Buch lesen: «Die Flüchtlingsmörder»
Heinz-Dietmar Lütje
DIE FLÜCHTLINGSMÖRDER
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2017
Bei dem nachstehenden Werk handelt es sich um einen Roman und alle Personen und diesen in den Mund gelegten Äußerungen sowie sämtliche Handlungen sind vom Verfasser frei erfunden. Etwaige Übereinstimmungen mit tatsächlich lebenden oder auch bereits verstorbenen Personen wären damit rein zufällig und keineswegs beabsichtigt.
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im
Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Copyright (2017) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte beim Autor
Titelbild © .shock (Fotolia)
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
Der Winter schien dieses Jahr etwas verfrüht seinen Einzug in Schleswig-Holstein zu halten.
Noch nicht einmal Mitte November und in der Nacht von Sonntag auf Montag war der Schneeregen fast überall im Land in Schneefall übergegangen. Am frühen Morgen bedeckten bereits an die zehn Zentimeter jungfräulicher Neuschnee Äcker und Wiesen. Lediglich auf den Hauptverkehrsstraßen und natürlich den Autobahnen waren die Streudienste bereits im Einsatz.
Auch die Straßen in und um Neumünster waren von der weißen Pracht zentimeterdick überzogen und wiesen zu dieser frühen Stunde nur wenige in den Schnee gezogene Reifenspuren auf. Eine dieser Spuren wurde von einem Taxi verursacht, das einen Fahrgast aus Wasbek, einem kleinen Ort im Nordwesten an die Stadt Neumünster angrenzend, in die Gartenstadt bringen sollte.
Auf Wunsch des älteren Mannes, eines in Loden gekleideten Jägers, der als einer der letzten Teilnehmer am Schüsseltreiben nach einer anstrengenden Treibjagd sich nach seinem Bett sehnte, nahm die junge Taxifahrerin trotz wetterbedingter Bedenken die Abkürzung durch die Feldmark.
„Achtung, da vorn geht es rechts rum“, brabbelte der Alte plötzlich aufgeregt.
„Ich weiß schon. Erinnern Sie sich nicht, ich habe Sie doch letztes Jahr auch abgeholt“, erwiderte die dunkelhaarige, stämmig gebaute Chauffeurin.
„Ja dann … Ich meinte doch auch, Sie schon gesehen zu haben.“ Der alte Knabe mit dem etwas ungepflegten grauen Vollbart stieß schon deutlich mit der Zunge an und verstummte dann.
Die Frau warf einen Blick in den Innenspiegel und ein verstehendes Lächeln machte ihre Gesichtszüge weich.
„Jaja, im Alter wirkt der Alkohol schneller“, bemerkte sie halblaut und vernahm unmittelbar nach dieser Feststellung erste Schnarchlaute von der Rückbank des älteren Mercedes.
Der Schneefall hatte aufgehört und sie schaltete das Fernlicht ein. Die starken Scheinwerfer rissen ein gehöriges Stück des schmalen Wirtschaftsweges aus der Dunkelheit.
Zwar schlecht zum Fahren, aber doch irgendwie ein schöner Anblick, der wohl immer seltener werden wird, ging es der Fahrerin durch den Kopf, als sie die nächtliche Winterlandschaft so betrachtete. Doch was war denn das? Sie war nun ganz bestimmt keine von den Ängstlichen, zuckte bei dem, was sie jetzt im grellen Scheinwerferlicht zu sehen bekam, aber doch zusammen. Für einen Moment geriet der schwere Diesel ins Schlingern, als die junge Frau etwas zu stark abbremste.
„Nanu, schon da?“, meldete sich die Stimme des Passagiers aus dem Fond des Wagens.
„Nee, aber sehen Sie mal nach links vorn!“
Die Beklemmung in der Stimme entging trotz der genossenen Runden auf das Deutsche Waidwerk, Jagdherren, Jagdkönig und dergleichen dem Fahrgast nicht.
„Was ist denn? Ein Tier? Ich sehe nichts!“
„Da! Genau da, am Heckloch!“
Ein leichter Schauder durchzog den Körper der Sprecherin bei diesen Worten.
„Oh, verflucht … das … äh … sieht ja aus wie ein Mensch“, stammelte der alte Jäger, als er endlich erkannte, was die Frau so aus der Spur gebracht hatte.
Eindeutig. Da in der Eiche hing etwas, das aussah wie ein Mensch. Von dem so früh in diesem Winter und reichlich gefallenen Schnee weiß überzogen, aber dennoch unverkennbar eine menschliche Gestalt.
„Vielleicht ein dummer Scherz? Äh, eine Schaufensterpuppe oder so?“, brummelte der Alte, der jetzt zusehends ernüchterte.
„Wohl kaum. Leider!“
Da der Graubart keine Anstalten machte, auszusteigen und sich die Sache näher anzuschauen, schüttelte die Frau den Kopf, beugte sich nach rechts rüber, holte eine Taschenlampe aus dem Handschuhfach und stieg aus.
Sie schüttelte sich kurz und hierbei wohl gleichzeitig den verständlichen Schock aus den Gliedern. Dann richtete sie den Lichtstrahl nach oben und folgte diesem mit zusammengekniffenen Augen.
Ganz offensichtlich ein Mensch. Ein Mann in vom Schnee überzogener Kleidung. Ohne Kopfbedeckung aber mit Stiefeln an den Füßen, die gut einen Meter über dem Boden in der Luft hingen. Ein dickes, unter dem Schnee rötlich durchschimmerndes Seil unter Schultern und um den Hals fixierte die Leiche in dieser Stellung am Stamm der um die sechs oder sieben Meter hohen Eiche.
Die Frau wandte sich ab und ging mit langsamen Schritten zurück zu ihrem Wagen.
„Na und?“, wollte der Fahrgast wissen.
„Steigen Sie doch aus und gucken Sie selbst! Keine Angst, der tut Ihnen nichts mehr“, fügte sie noch hinzu und griff zum Mikrofon des nicht mehr dem neuesten Stand entsprechenden Funkgerätes.
Während die junge Frau ihre Zentrale verständigte, und diese nach einigen Nachfragen dann die Polizei, hatte sich der alte Grauhaarige gefangen und schien auch wieder deutlich nüchterner geworden zu sein. Jedenfalls stieg er aus, betrachtete den an den Stamm gefesselten Leichnam, zückte dann sein Handy und schoss diverse Fotos.
Kopfschüttelnd schaute die Taxlerin seinem Tun zu, als fast gleichzeitig die Stimme der diensttuenden Kollegin aus dem Empfänger des Funkgerätes erklang und auch ihr Handy in der Tasche sich bemerkbar machte.
„Ja, machen wir“, sprach sie kurz darauf in das Telefon und winkte dem Fahrgast. „Das war die Polizei! Wir sollen einsteigen und keine Spuren zertrampeln. Los, kommen Sie schon!“
Brummelnd setzte sich der Grünrock wieder in den Wagen und quarkte gleich darauf: „Ist kalt hier drinnen. Lassen Sie doch den Motor wieder an, damit der Wagen heizt.“
Die Frau reagierte nicht, sondern wühlte im Handschuhfach herum. Endlich schien sie gefunden zu haben, wonach sie suchte und förderte eine Schachtel Zigaretten hervor.
Nur Feuer suchte sie vergeblich, bis ihr der Zigarrenanzünder des Mercedes in den Sinn kam.
Kurz darauf zog eine Rauchwolke bis in den Fond des Taxis. Anlass genug für ihren Fahrgast erneut loszuquengeln: „Das hab ich gern. Mich vollqualmen, aber nicht den Motor anmachen, damit ich auch noch frieren muss, während ich mir hier den Krebs hole.“
„So schnell geht das beides nicht“, winkte die Fahrerin ab.
Da sah sie im Rückspiegel Blaulicht aufflackern und kurz darauf hielt der blausilberne VW-Passat hinter der Taxe.
Kaum hatten sich die beiden Beamten, eine Polizeioberkommissarin und ein noch sehr junger Polizeimeister, vorgestellt, kam bereits ein weiterer Streifenwagen aus der Gegenrichtung angerast und bremste schlitternd.
„Aha, Unterstützung von der Autobahn“, stellte die mittelblonde Oberkommissarin fest.
Die jetzt insgesamt vier Blauuniformierten waren sich schnell einig. Unfall oder Selbstmord waren mehr als unwahrscheinlich. „Na, da freut sich der Kollege von der Kripo, der Bereitschaft hat“, lachte die blonde Oberkommissarin.
„Und was machen wir mit der Taxifahrerin und dem Fahrgast?“, fragte ihr junger Kollege.
„Nimm die Personalien auf und lass sie fahren!“, lautete ihre Anweisung.
Einige Stunden später – die Leiche hing immer noch am Baum – hatte die zuständige Kieler Mordkommission übernommen. Nachdem der Neuschnee ohnehin viele mögliche Spuren vernichtet oder deren Auffindung zumindest erschwert hatte, wurde der Leichnam endlich geborgen. Natürlich waren vorher alle Fotos gemacht und noch vorhandene Spuren, wie eine Zigarettenkippe und ein paar dunkle Wollfasern sowie ein paar unter dem Neuschnee zutage geförderte Reifenspuren, gesichert worden.
Eine erste, vorläufige Untersuchung durch den zuständigen Gerichtsmediziner ergab noch keinen Hinweis auf die Todesursache, wie dieser den Ermittlern mitteilte.
„Keine äußeren Verletzungen erkennbar, die den Tod herbeigeführt haben könnten“, schüttelte er den Kopf und blickte den Leiter der Mordkommission an.
Der Erste Kriminalhauptkommissar, ein Endvierziger mit noch vollem, dunklem Haupthaar nickte und fragte dann: „Und der Todeszeitpunkt?“
„Vorsichtig geschätzt zwölf bis fünfzehn Stunden. Früher Abend würde ich sagen.“
„Hm, und sonst? Sieht nach Flüchtling aus. Afghane, Iraker, Syrer?“
„Vermutlich eher aus Syrien, wenn ich mir die Zähne ansehe. Soll ich oder wollt ihr?“ Der Rechtsmediziner deutete auf die Taschen des Toten, der einen relativ neuen Anorak, wohl die Kleiderspende eines der vielen sich neu entpuppten Gutmenschen, trug.
„Mach mal, Doc“, stimmte der Chef der Mordermittler zu.
Dieser warf einen Blick zum Himmel und murrte: „Gibt wohl noch mehr Schnee“, während er gleichzeitig die Taschen des Toten leerte und die gefundenen Gegenstände in den ihm zugereichten Plastikbeutel beförderte. Zigaretten, Feuerzeug, ein Springmesser, das mit besonderem Interesse betrachtet wurde, und schließlich – aus der Innentasche der Jacke – eine Klarsichthülle mit verschiedenen Papieren.
„Nanu, was haben wir denn hier?“, wunderte sich der Mediziner.
„Steck es einfach in die Tüte, Doc. Das sehen wir uns gleich im Wagen an“, äußerte der Chef der MOKO. Aus den Hosentaschen kamen noch ein verhältnismäßig sauberes Leinentuch und zwei Zehn-Euroscheine sowie einige Münzen zum Vorschein, die ebenfalls in die hingehaltene Tüte wanderten.
„So, dann können Sie die Leiche in die Rechtsmedizin bringen“, gab der Arzt den schon ungeduldig wartenden Bestattern Bescheid und stieg zu den Ermittlern in den Mercedes-Vito der Mordkommission.
Dort hatte der Erste Kriminalhauptkommissar Kai Matthes ganz vorsichtig den Inhalt der Klarsichthülle auf den ausgeklappten Tisch gelegt.
Ein syrischer Ausweis auf den Namen Assad Aman, dessen Lichtbild eindeutig den Toten zeigte, dazu aber auch die Kopie eines libanesischen Passes, dessen Foto vielleicht etwas älter war, aber auch ziemlich eindeutig dem Toten zugeordnet werden konnte. Dort lautete der Name Ibrahim Daran aus Beirut. Dazu ein aus dem Internet abfotografiertes Bild, das von minderer Qualität war, aber ebenfalls diesen Mann zeigte. Hier allerdings in typischer Pose der ISIS-Terroristen mit Kalaschnikow-Sturmgewehr posierend.
„Ach nee“, entfuhr es Dr. Freddy Pein, dem knapp Vierzigjährigen. „Ein als Flüchtling eingereister Terrorist?“
„Scheint so“, brummte Matthes, „ sieh mal hier, Doc!“
Mit diesen Worten legte er den eben studierten Computerausdruck zu den Pässen und dem Foto.
Dieser auf einem absolut handelsüblichen Blatt stehende Text schlug ein, wie die sprichwörtliche Bombe:
Klarstellung
Den beigefügten Unterlagen wollen Sie bitte entnehmen, dass Sie es hier keineswegs mit einem Tötungsdelikt zu tun haben, sondern mit der vorbeugenden Verhinderung eines terroristischen Anschlages. Nachdem unsere Kanzlerin und ihre hörigen Hofschranzen unter Verletzung sowohl Europäischen wie auch Deutschen Rechtes ungeprüft jedem tatsächlichen oder auch vorgeblichen Flüchtling die unkontrollierte Einreise gestatten, kann es nicht verwundern, dass nicht nur diverse Wirtschaftsflüchtlinge, sondern eben auch Straftäter und sogar bekannte Terroristen auf diesem Wege die Grenzen passieren. Dieser, mit richtigem Namen Jassir Muhamad heißende islamistische Verbrecher, wurde am 18. Mai 1991 in Riad geboren und ist seit Ende 2013 verschwunden. Um sich ISIS anzuschließen, wie aus dem beiliegenden Foto ersichtlich.
Vielleicht führt dieser Hinweis ja zum Umdenken bei Politik und den sich selbst beweihräuchernden Gutmenschen.
Zwei weitere enttarnte Terroristen werden in den nächsten Tagen folgen!
Hilfswerk zur Rettung des europäischen Abendlandes
„Ach du dickes Ei“, stöhnte der Mediziner. „Da scheint ja was auf uns zuzurollen.“
„Allerdings“, nickte der Kriminalist. „Aber du hast doch wohl genauso wenig angenommen, wie ich auch, dass da nur harmlose, verängstigte Muslime nach Europa strömen – oder etwa nicht?“
„Stimmt! Ich habe mich auch gefragt, wieso diese vielen jungen Männer nicht gegen ihre Unterdrücker kämpfen, sondern erwarten, dass die von ihnen nicht gerade über alles geliebten, christlich geprägten, Europäer das für sie erledigen sollen.“
Der hochgewachsene, durchaus kräftig ausschauende Innenminister war alles andere als erfreut, als der Kriminaldirektor, der ebenso wie ein Polizeidirektor, in seinem Ministerium Dienst tat, ihm den Besuch des Leiters der Kieler Mordkommission ankündigte und als dringlicher als alles, was sonst auch auf dem Programm des Ministers stehen könnte, bezeichnete.
Der Leiter des Innenresorts, der bei seiner Polizei nicht gerade hochgeschätzt war, brummte verärgert: „Das können Sie doch wohl übernehmen! Was machen Sie überhaupt den ganzen Tag?“
Das ohnehin längliche Gesicht des so Angeblafften nahm eine noch gestrecktere Form an, in dem sich Ärger und Wut deutlich ausdrückten.
„Das kann ich Ihnen genau sagen! Seit Ihrem Amtsantritt diene ich Ihnen, Herr Minister, vornehmlich als Prellbock und Schutzschirm gegen die aus meiner Sicht durchaus berechtigten Einwände und Anfeindungen der Kollegen.“
Minister Buhmann grollte zurück: „Reichen Sie gern ihr Versetzungsgesuch ein, wenn es Ihnen hier zu gut geht, Kelling. Und jetzt setzen Sie mich gefälligst ins Bild. Um was geht es überhaupt?“
Das tat der Kriminaldirektor und konnte trotz des Ernstes der Situation nicht umhin, sich still, aber dafür innerlich umso mehr zu freuen, als er sah, wie die Nachricht seinen obersten Chef erschütterte.
Aus dem täglichen Umgang glaubte er sicher zu wissen, dass diese sichtliche Bestürzung wohl in erster Linie darauf zurückzuführen war, dass jetzt noch erheblich mehr Stress und Ärger auf ihn, den zuvorderst zuständigen Minister, zukommen würde. Fragen über Fragen, auf die er kaum zufriedenstellende Antworten liefern konnte.
„Ach du Scheiße!“, entfuhr es dem kräftigen Mann.
„Wie meinen Sie, Herr Minister?“
Das leichte Grinsen, das bei diesen Worten über das Gesicht des hochrangigen Beamten huschte, entging Kurt Buhmann keineswegs. Wer im Haifischteich der Politik überleben und Karriere machen will, lernte früh, auf derartige Reaktionen zu achten. Fachwissen mochte in der Politik zu vernachlässigen sein und schadete vielleicht manchmal sogar, weil es die vielseitige Verwendbarkeit durchaus einschränken konnte. Ein gutes, noch besser ein hervorragendes, Erinnerungsvermögen hingegen war unerlässlich, wenn man es in diesem Bereich zu etwas bringen wollte.
Er würde sich schon zu rächen wissen und auf die ohnehin rhetorische Frage wurde eine Antwort wohl auch kaum erwartet.
„Warum sagen Sie das nicht gleich? Herein mit dem Mann!“
Blass war er geworden, der so selbstherrliche Herr Minister, nachdem der Erste Kriminalhauptkommissar, mehrfach von seinem Dienstherrn unterbrochen, seinen vorläufigen Bericht beendet hatte.
„Das hat mir … wollte sagen, uns wohl gerade noch gefehlt“, kommentierte er das Gehörte.
Deutlich leiser und gar nicht mehr so besserwisserisch, wie es sonst seine Art war.
„Bringen Sie uns eine Kanne Kaffee“, nuschelte er in die Gegensprechanlage, die ihn mit seinem Vorzimmer verband.
Dann ging er an die Schrankwand in seinem durchaus wohnlich gestalteten Dienstzimmer, klappte seine fast zwei Meter Körperlänge zusammen und förderte aus der Tiefe der untersten Lade seines nicht übermäßig mit Akten oder sonstigen Papieren belasteten Schreibtisches eine Flasche Napoleon nebst drei Cognacschwenkern zutage.
Ohne zu fragen schenkte er die Gläser ein und hob seines hoch. „Den haben wir uns auf den Schreck in der Morgenstunde wohl verdient, meine Herren!“
Er trank und bemerkte erst dann, dass seine Besucher die ihnen zugedachten Gläser unberührt auf dem Tisch stehen gelassen hatten.
„Was ist? Langen Sie ruhig zu. Ist genehmigt!“ Mit diesen Worten warf er den beiden Kripobeamten einen auffordernden Blick zu.
„Nein danke. Ich trinke im Dienst nie“, lehnte der Kriminaldirektor ab.
„Danke, da halte ich es ebenso. Außerdem muss ich noch fahren“, schloss sich der Chef der Mordkommission seinem Vorgesetzten an.
Die Gerhard Kelling nur zu bekannte Unmutsfalte über der Nase seines Ministers wuchs ein weiteres Stück in die Höhe, was ihn mit stiller Freude erfüllte.
„Nun gut, ganz wie es Ihnen beliebt, meine Herren. Und, wie ist der … äh… Flüchtling denn überhaupt umgekommen?“
„Das werden wir frühestens heute Abend wissen; vielleicht aber auch erst deutlich später“, beantwortete Matthes die Frage.
„Wieso denn das? Unsere Rechtsmediziner sollten doch in der Lage sein, das sofort zu klären!“
„Ja, sehr häufig schon. Aber hier gibt es keine tödliche äußere Verletzung, die auf den ersten Blick zu erkennen ist. Im Gegenteil! Es gibt eigentlich nur geringe Schrammen, die post mortem bei Transport und dem Aufhängen des Toten entstanden sein dürften. Auch bei erheblichen äußeren Verletzungen kann es durchaus sein, dass nicht diese tödlich waren, sondern bei der Schlägerei oder sonstigen Auseinandersetzung das Opfer schlicht vor Angst an Schock oder Herzinfarkt verstorben ist“, belehrte der Mordermittler seinen Dienstherrn.
„Bei Vergiftungen beispielsweise kann es Monate dauern, bis das tödliche Gift identifiziert ist“, steuerte der Kriminaldirektor bei.
„Hm, äh ja, schon klar“, tat Buhmann die Erklärungen ab, „und wie bewerten Sie dieses Pamphlet?“
„Das ist nicht so einfach zu beantworten“, übernahm Gerhard Kelling die Beantwortung dieser Frage.
„Einen Kleingeist von ganz Rechtsaußen schließe ich aus. Der Text spricht insoweit nicht dafür. Auch die Frage, ob Einzeltäter oder Gruppe, kann noch kaum beantwortet werden. Sicher ist nur, dass der oder die Täter über Informationsmöglichkeiten verfügen, die der Normalbürger kaum hat. Die Pässe, das Foto aus dem Internet und die Behauptung, der Tote stamme ursprünglich aus Saudi-Arabien. Wir wissen ja noch nicht einmal, wo er vermisst wird?“
„Genau das wird aber mit Hochdruck geprüft“, ergänzte Kai Matthes. „Vermutlich wohl aus Neumünster oder der Nebenstelle in Boostedt. Dafür spricht allein schon die räumliche Nähe zum Fundort.“
Minister Buhmann warf einen vieldeutigen Blick aus dem Fenster und sah die dunklen Wolken, die den Schnee gebracht hatten, sich verziehen und die Sonne durchkommen.
Irgendwie hatte er das Gefühl, diese Wolkenwand käme direkt auf ihn zu.
„Also nichts Konkretes, was ich dem Ministerpräsidenten und dem Kabinett vortragen kann, wenn ich Sie richtig verstehe?“
Die beiden Kriminalbeamten nickten unisono.
„Dann halten wir den Ball erst einmal flach. Keine Nachricht an die Presse, bis Sie mir mehr berichten können. Ich erwarte über jede Neuerung unterrichtet zu werden. Sollten Sie mehr Leute benötigen, wenden Sie sich an Herrn Kelling!“
Mit diesen Worten verabschiedete der Minister den leitenden Mordermittler und wandte sich dann an seinen Kriminaldirektor: „Von Ihnen, Herr Kelling, erwarte ich ein schlüssiges Ermittlungskonzept.
Bleibt der Fall bei den Kielern oder brauchen wir eine Sonderkommission unter Einbeziehung von LKA und vielleicht sogar BKA? Machen Sie sich schon mal Gedanken. Ich rufe den Ministerpräsidenten an und melde uns bei ihm an!“
Kai Matthes hatte seine Kollegen kurz über sein Treffen mit Kriminaldirektor Kelling und dem, in Kreisen der Polizei nicht sonderlich beliebten, Minister informiert und die erwarteten Kommentierungen zu hören bekommen.
„Naja, was sonst hätte man von diesem Typ erwarten sollen?“, bemerkte sein Vertreter, Kriminalhauptkommissar Jan-Moritz Schütze, ein alerter Mann von Gardemaß, sportlicher Figur und etwas zu langem, tiefschwarzem Haar.
„Eben, eben“, nickte Kollegin Irina Nadesko, in Deutschland geborene Tochter russischer Einwanderer, deren Vorfahren es wohl einmal aus deutschen Landen nach Russland verschlagen haben mochte.
Die beiden weiteren Mitglieder der ständigen Mordkommission der Kriminalinspektion Kiel enthielten sich eigener Kommentare. Aus ihrer Mimik war allerdings zweifelsohne Zustimmung zu den Äußerungen der etwas älteren Beamten abzulesen.
„Gut, wir hätten uns wohl alle einen anderen Minister, vielleicht sogar wieder einen mit etwas eigener Erfahrung gewünscht, aber jetzt müssen wir eben mit diesem … Herrn … zurechtkommen.
Also, gibt’s etwas Neues? Konnte der angebliche Syrer vielleicht tatsächlich identifiziert werden?“
Kai Matthes sah in die Runde, allerdings ohne viel Hoffnung auf schnelle Ergebnisse.
Das Kopfschütteln seiner vier Mitstreiter bestätigte seine Befürchtungen.
„Das kann wohl auch dauern“, warf die jüngste in der Gruppe, die fünfundzwanzigjährige Kriminalkommissarin Jessica Lorenz, ein. In Neumünster sind an die viertausend Flüchtlinge zusammengepfercht und in Boostedt weit über zweitausend. Die meisten davon junge Männer im passenden Alter.“
„Außerdem sehen die Burschen für die wenigen Kollegen von den Uniformierten, die da Dienst machen, und die Leute von Ausländerbehörde, Rotem Kreuz und Wachdienst sich in vielen Fällen zum Verwechseln ähnlich. Und ob alle richtig registriert sind?“, hob Bastian Bruhn vielsagend seine breiten Schultern. Der Kriminaloberkommissar traute dem gesamten Personal in den Sammellagern ohnehin nicht allzu viel zu.
Da klingelte das Telefon auf dem Schreibtisch von Hauptkommissar Schütze, wo die Gespräche über den Hauptanschluss der MOKO einliefen.
Jan-Moritz angelte sich den Hörer: „Mordkommission, Schütze … ach, du bist es, Walli. Ich stell mal laut!“
Schon drang die Stimme von Waldemar Heitmann aus dem Lautsprecher: „Hallo, Kollegen! Ich habe mir gleich mal die Pässe angeschaut. Den syrischen Pass halte ich für eine mittelprächtige Fälschung.
Bei dem aus dem Libanon bin ich mir nicht ganz so sicher. Ich habe veranlasst, dass für euch erstklassige Kopien gemacht werden. Soll ich die Originale an das BKA nach Wiesbaden schicken und Kopien an das Auswärtige Amt, damit die in Beirut nachfragen und vielleicht auch mal in Riad, bezüglich der Angabe Jassir Muhamad?“
Kai Matthes überlegte einen Moment. „Ja, aber mach es dringend! Kannst du schon etwas über dieses Bild aus dem Computer sagen?“
„Aber klar doch. Kein Ausdruck, sondern vom Bildschirm abfotografiert. Aber mit erstklassiger Technik. Sieht seht professionell aus. Könnte kein Geheimdienst besser hinkriegen. Auch kein Hinweis auf Fotomontage oder hineinkopiert oder sowas. Wir suchen auch Internet und Darknet ab. Aber ob wir da was finden?“
„Schon verstanden, Alter“, brummte Matthes, „mach mal ruhig, gib auch das Foto mit ans BKA, aber vergiss die gute Kopie für uns nicht.“
„Halt, Walli, ich hab da auch noch was!“, ließ sich Jan-Moritz vernehmen. Den Namen „Moritz“ mochte er gar nicht und unterschrieb immer nur mit Jan oder maximal mit: Jan-M. Schütze. Seine Kollegen aber nannten ihn fast ausnahmslos Moritz.
„Dann schieß mal los, Moritz!“
Schütze verzog das Gesicht und bellte: „Ja, Waldemar, was hältst du davon, wenn du das BKA bittest, Kopien und gegebenenfalls auch die Originale und vor allem das Internetfoto zusätzlich an den BND zu schicken?“
„Gute Idee, lieber Moritz. Ach so, das schöne Erklärungsschreiben gibt im Hinblick auf den verwendeten Drucker übrigens wenig her. Davon haben wir in Deutschland zig Millionen. Auch das Papier wird von jeder zweiten Firma und Privatperson benutzt. Ihr erhaltet das auch alles noch schriftlich in üblicher Form.“
„Danke für deine Vorab-Info und tschüss, Walli!“, beendete Kai Matthes das Telefonat.
„Und Freunde? Noch einer von euch ‘ne Idee, wie wir weiterkommen? Sonst können zwei von euch nach Neumünster und Boostedt fahren und dort ein bisschen Dampf machen!“
Der Ministerpräsident zeigte sich erschüttert.
„Auch das noch! Als ob wir nicht schon genug Probleme hätten. Du hast hoffentlich entsprechend Druck gemacht. Diese Geschichte muss schnellstens aufgeklärt werden. Nicht, dass sich hier so eine Scheiße wie mit diesen Neo-Nazis anbahnt. Du weißt schon, diesen Ausländermördern!“
„Ja, schon klar, Jürgen, aber ich glaube kaum, dass hier ein schneller Durchbruch gelingt. Das meint auch mein Kriminaldirektor, der Kelling.“
„Dann mach Dampf! Alles kann abwarten, aber hier stehen wir im Rampenlicht. Stell dir mal vor, was passiert, wenn jetzt noch mehr getötete Flüchtlinge auftauchen? Das muss unter allen Umständen verhindert werden. Also, lass dir was einfallen! Nicht, dass ich noch bedauern muss, dich so schnell zum Nachfolger von diesem Kerl gemacht zu haben, der uns alle – vor allem mich – so schmählich im Stich gelassen hat.“
„Sieh an, der werte Herr Regierungschef sucht bereits nach einem möglichen Schuldigen und hat mich ganz oben auf seine Kandidatenliste gesetzt“, ging es Buhmann durch den Kopf.
Ganz unbewusst hatte er bei dieser Erkenntnis wohl seinen Gesichtsausdruck verändert, was dem Ministerpräsidenten offenbar nicht entgangen war.
„Ist was? Du siehst plötzlich so nachdenklich aus …“, drang dessen Stimme an das Ohr des Ministers.
„Was Wunder, wo doch die Hauptarbeit mit dieser ganzen Flüchtlingskacke auf mir lastet“, machte Buhmann aus seiner Verärgerung keinen Hehl.
„Nun nun, ich darf doch sehr bitten! Wir wollen nicht vergessen, dass wir uns Willkommenskultur auf die Fahne geschrieben haben und uns damit wohltuend von dem rechten Pack abgrenzen, wobei uns die meisten Wähler auch folgen.“
„Ja, noch! Die Frage ist nur, wie lange noch? Es geht vieles drunter und drüber. Eineinhalb Millionen sind schon in Deutschland. Offiziell wohlgemerkt. Ich will gar nicht wissen, wie viele noch kommen? Die Kommunen ächzen unter den für sie kaum zu stemmenden Problemen. Unterkünfte, Verteilung, Personalnot, Kosten und so weiter und so fort. Dazu noch die nach oben schnellenden Einbruchszahlen in Häuser und Wohnungen durch Migranten. Nicht zu vergessen die Sexualdelikte!“
„Bist du fertig?“
Wie ein Eiseshauch drangen diese Worte an das Ohr des Ministers. Und sie erfüllten dank des Tonfalls den erhofften Zweck.
„Ja, ich denke schon. So, wie ich dich verstanden habe, liegt es an mir die hoffentlich richtige Endscheidung zu treffen, wobei alle Fehler selbstverständlich mir anzulasten sind.“
„So ist es, mein Lieber. Du wolltest doch Minister werden. Ganz laut hast du hier! geschrien, als ich einen Nachfolger gesucht und auch dich gefragt habe. Jetzt hast du den Posten, also werde ihm gerecht! Ich kann schließlich nicht auch noch deinen Job mitmachen. Aber ich möchte täglich bis 16.00 Uhr Bericht erstattet haben.“
Jessica Lorenz und Bastian Bruhn parkten ihren in die Jahre gekommenen Opel neben dem VW-Bus der uniformierten Kollegen und betraten die provisorische Station.
„Moin, Kollege, Jessica Lorenz und Bastian Bruhn von der MOKO“, grüßte der Oberkommissar freundlich den älteren, ranggleichen Schutzpolizisten hinter dem vorderen Schreibtisch im Eingangsbereich.
„Na, das passt ja“, brummte der mit tiefem Bass zurück. „Ich wollte euch gerade anrufen. Wir haben den Toten vermutlich identifiziert. Ich heiße übrigens Willi Bold.“ Er erhob sich und begrüßte erst Jessica und dann den ihn um Haupteslänge überragenden Bruhn.
„Nach unseren Unterlagen lautet sein Name Marwan Attan und ist er vierundzwanzig Jahre alt. Hier sind die Unterlagen!“
Mit diesen Worten hob er einige zusammengeheftete Kopien von seinem Tisch auf und übergab diese dem Kriminalbeamten. Der warf nur einen kurzen Blick auf das vorgeheftete Foto und bestätigte: „Ja, das dürfte er sein. Jetzt haben wir den vierten Namen.“
„Na, wie schön für euch, aber ob der stimmt, wer will das schon wissen? Ich traue keinem von diesen Brüdern“, meinte der kurz vor der Pensionierung stehende Uniformierte.
Ohne darauf einzugehen fragte die junge Kommissarin: „Und was sagen seine Mitbewohner? Wo haben die ihn denn zuletzt gesehen?“
„Keine Ahnung. Wir haben die Fotos, die ihr uns geschickt habt, mit unseren Unterlagen abgeglichen und sind so auf ihn gekommen. Von seinen direkten Mitbewohnern haben die Kollegen keinen angetroffen. Die strolchen wohl durch die Stadt oder beehren die Supermärkte mit ihrer Anwesenheit.“
Bastian Bruhn grinste den Kollegen der Schutzpolizei an, während die junge Kommissarin diesen nachdenklich musterte und schließlich fragte: „Sie scheinen ja nicht allzu gut auf die Flüchtlinge zu sprechen zu sein.“
„Nee, bin ich nicht. Wir können ja mal für einen Monat tauschen. Mal sehen, wie Sie dann urteilen?“
„Bastian versuchte die aufkommende Schärfe zu ersticken und meinte: „Gut, Kollege, können Sie uns bitte seine … äh … Unterkunft zeigen?“
„Aber gern doch“, grinste der baldige Pensionär, der diesen Zustand kaum noch abwarten konnte.
Er warf einen Seitenblick auf die junge Kommissarin und fügte dann hinzu: „Es dürfte jetzt einigermaßen ordentlich auf dem Weg dahin aussehen. Die Putzkolonne wird soweit fertig sein. Sie sehen also, junge Kollegin, selbst geputzt wird für die jungen Herren Flüchtlinge, damit sie sich nicht selbst die edlen Händchen beschmutzen.“
Bastian lachte leise auf, was ihm einen ziemlich bösen Blick seiner Begleiterin eintrug und dem älteren Uniformierten ein weiteres Grinsen über das runde Gesicht huschen ließ.
Das Kasernengelände war weitläufiger als die Kriminalisten erwartet hatten und so war ein längerer Fußmarsch über die ehemaligen Kasernenwege angesagt, deren Ränder jetzt teils von verwelktem Unkraut überwuchert waren, dem jetzt allerdings der gerade eingesetzte Schnee und Nachtfrost den Rest an Leben genommen hatte. Dann noch einige lange Flure entlang, eine Treppe bewältigt und endlich standen die drei Beamten in dem Raum, in dem der Getötete mit drei weiteren angeblichen jungen Syrern untergebracht war.