Al Qanater

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Lisa

Obwohl wir wegen seines Reisepasses noch einmal umkehren mussten, waren wir zu früh am Flughafen. Ich verabschiedete mich unter Tränen von ihm.

»Auch wenn du mir nicht glaubst«, sagte er. »Diesmal ist es wirklich das letzte Mal.«

Doch darum ging es nicht. Ich hatte Angst.

Um mich abzulenken, rief ich auf der Rückfahrt einige Freundinnen an. Wir vereinbarten einen Frauenabend. Meine Tochter Leonie sollte auch mitkommen.

Als ich zu dem Treffen aufbrach, schrieb ich Hannes, er solle mir Bescheid geben, sobald er angekommen war. Wenig später bekam ich eine SMS von ihm. »Wir sind in Kairo gelandet«, schrieb er.»Alles in Ordnung.«

Das beruhigte mich nicht. Es war klar, dass bis zur Landung in Kairo alles glatt gehen würde. Die Schwierigkeiten begannen erst jetzt. Mit Waffen in einem Land zu reisen, das sich in einem derartigen Chaos wie Ägypten befand, konnte keine gute Idee sein. Doch ich verstand nicht viel von internationaler Politik und Staatsbürokratie. Ich schrieb ihm zurück. »Melde dich bitte noch einmal, wenn du durch den Zoll bist.«

Die Stunden vergingen ohne weitere Nachricht von Hannes. Ich konnte ihn auch nicht erreichen. Ich rief ein Mitglied des Einsatzteams an. Die Männer warteten am Hafen von Suez auf ihn und meinten, dass sie ihn ebenfalls nicht erreichen könnten. Sie hatten ein paar dringende organisatorische Fragen, die ich nicht beantworten konnte. Ich hatte von diesen Dingen keine Ahnung.

Ich schrieb Ralf, meinem Ex-Freund, eine SMS. Ich könne Hannes nicht erreichen. Da stimme etwas nicht. Er solle sich bitte darum kümmern. Keine Antwort. Ich rief einen Anwalt an, den ich kannte. »Was soll ich tun?«, fragte ich ihn.

»Ich an deiner Stelle würde die österreichische Botschaft in Kairo anrufen«, sagte er. »Wenn etwas passiert ist, müssen die sich einschalten. Die haben am ehesten die Möglichkeiten dazu. Du kannst auch die deutsche Botschaft in Kairo anrufen. Wenn er mit einem Deutschen unterwegs ist, sind die ebenfalls zuständig.«

Die Reaktion der österreichischen Botschaft war nicht gerade beruhigend. »Wenn Ihr Mann durch ein Land, das so instabil ist wie derzeit Ägypten, Waffen transportiert, darf er sich nicht wundern, wenn etwas schiefgeht.«

Da hatte die Frau am Telefon bestimmt recht. Bloß half mir das jetzt nicht. Wo war er?

5

Eine seltsame Willenlosigkeit ergriff Besitz von Karl und mir. Sie nährte sich aus der Einsicht, dass gegen diese, von jeglichen rechtsstaatlichen Normen offenbar freie Ägypter nichts auszurichten war, aus dem Gefühl, dass wir in einer Falle saßen, in die uns jede Bewegung nur noch tiefer hinein führte und aus der dumpfen Hoffnung, dass die österreichische Botschaft doch noch auftauchen und dem Zauber ein Ende bereiten würde. Als wir in Polizeibegleitung aus dem Gebäude traten und einen Pickup Truck vor der Tür stehen sahen, stiegen wir einfach auf, ohne dass uns jemand dazu aufgefordert hatte. Dabei dämmerte mir allmählich, dass es dauern könnte, bis wir wieder nach Hause fliegen würden.

Ich bat Karl abermals um sein Telefon. Der Polizist, der uns begleitete, warf mir misstrauische Blicke zu, als ich eine Nummer eingab. Während die dreckigen Straßen Kairos mit ihren Sandsteinbauten und den Luxushotels neben den Bruchbuden an uns vorüberzogen, lauschte ich dem Freizeichen. Ich freute mich darauf, Lisas Stimme zu hören, doch es war auch schwer. Ich hatte keine guten Nachrichten für sie. Ich hätte auf sie hören sollen, dachte ich. Sie war so vehement gegen diese Reise gewesen. Als hätte sie gewusst, dass so etwas passieren könnte.

»Hallo?«

Ihre Stimme klang erschöpft. Was sollte ich ihr sagen? Wie sollte ich es ihr sagen?

»Wer ist da?«

Ich versuchte, das Handy mit der Hand vom Straßenlärm abzuschirmen. »Ich bin es«, sagte ich.

Jetzt klang auch die Wut der Verzweiflung in ihrer Stimme mit. »Du wolltest dich doch melden, sobald du kannst«, sagte sie.

Ich hatte ein Gefühl, als würde mein Herz einen Moment lang stillstehen. Doch dann gewann mein Überlebensinstinkt wieder die Oberhand. »Hör jetzt bitte gut zu, denn ich habe nicht viel Zeit«, sagte ich. »Die ägyptische Polizei hat uns aufgehalten und ausgeraubt. Unsere gesamte Ausrüstung ist weg. Bitte ruf im Außenministerium an. Sag denen, dass wir einen Anwalt brauchen, und zwar schnell.«

Der Polizist sah aus, als würde er gleich etwas unternehmen. Am Handy hörte ich Lisa weinen. »Ich habe keine Ahnung, was diese Leute mit uns vorhaben«, sagte ich. »Bitte beeil dich mit dem Anwalt. Er soll sich bei der österreichischen Botschaft in Kairo melden. Ich werde versuchen, die Botschaft laufend zu informieren. Ich rufe dich so bald wie möglich wieder an.«

Ich steckte das Handy rasch ein. Der Polizist bedeutete mir, es ihm auszuhändigen. Ich schüttelte den Kopf. Er schien zu überlegen, dann lehnte er sich wieder zurück.

Wir fuhren etwa eine Stunde lang durch Kairo, bis wir vor einem wuchtigen Tor in einer meterhohen Mauer mit Stacheldraht oben drauf hielten. Davor standen zwei Panzer zwischen einigen Leitschienen aus Beton.

»Stecken die uns wirklich ins Gefängnis?«, fragte Karl.

Ich antwortete nicht, doch ich ahnte, wo wir uns befanden. Das musste die Pforte zum Tora-Gefängnis sein, einer Art Gefängnisstadt innerhalb Kairos mit mehreren Gefängnissen für unterschiedliche Kategorien von Häftlingen.

Das Tor öffnete sich und wir fuhren in den weitläufigen Hof des Komplexes. Dort mussten wir von der Ladefläche steigen. Ich ging automatisch auf die erste Tür zu, doch der Polizist packte mich am Arm. Er zeigte auf einen gepanzerten Mannschaftstransporter auf der anderen Seite des Hofs. Wir waren offenbar noch nicht am Ziel.

Wortlos ging ich zu dem Wagen und stieg ein. Karl folgte mir. Der Polizist schloss von außen die Ladetüren und blieb zurück, als der Wagen losfuhr. Durch ein kleines vergittertes Fenster konnten wir hinaussehen. Wir passierten ein zweites Tor an der Rückseite des Innenhofes. Felder zogen an uns vorbei. Dazwischen lag Einöde, bestehend aus trockenem Gras, harter Erde, windschiefen Schuppen und Müll. Die Bilder verschwammen vor meinen Augen. Ich bemerkte, wie durstig ich war. Mein Mund war so trocken wie das Gras da draußen.

Nach längerer Fahrt hielt der Transporter. Jemand riss die Ladetür auf. Die Sonne blendete mich, als wir aus dem Fahrzeug stiegen. Als sich meine Augen wieder an die Helligkeit gewöhnt hatten, sah ich mich um. Wir befanden uns in einem kleinen verfliesten Innenhof zwischen fensterlosen Steinhäuschen, in denen Beamte ein und aus gingen.

Der Fahrer des Transporters war inzwischen ebenfalls ausgestiegen. Er musterte mich von Kopf bis Fuß. Dann klopfte er mir auf die Schulter und deutete auf das größte der Steinhäuser. »Ambra Azsah«, sagte er wie ein Busfahrer, der den Fahrgästen den Namen der Station nennt. Er ging zurück zum Auto und lehnte sich an die Tür. Ambra Azsah, so hieß offenbar dieser Teil des Tora-Gefängnisses.

Wenig später standen wir in einem Büro, in dem ein Beamter einen zweiten Mann, offenbar einen Häftling, am Arm festhielt. »Hello, I speak english«, sagte der Häftling. »I am here to translate.«

Ich sah den Mann genauer an. Er hatte tiefe Ringe unter den Augen. Grob zusammengenähte Lumpen verhüllten kaum seinen dürren Körper und er war im ganzen Raum zu riechen. Ich sah zu Karl. Wir konnten hier auf keinen Fall bleiben.

Der Beamte gab dem abgemagerten Häftling einen Stoß, worauf der weiterredete, wie ein Automat mit einem Wackelkontakt. »You are not going to stay here long«, sagte er. »You have to go to the attorney.«

Wir sollten zum Staatsanwalt? Wir kamen doch eben vom Staatsanwalt. Er hatte uns hierher geschickt. Ich kannte mich allerdings mit dem ägyptischen Justizapparat nicht genau genug aus, um zu wissen, welche Funktionen es vorsah. »Attorney« war auch ein dehnbarer Begriff, zumal, wenn ihn ein Mann verwendete, der Englisch nur radebrechte.

Bevor ich eine Frage stellen konnte, schickte der Beamte den Häftling aus dem Büro und führte uns zurück zu dem Transporter, mit dem wir gekommen waren. Widerstandslos kletterten wir durch die Ladeklappe wieder hinein.

Lisa

Drei Tage vergingen, nachdem mich Hannes vom Flughafen aus angerufen hatte. Zwei Mal insgesamt. Jetzt hörte ich wieder nichts von ihm und er war nicht erreichbar. Die Mitarbeiter der Botschaft in Kairo waren freundlich, aber sie wussten auch nichts über seinen Verbleib.

Sie versuchten, mich zu beruhigen. Doch mir gingen ständig diese quälenden Fragen durch den Kopf. Was machten sie mit ihm? Wo hielten sie ihn fest? Folterten sie ihn womöglich?

Ich hatte inzwischen einen Anwalt gefunden. Das war nicht einfach gewesen, denn die Botschaft hatte abgewunken, als ich nach einer Empfehlung gefragt hatte. Sie wolle keine Werbung machen, hieß es. Sie stellte mir bloß ein Register mit den Namen von Anwälten zusammen, mit der sie schon einmal Kontakt hatte. Ob die kompetent oder nicht und billig oder teuer waren, sagte mir niemand. Ich konnte nur hoffen, eine gute Wahl zu treffen.

Ich wollte noch mehr tun, aber ich wusste nicht, was. Es überforderte mich, einfach nur warten zu können. Wenn Hannes sich bis zum Abend nicht meldet, fliege ich hin, dachte ich.

Gleichzeitig gelang es mir immer schwerer, eine Einsicht zu verdrängen. Eine, die sich mir genauso aufdrängte wie mein Gefühl am Anfang, dass er diesen Auftrag besser ausließ. Doch irgendwann ergab ich mich ihr. Ich wusste, dass Hannes eine lange Zeit nicht zurückkommen würde. Eine sehr lange Zeit.

6

Dieses Herumfahren hatte etwas Sinnloses. Es schien weniger um das Erreichen von Zielen zu gehen, als um das Herumfahren selbst. Diesmal fuhren wir etwa eine Stunde lang. Alles verschwamm vor meinen Augen zu einem Nebel. Die endlosen Fahrten, die ausdruckslosen Gesichter immer neuer ägyptischer Beamter, dazwischen nichts als Einöde. Ich war erschöpft und durstig. Schließlich fanden wir uns in einem Gang im 5. Stock eines großen Gebäudes wieder.

 

Es sah anders aus als die, die Karl und ich bisher kennengelernt hatten. Der Gang war mit Marmor ausgekleidet. Prächtige Gemälde hingen an den Wänden und Luster von den Decken. Wieder mussten wir warten. Ich sah, dass Karl langsam die Hoffnung verlor. »Karl«, sagte ich, »ich …«

Er winkte ab. Er hatte offenbar an meinem Tonfall erkannt, was ich sagen wollte. Doch wie absurd unsere Odyssee auch war, dies war nicht der richtige Zeitpunkt für die Klärung der Frage, wer sie verschuldet hatte. Wir brauchten unsere Energie, um durchzuhalten.

Ich lehnte mich an die Marmorwand des Ganges. Die Müdigkeit machte mir immer schwerer zu schaffen. Ich konnte mich kaum noch konzentrieren. Ich war es gewöhnt, längere Zeit ohne Schlaf auszukommen, doch jetzt kamen der Durst dazu und die Hoffnungslosigkeit dieser kafkaesken Situation.

Eine Tür ging auf. Ein Mann, etwa Mitte dreißig, trat zu uns heraus. Er war Europäer. Sportlich. Gepflegt. Gut ausgeschlafen. Darum beneidete ich ihn am meisten. Er kam direkt auf Karl und mich zu. Streckte mir die Hand entgegen. »Hannes Führinger?«

Er hieß Peter Schönburg, und obwohl er auf den ersten Blick als Diplomat der österreichischen Botschaft zu erkennen war, hatte ich nicht das Gefühl, dass jetzt alles besser werden würde. Warum eigentlich nicht? Ich wusste es nicht.

Während ich ihm die Hand gab, sah ich hinter ihm zwei ägyptische Beamte auf den Gang treten. »Sie müssen uns helfen«, sagte ich rasch. »Was die hier mit uns abziehen, spottet jeder Beschreibung.«

Die beiden ägyptischen Beamten stellten sich zwischen uns und redeten auf Arabisch auf Schönburg ein. Er diskutierte mit ihnen, dann sah er mich bedauernd an. »Ich darf nicht mit Ihnen sprechen«, sagte er. Er drehte sich um und verschwand wieder in dem Büro, aus dem er gekommen war.

Karl und ich blieben zurück. Was wir erlebten, hatte sich bisher wie ein düsterer Traum angefühlt. Jetzt war es, als würden wir daraus erwachen, in eine Wirklichkeit, die noch düsterer war. Was geschah hier? Wir hatten uns nichts zuschulden kommen lassen. Wir wollten bloß ordnungsgemäß angemeldete, kontrollierte, verpackte und versiegelte Waffen vom Flughafen zum Schiff bringen, im Rahmen des dafür von Amts wegen vorgesehenen Prozederes. Warum behandelten die uns wie Verbrecher? Weil ein eifersüchtiger Exfreund Lisas sie gegen uns aufgehetzt hatte? Das konnte nicht alles sein. Ralf wollte uns vielleicht einen Streich spielen, aber damit konnte er nicht gerechnet haben. Die Sache schien eine verhängnisvolle Eigendynamik entwickelt zu haben.

Die Beamten winkten uns zu einer doppelflügigen Tür am Ende des Ganges. Sie war aus schwerem Holz und mit goldenen Ornamenten verziert. Der Raum dahinter, in den uns die Beamten schoben, sah aus, wie ich mir ein englisches Botschaftsbüro aus der Kolonialzeit vorstellte. Ein wuchtiger Schreibtisch mit einem Globus und einem Füllfederhalter. Ein langer Besprechungstisch. Alle Möbel aus dunklem Holz. Hohe Fenster mit Vorhängen aus Damast. Auszeichnungen und auch hier Gemälde an den Wänden. Der Raum war sauber und aufgeräumt.

Sieben Männer befanden sich darin. Drei von ihnen waren offenbar höhere Beamte. Gut gekleidete, gepflegte Ägypter. Hinter jedem von ihnen stand ein Sekretär. Der siebente Mann war ein Dolmetscher.

Einer der drei Beamten trat an uns heran. Das musste der »Attorney« sein, von dem im Gefängnis die Rede gewesen war. Er war ein hagerer Mann Mitte dreißig, der seine mit Öl geglättete Frisur wahrscheinlich für chic hielt. Zumindest ließ sein grauer, glänzender Anzug vermuten, dass er Wert auf Äußerlichkeit legte, und da es ihm offenbar an Geschmack fehlte, sah er aus wie ein Schnösel.

Der Staatsanwalt bildete einen skurrilen Kontrast zu dem Dolmetscher, der mit ihm vortrat, ein klein gewachsener, dicker, etwa siebzig Jahre alter Mann. Der Anzug des Dolmetschers bestand aus einem abgewetzten Sakko und einer durchgesessenen Hose. Schon als er sich vorstellte, vermutete ich, dass er nicht viel besser Deutsch konnte als ich Arabisch. Was für ein Dreamteam, dachte ich.

»Excuse me«, sagte ich zu dem Staatsanwalt. »I …«

Er unterbrach mich mit einer abfälligen Geste, worauf der Dolmetscher sich zu Wort meldete. »Nicht sprechen«, sagte er.

Der Staatsanwalt drehte sich zu den anderen Beamten um und redete mit ihnen auf Arabisch. Ich sah den Dolmetscher fragend an, doch der zeigte keine Reaktion.

Während die Beamten redeten, betrat ein weiterer Mann den Raum. Er war groß, schlank und gepflegt. »Das ist Ihr Anwalt«, sagte der Dolmetscher.

Lisa hatte es offenbar geschafft. Das war immerhin ein Hoffnungsschimmer. Unser Anwalt hieß Ahmed Abouelkassem.

»Sagen Sie ihm, dass wir ohne Grund festgehalten werden«, sagte ich zu dem Dolmetscher. »Er soll herausfinden, was die uns vorwerfen. Ich will wissen, was hier los ist, verdammt noch mal.«

Durch meinen Ton wurden die Beamten wieder auf uns aufmerksam. Der Staatsanwalt schritt langsam zu uns herüber. Der Dolmetscher und der Anwalt erstarrten. Sie schienen regelrecht zu schrumpfen. Der Staatsanwalt sagte zwei Sätze, ganz ruhig und bedacht. Ich verstand sie nicht, aber seine Stimme klang drohend.

Der Anwalt drehte sich daraufhin wortlos um und setzte sich auf einen Stuhl in einer Ecke des Raumes. Dann wandte sich der Staatsanwalt an uns. Der Dolmetscher übersetzte. »Wer sind Sie und was machen Sie hier?«, fragte er.

Ich erklärte ihm so ruhig wie möglich, dass wir mit dem Auftrag, ein Schiff namens Four Smile vor Piraten zu schützen, auf der Durchreise seien, im Hafen von Suez an Bord gehen würden, und dass wir für uns und unsere Waffen alle nötigen Papiere hätten.

Der Staatsanwalt nickte und beriet weiter mit seinen Kollegen. Ich versuchte, Blickkontakt mit Abouelkassem, unserem Anwalt aufzubauen, doch der saß eingesunken und weiterhin stumm in seiner Ecke und ignorierte uns. Schließlich wies uns der Staatsanwalt mit Gesten an, den Raum zu verlassen.

Einer der Sekretäre führte uns zu einer Bank am Gang, wo wir Platz nehmen sollten. Ich bemerkte, dass die Tür, durch die Schönburg verschwunden war, offen stand. »Karl, die haben gerade unserem Anwalt gesagt, er soll still sein und sich in die Ecke setzen«, sagte ich. Ich sagte es so laut ich konnte, ohne zu viel Aufmerksamkeit zu erregen.

Karl verstand. »Stimmt«, sagte er ebenso laut. »Außerdem haben sie ewig lange über uns beraten, während der Dolmetscher kein Wort für uns übersetzt hat.«

Ich konnte nur hoffen, dass uns Schönburg oder jemand anderer von der Botschaft hörte. So wie die österreichischen Diplomaten sich bisher benommen hatten, konnte ich nicht davon ausgehen, dass sie achtsam und schlau genug waren, unsere Nachrichten wahrzunehmen und angemessen darauf zu reagieren. Doch den Versuch war es wert.

Als nächstes mussten wir einzeln in das Büro des Staatsanwaltes zurück. Zuerst war ich an der Reihe. Der Staatsanwalt saß jetzt hinter dem wuchtigen Schreibtisch. Die anderen Beamten und die Sekretäre hatten an dem langen Tisch Platz genommen. Ich sagte, auf seine neuerliche Frage, wer ich sei und was ich in Ägypten wolle, etwas ausgeschmückt das gleiche noch einmal wie gerade eben. Der Staatsanwalt wirkte abwechselnd belustigt und wütend.

Piraten gäbe es nicht, übersetzte der Dolmetscher für mich. Das seien Märchen. Es stellte sich heraus, dass der Staatsanwalt uns für Australier hielt. Das Wort »Austria« hatte er noch nie gehört. Er kannte das Land nicht. Schnösel, zumal ungebildete, in hohen Positionen sind gefährlich, dachte ich. Wenn die es auf einen abgesehen hatten, war mit allem zu rechnen.

Nachdem Karl unsere Geschichte ebenfalls erzählt hatte, brachten uns zwei Polizisten wieder zum Transporter. Ehe wir einsteigen konnten, hielten sie mir zwei Wasserflaschen hin. Als ich mit überschwänglichem Dank danach griff, zogen sie die Flaschen zurück. »Fourty dollar«, sagten sie.

Ich leckte mir über die Lippen, zog meine Brieftasche und gab ihnen das Geld. Ich musste dieses Wasser haben. Eine Flasche reichte ich Karl. Wir tranken beide gierig.

Der Gefängnisdirektor empfing uns diesmal im Innenhof. Wir mussten unsere Kleidung und alle unsere Sachen inklusive meiner 3.600 Euro und 800 Dollar abgeben. Ich hielt mich mit Protesten zurück. Sie würden in dieser Situation keinen Sinn ergeben. Der ägyptische Justizapparat, ob er diesen Namen nun verdiente oder nicht, hatte uns vereinnahmt.

Nicht nur der Zustand des Häftlings, der für uns übersetzen sollte, hatte mich gewarnt. Anlässlich der Inhaftierung Husni Mubaraks im Tora-Gefängnis hatte ich Berichte über die Zustände dort gelesen. Demnach war dort ein Menschenleben wenig wert und niemand fragte nach den Toten.

Wir bekamen weiße Hosen und Hemden. Sowohl das Wort »weiß« als auch die Worte »Hosen« und »Hemden« waren eigentlich unpassend. Es handelte sich um verdreckte Sachen, die aus ehemals weißen Lumpen zusammengeflickt waren. Als ich das »Hemd« überzog, fiel der rechte Ärmel ab.

Ein Wärter führte uns zu unserer Zelle. Durch kleine vergitterte Fenster in zwei Metern Höhe fiel dämmriges Licht in den etwa zwanzig Meter langen und fünf Meter breiten Raum. Der Boden bestand aus gestampfter Erde und Dreck. In die rohen Wände waren Betonbänke eingelassen, jeweils eine in Bodennähe und eine anderthalb Meter darüber. Diese Bänke dienten den Insassen offenbar als Schlafplätze.

Dabei gab es eindeutig mehr Insassen als Schlafplätze. Die Augen von ungefähr achtzig Männern richteten sich auf uns, als wir die Zelle betraten. In ihren Gesichtern standen Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung. Sie wirkten ausgezehrt und krank. Sie alle trugen weiße Lumpen.

Ehe ich mich weiter orientieren konnte, betrat ein Beamter die Zelle. Mehrere Wärter begleiteten ihn. In der Mitte baute er sich auf. Als er zu reden anfing, verstand ich das Wort Chief of Investigation, mit dem er sich offenbar vorstellte. Der Rest war Arabisch und offenbar nicht für uns, sondern für unsere Mithäftlinge bestimmt. Während der Chief of Investigation redete, streifte er uns mit keinem einzigen Blick. Unsere Mithäftlinge hingegen starrten uns unverwandt an, während sie ihm aufmerksam zuhörten.

Als der Chief of Investigation zusammen mit seiner Entourage wieder verschwunden war, sah ich mich noch einmal um. Hier sind wir also gelandet, dachte ich. In einer überfüllten, unerträglich verdreckten Gefängniszelle am Arsch der Welt, zusammen mit achtzig Männern, von denen wir keine Ahnung hatten, was sie verbrochen hatten. Vielleicht waren sie Diebe und Betrüger, vielleicht aber auch Mörder und andere Schwerverbrecher.

Wenn ich aus dieser Lage wieder heil herauskommen will, muss ich mich auf das Wesentliche konzentrieren, dachte ich. Vor allem musste ich herausfinden, was uns dieser Staatsanwalt vorwarf. Schließlich war unsere wahre Geschichte auch für jemanden, der nicht an Piraten glaubte und noch nie von Österreich gehört hatte, einfach zu verstehen, in allen Punkten belegt und durch und durch transparent. Meine Vorbereitung der Reise war so akribisch gewesen, dass uns die Ägypter nicht einmal die kleinste Verwaltungsübertretung vorwerfen konnten.

Als wir uns nach einem Platz umsahen, an dem wir uns niederlassen konnten, fiel uns auf, dass uns die anderen Gefangenen mieden. Erst nach einiger Zeit hörte ich einen von ihnen Englisch sprechen. »Hey, you two«, sagte er. »Come over here.«

Ein drahtiger Ägypter winkte uns zu seiner Betonbank. Wir setzten uns zu ihm. Er reichte uns Kekse, die wir sofort verschlangen. Zum ersten Mal seit langem bekamen wir etwas zu essen. Er gab uns auch Tee. Das stärkte unseren Überlebenswillen. »What did the Chief of Investigation say?«, fragte ich ihn.

Der Ägypter machte ein ernstes Gesicht. Er habe allen Häftlingen verboten, mit uns zu sprechen, sagte er. »He said you are terrorists from Israel.«

Ich schloss die Augen und rieb mir die Schläfen. Großartig, dachte ich. Wir steckten noch viel tiefer in der Scheiße, als ich gedacht hatte.

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