Buch lesen: «Beten»
HANSSCHALK
BETEN
BEZIEHUNG ZUM GANZ ANDEREN
Band 7 der Reihe „Spiritualität und Seelsorge“, die von P. Martin Leitgöb und P. Hans Schalk im Auftrag der Ordensgemeinschaft der Redemptoristen herausgegeben wird.
Mitglied der Verlagsgruppe „engagement“
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im
Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
2014
© Verlagsanstalt Tyrolia, Innsbruck
Umschlaggestaltung, Layout und digitale Gestaltung: Tyrolia-Verlag
unter Verwendung eines Bildes von Anna Maria Baumgarten
Druck und Bindung: FINIDR, Tschechien
ISBN 978-3-7022-3353-2 (gedrucktes Buch)
ISBN 978-3-7022-3357-0 (E-Book)
E-Mail: buchverlag@tyrolia.at
Internet: www.tyroliaverlag.at
INHALT
Vorwort
BETEN – GRUNDVOLLZUG MENSCHLICHEN LEBENS
Erfahrungen mit dem Beten
Orientierung an Jesus
Der betende Mensch
BETEN GESTALTET DAS LEBEN
Betrachtendes und kontemplatives Beten
Beten als Mönch
Beten im Leben eines Pfarrers
Beten – die wirksamste Form zu helfen
Schule des Vertrauens – Beten in der Familie
Jugendliche beten
„Wo zwei oder drei …“: Beten in gemeinschaftlicher Spiritualität
BETEN – ELEMENTAR UND FACETTENREICH
„Wer betet, ist im Heil“ – Beten in redemptoristischer Tradition
Beten im Umgang mit Schuld
Um etwas und für jemand beten
Lobpreisen
Ganzheitlich beten
Beten und Handeln
Nachwort 1
Nachwort 2
Literaturverzeichnis
VORWORT
Wie komme ich dazu, es zu wagen, über das Beten zu schreiben? Gehört doch Beten zum Innersten und Persönlichsten, das ein Mensch vollziehen kann! Sollte man da nicht lieber schweigen? Dennoch übers Beten zu schreiben, ermutigt mich mein Ordensgründer, der heilige Alfons von Liguori, „Lehrer des Gebetes und der Barmherzigkeit“ (Martin Leitgöb, Alfons von Liguori, Innsbruck 22013). Als leidenschaftlichem Seelsorger war es ihm wichtig, zum Beten anzuleiten.
Es ermutigt mich auch die Erfahrung in geistlicher Begleitung: Menschen, die ihren Weg mit Gott im Gebet gehen, schöpfen aus einer Quelle, die Kraft gibt, täglich zu lieben und zu einem erfüllten Leben hin zu reifen. Ich verstehe diesen Band in der Buchreihe „Spiritualität und Seelsorge“ als Sammlung und Reflexion von Gebetserfahrungen, als geistlichen Begleiter auf dem Weg zum und mit dem ganz Anderen.
Es ist ein Wagnis, Gebete zu sprechen, Riten zu vollziehen, Formeln zu wiederholen und in all dem tatsächlich zu beten. Beim Beten geht es um die Existenz, um mein Leben. Ehe Rabbi Uri von Strelisk († 1826) „zum Beten ging, pflegte er allmorgendlich sein Haus zu bestellen und von Weib und Kindern Abschied zu nehmen“ (Buber M., 610). Beten bedeutet, ohne Absicherungen zu wagen, sich dem hinzugeben, den wir zwar zu kennen glauben und dennoch nicht kennen: dem dunklen Gott – wie er Betern oft genug erscheint. Im Beten komme ich mir nackt vor: dem ausgeliefert, der mich kennt, mich freilich liebend kennt, und der will, dass ich sei und der sei, der ich bin.
Woher weiß ich, dass der ganz Andere mich kennt, mich liebt, mich will? Ich spreche über das Beten als Christ, der in Jesus von Nazaret den Erlöser und das Zentrum seines Lebens sieht. Durch Jesus und seine Botschaft „weiß“ ich, dass ich von Gott erkannt, geliebt, gewollt bin.
Jesus vollzieht sein Leben als Gebet. Der Verfasser des Hebräerbriefs drückt das aus, indem er Christus „bei seinem Eintritt in die Welt“ aus Psalm 40 sprechen lässt: „… einen Leib hast du mir bereitet … Ja, ich komme …, um deinen Willen, Gott, zu tun“ (Hebr 5,5–7). Nach den Evangelisten Markus und Matthäus sind die letzten Worte Jesu ein Gebet: der Beginn des Psalms 22 „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mk 15,34; Mt 27,46). Nach dem Evangelisten Lukas beschließt Jesus sein Leben mit einem Wort aus Psalm 31: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist“ (Lk 23,46). Im Evangelium nach Johannes fasst Jesus sein Leben im großen Gebet an den Vater zusammen, im „Hohepriesterlichen Gebet“ (Joh 17).
Erfülltes christliches Beten ist Beten mit Jesus in seinem Geist: „Abba, Vater!“ (vgl. Röm 8,15; Gal 4,6). Wenn ich von verschiedenen Weisen des Betens spreche und vom Grundvollzug des Betens, wenn ich Antworten auf Schwierigkeiten mit dem Beten versuche, wenn von Krisen und Möglichkeiten auf dem Gebetsweg die Rede ist, wenn ich betende Menschen einlade, von ihren Erfahrungen zu erzählen, habe ich das vom Geist Jesu inspirierte christliche Beten im Blick.
Das Buch wäre nicht entstanden ohne das Gespräch mit Freunden und Bekannten. In besonderer Weise bedanke ich mich bei denen, die Texte verfasst haben oder am Entstehen von Texten beteiligt waren: Anselm Zeller OSB, Erich Schmucker, Walter Lorenz, Tonja Deister, Eberhard Masch-Zühlsdorff OFMCap, Martin Gögler, Klaus Hofstetter, Astrid Weidmann, Vera Höft, Michael Leberle, Jens Bartsch CSsR und den Jugendlichen Fabian, Franziska, Gabriel, Marlene, Sebastian, Sina, Teresa und Willi.
Hans Schalk
BETEN – GRUNDVOLLZUG MENSCHLICHEN LEBENS
Wie kommt Beten im Leben vor? Was verstehen wir unter Beten? Im Laufe der letzten Jahre habe ich Erfahrungen notiert, die mit Beten zu tun haben. Um mich mit Ihnen, den Leserinnen und Lesern, an das heranzutasten, was Beten zum Beten macht, helfen Menschen, die beten, vor allem Jesus, der Gott und die Menschen kennt wie niemand sonst. Von ihm her fällt Licht auf die Existenz des Menschen als betendem Wesen. Beten erweist sich als Grundvollzug menschlichen Lebens.
ERFAHRUNGEN MIT DEM BETEN
Um in einer ersten Annäherung zu schauen, wo Beten anzutreffen ist, entnehme ich aus tagebuchartigen Notizen verschiedene Situationen, in denen es meines Erachtens um das geht, was mit Beten gemeint ist. Wie zeigt sich Beten?
Am Fenster
Im Urlaub. Ich schaue ins Freie, sehe die Bäume in der Nachbarschaft, die Blumen auf dem Balkon, die Vögel auf Zweigen und Ästen, bejahe die Schönheit, freue mich an ihr. Das Offen-Sein für das, was staunen lässt, das Dankbar-Werden für das, was sich mir zeigt: Ich habe den Eindruck, dass ich bete.
In der Münchener U-Bahn
Die Streifenkarte ist gestempelt. Ich fahre die Rolltreppe hinunter. Die U-Bahn fährt ein. Menschen sitzen und stehen. Mütter mit Kinderwagen und Baby. Paare, die miteinander sprechen. Viele mit Handy oder iPad oder Buch. Ich schaue auf sie im Bewusstsein, dass Jesus jeden Menschen annimmt, sich zutiefst mit jedem verbindet. Ich kann mich innerlich an Ihn in den Menschen um mich herum wenden: Ich bete.
Da sein
Manchmal bin ich mit Freunden zu Gast in einer Benediktinerabtei. Vor dem Chorgebet werfen sich die Mönche die Kukulle über, versammeln sich im Vorraum, ziehen gemeinsam in die Kirche, verbeugen sich paarweise vor dem Kreuz, nehmen ihren Platz im Chorraum ein. Sie singen den Hymnus und die Psalmen abwechselnd zwischen linker und rechter Seite. Nach einiger Zeit – so mein Eindruck – schwebt im Raum der Kirche ein hin und her schwingender Klang. Die Seele kann mitschwingen. Ich bin hineingenommen in einen heiligen Raum. Wenn zum Magnifikat Weihrauch aufsteigt, brauche ich nur da zu sein, dabei zu sein. Es erinnert mich an die Wolke der Anwesenheit Gottes, die den Tempel von Jerusalem zur Zeit Salomos erfüllte: „Eine Wolke erfüllte das Haus des Herrn … Die Herrlichkeit des Herrn erfüllte das Haus des Herrn“ (1 Kön 8,10f). Im Beten sind wir hineingenommen in einen Raum Seiner Gegenwart. Nicht nur bei uns. Bei einem Besuch von Mitbrüdern in Japan kamen wir nach Kyoto. Die Anlage des Nishi Hongun-ji, eines buddhistischen Tempels, beeindruckte mich. Wir gingen in das Innere. Ohne Schuhe. Wir setzten uns vorsichtig auf den Tatamiboden. Es war still. Ich spürte die Atmosphäre. Ich konnte mich sammeln, einfach da sein. Als Christ denke ich an den, der sich als „der „Ich-bin-da“ geoffenbart hat. Er ist da: für mich und für alle, zu Hause und – hier.
Um anzubeten
In der Münchener Kirche der Redemptoristen ist etwas abgetrennt vom Gottesdienstraum die Sakramentskapelle. Während des Tages kommen Einzelne vorbei, knien oder sitzen vor dem Tabernakel. Der kleine Raum ist geeignet, sich zu sammeln, da zu sein – und anzubeten. Anbeten kann ich in der Kirche, doch auch außerhalb, ja überall. Was bedeutet „anbeten“? Der Paläontologe und Theologe Teilhard de Chardin SJ (1881–1955) hat es so ausgedrückt: „Anbeten heißt, sich im Unergründlichen verlieren, ins Unausschöpfbare eintauchen, im Unvergänglichen Frieden finden, in der begrenzten Unermesslichkeit aufgehen, sich dem Feuer und der Transparenz hingeben, sich bewusst und willentlich in dem Maße vernichten, als man seiner selbst bewusster wird, sich vom Grund auf Jenem schenken, der ohne Grund ist! Wen können wir anbeten? Je mehr der Mensch Mensch wird, umso mehr wird er vom Bedürfnis gepackt, und zwar von einem immer ausdrücklicheren, immer reineren, immer unmäßigeren Bedürfnis anzubeten. O Jesus, zerreiße die Wolken durch Deinen Blitz!“ (Teilhard de Chardin P., Der göttliche Bereich, 150f)
In der Umarmung
Wir sind einander begegnet und begegnen einander immer wieder. Wir wissen voneinander, von unseren Lebenswegen und von unserem spirituellen Suchen. Wenn wir uns treffen, umarmen wir uns. Nicht nur mit dem Körper. Unsere Seelen berühren sich. Es ist, wie wenn ich in sie und sie in mich versinken würde. Wohin versinke ich? In sie, in ihren Seinskern. Und dies gegenseitig. Da ist der, der sich mit jedem Menschen zuinnerst verbindet. Wir berühren uns in Ihm, dem Menschensohn Jesus. Es ist dann, wie wenn nur noch Er da wäre: Wir beten.
Beim Krankenbesuch
Mein Hausarzt rief mich an: „Ich habe mitbekommen, dass Sie Frau Maria N. kennen. Als Arzt stehe ich an den Grenzen meiner Möglichkeiten. Ich denke, es könnte ihr helfen, wenn Sie sie besuchen.“ Dann war ich bei ihr. Sie war allein in der Wohnung, der Mann bei der Arbeit. Ich hatte sie als interessierte und engagierte Frau kennengelernt. Nun lag sie kraftlos da. Man sah, dass sie litt. Ich setzte mich neben sie und konnte nichts sagen. Ich fand keine Worte. Innerlich versuchte ich, bei Ihm zu sein. Sie sagte: „Ich bin im Loch“. Und ich: „Er mit Ihnen.“ Wieder Stille. Dann ein Händedruck, ein Segen. Das war alles. Am Abend rief mich ihr Mann an und bedankte sich: „Das hat meiner Frau gutgetan!“ Ich empfand die Begegnung als ein Miteinander-Beten.
Am Grab
Meine Mutter, mein Vater, meine Stiefmutter, meine Schwägerin und deren Enkel, der sich als Jugendlicher das Leben genommen hat: Alle sind sie hier beerdigt. Ich stehe am Grab. Erinnerungen ziehen durch den Kopf. Innere Gespräche stellen sich ein: „Es wäre schön gewesen, wenn du länger hättest leben dürfen, Mama! Ich hätte dich gebraucht!“ Es ist mir, als würde sie antworten: „Ich bin doch auch jetzt bei dir!“ Der Blick geht zu den Namen auf dem Grabstein. Beim Namen und den Daten des Vaters: „Du warst ein aufrechter Mann, Papa! Wir waren zu deinen Lebzeiten nicht fähig, ganz offen miteinander zu sprechen. Jetzt ahne ich, was in dir vor sich gegangen ist.“ Ich spüre: Schweigen und Anwesenheit. Die Augen schweifen weiter – zum Namen meiner Schwägerin: „Jetzt möchte ich sterben“, hast du mir gesagt, als wir allein im Zimmer waren. Ich frage: „Wie bist du hinübergegangen?“ Ich solle mir keine Sorgen machen, glaube ich zu vernehmen. Und: „Christian‚ hast du das Nirwana gefunden, nach dem du gesucht hast?“ Es ist mir, als ob er lächeln würde. Ich stehe am Grab im Gespräch mit denen, an die das Grab erinnert. Mein Blick geht zum Kreuz, zu dem, der sagen konnte: „Ich bin die Auferstehung und das Leben“. Gespräch über das Grab hinaus – Besinnung, Gebet.
Vor dem Bildschirm
E-Mails kommen an. Allgemeine und persönliche Mitteilungen. Ich stelle mir vor, mit jeder Nachricht klopfe jemand an meine Tür. Ich bin angesprochen – und antworte. Manches kann ich zur Kenntnis nehmen und löschen. Für Zusagen bedanke ich mich, Terminanfragen sind zu klären. Bei manchem verweile ich. Ein Blick auf das Bild neben dem PC erinnert: In den E-Mails klopft Er an. – Klick zur „Tagesschau“. Neueste Nachrichten. Mir kommt die Frage: „Wo bist du da, Herr?“ Ich meine zu vernehmen: „Ich bin da in den Tätern und in den Opfern, in den Politikern und in den Sportlern und in …“ Das Jesusgebet steigt in mir auf: „Herr Jesus Christus, Sohn des lebendigen Gottes, erbarme dich unser“ und der Zusatz, den ich in der Münchener Rumänisch-Orthodoxen Gemeinde gelernt habe: „… und deiner Welt“!
Mit Jesus unterwegs
In den „Exerzitien“ ging es um unsere Beziehung zu Jesus. Der Exerzitienbegleiter gab die Anregung, einen Spaziergang zu machen und sich dabei vorzustellen, dass Jesus mit einem mitgehe. So ging ich nicht allein, sondern mit Ihm. Ich schaute mit Ihm auf die Natur um mich herum, auf die Menschen, die entgegenkamen. Ich konnte mit Ihm Fragen besprechen, an denen ich gerade zu knabbern hatte. Dann stellte sich eine geistige Müdigkeit ein. Fast von selber schaltete ich um auf das „Jesusgebet“ (s. o.!) Dieses kurze Gebet lernte ich als Theologiestudent vom damaligen Nationalkaplan der Christlichen Arbeiterjugend (CAJ) Julius Angerhausen kennen. Er erzählte, dass er dieses Gebet bete bzw. dass sich bei ihm dieses Gebet nach einiger Zeit wie von selber einstelle, wenn er unterwegs ist. Inzwischen kenne ich auch andere Leute, die diese Praxis des Wiederholungsgebets pflegen: im Park, mitten in der Stadt, im Zug, im Bett … Bekannt ist das „Jesusgebet“ durch die Schilderung „Aufrichtige Erzählungen eines russischen Pilgers“, in dem ein unbekannter Verfasser von einem Pilger in Russland in der Mitte des 19. Jahrhunderts erzählt, der das Bibelwort „Betet ohne Unterlass!“ (1 Thess 5,17) wörtlich zu verwirklichen sucht.
Leben mit dem ganz Anderen
Ergebnis: Vielfältige Erfahrungen und unterschiedliche Weisen von Beten stehen uns zur Verfügung. Beten ist in den verschiedensten Situationen möglich. Beten gehört zum Leben, zu einem Leben mit dem ganz Anderen. Worauf soll ich nun achten, wenn ich ein betender Mensch werden will? Woran kann ich mich orientieren, wenn ich mich in der Kunst des Betens üben möchte? Wohin kann ich schauen? Auf wen kann ich schauen? Auf den, der ständig mit Gott gelebt hat, auf den „Sohn“ des Vaters: auf Jesus!
ORIENTIERUNG AN JESUS
Jesus betet
„In aller Frühe, als es noch dunkel war, stand er auf und ging an einen einsamen Ort, um zu beten“ (Mk 1,35). Nach der Speisung der Fünftausend „forderte er seine Jünger auf, ins Boot zu steigen und ans andere Ufer nach Betsaida vorauszufahren. Er selbst wollte inzwischen die Leute nach Hause schicken. Nachdem er sich von ihnen verabschiedet hatte, ging er auf einen Berg, um zu beten“ (Mk 6,45f). Jesus geht vor einem Arbeitstag, an dem er viel mit Menschen zu tun hat, an einen einsamen Ort, um zu beten, und nach einem Arbeitstag, an dem er vielen Menschen begegnet ist, auf einen Berg, um zu beten. Jesus kennt den Rhythmus zwischen Arbeit und Gebet, zwischen Leben mit den Menschen und dem Alleinsein mit Gott. Vor der Berufung der Zwölf „ging er auf einen Berg, um zu beten. Und er verbrachte die ganze Nacht im Gebet zu Gott. Als es Tag wurde, rief er seine Jünger zu sich und wählte aus ihnen zwölf aus; sie nannte er Apostel“ (Lk 6,12f). Jesus trifft wichtige Entscheidungen wie die Berufung der Apostel aus dem Gebet, aus der Verbindung mit dem Vater.
Gelebtes Beten
Der Evangelist Lukas formuliert im Zusammenhang mit der Taufe Jesu am Jordan: „Und während er betete, öffnete sich der Himmel“ (Lk 3,21). Beim Beten erfährt sich Jesus mit dem Himmel, das heißt mit seinem Vater verbunden. Im Gebet ist sich Jesus seiner selbst bewusst bzw. wird er sich seiner tiefer bewusst. „Er betete in der Einsamkeit“ (Lk 9,18), bevor er die Jünger fragt, für wen sie ihn halten, und ihm Petrus antwortet „für den Messias Gottes“. Die Verklärungserfahrung deutet der Evangelist Lukas als Gebetserfahrung: Jesus stieg mit Petrus, Johannes und Jakobus „auf einen Berg, um zu beten. Und während er betete, veränderte sich das Aussehen seines Gesichtes“ (Lk 9,28f). Im Gebet leuchtet auf, wer er ist. Jesus hört vom Erfolg der 72 Jünger. Und was tut er? „In dieser Stunde rief Jesus, vom Heiligen Geist erfüllt, voll Freude aus: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde …“ (Lk 10,21). Er betet. Im Gebet drückt er seine Freude aus. In der Stunde, da er den Seinen sein Vermächtnis hinterließ, nahm er das Brot und „sprach das Dankgebet“ (Lk 22,19). Das tiefste Geschehen kommt aus dem Beten. Man kann sagen: Jesu ganzes Tun und Sprechen kommt aus der Haltung des Gebets, aus seiner Beziehung zum Vater. Im Johannesevangelium ist es ausdrücklich gesagt: Jesus verkündet, was er „von Gott gehört“ (Joh 8,40) hat. Jesus ist im Vater und der Vater ist in ihm (vgl. Joh 10,38). Zu Philippus sagt Jesus: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen“ (Joh 14,9). Im Hochgebet seines Lebens (Joh 17) ist der Atem der Seele Jesu zu spüren. Im Beten ist Jesus beim Vater zu Hause. In der größten Not seines Lebens wendet sich Jesus an den Vater: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mk 15,34) und übergibt ihm sein Leben (vgl. Lk 23,46).
Jesus vollzieht sein Leben betend. Die jüdischen Gebetstexte, vor allem die Psalmen, waren auch seine Gebetstexte. Durch sein Leben, in seinem Sterben, hat er diese Gebete nicht nur ausgesprochen, sondern durchlebt. Jesus war in seinem „Pascha“ gelebtes Beten. Er betete nicht nur „In deine Hände befehle ich meinen Geist“, er hat dieses „Sich-Empfehlen“, diese Hingabe vollzogen, mit Geist, Seele und Leib. Er hat vollzogen, was er gesagt hat. Die Worte sind hörbar und als Psalmworte identifizierbar, aber sie sind Ausdruck des geistigen, seelischen und körperlichen Zustandes, in dem er sich gerade befindet.
Mit Jesus beten
Beten ist Zusammenleben mit Jesus im „Raum“ des Vaters und des Geistes. Jesus ist wie mein Freund und wie mein Bruder und wie mein Selbst. Aus der mystischen Sprache kennen wir die Metapher „Bräutigam (der Seele)“. Eine einzige Metapher kann die Beziehung nicht einfangen. Jesus sagte: „der ist mir Bruder und Schwester und Mutter“ und er fragte Simon Petrus „Liebst du mich?“ Um mit uns, mit mir zusammenleben zu können, hat er sich „ent-äußert“ (vgl. Phil 2,7), ist er „Nichts“ (vgl. „ad nihilum redactus sum“ Ps 73,22 Vulgata), zum „Wurm“ (vgl. Ps 22,7), „zur Sünde“ (vgl. 2 Kor 5,21) geworden und dabei ganz Er geblieben. So sagt er zu mir, wenn ich Bauchweh habe: Ich bin da! Und wenn ich etwas falsch mache: Ich hab’s auf mich genommen! Und wenn ich in meinem Leben eine Lücke spüre: Ich bin darin. Ich bin dein Lückenbüßer! Und wenn ich an die von Schmerzen gequälte Hanna denke: Ich bin bei ihr! Und wenn mich ein Mitbruder enttäuscht: Ich bin deine Enttäuschung!
Er ist verliebt in mich – und ich in Ihn! Wir tanzen miteinander das Leben. Wir „umarmen“ uns ununterbrochen. Wir sagen immer neu zueinander: Ich liebe dich! Und die Vielen tanzen mit! „Und wenn du es nicht glauben kannst“, sagt er, „dann denk daran, wie oft ich dir zur Speise geworden bin, wie oft ich dich genährt habe. Ich bin als Brot und Wein in deinen Körper gekommen, in den Raum, in dem du lebst. Der Raum deines Leibes ist erfüllt von meiner Gegenwart! Und deine Seele ist meine Wohnung, das heißt mein Himmel! Auch die Seele von Hanna und von … Und ich bin der Raum, in dem ihr miteinander lebt, die ihr euch in meinem Namen versammelt. Ich bin da. Ich bin mit euch. Rechnet immer mit mir! Ich bete mit euch und in euch.“ Mit Jesus leben und mit Jesus beten gehören zusammen.