GANZIL - Tagebuch einer (Zwangs-) Maßnahme

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GANZIL - Tagebuch einer (Zwangs-) Maßnahme
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Heinrich Domhöfer

GANZIL - Tagebuch einer (Zwangs-) Maßnahme

Die ersten Wochen einer vom Jobcenter verordneten Maßnahme

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Erste Woche der Maßnahme

Die zweite Woche

Andere Meinungen zu sinnlosen Maßnahmen

Dritte Woche

Vierte Woche

Fünfte Woche

Sechste Woche

Siebente Woche

Achte Woche

Neunte Woche

Ende des Tagebuchs

Gutes, Schlechtes und wie es besser wäre

Anhang

Impressum neobooks

Inhaltsverzeichnis

GANZIL – Tagebucheiner (Zwangs-) Maßnahme

Die ersten Wochen

Ein nicht immer emotionsfreier Erlebnisbericht eines Teilnehmers einer vom Jobcenter verordneten (Zwangs-) Maßnahme namens GANZIL

von

Heinrich Domhöfer

V 1.1

www.tagebuch-einer-massnahme.de

© 2016 Heinrich Domhöfer

Sundgauer Straße 151a, 14167 Berlin, Tel.: 030 609 884 884

Alle Rechte liegen beim Autor.

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung und Vervielfältigung – auch auszugsweise – ist nur mit ausdrücklicher schriftlicher Genehmigung des Autors gestattet.

Alle Rechte, auch die der Übersetzung des Werkes, liegen beim Autor.

Zuwiderhandlung ist strafbar und verpflichtet zu Schadenersatz.

Die Namen von Bildungsträger, Coaches und anderen Personen wurden geändert.

Vorwort

Als ich gegen Ende März 2016 von meinem Sachbearbeiter des Jobcenters Berlin Steglitz-Zehlendorf einen Brief mit dem Vorschlag zu einer Maßnahme namens GANZIL erhielt, wusste ich noch nicht, was sich dahinter verbirgt.

Nach Aussagen des für mich zuständigen Sachbearbeiters, Herrn Z., sollte es sich dabei um die „bessere Alternative“ zu einer von mir im Januar dieses Jahres schriftlich beantragten Umschulung handeln. Das jedenfalls teilte er mir mit, als er mich telefonisch über die Ablehnung meines Antrags informierte.

Die darauffolgende Recherche im Internet vermittelte mir ein vollkommen anderes, ein vorwiegend negatives Bild von Maßnahmen mit dieser Bezeichnung.

Schon während des sogenannten Erstgesprächs, bei dem mir die Einrichtung und Teile der Maßnahme vorgestellt wurden, war ich mir sicher, dass es sich hier ganz bestimmt nicht um eine Alternative zu einer Umschulung handeln würde und schon gar nicht um eine bessere, wie seitens des Jobcenters behauptet wurde.

Da meine Neugier stärker war als meine Empörung und die immer wiederkehrenden Fluchtimpulse, beschloss ich, mir die Sache näher anzuschauen und ihr eine Chance zu geben – manchmal ist der erste Eindruck ja nicht auch gleichzeitig der richtige – manchmal!

Während der Zeit in dieser Maßnahme ist das vorliegende Buch entstanden. Ohne die Arbeit daran hätte ich diese sicher nicht so lange ertragen können.

Auf diese Weise konnte ich meine Eindrücke und den immer wieder aufkommenden Frust über die Situation, in der ich mich zwangsweise befand, auf- und verarbeiten. An den allermeisten Tagen war das Schreiben dieses Tagebuchs die einzige Beschäftigung während dieser Maßnahme, die Menschen aktivieren und dabei helfen soll, sie in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren.

So, liebes Jobcenter, wird das nichts werden. Falls Ihr wirklich wollt, dass Menschen in den ersten Arbeitsmarkt zurückfinden, solltet Ihr Euch schleunigst etwas Anderes ausdenken!

Erste Woche der Maßnahme
Das Erstgespräch

Die vom Jobcenter angeordnete Maßnahme sollte anfangs am 11.04.2016 beginnen. Da ich an diesem Tag meine fast siebenjährige Tochter betreuen musste, weil ihre Lehrer und Erzieher einen Studientag einlegten, konnte ich diesen Termin nicht wahrnehmen.

Natürlich benachrichtigte ich den mir zugewiesenen Bildungsträger SiDa per Fax darüber. Frau P. rief noch am selben Tag zurück. Da keiner meiner vier alternativen Terminvorschläge passte, einigten wir uns auf den 18.04.2016 für das Erstgespräch. In den nächsten Tagen erhielt ich ein Schreiben per Post, das den Termin nochmals bestätigte.

Am Montag um 9:30 Uhr sollte das Erstgespräch beginnen. Obwohl ich pünktlich vor Ort war, dauerte es rund zehn Minuten, bis ich aus dem Wartebereich abgeholt wurde. Beim Zahnarzt musste ich schon mal trotz Termin länger warten - also kein Problem.

Frau B., eine von insgesamt fünf Coaches, stellte sich kurz vor und führte mich in ihr Büro, wo wir einige Formalitäten klärten. Dann begann sie, das Projekt GANZIL vorzustellen. An erster Stelle steht, wenn ich das richtig verstanden habe, die Komplettierung und Optimierung meiner Bewerbungsunterlagen. Dazu werden auf einem USB-Stick entsprechende Vorlagen, für MS Word und Excel zur Verfügung gestellt. Auch Bewerbungsmappen sollen gestellt und Portokosten erstattet werden. Das Highlight aber stellt sicher das Anfertigen von professionellen Bewerbungsfotos dar.

Ganz prima bis jetzt!

Während der Maßnahme sollen Workshops zu den Themen Kommunikations- und Konflikttraining und Körpersprache stattfinden. Hört sich interessant an. Deshalb habe ich mich mal ein wenig umgeschaut, wo solche Kurse angeboten werden und wie lange die im Allgemeinen dauern. Irgendwie muss ja die Dauer von sechs Monaten in Vollzeit herkommen. Im Anhang habe ich einige Angebote zu diesen Themen zusammengestellt.

Während unseres immerhin knapp einstündigen Gesprächs musste ich mich immer wieder ein zusammenreißen, um meine Vorurteile gegen diese Maßnahme nicht ganz so offensichtlich zur Schau zu stellen. Immer scheint mir das aber nicht perfekt gelungen zu sein. Das war daran zu erkennen, dass mich Frau B. darauf hinwies, dass sie nicht mit mir über Sinn und Unsinn dieser Maßnahme diskutieren werde, da es ja immerhin ihr Job sei. Den will man sicher nicht gefährden, das leuchtete mir ein. Auch über die Auswahlkriterien des Jobcenters, wen dieses zu solchen Maßnahmen schicke, mache sie sich schon lange keine Gedanken mehr, bemerkte sie in einem Nebensatz.

Nach unserem Plausch geleitete mich Frau B. wieder in den Empfangsbereich, wo wir uns voneinander verabschiedeten. Ich wartete einige Minuten um dann bei Frau P. den Vertrag zu dieser Maßnahme zu unterzeichnen - einen Ausweg schien es nicht zu geben.

In der “Coaching-Vereinbarung”, wie sich dieser Vertrag, den ich unterschreiben musste, nennt, werden die offiziellen Ziele dieser Maßnahme beschrieben.

Die Coaching-Vereinbarung

In der Präambel gibt die Dr. G. SiDa GmbH ihr Selbstverständnis und ihre Ziele zum Besten. Seit vielen Jahren sehe man es demnach als Aufgabe an, Kunden der Arbeitsagenturen und Jobcenter zu beraten und zu unterstützen. Ziel sei es dabei, gemeinsam eine neue Lebensperspektive zu entwickeln. Wichtig sei ihnen dabei eine intensive auf Vertrauen basierende Zusammenarbeit. Im Rahmen des Projekts GANZIL biete man einen umfassenden Beratungsservice zur Entwicklung und Verbesserung der aktuellen Lebenssituation.

SiDa will, so heißt es weiter, mich dabei unterstützen, meine Lebensqualität zu verbessern und mir eine Jobperspektive eröffnen. Dafür nehmen sich Berater und Coaches Zeit.

Nun habe ich doch fast die ganze Präambel wiedergegeben. Eines Kommentars möchte ich mich an dieser Stelle aber noch enthalten. Wie das beschriebene Vorhaben umgesetzt wird, werden wir bestimmt im Laufe der nächsten Wochen sehen und einen entsprechenden Kommentar werde ich dann bestimmt noch nachreichen - auch wenn es mir wirklich schwerfällt, mich zurück zu halten.

Neben der Präambel enthält der Vertrag vier Paragraphen, die Rechte und Pflichten von Bildungsträger und Maßnahmenteilnehmer, also mir, regeln.

Gemäß Paragraph eins der Vereinbarung verpflichtet sich SiDa dazu, ”über die verpflichtenden Anwesenheitszeiten hinaus”, zum Angebot von Gesprächsterminen und einer telefonischen Beratung in dringenden Fällen während der Geschäftszeiten, zur Unterstützung beim Umgang mit Behörden, Krankenkassen und ähnlichen Einrichtungen und ggf. sogar zur Begleitung bei Behördengängen.

 

Für Menschen, die nicht in der Lage sind, ihre Angelegenheiten zu besorgen sicher ein interessantes Angebot. Die Menschen, mit denen ich mich im Allgemeinen umgebe, werden von einem solchen Angebot eher nicht profitieren können. So mancher wird hier Vermutungen darüber anstellen, an welche Zielgruppe sich dieses Angebot zu wenden scheint.

Wie fühlt man sich wohl, wenn man nicht zu der Zielgruppe dieses Angebots gehört und dennoch so behandelt wird?

Paragraph zwei regelt die Pflichten der Teilnehmer. Demnach bin ich zur regelmäßigen Teilnahme an vier Tagen pro Woche in der Zeit von jeweils 9-15 Uhr, der Wahrnehmung vereinbarter Gesprächstermine, rechtzeitiger Absage bei Verhinderung sowie der Mitteilung relevanter Änderungen (Adresse, Telefon, Arbeitsaufnahme etc.) verpflichtet.

Darüber hinaus verpflichte ich mich zu einer “vertrauensvollen” Zusammenarbeit, um gemeinsam eine neue Perspektive zu entwickeln.

Bei einer Zwangsmaßnahme, wie sie hier zweifelsfrei vorliegt, könnte ich mir gut vorstellen, dass es bei der Vertrauensfrage zu Problemen kommen könnte. Jemanden dazu zu verpflichten, einem vollkommen Fremden zu vertrauen, scheint mir ein wenig paradox. Hat Vertrauen nicht auch mit Freiwilligkeit zu tun? Muss Vertrauen nicht verdient werden?

In Paragraph drei bietet mir SiDa an, bis zu sechs Monate über die vereinbarte Laufzeit hinaus kostenlos für Gespräche zur Verfügung zu stehen und die “Computerlabore” während der Geschäftszeiten nutzen zu dürfen. Auch weitere Unterstützung sowohl bei erfolgreicher als auch nicht erfolgreicher “Integration in den Arbeitsmarkt” wird kostenlos angeboten.

Paragraph vier greift die Aussagen des Paragraphen zwei auf und wiederholt meine Verpflichtung zur Mitteilung relevanter Veränderungen. Darüber hinaus erkläre ich mich damit einverstanden, dass ein eventueller Arbeitgeber nach sechs Wochen und nochmals nach sechs Monaten nach Arbeitsaufnahme zur “Erhebung über den Verbleib in Arbeit in Form einer schriftlichen Bestätigung” kontaktiert werden darf.

Hier scheint mir recht deutlich zu werden, dass ich hinten herum doch noch an einen Privaten Arbeitsvermittler weitergereicht worden bin, was ich bisher erfolgreich und aus Überzeugung vermeiden konnte, weil ich in der Vergangenheit einige Einblicke in deren Arbeitsweise gewinnen konnte - wirklich seriös scheint das nicht immer alles zu sein. Aber ich will ja möglichst vorurteilsfrei an die Sache herangehen.

Als Anhang gibt es noch eine „Projektordnung“ und ein Merkblatt über die „Anwesenheits-Regelungen“. Den Inhalt hier wiederzugeben, erspare ich mir an dieser Stelle, werde aber später bestimmt hin und wieder darauf Bezug nehmen. Interessierten maile ich gerne eine Kopie.

Das war es für heute. Morgen geht es dann ab 9:00 Uhr weiter und ich bin gespannt darauf, was mich erwartet.

Erster Tag - Dienstag
Der Clever Club

Eigentlich wollte ich der Sache eine Chance geben und vollkommen unvoreingenommen den ersten Tag beginnen. Allerdings ist mir das nicht wirklich über den ganzen Tag hinweg gelungen, aber dazu dann mehr im folgenden Text.

Beginn der Maßnahme ist um 9:00 Uhr. Mein Tag begann schon ein wenig früher.

Nachdem ich meine (bald) siebenjährige Tochter in die Schule gebracht hatte, fuhr ich direkt zum Ort der Maßnahme. Nach Hause zu fahren hätte sich nicht gelohnt. Da ich mit Motorrad unterwegs bin, war ich trotz Berufsverkehr recht zügig vor Ort und Parkplatzprobleme gibt es mit diesem Gefährt auch eher selten. Nachdem ich mein Fahrzeug vor der Bildungseinrichtung abgestellt hatte, verfügte ich noch über ausreichend Zeit, und dachte daran, in der Nähe eine Kleinigkeit zu frühstücken. Es ist wirklich erstaunlich, wie viele Geschäfte um 8:30 Uhr noch geschlossen sind. Nach kurzer Suche fand ich aber ein kleines gemütliches Café in der Nähe. Als ich es mir mit einer Tasse Kaffee und einem Stück Gebäck, an einem Tisch halbwegs gemütlich gemacht und mein kleines schwarzes Notizbuch herausgeholt hatte, ging es auch schon los:

Der Sinn dieser Maßnahme will sich mir nicht erschließen”,

schrieb ich, nachdem ich daran gedacht hatte, welche “Angebote” auf mich warteten. Aber ich wollte ja unvoreingenommen in die Maßnahme gehen, also schnell den Gedanken wieder verworfen. Nachdem ich meinen Kaffee ausgetrunken hatte, machte ich mich auf den Weg, um nicht doch noch unpünktlich zu sein.

Rund zehn Minuten vor dem offiziellen Beginn trug ich mich in die ausliegende Anwesenheitsliste ein. Das heutige Angebot lautete “Clever Club” - den Namen empfand ich schon als unangenehm, als ich ihn am Montag während des Erstgesprächs zum ersten Mal hörte. Hört sich an wie „Tigerenten Club“, eine Fernsehsendung für Kinder. Vielleicht bin ich im Moment aber auch nur ein wenig übersensibel. Da ich ja unvoreingenommen an die Sache herangehen wollte, dachte ich nicht weiter über den Sinn der Namensgebung nach und suchte einfach den Raum 2.3 auf, in dem die Veranstaltung stattfinden sollte. Dort wählte ich einen Sitzplatz aus, von dem ich glaubte, den besten Überblick zu haben und machte es mir, so gut es ging, bequem. Von meinem Platz aus konnte ich die bereits anwesenden und die neu hinzukommenden Teilnehmer gut beobachten.

Die Dozentin erschien pünktlich und die Veranstaltung begann ganz gemächlich. Eine Vorstellungsrunde blieb aus, was ich als positiv empfand. Es wurde lediglich festgestellt, dass einige neue Teilnehmer anwesend waren, wozu auch ich gehörte, und dann begann man mit der Themenauswahl. Das neue aktuelle Thema für heute sollte Afrika sein, nachdem in der Vergangenheit bereits Amerika oder genauer Nordamerika behandelt worden war. Dabei wurde auch gleich noch ein Besuch des Ethnologischen Museums in Berlin Dahlem vorgemerkt, der irgendwann in der Zukunft stattfinden soll – mit Führung, wie für diese Veranstaltungen üblich.

Da kam auch schon die Frage von einer der neuen Teilnehmerinnen, worum es hier eigentlich ginge und was das mit Bewerbungstraining zu tun habe. Eine ähnliche Frage schwirrte mir auch schon seit Beginn der Veranstaltung im Kopf herum. Gut dass sie jemand stellte.

Irgendwie ginge es hier um Allgemeinbildung, kam aus den Reihen der erfahreneren Teilnehmer als Antwort, und außerdem sei die Teilnahme freiwillig, wenn es ihr nicht gefallen würde, könne sie auch gehen. Die Freiwilligkeit wurde etwas später auch noch mal von der Dozentin betont, die nochmals ausdrücklich darauf hinwies, dass die Fragestellerin jederzeit, auch jetzt sofort, die Veranstaltung verlassen könne. Diese wolle aber, wie sie entgegnete, die Sache erst einmal beobachten.

Das war nun also geklärt. Es ist alles freiwillig. So freiwillig, wie die Teilnahme an einer Veranstaltung innerhalb einer Zwangsveranstaltung wie dieser Maßnahme halt sein kann. Die Fragestellerin war jedenfalls nach der großen Pause nicht mehr an ihrem Platz.

Nachdem die Dozentin einen Wikipedia-Eintrag zum Thema „afrikanische Kulturareale“ mit dem, zur Ausstattung dieses Mehrzweckraums gehörenden, Projektor an die Wand geworfen und kurz vorgestellt hatte, wurden die einzelnen Themen an die Teilnehmer des Clubs verteilt. Üblich wäre es, so erfuhren es die neuen, dass die Teilnehmer einzeln oder in Gruppen verschiedene Themen vorbereiteten und diese dann den anderen in fünfminütigen Kurzreferaten vorstellten. Die Neuen seien diesmal noch von dieser Regel ausgenommen.

Hier möchte ich kurz den zeitlichen Ablauf verdeutlichen:

Beginn um 9:00 Uhr, um 9:30 Uhr ging es dann richtig los. Es wurde das Thema vorgestellt und die Referatsthemen verteilt. um 10:00 Uhr ging es dann in die Computerräume, wo jeder für sich oder in der Gruppe sein Thema recherchieren konnte. Dafür war Zeit bis 11:30 Uhr vorgesehen.

Auch ich begab mich zu den Computern, um zu schauen, wie es weitergeht. Nachdem ich kurz ein wenig zum Thema nachgelesen hatte, stellte ich fest, dass es noch immer uninteressant war und mich wohl kaum dem Ziel, eine gescheite Arbeit zu bekommen, näherbrachte, so dass ich meinen Computer für andere freimachte und mich in den Aufenthaltsraum begab, um dort einige Notizen über meine bisherigen Erlebnisse und Beobachtungen anzufertigen – nicht, dass ich nachher etwas vergesse.

Unter anderem notierte ich, dass die Computer, mit nicht gerade der aktuellsten Software ausgestattet sind. MS Windows XP ist auf den Computern installiert. Dieses Betriebssystem erhält seit April 2014 keine Updates mehr von Microsoft, also schon seit zwei Jahren. Und das MS Word 2007, das ich zwischenzeitlich aufgerufen hatte ist auch schon etwas in die Jahre gekommen.

“Ich bin gespannt, wie ich hier sechs Monate lang die Zeit totschlagen soll”, schrieb ich gerade in mein kleines schwarzes Notizbuch, als ich meinen Coach, Frau B., an der offenstehenden Tür des Aufenthaltsraumes vorbeihuschen sah. Offensichtlich bemerkte auch sie mich, denn sie kam zurück und fragte mich, wie es mir ginge. Gut, antwortete ich, nur ein wenig langweilig sei es halt. Ich erwähnte auch kurz die Ambivalenz, die ich bei diesem Clever Club verspürte. Zum einen sicher interessant, andererseits aus meiner Sicht eher mäßig zielführend. Ihrem Gesichtsausdruck konnte ich entnehmen, dass sie mit meiner Antwort nicht wirklich glücklich war. Sie bat mich zu sich ins Büro, um mit mir einen Gesprächstermin zu vereinbaren. Dabei soll es dann darum gehen, meine Bewerbungsmappe zu sichten und zu optimieren.

Angeblich könne man an den zukünftigen Ausflügen, an den sogenannten Aktivtagen, die immer freitags stattfinden, nur teilnehmen, wenn man einen Berlinpass besitzt.

Wer nicht weiß, was ein Berlinpass ist, findet auf der Internetseite der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales weitergehende Informationen. Demnach ermöglicht der Berlinpass

„Berlinerinnen und Berlinern, die Hartz IV, Sozialhilfe, Grundsicherung oder Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, den vergünstigten Eintritt bei Kultur, Bildung, Sport und Freizeit und bietet ihnen so die Gelegenheit, trotz eines geringen Einkommens am sozialen und kulturellen Leben in Berlin teilzunehmen“.

Um diesen Ausweis beim Bürgeramt zu beantragen, könne ich jetzt auch ausnahmsweise früher los, teilte mir Frau B. mit, obwohl ich sie bereits sehr deutlich, wie ich meine, darauf hingewiesen habe, dass ich diesen Pass bisher nicht benötigt habe und ihn für diese Maßnahme sicher auch nicht extra beantragen werde. Vielleicht war ich aber einfach noch nicht deutlich genug.

Nach unserem kurzen Gespräch sorgte sie noch dafür, dass ich meinen „Stick“ bekam. Dabei handelte es sich um einen USB-Stick, also einen externen Speicher, den man in die entsprechende Schnittstelle eines Computers steckt, um dann Daten darauf zu speichern oder davon abzurufen. Da so ein Stick praktisch in jede Hosentasche passt, kann man die darauf befindlichen Daten zum einen bei sich tragen und zum anderen natürlich an praktisch jedem gängigen Computer benutzen. Dadurch kann man seine Daten (Bewerbungen, Anschriften, etc.) auch problemlos weitergeben oder von anderen weitere Daten aufgespielt bekommen.

Neugierig begab ich mich sofort in einen der drei Computerräume, um mir einen Überblick vom Inhalt zu verschaffen. Dabei kam ich an einem eingeschalteten Computer vorbei auf dem ein Beitrag zum Thema “kann mich das Jobcenter zu dieser Maßnahme zwingen und was kann ich dagegen tun” geöffnet war. Ich musste schmunzeln, offensichtlich war ich nicht der einzige, der sich hier fehl am Platze fühlte.

Obwohl der Stick nichts Besonderes enthielt, außer einigen Vorlagen für Bewerbungsmappen, die sich auffallend ähnelten, habe ich beim Durchschauen ein wenig die Zeit vergessen, so dass ich erst einige Minuten nach 11:30 Uhr wieder in den Raum des Clever Clubs zurückkehrte. Die Referate waren schon im Gange.

Um 12:00 Uhr begann die einstündige Mittagspause.

Die nutzte ich, um mich mit einem der Teilnehmer ein wenig ausführlicher zu unterhalten. Dieser ist sicher an die 60 Jahre alt und hat bereits Maßnahmenerfahrung. Vor dieser Maßnahme besuchte er eine andere, bei der allerdings die Anwesenheit strenger kontrolliert wurde. In dieser Maßnahme wurde viel geredet, man ging spazieren und musste “lustige” Matheaufgaben lösen - gebracht hat es ihm allerdings nichts, reine Beschäftigung halt. Genau wie die jetzige - aber so ist das halt.

 

“So ist das halt”, hört sich schon nach Resignation an, ich will mich sicher nicht einfach damit abfinden, kann mir aber sehr gut vorstellen, dass man in einen solchen Zustand, in dem man einfach alles als unabänderlich hinnimmt, verfallen kann, wenn man nur lange genug in dieser Maschinerie verweilt.

Dieses „So ist das halt“ in verschiedenen Variationen sollte ich noch häufiger zu hören bekommen.

Die Mittagspause war einfach zu lang, so dass ich deutlich zu früh wieder im Veranstaltungsraum war, wo ich die Gelegenheit nutzte, mit weiteren Teilnehmern zu sprechen.

Einer der Teilnehmer äußerte im Laufe des Tages, dass es zum Glück sein letzter Tag bei dieser Veranstaltung war, denn am kommenden Montag sei er den letzten Tag da. Natürlich fragte ich ihn nach seinen Erfahrungen und ob er die Maßnahme insgesamt als für ihn vorteilhaft ansehen würde. Die Antwort hätte ich mir denken können. Gebracht habe es ihm nichts und eine Arbeit hatte er natürlich durch diese Maßnahme auch nicht gefunden (sonst wäre er ja auch nicht die kompletten sechs Monate hier gewesen). Und schon wieder wurde ich in meinen Befürchtungen bekräftigt. Ich gebe die Hoffnung aber nicht auf, vielleicht geschieht ja noch etwas Positives und ich will ja auch weiterhin vollkommen unvoreingenommen an diese Sache herangehen, was mir aber nach dem heutigen Tage auch nicht wirklich leichter fällt.

Nach der Mittagspause ging es gegen 13:00 Uhr weiter. Um 14:00 Uhr bereits die nächste Pause bis 14:20 Uhr. Dann gab es noch einen Film zum Abschluss. Eine Arte Produktion, “Die Toten der Sahara”. Zwar könnten wir den rund 50-minütigen Film in der uns verbleibenden Zeit nicht mehr ganz sehen, aber immerhin wenigstens etwas, hieß es. Leider wurde der Film vollkommen ruckelig widergegeben, so dass ich lieber die Augen schloss, und mich auf den Ton konzentrierte. Vielleicht schau ich mir den Film mal ganz in Ruhe zu Hause an.

Schwupps, war die Zeit vorbei. 15:00 Uhr. Raus, aus der ausliegenden Anwesenheitsliste austragen und ab nach Hause.