Buch lesen: «Eine echte königliche Affäre»
Helen Juliet
Eine echte königliche Affäre
Aus dem Englischen von Marcel Weyers
Impressum
© dead soft verlag, Mettingen 2020
© the author
Titel der Originalausgabe: A Right Royal Affair
© 2018 Helen Juliet
Übersetzung: Marcel Weyers
Cover: Irene Repp
http://www.daylinart.webnode.com
Bildrechte: © Andrey Kiselev – stock.adobe.com
2. Auflage
ISBN 978-3-96089-397-4
ISBN 978-3-96089-398-1 (epub)
Inhalt:
Theo Glass glaubt, dass Liebe nur ein Märchen ist. Verleugnet von seiner homophoben Stieffamilie versuchen er und seine Großmutter über die Runden zu kommen, so gut es geht. Doch als die ehrenamtliche Arbeit seiner Großmutter geehrt werden soll, gibt Theo sein letztes Geld dafür her, dass sie auch im Palast erscheinen kann. Bei einer Zeremonie, deren Gastgeber der attraktive Prinz James höchstpersönlich ist.
James ist der 6. in der Thronfolge des Englischen Königshauses und eine Enttäuschung für – jeden. Er fühlt sich nirgends zu Hause, nicht in der Schule, nicht im Rugby Team und schon gar nicht in der Armee. Durch seine königliche Abstammung wird er gezwungen, seine Bisexualität nicht an die Öffentlichkeit dringen zu lassen. Doch als er Theo bei der Ehrungszeremonie kennenlernt, weiß er augenblicklich, dass er ein ernstes Problem hat. Ihre Leben sind einfach zu unterschiedlich und es gibt keine Chance für James ein Coming-out zu haben als erster Prinz des Englischen Königreiches mit einem Mann an seiner Seite. Aber er weiß auch, dass er Theo verlieren wird, wenn er ihm nicht zeigt, wie sehr er ihn liebt. Wird die Liebe dieses Hindernis überwinden können? Oder gibt es das alles doch nur im Märchen?
Für meinen Prinzen, für mein Sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage.
Anmerkung der Autorin
Eine echte königliche Affäre ist ein Buch über eine fiktive britische Königsfamilie. Die verwendeten Schauplätze sind alle real, obwohl ich mir einige gewisse künstlerische Freiheiten genommen habe. Bodiam Castle ist eine echte Burg, aber in Wirklichkeit ist das Innere eine Ruine. Es werden keine Mitglieder der gegenwärtigen Königsfamilie erwähnt.
1
Theo
Theo Glass stand in dem Schlafzimmer, in dem er seit seiner Kindheit wohnte, und wischte nervös auf seinem Handybildschirm herum. Sein Hauptaugenmerk lag auf der Anzeige seines Kontostandes. Es sah nicht gut aus.
Er kaute auf seiner Lippe herum und schaute zu seinem „Kylie Minogue“-Poster. Im Laufe der Jahre war der Großteil seiner Jugenddekoration mit weniger peinlichen Dingen aktualisiert worden. Aber Kylie hatte ihn nie im Stich gelassen. Er brachte es nicht übers Herz, sie abzuhängen.
»Oh Babe«, sagte er leise mit einem Seufzer. »Es wird doch alles gut, oder?«
Es überraschte ihn nicht, dass Kylie nichts sagte. Aber ihre Fabelhaftigkeit munterte ihn trotzdem auf. Er konnte das schaffen. Er musste nur an sich und an seine hartnäckige Entschlossenheit glauben, Gold aus Heu spinnen zu können.
»Theo?«, ertönte die Stimme seiner Oma durch die geschlossene Tür. »Alles in Ordnung?«
Theo warf einen Blick auf die Uhr. Scheiße. »Ich mach mich nur noch schön«, rief er fröhlich zurück, sperrte den Bildschirm seines Handys und steckte es in seine Tasche.
Seine Oma kicherte im Flur. »Das dauert ja eine ganze Weile«, neckte sie.
»Oh, du bist ganz schön frech«, rief Theo liebevoll zurück. Sie wusste, dass er es nur spaßig meinte.
Er nahm sich einige Sekunden Zeit, um in den Spiegel zu schauen und ein paar Strähnen seines blonden Haares zurechtzuzupfen. Heute ging es nicht um ihn, aber es kam nicht jeden Tag vor, dass man einen echten Palast besuchen durfte. Oder einen verdammten Prinzen treffen konnte. Seine Oma würde natürlich diejenige sein, die ihm die Hand schüttelte. Aber Theo war trotzdem aufgeregt, Prinz James in Fleisch und Blut zu sehen. Selbst wenn er die Königsfamilie für irgendwie sinnlos hielt, müsste er blind sein, um nicht anzuerkennen, dass James eine absolute Augenweide war.
Theo strich seinen Anzug glatt und sorgte dafür, dass seine besten Schuhe richtig geschnürt waren. Normalerweise steckten seine Füße in einem Paar Converse, selbst wenn er einen Anzug trug. Aber so sehr er auch bereit war, an einem Samstagabend sein Glück in den Clubs zu versuchen, so sagte ihm doch irgendetwas, dass der Palast nicht viel Spielraum für seine Keine-Turnschuhe-Politik haben würde.
Richtig. Er musste sie beide nur ausführen. Er hatte bereits die Tube-Tickets für den Tag und gerade genug auf seinem Bankkonto, um seine Oma danach zu einem richtigen Mittagessen einladen zu können, solange es nichts Ausgefallenes wäre. Er würde in ein paar Tagen bezahlt werden, sodass er bis dahin durchhalten konnte. Er würde nicht zulassen, dass dieser Tag für seine Oma weniger als absolut unglaublich werden würde, also wollte er ihr keinen Grund geben, sich über etwas Sorgen zu machen.
Allerdings war sie nirgends zu sehen, als er endlich sein Zimmer verließ.
»Oma?«, rief er.
Aber sie war weder in ihrem Zimmer noch im Bad, also trabte er ins Erdgeschoss ihres doppelstöckigen Stadthauses, das sie sich gekauft hatte. Es war auch Theos Zuhause für die meiste Zeit seines Lebens gewesen. Aber er kam nicht umhin, es als Omas und Opas zu betrachten, auch wenn es fast zwanzig Jahre lang nur Theo und seine Oma gewesen waren.
»Oma, wir müssen gehen«, rief er und steckte den Kopf in den Salon. Es war so ordentlich wie immer, mit jedem Deckchen und jeder Porzellanverzierung genau dort, wo es sein sollte.
Theo runzelte die Stirn. Die Fahrt nach London würde laut Theos Reise-App nur vierzig Minuten dauern, aber er wollte nichts dem Zufall überlassen. Von der Queen ausgezeichnet zu werden wie ein Angehöriger des Ordens des Britischen Empires, war eine einmalige Ehre. Er wollte früh da sein, und es sollte alles perfekt ablaufen.
Seine Oma war natürlich im Garten und goss die Azaleen in ihrem fliederfarbenen Kleid, ihren Absatzschuhen und mit ihrem großen, schicken Hut.
»Oma«, rief er verzweifelt, als er nach draußen rannte. »Sei nicht dumm. Du wirst noch ganz dreckig und wir kommen zu spät.«
Sie winkte ab und lächelte. »Du machst dir zu viele Sorgen«, meinte sie mit einem Lachen und rüttelte am Schlauch. »Außerdem sind die armen Dinger ganz ausgetrocknet. Ich gebe ihnen nur ein wenig Wasser, und dann können wir los.«
Theo öffnete seinen Mund, um zu protestieren, aber es hatte keinen Sinn. Oma machte die Dinge auf ihre Weise, wie sie es immer getan hatte. Und, ja, ihre Vergesslichkeit bei so trivialen Dingen wie Zeit und Geld hatte sie mehr als einmal in eine Zwickmühle gebracht. Aber es war ihr großes, gütiges Herz, das ihr eine Ehre wie die eines Mitglieds des Ordens des Britischen Empires eingebracht hatte. Dies war ihr Tag, und wenn es sie glücklich machte, ihre Blumen vor ihrer Abreise zu pflegen, dann würde Theo sich einfach auf die Zunge beißen und versuchen müssen, nicht zu oft auf die Uhr zu schauen. Sie hatte immer andere an erste Stelle gesetzt. Es sollte ihn nicht überraschen, dass es heute nicht anders war. Stattdessen sorgte er dafür, dass alle Fenster geschlossen und verriegelt, die Vorhänge teilweise zugezogen und ein paar Lampen eingeschaltet waren. Die Sommertage waren nun lang, aber er war sich nicht sicher, wann sie zurückkehren würden.
Als er das Haus gesichert hatte, drehte seine Oma glücklicherweise das Wasser ab. »Komm schon, Glamour-Kätzchen«, sagte er. Er trabte auf sie zu und hakte seinen Arm unter ihren, um sie sanft, aber entschlossen durch das Haus zu geleiten und abzuschließen. »Wir haben einen anstrengenden Tag vor uns.«
Sie summte und tätschelte seine Hand. »Das ist eine Menge Stress«, meinte sie. Er bemerkte einen Hauch von Angst in ihrer Stimme. »Bist du dir wirklich sicher, dass sie keinen Fehler gemacht haben?«
Wenn man für eine Ehrung durch die Queen ausgewählt wurde, sagten sie es einem mehrere Monate im Voraus. Theo hatte ein halbes Jahr lang alle Einzelheiten organisiert. Was seine Oma wirklich fragte, war, ob sie es wert war. Typisch. Er lächelte sie zärtlich an und nahm sie auf der Stufe der Eingangstür in den Arm. »Kein Fehler, Oma. Du lässt dir einfach von dem netten Prinzen einen glänzenden Orden geben und sagst dir, wie brillant du bist.«
Sie runzelte die Stirn und blinzelte ihn im Sonnenschein an, als er die Tür abschloss und den Schlüssel einsteckte. »Es ist doch ein Anstecker, oder?«, fragte sie pragmatisch wie immer.
Theo kicherte. »Ja, aber Orden klingt schicker. Aber stell es dir mal vor. Du könntest es dem alten Terry im Rose and Crown Pub verpfänden und ein bisschen Geld verdienen.«
Seine Oma schlug ihn leicht mit ihrer alten Lederhandtasche. Sie hatte darauf bestanden, dass sie keine neue brauchte, obwohl diese fünfzehn Jahre alt und am Henkel ganz kaputt war. Theo war die halbe Nacht wach geblieben, um sie zu polieren. »Du frecher Bengel«, sagte sie. »Du würdest alles für eine Rum-Cola eintauschen, oder?«
Theo zwinkerte. »Ich weiß nicht, was du meinst«, erwiderte er unschuldig.
»Misses Smith!«
Theo und seine Oma drehten sich um und sahen Theos beste Freundin seit ewigen Zeiten, Asali Indra, die die Einfahrt schnaufend und außer Atem hinaufgeeilt kam.
»Sal!«, rief Theo vor Freude und öffnete seine Arme, um sie zu umarmen. Sie hatten sich am ersten Tag der Oberstufe kennengelernt und waren seitdem trotz nahezu fehlender Gemeinsamkeiten wie ein Herz und eine Seele.
Sal atmete ein paarmal tief ein und tätschelte Theos Brust mit einem hellrosa Umschlag in der Hand. »Ich dachte, ich hätte dich verpasst«, sagte sie und schob sich ihre Brille auf die Nase, während ihre Arme wieder in ihrem Hidschab verschwanden. Theo war beeindruckt, dass sie sich überhaupt daran erinnerte, welcher Wochentag es war. Sie lernte ständig, Tag und Nacht, um ihre Tierarzt-Qualifikation zu erlangen.
»Wir sind gerade auf dem Weg zur Tube«, sagte Theo betont. Sie hatten anderthalb Stunden Zeit, um zum Palast zu kommen, aber trotzdem.
Sal nickte und drückte die Karte in Theos Hände. »Ich will euch nicht aufhalten. Ich wollte Ihnen nur noch einmal gratulieren, Misses Smith, und Ihnen das hier geben. Ich muss sowieso noch für Mama einkaufen. Immer wenn ich von der Uni zurückkomme, hat sie Angst, dass sie nicht genug Zeit hat, um mich wieder zu mästen.«
Alle lachten.
Theo war froh, dass sie sich nicht aus den Augen verloren hatten, als Sal an die Universität gegangen war. Er wünschte sich trotzdem, er hätte auch gehen können, aber so viel Geld war undenkbar. Außerdem war er vollkommen glücklich damit, für seine Oma in ihrer Wohltätigkeitsorganisation zu arbeiten und LGBT-Jugendlichen in Resozialisierungszentren wieder auf die Beine zu helfen. Obwohl arbeiten ein angemessenes Gehalt implizierte.
»Ich bringe das nur schnell rein«, sagte er, hielt den Umschlag hoch und fischte seine Schlüssel heraus. Er wollte ihn nicht den ganzen Weg nach London mitnehmen, wenn er nicht in Omas Handtasche passte.
Sal blinzelte und rang mit den Händen. »Äh, vielleicht könnten Sie zuerst einen Blick in die Karte werfen. Mama hat eine Nachricht für Sie geschrieben, Misses Smith.« Sie hob ihre Augenbrauen und ging rückwärts den Gartenweg entlang. »Wir sehen uns später, ja?«
Theo runzelte die Stirn, als sie winkte und davoneilte. Sie wusste, dass Oma ohne ihre Brille, die zweifellos irgendwo am Boden ihrer Handtasche lag, nichts lesen konnte. Sie hatten keine Zeit, sie zu suchen. Aber vielleicht konnte Theo ihr die Nachricht laut vorlesen, bevor sie die Karte hineinbrachten.
Sal hatte den Umschlag nicht zugeklebt, also öffnete er ihn leicht und schaute hinein. Die Karte war voller Nachrichten, zweifellos von mehreren Nachbarn. Aber was Theos Aufmerksamkeit erregte, waren die dreißig Pfund in Zehn-Pfund-Noten, die darin steckten. Er blinzelte schnell die Tränen zurück, weil er nicht wollte, dass seine Oma ihn so sah. Freche Kuh. Sal wusste, dass er niemals Geld von ihr annehmen würde, aber, verdammt, jetzt bedeutete es, dass er Oma zu einem richtigen Festessen einladen konnte und sich keine Sorgen machen brauchte. »Ich liebe dich, Baby«, murmelte er, bevor er seine Oma anlächelte. »Die Hälfte des verdammten Becontree-Anwesens hat dir geschrieben«, sagte er lachend und winkte mit der Karte. »Wie wäre es, wenn wir sie später bei einer Tasse Tee lesen?«
»Oh, das klingt wunderbar, mein Lieber«, sagte sie. »Obwohl wir uns jetzt besser beeilen sollten, nicht wahr? Ich will nicht zu spät kommen.«
Theo erwähnte nichts von dem Gießen der Azaleen und kicherte stattdessen. »Da hast du recht, Glamour-Kätzchen«, sagte er.
Er vergeudete keine Zeit damit, die Tür aufzuschließen und die Karte auf den Tisch zu werfen, wo sie normalerweise ihre Schlüssel und ihre Post hinlegten. Er nahm das höchst willkommene Geld und steckte es in seine Tasche.
Er hielt seiner Oma seinen Arm hin, damit sie sich bei Sonnenschein auf den Weg zur Tube machen konnten. Bisher verlief dieser Tag ziemlich gut. Er lächelte vor sich hin und dachte, wenn er jetzt noch einen echten Märchenprinzen treffen würde, wäre es absolut perfekt. Das würde nie passieren, aber ein Junge durfte ja träumen.
2
James
James wusste, dass er spät dran war. Die Tatsache, dass der Verkehr absolut beschissen war, würde jedoch nicht als gute Entschuldigung durchgehen. Eigentlich wurde von ihm erwartet, dass er heute etwas Wichtiges tat, doch er vermasselte es. Er seufzte und schaute noch einmal auf die Uhr.
»Entschuldigung, Boss«, sagte sein Fahrer Manjeet von vorne. Er blickte in den Rückspiegel und sah James in die Augen.
James schüttelte den Kopf und konnte ein beruhigendes Lächeln aufsetzen. »Es ist absolut nicht deine Schuld«, versicherte er ihm. Manjeet war nun schon seit vielen Jahren sein Fahrer und James betrachtete ihn eher als Freund denn als Mitarbeiter. Er war immer geduldig mit James, wenn er, wie so oft, zu spät kam. Die Jahre in der Armee hatten wenig dazu beigetragen, seine charakteristische Unpünktlichkeit zu verbessern. Aber heute war er wirklich pünktlich aus der Tür seiner Residenz im Kensington-Palast gekommen. Es dauerte nur etwa fünfzehn Minuten, um nach St. James zu gelangen, und doch lief er Gefahr, zu spät zu der Zeremonie zu erscheinen, die er eigentlich abhalten sollte. Seine Mutter würde sehr beeindruckt sein, da war er sich sicher.
James seufzte und zog sein Handy heraus. Er wischte durch die Bilder seiner Kontakte, bis er das richtige gefunden hatte. Dann wartete er, während es ein paarmal klingelte, bevor jemand ranging.
»Jimmy!«, äußerte seine jüngere Schwester Olivia. »Wie geht es dir?«
James schnaubte. »Ich kann nicht glauben, dass du mich dazu zwingst«, murmelte er.
»Oh, benimm dich«, züchtigte Livy ihn. »Du wolltest unbedingt etwas tun! Hör auf, dir so viele Sorgen zu machen, und hab Spaß. Das ist doch genau dein Ding, oder? Sich unter die Leute zu mischen.«
James erlaubte sich ein halbes Lächeln, aber es kam mit einem Seufzer. »Ich schätze, ich bin nicht schlecht darin«, räumte er ein.
Livy kicherte. »Dann analysiere nicht alles so viel«, meinte sie. »Du hast doch die Audiodatei mit den Namen und Fotos von allen, oder?«
»Ja«, antwortete er. »Danke, das war eine große Hilfe.«
»Dann wirst du es schon schaffen«, versicherte sie ihm. »Du musst nicht einmal ihre Namen kennen. Es ist nur für den Fall. Schüttle einfach ein paar Hände, lächle mit deinem umwerfenden Lächeln und genieß die Gesellschaft von Menschen, die du sonst nie treffen würdest.«
James kicherte. »Wenn man es so formuliert, klingt es doch ziemlich lustig.«
»Und du wirst gut darin sein«, betonte Livy. »Du musst mehr solche Dinge tun. Ernsthaft, du kannst nicht einfach weiter im Haus herumwuseln, jetzt wo du nicht mehr im aktiven Dienst bist.«
Das konnte er nicht leugnen. »Danke, Liebes«, sagte er.
Er konnte sie am anderen Ende der Leitung förmlich lächeln hören. »Wir sprechen uns später. Kopf hoch!«
In Wahrheit war er ziemlich erfreut darüber, dass er gebeten wurde, die Ehrungen zum Geburtstag der Queen zu überreichen. Die Menschen, die er, wenn auch nur kurz, treffen würde, machten einen unglaublichen Unterschied für die Welt. James bewunderte sie so sehr, wie er sie beneidete. Er wusste, dass das dumm war. Er hatte ein verhätscheltes Leben im Luxus gelebt und hatte alle möglichen Chancen bekommen. Es war nicht richtig, dass er sich so leer fühlte, als ob ihm etwas Entscheidendes fehlte. Aber ein Leben ohne Zweck war manchmal verdammt hart.
Nachdem ihr Gespräch beendet war, trommelte James mit seinen Fingern auf seinem Knie herum und schaute aus dem getönten Fenster auf die vorbeigehenden Menschen, die im Hyde Park die Sommersonne genossen. Er hatte sein ganzes Leben lang versucht, sich einzufügen und einfach normal zu sein; in der Schule und dann während seiner militärischen Ausbildung in Sandhurst. Aber er war immer Prinz James. Seine Großmutter war immer die Queen des Vereinigten Königreichs. Anders sein lag in seiner Natur. Er konnte keine drei Kilometer fahren, ohne eine Autokolonne zu benötigen. Geschweige denn zu Fuß irgendwo hingehen oder die Tube nehmen. Sein älterer Bruder und seine jüngere Schwester schienen es nie so schwer in dieser lächerlichen Blase zu haben, in der sie lebten. Wahrscheinlich, weil sie bereits verheiratet waren und drei Kinder hatten oder weil sie mitten in der Planung ihrer großen Hochzeit steckten. Was James brauchte, war, sich ein nettes Mädchen zu suchen und so besessen von ihr zu werden, dass er von all seinen dummen Problemen abgelenkt war. Wenn es nur so einfach wäre, ein nettes Mädchen zu finden wie einen netten Jungen.
James trommelte noch einmal mit den Fingern, bevor er merkte, was er tat, und setzte sich dann auf seine Hand. Seine Mutter fand diese Gewohnheit äußerst irritierend, sodass es den nervösen Tick am besten abstellte, bevor er sie sah. Das richtige Mädchen war zweifelsohne irgendwo da draußen. Wenn nur James’ soziale Kreise nicht so eingeschränkt wären. Er konnte nicht einfach in einen Pub gehen und sich auf einen Pint treffen. Er war sowieso frustrierend wählerisch, was Mädchen anging, die ihn anzogen. Aber dann mussten sie auch noch aus „guten“ Familien kommen und das richtige Image haben. Wenn er sich an Jungs halten könnte, hätte er mehr Chancen, das wusste er, aber … Nun, er lebte in einem Traum, wenn er glaubte, dass das jemals passieren könnte. Weiter entfernte königliche Verwandte konnten mit gleichgeschlechtlichen Beziehungen davonkommen. Tatsächlich waren es bereits einige. James freute sich für sie. Es war heutzutage verdammt noch mal an der Zeit. Aber er selbst würde den Segen der Queen brauchen, um heiraten zu dürfen, und die Kontroverse, die losbräche, wenn sie James bei seinem Coming-out unterstützte und er einen Freund hätte, wäre einfach zu viel. Das war mehrmals spürbar angedeutet worden. Offiziell wusste niemand etwas über James’ Sexualleben.
Der Verkehr bewegte sich endlich und James blinzelte sich aus seiner Melancholie heraus. Gott, er musste sich aufraffen. Es schien endlich die Sonne und für die Menschen, die er später träfe, war dies ein bedeutsamer Tag. Er war stolz darauf, ein Teil davon zu sein. Wenn er mit seinem Schicksal unzufrieden war, musste er etwas tun, um es zu ändern. Schließlich hatte er sich in der Armee hervorgetan. Körperliche Fitness war schon immer etwas, in das er sich stürzen konnte und in der er gut war. Nur weil sein Status es unmöglich machte, ohne Gefahr für seine eigene Sicherheit und die der anderen in einen Einsatz geschickt zu werden, bedeutete das nicht, dass er keine andere Berufung finden konnte. Der heutige Tag war ein gutes Beispiel. Er war ein Mäzen vieler Wohltätigkeitsorganisationen, aber vielleicht gab es einen Weg, wie er in Zukunft noch aktiver sein könnte. Wer wusste das schon? Vielleicht würde er sich eine nette Frau suchen, wenn er sich in solchen Kreisen bewegte.
Manjeets Zauber wirkte und er zwängte sich durch den restlichen Verkehr, um schließlich im Hof des St. James-Palastes anzuhalten. »Sie haben noch Zeit, Boss«, beruhigte er James mit einem Daumen nach oben von der anderen Seite der Trennwand aus. »Viel Glück! Ich werde hier sein, wenn Sie fertig sind.«
»Was würde ich ohne dich tun?«, fragte James aufrichtig.
Er sprang aus dem Auto und strich seinen Anzug glatt in der Hoffnung, dass er sich dadurch weniger nervös fühlte. Wieder bezweifelte er, dass jemand mit so wenigen Auszeichnungen derjenige sein sollte, der so erfolgreiche Menschen eine solche verlieh. Aber er konnte keinen Rückzieher machen, also musste er sich einfach einschleimen.
Nun, da er mehr Zeit zur Verfügung hatte, sollte er sein Leben aktiver gestalten. Er wäre ein Narr, die Vorteile seiner privilegierten Erziehung zu ignorieren. Von goldenen Treppen, Marmorböden, Kristalllüstern und Gemälden, die höher waren als er, umgeben zu sein, war eine gute Erinnerung. Ja, er war mit Einschränkungen konfrontiert, aber er hatte auch noch so viel anderes zu seinen Gunsten. Er konnte sein Schicksal schmieden.
Das verkniffene Gesicht und das Schnalzen der Zunge seiner Mutter brachten ihn schnell wieder in die Realität zurück, als er in einem der Nebenräume neben dem großen Zeremoniensaal ankam. Es war ein unscheinbarer Raum mit dunklen, holzvertäfelten Wänden und einigen unscheinbaren Schilden und Schwertern, die aufgehängt waren.
»Du bist spät dran«, sagte seine Mutter genervt. Ihre Arme waren vor ihrem schlanken Körper verschränkt, der in einem ihrer üblichen Bleistiftkleider steckte.
Sie tippte mit ihrem 10 cm hohen Absatz auf den roten Teppich, als James sich vorbeugte und sie auf die Wange küsste. »Ich bitte um Entschuldigung. Der Verkehr war echt scheiße«, sagte er.
»Ausdrucksweise, James«, ermahnte sie ihn automatisch und schloss die Tür hinter ihnen.
James tat sein Bestes, um die Augen nicht zu verdrehen. Sie waren allein. Oder so gut wie.
»Eure Königliche Hoheit«, sagte Ignatius Bellamy-Walters mit einer leichten Verbeugung, als sich James näherte.
James hätte nicht überrascht sein sollen, den Privatsekretär der Queen zu sehen. Aber er war trotzdem verärgert. »Bellamy«, antwortete er steif.
Offiziell war Iggy die Verbindungsperson zwischen dem Monarchen und den Regierungen des gesamten Commonwealth, nicht nur des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland. Inoffiziell bedeutete das, dass er einen verdammt großen Einfluss auf die Königsfamilie hatte und das letzte Wort darüber zu haben schien, was in einem bestimmten Bereich akzeptabel war. Er und James waren selten einer Meinung darüber, was akzeptabel war, da es das verdammte 21. Jahrhundert war. Er sah aus wie immer. Graue Haare, grauer Nadelstreifenanzug und ein Schnurrbart, der so dünn war wie er. Er und James’ Mutter waren ein recht ungleiches Paar. James musste jedoch nicht lange Augenkontakt mit ihm halten, denn schon wurde er von einem wilden Rudel tollwütiger Bestien angegriffen.
»Meine Lieblinge!«, rief er.
Er ging in die Hocke, als die fünf Yorkshire-Terrier durch die Tür am anderen Ende des Raumes herangestürmt kamen und über den roten Teppich huschten, um sich auf ihn zu stürzen, als wäre er von den Toten zurückgekehrt. Wahrscheinlich hatte er sie erst vor ein oder zwei Wochen gesehen, aber für sie war es wie ein Wunder.
»Oh, hallo, ja, hallo«, gurrte er.
Jeder von ihnen trug ein Halsband in einer eigenen Farbe, sodass er, wenn er auch ihre Gesichter nicht erkannte, sie leicht identifizieren konnte. Bertie, Bonney, Bouncer, Blenheim und Beanie. Jeder von ihnen machte auf seine eigene Weise Ärger. Bonney mit dem gelben Halsband begrüßte ihn mit ihrem üblichen Johlen.
»Oh, sei doch ruhig, Bonney«, seufzten James und seine Mutter unisono. Nur so konnte man sie zum Schweigen bringen.
Tatsächlich hörte sie auf zu jaulen und schloss sich dem Rest des Rudels an.
Er merkte, dass jemand seiner Größe und seines rauen Verhaltens wahrscheinlich lächerlich aussah, als er auf den Knien eine Gruppe Hunde begrüßte. Aber einer der Vorteile, sich innerhalb der Palastmauern aufzuhalten, war, dass er sich keine Gedanken darüber machen musste, wer ihn sah, vor allem in einem Privatraum.
Seine Mutter und Iggy sahen das offensichtlich nicht so. »Bitte ruinier deinen Anzug nicht völlig, Liebling«, geiferte seine Mutter und schob sich eine kupferrote Haarsträhne hinter ihr Ohr. »Wir möchten dich wenigstens so lange respektabel halten, bis du die Leute begrüßt hast.«
Die Art und Weise, wie sie die Leute sagte, klang für ihn schon immer eher wie schmutzige Bauern, und es würde auch immer so klingen. Schon vor ihrer Einheirat in die königliche Familie war Celia Grantham nie eine einfache Bürgerliche gewesen. Als Tochter eines Lords hatte sie noch nie Probleme mit dem Privileg gehabt, in das sie hineingeboren worden war, soweit James wusste.
Nachdem James alle fünf kleinen pelzigen Köpfe gestreichelt und die Bäuche der Meute gekitzelt hatte, stand er wieder auf. Es überraschte ihn nicht, dass Iggy jemanden aus dem Nichts herbeigeholt hatte, um sofort mit einer Kleiderbürste seine Hose zu bearbeiten. James war der Einzige, der sich bei ihm bedankte.
»Ist Oma denn hier?«, fragte James. Es war eine logische Schlussfolgerung, wenn ihre Hunde in der Nähe waren. Es wäre schön, sie zu sehen.
Seine Mutter schüttelte jedoch den Kopf. »Sie und der Herzog von Edinburgh sind in Kanada. Dein Vater hat darauf bestanden, auf die Hunde aufzupassen.«
Es war offensichtlich, dass sie die Anwesenheit von Hunden in ihrer Umgebung genauso empfand wie die Interaktion mit einfachen Bürgerlichen. Aber James liebte die Hunde, was er zeigte, indem er wieder nach unten griff, um Bertie zu streicheln, als er seine Pfoten auf James’ Bein legte und mit dem Schwanz wedelte. Der arme Kammerdiener sah gequält aus. Er hob wieder seine Bürste, da es ihn offensichtlich in den Fingern juckte, James haarfrei zu halten.
»Tut mir leid«, sagte James zu ihm.
Seine Mutter lenkte seine Aufmerksamkeit von den Hunden ab, indem sie ihm einen Stapel Karten, auf denen offenbar Namen standen, unter die Nase hielt.
Eiseskälte überkam James, seine gute Laune verschwand. »Das muss ich doch nicht lesen, oder?«, fragte er und versuchte, nicht zu stottern.
Seine Mutter schnaubte und strich ihr cremefarbenes Bleistiftkleid mit ihren perfekt manikürten Händen wieder glatt. »Nein«, antwortete sie und zog das Wort verzweifelt in die Länge. »Einer der Mitarbeiter wird jeden Gast ankündigen. Du musst nur Hände schütteln und jedem ein paar Worte mitgeben, um ihnen zu sagen, wie besonders und wichtig sie sind.«
»Sie sind besonders und wichtig«, murmelte James, als der Diener seine Hose noch einmal abbürstete. Der arme Mann blickte die Hunde an, die James umkreisten, als würde er sie davor warnen, ihn noch einmal anzuspringen. »Sonst würden sie keine Auszeichnungen erhalten.«
»Nuschle nicht, Liebes«, erwiderte seine Mutter fröhlich und richtete seinen Kragen.
»Die Karten sind nur für den Fall, dass Ihr Hilfe benötigt«, sagte Iggy und schenkte James ein kaltes Lächeln.
Zum Teufel damit. Iggy hatte sie ihm nur gegeben, um ihn zu ärgern. »Keine der Informationen hat sich seit Dienstag geändert, oder?« Da hatte Livy ihm die Audiodatei geschickt, wo sie alles vorgelesen hatte. Er hatte den ganzen Mittwoch und Donnerstag damit verbracht, sie als Vorbereitung für heute Morgen auswendig zu lernen.
»Nein, das glaube ich nicht«, sagte seine Mutter abwesend. Sie hatte gerade etwas auf ihrem Handy gelesen.
Na schön.
James würde das tun, was er immer tat. Er würde sich jeden einzelnen Namen anhören, der gesagt wurde, und ihn abspeichern, als hinge sein Leben davon ab. Hoffentlich würden sie mit denen übereinstimmen, die er bereits von der Aufnahme her kannte. Er hatte vielleicht nicht die Gelegenheit gehabt, in seinem Leben bisher viel zu erreichen, aber in den dreißig Jahren hatte er noch nie eine öffentliche Veranstaltung vermasselt. Diese Zeremonie bedeutete für alle Anwesenden etwas. Das wollte er nicht trüben.
Er steckte die Karten in seine Anzugtasche. Er trug heute keine Dienstkleidung, obwohl er, technisch gesehen, immer noch in der Armee diente. Da es sich um eine zivile Veranstaltung handelte, trug er einen seiner maßgefertigten Anzüge aus Savile Row. So schön er auch war, so hatten doch seine blauen und königlichen Insignien etwas, das ihm das Gefühl gab, kampfbereit zu sein. Wahrscheinlich, weil das der eigentliche Zweck war. Die Gäste waren aber nicht seine Feinde. Und auch seine Mutter und Iggy waren es nicht. Es sei denn, er machte sie dazu.
Er sammelte sich und gewann etwas von seiner Entschlossenheit von vorhin zurück. Die Menschen, die er treffen würde, waren fleißig und hatten Außergewöhnliches für ihre Gemeinden geleistet. Es war seine Aufgabe, die Königsfamilie zu repräsentieren und sie für ihr Lebenswerk zu beglückwünschen. Er wollte diesen Tag genießen. Sobald die Feierlichkeiten vorbei waren, könnte er wieder darüber nachdenken, was genau er mit seinem Leben anfangen wollte. Oder mit wem er es möglicherweise verbringen wollte.