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Der Minnesänger

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II

Allmählich nahm das Pferd Wilfried›s einen langsameren Gang an, ohne daß der junge Ritter es zu bemerken schien. Er war ganz in Gedanken versunken, Finsterniß umlagerte seinen Geist. Verflucht seit seiner Geburt? Seine Eltern mit eignen Händen ermorden, der Mutter theures Blut vergießen? Aber das war ja Alles ganz unmöglich! Aengstigte ihn nicht etwa ein wüstes Traumbild? Oder trieb vielleicht der Zauberer ein schnödes Spiel mit ihm? Stand er nicht etwa im Begriff, sein Vaterland, von einer leeren Vorspiegelung befangen, zu fliehn und die Seinen glauben zu machen, daß er von wilden Thieren zerrissen sei?

Wie würde seine arme Mutter diesen Schlag ertragen? Ach, wenn er sie nur einmal noch hatte in die Arme schließen,an ihrem Herzen sich Kraft und Muth holen dürfen! Aber von ihr fortgehn ohne ihr Lebewohl zu sagen, und dazu fürchten müssen, daß sie ihrem Leid erliegen würde? Was hatte er verbrochen, um ein so grausames Schicksal zu verdienen?

Während er also sann und sich hin und wieder eine Thräne aus dem Auge trocknete, hatte sein Roß schon zweimal einen Seitenweg eingeschlagen und folgte nun einer Richtung, die es unfehlbar nach Iserstein bringen mußte.

Wilfried hatte davon keine Ahnung; in seinen Ohren klangen die Wehklagen der Mutter, er glaubte den Vater verzweiflungsvoll die Hände ringen zu sehn, seinen Namen wie einen Nothschrei durch Wald und Feld schallen zu hören.

Doch jetzt rief fernes Hundegebell und der Ton eines Jagdhorns ihn in die traurige Wirklichkeit zurück und er sah g: gerade vor dem Kopf seines Pferdes die Sonne zum Untergang sich neigen. Er ritt also nach Westen, der Burg seines Vaters zu?«

Wie von einem hellen Lichtstrahl erleuchtet wurde es ihm nun plötzlich klar: »Das war die geheimnißvolle Wirkung des Fluches, der ihn und das Thier der Heimath entgegenführte! . . . Aber Gott in seiner Barmherzigkeit hatte ihn nicht verlassen. Noch war es Zeit, umzukehren aber er durfte keinen Augenblick verlieren, denn die Jäger, deren Hörner er erschallen hörte, konnten die Diener seines Vaters sein! Schnell warf er sein Pferd herum und trieb es an in wildem Lauf gen Osten.

Bald erreichte er den finstern Wald, dessen wir am Ende des vorigen Kapitels erwähnten; er vermied jeden gebahnten Weg und setzte quer durch das Holz, in der Hoffnung auf diese Weise mit größerer Sicherheit einem Begegnen mit seinen Dienern auszuweichen.

Der Abend war inzwischen hereingebrochen; unter dem und hohen Gewölbe der Epheu-umrankten Bäume war es bereits so dunkel, daß, Wilfried absteigen und sein Roß am Zügel führen, ja endlich ganz einhalten mußte um zu überlegen, wie er die Nacht in dieser Wildniß hinbringen solle.

Die wenigen Augenblicke der Dämmerung, welche ihm noch blieben, benutzte er um einen etwas freieren Platz zu suchen, wo einiges Gras für sein ermattetes Pferd zu finden war.

Da vernahm er – anfangs in der Ferne, dann immer näher, zuerst dumpf, dann deutlicher, dass Geheul von Wölfen, dem das brummen von Bären sich beimischte. Sollte er sein Leben gegen wilde Bestien in vertheidigen haben? Ein Hirschfänger war seine einzige Waffe . . . Was ihn selbst betraf, so konnte er einen Baum erklettern und dort in Sicherheit den Tag erwarten, aber sein Pferd? Ohne Zweifel würde das arme Thier getödtet und zerrissen werden, wenn er es sich selbst überließ.

Glücklicherweise trug Wilfried, wie jeder gute Jäger, Stahl, Feuerstein und Zunder bei sich und wußte, daß ein helles Ferner in dunkler Nacht das räuberische Gethier abschreckt und und in angemessener Entfernung hält.

Er raffte trockne Blätter und Reisig zusammen und bemühte sich lange vergebens, sie anzuzünden. Das Heulen der Wölfe kam inzwischen immer näher, doch halt, da flammte sein Feuer auf! und damit war, wie er glaubte, die nächste Gefahr beseitigt, da die wilden Thiere dreist und verwegen werden, je nachdem die Dunkelheit der Nacht sich steigert; er hatte jetzt doch ausreichende Zeit seine Vorsichtsmaßregeln zu treffen.

Sogleich begann er, vermittelst seines Hirschfängers dürre Zweige abzuschlagen und eine große Menge Holz und Reiser zu sammeln; in einiger Entfernung von dein ersten Feuer errichtete er davon drei Haufen, die er gleichfalls in Brand setzte. So befand er sich samt seinem Pferde inmitten einer Befestigung, deren flammende Brustwehr alles räuberische Gethier abwehren mußte.

Als er diese beschwerliche Arbeit vollendet hatte, war die Nacht bereits weit vorgeschritten Wilfried setzte sich an das mittlere Feuer, den Hirschfänger quer über die Kniee gelegt und bereit, sich gegen jedweden Angriff zu vertheidigen. Da er aber nach Verlauf einer geraumen Zeit die Überzeugung gewann, daß er einstweilen nichts zu befürchten hatte, vergaß er die wilden Thiere und versank wieder in tiefes Nachdenken über sein trauriges Loos und über die Zukunft welcher er entgegenging.

Was sollte er beginnen? In fremden Landen sollte er umherirren, fünf lange Jahre hindurch, ohne von seinen Eltern ein Lebenszeichen in erhalten, ihrer Hilfe, ihres Beistandes gänzlich beraubt. Wie und wovon sollte er leben? In seiner Eile beim Aufbruch zur Jagd hatte er vergessen, Geld einzustecken. Betteln konnte er doch nicht, und in die Dienste eines Ritters treten eben so wenig, denn dann war er nicht sein eigener Herr und er mußte ja beständig reisen und oft seinen Wohnort wechseln, damit er unerkannt blieb und sein Geheimniß nicht verrathen würde.

Endlich nach dem er lange hin und her überlegt, trat ein trübes Lächeln auf seine Lippen.

Minnesänger und Dichter werden überall in Burgen und Schlössern gern und freudig empfangen,« murmelte er vor sich hin, »Ritter und Edelfrauen schätzen es sich zur Ehre, Schützer der schönen Künste zu sein und beschenken nicht selten mit reicher Gabe den Künstler, der ihnen das Herz gerührt und erfreut hat . . . Man rühmte bisher von mir, daß ich ein guter Sänger sei, ich weiß viel schöne Sprüche und bin in der Dichtkunst nicht unerfahren. Das ist eine Eingebung des Himmels! Ich will Minnesänger werden, Ritter und Edelfrauen durch Gesang und Saitenspiel erfreuen und mich so wenigstens vor Noth geschützt in der Welt umhertreiben.«

Beinah die ganze Nacht brachte er damit hin, über sein Verhalten während der nächsten Zeit zu grübeln und wiederholt noch füllten sich seine Augen mit Tränen, wenn er des Kummers seiner Eltern gedachte.

Endlich drang der erste Schein der Morgendämmerung in den Wald, die Raubthiere stellten ihr Heulen ein und verkrochen sich in ihre Schlupfwinkel. Jetzt erst wagte Wilfried die Augen zu schließen, von geistiger und körperlicher Ermattung überwältigt sank er in einen tiefen, doch unruhigen Schlaf, der von ängstlichen Träumen durchwoben war.

Als er am Morgen erwachte betrachtete er schaudernd seine Hände um zu sehn, oh sie wirklich mit Blut befleckt seien; es hatte ihn geträumt, daß er in einem Anfall wahnsinniger Raserei seinem Vater den Schädel gespaltet und seinen Leichnam durch das Fenster in den Schloßgraben geworfen hätte.

Lange versuchte er vergebens, das schreckliche Traumbild aus seinem Geiste zu bannen; endlich kehrte dass volle Bewußtsein der Wirklichkeit zurück; er schob seinem Pferde den Zaum in den Mund und führte es in nordöstlicher Richtung durch den Wald.

Es war ihm bang und schwer ums Herz, er seufzte oft und warf einen flehenden Blick zum Himmel, als wollte er ihm die Noth seiner gequälten Seele klagen.

Nachdem er mehr als eine Stunde sich durch die Wildnis; mühsam weiter bewegt hatte, gewahrte er einen gebahnten Weg; er sprang in den Sattel, drückte dem Pferde die Sporen in die Weichen und trieb zugleich durch ermunternde Worte an, seinen Lauf so viel als möglich zu beschleunigen.

Die Sonne neigte sieh bereite abwärts auf ihrer Himmelsbahn, als er aus dem Walde kam und eine unermeßliche Ebene längs der Ufer eines klaren Stromes sich ausdehnen sah. In der Ferne bemerkte er einen viereckigen Thurm, der sich aus einer großen Häusermenge erhob.

Dort mußte eine große Stadt sein, in der er finden konnte, was ihm für seinen Beruf als Minnesänger nothwendig war.

Der Erste, der ihm begegnete, antwortete auf des jungen Ritters Frage nach dem Namen der Stadt, daß sie Harlebeca heiße und daß der Leye-Strom an ihr vorüberfließe.

Nicht ohne Furcht, und mit großer Vorsicht näherte sich Wilfried dieser Residenz der mächtigen Grafen von Flandern. Konnte er nicht, falls der Fürst jetzt dort Hof hielt, Edelleute treffen, die ihn zu Iserstein oder auf Turnieren gesehn? That er nicht bester, zu warten bis der Abendschein ihn weniger kenntlich gemacht, ehe er die Thore der Stadt durchschritt?

Unter dem Einfluß dieses Gedankens trat er in eine am Wege liegende Herberge; er ließ sich eine karge Mahlzeit und einen Becher Wein bringen und sprach dann dem Wirth seine Absicht aus, sein Pferd zu verkaufen.

Der Mann, dessen Bewunderung das edle Thier trotz seines erschöpften Zustandes schon erregt hatte, bot eine geringe Summe dafür, die Wilfried nichtsdestoweniger bereitwillig annahm.

Abends ging er dann in die Stadt und veräußerte bei einem lombardischen Schacherjuden seinen Hirschfänger, seine goldenen Sporen, sein Panzerhemd und was er sonst noch von ritterlichen Abzeichen an sich trug, und kaufte statt dessen nicht allein die bescheidene Kleidung die dem Minnesänger gebührte, sondern auch eine Leier oder bogenförmige Harfe, um seine Lieder mit Saitenspiel begleiten zu können.

Dann kehrte er wieder in seine Herberge zurück und genoß eines minder unruhigen Schlafes, bis er durch das Krähen der Hähne, das Bellen der Hunde und das Geräusch an die Arbeit gehender Leute geweckt wurde.

Noch einmal ging er in den Stall, streichelte sein treues Pferd zum Abschied und machte sich dann mit schwerem beklommenen Herzen auf den Weg.

In die Stadt ging er nicht wieder, sondern liest sich in einem Kahn über den Fluß setzen und begann am jenseitigen Ufer mit einem tiefen Seufzer und einem flehenden Blick zum Himmel seine Reise durch die Welt als Minnesänger.

 

Fand er nun Einlaß in eine Burg und Gelegenheit, mit seiner kräftigen und Zugleich lieblichen Stimme seine Lieder zu singen, so behielt man ihn oft wochenlang dort und behandelte ihn mit Freigebigkeit und Güte.

Aber nicht immer wurde ihm durch Ritter und Edelfrauen ein gastlicher Empfang; oft wies man ihn barsch zurück, sei es, weil die Herrschaft abwesend, sei es daß man zu Lust und Fröhlichkeit nicht aufgelegt war. Dies kränkte ihn so sehr, dass er, so lange sein kleiner Geldvorrath reichte, am liebsten des Nachts in einer Dorfherberge ein Unterkommen suchte.

Nur zu bald kam aber der Augenblick, wo er sein letztes Kupferstücken verschwinden sah. Wie sehr er sich auch gedemüthigt fühlte mußte er von nun ab um des täglichen Brodes willen von Burg zu Burg sich anbieten, gleichviel ob man ihn freundlich aufnahm und ehrte, oder ob man ihm zerstreut zuhörte und mit leeren Händen die Thür wies, wenn das man ihn überhaupt eingelassen hatte; er mußte mit Allem vorlieb nehmen.

Diese tiefe Erniedrigung, dazu die beständige Furcht, daß der Fluch dennoch sich erfüllen könnte und der Gedanke an seine Eltern und ihren Schmerz, Alles das beugte ihn nieder und raubte ihm jeden Muth.

Viele Monate war er bereits so umhergeirrt, ohne anderen Zweck als sich möglichst weit von der Heimath zu entfernen, wenig bewohnte Gegenden zu durchziehn und unerkannt zu bleiben.

Einst, nachdem er eine Zeitlang nur schlechte Tage gehabt und auf den Burgen kaum genug erhalten hatte, seinen Hunger zu stillen, begab er sich in eine kleine Stadt, in der Hoffnung, dort glücklicher zu sein.

In der That feierte matt hier eben die Hochzeit des Markgrafen von Arlen mit dem Edelfräulein von Wilz und verhieß eine reiche Gabe jedem Sänger, der Beweise besonderer Begabung und Kunst ablegen würde.

Furchtsam und zögernd bot Wilfried seine Dienste an, und als an ihn die Reihe kam sang er solch herrliches Lied zu Ehren der schönen Braut, daß Alles ihm zujubelte und ihn mit Dank und Beifall überschüttete.

In diesem Augenblick aber erhob sich am anderen Ende des Festsaales ein alter Ritter von seinem Sitz an der Tafel und betrachtete den gefeierten Minnesänger mit scharfen Blick.

Wie bestürzt war Wilfried, als er in diesem Ritter den Herrn von Hochstätten, einen Freund seines Vaters erkannte! Er erbleichte und zitterte, denn der Ritter trat auf ihn zu und sagte im Tone ernsten Vorwurfs:

»Unglücklicher, was thust Du hier? Glaubst Du, ich kenne Dich nicht? Du bist Wilfried von Iserstein!«

»Ich Wilfried von Iserstein?« stammelte der Jüngling, den Kopf schüttelnd.

»Wie, hat denn Dein Herz sich in Stein verwandelt, undankbarer, gefühlloser Sohn?« fuhr der Ritter fort, »da stehst Du und singst auf einer fröhlichen Hochzeit und ergötzest Dich an dem erworbenen Lob, während Deinen armen Eltern das Herz brechen will vor Leid um Deinen Verlust!«

Thränen traten in des Minnesängers Augen; da er indessen bemerkte daß Alle zu ihm hinsahen, bezwang er gewaltsam seine Rührung und versetzte leise:

»»Ja, Herr von Hochstätten, ich bin Wilfried von Iserstein. Was Ihr mich thun seht, ist die Erfüllung eines Gelübdes; wenn ich es breche muß ich sterben. Diesen Abend nach der Hochzeit, will ich Euch das traurige Geheimniß erklären, ich schlafe im Schlosse. Stören wir jetzt das Fest nicht; sagt, daß Ihr Euch geirrt habt, Ihr sollt Altes wissen.«

Der alte Ritter kehrte schweigend und sorgenvoll auf seinen Platz zurück. Auf Befragen gab er zur Antwort, daß er geglaubt habe, den Minnesänger zu kennen, aber durch eine entfernte Ähnlichkeit getäuscht worden sei.

Von diesem Augenblicke an brannte der Boden unter Wilfrieds Füssen.

Was hätte er nicht darum gegeben, hundert Meilen weit weg von der Burg zu sein! Doch er sah deutlich, daß der Herr von Hochstätten den Blick fest auf ihn gerichtet hielt, er mußte also seine Ungeduld verbergen, wenn er nicht seine Absicht verrathen wollte.

Noch einige andere Minnesänger trugen ihre Lieder und Sprüche vor bis endlich der Schloßherr den Befehl gab, Alle in ein Gemach neben der Küche zu führen und dort mit einem guten Mahl und alten Weinen zu bewirthen.

Wilfried folgte seinen Gefährten, ohne Eile an den Tag zu legen, er war selbst der Letzte der mit stillem Gruß den Saal verließ.

Im Speisezimmer beobachtete er scheinbar mit Eifer das Decken des Tisches, verlor aber die Thür nicht aus den Augen, weil er befürchtete, daß der Herr von Hochstätten, von Mißtrauen getrieben, ihm folgen könne.

Das Mahl wurde aufgetragen; wie hungrig Wilfried aber auch vorher gewesen war, er konnte keinen Bissen herunterbringen, der plötzliche Schrecken hatte ihn in einen fieberhaften Zustand versetzt. Würde der Herr von Hochstätten, nach Flandern zurückgekehrt, nicht verrathen, daß er ihm hier begegnet sei? Und hatte Nyctos, der Zauberei nicht gesagt, daß der Fluch sich erfüllen müsse, wenn seine Eltern etwas von ihm erführen?

Wiewohl er sich unfähig fühlte, einen Entschluß zu fassen, sagte Wilfried laut, daß er ein wenig unpässlich sei und das Bedürfnis; empfinde, in frischer Luft sich zu erholen.

Damit verließ er das Speisezimmer und schritt eine Weile scheinbar gleichgültig im Hofe hin und her, sich allmählich dem offenstehenden Thore nähernd. Im Umsehen befand er sich dann jenseits der Brücke und in Freiheit, denn nur wenig Schritte entfernt, lag der Saum eines Thiergartens mit hohen Bäumen und schattigem Gebüsch.

Dahin lenkte er eilig seine Schritte und war bald unter dem dichten Laubdache verschwunden. Ohne Zweifel würde man ihn verfolgen, so bald man seine Flucht entdeckte, denn der Herr von Hochstätten würde dann gewiss Allen seinen Namen kund machen; und ergriff man ihn, brachte man ihn gewaltsam nach Flandern, dann, o Grausen, dann mußte er zum Mörder werden an den eignen Eltern!

Von dieser entsetzlichen Vorstellung getrieben, floh Wilfried in blinder Hast Vorwärts, keuchend und mit Schweiß bedeckt durch Dickicht und Gestrüpp, bis er endlich gegen Abend eine Höhle erreichte, in die er Einkehr nahm und wo er erschöpft zusammenbrach.

Als er, nach ein paar Stunden Ruhe, wieder heraustrat, sah er, daß der Vollmond Wald und Feld mit hellem Lichte übergoß. Er begann nun seine wilde Flucht auf’s Neue, ohne zu wissen wo er war und wohin sein Lauf ihn führen würde, ihm genügte die Hoffnung, daß er sich immer weiter von dem verhängnisvollen Schlosse entfernte und daß man seine Spur nicht entdecken würde; war er doch nie einem gebahnten Wege gefolgt und weder einer Burg noch Hütte ansichtig geworden.

Er befand sich nun in einer unfruchtbaren Ebene, welche aber von verschiedenen Bächen durchschnitten, aber gänzlich unbebaut und für den Aufenthalt von Menschen ungeeignet war.

Auf seinem nächtlichen Gange im hellen Mondenschein bemerkte er wiederholt, daß die glühenden Augen eines Wolfes ihm im einiger Entfernung folgten, doch kümmerte ihn das wenig, denn er wußte, daß vereinzelte Wölfe, besonders zur Sommerzeit, furchtsam und feige sind und und durch jedes fremdartige Geräusch leicht vertreiben lassen.

Er hätte den Saiten seiner Leier nur ein paar Töne zu entlocken brauchen, um den raubgierigen Reisegefährten in die Flucht zu treiben.

Als es Morgen war, stieß er auf einige Falkenjäger, denen er ein Lied sang, wofür er Brod und die Hälfte einer gebratenen Holztaube erhielt. Er schlief noch einige Stunden in der warmen Sonne und setzte dann seinen Weg durch die öde Landschaft fort.

Gegen Abend gewahrte er, an einem über Felsblocke dahinströmenden Bach, eine kleine Hütte, deren rauchender Schornstein die Anwesenheit von Menschen verrieth.

Mit Anstrengung seiner letzten Kräfte suchte er sie zu erreichen und sah vor der Hütte einen alten Mann und eine alte Frau, die beschäftigt waren, einen kleinen Gemüsegarten zu bearbeiten, den sie mühsam dem felsigen Boden abgerungen hatten.

»Gott zum Gruß,« redete er sie an, »ich bin ein unglücklicher Wanderer, ein armer Minnesänger, der sich in der Wildniß verirrt hat. Habt Erbarmen mit mir, ich sterbe sonst vor Ermattung und Hunger, ach laßt mich bei Euch ausruhen und gebt mir Nahrung; den einzigen Gegenstand von Werth, den ich besitze, lasse ich aus Dankbarkeit Euch zurück.

Bei diesen Worten holte er aus seiner Tasche ein Messer mit silberbeschlagenem, schön geschnitzten Heft hervor und reichte es dem Manne, der es, samt seiner Frau, verwundert und voll Neugierde betrachtete; das daran angebrachte Wappen schien ganz besonderes seine Aufmerksamkeit zu erregen.

Drei goldene Falken im blauen Felde,« murmelte er, »Ihr seid wohl ein edler Ritter, Herr?«

Diese Frage machte Wilfried zittern, gewaltsam seine Aufregung verbergend, erwiderte er:

»Nein», aber ein Ritter hat mir das Messer geschenkt und nun gebe ich es Euch, für etwas Brod.«

Dies Wappen muß ich schon früher gesehn haben,« sagte der Mann, sich die Stirn reibend, während Wilfried, bleich vor Schrecken, ihm lauschte, »ja nun weiß ich ganz genau, es war vor etwa dreißig Jahren zu Nystel in Flandern; ein Ritter, der drei goldene Falten im Schilde führte, gewann den Preis im Turnier. Ich war damals Diener und Waffenknecht des edlen Grafen Chiny . . . Wartet einmal, wie nannte doch mein Herr den gefeierten Sieger? Halt, da fällt mirs ein, er hieß Folkard von Iserstein; kennt Ihr ihn?«

Wilfried murmelte eine unverständliche Antwort.

»Ihr werdet ja ganz blaß, junger Herr,« rief der Mann, »warum betrüben Euch meine Worte?«

»Ach, es ist Trauer und Schmerz,« stammelte der Jüngling, »Graf Folkard von Iserstein war mir ein milder Schützer . . . er verunglückte auf der Jagd, und starb vor meinen Augen.«

»Was wollt Ihr Euch betrüben? Müssen wir mit der Zeit nicht Alle den letzten Zoll bezahlen? Hier, nehmt Euer Messer zurück; dass Wenige, was ich besitze, will ich ohne Lohn mit Euch theilen. Tretet unter mein Dach und nehmt vorlieb mit meiner armen Gastlichkeit.«

Gleich darauf setzte man ihm Brod vor und einen Brei von Grüne, auch ein Stück Käse, denn die alten Leute hielten eine Ziege. Er aß mit großem Appetit, seine Augen glänzten, die köstlichsten Mahlzeiten hatten ihm vormals nicht besser gemundet und er bezeugte seinen gütigen Wirthen den innigsten Dank. Dann aber machte sich die Ermüdung geltend, gegen die er vergebens ankämpfte.

Die guten Leute führten ihn in das anstoßende Kämmerchen und wiesen ihm ihr eigenes Bett als Ruhestätte an. Wilfried streckte sich halb angekleidet darauf nieder und versank in einen tiefen Schlaf, aus dem er erst erwachte, als die Sonne schon hoch am Himmel stand.

Wie glücklich würde er sich geschätzt haben, lange in dieser verborgenen Hütte bleiben zu dürfen, doch der Name seines Vaters war darin genannt worden; der Mann konnte Verdacht schöpfen, ihn mit Fragen bestürmen und das Geheimniß so gefährdet werden. Das unerbittliche Schicksal trieb den Jüngling weiter und wie sehr ihn auch die alten Leute baten, doch wenigstens bis morgen in der Hütte zu weilen, er mußte fort.

Aus seine Frage, nach der Richtung welche er einzuschlagen hätte, um die einsamsten abgelegensten Landstriche zu durchziehen, wies man ihn nordwärts.

So drückte er denn den guten Leuten nochmals die Hand und wiederholte seinen Dank, warf dann den Riemen der Leier über die Schulter und erstieg die felsige Bergwand jenseits des Baches, um die Fläche zu erreichen.

Sobald er allein war, bearbeitete er vermittelst eines Steines lange das Wappen an seinem Messer, bis es gänzlich verschwand, und mit ihm das letzte Zeichen seiner edlen Herkunft.

Im Gehen dachte er über die Erlebnisse der beiden letzten Tage nach und glaubte mit Schrecken zu bemerken, daß eine geheime Macht ihn begleite und ihn Orten entgegenführe, wo sein Geheimniß verathen werden konnte. Mit einem dankenden Blick zum Himmel erkannte er aber gleichzeitig, daß eine andere Macht ihn bisher beschirmt und den Einfluss der Beschwörung vereitelt hatte.

Dadurch einigermaßen ermuthigt setzte er seine trübselige Reise bis gegen Abend fort, wo er Aufnahme in der Hütte eines armen Köhlers fand.

Am Ende des zweiten Tages war er wiederum sehr müde und fühlte ein dringendes Verlangen nach besserer Nahrung als die Hüttenbewohner ihm zu geben vermochten.

Da erblickte er plötzlich, auf dem Gipfel eines steilen Felsens, die Thürme und Wälle einer stattlichen Burg, welche die Bergkette bisher seinen Augen entzogen hatte.

Ihren Fuß umströmte ein breites Wasser, an dessen Ufer sich die niedrigen Strohdächer und baufälligen Mauern einiger Bauernwohnungen zeigten.

Alsbald regte sich in Wilfried die Lust, hier noch einmal den sein Glück als Minnesänger zu versuchen; drohte ihm doch in diesem, wie ein Adlernest auf dem Felsen in einer verlassenen Gegend gebauten Schlosse wohl nicht leicht Gefahr, einem Menschen zu begegnen, der ihn kannte.

 

Vielleicht waren der Schloßherr und seine Gemahlin dem Sänger nicht abhold und gewährten ihm nicht allein stärkende Nahrung, sondern mehrtägige gastliche Aufnahme . . . Doch wenn wieder einmal barsche Zurückweisung, neue Demüthigung seiner wartete? Der Versuch mußte auf alle Fälle gewagt werden, denn länger war dass elende Leben kaum noch zu ertragen.

Mit diesem Gedanken schlug er den breiten Fahrweg ein, der in die Felsen gehauen war und in scharfen Windungen bis zu dem Burgthor emporstieg.

Während er noch überlegte, ob es gerathen sei, die Höhe zu ersteigen, kam ein Mann in grüner Kleidung den Hügel herab, und diesen fragte er, wie dass Schloß hieße und wer es bewohne.

»Dies ist Felsenburg, das Schloß des Grafen Günther von Felsenburg, und ich bin sein Jägermeister,« war die Antwort.

»Ist er zu Haus?«

»Gewiß, er sitzt eben beim Mahle mit froher Gesellschaft.«

»Dürfte ein Minnesänger freundliche Aufnahme bei ihm finden?«

»Ohne allen Zweifel, falls derselbe seine Kunst wirklich versteht; denn Graf Günther ist ein großen Freund von Gesang und Saitenspiel und seine Tochter unsere Herrin Editha, läßt Essen und Trinken stehn für ein schönes Lied oder einen klugen Spruch. Ihr kommt eben zu guter Stunde, Meister; die Gesellschaft oben hat gerade das Mahl beendet und der Pokal macht die Runde, kommt mit mir, ich werde Euch meinem Gebieter melden.«

Wilfried folgte der willkommenen Einladung, er ging mit seinem Begleiter in die Burg und wartete eine Weile in einem Ansprachzimmer bis der Jägermeister meldete, dass der Graf ihm gestatte, seine Gäste durch einige Lieder zu erfreuen.

Der Jüngling trat in den Saal, verbeugte sich tief vor den Anwesenden und harrte eines Befehles des Burgherrn.

Inzwischen musterte er mit einer gewissen ängstlichen Neugierde die Gesellschaft, die nur aus sieben bis acht ältlichen Rittern bestand.

Sie schienen sehr aufgeräumt, und sprachen unter lautem Lachen fleißig dem Weine zu, der ihnen sichtlich das Herz und den Kopf erwärmte. Einer von ihnen schien mehr noch als die Uebrigen angeheitert zu sein, seine rothen Wangen und glänzenden Augen verriethen, daß er kein Verächter eines guten Trunkes war.

Zwei Diener mit großen Krügen standen bereit auf das leiseste Zeichen, die Pokale der Gäste wieder zu füllen.

»Nun, Minnesänger wißt Ihr viel schöne Lieder?« fragte Graf Günther von Felsenburg.«

»Der gnädige Burgherr und seine edlen Gäste mögen selbst urtheilen, ob meine bescheidene Kunst ihnen genügt, ich will mein Bestes versuchen,« versetzte Wilfried.

»So beginnt denn, wir hören Euch zu.«

Nachdem er seine Leyer gestimmt hatte, stimmte der Jüngling ein Lied an, dessen langsame schwermüthige Weise anfangs ein mißbilligendes Kopfschütteln bei den Anwesenden hervorrief. Vor Allen war der Ritter mit den glühenden Wangen, der deutlich seine Unzufriedenheit zu erkennen gab. Das war doch kein Gesang, der Frohsinn und Heiterkeit förderte! . . . Nicht lange währte es indessen, da machte die herzergreifende Stimme des Künstlers auf ihn wie auf sämtliche Tischgenossen ihren Einfluß geltend, es lag in den sanften klagenden Tönen ein solcher Zauber, daß Aller Augen an den Lippen des Sängers hingen.

Als er schwieg, blieben die Zuhörer noch eine Weile stumm; fragend sahen sie sich einander an, als suchten sie nach einer Erklärung des seltsamen Eindrucks, den der Gesang auf sie gemacht hatte. Sich selbst vergessend, voll Bewunderung hatten sie gelauscht, ungeachtet des Wiederstrebens, mit dem sie anfangs das keineswegs zur Heiterkeit anregende Lied aufgenommen.

»Meister, Eure Stimme ist prächtig, Ihr seid ein gottbegnadeter Künstler,« sagte endlich Graf Günther, doch wißt ihr nicht auch Etwas vorzutragen, das die Freude weckt.«

»Ja!« rief der Ritter mit den feurigen Wangen, »auch ein Leichengesang, ein Grablied kann wunderschön sein, und doch hat man nicht immer Luft ihm zu lauschen.«

»Nehmt Euch die Worte meines Freundes Adalbert von Mirewald nicht zu sehr zu Herzen,« warf der Schloßherr ein, »er meint es gut mit Euch und will Euch nicht verletzen.«

»Ich bin ein vom Unglück Verfolgter und trage schweren Kummer,« versetzte Wilfried, dennoch will ich versuchen, Euch eine leichtere Weise zu singen.

»Das wird nicht gehn,« scherzte Ritter Adalbert, »und »wißt Ihr weßhalb nicht? Der Sänger hat Durst! Man schenke ihm Wein ein, einen guten Zug, und ich bin überzeugt, er findet den Ton der Freude.«

Die Diener boten dem Sänger einen großen Pokal, den er mit innigem Behagen leerte, ihm war, als fühle er den köstlichen Trank stärkend und belebend durch seine Adern fließen.Er wollte den Pokal zurückgeben, Ritter Adalbert aber rief den Dienern »mehr, mehr!« bis Wilfried den Becher dreimal ausgetrunken hatte und seine Augen von neuem Leben glänzten.

»Was wünschen die edlen Herren denn nun zu hören?« fragte er dann, indem er die Saiten seiner Harfe sanft erklingen ließ, ein Minnelied oder ein Wanderlied . . . «

»Ein Minnelied,« antwortete der Schloßherr.

»Nein, nein, ein Trinklied!« rief Ritter Adalbert, »das Lob des edlen Weines!«

»Ja, das Lob des edlen Weines!« stimmten die übrigen Gäste zu.

»Wohlan denn, ich vollziehe Euren Wunsch,« sagte Wilfried und mit stets sich steigernder Kraft, und endlich mit hinreißender Begeisterung sang er das nachfolgende Lied:

Lob des Weines
 
Der Ritter von Bergen verlor all sein Gut,
Sein Land, seine Schätze sind hin;
Nun nagt er viel Tage in trübem Muth,
Dann ändert er plötzlich den Sinn,
Und ergreifet und füllt den hohen Pokal
Mit dein ältesten, feurigsten Wein
Und Kummer und Zagen entfliehen zumal
Als- in’s Herz ihm die Glut dringt hinein.
Da hebt er den Becher in jauchzender Lust,
Da fühlt er sich wiederum reich,
Und zum Lobe des Weines aus voller Brust
Durch das Thal klang sein Lied allsogleich:
 
 
»Edle Frucht der Rebenranke,
Treu gehegt vom Sonnenstrahle.
Und gereift zum Himmelstranke
Perlend, schäumend in der Schale,
Bei fröhlichem Sang
Und Becherklang!
O Trank, Zur Freude im Leben
Den Menschen gegeben,
Du scheuchst die Sorgen fern,
Wohlthat vom Herrn!.«
 
 
Und dreimal hat er den Becher gefüllt,
Von Glück ist das Herz ihm voll,
Aus dem Auge die Freudenträne quillt,
Und aufs Neue sein Lied erscholl:
Schenkt ein, daß der Nektar in Strömen fließe,
Begeisterung sich in mein Herz ergieße,
Wein, edler Wein
Heilung Du allein
Für alle Seelenpein.
Sucht Ihr das Glück im Reichthum, Ihr Blinden,
Nur im Pokale ist es zu finden!
Mir glüht die Brust
In seliger Lust.
Wie hebt es den Muth,
Wie schmeckt es so gut, Das blinkende schäumende Traubenblut!«
 

Das mit hinreißender Begeisterung gesungene Lied übte aus die Ritter eine so mächtige Wirkung aus, daß sie, die Pokale in der Hand, jubelnd den Endreim wiederholten:

 
»Wie hebt es den Muth,
Wie schmeckt es so gut,
Das blinkende schäumende Traubenblut.«
 

Ritter Adalbert näherte sieh dem Sänger, drückte ihm die Hand und sagte, daß er ihn in seiner Burg Mirewald freudig ausnehmen und reichlich belohnen wollte, falls er ihn dort besuche.

Alle spendeten dem Jüngling Bewunderung und Lob; zum Dank für seinen Gesang bot man ihm noch köstlicheren Wein, doch er gab zu verstehn, daß er lieber einige Nahrung zu sich nehmen möchte, da er den ganzen Tag noch nichts genossen habe.

»Warum sagtet Ihr das nicht eher, mein schöner Sänger?« rief Graf Günther, »jetzt werdet Ihr leider noch etwas warten und Euer Mahl durch noch ein Lied verdienen müssen. Meine Tochter Editha schätzt nichts höher als Seitenspiel und Gesang, sie muß Euch hören. Stimmt Eure Leyer, ich gehe sie zu holen und werde zugleich in der Küche befehlen, dass man Euch in aller Eile ein gutes Mahl bereite.«