Buch lesen: «Der Hund»

Der Hund

Im Salon eines Freundes hatten wir über die Seelenwanderung gesprochen. Die Liebhaber der Theorie vermochten untereinander in betreff einer besonderen Frage zu keiner Einigung zu gelangen. Es handelte sich um die Neigung, die jemand den Seelen sittlich niedrigstehender Menschen zugeschrieben hatte, auf Tiere überzugehen. Das Gespräch verlor sich mehr und mehr in Allgemeinheiten, und ein Skeptiker glaubte es zu beendigen, indem er bemerkte: „Sie werden niemals greifbare Beweise für eine Theorie beibringen in einem Lande, wo diese Theorie nicht gestaltenreich in der Volksseele lebt. Denn der Glaube schafft erst die Tatsachen.“

Hier unterbrach ihn die rauhe, ruckweis losgeeiste Stimme des alten Colonel Fastins.

„Kann sein, daß Sie recht haben. Wenigstens glaube ich, daß hier in Europa manche Vorkommnisse undenkbar sind, über die ich mich in Indien nicht weiter verwundert habe.“

Der Alte hatte die kurze Holzpfeife aus dem Munde genommen, was ein sicheres Zeichen dafür war, daß er eine Geschichte loszuwerden wünschte. Unter seinem schlohweißen Haar leuchtete sein Gesicht so rot, wie dreißig Jahre Indien es gemacht hatten. Er saß gerade aufgerichtet, nur die Arme leicht auf die Lehne gestützt. Seine hellblauen, scharfen Augen sahen zwischen mir und meinem Nachbar hindurch wie ins Weite. Wir warteten; dann begann er:

„Als junger Offizier hatte ich während einer der lokalen Revolten, die damals noch häufiger waren als heute, ein Detachement weit ins Innere zu führen. Es war ein vorgeschobener Posten in einem größeren Dorf, das niemals Einquartierung gesehen hatte. Die Bevölkerung zeigte sich nicht feindlich, aber mir war es klar, daß sie nächtliche Verbindungen mit den Aufständischen unterhielt, sie vielleicht verproviantierte, ohne daß indes zu erfahren war, wie und wo. Der Verkehr mit den verdächtigen Eingeborenen war meinen Leuten verboten, aber es gibt Anziehungen, die auch für den besten Soldaten stärker sind als ein Befehl seiner Vorgesetzten. Ein Fall beunruhigte mich vorzüglich, so daß ich mir den Übeltäter kommen ließ.