittern, die noch immer auf der Treppe standen, – wohl auch von dem Wunsche getrieben, ein Lob aus Edithas Munde zu hören.

Graf Günther überhäufte ihn mit Lobsprüchen, die Jungfrau aber vermochte nur zu stammeln, daß sie sich sehr geänstigt habe und noch ganz erschreckt von dem furchtbaren Schauspiele sei.

Einer der Ritter rief aus:

»Ihr wollt ein Minnesänger sein? Niemand kann Euch hindern, Euren Stand und Namen zu verbergen, ich aber bezeuge Euch Ehre und Freundschaft, überzeugt, daß ich die Hand eines edelgeborenen, tapferen Ritters drücke.

Wilfried, der eine solche Auslegung wohl erwartet hatte, antwortete lachend:

»Ich danke Euch, Herr Ritter doch seid Ihr der Erste nicht, welcher von diesem für mich so ehrenvollen Irrthume befangen ist; wenig Worte werden hinreichen Euch zu zeigen, daß ich solche Hochschätzung nicht verdiene. Mein Vater ist ein Pferdehändler; seit frühster Jungend lernte ich die halsstarrigen Thiere beinah ohne es selbst wissen, reiten und zähmen, ich bin, so zu sagen im Stall groß geworden. Was Wunder die also, wenn ich ungeachtet meiner niedrigen Geburt, mit Pferden umzugehen verstehe wie ein Ritter.

Diese Erklärung wurde ohne Widerspruch angenommen, es ließ sich ja auch in der That nichts darauf erwidern. Wäre die Aufmerksamkeit der Ritter nicht vorwiegend auf den Minnesänger gerichtet gewesen, so würden sie wahrgenommen haben, das bei seinen letzten Worten ein tiefer, schmerzlicher Seufzer der Brust der Jungfrau sich entrang.

»Zu Pferde, Ihr Herren, zu Pferde! rief jetzt der Schloßherr, »wir haben bereits zu viel Zeit verloren, die Sonne steht hoch am Himmel! Jäger stoßt ins Horn und blast zum Aufbruch!«

Nachdem sie sich mit kurzen Worten von der Jungfrau verabschiedet hatten, saßen die Ritter auf; Wilfried bestieg den Hengst, welcher, seinen Herrn in ihm erkennend, sich geduldig von ihm tummeln ließ; unter dem Klange der Hörner, dem Wiehern der Pferde, dem Bellen der Hunde bewegte der Jagdzug sich nun Thore hinaus.

Bewegungslos und in Nachdenken Versunken blieb Editha noch eine Weile auf der Treppe stehn, dann aber, einem plötzlichen Gedanken erfaßt, eilte sie in dass Schloss, bestieg den nördlichen Thurm und blickte durch ein Fenster den Weg entlang, der jenseits des Stromes in Vielen Windungen den Bergrücken hinanführte.

Von hier aus sah sie denn auch wirtlich den Jagdzug vorüberziehen und richtete klopfenden Herzens ihr Auge auf den Minnesänger, den sie zwischen den Rittern bald herausfand, nicht allein an der hohen Gestalt seines Pferdes sondern an den dunkeln Kleidern, die er trug.

Die ganze Welt um sich her Vergessend stand sie dort, bis der Zug auf der Höhe angekommen, ihrem Gesichtskreise entschwand. Dann ging sie in ihre Schlafkammer, kniete vor ihrem Bette nieder und begann heftig zu weinen . . .

Der Jagdzug bewegte sich inzwischen in nördlicher Richtung dem Walde zu, der einer dunkeln Wolke gleich, einen ferngelegenen Bergrücken überdeckte. Der Weg war mitunter sehr uneben, so daß die Jäger nur einzeln reiten konnten.

Wilfried dachte dann an dass seltsame Benehmen Edithas, die allein keinen Glückwunsch, kein freundliches Wort für ihn gehabt hatte, ja vielmehr, wie es schien, traurig und niedergeschlagen ob des Sieges gewesen war, den er über den störrischen Hengst davongetragen.

»Sollte ihre sanfte, reine Seele vielleicht jeder Gewalttätigkeit abhold sein?« murmelte er in sich hinein, auf einem engen Bergpfade einsam reitend; »ja so ist es, sie sieht in diesen Beweisen von Körperkraft und unbeugsamem Willen die Anzeichen eines harten, unfreundlichen Gemüths, das seine eisernen Gesetze mit gleicher Härte auch einer schwachen Frau aufdringen würde.

Und doch, wie täuscht sie sich! Dem Blick ihrer Augen würde ich gehorchen, wie ein demüthiger . . . Bin ich denn von Sinnen? Wohin verlieren sich meine Gedanken? Gott sei Dank, morgen früh verlasse ich Felsenburg, um niemals wiederzukehren.«

Das »Gott sei Dank« war gleichwohl von einem tiefen Seufzer begleitet und Wilfried versank in trübes Sinnen, aus dem er erst erwachte, als der Weg breiter und ebener wurde und er sich wieder inmitten der Ritter befand.

Diese kamen noch wiederholt auf die wunderbaren Beweise von Gewandtheit und Körperkraft zurück, welche Wilfried beim Aufbruch im Schloßhofe gegeben hatte und richteten allerlei Fragen an ihn, betreffs seines Geburtsortes, seiner Eltern und der Erziehung, die er genossen hatte, denn es erschien ihnen unbegreiflich, daß ein Jüngling, welchen Graf Günther als ausgezeichneten Sänger pries, zugleich den Muth und die Geschicklichkeit besitzen sollte, die sie nur bei geübten Rittern voraussetzten. So erreichte man nach mehr als einer Stunde Reite, eine ausgedehnte Hochebene, hier und da mit Wald überzogen, wo man auf Hirsche und Eber zu stoßen erwartete; doch verging eine geraume Zeit bevor man Wild antraf, das würdig gewesen wäre, von einem so stattlichen Zuge verfolgt zu werden.

Schon begannen die Jäger muthlos drein zu schauen und zu befürchten, daß man ohne entsprechende Beute würde heimkehren müssen, als plötzlich Hörnerschall und fröhlicher Jagdruf ertönte. Eine Hirschkuh war aufgesprungen und setzte nun, von Allen verfolgt, in wilder Flucht über die Ebene dem Walde zu, wo sie unter den hochstämmigen Bäumen verschwand.

Die Jäger folgten mit neu erwachtem Eifer; da sich aber hier Jeder einen Weg bahnen mußte, geriethen sie bald von einander und wurden in kleinere Abtheilungen versprengt.

Graf Günther, drei Ritter, der Minnesänger und fünf oder sechs Diener hatten die Spur des flüchtigen Thieres noch keinen Augenblick verloren und waren ihm einmal schon so nah, daß sie es zu haben glaubten, als es plötzlich in eine enge Schlucht, durch die ein Sturzbach zur Regenzeit sich Bahn gebrochen, einlenkte.

Es kostete keine geringe Mühe, die Pferde in den Paß zu bringen, dann aber wurde mit erneuter Eile das Jagen fortgesetzt.

Graf Günther ritt voraus und ermunterte durch Wort und That seine Begleiter zur Ausdauer, er habe die Hirschkuh wieder gesehn, rief er, es ginge zu Ende mit ihren Kräften, sie könne ihnen nicht mehr entgehn.

Plötzlich stieß er einen Schrei der Ueberraschung und des Schreckens aus. Ein großer Bär zeigte sich gerade vor dem Ausgang der engen Kluft und stürzte zähnefletschend ihnen entgegen.

Das unerwartete Erscheinen des wilden Raubthieres bewirkte daß die Pferde zur Seite sprangen, ihre Reiter theils abwerfend, theils mit ihnen zurückfliehend.

Auch Wilfrieds Hengst hatte sich gewandt, er aber zwang ihn, der Gefahr die Stirn in bieten. Da sah er denn mit Entsetzen, daß Graf Günther an der Erde lag, daß der Bär auf ihn zusprang und schon die Klaue erhob, um den Wehrlosen zu zerfleischen. Hilfe war nicht bei der-Hand, des Grafen Begleiter und Diener lagen wie er am Boden.

Ohne einen Augenblick zu zögern, sprang Wilfried aus dem Sattel und entriß einem der gefallenen Diener den Jagdspieß und rannte ihn der Bestie mit solcher Gewalt durch den Leib, daß er an der andern Seite wieder zum Vorschein kam.

Der tödtlich getroffene Bär stieß ein furchtbares Geheul aus und versuchte mit einem Schlage seiner riesenhaften Pfote seinem Opfer die Brust zu zerfleischen. Da ihn indessen die Kräfte verließen, drangen seine Krallen nicht durch des Grafen Panzerhemd und zerfetzten nur einen Theil der Kleidung. Dann sank das grausige Thier zusammen und verendete in krampfhaften Zuckungen.

Wilfried glaubte, das; der Graf arg verletzt sei, er kniete bei ihm nieder und wollte ihn aufrichten, doch sah er bald zu seiner großen Freude, daß seine Sorge unbegründet war, denn der Graf erhob sich langsam und sagte:

»Seid meinetwegen unbekümmert, ich fühle nur einen leichten, von dem Falle herrührenden Schmerz im Rücken, der Bär hat mir nichts zu Leide gethan. O Wilfried, wie soll ich Euch danken! Ihr seid mein Retter, Eure rechtzeitige Hilfe hat mich vor dem Tode bewahrt, meiner Editha den Vater erhalten! Verlangt von mir, was Ihr wollt; wenn es in meinen Kräften steht, sollt Ihr es erhalten!«

Wilfried antwortete, daß er nur seine Pflicht gethan habe und sich hinlänglich belohnt halte durch die Freude, seinen edlen Gönner unversehrt zu sehn. Mehr zu sagen, fand er keine Zeit, denn die Ritter und Diener hatten sich inzwischen erholt und umringten den Grafen, oder betrachteten staunend den gewaltigen Bären, der, einem geschlachteten Ochsen gleich, in seinem Blute dahingestreckt lag.

Das Horn wurde nun wiederholt geblasen, um auch die übrigen Theilnehmer der Jagd zu sammeln und so befanden sich Alle in der engen Schlucht.

Graf Günther erzählte was geschehen war, und wie der Minnesänger den Bären durchstochen, ihm das Leben gerettet hatte; die Augenzeugen der kühnen That bestätigten und ergänzten seine Worte. Manchen der Ritter mochte es verdrießen, daß einem niedrig geborenen Minnesänger solche Ehre zu Theil ward, doch wurde keine Regung des Neides laut, Alle drückten dem muthigen Jüngling die Hand.

Man beschloß, die Jagd nun einzustellen und den Rückweg anzutreten.

Der Tag neigte sich schon dem Abend zu, viele Ritter und Diener hatten sich heim Fallen leicht verletzt, die Pferde waren müde und der Bär ein Stück Wild, mit dem man sich sehen-lassen durfte.

Er wurde auf eins der stärksten Pferde gelegt und mit Stricken wohl befestigt.

Beim Festmahl in Felsenburg dachte man noch manchen Becher auf die Erlegung des Unthieres und die Erhaltung des Grafen zu leeren.

Der Rückzug konnte nur langsam ausgeführt werden, schon um des schwer beladenen Pferdes willen, das den Bären trug.

Wilfried ritt, in Gedanken versunken, hinter den Andern, er dachte an Editha, der Abschied von ihr machte ihm das Herz schwer, und doch mußte geschieden sein, das Schicksal rief, er mußte folgen.

Jetzt gesellte Graf Günther sich zu ihm und fragte:

»Wie ist es Meister: Bleibt Ihr bei Eurem Entschluß? Wollt Ihr wirklich morgen fort?«

»Ja, Herr«, antwortete Wilfried traurig, »es schmerzt mich tief, meine edlen, großmüthigen Gastfreunde verlassen zu müssen, aber ich habe keine Wähl.«

»Fürchtet Ihr denn noch immer Euer Geheimniß gefährdet zu sehne sind wir nicht unserm Versprechen treu geblieben?«

Habt Ihr ein einziges unbedachtsames Wort aus meinem oder meiner Tochter Munde vernommen?«

»Nein, Herr, und ich danke Euch innig dafür, aber Ihr hörtet selbst, wie die Ritter mich mit Fragen bestürmten; sie haben mir Manches was ich verschweigen wollte, entlockt und mich veranlaßt, Unwahrheiten zu sagen, die mich erniedrigen.«

»Aber diese Ritter verlassen schon morgen meine dann werden wir wahrscheinlich wochenlang allein sein und nichts soll Euch dann in den Weg gelegt werden.«

»Gleich von Anfang an fühlte ich mich zu Euch hingezogen, Eure Gesellschaft war mir wohlthuend und angenehm.«

»Seit Ihr aber vom sichern Tode mich gerettet, kann ich den Gedanken nicht ertragen, Euch morgen schon missen zu sollen, darum bitte ich dringend bleibt noch eine Weile.«

»Ich kann nicht, Herr; eine unwiderstehliche Gewalt treibt mich fort.«

»Bleibt meiner Tochter zu Liebe,« fuhr der Graf fort, »das gute Kind hat so große Freude an Gesang und Saitenspiel.«

»Ihr beglückt sie wahrhaft, als Ihr von Eurer Kunst ihr Einiges mittheiltet, und ihr Verlangen mehr davon zu verstehn, hat sich aufs höchste gesteigert.«

»Sie bat mich, noch einen Versuch zu wagen. In ihrem Namen also bitte ich um Eure Zustimmung, Meister.«

 

»Nun, was sagt Ihr? Ihr zögert? Gottlob, Ihr bleibt, nicht wahr?«

»Auf wie lange denn?« fragte Wilfried unschlüssig.

»Auf einen Monat, wenigstens.«

»Nein, nein, davon kann keine Rede sein!« rief Wilfried erschreckt.

»Ein paar Wochen denn.«

»Seht, Herr, um Euch und Eurer edlen Tochter zu genügen, will ich noch fünf Tage bleiben, – der Himmel gebe nur, daß ich es nicht zu bereuen habe! Aber nach Ablauf dieser Zeit bitte ich auch, mich unter keinem Vorwande länger zurück halten zu wollen.«

»Fünf Tage, das ist wenig,« sagte Graf Günther, »dennoch danke ich Euch für dieses Zugeständniß. Niemand soll suchen, Euch Dann noch zu fesseln, hier meine Hand darauf. Wie wird Editha sich freuen! Ich kann es kaum abwarten, ihr die frohe Mittheilung zu machen . . . Verzeiht, wenn ich mich jetzt wieder zu meinen Gästen begebe, ich darf mich ihrer Gesellschaft nicht länger entziehen.«

Bei diesen Worten beschleunigte er den Schritt seines Pferdes, um die Spitze des Zuges zu erreichen.

Als Wilfried allein war, machte er sich die bittersten Vorwürfe des Versprechens wegen, das er sich hatte abdringen lassen.

Im Grunde des Herzens war er aber dennoch beglückt, daß er noch fünf Tage in Edithas Nähe weilen durfte.

Der Jagdzug bewegte sieh endlich die Hochebene hinab, durch das Thal, dann über den Fluß, und den Hügel hinauf, den die Felsenburg krönte.

Editha mit ihren Mägden und Dienern stand, von dem Hörnerschall gerufen, bereits auf dem inneren Schloßhofe.

Graf Günther stieg vom Pferde, rief Wilfried zu sieh und erzählte seiner Tochter, in welcher Gefahr er geschwebt, und wie der Minnesänger ihn vom sicheren Tode gerettet habe. Daß sie erbleichte und zitterte bei dieser Mittheilung war nicht zu verwundern, aber auch, als der Ritter geendet, stand sie schweigend da.

»O mein Kind! Da steht der Retter deines Vaters!« riet der Graf bewegt, »danke ihm, segne ihn in deinem Herzen, denn ohne sein muthiges Einschreiten wärest Du nun eine elternlose Waise.«

»Ich danke ihm . . . ich segne ihn,« stammelte die Jungfrau mit gebeugtem Haupte und ohne den Sänger anzusehen.

Auf eine Bemerkung ihres Vaters antwortete sie zaudernd, daß der Gedanke an die Gefahr, in der er geschwebt, sie mit Schrecken erfülle und schwindlig mache; außerdem sei sie den ganzen Tag unwohl gewesen und fühle sich noch jetzt etwas angegriffen.

Ein Ritter richtete eben verschiedene Fragen an ihren Vater und störte so die Unterhaltung Wilfried suchte inzwischen der Jungfrau Muth einzureden und sprach die Hoffnung aus, daß das Unwohlsein bald vorübergehen würde. Editha aber blickte befangen nach ihrem Vater und antwortete kaum.

Sich aufs neue ihr zuwendend rief der Graf jetzt in heiterem Ton:

»Gib Acht, mein Kind, ich weiß eine Arznei, die dich sofort heilen wird. Meister Wilfried will noch weitere fünf Tage bei uns bleiben.«

Statt zu jubeln, wie ihr Vater erwartet hatte, blickte sie wieder verlegen zu Boden, man merkte, sie that sich Gewalt an, als sie erwiderte:

»Meister Wilfried ist sehr gütig, er ist willkommen.«

»Nun, meine Herren,« rief Graf Günther laut, »gebe ich, mein zerrissenes Panzerhemd ablegen und mich vom Staube reinigen; wer von Euch sich erfrischen und etwa die Hände waschen will, dem werden die Diener sein Gemach anweisen. In einer Stunde erwarte ich Euch zum Mahle.«

Dies sagend schritt er die Schloßtreppe hinauf.

Editha schaute ihm nach und folgte dann eilig, als ob sie ihm etwas Wichtiges zu sagen hatte, zu Wilfrieds Enttäuschung, den sie ohne Gruß allein stehn ließ.

Was war doch nur, fragte er sich, der Grund dieses seltsamen Wechsels in ihrem Betragen gegen ihn? Hatte er vielleicht irgend Etwas gesagt oder gethan, das sie verletzte? Vergebens suchte er in seinem Verhalten ihr gegenüber einen Tadel zu entdecken. Aber was war es dann? Eine Folge ihres Unwohlseins? Oder sollte etwa einer der Ritter die die große Freundlichkeit und Güte, die sie einem unedel geborenen Minnesänger erwies, ihr zum Vorwurf gemacht haben? Das war möglich; er mußte um so zurückhaltender und bescheidener sein, besonders in Gegenwart der vornehmen Gäste ihres Vaters.

Langsam begab er sich in sein Gemach, um seinen Anzug, so weit es anging, in Ordnung zu bringen, er sollte ja Festsaal erscheinen und vor der vernehmen Gesellschaft singen.

Nach Verlauf der von Graf Günther bestimmten Stunde ging er wieder hinunter, trat aber nicht in den großen Speisesaal, sondern öffnete die Thür eines Nebenzimmers und setzte sich ans Fenster, wartend, daß man ihn rufen würde.

Kurz darauf vernahm er ein Geräusch, leichte Fußtritte auf der Treppe. Das konnte nur Editha sein! Erfreut sprang er auf, vielleicht hatte er sich hinsichtlich ihres veränderten Wesens getäuscht, vielleicht redete sie jetzt wieder ebenso freundlich mit ihm wie früher.

Da stand sie schon in der offenen Thür! Sobald sie ihn aber bemerkte, wandte sie sich um und lief die Treppe wieder hinauf, als ob sie Etwas vergessen hatte.

Was in aller Welt sollte dieses seltsame Betragen bedeuten? Wilfried war so ergriffen davon, daß er auf seinen Stuhl zurücksank und, die Hände vor den Augen, sitzen blieb bis ein Diener ihm meldete, daß der Graf ihn erwarte.

Bei seinem Eintreten in den Saal bemerkte er, daß die Ritter bereits an der Tafel Platz genommen hatten. Editha, in reiche Gewänder gekleidet und mit funkelnden Edelsteinen geschmückt, saß neben ihrem Vater, einer Königin gleich. Dennoch waren ihre Augen wie verschleiert, ihre Wangen bleich, sie war also wirklich leidend, vielleicht sogar krank.

»Meister Wilfried,« sagte Graf Günther, diese Herren, meine edlen Freunde, sind der Ansicht, daß ein so muthiger Jüngling wie Ihr es wohl verdient, mit ihnen am Tische zu sitzen. Gesellt Euch darum, ihrer Aufforderung folgend zu uns und erfreut uns später durch schöne Lieder, nicht als Minnesänger sondern als Genosse und Freund.«

Wilfried dankte und nahm seinen Platz am unteren Ende der Tafel ein. Es freute ihn, daß er so weit von Editha entfernt war und er sie nur von der Seite sehn konnte; lief er doch nun nicht Gefahr, ihren Blicken zu begegnen und in irgend einer Weise die Aufmerksamkeit der Ritter zu erregen.

Das Mahl währte lange.

Früh schon begann der Wein die Herzen zu öffnen und die Zungen zu lösen, und kaum war das letzte Gericht abgetragen, als man auch ein Lied zu hören begehrte.

Der Sänger machte sich bereit und stimmte seine Leyer, – doch da sah er plötzlich, wie Editha aufstand und mit gesenktem Kopfe den Saal verließ.

Ihr Vater bat die Gäste zu entschuldigen, daß sie so früh sich entferne; sie sei ein wenig unwohl und wolle sich zur Ruhe begeben.

Nach dieser kurzen Unterbrechung fing man wieder an ein Lied zu verlangen.

Auf des Burgherrn Wunsch wiederholte Wilfried »das Lob des Weines,« sang dann noch einige andere Lieder, und die Gäste bewunderten seine Stimme und seinen hinreißenden Vortrag; nur der Schloßherr bemerkte, daß sein Schützling nicht in der richtigen Stimmung war und fragte nach der Ursache. Der Jüngling versetzte, daß die Aufregungen des vergangenen Tages sich geltend machten und bat um die Erlaubniß, sich bald zurückziehen zu dürfen. Nachdem diese, wenn auch ungern, ertheilt worden war, verließ er mit ehrerbietigem Gruße den Saal.