Buch lesen: «Elijah - Blossom»

Schriftart:

Elijah

Blossom

Transgender –Erotic – Roman

Hannah Rose

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar

1. Auflage

Covergestaltung:

© 2021 Thomas Riedel

Coverfoto:

© 2021 depositphotos.com

Dieses Werk enthält sexuell explizite Texte und erotisch eindeutige Darstellungen mit entsprechender Wortwahl. Es ist nicht für Minderjährige geeignet und darf nicht in deren Hände gegeben werden. Alle Figuren sind volljährig, nicht miteinander verwandt und fiktiv. Alle Handlungen sind einvernehmlich. Die in diesem Text beschriebenen Personen und Szenen sind rein fiktiv und geben nicht die Realität wieder. Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen oder Orten sind rein zufällig. Das Titelbild wurde legal für den Zweck der Covergestaltung erworben und steht in keinem Zusammenhang mit den Inhalten des Werkes. Die Autorin ist eine ausdrückliche Befürworterin von ›Safer Sex‹, sowie von ausführlichen klärenden Gesprächen im Vorfeld von sexuellen Handlungen, gerade im Zusammenhang mit BDSM. Da die hier beschriebenen Szenen jedoch reine Fiktion darstellen, entfallen solche Beschreibungen (wie z.B. das Verwenden von Verhütungsmitteln) unter Umständen. Das stellt keine Empfehlung für das echte Leben dar. Tipps und Ratschläge für den Aufbau von erfüllenden BDSM-Szenen gibt es anderswo. Das vorliegende Buch ist nur als erotische Fantasie gedacht. Viel Vergnügen!

Impressum

© 2021 Hannah Rose

Verlag: Kinkylicious Books, Bissenkamp 1, 45731 Waltrop

Druck: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

ISBN siehe letzte Seite des Buchblocks

»Ich liebe Sissys,

denn aus ihnen werden

keine Soldaten.«

Floré Justine de Virisse (*1991)


Kapitel 1

Marwin sah seinen Freund flehend an. »Bitte, komm‘ mit, Elijah. Ich kann etwas moralische Unterstützung brauchen … Wenn du mitkommst, verspreche ich dir, dass ich dir über das restliche Semester mit deinen Arbeiten helfen werden.«

Die Erwähnung, Hilfe bei seinen wichtigen Arbeiten zu bekommen, ließ Elijah zu ihm aufzuschauen, während er sich fragte, ob das großzügige Angebot wirklich ernst gemeint war. Schließlich wusste Marwin recht gut, wie sehr er mit seinem Studium zu kämpfen hatte.

»Ich dachte mir doch, dass ich damit deine Aufmerksamkeit bekomme«, grinste Marwin spitzbübisch, die Hände in die Hüften gestemmt – so extravagant und übertrieben wie er es immer tat.

»Also, … was genau soll ich nochmal machen?«, seufzte er.

»Komm‘ einfach nur mit zu dieser ›Audition‹. Die findet heute Nachmittag statt. Alles, was du tun sollst, ist, mir Gesellschaft zu leisten und meine Nerven zu beruhigen, während ich warte, bis ich an der Reihe bin ... Und natürlich darfst du mir auch viel Glück wünschen, wenn dir danach ist.«

»Du willst also ernsthaft an dieser ›My New Gender‹-Show teilnehmen?«

Marwin nickte entschieden.

»Okay, geht in Ordnung«, seufzte er gedehnt, indessen er sich fragte, warum sein Freund keinen anderen darum bat, ihn zum ›Casting‹ für diese TV-Sendung zu begleiten – zum Beispiel einen seiner zahlreichen homosexuellen Freunde.

»Oh, Scheiße!«, entfuhr es Marwin, als er einen Blick auf die Wanduhr ihres Zimmers warf. »Wo wir gerade davon gesprochen haben: Ich sollte mich mal besser fertigmachen!«

Als sich Elijah auf seinem Bett zurücklehnte und sich auf eines seiner Lehrbücher zu konzentrieren versuchte, wurde er immer wieder von seinem Mitbewohner abgelenkt, der auf seiner Seite des Raumes herumrannte und alle möglichen verrückten Outfits aus seinem Kleiderschrank auswählte – allesamt Frauenkleider.

Als er bei seinem Einzug herausgefunden hatte, dass Marwin schwul war, war ihm das ziemlich egal gewesen. Er war tolerant und ohne Vorurteile gegen Homosexuelle. Allerdings hatte er schnell feststellen müssen, dass sein Kommilitone noch auf einem ganz anderen Planeten zu Hause war. Zunächst hatte er sich ihm gegenüber als ›Sissy‹ geoutet, und er hatte das nicht genau einordnen können, mit dem Begriff zunächst nicht viel anzufangen gewusst, jedoch schnell herausgefunden, dass es mit all den Perücken und dem Tragen von Frauenkleidern und einem super devoten mädchenhaften Verhalten in Verbindung stand. Er hatte versucht der Sache nicht allzu viel Aufmerksamkeit zu schenken, schließlich hatte Marwin ihn damit nicht wirklich belästigt, sondern eher mehr darüber geredet. Auch war er ihm diesbezüglich nur angesichtig geworden – was ihn aber nicht wirklich gestört hatte.

Er erinnerte sich an eine Heimkehr, bei der er Marwin auf dessen Bett erwischt hatte, immer noch in einem seiner Mädchenoutfits, mit verschmierten Make-up und Wimperntusche, die ihm übers Gesicht lief, weil er wegen einer zerbrochenen Liebschaft ohne Unterlass heulte. Und daran, wie er versehentlich vor einen stämmigen Kerl nur mit Perücke, BH, halterlosen Strümpfen und String bekleidet auf High Heels einen erotischen Tanz zum Besten gab.

Und jetzt will er an dieser blöden Talentshow ›My New Gender‹ teilnehmen? Das ist so lächerlich, ging es ihm durch den Kopf. Aber seine Hilfe beim Lernen kann ich nicht ablehnen. Mein Professor hat mir wegen meiner schlechten Noten schon in den Arsch getreten und Marwin hat es echt drauf.

»Hey, Elijah«, rief sein Mitbewohner gerade und holte ihn aus seinen Gedanken. »Was meinst du: Wie sehe ich aus?«

Er hob seinen Blick und für eine halbe Sekunde wurde sein Gehirn tatsächlich dazu animiert in dem Glauben bestärkt, dass sein Mitbewohner ein echtes Mädchen sei.

Marwin hatte eine Make-up-Technik angewandt, die sein Gesicht sehr weiblich aussehen ließ und es geschafft, seine Nase und Wangenknochen auf wundersame Weise hervorzuheben. Seine Augen wirkten jetzt groß und dunkel, während sein normalerweise dürrer Körper, der jetzt in einem Kleid und gepolstertem BH steckte, tatsächlich irgendwie kurvig wirkte. Sein kurzes blondes Haar wurde von einer langen Perücke in einem leuchtenden rötlich schimmernden Braun bedeckt.

Elijah hatte schon immer ein Faible für Rothaarige, wusste aber, dass er einen Teufel tun und Marwin eingestehen würde, wie heiß er gerade aussah – weil er ihm das, in Zukunft laufend unter die Nase reiben würde. »Kann ich nicht wirklich beurteilen, Marwin«, wich er aus und zuckte kurz mit den Achseln. Auf keinen Fall sollte es irgendwie schwul klingen oder gar so, als würde er ihm ein Kompliment machen.

»Kann ich nicht beurteilen, Marwin«, wiederholte sein Zimmergenosse, Elijahs Stimme parodierend. »Also wirklich! Ihr heterosexuellen Jungs seid doch alle gleich! Laufend habt ihr Angst mal eure vorhandene sensible, weibliche Seite zu zeigen und aus euch rauszugehen!«

»Wie auch immer«, murmelte Elijah. Es nervte ihn, dass Marwin sich über ihn lustig machte, denn tief in seinem Inneren war er stolz auf sich, ziemlich einfühlsam zu sein – zumindest im Vergleich zu den zahlreichen Macho-Typen auf dem Campus.

»Nun, … ich denke, ich bin bereit«, verkündete sein Mitbewohner und drehte sich vor ihm noch einmal aufreizend um seine Achse. »Lass‘ uns gehen!«

Erst in diesem Moment wurde Elijah bewusst, dass er jetzt mit Marwin das Wohnheim verlassen musste, und allein bei dem Gedanken daran, von anderen mit ihm gesehen zu werden, zog sich sein Magen zusammen. Aber kneifen ging nicht mehr. Dazu war es zu spät. Schließlich hatte er ihm bereits versprochen mitzugehen, so peinlich das Ganze auch war.

Also legte er sein Buch beiseite, schob die Beine über die Bettkante, stand auf und folgte ihm durch die Tür in den geschäftigen Korridor des Wohnheims. Dabei versuchte er, seinen Kopf beim Gehen etwas hängen zu lassen, in der Hoffnung, dass sie den Campus ohne zu viel Aufmerksamkeit verlassen würden. Aber zu seinem Unglück mussten sie ausgerechnet an Logan und Frederick vorbei, die im Ausgangsbereich herumlungerten – zwei sportliche Typen, mit denen er gemeinsame Kurse hatte.

»Hey, Elijah!«, rief Logan ihm zu, als sie vorbeikamen. »Wer ist denn deine neue Freundin?«

Frederick lachte spöttisch. »Ich wette, dass ist die einzige Art Mädchen, die ein Schwachkopf, wie er überhaupt aufreißen kann«, murmelte er halblaut.

Elijah fühlte einen scharfen Stich der Frustration, weil er ihm nicht absprechen konnte, dass er tatsächlich so seine Probleme mit Mädchen hatte. Trotz seiner achtzehn Jahre war er diesbezüglich ziemlich unbeleckt, und was noch schlimmer war, er war darüber nicht gerade glücklich. Den ganzen Sommer über hatte er wie verrückt trainiert, aber dennoch war er weiterhin drahtig und dünn – und alle Mädchen auf dem Campus schienen nur nach stämmigen, sportiven Typen wie Logan und Frederick zu suchen.

»Ignoriere sie doch einfach«, meinte Marwin und schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln.

»Ignorieren? Wen?«, grinste Elijah zurück und empfand eine Welle der Erleichterung, als er das Taxi erblickte, das sein Mitbewohner angefordert hatte.


»Okay, Ladies! Setzt euch einfach und wartet, bis eure Nummer aufgerufen wird«, rief eine der Assistentinnen – eine hübsche Blondine in Jeans und einem schwarzen T-Shirt –, eine Welle nervöser Anspannung in der Menge auslösend.

Nachdem sich alle Kandidaten auf einem der zahlreichen Stühle gesetzt hatten, umklammerte Marwin die ihm zugeteilte Nummernkarte, während sich Elijah interessiert das Spektakel um sich herum ansah.

Er fand es erstaunlich, wie viele Leute zu diesem Vorsprechen erschienen waren, und wie es aussah, hatte es sein Freund mit einer recht harten Konkurrenz zu tun. Überall, wohin er sah, hatte es den Anschein, dass es sich um echte Frauen handelte – und er musste schon sehr genau hinschauen, um die kleinen verräterischen Zeichen zu erkennen, dass sie es nicht waren.

Ein großes dunkelhäutiges ›Mädchen‹ sah fast makellos weiblich aus, wenngleich ihre deutlich zu großen Hände und Füße etwas Anderes besagten, während eine andere hagere Blondine, die nur wenige Plätze entfernt von ihm saß, sich einzig und allein durch ihren, zwar ausgesprochen kleinen, aber nichts destotrotz vorhandenen Adamsapfel an ihrem langen, schlanken und makellosen Hals verriet.

»Also, wo ich schon mitgekommen bin, kannst du mir ja mal erzählen, worum es hier eigentlich geht«, forderte er Marwin nach einer Weile auf – eigentlich eher, um sich abzulenken und wieder einen halbwegs klaren Kopf zu bekommen. »Gibt es dabei auch etwas zu gewinnen. Irgendeinen Preis? Oder ist das einfach nur ›Just for fun‹?«

»Sag‘ mal, lebst du in irgendeiner dunklen Steinzeithöhle?«, erwiderte Marwin knurrend und seine Augen weiteten sich, als er ihn anstarrte. »Du willst mir doch nicht ernsthaft weismachen, du hast noch keine Folge der ›My New Gender‹-Show gesehen hast, oder? Das ist völlig verrückt! Es gibt einen riesigen Geldgewinn, der mit jeder Staffel größer wird. Letztes Jahr hat Kathryn, die Gewinnerin, fünfzigtausend Pfund eingesackt!«

»Wahnsinn! Hätte nicht gedacht, dass es so viel ist«, murmelte er. Fünfzigtausend Pfund würden mein ganzes Studium abdecken, ging es ihm durch den Kopf, wissend, dass er trotz dessen niemals an einer solchen Show teilnehmen würde.

»Was würde ich nur dafür geben, wenn ich deinen Körper hätte«, seufzte Marwin, der seine Gedanken zu lesen schien. »Du würdest das Preisgeld problemlos abräumen, wenn du mitmachen würdest, Elijah. Du wärst die heißeste Sissy von allen, glaub‘ mir, die heißeste Stute im Stall und …«

»Ja, ja, ist schon klar!« Er lachte kopfschüttelnd. »Von wegen, die heißeste Stute im Stall!«

»Ich verarsch‘ dich nicht und meine das absolut ernst«, schoss sein Mitbewohner zurück. »Wenn du nicht so ein verdammter Hetero wärst, würde ich dir ehrlich empfehlen, es auszuprobieren. Ich würde jede Wette darauf abschließen, dass du eine unglaubliche Sissy abgeben und direkt das Rennen machen würdest.«

»Wie auch immer, Marwin«, murmelte er und wünschte, sein Freund würde das Thema wechseln.

»Nummer acht vier drei?!«, rief die hübsche Assistentin gerade.

»Das bin ich«, keuchte Marwin aufgeregt und erhob sich von seinem Sitz. »Wünsch‘ mir Glück!«

»Viel Glück«, nickte er und begleitete ihn noch bis zur Tür.


Kaum war Marwin im Raum der ›Audition‹ verschwunden, schloss die Assistentin die Tür hinter sich, wandte sich ihm zu und musterte ihn mit ihren funkelnden blauen Augen.

Elijah spürte, wie sein Magen plötzlich voller Nervosität verrücktspielte, als sie ihm das deutliche Gefühl vermittelte, ihm etwas sagen zu wollen. Instinktiv hoffte er, dass sich sein Glück mit Mädchen endlich ändern würde.

»Die ›Audition‹ für absolute Neulinge ist dort hinten«, erklärte sie ihm und deutete auf einen anderen Bereich, weit am Ende des Korridors, wo sich zahlreiche junge Männer in normalem, alltäglichem Aufzug eingefunden hatten.

»Entschuldigung?«, krächzte er verwirrt.

»Ich sagte, die ›Audition‹ für natürliche Typen ist dort hinten«, wiederholte sie. »Du sprichst doch auch vor, oder?«

»Ähm, … nein«, murmelte er. »Ich habe nur meinen Freund begleitet und warte jetzt auf ihn.«

»Nun, ich denke, du solltest dich dort mal schnell einreihen«, lächelte sie zurück und taxierte ihn eingehend von oben bis unten an. »Ich denke, du hättest eine reelle Chance.«

»Was meintest du überhaupt mit Neulingen?«, fragte er mehr aus Neugier als aus tatsächlichem Interesse.

Sie rollte mit den Augen, genauso wie es Marwin getan hatte, als er ihn fragte, wie die ›My New Gender‹-Show funktionierte – so, als könnte sie nicht glauben, dass er die Regeln und die Show nicht kennen würde. »Neben den regulären Sissys nehmen wir in jeder Staffel auch einen Neuling auf dem Gebiet als Kandidaten auf. Das bedeutet, einen, von dem die Jurymitglieder der Meinung sind, dass er eine echte Bereicherung für die Show ist und eine wirkliche Chance auf den Sieg hat. Das ist zwar deutlich mehr Arbeit, aber das Punktesystem ist so ausgewogen, dass du dadurch einen gewissen Vorsprung bekommst … Ernsthaft, warum versuchst du es nicht einfach? Ich kann dir direkt eine Anmeldung ausfüllen, wenn du willst? Es geht um einhunderttausend Pfund … Was hast du denn schon zu verlieren?« Sie schenkte ihm ein hoffnungsvolles Lächeln.

Elijah spürte, wie sein Herz heftiger zu pochen anfing, als er die Idee jetzt erstmals ernsthaft in Betracht zog. Auch, wenn er immer noch keine Ahnung hatte, wie dieser Wettbewerb überhaupt ablief – abgesehen davon, dass er sich verkleiden und wie ein Mädchen benehmen musste. Aber der Gedanke ein riesiges Vermögen zu gewinnen war schwerlich zu ignorieren. Ach, was zur Hölle soll’s!, dachte er. Sie hat ja recht. Was habe ich schon zu verlieren? »Okay. Gut. Dann versuch' ich mein Glück halt mal«, murmelte er deshalb.

»Großartig«, grinste sie. »Das nenn‘ ich mal eine spontane Entscheidung! Hier, … fülle dieses Formular aus und unterschreib‘ es! … Aber beeil‘ dich, die ›Auditions‹ sind in etwas einer Viertelstunde zu Ende.« Damit hielt sie ihm ein Klemmbrett entgegen.

Elijah hatte keine Chance mehr, den kompletten Inhalt des Vertrags zu lesen – nur, dass der Teilnehmer zustimmte, an allen ›Challenges‹ teilzunehmen, und dass die Entscheidungen der Jury endgültig waren … Keine plastische Chirurgie oder Hormontherapie … Was er aber vor allem registrierte, war die Ungeduld der Assistentin. Also füllte er schnell die erforderlichen Felder aus: die Angaben zu Größe, Gewicht, Taillenumfang und Beinlänge sowie Schuhgröße enthielten, kritzelte dann seine Unterschrift darunter und schrieb seinen vollen Namen dazu – keine Sekunde, bevor sie ihm bereits seine Nummernkarte in die Hand drückte und sich wieder das Klemmbrett schnappte.

»Viel Glück«, lächelte sie. »Ich heiße übrigens Samantha.«

»Elijah«, antwortete er knapp und schenkte ihr ein schüchternes Lächeln, ehe er sich zu den anderen Jungs am Ende des Korridors aufmachte und das heftige Klopfen seines Herzens zunahm …



Kapitel 2

Ein stämmiger kräftiger Typ stand vor der geöffneten Tür. »Nummer neun sechs neun!«, rief er in den Flur.

Scheiße!, schoss es Elijah durch den Kopf. Das ist ja direkt meine Nummer!

Er hatte in seinem ganzen Leben noch nie für etwas vorgesprochen, und war in diesem Moment so nervös wie selten zuvor – insbesondere, als ihm wieder bewusstwurde, wie verrückt es war, die ganze Sache auch nur ansatzweise ernst zu nehmen. Immerhin war es doch absoluter Irrsinn, auch wenn Marwin und Samantha anderer Meinung waren. Und selbst, wenn die mich nehmen würden … Was dann? Will ich überhaupt an so einer abgefahrenen Sissy-Show teilnehmen?

Aber er hatte keine Zeit mehr, sich mit seinen widersprüchlichen Gedanken zu befassen, da er bereits durch die Tür und in ein kleines dunkles Studio mit einem Schreibtisch am hinteren Ende trat, an dem zwei Juroren saßen. Eine auffällige ältere Frau mit langen schwarzen Haaren und einem verführerischen Make-up, das ihn sofort an einen glamourösen ›Vamp‹ erinnerte, und ein Mann Anfang dreißig Jahre – attraktiv und dunkelhäutig.

»Name?!«, rief die Frau kühl, mit einem angenehmen, aber auffällig osteuropäischem Akzent.

»Elijah Anderson«, antwortete er und vernahm deutlich die in seiner Stimme mitschwingende Nervosität.

»Warum denkst du, dass du der nächste ›My New Gender‹-Star sein solltest, Elijah?«, fragte der Dunkelhäutige mit einer tiefen, kraftvollen Stimme.

»Ich, … ähm, … ich … weiß es nicht«, stammelte er und fragte sich unwillkürlich, ob er damit nicht bereits ausgeschieden und direkt über die erste Hürde gestolpert war. »Aber ich lerne schnell«, fügte er hoffnungsvoll hinzu.

»Nun, Elijah«, fuhr die Frau in einem frechen, neckenden Ton fort, »die ›Audition Challenge‹ ist leicht. Hinter dir findest du eine Perückenauswahl und eine Reihe Kostüme. Du hast genau fünf Minuten Zeit, um dir etwas davon hinter dem Vorhang anzuziehen. Brauchst du länger, ist die ›Audition‹ beendet und du wirst direkt disqualifiziert. Verstanden?!«

Er nickte und fühlte, wie ihm das Herz raste. Mann, ich hasse sowas!, schrie es in ihm auf. Er wusste, wie schlecht er darin war, schnelle und klare Entscheidungen zu treffen.

»Drei, zwei, eins, … los!«, gab sie den Countdown.

Obwohl ihm das Ganze ziemlich blöd vorkam, drehte er sich sekundenschnell auf dem Absatz um und lief zur anderen Seite des Raumes, wo es, wie sie gesagt hatte, eine reichhaltige Auswahl an Kostümen auf einer fahrbaren Kleiderstange und unzählige Perücken auf Styroporköpfen gab. Das Outfit war ihm ziemlich egal. Er streckte die Hand einfach nach dem erstbesten aus, das ihm ins Auge fiel – ein leuchtend rosafarbenes Trikot – und stürzte damit sofort hinter den Vorhang.

»Noch vier Minuten vierzig!«, gab sie ihm die noch verbleibende Zeit an.

Hektisch begann er sich auszuziehen und staunte über sich selbst, als er bereits nach weiteren zwanzig Sekunden bis auf seine Boxershorts nackt hinter dem Sichtschutz stand und sich mit dem ausgewählten Outfit abmühte, von dem er nicht genau wusste, ob es nur einfaches Sporttrikot war oder von Mädchen beim Ballettunterricht getragen wurde.

»Noch vier Minuten zehn!«

Er schlüpfte hinein und zog sich die Träger über die Schultern. Dann starrte er an sich herunter und bemerkte, dass es mit seinen Boxershorts mehr als nur dämlich aussah - so wie sie im Schritt unterm Röckchen herausschauten. Also fing er an, es noch einmal auszuziehen, um sich seiner Shorts zu entledigen.

»Noch drei Minuten dreißig! Du solltest langsam fertig werden, Elijah!«

Boah, wie fies sie ist!, dachte er still, weil ihr Ton andeutete, wie sehr sie es genoss, ihn nervös zu machen.

Kaum hatte er sich seiner Shorts entledigt, stieg er wieder in das Trikot. Erst jetzt fiel ihm auf, dass es unten herum im Tangastil geschnitten war, und er zuckte etwas zusammen, als er spürte, wie sich der Steg zwischen seine Pobacken schob, während er die Träger über seine Schultern zog. Unwillkürlich ärgerte er sich über seine unüberlegte Wahl. Aber er wusste auch, dass die Zeit ausreichend war, sich noch anders zu entscheiden.

»Du hast noch zwei Minuten zwanzig!«

Er eilte zu den Köpfen mit den Perücken, griff wieder nach der ersten, die ihm auffiel und lief zurück, weil er dort einen Spiegel gesehen hatte. Es war eine blonde mit einem gerade geschnittenen Pony, und es brauchte etwas, bis er sie aufgesetzt bekam.

»Eine Minute dreißig, Elijah!«, zählte sie die verbleibende Zeit weiter herunter.

So gut er konnte, richtete er vor dem Spiegel seine neue Haarpracht und trat hinter dem Paravent hervor, als sie gerade »Noch eine Minute!« rief.

In dem kleinen Raum wurde es still, und er hörte sein Herz höherschlagen, als er langsam vor den Tisch der zweiköpfigen Jury schritt. Dabei spürte er plötzlich das seltsame, einschneidende Gefühl des Tangas, der sich bei jedem seiner Schritte bemerkbar machte. Kurz vor den beiden blieb er stehen, hielt die Luft ein und fühlte, wie sie ihn musternd bewerteten – wobei sie ihn von Kopf bis Fuß ansahen, ehe sie sich einander zuwandten und tuschelten.

»Wirklich, sehr gut. Ich bin beeindruckt«, meinte die Frau schließlich. »Was meinst du, Shawn?«

»Sie ist ohne jeden Zweifel schon ohne ein Make-up ausgesprochen hübsch«, antwortete er.

Elijah zuckte unwillkürlich zusammen. Ein Gefühl des Unbehagens hatte ihn gepackt, denn noch nie hatte ihn jemand als eine ›Sie‹ bezeichnet. Es fühlte sich für ihn komisch an – so, als wäre er nicht mehr er selbst.

»Dreh dich mal um!«, befahl sie ihm. »Einfach ein paar süße, schnuckelige Umdrehungen, okay?«

Ohne auch nur eine Sekunde darüber nachdenken zu müssen, drehte er sich vor ihnen langsam um seine Achse und verspürte eine Hitzewelle im Gesicht, als ihm dämmerte, dass die beiden ihm gleich auf seinen fast nackten Hintern starren würden.

»Also, ich kann nichts erkennen, wessen sich unsere Süße schämen müsste«, stellte die Jurorin in sanftem Ton fest, als er sich ihnen nach zwei weiteren Umdrehungen wieder zuwandte. »Nun«, sie warf ihrem Kollegen einen vielsagenden Blick zu, »meine Stimme ist der Kleinen sicher!«

Es entstand eine kleine Pause. Dann lächelte der Dunkelhäutige und nickte zustimmend. »Meine auch. Ja, unbedingt. Ich denke, wir haben wirklich einen ausgesprochen hübschen Neuling für diese Staffel gefunden ... Ja, sie ist wirklich ein ausgesprochen niedliches Ding, mit extrem viel Potenzial!«

Wartet mal! Wie bitte?!, schoss es ihm durch den Kopf. Süß, klein, niedlich, mit extrem viel Potenzial?! Er glaubte seinen Ohren nicht zu trauen.

»Herzlichen Glückwunsch, Elijah«, gratulierte ihm die Schwarzhaarige. »Du bist dabei … Gib bitte deine Kontaktdaten auf dem Weg nach draußen beim Assistenten ab. Und dann sehen wir nächste Woche weiter.«

»Ähm, … danke«, murmelte er und konnte es immer noch nicht fassen. In seinem Kopf schwirrte alles wie verrückt.

»Nimm dir Zeit, dir wieder deine normalen Sachen anzuziehen«, fügte sie mit einem süffisanten Lächeln hinzu. »Ich verspreche auch keine weiteren Zeitangaben zu machen!«

Als er wieder hinter dem Paravent verschwand und anfing, die Perücke abzunehmen und sich das Trikot auszuziehen, fühlte er sich wie in einem seltsamen Traum. Was gerade geschehen war, kam ihm absurd, ja völlig surreal vor – und so, als hätte es irgendjemand anders erlebt, aber nicht er. Als er wieder seine eigenen Sachen trug und sich auf den Weg nach draußen machen wollte, rief ihm die Schwarzhaarige zu:

»Ich bin mir absolut sicher, dass du wirst eine brillante Sissy abgeben wirst!«

Und genau in dieser Sekunde realisierte Elijah, dass das alles kein wirrer Traum und es die nackte Realität war, die ihn gerade zwickte …


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