Schwester Leandra

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Schwester Leandra

1  Schwester Leandra

Schwester Leandra

Weil sie zehn Nächte hintereinander an einem Krankenbett sitzen und tagsüber hundert Kochtöpfe versorgen konnte, weil eine lange Laufwache durch alle die angstvollen Säle der drei Krankenhäuser sie nicht ermüdete und weil sie den Brodem offener Herde und den Eiter aufgeschnittener Körper gleichmütig in ihr kleines weißes Gesicht empfing – darum schickte man sie eines Tages nach Berlin und mitten in die nächtliche Friedrichstraße. Sie hatte früher das Kloster nie verlassen, das stolz und still hinabsah auf den Rhein.

Nun fuhr sie Nacht für Nacht in einer Droschke über das Holzpflaster. Sie saß ohne sich anzulehnen und die Hände zusammengelegt, wie an einem Krankenbett, und sie spähte an den Rändern ihrer weißen Flügelhaube vorbei das grelle Trottoir entlang, in die Weinkeller und durch die Scheiben der Cafés. Plötzlich sprang sie heraus, gerade vor das geschminkte Mädchen hin, das verdrossen an einer Ecke wartete. Sie faßte es am Arm, zog es in den Wagen, entführte es in die Invalidenstraße und in ein Haus voll weißer Türen, weißer Wände und weißer Betten, mit Kruzifixen am Kopfende. Ehe die Dirne zur Besinnung kam, war sie gebadet, hatte ein hochgeschlossenes Hemd an, ein gesundes Essen im Leibe und lag in einem schmalen Bettchen. Mitten im Zimmer sprach Schwester Leandra ein Gebet, wünschte allen gute Nacht, lächelte und ging hinaus. Die Dirnen sagten:

»Nu schlag einer lang hin.«

»Was jloobste woll, wat mit der los is.«

»Wat janz Fideles.«

»Is et nich verboten, die Mächens hier eejal inzuspunnen, wo wir doch keen Radau nich jemacht ham.«

»Na laß ihr«, so entschied eine. »Ick hätte heute doch nischt verdient, seit siebene loofe ick.«

Sie gähnte. Andere hatten nichts gesagt und schliefen schon. Mehrere untersuchten ihr Lager und sahen dumpf befremdet ihrem Fleische zu, das in mürben gelblichen Klumpen über die herbweißen, harten Kissen rollte. Eine oder zwei weinten.

In der Frühe kam Schwester Leandra wieder, gefolgt von Wärterinnen mit Kaffeekannen. Die Mädchen, die sie weckte, grunzten. Dann wälzten sie sich in ihren Zottelhaaren quer übers Bett, zogen die Hemden hoch und keiften nach Zigaretten.

»'ne nette Bedienung in det Lokal!«

»Ick ziehe aus!«

Sie bekamen graue Kleider mit weißen Krägen, die Schwester zeigte ihnen das Haus und die Arbeit. Wenn sie dableiben wollten, sollten sie keine Sorgen mehr haben. Das Kloster habe im Lande viele Tochterhäuser, und für alle gebe es zu schaffen und zu essen.

»Un wenn ick Herren mitbringe, wer kriegt det Jeld?«

Sie machten Witze, ließen sich eine Beschäftigung in die Hand drücken und warfen sie hin. Eine faßte unvermutet einen Entschluß, scheuerte ohne aufzusehen die ganze Treppe und band die Schürze ab.

»So, det Nachtquartier hätten wir abjearbeet, nu aber raus!«

Die meisten rekelten umher bis nach dem Mittagessen. Gegen Abend äußerten sie:

»Ick hab 'n Riecher, as ob heute mein Jraf in die Passage sitzt.«

»Wenn ick die Jeschichte meine Herren erzähl, setzt et noch wat extra for'n Strumpf.«

Sie verlangen geräuschvoll, daß man ihnen öffne.

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