Lebensenergie im Gleichgewicht

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Eine Kernaussage kristallisierte sich jedoch heraus. Maria – so hieß die Großmutter – wollte, dass ich Julia mitteilte, ihr Verlobter sei nicht der Richtige für sie. Das ging mir zu weit, und darum weigerte ich mich, das zu sagen. Maria bestand jedoch darauf, dass Julia es wissen sollte. Also druckste ich herum, bis ich damit herausrückte und Julia sagte, ihre Großmutter meine bzw. sei sich sogar ziemlich sicher, der Verlobte ihrer Enkelin sei nicht der richtige Mann für sie.

Julia betonte, sie und ihr Verlobter seien bereits seit sieben Jahren zusammen. Es habe lange gedauert, um an diesen Punkt zu kommen. Und sie sei sicher, den Mann ihres Lebens gefunden zu haben. »Kann sie mir einen Hinweis geben, warum er nicht der Richtige ist?«

Ich reichte die Frage an Maria weiter. Sie zeigte mir eine gelbe Linie, die sich leuchtend im Raum ausspannte und plötzlich in zwei Linien zerteilte.

»Maria meint, es käme zu einer Trennung.«

»Und warum?«

Ich sah eine jüngere Frau, die auf der einen Seite der neu aufgeteilten Linie stand. »Wegen einer jüngeren Frau.«

Was macht man nun mit einer solchen Information? Sollte Julia ihre Verlobung hinwerfen, nur wegen dieser Prognose? Oder weitermachen und am Ende erkennen, dass die Verstorbene recht behalten hatte?

Wir entschieden uns, ein Zeichen einzufordern. Wenn Maria es so ernst war, sollte sie uns eine Information geben, die nur sie haben konnte und die Julia davon überzeugen würde, das Richtige zu tun. Alles, was ich daraufhin sah, war die Großmutter, wie sie einen Welpen streichelte, mehr nicht.

Julia wusste damit nichts anzufangen. Sie hatte keinen Hund und kannte auch niemanden, der einen Welpen hatte. Ebenso wenig hatte sie die Absicht, sich einen zu kaufen.

So gingen wir auseinander.

Etwa zwei Monate später rief sie bei mir an. Die Tochter einer Freundin hatte zum Geburtstag einen Golden Retriever von ihren Eltern geschenkt bekommen, einen süßen kleinen Welpen. Leider war der Hund kurz darauf sehr krank geworden, musste operiert werden und verstarb an den Folgen der Operation. Eine zuchtbedingte Verengung der Blutgefäße hatte zu Komplikationen geführt.

Für Julia war dies der Welpe, den ihre Großmutter gestreichelt hatte; er war jetzt bei ihrer verstorbenen Großmutter. Zu dem Zeitpunkt, als wir telefonierten, wusste Julia noch nicht, ob sie sich tatsächlich von ihrem Verlobten trennen sollte oder nicht, und ich gab ihr diesbezüglich auch keinen Rat. Denn das ist das Problem mit Informationen aus der Zukunft: Zuweilen sind es selbsterfüllende Prophezeiungen, das heißt, das Wissen um ein schreckliches Ereignis führt erst zum Unheil, anstatt es zu verhindern.

So erlebte es beispielsweise eine Klientin, die an Rückschmerzen litt, nachdem ein Bandscheibenvorfall im Krankenhaus diagnostiziert wurde, und die augenblicklich geheilt war, als sich dies als Fehldiagnose herausstellte.

Angstfrei mit dem Thema »Tod und Tote« umzugehen ist schwer. Es bedeutet das Ende des Lebens, an das wir uns mühevoll gewöhnt haben. Für mich war es tröstlich, zu sehen, dass es keine Hölle oder strafende Instanz im Jenseits gibt. Tatsächlich geht es dort sehr lebendig zu. Die Verstorbenen sind menschlich. Sie haben Langeweile oder zeigen Interesse, sie ärgern und sie freuen sich. Mörder und Vergewaltiger bereuen ihre Taten zuweilen oder auch nicht. Wenn ich griesgrämige Tote kontaktiere, haben diese mitunter noch immer keine Lust, mit den Hinterbliebenen zu sprechen. Andere sind hoch erfreut, endlich ihre Botschaft mitteilen zu dürfen. Daneben tummeln sich Geistwesen, die nie einen materiellen Körper besessen haben.

Das Reich der Energie ist mit dem Internet vergleichbar. Jede Seite entspricht einem Aspekt des Göttlichen. Nichts wird jemals wirklich gelöscht. Und selbst was sich wandelt und ändert, bleibt im Kern immer gleich. So verstehe ich auch spirituelle Entwicklung und Reinkarnation. Alles dreht sich im ewigen Wandel und bleibt dennoch in seinem innersten Wesen gleich.

Frühere Leben

Stell dir vor, du lebst in einem Film, der in der Ewigkeit spielt. Alles, was du tust, wird aufgezeichnet. Für dich als Mittelpunkt des Films gibt es immer nur die Gegenwart, das Jetzt. Der Film hat gerade begonnen, und du öffnest eine Tür. Davor stehst du selbst, drehst dich um und rennst weg. Du läufst dir also selbst hinterher und triffst überall auf dich. Der Film hat gerade erst angefangen, und dennoch siehst du dich aus der Nähe und Ferne, läufst dir kreuz und quer über den Weg und stehst dir unverhofft gegenüber … Am Ende des Films bist du dann die Person, die ganz am Anfang erschrickt, weil vor ihr eine Tür aufgeht. Du rennst davon, damit der Film beginnt. Jetzt erinnerst du dich vielleicht, dass du das einmal gewesen bist, der jetzt hinter dir her rennt. Und dennoch ist da dein »Ich«, für das dies genau jetzt zum ersten Mal geschieht …

Verwirrend, aber in einer Welt ohne Zeit wäre das die Realität. Es gibt das Hier und Jetzt, aber in ihm ist bereits die Zukunft und die Vergangenheit enthalten. Die Zukunft wirkt auf die Vergangenheit ein und umgekehrt.

Das ist die Situation, in der wir leben. So sehe ich frühere und kommende Inkarnationen. Das Leben gleicht einem Blumenstrauß, worin jede einzelne Lebens-»Blume« auf alle Leben Auswirkungen zeigt. Wir sind es gewohnt, Kontakt zu nur einem Leben zu empfinden, dem Leben, das wir hier und jetzt führen. Und so sorgen wir uns mitunter um die Leben, die hinter oder noch vor uns liegen. Dabei sind wir all diese Leben zugleich. Du bist Hunderte, Tausende, Abermillionen von Leben, die hier und jetzt auf dich einwirken. Räumlich kann man sich das noch vorstellen, als würde man einen ganzen Planeten bevölkern. Aber zeitlich? Da hört die Vorstellungskraft auf.

Was der Vorstellung des Karmas am nächsten kommt, ist die Wechselwirkung zwischen all diesen Leben und dem einen Leben, das wir in diesem Augenblick führen. Es gibt keine strafende Instanz im Kosmos; niemand will uns etwas Böses, ausgenommen wir selbst. Die Bestrafung oder Belohnung, die wir erfahren, entsteht durch das Anziehen und Abstoßen guter und schlechter Kräfte, angenehmer oder unangenehmer Leben …

Du kannst dich reinkarnieren, du kannst es aber auch lassen. Ob das eine besser ist als das andere, entscheidet niemand anderes als du. Böse Taten fallen nur auf dich zurück, wenn du das willst. Die Absicht ist entscheidend. Zu denken, das wäre unmoralisch, entspricht wieder dem Schwarz-Weiß-Muster, in das wir Menschen so gerne verfallen.

Die Kraft der Entscheidung

Entscheidungen, die wir treffen, fallen nieder wie ein Schwert. Entscheidungen trennen uns, zerteilen uns oder adeln unser Tun. Immer wieder höre ich, es sei schwer, sich den Ängsten, der Trauer oder der Wut zu stellen. »Sie sind einfach zu groß«, lautet das Argument. Dabei ist die beängstigende Größe deiner Gefühle auch eine Entscheidung, ebenso wie die Angst vor der Trauer oder die Angst vor der Angst … Es sind Wertungen, die darüber entscheiden, ob wir leiden oder nicht. Das zu begreifen, ist von fundamentaler Bedeutung, und noch wichtiger ist es, das zu erleben. Es ist deine Entscheidung, die besagt, die Angst ist zu groß. Es ist dein Urteil, das lautet, Wut sei schlecht, woraufhin sich deine Energie auch schlecht anfühlt. Oder es besagt, Wut sei gut, wodurch die Energie frei durch deinen Körper fließen kann. Was wir negativ bewerten, trennen wir von uns. Demnach ist es weise, alles gut zu bewerten, was in uns ist; oder es bewusst negativ zu bewerten, um die Trennung deutlich zu machen.


Grafik: Weniger Wertung – mehr Energie. Wenig Ego, viel Energie – so lautet eine alte Weisheit. Wer seine Energie für Wertungen und Gedanken verwendet, dem fehlt sie für das Fühlen und Lenken seiner Energie.

Diese Weisheit ist uralt. Seneca wurde regelmäßig von Asthma gequält. Lag der Schatten seiner qualvollen Atemnot auf ihm, fing er an, aus diesen Erstickungsanfällen eine kontemplative Übung zu machen. Sobald sich seine Brust zuschnürte und er nach Luft zu ringen begann, bejahte er diesen Zustand als selbstgewählt und -gewollt. So ging er gestärkt anstatt mit geknicktem Ego und gebrochenem Lebenswillen aus den Anfällen hervor.

Die Menschen in der heutigen Zeit produzieren all ihre Probleme selbst. Der Mensch leidet nur an sich selbst. Er ist die Krankheit, die er zu kurieren versucht. Kein Mensch mehr zu sein, ist also die Lösung, zu der wir alle streben – bewusst oder unbewusst.

Wer keine Angst mehr haben möchte, will aufhören, ein Mensch zu sein; denn der moderne Mensch plagt sich selbst pausenlos mit seinen Ängsten. Wer Tag und Nacht seine Liebe spüren möchte, der will aufhören, ein Mensch zu sein; denn der moderne Mensch liebt und hasst im Sekundentakt. Wer das Licht der Freude in seinem Herzen entzünden will, damit es in sein Leben strahlt, der will kein Mensch mehr sein; denn der moderne Mensch freut sich nur selten und nie ohne Grund. Menschen brauchen für alles Gründe, Erklärungen und Beweise. Kinder nicht. Tiere nicht. Und auch Götter nicht. Wer also aufhören will –der soll aufhören.

Aber wir glauben noch immer, das Leben habe uns nicht fair behandelt. Wir glauben an unseren Schmerz, wir glauben an unser Leid. Ja, wir wollen die Mühsal und den Schmerz als Beweis dafür, dass wir recht hatten mit unserer schlechten Meinung über das Leben. Also behalten wir auch recht. Denn eins ist sicher: Das, woran wir glauben, wird unsere Wirklichkeit werden. Das gilt für Wissenschaftler ebenso wie für fundamentale Christen. Das, woran wir glauben, wird unsere Realität. Also sollten wir weise entscheiden, woran wir glauben wollen und woran nicht.

 

Sorgen und Ängste sind nichts Schlechtes, aber in der großen Menge, in der wir diese Pflanzen hegen und pflegen, haben sie die Form von Unkraut angenommen. Sorgen wuchern unkontrolliert. Ängste ranken sich aus allen Mündern. Diese Ängste sind ansteckend.

Die Angst ist ein Gefühl, welches im Kopf entsteht. Wir vermehren die Angst kraft unserer Gedanken. Wer also aufhört, sich das schlimme Szenario auszumalen, wird auch weniger Angst verspüren. Hören wir auf, Dünger auf die Gewächse unserer Ängste zu gießen! Stattdessen wollen wir unsere Ängste lieber beim Namen nennen, denn sie lösen sich in Luft auf, werden sie beim Namen genannt. Die Angst gleicht dem Rumpelstilzchen: Wird sie bei ihrem Namen gerufen, löst sie sich auf.

Dafür ist es notwendig, genauer hinzuschauen. Ängste erscheinen oft in Verkleidung. Wen Flugangst plagt, der hat in Wahrheit keine Angst vor dem Fliegen – er hat Angst vor dem Tod. Diese Angst ist also der Name der Flugangst. Gibt dieser Mensch seine Flugangst zu, lacht das Rumpelstilzchen bloß. Sagen wir aber: »Ich habe Angst vor dem Tod«, dann erkennen wir die Tiefe des Gefühls an, können uns mit der wahren Angst konfrontieren. Jetzt liegt es an uns, was größer ist: unsere Angst oder unser Wille. Können wir mit der Angst sein, statt ängstlich zu sein, löst sie sich langsam vor unseren Augen auf. Angst vor Schmutz, Angst vor Menschen, Angst vor Tieren …, all das sind Ängste in Verkleidung. Was ist die wahre Angst dahinter? Worum geht es wirklich?

Als Opfer der Angst, der Wut oder der Trauer geben wir jede Verantwortung ab. Wir bleiben wehrlose Kinder, die schlecht von den Eltern versorgt wurden. Wir hegen die Hoffnung, es möge sich jemand erbarmen, der als Vater- oder Mutterersatz diese Bedürfnisse stillt. Vater Staat, der uns unterstützt, der Therapeut, der uns helfen soll, der Partner, der uns beistehen muss.

Wir sind der Engel, der von den teuflischen Gefühlen malträtiert wird. Wir werten unsere Gefühle als negativ, um selbst positiv dazustehen. Durch die negativen Wertungen unserer Gefühle vermögen wir die Guten zu sein, während ein anderer der Böse ist. Wir rutschen in die Opferrolle. Das ist der größte Fehler. Die Opferrolle ist in jedem möglichen Szenario falsch. Sie ist nicht real. Ja, wir lieben es, das Opfer zu sein – das Opfer unserer Umstände, das Opfer unserer Mitmenschen und nicht zuletzt das Opfer unserer Gefühle. Als Opfer sind wir die Guten und müssen uns nicht fragen, warum wir uns selbst so schlecht behandeln. Sobald du der Täter bist, musst du dich fragen:

Warum tue ich mir das an?

Warum tue ich mir den Stress an?

Warum tue ich mir weh?

Warum mache ich mich traurig?

Warum liebe ich mich nicht?

Warum gönne ich mir das nicht?

Vielleicht willst du dich zu Höchstleistungen ankurbeln? Womöglich glaubt ein Teil von dir, dich kontrollieren und korrigieren zu müssen? Oder es bohrt ein alter Schmerz in deinem Innersten, den du zwar fühlen, aber nicht anschauen möchtest?

Das alles sind Entscheidungen – Entscheidungen, die du früher getroffen hast, und Entscheidungen, die du noch heute triffst. Das Schwert der Entscheidung saust nieder und trennt dich in zwei Teile: Opfer und Täter. Diese Antipoden wieder zusammenzubringen, ist eine der wichtigsten Aufgaben überhaupt. Diese Trennung ist die Ursache jeden Konflikts. Jedes Leid der Erde, jede Strapaze, jede Krankheit und jedes Problem lässt sich darauf zurückführen, dass eine Trennung empfunden wird.

Die Auflösung der Trennung zwischen dir als Opfer und dir als Täter bedeutet Heilung.

Aus diesem Grund halte ich es mit Michel de Montaigne und widerstehe so lange wie möglich einer Wertung. Vieles im Leben erscheint erst in der einen Farbe und dann in einer ganz anderen. Wer die Ruhe bewahrt und nicht von einer Wertung zur nächsten galoppiert, behält am Ende recht. Da es von allem immer zwei Seiten geben muss, um ein Ganzes zu ergeben, gilt es, zwei widersprüchliche Meinungen in sich zu vereinen. So sehe ich die schicksalhaften Lebenspfade wie auch die Freiheit des Geistes –die im Widerspruch zueinander stehen. Ich sehe das Gute im Menschen, ohne seine bestialischen Züge zu verkennen. Chaos und Ordnung, Zufall und Schicksal, Liebe und Hass – sie alle sind keine Widersprüche, sondern zwei Seiten ein und derselben Medaille. Und diese Medaille sind wir selbst – ein kosmisches Bewusstsein, das dies alles betrachtet!

Vor uns spielt das Leben seine Streiche, verlockt uns schillernd wie ein Köder und kitzelt unsere tiefsten Instinkte. Wir wollen zupacken, es festhalten, uns eine Meinung bilden und sie lauthals verkünden, nur um am Ende zu sehen, dass alles falsch gewesen ist, was wir so vorschnell angenommen haben. Unser Geist rückt beständig alles neu ins Licht, anstatt sich selbst zu beleuchten.

Denn wer seinen Geist beharrlich beleuchtet …, findet Erleuchtung.

Negative Gedanken

Gedanken stehen meist im Widerspruch zur Realität. »Warum kann das nicht schneller gehen?« »Das gibt’s doch nicht, dass ich schon wieder zugenommen habe!« »Wieso passiert das ausgerechnet jetzt?« Gedanken sind mit Wünschen nahe verwandt; beide entspringen unseren ungestillten Bedürfnissen. Mit unseren negativen Gedanken wehren wir uns gegen die Realität, nachdem diese einen wunden Punkt getroffen hat.

Ist das Bedürfnis nach Ruhe groß, wünschen wir uns, entspannt auf der Couch zu liegen; stattdessen stehen wir im Supermarkt an der Schlange. Jetzt wollen wir die Realität kraft unserer Gedanken vorwärtsschieben, näher heranziehen oder rasch beiseitedrücken. Das bedeutet, wir schieben, ziehen und zerdrücken uns selbst. Alles, was wir der Welt gedanklich antun, tun wir uns selber an.

So wird das Warten in der Schlange zur Tortur. Wir zerren und drücken an uns herum. Und alles, was wir uns selber antun, wollen wir früher oder später jemand anderem antun. So tritt das vermeintlich Böse in die Welt, weil wir die Realität nicht akzeptieren.

Würden wir erkennen, dass unserem Bedürfnis nach Entspannung nichts entgegensteht, würden wir das Warten in der Schlange genießen. Aber wir sind es gewohnt, auf der Couch zu entspannen. Entspannen im Supermarkt kennen wir nicht. Was sagt das über uns aus? Was macht das aus uns? Wer sind wir, wenn wir alles locker sehen?

Davor haben wir Angst. Wir fürchten uns davor, die alten Muster zu lösen, aus Angst, jemand zu werden, den wir nicht kennen. Lieber sind wir der grantige Heinz oder die unzufriedene Lisa, als uns selbst neu kennenlernen zu müssen. Wir haben uns den Gefühlen der Eltern und Mitmenschen angepasst, und nun versuchen wir, diese Gefühle aufrechtzuerhalten, selbst wenn wir unter diesen Gefühlen leiden.

Unsere Gedanken haben kein Gewicht. Erst unsere Wertung – die Überzeugung, dass sie stimmen – verleiht ihnen die Schwere, die wir im Alltag empfinden. Ohne die Wertung ist jeder Gedanke nur eine flüchtige Idee, ein Windhauch, sonst nichts. »Ich bin zu dick« ist einer der häufigsten Gedanken der westlichen Hemisphäre. Mit der Überzeugung, dies sei wahr, wird aus dem sanften Hauch ein Orkan der Selbstvorwürfe.

Mit der Zeit hat sich das Denken verselbstständigt. Wir haben so viel und so oft in unserem Leben etwas gedacht, dass dieses »wertende Denken« ohne unseren Willen geschieht; es hat sich zu einer eigenständigen Instanz in uns entwickelt.

Auch das ist nicht schlimm. Denn jeder selbstständig arbeitende Teil in uns wird leiser und leiser, sobald wir uns seiner nicht länger bedienen. Was wir dafür brauchen, ist eine Instanz, die unsere starken Wertungen abfedert. Der Gedanke »Ich bin zu dick« wird erst zu deinem Problem, wenn du zusätzlich sagst: »Ja, das ist wahr!« Jetzt fühlst du dich dick. Aus einem Gedanken ist ein Gefühl geworden. Genau das ist das Problem.

Gedanken ziehen uns mit ihrem Schwarz-Weiß-Muster (»wahr« oder »falsch«) in ein schwarz-weißes Fühlen hinein, das nicht der Realität entspricht. Gefühle sind nicht schwarz oder weiß, sie sind farbenfroh und changieren in mehrdimensionalen Aspekten wie ein Kristall. Die Realität entsteht durch Relationen, sie ist relativ wie unsere Gefühle. Aber unsere Gedanken sind fixiert. Ein objektives Denken wäre ein Denken ohne Wertung. Es wäre ein Jein-Den- ken, weder wahr noch falsch, sondern »sowohl als auch«. Es lässt die schwarze und die weiße Seite stehen, um selbst in der Mitte zu bleiben.

Diese wertfreie Form des Denkens lässt sich erlernen. Dafür sollten wir unsere Gedanken konsequent relativieren. Wir neutralisieren die Säure der Wertung, wenn sie uns zerfrisst. Dabei hilft es, zu erkennen, dass kein Gedanke richtig oder falsch, sondern wahr und falsch ist.

Um das herauszufinden, gibt es eine einfache Übung. Beantworte dir selbst eine Frage in Bezug auf irgendeinen deiner Gedanken: Ist der Gedanke auch noch wahr, wenn du ihn ins Extreme steigerst? Wenn nicht, war bereits von Anfang an eine Unwahrheit in ihm enthalten, die du gleichsam aufgeblasen hast. Die Übertreibung der Gedanken macht ihren Fehler sichtbar.

Das überprüfen wir. Schreibe deine lästigen Gedanken auf. Ich meine es ernst, hole bitte ein Blatt Papier und einen Stift und schreibe die wiederkehrenden Gedanken auf, die dich belasten, zum Beispiel: »Das Leben ist sehr mühsam und anstrengend.« Jetzt steigere diese Aussage bis in ihr Extrem, in diesem Fall zum Beispiel: »Das Leben ist eine einzige Qual, es besteht nur aus Mühsal und Plackerei.« Diese Aussage ist offensichtlich nicht mehr richtig. Denn bei aller Mühe und Qual können wir auch ausruhen und schlafen. Wenn die Aussage im Extrem nicht mehr stimmig ist, war sie es auch vorher nicht. Wenn sie jetzt nicht mehr wahr ist, lagst du vorher bereits ein wenig falsch.

Was heißt das? Die Übersteigerung einer Wahrheit pustet sie gleichsam auf und macht den ihr innewohnenden Irrtum sichtbar


Grafik: Relativität der Wahrheit Die Übersteigerung einer Wahrheit pustet sie gleichsam auf und macht den ihr innewohnenden Irrtum sichtbar. Jede Wahrheit ist demnach relativ und enthält ihre eigene Unwahrheit. Jedes Urteil, das wir fällen, sollte lieber weich sein, im Gedenken an seine Unwahrheit, die untrennbar in ihm steckt. So lernen wir ein wertungsfreies Denken.

Es ist an der Zeit, eine wichtige Erkenntnis zu verinnerlichen: In jeder Wahrheit ist ihr Gegenteil enthalten. Nehmen wir die Aussage »Ich bin ein Mann«. Das ist die Wahrheit. Übertreibe ich dieses Urteil, würde ich sagen: »Ich bin der männlichste Mann, der jemals gelebt hat. Männlicher als ich war keiner, ist keiner und wird auch niemals jemand sein!« Das ist ganz offensichtlich falsch. Wie männlich bin ich also wirklich? Und sind es nicht gerade meine weiblichen Anteile, die Freunde und Familie ebenfalls schätzen? Also bin ich zwar ein Mann, aber nicht ausschließlich männlich und möchte das auch gar nicht sein. Wie wahr ist jetzt meine Wahrheit? Oder wie erlogen ihr Gegenteil? »Ich bin ein Mann« ist plötzlich eine Wahrheit, die ein wenig nach Lüge schmeckt. Dies gilt für jede Wahrheit, die existiert. Denn indem ich etwas behaupte, steht im Kontrast zu meiner Behauptung – und gleichsam darin enthalten – auch ihr Gegenteil im Raum.

Aus diesem Grund lehne ich das Ablehnen ab, verweigere ich mich der Verweigerung. Denn sobald ich etwas ausschließen würde, stellt es sich mir gleichsam gegenüber, als mein eigenes Gegenteil. So sehe ich im tiefsten Dunkel das Licht, aber auch in aller Erleuchtung die Schatten. Bleiben wir in der Mitte, ohne der einen oder der anderen Seite recht geben zu wollen, werden wir zu einem Ausdruck der letztgültigen Wahrheit – einer Wahrheit ohne Worte, einer Wahrheit ohne Ziel, einer Wahrheit, die sich ihrer eigenen Unwahrheit nicht verschließt, sondern sie enthält.

Gott ist ein Atheist und der Teufel ein Gläubiger. Es schließt sich nicht aus, dass Gott im Spiegelbild als Teufel erscheint. So betrachtet wird auch die Vergötterung zu einem Sinnbild alles Dämonischen, ja zu einer Quelle des Bösen. Kein Blutbad war größer als das im Namen Gottes. So wie alles Böse letztendlich doch das Gute will – und sei es auch nur für sich selbst –, so steckt in jeder Moral die Unmoral und in aller Narretei auch immer ein Quäntchen Weisheit!

Darum behaupte ich, es ging nie darum, ob ein Weiser wirklich weise oder ein Buddha wirklich Buddha ist. Es geht um uns selbst und darum, ob wir es ertragen, beides zu sein, das Licht und der Schatten und somit die Wahrheit und die Lüge, um beides in unseren Herzen zu vereinen.

 

Quelle der Gefühle

Seinen Motor zu kennen ist eine wichtige Erkenntnis im Leben: Was treibt mich an, was macht mich stärker? Aber auch: Was bohrt in meinem Inneren, was lässt mich nicht zur Ruhe kommen, was brennt mich aus? Gesellschaftlichen Normen zu entsprechen ist ein starker Motor. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, die sich selbst zu digitalisieren beginnt.

Jede Kultur betrachtet ihre Sitten und Gebräuche als das Maß aller Dinge. Erst die Andersartigkeit fremder Kulturen führt uns die Willkür der eigenen Kultur vor Augen. Es gibt Völker, bei denen die Männer den Frauen gehorchen, nur schwarz bemalte Zähne als schön gelten oder lang gezogene Ohrläppchen offiziell hübsch sind. Es gibt Kulturen, in denen die Kinder bis zum sechsten Lebensjahr gestillt werden oder erst einen Namen erhalten, wenn sie drei Jahre alt sind.

Gesellschaftliche Normen sind kein Zwang, sondern Vorschläge, die uns zu einem glücklichen Leben verhelfen sollen. Sie sind dort nützlich, wo sie das leisten. Und sind dort unnütz, wo sie uns über ein erträgliches Maß hinaus belasten. Die Frage, ob du schwarze Zähne und lang gezogene Ohrläppchen haben möchtest, klingt in deinen Ohren so absurd, wie es in den Ohren eines Aborigines klingt, jeden Morgen mit Anzug und Krawatte in ein dröges Bürogebäude zu fahren, nur um das Haus und das Auto abzubezahlen. Der Aborigine würde sagen, die Natur gibt ihm alles, und die Natur ist alles, was er braucht!

Und ich kann ihn verstehen. Wer morgens aufwacht und nicht aus seinem Innersten heraus »Ja« zu seinem Körper und seinem Leben sagt, sollte die Fesseln, die er sich selbst angelegt hat, hinterfragen: Brauche ich den Job, den ich mache, wirklich? Soll ich mit diesem Mann oder dieser Frau den Rest meines Lebens verbringen? Will ich so leben, wie ich es gerade tue?

Die Normen einer Kultur formen einen Rahmen, in dem sich Bedürfnisse und ihre Befriedigung bewegen dürfen. Das größte Bedürfnis von uns allen ist das nach Liebe und Geborgenheit. Jede Blume, jedes Tier, jeder Mensch strebt danach.

Aber es gibt weitere. Entsprechend den sieben Hauptchakras können wir sieben Grundbedürfnisse des Menschen festhalten.


ChakraFarbeGrundbedürfnis & -gefühl
WurzelchakraRotGeborgenheit
VitalchakraOrangeVitalität, Sexualität
BauchchakraGelbLebensfrede
HerzchakraGrün und RosaLiebe
HalschakraHellblauOffenheit, Toleranz
KopfchakraDunkelblauKlarheit
KronenchakraWeißTranszendenz

Bedürfnisse können gestillt oder ungestillt sein. Wird eines dieser sieben Grundbedürfnisse gestillt, produziert das Chakra mehr Energie, die sich im Körper ausbreitet und als entsprechendes Gefühl empfunden wird.

Wie im »Baum«-Diagramm zu sehen, können wir diese Entstehung der Gefühle und Gedanken mit dem Aufbau eines Baumes vergleichen. Wurzel allen Glücks und Leids sind die Bedürfnisse, also das, was wir brauchen. Bekommen wir das, entstehen positive Gefühle. Bekommen wir es nicht, entstehen negativ gewertete Gefühle. So einfach ist das. Interessant wird es erst dadurch, dass wir uns in der Meditation selbst geben können, was wir brauchen.

Dazu gleich mehr.


Grafik: Wege der Energie im Bewusstsein: Positive Gedanken verweisen auf positive Gefühle, die von gestillten Bedürfnissen zeugen. Negative Gedanken verweisen auf negative Gefühle, die aus ungestillten Bedürfnissen entstehen. Wer in seinen Körper hineinfühlt, kann seine ungestillten Bedürfnisse finden. Sie gleichen einem emotionalen Hunger, einem Vakuum im Körper, das uns belastet.

Werden unsere Bedürfnisse gestillt, produzieren wir das dem jeweiligen Bedürfnis zugehörige Gefühl. Wird beispielsweise das Bedürfnis nach Liebe gestillt, verwandelt es sich in das Gefühl der Liebe, welches sich wiederum in liebevollen Gedanken ausdrückt: »Was für ein zauberhafter Tag! Wie schön das aussieht! Ich könnte das den ganzen Tag lang tun!«

Auch umgekehrt funktioniert diese Abfolge. Ein ungestilltes Liebesbedürfnis erzeugt das Gefühl der Lieblosigkeit, welches sich wiederum in lieblosen Gedanken Ausdruck verleiht: »Jeder denkt nur an sich. Wie scheußlich das wieder aussieht! Die Welt ist schlecht. Ich habe keine Lust mehr …«

Antriebslosigkeit oder Burn-out entstehen, wenn zu lange und zu oft die Erfahrung gemacht wurde, dass die materiellen Anstrengungen zu keiner emotionalen Versorgung führen. Das kann zwei Ursachen haben.

Die Welt der Materie und die Welt der Gefühle sind ohnehin nicht direkt miteinander verbunden. Wie wir auf das, was auf der materiellen Ebene geschieht, emotional reagieren, liegt bei uns. Möglicherweise verweigern wir uns die Versorgung also selbst. Hier sollten wir die emotionalen Reflexe überprüfen, indem wir sie in unser Bewusstsein heben. Wieso werden meine Bedürfnisse physisch nicht gestillt? Wut auf die Liebe, Angst vor der Freude oder Trauer aufgrund der inneren Leere sind nur einige Beispiele.

Es gibt Bedürfnisse, die sich im Körper eines Menschen nicht stillen lassen. Erfüllung existiert für sie in der Materie, wie wir sie kennen, nicht.

Nehmen wir die Erdmännchen als Beispiel. So wie diese kleinen Racker den halben Tag in der Sonne sitzen, in der Großfamilie spielen und übereinander liegend schlafen –, so würden auch manche Menschen am liebsten leben. Das Bedürfnis, ein Fell zu haben und in einer sozialen Gruppe als große Fellkugel zu knuddeln, bleibt also im Körper eines solchen Menschen ungestillt. Wir leben nicht so.

Wem dieses Beispiel zu haarig ist, der mag sich anderes vorstellen: in einem kosmischen Feld der Liebe zu stehen, unsterblich zu sein, niemals zu altern, unverwundbar zu sein … All das sind Bedürfnisse, die real existieren, aber physisch (noch) nicht gestillt werden können; energetisch hingegen schon.

Übung: Bedürfnisse stillen

Der Weg, den die Energie in uns nimmt, ist keine Einbahnstraße. Aus den Wurzeln der Bedürfnisse erwachsen unsere Gefühle, denen sich das Blätterwerk der Gedanken entrankt. Negative Gedanken verweisen demnach auf negative Gefühle, die wiederum mit einem ungestillten Bedürfnis in Verbindung stehen. Das ist unsere Chance, nachhaltig etwas in unserem Leben zu verändern.

Fühle, während du einem negativen Gedanken nachgehst, in deinen Körper hinein. Wer Probleme hat, seinen Körper zu fühlen, lese diese Übung »Bedürfnisse stillen« nach. Der negative Gedanke ist wie über eine Schnur mit seinem negativen Gefühl verbunden. Während du den Gedanken im Geiste wiederholst, wird sich das unterdrückte Gefühl als Druck im Körper bemerkbar machen. Versuche, dieses Druckgefühl möglichst genau zu spüren. Hier sitzt der Treibstofftank für deine negativen Gedanken. Je größer er ist und je härter er sich anfühlt, desto mehr Energie ist in ihm enthalten.

Lass jetzt zu, dass sich diese Energie im Körper ausbreiten darf. Keine Sorge, es passiert dir nichts. Nur unterdrückte Wut oder Angst bereiten Probleme; zugelassen, lösen sich die Gefühle auf. Spüre, wie sich die Energie im Körper ausbreitet. Begleite ihre Ausbreitung, bis du fühlst, dass nichts mehr von der Energie übrig ist.

Sollte ein Druckempfinden an der Stelle, wo das Gefühl saß, übrig bleiben, hast du das Bedürfnis gefunden. Hier ist die Quelle der negativen Gefühle, die zu negativen Gedanken wurden. Bedürfnisse fühlen sich wie ein Vakuum im Energiekörper an. Ihre Form ist oft ein Trichter, der sich nach innen zur Körpermitte verjüngt. Wie schwarze Löcher saugen sie uns leer; darum mögen wir sie nicht.

Greife jetzt in deiner Vorstellung in deinen Körper hinein und nimm diese trichterförmige Spannung in die Hand. Fühle die Form und Beschaffenheit deines Bedürfnisses, seine Konsistenz. Du musst nicht spüren können, um welches der sieben Grundbedürfnisse es sich handelt. Aber du solltest deine Einstellung diesem Bedürfnis gegenüber prüfen. Hast du Angst davor? Angst, dass es dir wehtut? Dann sage es ihm! Oder macht es dich wütend, dass es da ist? Kein Problem, sag ihm auch das! Es ist sehr wichtig, dass du deine Gefühle so weit erkundest und kommunizierst, bis dir das energetische Objekt, das Bedürfnis in deiner Hand, gleichgültig geworden ist. Der Zeitpunkt, das Bedürfnis zu versorgen, ist gekommen, wenn seine Anwesenheit nicht länger als lästig oder schädlich empfunden wird. Warum? Ganz einfach. Es ist deine Energie.

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