Buch lesen: «KOEHLER - Der Fetzer»
K O E H L E R
Die erste Staffel
H.P. Karr
S01 E05 Der Fetzer
Koehler ist ein Medienprofi. Er ist Berater, Spindoctor, Ghostwriter, PR-Hure. Was er nicht hinkriegt, kriegt keiner hin. Egal ob es die Promotion für den Bestseller eines Serienräubers ist, das Drehbuch für die Jubiläums-Episode einer Seifenoper oder die dreckige Vergangenheit des neuen Teenie-Stars. Wenn Koehler ins Spiel kommt, lösen sich Probleme mit widerspenstigen Schauspielern, karrieregeilen Journalisten oder publicitysüchtigen Showstars in Luft auf. Egal, wer dabei auf der Strecke bleibt.
Wer Koehler mag, braucht Jack Reacher nicht.
E05 Der Fetzer
»Wie schaffst du das bloß?«, zischte Linda. »Wie kannst du hier stehen und zugucken, wie er diese Scheiße, die du geschrieben hast, als seine Scheiße verkauft?«
»Vielleicht, weil ich auch ein Scheißkerl bin«, sagte Koehler.
Als ehemaliger Polizeireporter ist Koehler der beste Mann, um die Promotion für die Memoiren des Fetzers zu machen. Der hat als »Robin Hood vom Niederrhein« eine Handvoll Banken und Geldtransporter zwischen Duisburg und Kleve ausgeraubt und seine Strafe dafür abgesessen. Aber ist er vielleicht auch ein Killer?
Table Of Contents
E05 Der Fetzer
Leseprobe H. P. Karr präsentiert: Mord nach Rezept
Die Credits
E05
Der Fetzer
Der Strom leuchtete. Koehler blickte von der Terrasse über den Fluss. Das träge Wasser glühte wie flüssiges Metall im Abendlicht. Koehler zündete sich eine Zigarette an und schüttelte die Streichholzflamme sorgfältig aus.
Aus dem Kultursalon kam Beckets heiseres Organ, die »Stimme voller Leben und Erfahrung«, wie Koehler für die Presse getextet hatte.
»Der Tatort lag auf einer kleinen Lichtung in einem Wäldchen nahe der Stadtgrenze«, las Becket. »Die Tote war hingeworfen ins trockene Laub der Erlen, die Beine halb unter einen wilden Brombeerbusch. Schweigende Routine bei den Mordermittlern, die sich um das Opfer scharten. Schmarotzer des Todes, die sich und andere glauben machten, mit ihrem Kratzen und Schaben nach Faserspuren, Haaren und Körperflüssigkeiten etwas zu tun, was der Gesellschaft nützte. Der Mediziner hatte sein Thermometer in den Anus der Leiche eingeführt, um die Körpertemperatur zu messen und den Todeszeitpunkt auf ungefähr halb sieben in der Frühe festzulegen. Blitzlichter froren das Gesicht der Frau wieder und wieder ein, die aufgeworfenen Lippen, das entblößte Zahnfleisch, die verzerrten Wangenbögen und den bläulich-blutunterlaufenen Hals, mit dem Einschnitt des Blumendrahtes, mit dem sie erdrosselt worden war. Eine Garotte, vermutete der ermittelnden Kommissar und sein Assistent machte eine Notiz für die Fallakte. Ein Stück Draht mit Griffhölzern an den Enden. Man warf ihn dem Opfer um den Hals und zog es an den Hölzern über Kreuz zusammen, löschte ein Leben aus, vernichtete eine Vergangenheit und eine Zukunft...«
Beckets Stimme wurde leiser. Koehler wandte sich um. Linda war auf die Terrasse des Kultursalons gekommen und hatte die Türflügel geschlossen. Sie wirkte sehr zerbrechlich in ihrem schwarzen Etuikleid und den schwarzen Nylons, aber Koehler wusste, dass der Eindruck täuschte, seit er sie bei ihrem Morgen-Workout im Hotel-Gym gesehen hatte. Eingespannt im Bodytrainer hatte sie ihre Einheiten mit zweimal dreißig Kilo gestemmt. Ihr Pagenschnitt schimmerte hennaschwarz. An ihrem Ohrläppchen baumelte ein elfenbeinfarbener Anhänger, und um den Hals hatte sie ihre doppelreihige Perlenkette geschlungen. Sie roch nach Shampoo und einem teurem Parfüm, das eigentlich nur »Black Desire« oder »Nuit noir« heißen konnte.
»Dieser Scheißkerl!« Sie nahm Koehlers halbgerauchte Zigarette und inhalierte tief, ehe sie sie ihm wieder zwischen die Lippen schob.
Drinnen im Kultursalon wurde geklatscht. Becket bedankte sich. Koehler sah durchs Fenster. Becket gab den Superstar, signierte das Buch und lächelte nebenbei in die Blitzlichter der Lokalpresse. Die rothaarige Buchhändlerin, die schon seit dem Pressetermin in ihrem Laden heute Nachmittag um ihn herumschwarwenzelte, suchte inzwischen Körperkontakt. »Schlampe«, murmelte Linda.
Koehler zog sie zur Seite. »Eine Affäre ist eine Affäre!«, sagte er. »Sieh es einfach so.«
»Wie schaffst du das bloß?«, zischte Linda. »Wie kannst du hier stehen und zugucken, wie er diese Scheiße, die du geschrieben hast, als seine Scheiße verkauft?«
»Vielleicht, weil ich auch ein Scheißkerl bin«, sagte Koehler.
Linda lehnte sich an die Brüstung und spielte mit ihren Perlen. »Er ist ein Killer, ja? Diese Geschichte über den Mord an seiner Freundin in dem Buch... Das kann nur einer schreiben, der...«
»Früher war ich mal Polizeireporter«, sagte Koehler. »Da habe ich genug Leichen gesehen.«
»Er hat sie umgebracht, ja?«
Koehler sagte nichts.
»Nun komm schon. Hat er dir was gesagt?«
»Du weißt, dass er ein Alibi für den Abend gehabt habt.«
Linda stieß die Luft aus. »Von den anderen Scheißkerlen, mit denen er zusammengehangen und gesoffen hat! Vergiss es.«
Koehler zuckte mit den Schultern. Das Gericht hatte an Beckets Alibi jedenfalls nichts auszusetzen gehabt und ihn nur wegen der Raubüberfälle auf die Geldtransporte verurteilt, nicht wegen des Mordes an seiner Freundin. »Nur fünf Jahre für den ›Robin Hood vom Niederrhein‹ hatte es in den Schlagzeilen von Duisburg bis Kleve geheißen. Drei Jahre davon hatte Becket abgesessen und sich die Besuchszeit damit vertrieben, Koehler die Geschichte seines Lebens zu erzählen, die er für eine knappe halbe Million an den Verlag verkauft hatte, für den Linda arbeitete. Vor zwei Monaten war er dann auf Dreiviertelstrafe entlassen worden, gerade richtig, um mit dem Buch, das Koehler ihm geschrieben hatte, auf Lesetour zu gehen. »Der Fetzer - Hetzjagd am Niederrhein« stand auf dem Sprung in die Top Ten der Bestsellerliste, und wenn morgen Lindas »Operation Fetzer« mit einer Lese-Tour durch die Käffer im Landkreis anlief, würden die Verkäufe explodieren.
Der kostenlose Auszug ist beendet.