Der Weg nach Afrika - Teil4

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Dr. Ferdinand setzte sich gegen elf ins Auto und fuhr zur katholischen Missionsstation nach Okatana. An der Sperrschranke des zweiten Dorfausgangs mit der MG-Doppelstellung auf dem Wasserturm, der vor einem Jahr einen Granatenschlag abbekommen hatte, dass er schief stand, und wieder ins Lot gesetzt wurde, zeigte er sein 'Permit'-Papier vor, liess das Auto mit Verschieben der Vordersitze von innen inspizieren, und setzte die Fahrt fort. Er bog nach etwa einem Kilometer von der geteerten, strategischen Ost-West-Strasse nach rechts ab, passierte die vorwiegend von angolanischen Flüchtlingen bewohnte Blechhüttensiedlung mit den hängenden Tüchern vor den Eingängen und den gaffenden, schäbig gekleideten oder nackten Kindern, die am Strassenrand standen und grosse Augen machten. Da liefen die ständig knabbernden Ziegen zwischen den tuchverhängten Blechgestellen hin und her, gefolgt von abgemagerten Hunden. Dort lag die bunte Wäsche zum Trocknen auf den Dächern, wo daneben wenige, dürre Rinder in enger Umzäunung standen und auf ihren Schlachttag warteten. Vor ihm liess er zwei Schweine die Strasse in Richtung angolanische Siedlung überqueren, bevor sich die Räder durch den lockeren Sand mit den tief eingefahrenen 'Casspir'-Spuren wühlten. Er kam am Wasserturm vorbei, der etwa hundert Meter links von der Sandstrasse stand, von dessen Dach ihm das MG fast eine von rechts verplättet hätte, als er eines Nachts auf dem Rückweg von Okatana nach Oshakati war und nicht angehalten hatte, als ihm die Leuchtraketen in den Farben blau, gelb, rot das sofortige Anhalten signalisierten, was er damals nicht lesen konnte und die Farbenfreude der Raketen für einen freundlichen Nachtgruss hielt.

So schlingerte er die langen fünf Kilometer bis zur Mission, wo ihn die Patres freundlich begrüssten. Sie standen unter dem grossen Baum vor dem Eingang zum Haus der Patres. "Das ist ja schlimm, was da passierte", sagte der eine Pater, der sonst immer sagte, dass es schön sei, den Doktor mal wieder zu sehen, der solange nicht mehr da war. Sie gingen ins Haus und setzten sich ins Wohnzimmer mit den langen Wandregalen, die mit theologischen Büchern, Biographien und zusammengefassten Traktaten einiger Päpste und anderer frommer Männer gefüllt waren, und dem grossen Eisschrank, aus dem der andere Pater ein kaltes Bier herausholte, es in ein Glas einschenkte und Dr. Ferdinand vorsetzte. Auf dem Tisch lagen der 'Osservatore', das offizielle Wochenblatt des Vatikans und die 'Allgemeine Zeitung' für die Deutschsprachigen in Südwest. "Es war ein schwarzer Feitag, der viele unschuldige Menschen in den Tod gerissen hat, andere, die es überlebten, durch die Verbrennungen und andere Verletzungen ein Leben überliess, an dem sie sich nicht mehr erfreuen könnten, der Kinder zu Waisen machte und die Menschen noch mehr verunsicherte, als sie es schon waren", kam er auf die Begrüssungsworte des Paters zurück, der das Wort "schlimm" gebrauchte. Sie sagten, dass es auch Familien in ihrer Gemeinde getroffen habe, wo den Kindern nun die Mütter fehlten. In einigen Familien hätte das Schicksal noch schwerer zugeschlagen, weil da beide Eltern fehlten, weil es den Vater seit langem nicht mehr gab, der entweder im Gefängnis sässe, oder mit der Swapo ins Exil gegangen war, oder erschossen oder von einer Mine zerrissen wurde. "Da kann man nur hoffen, dass das bald zu Ende geht, sonst haben wir nur noch Waisenkinder", sagte der andere Pater. Dr. Ferdinand erzählte von den Verletzten, von Sarah mit den schweren Verbrennungen, die er auf dem Op-Tisch nicht wiedererkannte, weil ihr Gesicht zugeschwollen war, die vor dem Gang zur Bank eine hübsche, junge Frau gewesen war, der er nachher, weil sie die Explosion überlebte, das rechte Bein abschneiden musste. Da sagten beide Patres aus einem Munde: "das ist ja furchtbar.” Er sprach von den vielen Operationen, als sich keiner schonte, weil die Not der Meister war, die weder ein Nörgeln noch ein Zaudern erlaubte, die Ärzte und Schwestern zu einem Team zusammenschweisste.

Als er dann vom Stromausfall sprach, nachdem der letzte Verletzte aus dem 'theatre' gefahren wurde, weil das Hauptkabel beschädigt war, da fiel es den Patres schwer, ein Wort zu sagen, weil sie an ein Wunder da nicht glauben wollten. Das Mittagsglöckchen läutete zum Essen, und die Patres luden Dr. Ferdinand zum Mittagessen ein. Ein Pater sprach das Gebet vor dem Essen, in dem er der Toten und Verletzten, ihrer Familien und der Waisenkinder gedachte und den lieben Gott mit ganz einfachen Worten um seine verspätete Barmherzigkeit bat. Zu lang wollte er sein Gebet nicht machen, und so blieben die Obdachlosen und Hungernden diesmal unerwähnt. Nach dem "Amen" schlug jeder der Patres sein Kreuz auf die Brust. Im Einnehmen der Stühle wünschten sie einander und Dr. Ferdinand einen guten Appetit. Mit dem schärferen Messer war das zarte Schweinekotelett mühelos zu schneiden. Die gedämpften Kartoffeln hatten ihre Form behalten, sie waren weder wässrig noch versalzen. Der Salat war köstlich zubereitet, und der Zitronensaft war hausgemacht. Da liess sich gut essen unter dem verglasten Foto der freundlich auf den Tisch blickenden Muttergottes an der Wand, und Dr. Ferdinand genoss das Essen, das sich von der Hospitalkost so sehr unterschied. Die Patres wussten es offenbar besser, als sie sagten, dass das Ende des Apartheidregimes greifbar nahe sei, und die Menschen voll hinter der Swapo ständen. Dr. Ferdinand wollte es gerne glauben, doch nannte er den schwarzen Freitag einen barbarischen Schlag gegen die Menschen, der einen tiefen Krater auf dem letzten Wegstück gerissen hatte.

"Wer konnte dahinter stecken?", fragte er über den Tisch. Die Antwort kam spontan: "die Swapo tut so etwas nicht." Auch die Patres hatten es erfahren, dass da wenige Minuten vor der Explosion schwarze Männer eine Kiste in der Bank abgestellt hätten, was im Gedränge der Menschen unbeachtet blieb. Sie sagten, dass es schwarze Männer nicht nur bei der Swapo, sondern auch bei der Koevoet (Brecheisen) gäbe, die weiterhin ihre nächtlichen Patrouillen mit den 'Casspirs' fuhren und hin und wieder Männer aus den Dörfern mitnähmen. Sie fügten hinzu, dass es schwer sein würde, die Schuldigen ausfindig zu machen. Nach dem kurzen Dankgebet zeigten die Patres das vergrösserte, neu ausbetonierte und blau gestrichene Schwimmbecken, das neben dem Patreshaus hinter hohen Mauern geschützt lag, zu dem sie durch eine schmale Aussentür gingen, die zu verschliessen war. Hinter der hohen Grenzmauer hatte sich das breite, gebogene Flussbett des Cuvelai zu einem See gestaut, über dem das grelle Sonnenlicht gleisste. Sie zeigten den Garten, in dem das Gemüse stand mit den grossen Salat- und Kohlköpfen, die Stangenbohnen, die die Zweimeterhöhengrenze überstiegen, wo der Boden dunkelerdig war und täglich aus den verlegten Leitungsrohren bewässert wurde. Die Gänse, bei denen es Junge gab, stolzierten durch ihren kleinen Garten an zwei Schildkröten vorbei. Sie hatten ihren kleinen Teich für sich, in den sie die Köpfe tauchten und nach dem Auftauchen mit den Schwingen hin und herschlugen. Daneben stand das grosse Vogelhaus mit den afrikanisch bunten Vögeln, die da munter dazwischenzwitscherten. Dann kam der Hühnerstall mit den Eiergelegen und den Durchgängen zu den zwei grossen, hoch eingezäunten Aussengehegen, getrennt nach jung und alt, wo einigen Hähnen der Kamm schwoll, wenn es die Hennen nicht wollten, oder das Jungvolk ihnen lästig wurde. Schliesslich machten sie den zwei Schweineställen die Aufwartung, von denen der eine durch halbhohe Trennmauern in Abteilungen für die Säue, die tragend waren und jene, die geworfen hatten, unterteilt waren, wo die Frischlinge mit der rosanen Haut vor den Zitzen der vollen Milchleisten lagen und an ihnen sogen, dabei mit den Vorderpfötchen gegen das Gesäuge der Mutter traten, um da noch mehr herauszusaugen. In den beiden letzten Abteilungen waren die Eber, erst der jüngere, der erregt grunzend und unruhig mit den Füssen in seiner Stallung auf der Stelle trat, weil er es kürzlich zum Vater brachte, und schliesslich der Stammeber, ein Riesenkerl, der da ausgestreckt lag, weil er das Ruhealter erreicht und als Vater genug Gutes geleistet hat. Er hatte ausgedient. Die Patres sprachen ihm weitere Vaterschaften ab und den nächsten Schlachttermin zu, weil es der Sohn beim Besteigen der Säue nicht weniger leidenschaftlich als der Vater machte und dabei gute Resultate erzielte. Im anderen, dem Kommunenstall, wurden die Ein- bis Vierjährigen gehalten, die durch grössere Durchgänge zum Schweinehof ausliefen und für den regelmässigen Fleischvorrat sorgten. Für den Schlachttermin hielten die Patres einen Revolver bereit, den sie, wenn es soweit war, eigenhändig dem Schwein ins Genick drückten und ihm den Gnadenschuss von hinten gaben. Sie sprachen aus Erfahrung, dass bei diesem Schuss, bei dem alles sehr schnell ginge, das Schwein erst gar nicht zu leiden hätte. Die Ställe waren von hervorragender Sauberkeit, dass man eigentlich nicht von einem Schweinestall sprechen sollte. Die Schweine der Kommune wurden täglich abgespritzt, wie ihre Stallung auch. Die Schweine bekamen eine hochwertiges, vitaminreiches Futter, wozu gestampfte Blätter vom Feigenkaktus aus dem davorliegenden Kaktusgarten als Zwischenspeise kamen, was ihnen dem wohligen Grunzen nach zu schmecken schien.

Hier war das Biotop in Ordnung, ein Mikrokosmos war auf der Mission im unheilvollen Makrokosmos heil versteckt. Es war die Leistung der Patres und der fleissigen Nonnen, die kein Aufheben davon machten, was aber anzuerkennen war. Ein Stück Frieden lag in dieser Mission eingezäunt im Durcheinander des Krieges. Dr. Ferdinand verabschiedete sich, und die Patres begleiteten ihn zum Auto. Sie gaben ihm die Worte mit: "Gott wird es schon recht machen", und "kommen Sie bald wieder!"

Beim Wegfahren waren einige ältere Schwestern, denen das Pensionsalter anzusehen war, auf dem Wege zur kleinen Kapelle gegenüber dem Patreshaus, um ihr Gebet zu verrichten. Ihre leicht nach vorn gebeugten Rücken konnte Dr. Ferdinand im Rückspiegel sehen, bevor er die Mission hinter dem offenen Tor verliess und in die erste Rechtskurve vor dem kleinen Hospital fuhr, um nach dreissig Metern die Linkskurve vor der kleinen Missionsschule zu nehmen. Die Räder des Frontantriebs wühlten sich in den aufgeworfenen Sand neben den eingefahrenen, breiten 'Casspir'-Spuren. Er fühlte sich nach den Stunden seines Dortseins erleichtert und erholt. Er sah, wie alte Männer mit kurzen Stöcken in der Hand mal auf der linken, mal auf der rechten Strassenseite einige magere Rinder vor sich hertrieben, alte Frauen schmale Äste von toten Bäumen brachen, das Holz zusammenlasen, mit jungen Palmblättern zusammenbanden, die Bündel auf den Kopf luden und sie davontrugen. Andere Frauen, einige mit kleinen Kindern auf ihre Rücken gebunden, und Mädchen trugen Eimer mit Wasser und Schüsseln mit Maiskolben und andern Feldfrüchten auf den Köpfen, ohne dass sie beim Gehen verrutschten. Das Auto schlingerte über die Fahrspuren nach beiden Seiten durch den lockeren Sand, und die Räder schlugen einige Male in die ausgefahrenen Schlaglöcher. Den Wasserturm mit der aufgesetzten MG-Stellung liess er nun rechts vom Wege liegen und dankte dem Schutzengel von damals, dass er ihn in eine dichte Sandwolke gesteckt und so vor dem Erschiessen gerettet hatte. Nach der langen Rechtskurve fuhr er an der Strassensiedlung angolanischer Flüchtlinge mit den erbärmlichen, zusammengestückten Hütten aus verdelltem Blech, verwittertem Sperrholz und verbogenen Pappen mit den herabhängenden bunten Tuchfetzen vor den Eingängen, was 'Angola' genannt wurde, vorbei, wo Schweine des mageren Formats die Strasse nach beiden Seiten überquerten, und Kinder mit dünnen Armen und Beinen in armseliger Bekleidung, die ganz kleinen nackt, am Strassenrand standen und weiter grosse Augen machten, als wären es dieselben, an denen er auf seiner Hinfahrt zur Mission vorbeigefahren war. Auf der geteerten Strasse bog er links ein und nach zwei Kilometern nach rechts. Da verliess er die Teerstrasse, und die Räder schlugen einige Male in tiefe Schlaglöcher, weil sie einfach nicht zu umfahren waren. An der Sperrschranke neben dem instandgesetzten Wasserturm mit der MG-Doppelstellung auf dem Dach wies er sich mit dem zerknitterten 'Permit'-Papier aus, während die Wachhabenden von den Seiten und von unten den Wagen unter die Lupe nahmen und dabei den Kofferraum bis zum Ersatzrad durchsuchten. Die Sonne senkte sich dem Horizont zu, als er die Wohnstelle erreichte. Er öffnete das Tor, fuhr das Auto auf seinen Platz, schob das Tor wieder zu und drückte den Riegel ins Schloss zurück.

 

Aus: Tote ohne Begräbnis – (Sartre: ‘Morts sans sépulture’)

Dr. Ferdinand hatte den üppigen Gemüsegarten, den Auslauf für die Gänse mit dem kleinen Teich, den beiden Schildkröten im Sand, den vollen Hühnergehegen mit den wenigen Hähnen, denen der Kamm schwoll, wenn es die Hennen nicht wollten, und die sauberen Ställe mit den gut genährten Schweinen und den tretenden Frischlingen gegen das Gesäuge der Sau im Auge, hatte das muntere Gezwitscher aus dem grossen Vogelhaus im Ohr und dachte über das Wunder des heilen Biotops auf der Mission nach mit dem eingezäunten Stück Frieden. Das war für ihn etwas Besonderes, dass es das in den Zeiten des Krieges mit seiner Eskalation gab. Er machte sich eine Tasse Kaffee und las ein Buch dazu. Die deutsche Studentin hatte ihm auf seine Bitte einige rororo-Bände von Sartre geschickt, die er an den Wochenenden, die er zu seinen Lese- und Schreibtagen ausgewählt hatte, lesen wollte. Es war Sartre's Bühnenstück 'Tote ohne Begräbnis' (Morts sans sépulture): Da spricht der Widerstandskämpfer Sorbier zu seinen Freunden, die alle in Handschellen auf dem Dachboden hocken, wo ein Stockwerk tiefer französische Milizionäre des Pétain-Regimes Geständnisse aus ihnen herausfoltern werden, in der ersten Szene des ersten Akts von "Dreihundert, die nicht sterben wollten und für nichts gestorben sind. Sie liegen zwischen den Steinen, und die Sonne schwärzt sie; man kann sie sicher von allen Fenstern aus sehen. Unsertwegen. Unsertwegen gibt es in diesem Dorf nur noch Miliz, Tote und Steine. Es wird hart sein, mit diesen Schreien in den Ohren zu krepieren." Der fünfzehnjährige Franpis hat Angst vor der Folter und geht auf und ab. Er sagt seiner älteren Schwester Lucie: "Ich muss im Kreis herumgehen. Wenn ich stillsitze, fangen meine Gedanken an zu kreisen. Ich will nicht denken." Über Sinn und Unsinn des Lebens, weil sie dem Befehl gehorchten, das Dorf einzunehmen, was ihnen missglückte, und dreihundert Menschen den sinnlosen Tod brachte, sagte Sorbier zu Canoris, dass der Mensch ein Recht habe, seinem Tod einen Sinn zu geben, weil das alles ist, was ihm noch bleibt. Henri sagte: "Wir hatten keine Zeit, sie zu begraben, auch nicht in unseren Herzen. Nein. Ich fehle nirgends, ich hinterlasse keine Leere. Ich bin aus der Welt gerutscht, und sie ist voll geblieben. Wie ein Ei. Man muss annehmen, dass ich nicht unentbehrlich war." Canoris sagt zu dem Dilemma: "Wir sind nicht dazu geschaffen, immer an den Grenzen unserer selbst zu leben." Henri meint: "Mit etwas Glück werde ich mir vielleicht sagen können, dass ich nicht für nichts sterbe." Beim Verhör eine Etage tiefer sagt Pellerin zu Henri, der vor dem Krieg Medizin studierte: "Du bist gebildet, du Schwein; (zu den Milizionären) schlagt zu." Clochet, der andere Verhörer, sagt: "Du wirst schreien, Henri, du wirst schreien. Ich sehe, wie der Schrei deine Kehle anschwellen lässt; er kriecht zu deinen Lippen hoch. Noch eine kleine Anstrengung. Dreht. (Henri schreit.) Ha! Wie du dich schämen musst. Dreht. Lasst nicht nach. (Henri schreit.) Du siehst, nur der erste Schrei kostet einen was. Jetzt wirst du reden, ganz leise, ganz natürlich." Am Schluss des ersten Verhörs (sechste Szene, zweiter Akt) sagt Clochet zu Henri; "Komm, sei nicht so stolz. Du hast geschrien, du hast doch geschrien. Morgen wirst du reden." Nach diesem Verhör sprechen die Verhörer unter sich: Pellerin: "Das Schwein!"; Landrieu: "Das ist eine Scheisse."; Clochet: "Was?"; Landrieu: "Das ist eine Scheisse, wenn einer nicht redet."; Clochet: "Er hat doch geschrien. Er hat geschrien..."; Pellerin: "Bringt das Mädchen!"; Landrieu: "Das Mädchen...Und wenn die nicht redet..."; Pellerin: "Dann..."; Landrieu: "Nichts ...Einer muss doch reden."; Clochet: "Den Blonden muss man runterbringen. Der ist reif."; Landrieu: "Den Blonden?"; Clochet: "Sorbier. Das ist ein Feigling."; Landrieu: "Ein Feigling? Hol ihn!". Beim folgenden Verhör (neunte Szene) Clochet zu Sorbier: "Du bist Jude?": Sorbier (erstaunt): "Ich? Nein."; Clochet: "Ich schwöre dir, dass du Jude bist. (die Milizionäre schlagen auf ihn ein.) Du bist nicht Jude?"; Sorbier: "Doch. Ich bin Jude."; Clochet: "Gut. Also hör zu: zuerst die Fingernägel. Das wird dir Zeit zum Nachdenken geben. Wir haben es nicht eilig, wir haben noch die ganze Nacht! Wirst du reden ? (zu den Milizionären) Nehmt die Zange und fangt an!" Sorbier, der als "Feigling" den Anschein zum Reden gab und vor Schmerzen nicht mehr sitzen konnte, wurde losgebunden. Er ging auf den Tisch der Verhörer zu und verlangte eine Zigarette. Landrieu: "Danach."; Sorbier: "Was wollt ihr wissen ? Wo der Anführer ist ? Ich weiss es. Die anderen wissen es nicht, aber ich weiss es. Ich war sein Vertrauter. Er ist...(zeigt abrupt auf einen Punkt hinter ihnen) ...da!" Die Verhörer und Milizionäre drehen sich um. Sorbier stürzt sich durchs offene Fenster, die Milizionäre können ihn nicht halten. Er springt ins Leere und schreit: "Denkst du! He, ihr da oben! Henri, Canoris, ich habe nicht geredet." Die Verhörer lehnen sich aus dem Fenster. Pellerin: "Das Schwein! Die Memme!" Die Milizionäre werden runtergeschickt, um ihn rauf zu bringen und weiter zu bearbeiten, "bis er uns unter den Händen abkratzt" (Landrieu). Sie kommen zurück: "Krepiert!" Um dem jungen Francois die Folterqualen zu ersparen, unter denen er reden würde, wird er von Henri auf dem Dachboden erdrosselt. Lucie (seine ältere Schwester) sagt da (zweite Szene, dritter Akt): "Du bist tot, und meine Augen sind trocken; verzeih mir. Ich habe keine Tränen mehr, und der Tod ist nicht mehr wichtig. Draussen liegen dreihundert im Gras, und auch ich werde morgen kalt und nackt sein, ohne dass eine Hand mir übers Haar streicht. Es gibt nichts, dem man nachtrauern müsste, weisst du. Auch das Leben ist nicht so wichtig. Adieu, du hast getan, was du konntest. Du hast vorher aufgegeben, weil du einfach noch nicht genug Kraft hattest. Niemand hat das Recht, dich zu verurteilen." Lucie wurden beim Verhör die Fingernägel mit Zangen ausgerissen. Sie wurde ausgepeitscht und vergewaltigt. Sie hatte nicht geredet, doch wurde sie in ihrem Stolz verletzt. Sie schreit es heraus (zweite Szene, vierter Akt): "Ihr habt mich vergewaltigt, und ihr schämt euch. Ich bin reingewaschen. Wo sind eure Zangen? Wo sind eure Peitschen? Heute morgen fleht ihr uns an zu leben. Und wir sagen nein. Nein! Ihr müsst eure Sache zu Ende machen." Pellerin: "Genug! Genug! (zu den Milizionären) Schlagt drauf!" Henri (dritte Szene, als sie sich auf der Verhöretage ohne die Verhörer absprachen): "Ich will dieses Kind nicht dreissig Jahre überleben. Ich will mich nicht jeden Tag fragen müssen, ob ich ihn aus Stolz umgebracht habe. Canoris, das ist so einfach. Wir haben nicht einmal Zeit, den Lauf ihrer Gewehre zu sehen ...(beim Blick aus dem Fenster) Soviel Sonne über so vielen Leichen. Diese Sonne werden wir jeden Tag wiedersehen müssen. Puah!" Lucie zu Canoris und Henri: "Idiot! Reines Herz! Du kannst gut leben, du hast ein ruhiges Gewissen. Sie haben dich ein bisschen herumgestossen, das ist alles. Mich haben sie erniedrigt, jeder Zoll meiner Haut widert mich an. Und du, der du dich aufspielst, weil du ein Kind erwürgt hast, denk mal dran, dass dieses Kind mein Bruder war und dass ich nichts gesagt habe. Ich habe alles Übel auf mich genommen; man kann mich nur noch auslöschen und alles Übel mit mir." Henri: "Es wird von uns nicht mehr verlangt, dass wir Helden sind; wir müssen leben. Gibt es nichts, dem du auf der Erde nachtrauerst ?" (Jean, den sie geliebt hatte, der als Anführer auf freiem Fusse ist). Lucie: "Nichts. Alles ist vergiftet." Henri zu Lucie: "Du wirst ihn wiedersehen, wenn du lebst ...Und die Kinder, die man im Frühling vor dem Sägewerk auf einem Baumstamm sitzen sah. Sie lächelten uns zu, wenn wir vorbeigingen, und es roch nach feuchtem Holz ...Trauerst du ihnen Nach ?" Lucie: " Sie sind geflohen, als die Deutschen kamen. Ich werde sie nicht wiederfinden." Henri: "Es gibt andere Kinder in den Lagern. Selbst über den Lagern ist ein Stück Himmel." Canoris: "Wir tun das Richtige. Man muss leben." Er geht auf einen Milizionär zu: "Sag deinen Vorgesetzten, dass wir reden werden." Landrieu (vierte Szene): "Nun ?" Canoris folgt der Anweisung Jean's, der als Anführer für kurze Zeit unerkannt mit ihnen zusammengesperrt war, die Verhörer auf die Spur in eine Grotte zu lenken, in die Jean einen toten Kameraden gelegt und seine Papiere in die Tasche des Toten gesteckt hatte. So nannte Canoris die Grotte, wo sich der "Anführer" mit den Waffen versteckt hält. Pellerin zu Landrieu (fünfte Szene): "Glaubst du, sie haben die Wahrheit gesagt ?" Landrieu: "Natürlich. Es sind Tiere ...Na? Wir haben sie schliesslich gekriegt. Hast du gesehen, wie sie abgezogen sind ? Sie waren weniger stolz als bei ihrem Einzug." Pellerin zu Landrieu: "Lässt du sie am Leben?" Landrieu: "Oh! Auf jeden Fall, jetzt..." Da kommt die Salve unter den Fenstern. Landrieu: "Was ist...? Clochet, du hast doch nicht etwa..." Clochet (lachend): "Ich war der Meinung, das ist menschlicher." Landrieu: "Schwein!"; Pellerin: "Wie würde man denn vor den Überlebenden dastehen."; Clochet: "In einem Augenblick wird niemand mehr irgend etwas über all das denken. Niemand ausser uns." Dritte Salve. Landrieu sackt zusammen: "Uff!" Clochet geht zum Radio, dreht an den Knöpfen. Musik.

Da stand die 'Uff' -Welt in ihrer hahnebüschenden Sinnlosigkeit diametral der gewachsenen, eingezäunten Sinnhaftigkeit des heilen Biotops auf der Mission gegenüber. Diese Gegensätze waren unvereinbar. Da gab es keinen Zwischenreim, weil das Dach des Verständnisses über dem 'Uff' nicht war, sehr wohl aber über dem Gemüsegarten, dem Gänseauslauf, den Hühnergehegen und Schweineställen. Das Schwein im Biotop der Mission hatte mit dem Schwein Clochet, wie Landrieu ihn nannte, nichts gemeinsam. Das Schwein auf der Mission war sauber, wurde täglich abgespritzt, war nützlich. Das Schwein Clochet war ein Mensch, der im Charakter runtergekommen war. Da war der Mensch dreckig im Gegensatz zum sauberen Schwein. Clochet war skrupellos und erschoss lachend die Opfer nach der bestialischen Folterei und Vergewaltigung der Frau, weil er beim Raddrehen der Geschichte einer späteren Abrechnung keine Chance geben wollte. Er tat es gegen den Befehl seines Vorgesetzten Landrieu, dem er deshalb auch die Erinnerung auslöschte und die dritte Salve verpasste. Alles das machte ein sauberes, natürliches Schwein nicht. Reichte es nicht, dass Menschen das Schweinefleisch essen? Musste das nützliche Schwein nun auch mit seinem Namen für die hemmungslose Gefrässigkeit des Menschen und seinen schmutzigen Charakter herhalten? Dr. Ferdinand fand es verkehrt, dass der Mensch dem Schwein etwas Unanständiges unterstellte, was dem Menschen, nicht aber dem Schwein, gehörte. Nur der Mensch hat keine Würde, der sich respektlos an seinesgleichen und den Tieren vergeht. Das Schwein, der Esel, und wie sie alle heissen, machen das nicht.

 

Der Mensch diskriminiert den Stolz der Tiere, wenn er ihre Namen auf Menschen setzt, denen es an Würde fehlt. Tiere haben ihren Stolz, respektieren sich untereinander. Sie kennen keine Folter und haben mit der Schlechtigkeit des Menschen nichts gemeinsam. Wie sagt doch der Dichter (Eugen Roth): "Seitdem ich die Menschen kenne, liebe ich die Tiere." Sartre spricht von der Folter als dem Kapitalverbrechen gegen die Menschlichkeit, das noch heute auf der ganzen Welt verbreitet ist. Die Gefesselten fragen sich, ob sie unter der Folter schreien oder reden werden. Sie fragen sich nach dem Sinn eines befohlenen Unternehmens, bei dem Hunderte unschuldiger Zivilisten umgekommen sind. Sie fragen sich nach dem Sinn ihres Todes nach dem Fehlschlag des Unternehmens. Sie wissen, dass die Folterqual das Risiko des Redens hat, wenn man bis zum Verräter gefoltert wird. Selbstmord ist da nur wenigen vergönnt. Kollaborateure und Milizionäre wissen um ihre Schändlichkeit, wissen, dass sie Abschaum sind. Da sie auch wissen, dass der Krieg verloren ist, wollen sie an Menschlichkeit nichts zurücklassen. Da kommt die Bestie im Menschen heraus, wenn der Folterer das Opfer bis zum Abschaum verpeitscht, vergewaltigt und zerschlägt. Aus der Verantwortung für seine fürchterlichen Taten kann sich der Mensch dennoch nicht entziehen. Das ist es, wenn es auf den eigenen Tod zugeht, und Sorbier von den dreihundert Toten spricht, die nicht sterben wollten und für nichts gestorben sind. "Es wird hart sein, mit diesen Schreien in den Ohren zu krepieren." Das im Gegensatz zu Landrieu, der der Nachwelt ein "Uff!" hinterlässt.

‘Tote ohne Begräbnis’, ein Mahnmal der Zeit, ein Totenmonument, das nicht weniger hoch vor der angolanischen Grenze stehen könnte. Dr. Ferdinand legte das Buch zur Seite, machte sich einen Kaffee, setzte die Tasse neben sich auf die Stufe vor der Veranda und zündete eine Zigarette an. Die Sonne war hinter dem Horizont abgetaucht, und die Abendsterne flackerten ihr Licht herab. Er schaute auf die Pfoteneindrücke einer Katze und fragte sich, warum die Menschen es nicht schafften, von den Tieren zu lernen, die es doch vormachen, was natürlich, was anständig ist. Es musste etwas mit der Entfremdung zu tun haben, wo sich der Mensch von der Natur und von sich selber entfremdet, wo er sich selbst im Wege steht. Das Gewissen ist verkümmert, das Gefühl verloren, dass um sich noch was andres lebt, das ihn durchs Leben begleitet, ihn leiten möchte. Die verlorene Gemeinschaft ist ein verlorenes Sich selbst. Das Alleinsein trägt das Risiko des Ausgestossenseins in sich, wo es leicht zu Irrwegen kommen kann, die dem sozialen Frieden nicht bekommen. Das hat die Apartheid mit der weissen Hautfarbe zur Genüge gelehrt, die in einem Chaos gelandet war, wo eigentlich keiner mehr richtig weiss, wo vorn und hinten ist, weil im Drunter und Drüber des Vorrechtsdenkens die Orientierung verlorenging, es einen klaren Blick in die Zukunft nicht mehr gibt. Menschen des Abschaums hat es auch hier gegeben, die ihre Opfer hart verpeitschten, die Elektroden ans Genitale setzten und aufklebten, sie je nachdem, ob sie redeten oder nicht, unter steigenden Voltamperes zuasammenzucken liessen. Ja, die Opfer wurden entwürdigt, zu Abschaum verwandelt, ihr Stolz brutal zerschlagen. Da stieg die Wut der Ohnmacht ins Gesicht, da schlug der Ekel der Widerwärtigkeit auf den Magen. Die Menschen wussten mit ihren hohen Blutdrücken nicht mehr wohin. So war das verwüstete Feld vor der angolanischen Grenze, wo Armut und Elend herrschten, auch das Feld für die Toten ohne Begräbnis.

Dr. Ferdinand setzte sich ins Wohnzimmer und las den achten Psalm in der Buber'schen Fassung: "DU, unser Herr, wie herrlich ist dein Name in allem Erdreich! // Du, dessen Hehre der Wettgesang gilt über den Himmel hin, aus der Kinder, der Säuglinge Mund hast du eine Macht gegründet, um deiner Bedränger willen, zu verabschieden Feind und Rachgierigen. // Wenn ich ansehe deinen Himmel, das Werk deiner Finger, Mond und Sterne, die du hast gefestet, was ist das Menschlein, dass du sein gedenkst, der Adamssohn, dass du zuordnest ihm! // Liessest ihm ein Geringes nur mangeln, göttlich zu sein, kröntest ihn mit Ehre und Glanz, hiessest ihn walten der Werke deiner Hände. Alles setztest du ihm zu Füssen, Schafe und Rinder allsamt und auch das Getier des Feldes, den Vogel des Himmels und die Fische des Meers, was die Pfade der Meere durchwandert. // DU, unser Herr, wie herrlich ist dein Name in allem Erdland!" Er las den Psalm dreimal und schrieb seine Version auf ein Blatt Papier:

Herr! Du stehst über den Regierenden der Völker, über den Richtern, die sich mit dem Recht vertun, weil sie dem Besitz mehr zusprechen als den Kindern, die mit Wasserbäuchen dastehn und vergebens hoffen.

Herr! Der Du dem Leben den Tag gibst und wieder nimmst, der Du zusammenbindest, verwebst und auseinanderlöst und das von einer menschlichen Ewigkeit zur andern tust, das ist's, was deinen Namen weit über den Verstand erhöht.

Darum singen Dir Völker die Ehre im Wettgesang zu, der aufstieg wie der Adler mit kraftvollen Schwingen, als Du noch mächtig aus den Mündern der Kinder sprachst, aus der Zartheit der Säuglinge deine Macht grandest, die wilde Bosheit der Menschen in Schranken verklemmst, die Rachsüchtigen und Folterer als Feinde auslöschst.

Ich staune trauernd deiner Grösse unter dem Himmel nach, die auch jetzt unfassbar ist, wo ich dich brauche in meiner Not. Ich möchte dich berühren und kann deine Sterne nicht zählen, ich fühle mich verstampft und bin zu klein vor dir geblieben, als dass du meiner Wenigkeit noch gedenken müsstest, mich in meiner Erbärmlichkeit dem Adamssohn zuzuordnen.

Stimmt es, dass Du den Menschen Dir ähnlich machtest, ihm den Glanz des Lichts und die Krone der Ehre gibst, ihm die Schöpfung deiner Werke zu verwalten anvertraust? Als Du den Menschen in deine Schöpfung setztest, warum hast Du ihm nicht gezeigt, wie und wohin er gehen soll?

Du siehst, dass er weder standfest ist noch richtig gehen kann, dass er die Entscheidung umflieht, das Richtige zu tun, Du siehst, wie er sich in der Taubheit schwertut, dass den Kindern das Wasser in den Bäuchen steht, die da vergebens hoffen.