Zwei gegen Ragnarøk

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Leif stellte Essen vor ihm ab und ging zum Feuer, dass er neu entfacht hatte, als Djarfur noch schlief. Er gab ein paar Kräuter in die Becher, etwas Honig und goss mit heißem Wasser auf.

Nachdem er die Becher abgestellt hatte, griff er mit fester Hand nach Djarfurs Schulter, schaute ihm ins Gesicht und sprach in eindringlichem Ton: „Djarfur, mein Freund, du hast uns so weit gebracht und ich bin dir immer gefolgt, nun hast du sehr viel verloren und deine tiefe Trauer kann ich gut verstehen, aber dein größter Schatz sitzt neben dir. Hüte ihn und bringe ihn sicher nach Hause.“

Djarfur fühlte sich erleichtert; sein treuer Freund hatte Recht.

Im Schein des Feuers aßen sie schweigend von ihren Vorräten und tranken den Honigtee. Djarfur kaute langsam, so als ob er damit die Zeit überbrücken könnte. Beide Männer starrten schweigend in die Flammen und dachten an ihren verwirrenden Traum aus der letzte Nacht. Plötzlich wurde Leif unruhig und sein Gesicht verzog sich zu einer ängstlichen Grimasse, wie sie Djarfur an seinem Gefährten nicht kannte. Leif schaute ihn an, als ob er ein Gespenst sähe und Djarfur fragte: „Was ist mit dir? Warum schaust du so merkwürdig drein?“

Leif antwortete zögernd: „Ich muss dir endlich von meinem Traum erzählen. Der war so seltsam, so erschreckend“, und dann schilderte er seinen Traum von den Nornen, der dem von Djarfur fast aufs Haar glich.

Als Djarfur ihm dann seinen, fast gleichen, Traum geschildert hatte, schaute Leif noch entsetzter drein und flüsterte: „Wo sind wir hier gelandet, dass uns die Nornen erscheinen? Ist das hier Hel8? Sind wir tot, oder verflucht?“

Djarfur beruhigte Leif: „Noch leben wir und du hast mir gerade mit deiner Zuversicht meinen Lebenswillen zurück gegeben. Ich danke dir dafür.“

Nach einem kurzen Zögern fuhr er fort: „Was haben diese Weiber dir denn gesagt?“

Leif antwortete stockend und meinte, dass er die Nornen schlecht verstehen konnte und starrte wieder gedankenverloren in die Flammen. Nach einigem Grübeln redete er aber weiter.

„Ich glaube, dennoch etwas vom Sinn ihrer Worte verstanden zu haben. Ihre Gedanken waren in meinem Kopf. Sie wollten, dass wir von hier wegfahren, nach Hause, und ich hätte die Pflicht jemanden zurück zu bringen, oder so ähnlich.“

Djarfur nickte verstehend.

„Leif, wir werden nach Hause fahren, ich brauche nur noch etwas Zeit für Saida. Ich muss sie hier begraben. Kümmere dich bitte um Einurd, bis ich wieder hier bin.“

Dann wandte er sich Saida zu, die in eine Decke gerollt, immer noch auf dem Stroh lag.

Mit Saida auf seinen Armen, lief Djarfur ziellos umher. Ihm war nicht bewusst, wonach er suchte. Er wusste nur, dass er seine Last nicht loslassen wollte, aber er wusste auch, dass er die Liebe seines Lebens hier, in dieser Ödnis, zurücklassen musste.

Schließlich fand er eine Mulde, die mit hohem Gras umwachsen war. Sie war gerade so groß, dass er Saida hier der Ewigkeit übergeben konnte. Djarfur legte sie sanft ins Gras und kniete neben ihr nieder.

Ein letztes Mal streichelte er Saidas Gesicht, berührte mit seinen Lippen, ganz zart, ihren Mund und den Talisman, den sie um ihren Hals trug.

Es war genau der gleiche, der auch an Einurds silberner Kette hing. Mühsam unterdrückte er die aufsteigende, Bitterkeit und zwang sich, Steine zu sammeln, aus denen er den Umriss eines Bootes nachbaute und mit denen er schließlich Saida bedeckte. Als er dabei war, die letzten Steine auf ihren Körper zu legen, übermannte ihn doch noch einmal seine Trauer und er fiel auf die Knie. Zornig schwang er seine Fäuste in den Himmel und rief: „Götter, ihr habt sie mir zu früh genommen, aber ich bitte euch, gebt ihr einen guten Platz, gebt ihr Frieden, sonst werdet ihr mich kennen lernen!“

Später saßen sie wieder zu dritt in der Hütte, am Feuer. Die Männer hingen schweigend ihren Gedanken nach und Einurds Augen wanderten forschend, abwechselnd, von einem Mann zum anderen. Irgendwann hob Djarfur sein Kopf und machte ein nachdenkliches Gesicht.

„Leif, sag mal, wie lange sind wir schon hier auf dieser verfluchten Insel? Wir haben doch lange geschlafen und jetzt habe ich meine geliebte Saida begraben. Fällt dir nicht etwas Merkwürdiges hier auf?“

Leif überlegte, schaute sich um, dann blieb sein Blick an der Tür hängen und er stand auf. Mit den Worten: „Ich ahne, was du meinst“, öffnete er die Tür, zeigte mit einer Hand nach draußen zum Himmel. „Meinst du das? Ich sehe immer das gleiche Licht und keine Sonne. Es wird weder dunkler noch heller.“

Djarfur nickte. „Genau das meine ich. Was ist das für eine Insel? So etwas gibt es doch gar nicht, oder wir sind …“

Leif unterbrach ihn mit nur einem Wort: „Hel.“

Djarfur schaute ihn aus seinem Auge scharf an und sah wie Leif vor Angst zu schlottern begann. Einurd schaute nun ihrerseits auch ängstlich auf ihren Vater. Auch sie kannte aus seinen Erzählungen Hel, das Reich des Todes. Djarfur nahm Einurd schnell in die Arme und drückte sie.

„Meine kleine Taube, hab keine Angst. So lange ich lebe und Leif lebt, so lange sind wir nicht im Reich der Toten, und so war ich Djarfur bin, ich werde uns nach Hause bringen.“

„Pst, seid mal still, hört mal!“, rief Leif plötzlich, „ich glaube, ich habe einen Raben krächzen gehört.“

Einurd und Djarfur schauten auf und lauschten – Stille.

„Djarfur, ich schwöre dir, ich habe einen Raben gehört, wirklich“, dann senkte Leif den Kopf und schaute wieder teilnahmslos in das Feuer.

Djarfur dachte: „Ob ihn der Traum so zugesetzt hat? Er hört hier einen Raben, aber die fliegen doch nie so weit von der Küster entfernt.“ Dann stutzte er, hielt er den Kopf etwas schräg und lauschte auch. Als er plötzlich auch einen Raben krächzen hörte, durchfuhr es ihn wie ein unverhoffter Stoß in die Rippen. Er sprang auf und lief zur Tür hinaus, einmal um die Hütte herum und dann eine größere Runde, bis hinunter an das Meer; aber kein Rabe war mehr zu sehen. Djarfur war sich jedoch ganz sicher, dass er den Raben auch gehört hatte.

Er schüttelte den Kopf und ging langsam zurück zur Hütte. „Wir sind nicht zufällig hier gelandet“, ging es ihm durch den Kopf „und auch die Nornen mit ihrer Weissagung in der Nacht sind kein Zufall. Irgendwer oder irgendwas versuchte hier unser Schicksal zu lenken.“

Er grübelte weiter: „Wenn es die Nornen nun wirklich gibt, dann habe ich auch einen realen Raben krächzen gehört, aber wer kann einen Raben so weit über die See fliegen lassen?“

Djarfur schüttelte wieder den Kopf.

„Odin? … Nein, welches Interesse sollte Odin an uns schon haben?“

Er hatte die Hütte wieder erreicht und öffnete die Tür. Grade wollte er seinen Fuß hineinsetzen, da hörte er wieder einen Vogelruf. Sein Kopf flog herum und sein Auge suchte den Himmel ab.

Djarfur erblickte eine riesige Möwe, die langsam einen Kreis über der Hütte zog.

Er rief in die Hütte: „Leif, komm raus, packt alles zusammen, wir müssen fahren. Hörst du? Da ruft eine Möwe!“

Leif und Einurd standen augenblicklich neben ihm und suchten mit ihren Augen den Vogel.

„Ja, du hast Recht, aber das ist keine gewöhnliche Möwe“, flüsterte Leif. „Sieh nur wie groß sie ist. Das ist der Eissturmvogel. Meinst du, das wäre ein Zeichen?“

„Ja, davon bin ich überzeugt, so wie hier auf dieser verfluchten Insel alles Zeichen waren, eines nach dem anderen, selbst der Rabe, den ich nach dir auch gehört habe. Lass uns sofort packen und verschwinden.“

So schnell sie konnten, luden sie ihr Gepäck in das Boot und stießen endlich erleichtert vom Ufer an.

Wieder schauten sich Leif und Djarfur irritiert an, als ein kräftiger Wind in das Segel fuhr und das Boot rasch an Fahrt gewann. Bis zu diesem Moment hatte Flaute geherrscht, kein Lüftchen war zu spüren gewesen und nun plötzlich ein guter Wind zum Segeln.

Die Richtung war den Männern noch nicht klar und Djarfur sprach aus, was sie beide dachten: „Nur raus aus diesem Dämmernebel, dann werden wir schon sehen.“

Sie waren eine kurze Strecke mit dem Wind gesegelt, da lichtete sich der Nebel, nein er verschwand einfach, in einem Augenblick.

Leif deutete nach hinten und Djarfur drehte sich um. Er glaubte seinem Auge nicht zu trauen, aber hinter ihnen hatte sich der Nebel restlos aufgelöst und die plötzlich klare Sicht zeigte ihm, dass mit dem Nebel auch die Insel, verschwunden war.

„Es gibt sie also doch, diese Nebelinsel aus den Erzählungen der Alten“, ging es ihm durch den Kopf. Und da waren die Worte der Nornen plötzlich wieder in seinen Gedanken und Ragnarök, das Sterben der Götter!

„Ob uns das jemals einer glauben wird?“, rief er Leif zu.

Der Wind kam günstig und Leif hatte, mit Hilfe der Sonne, ihren Kurs neu bestimmt. Beide Männer wechselten sich jetzt ständig an den Rudern ab, so dass ihr Boot zügig Fahrt machte.

Nur kleine, weiße Federwölkchen bedeckten noch den Himmel und die Sicht war klar. Die Sonne hatte noch nicht ihren Zenit erreicht und so wussten sie, dass sie noch heute den heimatlichen Fjord erreichen würden. Diese Erkenntnis spornte ihre Kräfte beim Rudern noch mehr an und das Boot fuhr mit höchster Geschwindigkeit dem Ziel entgegen.

Einurd jauchzte sogar manchmal auf, wenn sie von einer Welle besonders hochgehoben wurden und anschließend das Boot mit lautem Krachen zurück auf das Wasser fiel.

„Sie hat den Tod noch nicht richtig begriffen, oder eine besondere Gabe, mit ihm umzugehen“, dachte Djarfur.

Jetzt vernahm er mit dem Wind einen leichten Geruch von Land und sein Herz begann mit einem Mal wieder heftiger zu schlagen. Wieder ließ er seine Gedanken weit voraus eilen: Vor seinem Auge breitete sich der Fjord aus, der steinige Strand, mit der Böschung die dicht mit zahllosen Holunderbüschen bewachsen war und dahinter das Dorf. Seine Gedanken flogen, wie eine Möwe, über Björkendal dahin und er sah die etwa zwanzig kleinen Hütten, die um das große Langhaus herum standen.

 

„Ob das alles noch so ist? So viele Jahre waren wir fort. Ob uns die Leute noch erkennen? Gibt es Björkendal überhaupt noch? So viele haben damals die Heimat verlassen, als Erik der Rote9 neues Land entdeckt hatte.“

Djarfur hielt das Ruder fest, nein, er hielt sich am Ruder fest, so sehr, dass die Knöchel an den Händen weiß hervortraten. Die Sehnsucht nach seinem Fjord ließ ihn stoßweise atmen und sein Herz hämmerte so stark, dass er den Puls im Hals spürte.

Das Glitzern der vielen tausend Wellen, wenn die Sonne in den Fjord schien, die mit Nebel verhangenen Berge im Norden des Dorfes und die blühenden Wiesen um ihre Häuser, all diese Bilder schossen durch seinen Kopf und lösten einen richtigen Orkan an Gefühlen aus. Dann tauchten die Birken vor seinem Auge auf, zahllose Birken. Er liebte den hellen, lichten Birkenwald, die schlanken, weißen Stämme, seine Heimat, Björkendal.

Er war nie ein wirklicher Tierliebhaber, aber jetzt sehnte er sich nach dem Brummen der kleinen, zottigen Kühe und nach den blökenden Schafen. Alles stürzte jetzt, wie aus einem Eimer gegossen, über seinen Kopf und er wusste nicht, welches Bild er zuerst festhalten sollte.

Ein Gesicht tauchte auf, wie aus grauem Nebel, dem sie grade entronnen waren; Kylikki, das wunderschöne Mädchen Kylikki, das damals mit ihnen Eltern und ihrem Bruder Teemu von jenseits der Berge zu ihnen kam. Sie kamen vom Volk der Sami. Ach, was war er nur für ein Hitzkopf gewesen, er hatte mit ihr gespielt und sie im Wald genommen, ohne dass er sie wirklich liebte. Oder hatte er sie doch geliebt? Es hatte ihm damals nichts ausgemacht, ihre Hingabe zu genießen und zu wissen, dass sie ihn liebte. „Arme Kylikki“, dachte er. „Ich hoffe, dass du einen guten Mann gefunden hast. Ich werde mich bei dir entschuldigen, weil ich einfach so verschwunden bin. Wir verließen Björkendal zu dritt, Leif und dein kleiner Bruder Teemu gingen mit mir.“

Seine Gedanken schweiften weiter ab: „Teemu, der sich als Knabe auf ihr Boot schlich und sich erst zeigte, als sie schon auf hoher See waren. Er war eigentlich zu jung gewesen, aber er wurde dennoch ein guter Gefährte und auch ein guter Kämpfer …“

Vor Jahren schon verschwand Teemu aus seinem Blickkreis, ohne dass sie wussten, wohin.

Eine große Welle brachte ihn schlagartig in die Realität zurück und er ließ seinen Blick über das Boot und seine Ladung schweifen. In die Trauer, die er über Saidas Tod empfand, mischte sich jetzt Freude darüber, dass er wohl noch heute durch Björkendal gehen würde und sein Blick fiel auf die hundert kleinen Bäumchen, die in Säcken verpackt, ordentlich an der Bordwand aufgestellt und festgemacht waren.

Ein kleines Lächeln flog über sein Gesicht. Diese Bäumchen waren das Geschenk eines Frankenfürsten, das er für seine Heilkünste erhalten hatte. Er erinnerte sich an den Frühling vor zwei Jahren. Mit Saida hatte er, im Land der Franken, einen blühenden Apfelhain erlebt und mit ihr zusammen trank er das wunderbare Getränk, das die Leute dort aus den Äpfeln herstellten. Damals entstand ein kühner Traum in seinem Kopf; Apfelwein aus Björkendal.

Er hatte die Kinder des Fürsten geheilt und bekam dafür, auf seinen Wunsch, die einhundert Apfelbäumchen geschenkt. Der Fürst schüttelte zwar den Kopf über diesen sonderbaren Wunsch, aber er respektierte auch den klugen Heiler aus dem hohen Norden.

Der Bug hüpfte mit den Wellen auf und nieder und als das Boot einmal besonders laut auf die Wellen klatschte, schrak er wieder aus seinen Gedanken auf. Djarfur zwang sich in die Realität zurück. Er wischte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, blickte nach vorne, da begann sein Herz vor Freude wild zu hämmern und er atmete ganz tief ein. Glitzernd, in der Abendsonne lag der heimatliche Fjord vor ihnen. Ein heiserer Ruf drang aus seiner Kehle: „Leif, unser Fjord!“, dann lief eine Träne über sein bärtiges Gesicht.

Leif legte die Ruder auf den Bootsrand, sprang auf und schaute in Fahrtrichtung. Als wäre er trunken, knickten ihm plötzlich die Knie ein, aber er fing sich wieder, sprang über die Sitzbänke auf Djarfur zu und umarmte ihn stürmisch.

Einurds Stimme drängte sich zwischen die Männer: „Vater, sind wir jetzt in deinem Björkendal?“

Djarfur ließ Leif los, drückte ihm das Ruder in die Hand und hob Einurd so hoch er konnte. „Ja, mein Töchterchen, das ist unser Fjord und da ganz hinten siehst du das Ufer von Björkendal, unserem Björkendal.“

BJÖRKENDAL

Fünf Jahre waren seit seiner Heimkehr ins Land gegangen und Alvitur stand auf einer kleinen Erhebung, westlich der Häuser von Björkendal, neben ihm Kylikki und Leif, sein alter Weggefährte.

Leif legte ihm die Hand auf die Schulter und folgte seinem Blick. „Alter Freund, schau, wie du Björkendal verändert hast. Es gibt wieder Hoffnung für unser Dorf.“

Alvitur nickte und schaute auf die blühenden Apfelbäume. Seit er sie vor fünf Jahren, gemeinsam mit ein paar Freunden gepflanzt hatte, waren sie kräftig gewachsen und blühten nun zum ersten Mal in so einer Pracht, dass man sie wirklich als Apfelhain bezeichnen konnte.

Kylikki schaute auch mit einem Lächeln auf die blühenden Bäume; sie war davon so beeindruckt, dass sie flüsterte: „Djarfur, du hast ein Wunder vollbracht. Weißt du, dass du ungefähr für jeden, der Björkendal damals verlassen hatte, ein Bäumchen mitgebracht hast? Es ist wunderschön geworden, unser Björkendal.“

„Kylikki, ich bin Alvitur. Mit Saida ist damals auch Djarfur gestorben.“

„Dann sage aber auch Fifilla zu mir, wie mich alle anderen hier nennen. Kylikki ist auch damals gestorben, als der Mann, den sie liebte, sie einfach verlassen hatte, um sich in der weiten Welt herumzutreiben.“

Über Alviturs Gesicht flog ein leichtes Lächeln und er nahm ihre Hände in seine. „Fifilla, es ist so viel Zeit vergangen seit damals und ich habe für all das, was ich falsch gemacht habe, bitter bezahlt. Lass uns Freunde sein und sei zuversichtlich, dass hier bald wieder glückliche Menschen und fröhliche Kinder leben werden.“

Fifilla schaute ihm mit einem schmerzlichen Lächeln ins Gesicht und berührte die Stelle wo einst sein zweites Auge gewesen war. „Ja, so soll es sein.“ Dann drehte sie sich rasch um und lief zurück ins Dorf.

Leif fragte: „Was hat sie? Gibt es ein Problem zwischen euch beiden?“

„Nein, mein Freund, jetzt nicht mehr, aber ich habe ihr einmal sehr wehgetan, und es tut mir heute so unendlich leid, aber wäre ich bei ihr geblieben, dann wären wir nicht die, die wir jetzt sind und diese Apfelbäume gäbe es dann auch nicht.

Kylikki, oder Fifilla, sie ist in jedem Fall eine wunderbare Frau und auch überaus klug. Aber ich weiß jetzt, dass ich mit ihr immer rechnen und auf sie zählen kann.“

Alviturs Blick wurde nachdenklich und er schaute Leif ins Gesicht. „Ich glaube aber, dass sie im Moment auch etwas traurig ist, weil ihr Teemu wieder verschwunden ist. Damals, als er noch ein Kind war, verließ er seine Familie heimlich, um uns zu folgen. Irgendwann verließ er auch uns und verschwand. Nun kam er zwei Jahre nach uns zurück und verschwindet nach kurzer Zeit gleich wieder.“

Leif wackelte leicht mit dem Kopf. „Ich glaube Teemu ist den Verlockungen dieser neuen Welt, hinter dem Dänenwall10, erlegen. Dass ihn so ein Mädchen wie Einurd hier nicht binden konnte, ist schon merkwürdig. Jetzt, wo Björkendal sich auf wunderbare Weise verändert hat, hätte er doch hier sehr nützlich sein können. Alvitur, mir geht da aber noch so ein Gedanke im Kopf herum: Ich erinnere mich, dass Teemu viel von seinem Volk geredet hat, kurz bevor er wieder verschwand; vielleicht ist er dorthin zurück.“

„Leif, mein Freund, dass Teemu einfach verschwunden ist, hat Einurd richtig krank gemacht, dass ich sie manchmal kaum wieder erkenne. Ich glaube, sie hat ihn wirklich geliebt. Diesen Burschen würde ich gerne zwischen meine Finger bekommen. Erst macht er ihr ein Kind, obwohl sie eigentlich selbst fast noch zu jung war und dann verdrückt er sich heimlich.“

Leif nickt. „Ja, er ist schon eine merkwürdige Gestalt, aber Einurd packt das schon, bei so einem Vater.“

Leif deutete mit einer Hand auf die vielen blühenden Apfelbäume. „Alvitur, was machen wir jetzt mit so vielen Äpfeln? Irgendwann werde sie reif sein und ich bin nicht so begeistert davon, tagelang nur Äpfel essen zu müssen, oder meinst du, dass wir damit gut handeln können?“

Alvitur lächelte. „Leif, du vergisst aber schnell. Erinnere dich, als wir damals bei den Franken waren, dort wo ich die Bäume geschenkt bekam, was hattest du dort am liebsten getrunken?“

Leif zeigte mit einem verstehenden Lächeln, dass er sich erinnerte. „Aaah. Ja, stimmt. Meinst du, dass wir das hier auch machen können? Ich meine, weißt du wie das mit dem Apfelwein funktioniert?“

Nun zwinkerte Alvitur ihm zu und zeigte ein Gesicht, das nicht alltäglich war. Wissen, Glück, Befriedigung und Stolz, all das zeigte sein Lächeln in diesem Augenblick.

„Leif, du warst dabei, als mir die Leute den Namen Alvitur gaben, und selbstverständlich weiß ich noch, wie der Apfelwein gemacht wird. Ich habe doch genau zugesehen, wie sie ihn dort herstellten und alles ist hier drin.“ Alvitur tippte sich an seinen Kopf.

„Wir brauchen nur noch einen guten Töpfer, der uns die Gärkrüge herstellen kann, die wir dazu benötigen. Wir haben zwar hier Leute im Dorf, die sich gut selbst versorgen können, aber wenn wir soviel Wein machen würden, dass sich der Handel damit lohnte, dann könnte das für Björkendal ein richtiger Segen werden.“

Leif nickte nachdenklich. „Ja, du hast sicher Recht und ich beneide dich etwas um deinen Weitblick, aber dann sollten wir auch dafür sorgen, dass wir bald wieder ein gutes und schnelles Boot für Handelsfahrten haben.“

„Ja, mein Freund, das brauchen wir unbedingt und wir haben noch viel mehr zu tun, aber es ist gut, dich an meiner Seite zu wissen. Leif, ich muss so oft an die Welt denken, die wir zusammen kennen gelernt haben. Wenn diese Welt bis hierher vordringt, ist es aus mit unseren Göttern und unserem Leben, wie es die Menschen hier seit langen Zeiten leben konnten.“

„Alvitur, ich weiß, was du meinst, aber bei Haithabu ist doch dieser Wall, das Danewerk. Meinst du nicht, dass er uns schützen wird?“

„Ach Leif, ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass er uns vor dieser anderen Welt nicht mehr lange beschützen wird. Komm, lass uns zurückgehen, ich habe Hunger.“

Kaum dass die beiden in Alviturs Hütte angekommen waren, stürzte Fifilla aufgeregt herein.

„Wir bekommen ein Kind, Nachwuchs für Björkendal. Die Hilda liegt in den Wehen.“

Mitleidig lächelnd fügte sie hinzu: „Und Ernir, ihr Mann, sieht schon ganz blass aus. Kommst du mit?“

Alvitur nickte. „Fifilla, warum holst du mich eigentlich zu dieser Geburt, machst du das nicht sonst alleine, mit den anderen Frauen?“

Fifilla nickte etwas nachdenklich. „Du hast schon Recht, aber ich hatte so einen merkwürdigen Traum, in dem mit Stimmen sagten, das die Geburt heute besonders bedeutungsvoll sei. Es war wirklich merkwürdig, denn ich habe kein Wort verstanden, nur irgendwie war es dann in meinem Kopf und es drängte mich, dich zu dieser Geburt auch zu holen.“

Alvitur grübelte etwas, dann wischte er die aufkommenden Gedanken beiseite, die Fifillas Worte, merkwürdiger Traum, ausgelöst hatten und schaute sich suchend in seiner Hütte um. „Gut, ich muss nur noch ein paar Sachen zusammensuchen. Leif, dann wird es wohl nichts mit unserem gemeinsamen Essen, eine so wichtige Geburt geht vor.“

Als sie auf dem Weg zur Hütte von Ernir und Hilda waren, zog ihm Fifilla plötzlich am Ärmel und deutete mit überraschtem Gesicht auf die kleinen Rasenflächen, die zwischen den Häusern lagen und mit leicht erregter Stimme fragte sie: „Alvi, schau, fällt dir denn hier nichts auf?“

Alvitur schaute und zuckte die Schultern. „Ich weiß nicht was du meinst. Was ist an den Gänseblümchen so Besonderes?“

Fifilla rüttelte ihm nun am Kragen. „Alvitur, bitte, schau doch mal richtig hin. Waren hier gestern so viele Gänseblümchen?“

Da stutzte Alvitur doch und macht ein überraschtes Gesicht.

 

„Ja, meine Liebe, du hast Recht. Es sind ja wirklich tausende … einfach so über Nacht. Meinst du, dass hier Freya hier ihre Hand im Spiel hatte?“

Er hatte kaum ausgesprochen, das zog Fifilla schon wieder heftig an seinem Ärmel.

„Alvitur, hier hat nicht nur Freya ihre Hand im Spiel. Schau dort!“ – und sie deutete, ganz aufgeregt, auf die Giebelbalken von Ernirs Hütte.

Jetzt blieb Alvitur überrascht stehen und flüsterte: „Fifilla, deine Worte sind wahr“ – und mit heiserer Stimme ergänzte er: „Ich glaube, dass ich am ganzen Körper Gänsehaut habe.“

Er sah hoch zu den beiden Raben und als ob sie ihn zuriefen, sich zu beeilen, krächzten sie: „Arr, arr!“

Alvitur drückte ganz fest Fifillas Hand und flüsterte: „Fifilla, das sind keine gewöhnlichen Raben. Sieh, wie groß sie sind, das sind Odins Raben.

Freya und Odin, sie sind hier, sie sind anwesend und das heißt, dass hier ein besonderes Kind geboren wird. Dann haben sie dir diesen merkwürdigen Traum geschickt. Komm, meine gute Fifilla und lass es uns vollenden. Noch nie habe ich die Götter so deutlich gespürt, wie jetzt.“

Die Geburt verlief trotz der göttlichen Vorzeichen ganz normal, nur der junge Vater, Ernir, hatte Mühe seinen kleinen Sohn ruhig zu halten, der ganz aufgeregt schien und alles sehen wollte. Ernir war offensichtlich etwas überfordert, aber Fifilla hatte viel Geduld mit ihm und riet ihm endlich, zu Birta zu gehen, der Frau von ihrem Schmied. Ernir harrte aber am Lager seiner Frau aus und streichelte unentwegt ihre Hand.

Als Fifilla ihn nach dem Namen seiner eben geborenen Tochter fragte, antwortete er, als ob es das Normalste der Welt wäre, dass sie auch Hilda heißen sollte, so wie ihre Mutter.

Wieder zurück in seiner Hütte, dachte Alvitur, zusammen mit Fifilla, lange darüber nach, welches Geheimnis sich wohl hinter dem großen Interesse der Götter, an der Geburt eines kleinen Mädchens, verborgen sein könnte. Irgendwann, nach längerem, gemeinsamen Grübeln, meinte Alvitur: „Mir fällt nichts wirklich Schlüssiges ein, aber ich habe mich eben an diesen merkwürdigen Traum auf der Nebelinsel erinnert.“

Fifilla schaute ihn aufmerksam an. „Sag, was hast du damals geträumt, etwas Schreckliches?“

Alviturs Gesicht spiegelten die düsteren Erinnerungen wieder, als er antwortete: „Leif hatte damals fast den gleichen Traum; uns waren die Nornen erschienen und sie haben mir eine Weissagung zugeraunt, eine sehr merkwürdige, in Reimen und Leif wurde fast verrückt in dieser Nacht.“

Er kramte kurz in seiner Kiste und legte ein Stück Birkenrinde auf den Tisch, das mit Runenschrift beschrieben war. Die Erinnerung an dasaufgeschriebene Erlebnis ließ seine Stimme kratzig klingen, als er las:

»Djarfur, Djarfur, sei Alvitur,

zeige zweien einen Weg,

unendlich Zeit, ihr Privileg.

Für die Götter 1000 Jahre,

begleiten sie drei Augenpaare.

Der Erste ihnen Zeit bemisst,

damit ihn Fenriswolf nicht frisst.

Kraft schöpfen aus dem eig’nen Blut.

Es stirbt zu viel ohn’ der zwei Mut.

Mit gleichem Namen sei ein Kind,

das sie zu ihrem Ende find’«

Trotz gemeinsamen Grübelns, entdeckten sie keinen wirklich verbindenden Sinn zur heutigen Geburt, außer dass Djarfur nun wirklich Alvitur hieß.

„Fifilla, ich sehe noch keinen wirklichen Zusammenhang und doch bin ich mir Sicher, dass es da einen gibt. Wenn dir dazu irgendetwas einfallen sollte, sag es mir.“

Sonst schien ihnen, aus der heutigen Sicht nichts, von Bedeutung zu sein, außer dass er von einem Händler aus Hjemma, heute früh, erfahren hatte, dass Olaf Tryggvason König von Norwegen geworden war.

Zu Fifilla sagte er: „Leif und ich, wir kennen diesen Hund. Der Tryggvason ist früher, mit Leuten wie uns auf Wikingfahrt gegangen und jetzt ist er dabei unsere Götter zu verraten.“

„Wie meinst du das? Warum sollte er das tun?“, fragte Fifilla.

„Ich denke, dass ihm klar geworden ist, dass er mit dem neuen Gott und den Kirchenfürsten an seiner Seite, noch mehr Macht erlangen kann. Damals hat er seine Zukunft noch aus Krähenknochen gelesenen und jetzt tauft er die Leute mit dem Schwert, im Namen des neuen Gottes. Aber zum Glück liegen wir hier weit ab von ihm, und ich glaube kaum, dass er hier so bald auftauchen wird. Der weiß ja, zum Glück, nicht einmal, dass es unser Björkendal überhaupt gibt.“

Wochen später, als sich an den Apfelbäumen schon viele winzige Äpfelchen andeuteten und der Sommer noch einmal seine schönste Seite zeigte, ging Alvitur mit dem jungen Leifur durch den Apfelhain. In Alviturs Kopf kreisten viele Gedanken um die Zukunft Björkendals und er wusste, dass es nicht so leicht werden würde, alle Leute für seine Pläne zu gewinnen.

Leifur war ihr Töpfer, hatte geschickte Hände und Alvitur hatte ein paar hervorragende Krüge bei ihm gesehen, die ihn auf eine gute Idee brachten.

„Alvitur, warum hast mich hierher geführt? Ich kenne doch die Apfelbäume, oder willst du ein Geheimnis mit mir bereden?“

„Du triffst den Nagel auf den Kopf“, meinte Alvitur nun in einem etwas geheimnisvollen Ton. „Ja, es ist etwas sehr Wichtiges und es sollte möglichst noch unter uns bleiben, denn ich habe etwas vor, das unserem Dorf viel Gutes bringen kann und du sollst mir dabei helfen.“

Leifur war nun wirklich gespannt, was Alvitur mit ihm vorhatte und er schaute neugierig.

„Ich habe bei dir sehr gute Krüge gesehen, die du getöpfert hast. Kannst du auch Krüge herstellen, die viel größer sind und ich meine, wirklich richtig große Krüge?“

Leifur nickte. „Kann ich, aber dazu brauche ich auch sehr viel Ton. Wenn du dafür sorgst, dass ich genügend Ton bekomme, dann könnte ich dir Krüge machen, wo ein halber Ochse reinpassen würde.“

„Hmm“, machte Alvitur, „irgendwie werden wir das mit dem Ton schon hinbekommen, aber ich meine wirklich große Krüge, wo ein Fjerding11 reinpasst.“

Leifur grübelte und kratzte sich den Kopf. „Hm, das ist wirklich nicht einfach, da muss ich mir erst noch etwas bauen, eine größere Töpferscheibe. Kannst du Egill, sagen, dass er mir dabei helfen soll? Aber wozu denn so viele große Krüge?“

Alvitur griff in einen Apfelbaum und bog einen Zweig herunter. Er deutete lächelnd auf die kleinen Äpfelchen am Zweig. „Schau, diese kleinen Dinger sind ein Schatz, wenn wir sie richtig nutzen.“

„Äpfel, ein Schatz?“, fragte Leifur ungläubig.

„Damit wir diesen Schatz nutzen können, brauchen wir viele von diesen großen Krügen“, fuhr Alvitur fort.

„Wenn ihr mich nun schon zum Dorfältesten gewählt habt, dann will ich auch etwas für unser Dorf tun. Sag allen, dass wir am Tag nach dem nächsten Vollmond ein Thing abhalten werden, auf dem Platz unter der großen Eiche. Wir werden dann auch über die Äpfel reden, aber vor allem darüber, wie wir hier in Zukunft leben wollen.“

Der Ruf zum Thing, beschäftigte die Björkendaler schon seit Tagen und immer wenn sich zwei irgendwo begegneten, tauschten sie Gedanken darüber aus. Seit vielen Jahren war in Björkendal kein Thing mehr abgehalten worden und nun warteten alle mit Spannung darauf. Egill meinte, das letzte Thing habe stattgefunden, als sie damals beschlossen hatten, wie Erik der Rote, neues Land zu suchen und viele danach aus Björkendal weggegangen sind. Das aber war bestimmt schon mehr als fünfzehn Jahre her.

Am Tage des Things lag Spannung in der Luft und als die Sonne hinter den Bergen verschwand, standen alle Männer von Björkendal unter der großen Eiche versammelt. Sie waren voller Erwartung gekommen, denn für die meisten von ihnen, war es das erste Thing, an dem sie als Männer teilnahmen. Alvitur hatte sie erwartet und ein großen Holzhaufen aufgeschichtet und als die Spannung das Geraune ersterben ließ, winkte er Steinar heran und bat ihn das Feuer zu entzünden. Alle Augen ruhten jetzt auf Alvitur, dem Mann, dem sie vertrauten, der für sie Klugheit, Gerechtigkeit und Güte zu gleichen Teilen verkörperte.