I. Die Bio-Ökonomie - Die nachhaltige Nischenstrategie des Menschen

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All dies zeigt, dass die sogenannte Umweltkrise nicht mit ein paar Kraftwerksfiltern oder Katalysatoren in den Griff zu bekommen ist. Was nützt es schon, den Energieverbrauch von Kraftfahrzeugen pro 100 Kubikzentimeter durch technische Neuerungen drastisch zu senken, wenn gleichzeitig, insbesondere in Schwellenländern wie China oder Brasilien, Zahl und Stärke der Automobile drastisch zunehmen? Solange unser gegenwärtiger Denk- und Lebensstil anhält, werden solche Einspareffekte durch Mengeneffekte wieder größtenteils kompensiert.[26] Unser destruktives Umwelthandeln ist Folge unserer Begierden, unserer Triebe und Leidenschaften, und der Zustand der Welt ist das, was durch dieses Begehrungsvermögen zum Ausdruck gebracht wird. Der größte Teil der oberflächlichen Umweltbewegung ist ganz auf singuläre technische Umgestaltungen hin orientiert, ohne unseren Lebensstil selbst mit auf den Prüfstand zu nehmen. Konflikte werden gelöst, indem versucht wird, die äußeren Bedingungen an unsere Bedürfnisse und Dispositionen anzupassen. Probleme müssen lösbar sein, sonst wird ihre Bearbeitung verweigert. Der soziale Trugschluss dieser Lebensorientierung liegt vor allem darin, zu glauben, ein gutes Leben vor allem durch wirtschaftliche und technische Entwicklung erlangen zu können. Doch obwohl die Menschheit so gewaltige Ressourcen erschlossen und die wissenschaftliche und technologische Entwicklung so weit vorangetrieben hat, klaffen wissenschaftlich-technische Entwicklung einerseits und ethisch-moralische Entwicklung andererseits doch weit auseinander. Obwohl die Mittel verfügbar wären, allen Menschen die Grundvoraussetzungen eines menschenwürdigen Lebens zu verschaffen, stehen viele dieser Mittel und große Teile des technischen Fortschritts im Dienste destruktiver und inhumaner Ziele. Die Art, wie wir versuchen Probleme zu lösen und wie wir unsere Mitwelt und Mitmenschen behandeln, lässt ein fundamentales Defizit erkennen, das durch technische Manipulation kaum zu beheben sein wird, weil es tief in der psychologischen Konstitution unserer Welt- und Lebensordnung begründet liegt. Worum es also letztlich geht, ist die Infragestellung der Fundamente unserer industriell geprägten Wirtschaftsweise im Hinblick auf ihre Behandlung innerer wie äußerer Natur. Zu lange waren wir blind gegenüber den Folgen unseres Tuns und haben die Kosten unserer Wirtschaftsweise durch andere bezahlen lassen: Die ausgerotteten Tier- und Pflanzenarten, die Menschen in den Ländern der Dritten Welt und auch die zerstörten Naturräume tragen die externalisierten Kosten der industriellen Wirtschaftsform, die in keiner Bilanz als Sollposten zu Buche schlagen. Erst jetzt, da die Gefahren der Umweltzerstörung zur offensichtlichen menschlichen Existenzgefährdung führen, setzt sich allmählich die Erkenntnis durch, dass wir alle den Folgen unserer Taten nicht entkommen können. Eine Erkenntnis, die in den Religionen des Ostens immer gegenwärtig war und mit der Lehre vom Karma schon seit Jahrtausenden die tiefe Weisheit im unbewussten Gedächtnis alles Lebendigen überliefert hat.

In diesem Buch wird die These vertreten, dass die industriell-kapitalistische Strategie menschlicher Naturaneignung Ausdruck einer entfremdeten Bedürfnisstrukturierung ist, die aus der Entfernung von unserer tieferen menschlichen Natur resultiert. Diese Strategie des Umgangs mit unseren Mitwelten ist in Widerspruch zur Funktionsweise der Natursysteme getreten, auf deren Basis sie sich einst entfaltete. Es soll gezeigt werden, dass viele dieser Kontraproduktivitäten, die aus dem Wachstumsfetischismus der industriellen Ordnung resultieren, durch eine Re-Orientierung auf die Naturbedingungen menschlicher Existenz geheilt werden können. Der Industrialismus ist die Vergegenständlichung einer inneren Erfahrungsdimension in eben ihren destruktiven Komponenten. Die existentielle Erfahrung des aus der Natur herausgelösten, ihr gegenübertretenden Subjekts mündet in die Schaffung eines Ichs, dessen fundamentaler Lebenswille sich im ich-brauche, ich-will schon als primäre frühkindliche Lebenserfahrung artikuliert. Es ist die Erfahrung existentieller Isolation, die uns zur Errichtung gigantischer Imperien der Bedürfnisbefriedigung treibt. Im Kontext der Philosophie Martin Heideggers ist der Griff nach den Dingen der Welt nichts anderes als ein Phänomen existentieller Flucht, entstanden aus der Angst, die aus der Konfrontation mit dem Tod als Möglichkeit der eigenen Nicht-Existenz entspringt. Tatsächlich haftet unserem zerstörerischen Umwelthandeln in vielen Aspekten das Merkmal existentieller Flucht an. Wobei es sich jedoch nicht um eine bloße Flucht vor dem Tod als der angsteinflößenden, äußersten Möglichkeit des Daseins handelt, sondern um eine bewusstlose Abwendung von den inneren Dimensionen des Seins, die vornehmlich als Langeweile, Unbehagen und Schmerz wahrgenommen werden. In der entzauberten Welt der modernen Industriekultur sucht man das Glück im Technikzauber und in den Heilsversprechen der Reklamebotschaften und Supermarktregale, während die Tore zur inneren Erfahrung des Seins von Dornenhecken bewachsen im tiefen Dornröschenschlummer liegen. Wo Schönheit, Glück und Erfüllung nicht in den Innenräumen der eigenen Existenz entdeckt werden, da liegt der Beginn jener endlosen Suche nach materiellen Substituten. Weil er die Kontrolle über die causa finalis verloren hat, stellt Gerald Alonzo Smith fest[27], gibt es ein unbefriedigtes Verlangen im modernen Menschen. Die Suche nach Befriedigung durch materielle Güter wird zur Ersatzhandlung für den Verlust von Sinn, Orientierung und Richtung; das Streben nach Kontrolle über die Welt der materiellen Objekte wird so zum Surrogat für den Kontrollverlust über das eigene Leben. Doch welches Objekt kann schon dauerhafte Befriedigung verschaffen? So treibt die Gier stets nach mehr und die Furcht vor dem Verlust verfügbarer Objekte der Sinnessphäre drängt zur gewaltigen industriellen Systemexpansion, deren Schranken zunächst nicht durch das handelnde Ego, sondern durch jenes Andere der Natur gesetzt werden, das dem unbegrenzten Wachstumstrieb unersättlicher Egos seine Regenerationsgrenzen als reflexionsauslösendes Korrektiv entgegenhält.

Bei vielen Beteiligten der Ökologiediskussion sind solche Ansichten verpönt. Ökologie, so heißt es, sei wissenschaftlich fundiert und dürfe nicht in die unberechenbaren Tiefen vermeintlich metaphysischer Abgründe hinabgleiten. Als wirksamster Umweltschützer gilt der qualifizierte Öko-Techniker, ausgestattet mit präzisen Messgeräten und Grenzwerttabellen im Kopf. Natur soll wieder zu dem werden, als was man sie schon immer wähnte: eine berechenbare Größe, ein für menschliche Bedürfnisse uneingeschränkt nutzbares Objekt, wie es Jehovah einst der Menschheit versprochen hatte: „Machet Euch die Erde untertan ...” (1. Mose 1.28 Genesis). Mit manipulativen Regelwissen und der Vorfinanzierung künftiger Wiederherstellungskosten durch Ökosteuern soll der naturzerstörerische Lebensstil für diejenigen akzeptabel gemacht werden, die - wenn überhaupt - allenfalls zu graduellen Veränderungen bereit sind: Gnade uns armen Ökosündern, die wir doch bereit sind, grünen Ablass zu leisten! Kritiker mokieren sich über eine ökologische Dauermoralisierung, die als unablässig mahnendes Gebrabbel wie ein endloser Nieselregen auf die Leute niedergehe und von der keine einschneidende Umkehr erwartet werden könne. Ökologische Moralisierung mit erhobenem Zeigefinger ist in ihrer Wirksamkeit sicherlich recht begrenzt. Zu sehr haftet ihr das pastorale Gehabe einer von hoher Kanzel verkündeten Sonntagspredigt an sowie der schlechte Geruch einer Erziehungsdiktatur, welche die Frage nach der Erziehung der Erzieher unbeantwortet lässt. Während der wissenschaftliche Teil der Ökologiebewegung zur Absicherung von Glaubwürdigkeit auf die strikte Überprüfbarkeit seiner singulären Basisaussagen allergrößten Wert legt, steht der moralisierende Teil oft vor der Schwierigkeit, ökologische Verhaltensmaximen aus außerökologischen Denksystemen entnehmen zu müssen. Die wissenschaftliche Ökologie beschreibt nur was ist; aus ihr ergeben sich aber zwangsläufig keine Gebote, was zu tun wäre.

Arne Naess[28], auf dessen Arbeit später noch zurückzukommen sein wird, hat ein Konzept der Tiefenökologie entwickelt, das zur Veränderung der herrschenden anti-ökologischen Politik und sozialen Strukturen beitragen soll. Die Tiefenökologie setzt an die Stelle des Mensch-Umwelt-Bildes der bisherigen Ökologiebewegung die Vorstellung der biosphärischen Gleichheit aller Wesen. Die Plattform der Tiefenökologiebewegung definiert zum Beispiel den Wert nicht-menschlicher Lebensformen unabhängig von beschränkten menschlichen Zwecken oder erklärt die ökologische Diversität, das heißt das Zusammenleben einer Vielzahl unterschiedlicher Lebensformen in einer ökologischen Nische, zu einem Wert an sich. Die Wende wird hauptsächlich in einer neuen Beurteilung von Lebensqualität gesehen, aber nicht einfach in einem höheren Lebensstandard. Ziel ist es, die Ökologie als Wissenschaft zu transzendieren. Weisheit kann nicht lediglich durch wissenschaftliche Wahrheitserkenntnis erlangt werden, sondern entsteht viel eher in der Verbindung von Tiefenökologie, sozialer Bewegung und Wissenschaft, aus deren Synthese eine neue Ökosophie als ganzheitlich orientierter Reflexionsrahmen zur Handlungsorientierung erwächst. Kritik aus dem Lager der wissenschaftlichen Ökologie dürfte Naess vor allem auf sich ziehen, weil er seine ökologischen Normen und Werte nicht aus einem ökologischen Kontext entwickelt, sondern mit Intuition, dem Gefühl für Freude in einer Welt der Katastrophen beginnen lässt[29].

 

Doch ist es nicht gerade der ganzheitliche und fächerübergreifende Blick, der das Wesen ökologischer Problemlösungen ausmacht? Vielen natürlichen Prozessen liegen keine monofunktionalen Kausalmechanismen zugrunde, da manifeste Wirkungen nicht nur jeweils einer spezifische Ursache zugeordnet werden können, zumeist herrschen komplexe Ursache-Wirkungsvernetzungen und vielfältige Funktionskreisläufe. Eine ökologische Therapie für die moderne Industriegesellschaft, welche die multifunktionale Vernetzung und ganzheitliche Struktur der Wirklichkeit auf den Blickwinkel künstlicher Laborwelten verengt, kann bloß eine singuläre, aber keine umfassende Handlungsorientierung für eine menschliche Zukunft bieten. Wie die Schulmedizin viele psychosomatische Krankheiten mit ihren überlieferten Methoden nicht heilen kann, weil ihre primären Ursachen nicht im Körper, sondern in der menschlichen Psyche liegen, so können auch viele der Probleme, die nach außen hin als Wirtschafts- oder Umweltfragen in Erscheinung treten, allein mit den Methoden der Wirtschaftswissenschaft bzw. der wissenschaftlichen Ökologie nicht gelöst werden. Wirtschafts- und Umweltprobleme sind Probleme unserer Lebensweise und wurzeln letztlich in den psycho-sozialen Tiefenstrukturen unseres Seins. Nur so ist es zu erklären, dass in Bezug auf die Umwelt viele machbare Alternativen überhaupt nicht umgesetzt werden. Es scheint, dass unser Mitfühlen mit dem Leiden anderer Wesen erst dann offenkundig wird, wenn es in irgendeiner Weise im Hinblick auf die Erfahrung existentieller Bedrohung des eigenen Selbst ins Bewusstsein tritt. So werden schon seit Jahrzehnten Schweine, Rinder und Hühner in industrieller Massentierhaltung geschunden und Schlachttiere auf Transporten zu Tode gequält, aber erst als Rinderwahnsinn und Dioxin in Hühnereiern als Bedrohung für die eigene Gesundheit ins Blickfeld gerieten, zeigten sich ruckartig statistische Einbrüche in den Fleischverzehrskurven. Umweltprobleme werden erst dann zu echten Problemen, wenn die Gefährdungen sich nicht durch abstrakte Zahlen und den Hinweis auf die ferne Zukunft manifestieren, sondern wenn sie handfest durch die Sinnespforten auf das dann plötzlich sensible Selbst einwirken. Obwohl die schädlichen Einwirkungen von Kohlendioxid und Schadstoffemissionen der industriellen Produktion auf das globale Klima schon seit langem bekannt sind, regte sich massiver Handlungsdruck doch erst, als offensichtlich wurde, dass uns im wahrsten Sinne des Wortes die Luft auszugehen droht. Was sich dann äußerlich als Streit um Grenzwerte darbietet, ist letztlich eine Auseinandersetzung um die Art und Weise, wie wir leben wollen. Inzwischen hat die Umweltkrise eine Dimension erreicht, wo rein technische Lösungsvarianten und gesetzgeberisches Flickwerk, das der tatsächlichen Entwicklung zumeist weit hinterherhinkt, allesamt zu kurz greifen und zudem oft neue, unberechenbare Gefahrendimensionen heraufbeschwören. Stark gesunken ist das Vertrauen in die Künste der Gift-Alchimisten, die uns weismachen wollen, durch die gentechnische Produktion schadstoffverschlingender Superbakterien und Wunderorganismen die Umwelt wieder clean zu bekommen. Was nützen Fahrverbote zur Reduzierung des bodennahen Ozons, wenn Zahl und Stärke der Fahrzeuge keinerlei Kontrolle unterliegen? Angesichts der Komplexität und Bedrohlichkeit der Umweltgefahren dominieren vor allem die vier Reaktionsmuster des Verdrängens, des Verharmlosens, des geschäftigen Scheinhandelns und der Resignation. Nicht alle Umweltprobleme können nach den klassischen Regeln von Ursache und Schuld aufgeschlüsselt und therapiert werden. Die Verantwortungsstrukturen der modernen Gesellschaft sind so komplex geworden, dass es oft kaum noch möglich ist, dass Verbindungsgefüge zwischen einer Einzelhandlung in einem multi-kausalen Wirkgefüge, wie einem modernen Industriebetrieb, und ihren ökologischen Folgen, zum Beispiel im Hinblick auf Veränderungen der regionalen Umweltqualität trennscharf aufzudröseln. Wie Ulrich Beck feststellt, sind wir im Labyrinth “beweisbarer Unbeweisbarkeiten” gleich dem Werdegang von Herrn Josef K. in Franz Kafkas „Der Prozess” gefangen, in den uns das System der „organisierten Unverantwortlichkeit” gesperrt hat: „Gefahren werden zu Risiken kleingerechnet, wegverglichen und als unwahrscheinliche 'Restrisiken' rechtlich und wissenschaftlich normalisiert, wodurch Proteste zu Ausbrüchen von 'Irrationalität' stigmatisiert werden können.”[30]

Grundlegende umweltbezogene Änderungen können allein weder von der wissenschaftlichen Ökologie ausgehen, da hier der strenge Wissenschaftsbezug die Bildung von Wert- und Normaussagen verbietet, noch von einer moralisierenden Ökologie geleistet werden, soweit die moralischen Imperativen aus außerökologischen Sphären, wie dem Offenbarungswissen der Bibel oder der reinen Introspektion entstammen. Der hier anvisierte dritte Weg liegt in der Bestimmung einer generellen ökologisch-ökonomischen Handlungsorientierung durch den Rekurs auf die universellen Bestimmungsmomente von Ökologie als Lehre von den allgemeinen Bewegungsgesetzen lebender Systeme. Der Naturbegriff steht hier aber nicht als idealisierter Fluchtpunkt einer Welt der Nichtverfremdung und Nichtzivilisation, sondern als Rahmen zur Bestimmung der empirisch beobachtbaren Grundeigenschaften ökologischer und biologischer Systeme. Ökologie wird so zur neuen Leitwissenschaft, ohne in lähmende naturalistische Missverständnisse zu verfallen. Beck ist durchaus recht zu geben, wenn er feststellt, dass mit einem solchen Naturbegriff von außen vorgebracht wird, was im Inneren, im Innersten bedrückt: „'Natur' ist eine Art Ankerwerk, mit dem das auf dem offenen Meer treibende Zivilisationsschiff sein Gegenteil, das Festland, den Hafen, das Riff, auf das es zuläuft, beschwört, kultiviert und dabei versetzt - die Konditionen seiner Weiterfahrt seines Weiterdriftens verhandelt.”[31] Doch was ist daran eigentlich schlecht? Der Blick auf die Funktionsweise der ökologischen Systeme ist immer auch ein Blick auf die Kräfte des eigenen Selbst. Die strikte Trennung von Geist und Materie, wie sie seit ihrer Formulierung durch Descartes im 17. Jahrhundert nicht nur das Denken der Moderne maßgeblich geprägt, sondern in ihren praktischen Konsequenzen die Welt zum freien Objekt menschlicher Bearbeitung degradiert hat, wird vom ökologischen Denken entschieden verworfen. Nach ganzheitlicher, ökosophischer Sicht sind innere und äußere Wirklichkeit von strukturell gleichen Gesetzmäßigkeiten bestimmt. Die Lehre von umfassenden Prinzipien, die auf den höheren wie niederen Ebenen der materiellen Manifestationen, der Innenwelten und der Außenwelten, ja auch der sichtbaren und unsichtbaren Welt wirken und die Verlaufsgestaltung aller konkreten Prozesse bestimmen, findet sich bereits auf der Smaragdenen Tafel des Hermes Trismestigos, der in der ägyptischen Götterwelt als der Gott Thoth verehrt wurde, der Gott des Wissens, der die Hieroglyphen, die Heiligen Schriftzeichen erfand, der den Kalender schuf und Zeit- und andere Meßsysteme entwickelte. In den Katakomben seines Tempels in Hermepolis soll dieses umfassende Wissen im Buch Thoth aufgezeichnet gewesen sein. Wie das chinesische Denken von Yin und Yang, so deutet auch die Smaragdene Tafel den Weltprozess als Spannungsverhältnis zwischen diametralen Polen, deren gegenseitige Kraftflüsse Kreation und Entwicklung aller Dinge ermöglichen. Das Ökologische der hermetischen Lehre liegt vor allem in der Formulierung von Prinzipien, die ganz offensichtlich aufgrund einer sehr eingehenden und tiefen Beobachtung des Naturgeschehens gewonnen wurden. So wird festgestellt, dass alles im Kosmos zyklisch und in festen Rhythmen abläuft sowie dem Gesetz der Balance und Ausgewogenheit untersteht. Auf aktive Bewegung folge eine ihr gemäße Ruhephase. Ausdehnung und Zusammenziehung, Einatmung und Ausatmung - alles geschehe in einer bestimmten Harmonie, damit es überhaupt funktioniert.[32] Begünstigt durch die mittelalterliche Scholastik und den späteren Siegeszug des cartesianischen Dualismus von Geist und Materie über die ganzheitlichen und esoterischen Lehren der Antike und Alt-Ägyptens gerieten die hermetischen Lehren in weitgehende Vergessenheit. Erst mit der Entstehung der wissenschaftlichen Ökologie gegen Ende des 19. Jahrhunderts kommt es in gewisser Hinsicht zu einer Revitalisierung dieses alten Gedankengutes. Plötzlich erfahren elementare esoterische Lehren eine unerwartete Bestätigung durch erfahrungswissenschaftlich überprüfbare Beobachtungen. Damit wird gleichzeitig offensichtlich, dass die aus der Beobachtung abgegrenzter Natursysteme erkannten Entwicklungsgesetze nicht nur für die Entwicklung dieser Systeme Bedeutung haben, sondern dass sich aus den allgemeinen Prinzipien ökologischer Entwicklung auch Regeln für die Abläufe in nicht-biologischen Systemen wie Wirtschaft und Gesellschaft ableiten lassen.

Im Bezug auf das wirtschaftliche Handeln kann die Ökologie wesentliche Teile eines begrifflichen Bezugsrahmens liefern, um Wirtschaft und Natur als jeweilige Teile eines umgreifenden Zusammenhangs in ihrer wechselseitigen Verknüpfung zu analysieren. Auf dieser Grundlage kann die Bildung der Eigengesetzlichkeiten menschlichen Wirtschaftshandelns mit den Steuerungsprinzipien in Natursystemen kontrastiert werden. Daraus ergibt sich die Frage, welche zentralen Begriffe der Ökologie als Dimensionen des Vergleichs herangezogen werden können. Grundsätzlich stellt sich bei diesem Ansatz das Problem, dass die Aussagen der Ökologie als Wissenschaft sich ursprünglich auf ein mehr oder weniger klar abgegrenztes Fachgebiet, also auf bestimmte, abgrenzbare Bereiche der Wirklichkeit beziehen. Erst im Verlauf eines längeren Prozesses werden ökologische Methoden und Denkweisen dann nach und nach auch auf andere Bereiche der Wirklichkeit angewandt. Um diese schrittweise Erweiterung des Gegenstandes der Ökologie später genauer nachzeichnen zu können, werfen wir zunächst einen kurzen Blick auf den Ausgangspunkt und die Entstehungsgeschichte der Ökologie.

Der Begriff Ökologie wurde 1866 von Ernst Haeckel geschaffen und bezog sich ursprünglich auf die Umweltbeziehungen von Einzelwesen. In der englischen Sprache erscheint das Wort zum erstenmal 1873.[33] Ausgangspunkt der Ökologie ist die Analyse von Ökosystemen: „Ein Ökosystem ist ein Wirkungsgefüge von Lebewesen und deren anorganischer Umwelt, das zwar offen, aber bis zu einem gewissen Grade zur Selbstregulation befähigt ist.”[34] Ökosysteme sind also Wirkungsgefüge biologischer Organismen in einem gegebenen Gebiet, die vielschichtige Beziehungen zur umgebenden Umwelt unterhalten. Mit ihrer Umgebung tauschen sie Stoffe und Energien aus. Die meiste Zeit befinden sie sich in einem Gleichgewichtszustand, der allerdings nicht als ein statisches Ruhen zu sehen ist, sondern auf einem ständigen Austauschprozess basiert. Neben abgegrenzten Systemen wie einem Wald, einem See oder Gebirge wird auch die gesamte Biosphäre als riesiges, umfassendes Ökosystem betrachtet: „Die Ökosysteme der Welt sind durch energetische, chemische und die Austauschbewegungen der Organismen in einem globalen Ökosystem miteinander verbunden, das oft auch als Bio- oder Ökosphäre bezeichnet wird.”[35] Mittels von außen aufgenommener Energie entwickeln und unterhalten ökologische Systeme vielfältige Stoffkreisläufe mit komplexen Rückkopplungsmechanismen und bieten zahlreichen Arten Existenzmöglichkeiten. Solche Räume, in denen sich das Lebendige in großer Formenvielfalt und in unendlich vielen Konfigurationen immer wieder neu entfaltet, können auch treffend als Nischen bezeichnet werden. Die Entwicklung solcher ökologischer Lebensräume ist jedoch immer von der Verfügbarkeit zumindest einer äußeren Energiequelle abhängig. Anders als der stoffliche Austauschprozess, in dem alles Entstehen und Vergehen der Formen in endlosen Kreislaufbewegungen geschieht, in denen sich Lebensformen, Arten und Gattungen immer wieder neu bilden und zu Gemeinschaften gruppieren, nachdem sie - wie die indische Mythologie lehrt - Shivas kosmischer Tanz am Ende jedes Mal der Vernichtung preisgibt, verläuft die Bewegung der Energie in nach außen geschlossenen Systemen immer in eine Richtung und kann innerhalb desselben Systems von sich aus keinen zweiten Kreislauf von Zerstörung und Schöpfung in Gang setzen. Letztlich wird nämlich alle aufgenommene Energie in Wärme verwandelt, die nicht mehr durch das System genutzt werden kann und sich schließlich im Raum zerstreut.

 

Vergleichbar der Entwicklung biologischer Organismen, verläuft auch die Entwicklung von Ökosystemen in verschiedenen Phasen, sog. Sukzessionsstadien, mit denen die Abfolge unterschiedlicher Entfaltungsstrategien beschrieben wird. Solche Abfolgen in der Entwicklung von Ökosystemen verlaufen als geordneter Prozess. Sie sind gerichtet und vorhersagbar. Die Ausbildung solcher Stadien ist Resultat von Veränderungen der dort lebenden Arten und Lebensgemeinschaften innerhalb ihrer vorgefundenen Umweltstrukturen. Diese Entwicklung erreicht regelmäßig ihren Höhepunkt in der Schaffung eines stabilen Ökosystems, in dem eine maximale Biomasse und symbiotische Beziehungen zwischen den Organismen auf der Basis eines möglichst geringen Energieumsatzes aufrechterhalten werden.[36] Die Sukzessionsstrategie von Ökosystemen ist im Kern die gleiche, wie die der evolutionären Entwicklung insgesamt: die Etablierung von Mechanismen stabiler Selbststeuerung, die zur Bildung relativer Gleichgewichte führt und dadurch wachsende Kontrolle über die Umwelt und maximalen Schutz vor störenden Umweltwelteinflüssen ermöglicht. So wie in der menschlichen Reifung eines jeden Individuum die archaischen Kräfte der inneren Realität, die Libido, die Instinkte und das ich-brauche, ich-will mit der Welt der äußeren Realität, den Kräften des Über-Ich, des Du sollst der Religion, des Du musst der Eltern und Lehrer und des Du darfst nicht der Nation und Zivilisation im Prozess der Persönlichkeitsbildung in Einklang zu bringen sind[37], so verläuft auch die Entfaltung ökologischer Systeme im komplexen Spannungsfeld widerstrebender innerer und äußerer Energiepolaritäten.

Die allgemeinen Entwicklungsstrukturen ökologischer Reifungsprozesse lassen sich sowohl in Miniatursystemen unter Laborbedingungen als auch in komplexen Großsystemen, wie Wäldern, Seen oder Gebirgen, in sehr ähnlicher Weise beobachten. Die Grundregel der Sukzession besagt, dass am Beginn der Entwicklung eines Ökosystems immer die Produktion maximaler Biomasse, also quantitatives Wachstum im Vordergrund steht. Auf einen frisch aufgeschütteten Erdhügel siedeln sich zunächst sehr robuste und schnellwüchsige Pflanzen wie Löwenzahn oder Hirtentäschel an, die mit ihren langen Pfahlwurzeln große Nährstoffmengen absorbieren und schnell das ganze Erdreich bedecken. Später gerät diese Entwicklungsstrategie mit dem Ziel der Stabilisierung in Widerspruch. Qualitativ rasch expandierende Systeme tendieren zur Instabilität und zum Zusammenbruch. Um dem Zusammenbruch zu entgehen, bilden sich in der Reifephase nunmehr Mechanismen zur Wachstumskontrolle heraus, die dem System eine höhere Stabilität gegen äußere Einflüsse verschaffen. Qualität rangiert jetzt vor Quantität, geschlossene Stoffkreisläufe vor offenen und die optimale Ausnutzung verfügbarer Energie vor maßloser Energievergeudung. Nun siedeln sich auch andere Pflanzenpopulationen auf dem Erdhügel an und bringen die anfangs dominierenden Starkzehrer bisweilen in die Minderzahl. Schon nach kurzer Zeit bildet sich eine differenzierte Artenflora, die bald auch den verschiedensten Tierpopulationen gute Entwicklungsmöglichkeiten bietet, von denen in der Folge neue Beiträge zur Stabilität des Gesamtsystems ausgehen. Im Verlauf der Sukzession entwickeln sich im Ökosystem zwischen pflanzenfressenden und fleischfressenden Organismen Rückkopplungsmechanismen, die das System befähigen, jene umfassenden und verzweigten organischen Strukturen zu bilden und zu unterhalten, die notwendig sind, um störende Umwelteinflüsse in ihren Folgen abzumildern. Während dieser Entwicklungsprozesse vergrößert sich im Allgemeinen die Vielfalt der Arten bei gleichzeitig zurückgehender Dominanz nur einer einzigen oder kleinen Gruppe von Spezies. Das Zusammenleben der Populationen eines Ökosystems resultiert in den fortgeschrittenen Stadien in symbiotischen Beziehungen, verbesserter Versorgung mit Nährstoffen, geringerer Energienutzung und Zuwächsen an Information. Das umfassende Ziel ist die Erreichung größtmöglicher, ausgedehnter und vielfältiger organischer Strukturen innerhalb der Grenzen, die durch die verfügbaren Energiequellen und die vorhandenen stofflichen Bedingungen (Boden, Wasser, Klima usw.) gesetzt sind. Entsprechend dieser Veränderungen in der strategischen Orientierung kann die Entwicklung von Ökosystemen in zwei typische Stadien aufgeteilt werden: in die frühe Besiedelungs- oder Kolonisierungsphase, auf die später die Reife- oder klimaktische Phase folgt. In der ersten, der Kolonisierungsphase liegt das Schwergewicht auf quantitativem Wachstum und der Produktion maximaler Biomasse. Hierzu werden alle verfügbaren Energiereserven genutzt. In der zweiten, der klimaktischen Phase, dem Stadium eines reifen Ökosystems, schlägt die Quantität in Qualität um: das Ziel schnellen Wachstums wird durch das Verhaltensziel Stabilität ersetzt. Protektion, das heißt der Schutz und die Sicherung des Systemerhalts rangieren jetzt vor dem Ziel maximaler Produktion.[38]

Die Erforschung der Sukzession von Ökosystemen lässt noch eine Reihe von Fragen offen. So ist unklar, ob ökologische Systeme auch Alterungsprozessen unterworfen sind, vergleichbar solchen, wie sie in biologischen Organismen ablaufen. Auch die Zusammenhänge von Artenvielfalt und Stabilität sind unter den Fachwissenschaftlern umstritten. So wird zum Beispiel auf die sibirische Taiga als stabiles Ökosystem bei nur geringem Artenreichtum verwiesen. Nur durch genaue Beobachtung und korrekte theoretische Verallgemeinerung lässt sich bestimmen, was als allgemeiner Entwicklungsverlauf und was als überall vorkommende Ausnahme oder extreme Abweichung anzusehen ist. In der amerikanischen ökologischen Literatur, die auf einer längere Tradition zurückblicken kann, findet sich fast durchgehend die Ansicht, dass Stabilität, Artenvielfalt und Komplexität der Lebensbeziehungen einander positiv begünstigen.[39] So zeigt das Beispiel des tropischen Regenwaldes, wie eine ungeheure Vielfalt von Lebewesen sich zu einem System von hoher innerer Stabilität zusammenfindet, der jedoch, einmal abgeholzt oder brandgerodet, nur noch wenigen Arten Lebensraum bietet und sodann rascher Bodenerosion und folgender hoher Instabilität unterworfen ist.

In diesem Buch wird der Versuch unternommen, das Modell der ökologischen Sukzession auch auf die historische Entwicklung von Wirtschaftsweisen und insbesondere die Herausbildung der industriellen Wachstumswirtschaft anzuwenden. Dabei wird das klimaktische Stadium eines entwickelten Ökosystems mit der Perspektive einer nachhaltigen Wirtschaftsgesellschaft in Beziehung gesetzt, in der Stabilität und Qualität Vorrang vor quantitativen Wachstum genießen. Aus der Sicht zunfttreuer Ökologen sind solche Betrachtungsweisen streng verpönt. Man wittert hier den Versuch, mit den Ergebnissen moderner Forschung einen Machtanspruch hinsichtlich der Rechtmäßigkeit entsprechender ethischer Postulate zu begründen.[40] Tatsächlich aber hat das Denken in Analogien und vergleichenden Metaphern bisher überall dazu gedient, komplexe Beziehungsmuster auf überblickbare mentale Modellwelten zu reduzieren. Die Bildung mentaler Modelle auf der Basis von Analogien bildet geradezu ein grundlegendes operatives Schema des menschlichen Geistes. Dabei sollte man allerdings nie vergessen, dass die Landkarte, die wir von der Wirklichkeit zeichnen und die uns Sicherheit und Orientierung verschaffen soll, eben nur eine Karte, ein Bild, aber nicht die Wirklichkeit selbst ist. Dieser generellen Orientierungsstrategie des Geistes ist durch ein fachwissenschaftlich verordnetes Analogiebildungsverbot nicht beizukommen. Faktisch werden heute überall Resultate der ökologischen Forschung und daraus hervorgegangene allgemeine Prinzipien von Wissenschaftlern und Autoren verschiedenster Fachgebiete verwendet, um gesellschaftliche Prozesse und Strukturen der menschlichen Psyche zu analysieren. Manche Autoren scheuen dabei leider nicht davor zurück, einerseits strikt zu verkünden, dass aus dem Vorhandensein ökologischer Grenzen keine positiven Organisationsmaßnahmen abgeleitet werden können, während ihre eigenen Konzepte jedoch ständig auf ökologische Erklärungsmuster zurückgreifen. Oder der Bogen der Interpretationsbreite wird erheblich überdehnt, so dass ökologischen Gesichtspunkten faktisch nur noch die Funktion der naturalistischen Weihe von Ansichten zu kommt, die zu dem originären Gegenstand der Ökologie nur noch eine ganz periphere Beziehung aufweisen. Ein Beispiel hierfür ist H. Bonus[41], der jeden immanenten Zusammenhang zwischen industriell-kapitalistischer Wirtschaft und Umweltkrise leugnet, die kapitalistische Marktwirtschaft zur ökologienahen Wirtschaftsweise par exellance erklärt und den kapitalistischen Gütermarkt und die Natur durch strukturell gleiche Prinzipien gesteuert sieht. Leider ist die Popularität des Ökologiebegriffs heute bisweilen sehr irritierend, zumal er oft ungenau und als Sammelsuriums-Kategorie gebraucht wird.