Buch lesen: «Rebellen gegen Arkon»
Originalausgabe
© ATLAN-Traversan by Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt sowie für diese Lizenzausgabe bei Hirnkost KG, Lahnstraße 25, 12055 Berlin; prverlag@hirnkost.de; http://www.hirnkost.de/
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I. Auflage September 2021
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ISBN:
PRINT: 978-3-948675-25-7
PDF: 978-3-948675-27-1
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MACH
DIE ZEIT
ZU DEINEM FREUND,
UND ES BESTEHT
HOFFNUNG!
INHALT
Klaus Frick:
Vorwort
Robert Feldhoff:
Admiral der Sterne
Hubert Haensel:
Sturm auf die PADOM
Peter Terrid:
Die Rebellen von Traversan
Rainer Castor:
Der Fürst von Camlo
Hans Kneifel:
Der Jagdplanet
Rainer Castor:
Der letzte Mann der OSA MARIGA
KLAUS FRICK
VORWORT
Betrachtet man die PERRY-RHODAN-Serie und den Serienkosmos über die Jahrzehnte hinweg, stellt man fest, dass es immer wieder Entwicklungen gibt, mit denen niemand so richtig rechnete. Eine davon ist das »Revival« des Heftromans – und stark dazu beigetragen hat sicher die ATLAN-Serie, bei dieser vor allem der »Traversan«-Kurzzyklus. Von den Erfahrungen, die in den späten 90er-Jahren mit »Traversan« gesammelt wurden, zehrten die Redaktion und das Autorenteam noch Jahrzehnte danach.
Dabei sah es in der ersten Hälfte der 90er-Jahre nicht besonders gut aus. Der Heftroman steckte in einer starken Krise, die sich schon in den 80er-Jahren abgezeichnet hatte. Einige Verlage gaben auf, zahlreiche Serien wurden eingestellt. Zu den Serien, die das Zeitliche segneten, zählte bereits in den 80er-Jahren die ATLAN-Serie. In den 90er-Jahren folgten bei PERRY RHODAN die Nachauflagen und die Taschenbücher. Die Verlagsunion Pabel-Moewig schien sich vom Heftroman zu verabschieden: Verschiedene Zeitschriften wurden gegründet, der Buchverlag stärker ausgebaut.
In diese Phase fiel die Entscheidung, mit ATLAN einen Neustart zu wagen. Dieser Neustart sollte nur zwölf Romane umfassen, und wir wollten uns an amerikanischen Comics orientieren: eine sogenannte Miniserie, die neben einer Hauptserie läuft.
Die Miniserie bildete in vielerlei Hinsicht eine Premiere. Es war der erste Handlungsabschnitt des größten Science-Fiction-Universums der Welt, den Robert Feldhoff allein als Exposéautor gestaltete. Zu der Zeit arbeitete er bei PERRY RHODAN noch mit Ernst Vlcek zusammen, der gewissermaßen sein Mentor war. Darüber hinaus war es der erste Zyklus, für den Rainer Castor die Datenrecherche übernahm. Später sollte seine gründliche Arbeit für den gesamten PERRY-RHODAN-Kosmos von größter Bedeutung sein.
Die zwölf Romane waren in sich abgeschlossen, sie boten aber einen Ausweg am Ende; eine Möglichkeit, weitere Geschichten mit Atlan in der spannenden Zeit des großen Arkon-Imperiums zu erzählen. Dies geschah durch den Roman »Fluchtpunkt Schemmenstern« von Frank Borsch.
Darüber hinaus wurde die Welt des Arkon-Imperiums zum ersten Mal so richtig plastisch dargestellt. Dazu zählten höfische Sitten und Gebräuche ebenso wie das Karaketta-Rennen mit seiner Action oder der Philosophie des Dagor. Viele der Grundlagen, die Rainer Castor vor allem erarbeitete, wurden in zahlreichen Romanen der folgenden Jahre und Jahrzehnte verarbeitet.
Blicke ich heute auf die zwölf »Traversan«-Romane und den nachgeschobenen »Schemmenstern«-Einzelband, fällt mir auf, wie sehr sie in ihrer Zeit verhaftet sind. Es sind typische Heftromane mit schneller Action und flotten Dialogen, sie enthalten viele Ideen, wie sie in der Science Fiction üblich sind. Vor allem aber sind sie – so finde ich immer noch – packendes Lesefutter: abenteuerliche Science Fiction eben.
Ich wünsche viel Vergnügen bei diesem ersten Band der neuen »Traversan«-Ausgabe!
ERSTER ROMAN
PROLOG
Mit rasender Geschwindigkeit rückte der Planet näher. Die RICO bewegte sich noch mit mehr als der Hälfte der Lichtgeschwindigkeit. Damit waren wir schnell genug, um im Ernstfall sofort in den Hyperraum wechseln und fliehen zu können.
»Syntron!«, forderte ich halblaut. »Was sagt die Ortung?«
»Das Trav-System ist sicher, Atlan«, antwortete der Bordrechner der RICO nüchtern. »Kein einziges Schlachtschiff des Kristallimperiums operiert im Trav-System.«
Das entsprach den Aussagen, die wir von unseren Informanten erhalten hatten. Trotzdem – der Imperator und seine Hintermänner wollten mich lieber heute als morgen tot. Für sie war ich nicht Atlan, der ehemalige Kristallprinz. Für sie war ich Atlan, der Verräter.
Selbst wenn ein Schiff des Imperiums sich sehen lässt, rief ich mir in Erinnerung, was kann denn schon passieren?
Die RICO war ein Modul des Großraumers GILGAMESCH und als solches schwer anzugreifen. Das Kristallimperium musste schon eine halbe Flotte schicken.
Mein Blick fiel auf die Datumsanzeige. 2. August 1290 NGZ. Nach altem terranischem Kalender entsprach das Jahr 1290 Neuer Galaktischer Zeitrechnung dem Jahr 4877 christlicher Zeitrechnung.
Ich erinnerte mich an die alten Zeiten, als Millionen von Transitionsschiffen den Kugelsternhaufen Thantur-Lok und die Umgebung durchkämmt hatten: damals, zu Arkons Blütezeit.
Narr!, tönte mein Extrasinn. Konzentriere dich auf die Gegenwart. Die alten Zeiten sind vorbei. Du agierst unter Zeitdruck.
Das Kristallimperium musste nur einen Tipp bekommen, und das System würde innerhalb kürzester Frist von Schiffen wimmeln. Man konnte nicht auf die Verschwiegenheit von zwei Milliarden Planetariern bauen.
Damit entstand eine wenig angenehme Situation. Das Trav-System und seine Bewohner, die Traversaner, galten traditionell als schwierig. Obgleich Traversan zum Kristallimperium gehörte, verhielt sich Fürst Ligatem freundlich gegenüber Camelot – ein krasser Widerspruch, denn für das Imperium waren meine Freunde und ich Todfeinde ersten Ranges.
In Perry Rhodans Abwesenheit war ich der ranghöchste Camelot-Vertreter. Zudem hatte ich mehrfach gegen die Interessen des Kristallimperiums gehandelt, einige Male in Undercover-Missionen. Kein Wunder, dass ich in diesem Teil der Milchstraße ein gehasster Mann war – der jedoch in vielen Kolonien einen hohen Stellenwert genoss.
Ich wollte nicht, dass Traversan durch mich in Schwierigkeiten geriet. Die Frage war nur, ob es sich noch verhindern ließ. Am liebsten wäre ich inkognito erschienen, ohne die RICO im Hintergrund. Die Anwesenheit des Schiffs war jedoch eine Notwendigkeit.
Traversan barg einen archäologischen Schatz von höchster Bedeutung. Ich hielt es für denkbar, dass eine militärische Rückendeckung nötig sein würde. Die vergessene Technologie, die ich auf Traversan zu finden hoffte, musste unbedingt Camelot zugutekommen.
»Atlan!«, hörte ich die drängende Stimme des Ersten Piloten. »Soll ich den Landeanflug einleiten?«
»Nein … Warte noch. Ich denke nach.«
Travs Stern war 12.002 Lichtjahre von Arkon entfernt, lag am Rand des Brysch-Sektors und galt als wirtschaftlich unbedeutend. Das Große Imperium der Vergangenheit hatte sich ebenso wenig um Traversan geschert wie das Kristallimperium der Gegenwart.
Die Ortung zeigte mir eine gelbe Durchschnittssonne mit insgesamt elf Planeten und nicht weniger als 155 Monden.
Traversan, der vierte Planet, durchmaß etwas mehr als 14.000 Kilometer und wies eine Schwerkraft von 1,15 Gravos auf. In 25 Stunden rotierte die erdähnliche Welt einmal um ihre Achse. Von den zahlreichen Monden kreiste nur ein einziger um Traversan – Travs Nachtauge. Der Himmelskörper barg schwere Festungsanlagen. Er war ein wichtiges militärisches Zentrum des Systems.
Ich erinnerte mich, dass ich Traversan niemals betreten hatte, auch in den alten Zeiten nicht. Fürst Ligatem, der Herrscher des Planeten, war mir nur aus der Datenbank bekannt.
Das rotierende Hologramm in der Zentrale der RICO zeigte Details der Oberfläche: fünfzig Prozent Ozean, drei Kontinente, die Hauptstadt Erican lag in den klimatisch gemäßigten Zonen der Nordhalbkugel.
»Zoomt mir diese Stadt heran!«, bat ich.
Statt einer Antwort erhielt ich ein neues Hologramm. Erican erschien nicht als realistische Aufnahme – das war auf die Entfernung unmöglich –, sondern als Ergebnis einer syntronischen Simulation. Rings um die Stadt breitete sich ein Industriegürtel aus. Siebzig Kilometer vom Stadtkern entfernt erstreckte sich ein Raumhafen.
Besonders fiel mir jedoch ein Krater ins Auge, der von den Datenbanken der RICO als sogenannter Himmelskrater bezeichnet wurde. Der Krater musste durch eine furchtbare Explosion vor sehr langer Zeit entstanden sein.
Vergeude nicht deine Zeit, mahnte der Extrasinn, die Stimme in meinem Kopf. Wenn sie da unten wirklich eine uralte Geheimstation der Meister der Insel entdeckt haben, dann ist jede Sekunde kostbar.
Ich erhob mich ruckartig.
»Die RICO bleibt im Orbit«, verkündete ich. »Transmitter bereitmachen! Ich werde auf den Planeten hinunterspringen.«
1.
DER STOLZ VON TRAVERSAN
Vergangenheit 5772 v. Chr. / 12.402 da Ark
Nert Kuriol da Traversan machte sich klar, dass in dieser Stunde das Schicksal seines Volkes entschieden wurde. Er war 89 Arkonjahre alt und damit kein junger Mann mehr. Aber er war jung genug, um Angst vor dem Tod zu empfinden.
Mit Sorgfalt legte er seine Raumrüstung an. Wenn er seinem Feind gegenübertrat, dann wollte er angemessen gekleidet sein, seinem Stand entsprechend. Er war der Baron von Traversan, ein Nert, und er wollte seinem Besucher zeigen, dass er Stolz besaß.
»Einen Spiegel!«, kommandierte er barsch.
Zwei Bedienstete hielten ihm ein Kristallglas vor, das einen hochgewachsenen Mann in blauschwarzem Panzer zeigte, mit weißblondem wallendem Haar und einem kurzgestutzten, silbrigen Vollbart. Der polierte Harnisch zeigte eingeätzte Szenen aus der Mythologie der She‘Huhan-Sternengötter. Ein knielanger Cape-Umhang ergänzte das Bild, hellblau mit da-Traversan-Wappen in Gold und Silber.
»In Ordnung«, entschied er, eine Spur milder gestimmt als noch Sekunden zuvor. »Also! Wo ist Pyrius Bit?«
»Der Sonnenkur wartet nebenan auf der Schattenterrasse, Erhabener.«
»Wie lange schon?«
»Eine halbe Stunde. Er wirkt bereits sehr ungeduldig.«
Ein feines Lächeln stahl sich in Kuriols Gesicht.
»Das scheint mir zwar keineswegs lange genug – aber nun denn.«
Nert Kuriol da Traversan durchschritt die Wandelhalle, die zur sonnenabgewandten Seite des Palastes führte. Er hätte gern seine Tochter dabeigehabt, Prinzessin Tamarena, die jeden Gedanken erahnen konnte, oder Irakhem, den höchsten Kommando-Offizier des Systems. Er wollte jedoch nicht, dass Pyrius Bit ihn für schwach hielt. Alles hing davon ab, ob er eine Stärke vortäuschen konnte, die Traversan in Wahrheit nicht besaß.
Psychologie … eine letzte, kaum reale Möglichkeit.
Kuriol öffnete die Tür. In seinem Blick stand eine kaum verhohlene Verachtung; exakt jenes Maß, von dem er sich einen Vorteil erhoffte.
»Pyrius Bit. Wie schön, Euch zu sehen.«
Seine Stimme troff vor Sarkasmus.
»Ich grüße Euch ebenfalls, Kuriol. Und ich hoffe, Ihr habt die richtige Entscheidung getroffen. Nicht diesen …«, Bit schien nach Worten zu suchen, »… diesen Unsinn, den man mir übermittelt hat.«
Nert Kuriol da Traversan registrierte, dass Pyrius Bit die ihm zustehende Anredeform Erhabener verweigerte. Über Höflichkeit ließ sich streiten; Kuriol entstammte immerhin einem alten Adelsgeschlecht. Dafür war Bit von Imperator Reomir IX. zum Kur, zum Verwalter, des Brysch-Sektors erhoben worden. Und dazu gehörte auch der Planet Traversan. Da er außerdem ein Sonnenträger war, was einem hohen militärischen Rang entsprach, nannte er selbst sich Sonnenkur Pyrius Bit.
Kuriol musterte den fetten, kleinen Mann voller Abscheu. Er war ein degenerierter Adliger der übelsten Sorte, vollgestopft mit Drogen und ungesunder Nahrung, genusssüchtig und ohne Rückgrat. Vor dem Gesetz des Imperators besaß Pyrius Bit jedoch die Befehlsgewalt. Wenn es sein Wille war, Traversan zu ruinieren, dann stand das Recht auf seiner Seite.
Kuriol hätte die Richter des Imperiums anrufen können. Bevor aber auf dem fernen Gerichtsplaneten Celkar ein Urteil gefallen war, würde sein Volk in Hunger leben. Der alte Nert von Traversan hatte viel gesehen; doch er war fest entschlossen, eine solche Katastrophe niemals zuzulassen. Arkonidische Kugelraumer hatten die halbe Milchstraße unterworfen. Es war nicht recht, wenn im Schatten der stählernen Riesen Elend regierte.
»Eure Entscheidung, Kuriol!«, drängte Pyrius Bit. »Ich muss es wissen!«
»Meine Entscheidung steht fest. Ich sehe keinen Grund, meine Aussagen zu korrigieren.«
»Der Imperator fordert zusätzliche dreißig Prozent Steuern. Traversan muss bezahlen. Daran kann niemand etwas ändern.«
»Wir bezahlen dieses Geld nicht. Traversan ist nicht arm. Aber dann werden wir es sein.«
»Nert Kuriol … Ihr wollt Euer Volk doch nicht mit dieser entsetzlichen Naivität in den Tod treiben?«
Traversan verfügte über neunzig militärisch gerüstete Raumschiffe. Pyrius Bit konnte dagegen jederzeit das Doppelte mobilisieren; außerdem brauchte er nur den Imperator um Hilfe zu rufen. Das ferne Arkon pflegte einen rüden Umgang mit seinen Kolonien. Kuriol hatte Widerstand schon oft im Feuer der Impulskanonen ersterben sehen.
Der alte Nert gab sich einen Ruck, dann erklärte er: »Es bleibt dabei. Wir werden unsere Abgaben nicht um diesen Satz erhöhen.«
»Euch sind doch die Konsequenzen klar?«
Pyrius Bit drehte sich wie zufällig um und blickte auf die Trichtertürme und Parklandschaften der Hauptstadt Erican hinaus. Hinter den modern anmutenden Zentrumsvierteln ragten drei Kugelgebirge auf: die 500-Meter-Schlachtkreuzer der Fusufklasse, mit denen Bit gekommen war. Als Demonstration der Macht benutzten sie nicht den siebzig Kilometer entfernten Raumhafen, sondern standen direkt am Stadtrand.
»Natürlich kenne ich die Konsequenzen. Ihr dürft Euch dessen gewiss sein. Und nun geht. Ich werde Euch nicht aufhalten.«
Nert Kuriol hatte einen Moment lang daran gedacht, den Sonnenkur festzusetzen. Mit ihm als Geisel hätte er vielleicht noch einmal verhandeln können.
Doch er war ein Mann von Ehre, ein Traversaner, und er wusste, dass er im Namen seines Volkes handelte.
Pyrius Bit wurde plötzlich wütend.
»Kuriol! Ich befehle Euch …«
Der alte Nert holte aus. Er versetzte dem fetten, unfähigen Kerl, der vor ihm stand, eine schallende Ohrfeige.
Bit verstummte. Sein Gesicht wurde so weiß wie sein Haar. Seine Augen fingen vor Erregung an zu tränen.
»Nert Kuriol«, stammelte er fassungslos. »Das hat Folgen.«
2.
DIE MEISTER DER INSEL
Gegenwart 2. August 1290 NGZ
Endlich!«, empfing mich Fürst Ligatem da Traversan mit unwilliger Stimme. Er war ein Mann mittleren Alters, gewiss von hoher Bildung und gutem Charakter, im Augenblick jedoch sichtbar angespannt. Die Hände hielt er tief in den Taschen seines grünen Mantels vergraben. Es schien mir, als habe er sie zu Fäusten geballt.
Sein Blick fixierte mich.
»Du bist tatsächlich Atlan. Man trifft nicht jeden Tag Berühmtheiten dieser Klasse. Bist du wirklich mehr als dreizehntausend Jahre alt?«
»Natürlich.«
»Dann hast du die Imperatoren des alten Reiches alle noch persönlich kennengelernt?«
»Zumindest einige«, schränkte ich ein.
Das Thema war mir nicht angenehm, und der Fürst schien das zu spüren. Ligatem führte mich durch den Palast bis auf eine Aussichtsplattform. Von hier überblickte ich halb Erican; unter anderem den Himmelskrater im Westen der Stadt, der sich als dicht besiedeltes Gebiet erwies.
»Unser Ziel ist die Yssods-Wüste«, erklärte Ligatem. »Dort wurde die Station entdeckt.«
»Um was für eine Station handelt es sich genau?«
»Du siehst es bald«, blockte Ligatem meine Frage ab. »Allerdings ist eine gewisse Vorsicht nötig. Wir haben bereits siebzehn Tote zu beklagen. Mehr müssen es nicht werden.«
Ein undefinierbarer Seitenblick des Fürsten traf mich.
»Leider haben auch deine Camelot-Wissenschaftler nichts bewirkt. Deswegen haben wir einen Unsterblichen zu Hilfe gerufen. Wir hoffen, dass du uns entscheidende Hinweise liefern kannst. Du hast die Meister der Insel selbst getroffen, Atlan. Wir kennen sie nur aus den Geschichtsbüchern.«
Ligatem winkte einen Gleiter heran, ein komfortables, offenbar gepanzertes Fahrzeug für längere Strecken. Bald rasten wir mit hoher Geschwindigkeit über die Trichtertürme der Stadt, südlich in Richtung Yssods-Wüste.
Er hält dich anscheinend für eine Art Wunderheiler, kommentierte mein Extrasinn.
Soll er, antwortete ich trocken. Ligatem wird das Gegenteil früh genug merken.
Wir überquerten einen unbewohnten Landstrich. Kaum eine Pflanze gedieh, offenes Wasser entdeckte ich nirgendwo. Kein Wunder, dass bis dato niemand die Station entdeckt hatte.
Es dauerte eine knappe Stunde, dann sah ich zwischen den Felsen ein ausgedehntes Lager liegen. Ligatem landete das Fahrzeug am Rand der kleinen Zeltstadt.
»Ich habe ein schlechtes Gefühl«, hörte ich den Fürsten sagen, bevor er ausstieg. »Ich weiß, dass es naiv klingt, aber – wir dürften dies hier nicht tun. Es steht uns nicht zu.«
Ich begrüßte die Archäologen, Historiker und Hochenergie-Techniker, deren Gesichter ich von Camelot kannte. Die Leitung hatte Cinthia Taubenflug übernommen, eine dunkelhaarige Terranerin, die seit etwas mehr als zehn Jahren in den Diensten von Camelot stand.
Gemeinsam mit Ligatem führte mich Cinthia durch die Fundstätte. Die Station bestand aus fünf eiförmigen, vierzig Meter hohen Kuppeln. Die seltsamen Gebilde durchmaßen an der Basis zwanzig Meter. Sie waren gleichschenklig fünfeckig angeordnet und schimmerten rötlich. Sie hatten eine ausgesprochen seltsame, rau scheinende Oberfläche.
Angenommen, die Station war wirklich ein Produkt der Meister der Insel, dann mussten die Gebäude mindestens fünfzigtausend Jahre alt sein.
»Diese Wände«, murmelte ich unbehaglich, »sie sehen aus wie Sandstein.«
»Sandstein?«, fragte Cinthia zurück. Sie schien einen Moment lang ernsthaft nachzudenken. »Ich denke, wir können das guten Gewissens verneinen. Es dürfte sich um ein exotisches Metall handeln. Aber das ist nur eines von mehreren Rätseln. Sämtliche Einrichtungen hier erscheinen beispielsweise energetisch vollkommen inaktiv. Andererseits weisen gewisse Details darauf hin, dass einige Geräte dennoch aktiv sein müssen.«
»Erklärung?«
»Keine. Ich gebe zu, dass wir das noch nicht verstehen. Unser technologisches Niveau steht theoretisch sehr hoch über allem, was hier in der Yssods-Wüste existiert. Auf der anderen Seite kommen wir an den größten Teil der Geräte nicht heran, mit allen Tricks nicht. Die Erbauer der Station haben sie so perfekt isoliert, dass man die Leistung nur bewundern kann.«
»Die Erbauer – das führt uns gleich zum Kern. Was bringt euch auf den Gedanken, es könnten die Meister der Insel gewesen sein?«
Cinthia lächelte.
»Du glaubst doch nicht, wir rufen dich umsonst, Atlan?«
Sie führte mich einmal halb um die Anlage. Der Abstand von Kuppel zu Kuppel betrug fünfzig Meter. Es war ein Fußmarsch von einigen Minuten.
»Wir könnten natürlich auch direkt zwischen den Kuppeln hindurchgehen«, erklärte die Archäologin. »Aber Ligatem hat es vielleicht schon erwähnt, wir hatten hier bereits Todesopfer. Die Anlage war von versteckten Thermokanonen beschützt, als sie gefunden wurde. Wir wissen nicht, ob wir alle entdeckt und ausgeschaltet haben. Deshalb meiden wir überflüssige Wege am Altar entlang und natürlich unnötige energetische Vorgänge.«
Cinthia geleitete mich vor eine Platte, die aussah wie eine altägyptische Schrifttafel. Die Schriftzeichen besaßen einen eigentümlichen, seltsam vertrauten Charakter. Ich musterte die Zeichen sorgfältig.
Andromeda, konstatierte mein Extrasinn unhörbar. Erinnere dich an die Lemurer und die Meister der Insel. Das hier ist alt. Sehr, sehr alt. Cinthia hatte recht.
Mein photographisches Gedächtnis ließ mich den Sinn jener uralten Schriftzeichen erfassen:
Die Hoffnung geht nicht verloren.
Das Glück kann man zwingen.
Die Zeit muss nicht ein Gegner sein,
wenn du sie zu deinem Freund machen kannst.
»Was bedeutet das?«, wollte ich wissen.
»Eigentlich war das unsere Frage an dich, Atlan!«, meinte Cinthia Taubenflug.
»Zumindest handelt es sich um einen uralten Dialekt. Damals stand das Reich der Lemurer vor der Vernichtung durch die Haluter. Diese Schrifttafel wurde vermutlich zu einem Zeitpunkt geschrieben, als auch die Sonnentransmitter entstanden. Maximal tausend Jahre danach.«
Ich dachte eine Weile über die Zeilen nach. Dann zuckte ich mit den Schultern, eine typisch menschliche Geste, die ich mir im Lauf der Jahrhunderte unter Terranern angewöhnt hatte.
»Ist das der Altar, von dem du gesprochen hast?«, fragte ich.
»Keineswegs«, meinte sie lakonisch. »Der steht weiter hinten.«
»Zeig ihn mir«, forderte ich sie auf.
Cinthia führte mich in die Mitte der Anlage, zwischen den Kuppeln hindurch. Ich registrierte, dass Fürst Ligatem jenseits der Kuppelgrenze zurückblieb.
Er fürchtet sich, wisperte mein Extrasinn. Ligatem da Traversan ist kein Dummkopf und kein Feigling. Du solltest das ernst nehmen.
Soll ich wieder nach Hause fliegen?, fragte ich unwillig.
Vielleicht wäre das klüger. Cinthia hat ausgesagt, dass ihre Geräte die Geheimnisse der Station nicht enträtseln können. Niemand gibt sich eine solche Mühe, wenn es nicht unbedingt notwendig ist; wenn die Geheimhaltung nicht einen wichtigen Sinn macht. Gehe besser davon aus, dass in der Station noch unentdeckte Gefahren lauern.
Versteckte Waffensysteme?
Kaum anzunehmen, dass es so einfach ist.
Cinthia zeigte auf einen schmucklosen, aus blankem Fels gehauenen Stein.
»Der Altar. Wir haben ihn natürlich nur aus einer Laune so genannt. Seine wahre Funktion dürfte mit Religion nichts zu tun haben.«
Die obere Fläche war eine Plattform. Sie durchmaß acht Meter und wirkte im Gegensatz zu den Seiten wie glattpoliert. Ich fühlte mich an ein gigantisch vergrößertes Mikroskop erinnert, und der Altar diente als Objektträger.
»Der Altar befindet sich exakt im geometrischen Zentrum der Anlage«, erläuterte die Archäologin. »Wir haben das nachgeprüft. Und es gibt keine weiteren Schriftzeichen. So etwas wie eine Funktion ist nicht erkennbar.«
Von Westen fegte ein Windstoß durch die Anlage. Die Luft trug den typischen verbrannten Duft der Wüste mit sich. Sandkörner fingen sich in meinem Haar. Unwillkürlich hielt ich einen gewissen Abstand zum Altar ein. Mit den Meistern der Insel hatte ich schlechte Erfahrungen gemacht. Plötzlich wünschte ich mir, ich hätte einen SERUN mitgenommen und nicht diese Standard-Kombination.
»War das jetzt alles, Cinthia?«, fragte ich.
»Natürlich nicht. Dafür hätten wir dich nicht nach Traversan gerufen. Unser Problem sind die fünf Kuppeln. Wir konnten nur eine öffnen. Und das, obwohl wir mit den modernsten Apparaturen graben. Wir können nicht einmal sicher feststellen, ob die Kuppeln hohl oder massiv sind. – Ich meine, wäre es wirklich Sandstein, dann könnten wir das Material bis auf einzelne Moleküle genau abbilden. Aber hier – gar nichts.«
Als wir gegen die Meister der Insel gekämpft hatten, war von deren Technik nichts geblieben. Die kümmerlichen Reste hatten sich andere einverleibt. Mit einem Mal sah es so aus, als bekämen wir hier eine zweite Chance.
Cinthias Auskunft nährte meine geheime Hoffnung. Wenn es sich wirklich um eine Station der Meister handelte, dann bargen die Kuppeln möglicherweise ein wertvolles technologisches Erbe: Multiduplikatoren, um nur ein Beispiel zu nennen.
Camelot hätte damit den letzten Schritt getan, hin zur führenden Techno-Macht der Milchstraße. Umgekehrt konnten die Geheimnisse der Anlage aber auch Imperator Bostich zum mächtigsten Mann der Galaxis erheben.
»Ich will diese eine offene Kuppel sehen.«
»Dahinten ist der Eingang.«
Cinthia führte mich zu einer Art Schott, das man nicht nebeneinander, sondern nur hintereinander passieren konnte.
»Auf welche Weise habt ihr den Zugang entdeckt?«, wollte ich wissen. Cinthia lachte leise; ein Geräusch, das sich in der Wüste dumpf und kraftlos anhörte.
»Ich weiß, dass das schwer zu glauben ist, aber die Tür stand offen. Als wir es merkten, mussten wir zuerst tonnenweise Flugsand beseitigen. – Sieh es dir selbst an, Atlan!«
Die Kuppel war praktisch leer.
Nicht leer, korrigierte mein Logiksektor, sondern ausgeräumt. Das ist ein Unterschied.
Der eiförmig aufragende Innenraum barg eine Fülle von Regalen. Einige zeigten Schrammen, andere wiesen deutlich sichtbar Standspuren sehr schwerer Gegenstände auf.
»Habt ihr irgendwelche Fundstücke von ihrem Platz entfernt?«
»Nein. Es gab keine Fundstücke.«
In der Kuppelmitte gähnte ein Loch im Boden. Es handelte sich um ein Luk, das den Weg nach unten freigab.
»Besitzt deine Kombination einen Antigrav?«, hörte ich Cinthia fragen.
»Natürlich. Antigrav, Funkgerät und Schutzschirmprojektor.« Ich klopfte auf meinen Gürtel. »Aber was ist mit Licht?«
»Keine Sorge. Es sind überall Lampen angebracht.«
Wir ließen uns schwerelos durch das Loch nach unten tragen. Die Archäologin führte mich durch einen Kammerkomplex. Jedes der Gewölbe, die man von hier aus erreichen konnte, erwies sich als leer.
»Wir glauben, dass hier unten alles mit altlemurischer Hightech vollgestopft war. Wo das Zeug hin ist? Keine Ahnung … Warte, Atlan! Dahinten ist ein kleiner Hangar, in dem wohl ein Kleinraumschiff untergebracht war. Wir haben Verbrennungen an den Wänden entdeckt, vermutlich Spuren eines Korpuskulartriebwerks. Natürlich ist auch dieser Hangar leergeräumt. – Und übrigens, von oben lässt sich das Kavernensystem ortungstechnisch nicht nachweisen. Wir können das Phänomen nicht erklären. Normalerweise orten wir Hohlräume wie diesen auf ein halbes Lichtjahr Entfernung.«
Typisch für die Meister, wisperte mein Extrasinn. Uneinheitlich entwickelte Technologie. Auf der einen Seite ein rückständiges Korpuskulartriebwerk, auf der anderen Seite Zeitmaschinen und Sonnentransmitter.
»Tatsache ist, dass uns vier der fünf Kuppeln verschlossen bleiben. Wir hoffen, dass du uns helfen kannst, Atlan. Wir haben nicht ewig Zeit. Traversan ist arkonidisches Territorium. Wir können nur auf den Faktor Geschwindigkeit setzen.«
Cinthia führte mich hinauf ans Tageslicht. Unwillkürlich kniff ich die Augen zusammen. Travs Stern leuchtete so kräftig wie Sol um die Mittagszeit, grell und kaum erträglich.
Mein Blick fiel zum zweiten Mal auf den Altar. Und diesmal ignorierte ich die instinktive Scheu, die mich eben noch bewogen hatte, Abstand zu halten. Wie in Trance bewegte ich mich auf die Plattform zu. Es war, als habe ein suggestiver Einfluss Macht über mein Handeln erlangt; dies war natürlich ausgeschlossen, da ich durch den aktivierten Logiksektor nicht psionisch beeinflusst werden konnte.
»Atlan? – Atlan! Was ist mit dir?«
Ich nahm Cinthias Stimme als ein leises, entferntes Wispern wahr. Dabei stand sie nur wenige Meter hinter mir.
Bleib stehen, Narr!
Ich schenkte dem inneren Aufschrei keine Beachtung. Der Altar konnte nicht gefährlich sein. Die Archäologen hätten es sonst längst herausgefunden.
Halt, Arkonide! Cinthias Leute hätten nicht einmal die Kavernen gefunden, hätte die Tür nicht offengestanden! Du weißt nichts über dieses Objekt!
Kurz vor Erreichen des Altars verzögerte ich meinen Schritt. Einen Meter weiter, das ahnte ich plötzlich, und eine unsichtbare Grenze wäre überschritten.
Travs Stern brannte von hinten in meinen Nacken. Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter – es war Fürst Ligatem! –, die ich jedoch abschüttelte.
Mit einem weiten Satz sprang ich auf die Plattform.
Nichts geschah. Die Bedenken der anderen schienen mir mit einem Mal kindisch, und ich konnte im Nachhinein nicht erklären, weshalb ich anfangs eine solche Scheu empfunden hatte.
Da erscholl eine Stimme:
»Na Maghan! Na Tha‘genem par atha ke!«
Ich erstarrte. Mit allen Sinnen versuchte ich, den Ursprung der Worte festzustellen. Doch die Stimme schien von überall zugleich zu kommen. Ich ahnte, dass der Altar selbst die Schwingungsmembran eines gigantischen Lautsprechers war.
»Na Maghan! Na Tha‘genem par atha ke!«
Die Sprache war Alt-Tefroda, das sich von der alten lemurischen Sprache kaum unterschied. Ich kannte den Dialekt! Gehört hatte ich ihn ausschließlich in Situationen allerhöchster Lebensgefahr.
Fürst Ligatem und Cinthia fingen an zu schreien. Sie stießen Worte aus, deren Sinn ich nicht verstehen konnte. In ihr Geschrei mischte sich ein umfassendes Dröhnen, das aus den Tiefen der Wüste entsprang.
Es dauerte drei, vier weitere Sekunden, dann verstand ich nichts mehr außer dem Satz in Alt-Tefroda:
»Na Maghan! Na Tha‘genem par atha ke!«
Unwillkürlich übersetzte ich:
»Maghan! Schaltung Sternentau wurde soeben aktiviert!«
Die Botschaft wurde endlos wiederholt. Was bei allen Göttern war unter Schaltung Sternentau zu verstehen? Den Ausdruck Maghan kannte ich jedoch sehr gut; die Meister der Insel hatten sich damals so titulieren lassen. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen hatte mein Sprung auf den Altar einen uralten Mechanismus aktiviert.