Das Taschenbuch

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In unserem Kontext geht es um die Volksbücher im engeren Sinn, wie sie in Reihen im 19. Jahrhundert auf den Markt gebracht wurden. Ein Schlüsselwerk dabei ist die die Schrift Die teutschen Volksbücher von Joseph Görres aus dem Jahr 1807. Wie der Untertitel des Buchs zeigt, ging es Görres nicht nur um die Tradierung spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Epen: Nähere Würdigung der schönen Historien- Wetter- und Arzneybüchlein, welche theils innerer Werth, theils Zufall, Jahrhunderte hindurch bis auf unsere Zeit erhalten hat. Die beiden bedeutendsten Reihen, die in dieser Tradition entstanden, wurden von dem Philologen Karl Simrock (1802–1876) und dem Autor, Philosophen und Bankier Gotthard Oswald Marbach (1810–1890) herausgegeben.

Karl Simrocks Reihe Die deutschen VolksbücherVolksbücher, Die deutschen erschien zwischen 1838 und 1850 im Verlag Heinrich Ludwig BrönnerBrönner in Frankfurt und umfasste 57 Titel. Neben den ‚klassischen‘ Stoffen wie Die schöne Magelone, Reineke Fuchs, Genoveva und Dr. Johannes Faust erschienen auch Sammlungen von Sprichwörtern, Rätseln, Volksliedern und Weissagungen, aber auch Büttner-Handwerksgewohnheiten und Der Huf- und Waffenschmiede-Gesellen Handwerksgewohnheit. Die broschierten Bände hatten einen Umfang zwischen 50 und über 600 Seiten, sie waren mit Holzschnitten illustriert und hatten ein Format von circa 11 cm x 18 cm.

Am bekanntesten ist wohl die Sammlung Volksbücher von Gotthard Oswald Marbach, die ebenfalls 1838 im Verlag Otto WigandWigand in Leipzig zu erscheinen begann. In der Zusammenstellung gleicht sie weitgehend der Simrockschen Reihe, doch sind das keine Ausgaben, die auch Philologen ansprechen wollten, sondern vor allem auf das Unterhaltungsbedürfnis des Publikums zielten (Rautenberg 1985: 223f.). Von den insgesamt 53 Bänden erschienen bis 1842 vierunddreißig unter der Herausgeberschaft Marbachs, danach bis 1848 weitere 19 Bände, zum Teil durch Oskar Ludwig Bernhard Wolff herausgegeben, einige auch ohne Nennung eines Herausgebers. Zum Erfolg der Reihe hat sicher beigetragen, dass 31 Titel mit Holzschnitten von Ludwig Richter illustriert waren. Die Bände erschienen in Heftform, also ohne festen Einband, und wurden auf billigstem Papier gedruckt. Die Umfänge schwankten zwischen 40 und 250 Seiten; das Format betrug 12,5 cm x 18 cm.

Für den ökonomischen Erfolg beider Reihen sprechen die Tatsachen, dass Simrocks Die deutschen VolksbücherVolksbücher, Die deutschen zwischen 1845 und 1867 in 13 Sammelbänden erneut herausgebracht wurden und dass Marbachs Volksbücher bis zur Jahrhundertwende immer wieder nachgedruckt wurden (Galle 2006b: 19).

Der Begriff „Volksbücher“ erscheint auch – oft in Kombination mit geografischen Bezeichnungen – in vielen anderen Reihennamen wie Münchener VolksbücherVolksbücher, Münchener, Rheinische VolksbücherVolksbücher, Rheinische, Rosenheimer VolksbücherVolksbücher, Rosenheimer, Wiener VolksbücherVolksbücher, Wiener, Wiesbadener VolksbücherVolksbücher, Wiesbadener etc. Wie das Beispiel Meyers VolksbücherMeyers Volksbücher zeigt, handelt es sich jedoch nicht immer um Volksbücher in dem hier behandelten Sinn. Meyers Volksbücher versammeln vielmehr neben wenigen nichtfiktionalen Titeln vor allem in- und ausländische Klassiker sowie Autoren der Zeit. Mit „Volksbibliotheken“ wiederum wurden vor allem gegen Ende des Jahrhunderts Reihen für Jugendliche bezeichnet (Galle 2006b: 110–133).

Die dritte Gattung, die im oben beschriebenen Sinn für unser Thema wichtig ist, sind die Kolportageromane, oft auch als Lieferungsromane, zeitgenössisch häufig als „Hintertreppenroman“ bezeichnet. Ein Kolportageroman war ein Roman von einigem Umfang, der in Lieferungen portioniert war und über den Kolportagebuchhandel an sein Publikum gelangte. Die Zahl der Lieferungen schwankte zwischen 15 und maximal 200 Heften von zunächst 16 bis 48 Seiten, seit den 1880er Jahren von in der Regel 24 Seiten (Kosch/Nagel 1993: 6) Die einzelnen Hefte wurden in der Anfangszeit im Oktav-Format, später im Klein-Oktav-Format gedruckt, also mit einer Rückenhöhe zwischen 25 cm und 18,5 cm. Die gefalteten Druckbögen waren häufig nicht aufgeschnitten. Zum Lieferungsumfang gehörte auch eine Illustration; diese war teilweise auch mehrfarbig. Die Titelseite war verständlicherweise immer identisch gestaltet, um den Seriencharakter zu unterstreichen. Der Preis pro Lieferung betrug meist zehn Pfennig. Der Verlag stellte häufig Einbanddecken zur Verfügung, sodass der Abonnent die Hefte aufbinden lassen konnte.

Die ersten Hefte wurden kostenlos an die Kolportagebuchhändler abgegeben, denn deren Kolporteure mussten Abonnenten für das jeweilige Lieferungswerk gewinnen, und diese Freistücke stellten einen Teil der Provision der Reisenden dar. Entsprechend hoch waren zunächst die Auflagen. Ein zeitgenössischer Bericht nennt bei einem dieser Werke 2,5 Millionen gedruckte Exemplare für die erste Lieferung, 215.000 für die zweite und 175.000 für die fünfte Lieferung. Ab Heft 6 musste der Abonnent die Lieferungen bezahlen. Nun sank die Zahl der gedruckten Exemplare von 75.000 Exemplare auf 13.000 Exemplare bei der 150. und letzten Lieferung (Kellen 1899: 87f.).

Im Unterschied zum Kolportagebuchhandel ist der deutsche Kolportageroman kaum erforscht. Ausnahmen sind Schenda 1970, 241–248 und 310–314 und vor allem Galle 2006b: 134–177. Die Bibliografie von Kosch/Nagel 1993 verzeichnet über 1.500 Kolportageromane für den Zeitraum von 1842 bis 1960. Siehe dort auch die Einleitung.

Nach Vorbildern in den USA und England begannen in Deutschland die ersten Kolportageromane um die Jahrhundertmitte zu erscheinen. Ihre Blütezeit erlebten sie zwischen 1860 und der Jahrhundertwende. In diesem Zeitraum erschienen rund 1.100 Lieferungsromane (Kosch/Nagel 1993: 1). Zeitgenössisch werden als Beispiele immer wieder genannt Kornblume und Veilchen oder Unser Wilhelm und Unser Fritz. Patriotische Erzählung (1888–1890) von N. J. Anders – ein Pseudonym von Nathan Jacob – im Verlag Werner GroßeGroße, Berlin, und Der Scharfrichter von Berlin. Sensations-Roman nach Acten, Aufzeichnungen und Mitteilungen des Scharfrichters Julius Krautz (1889–1890) von Victor von Falk, – ein Pseudonym von Heinrich Sochaczewsky – im Verlag August WeichertWeichert, Berlin. Kornblume und Veilchen soll in 200 Lieferungen mit insgesamt über 4.800 Seiten erschienen sein; der Scharfrichter hatte einen Umfang von über 3.000 Seiten in 130 Heften zu je zehn Pfennig und fand eine Viertelmillion Käufer (Kellen 1899: 85).

All diese Romane sind heute in Vergessenheit geraten. Am ehesten sind noch die fünf Lieferungsromane im literarischen Bewusstsein geblieben, die Karl May zwischen 1882 und 1887 für den Dresdner Verlag H. G. MünchmeyerMünchmeyer geschrieben hat. Den ersten Roman, Waldröschen oder Die Rächerjagd rund um die Erde mit dem schönen Untertitel Großer Enthüllungsroman über die Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft, veröffentlichte May unter dem Pseudonym Capitain Ramon Diaz de la Escosura, die weiteren ohne Verfasserangabe. Der Roman erschien in 109 Fortsetzungen von Dezember 1882 bis August 1884 und umfasste 2.612 Seiten.

Von der Form her eng verwandt mit den Lieferungsromanen sind die Serienhefte und der Heftroman. Beiden gemeinsam ist – in der Abgrenzung zum Lieferungsroman –, dass die Hefte zwar auf Fortsetzung angelegt sind, jedoch jeweils eine in sich abgeschlossene Handlung hatten. Im Unterschied zum Serienheft hatte der Heftroman darüber hinaus eine durchgehende Zentral- und Titelfigur. Beide Formen waren vom Umfang her streng normiert, wobei Ausnahmen eher bei den Serienheften möglich waren. Der Vertrieb erfolgte zunächst weitgehend über den Kolportagebuchhandel, doch parallel zu dessen Rückgang wurden Straßenverkäufer, Bahnhofskioske, der Schreibwarenhandel sowie Zigaretten- und Tabakläden immer wichtiger.

Zur Einführung siehe Galle 2006a und 2006b sowie Buck 2010; ein Verzeichnis der zwischen 1900 und 1945 erschienenen Heftromane bei Wanjek 1993.

Serienhefte wie Heftroman hatten ihren Vorläufer in der amerikanischen dime novel (Cox 2012). Als erster Titel der Reihe Beadle’s Dime NovelsBeadle’s Dime Novels erschien 1860 Malaeska. The Indian Wife of the White Hunter von Ann S. Stephens. Diese frühesten dime novels hatten bei einem Preis von zehn Cent (einem „dime“) einen Umfang von 96 Seiten in drei Bogen zu je 32 Seiten; sie waren fadengeheftet. Am Anfang betrug das Format 4 ½ inches x 6 ½ inches (11,4 cm x 16,5 cm); später erschien die Mehrzahl der Hefte im Format 7 inches x 10 inches (17,8 cm x 25,4 cm, also etwas größer als DIN A5). Die Broschuren waren mit einem orangefarbenen Papier derselben Stärke wie der Innenteil umhüllt. Die Vorderseite zierte ein simpler Holzstich, der die Hauptfigur in einer sprechenden Szene zeigte. Erzählt wurden zunächst wahre Geschichten aus der Pionierzeit Amerikas und fiktionale Heldenlegenden. Der in den ersten Jahren konkurrenzlose Verlag BeadleBeadle verkaufte bis 1865 mehr als vier Millionen Exemplare, von Malaeska im Lauf der Jahre wohl eine halbe Million (Schick 1958: 50–54 und Bonn 1982: 29f.). Ab 1874 wurden die wenig attraktiven Umschläge durch grelle, farbige Cover ersetzt. Den Höhepunkt der Verbreitung fanden die dime novels im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Nach dem Ersten Weltkrieg verschwanden sie von der Bühne der populären Lesestoffe.

 

Thematisch erschienen auf dem deutschen Markt neben den Wildwest-, Detektiv- und Abenteuerromanen später sogenannte Sittenromane und Hefte für Jungen und Mädchen (Backfischliteratur), im Ersten Weltkrieg dann viele Reihen mit Kriegsabenteuern. 1908 kam mit Der Luftpirat und sein lenkbares LuftschiffLuftpirat und sein lenkbares Luftschiff, Der die erste Science-Fiction-Serie in Deutschland auf den Markt. Sie brachte es in den wenigen Jahren ihres Erscheinens auf 165 Hefte (Galle 2006a: 92).

Serienhefte gehen im deutschen Sprachraum weiter zurück als die nach der Jahrhundertwende entstehenden Heftromane. Die Themen in den frühen Serienheften sind breit gestreut. Fiktionale Stoffe stehen neben nichtfiktionalen. Umfänge und Formate variieren. Gängige Bezeichnungen sind „Romanbibliothek“, „Bücherschatz“, „10-Pfennig-Bibliothek“ etc. Die Hefte erschienen überwiegend ohne Titelillustration. Das Äußere war nüchtern, einfarbig, wie bei den Wiesbadener VolksbücherVolksbücher, Wiesbadenern oder teilweise bei der Volksbibliothek des Lahrer Hinkenden BotenVolksbibliothek des Lahrer Hinkenden Boten.

Serienhefte für ein jugendliches Publikum liefen in der Regel unter den Begriffen „Jugendbibliothek“, „Volksbibliothek“ oder vergleichbaren Formulierungen und erschienen ab den 1870er Jahren. Die Hefte waren im Unterschied zu den genannten Bibliotheken strenger normiert; sie hatten in der Regel einen Umfang von 32 oder 64 Seiten, erschienen im Klein-Oktav- oder im Sedezformat und hatten ein farbiges Cover. Zu Beginn dominierten die Indianergeschichten; später kamen Abenteuer- und Seemannsgeschichten hinzu.

Nach dieser Betrachtung des seriellen Buchs im 19. Jahrhundert ist im nächsten Kapitel nach dem Taschenbuch in diesem langen Jahrhundert zu fragen.

4 Das Taschenbuch im langen 19. Jahrhundert

Im vorangegangenen Kapitel haben wir das breite Panorama des seriellen Buchs im 19. Jahrhundert entfaltet. Nun sind Kriterien zu entwickeln, die von einem Taschenbuch im langen 19. Jahrhundert (zum Begriff siehe Bauer 2010) sprechen lassen, wie es unserem modernen Verständnis weitgehend entspricht. Gegenüber den im letzten Kapitel ausführlich beschriebenen Kriterien sind dabei nur wenige Einschränkungen zu machen.

Dabei hilft vor allem eine Reihendefinition vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Carl Christian Bry hebt in seiner schmalen Dissertation Buchreihen vor allem auf die abgeschlossene Form der Einzelbände und eine Mehrzahl von Autoren ab: „Von einer Bücherreihe im engeren, modernen Sinne kann jedoch nur dann gesprochen werden, wenn es sich um eine Serie von einheitlichen, abgeschlossenen Bänden verschiedener Verfasser handelt, die durch weitere oder intimere Inhaltszusammengehörigkeit, gleichen Obertitel und gleiche Ausstattung, (ev., in der engsten Form, noch durch gleichen Preis) verbunden, aber doch einzeln käuflich sind.“ (Bry 1917: 14. Hervorhebung im Original) Damit werden umfangreiche Werkausgaben, die in Lieferungen erscheinen, die Einzellieferungen eines Kolportageromans und die schulischen Lesestoffe und Unterrichtshilfen wie die Griechischen und Römischen Prosaiker in neuen ÜbersetzungenProsaiker in neuen Übersetzungen, Römische (seit 1825 fast 750 Bändchen bei MetzlerMetzler) oder Freund’s Schüler-BibliothekFreund’s Schüler-Bibliothek (seit 1859 fast 400 Bändchen im Verlag Wilhelm VioletViolet, Dresden) ausgeschlossen.

Andererseits schließt ein solche Eingrenzung wie die Brys jedoch das (Roman)Heft ein, das wegen des geringen Umfangs oft aus der Betrachtung ausgeklammert wird – nicht aber Romanheftserien mit einer Titelgestalt, etwa die Nick-Carter-HefteNick Carter. Amerika‘s größter Detectiv. Eine sinnvolle Abgrenzung von Taschenbuch und Heft ist nach formalen Kriterien nicht möglich, sondern müsste, wo möglich und notwendig, zum Beispiel über die Vertriebswege erfolgen.

Weiterführend ist eine Eingrenzung des Formats. Natürlich sind unsere heutigen Vorstellungen in dieser Hinsicht vom Taschenbuch seit PenguinPenguin und RowohltRowohlt geprägt, doch zeigt die historische Entwicklung, dass das ‚taschenfähige‘ Format keine Erfindung des 20. Jahrhunderts ist. Die Formate der im Folgenden dargestellten Reihen schwankt zwischen sieben und zwölf Zentimeter in der Breite sowie zwischen neun und 20 Zentimeter in der Höhe.

Das Format ist klein und handlich, ‚in die Tasche passend‘. Das spiegelt sich auch in der Bezeichnung in anderen Sprachen wider: pocket book, livre de poche, libro tascabile. Zwar gab es mit den Gürtelbüchern kleinformatige Bücher schon ab dem 14. Jahrhundert und mit den Klassikerausgaben von Aldus Manutius im 16. Jahrhundert, doch im 18. Jahrhundert vollzog sich eine „äußerliche Anpassung des Buches an die neuen Lesegewohnheiten [der extensiven Lektüre. Der Verf.]. Mehr und mehr wurden kleine Büchlein produziert, und seit der Jahrhundertmitte stiegen Taschenbücher und Almanache unaufhaltsam in der Gunst des Publikums. Der moderne Leser zog das elegante Oktav- oder Duodezbändchen allemal dem pedantischen Folio oder Quart der Gelehrten- und Erbauungsliteratur vor“ (Kiesel/Münch 1977: 171).

Die Frage des Formats lässt sich sicher kontrovers diskutieren. Doch würde man die Kleinformate Sedez und Duodez mit den Rückenhöhen von kleiner als 10 cm beziehungsweise zwischen 10 cm und 15 cm aus der Betrachtung ausschließen, so würde man das auch mit der sicher wirkungsmächtigsten Taschenbuchreihe, nämlich Reclams Universal-BibliothekUniversal-Bibliothek, tun.

Das wichtigste Ausstattungsmerkmal ist – neben billigem Papier – die Broschur. War die Broschur in der Geschichte des Bucheinbands zunächst eine Interimsbindung, die den Buchkorpus bis zur endgültigen Bindung als Hardcover schützte, so wurde sie seit dem 19. Jahrhundert als preisgünstige Alternative zum gebundenen Buch eingesetzt (Rautenberg 2015: 64f.), weil so größere Publikumskreise erreicht werden konnten. Bezeichnend ist ein Sprichwort aus dem späten 18. Jahrhundert, das Johann Goldfriedrich in seiner Geschichte des Deutschen Buchhandels zitiert: „Bücher bilden Gelehrte; Broschüren bilden Menschen.“ (1909: 269)

Dem Argument, die Broschurbindung sei nicht konstituierend für das Taschenbuch der Zeit, „denn in einer Zeit, die das Einbinden eines Buches noch vielfach dem Käufer überließ, war die Broschurenform nichts, was einen Buchtyp definieren könnte“ (Fallbacher 1992: 1), ist schon aus dem Grund zu widersprechen, weil etliche der Reihen oder zumindest Titel daraus von den Verlagen sowohl als Broschur als auch gebunden angeboten wurden, also sehr wohl eine Differenzierung seitens des Verlags vorgenommen wurde. Auch die Verarbeitung, ob Fadenbindung, Leimung oder Heftklammerung, ist kein Definitionsmerkmal.

Zur Abgrenzung des Taschenbuchs von der Broschüre siehe Bandel/Stanizek 2015.

Aus dem kalkulatorischen Zusammenhang von Auflage und Ladenpreis ergibt sich, dass Taschenbücher sich auch durch ihren Verbreitungsgrad, sprich durch ihre verkauften Exemplare, definieren. Daher wird zum Beispiel die literarische Reihe Der jüngste Tag,Tag, Der jüngste die zwischen 1913 und 1921 mit 86 Bänden im Kurt WolffWolff Verlag erschien, nicht hier aufgenommen, obwohl sie geheftet war. Die Verkäufe waren im Vergleich mit anderen Reihen sehr niedrig (Göbel 1977: Sp. 590–592); der Ladenpreis vergleichsweise hoch (Sp. 578).

Wie für alle seriellen Bücher ist die Periodizität entscheidend. Im Allgemeinen erscheinen die Reihen regelmäßig. So bündelte beispielsweise ReclamReclam zehn bis 15 Bände in einer Auslieferung, nicht zuletzt um Vertriebskosten zu sparen. Wichtig ist auch das Erscheinen über einen längeren Zeitraum hinweg. Daher sind hier nur Serien von einigem Umfang aufgenommen. Kurzlebige Reihen wie zum Beispiel die Sammlung FranckhSammlung Franckh, die es in dem Jahrzehnt zwischen 1895 und 1905 auf gerade einmal 36 Nummern brachte (Galle 2006b: 194), bleiben unberücksichtigt.

Die im Folgenden beschriebenen Taschenbuchreihen stehen in chronologischer Reihenfolge.

Etui-Bibliothek der Deutschen ClassikerEtui-Bibliothek der Deutschen Classiker


Abb. 2:

Etui-Bibliothek 26: Alois Blumauer: Gedichte. F. W. Forstmann, Aachen 1816, 143 Seiten. Format 9,7 cm x 11,5 cm. Der Reiheneinband war nicht titelspezifisch gestaltet, sodass erst der Haupttitel Aufschluss über den Inhalt gab.

Der Zwickauer Buchhändler und Verleger August SchumannSchumann (1773–1826) ist wegen seiner „preiswerten broschierten Reihen deutscher und ausländischer Literatur […] zum Urvater des modernen Taschenbuchs“ erklärt worden (Fallbacher 1992: 17). 1814 oder 1815 hat er mit seiner Etui-Bibliothek der Deutschen ClassikerEtui-Bibliothek der Deutschen Classiker begonnen – so die Annahme in der Forschung. Es liegen allerdings Bände mit Gedichten von Schiller, mit Oden von Klopstock, mit Lessings Emila Galotti und mit Gessners Idyllen aus den Jahren 1810 und 1811 vor. Die Produktion von mehreren Bänden pro Jahr setzte dann 1816 ein. Zunächst waren 80 Bände geplant; bei Einstellung der Etui-Bibliothek im Jahr 1826 lagen 100 Bände vor.

Die Reihe präsentierte deutsche Texte vom Nibelungenlied und den Minnesängern über Barock (Opitz) und Aufklärung (Kant, Klopstock, Lessing) bis zu Klassik (Schiller) und Romantik (Novalis). Unangefochtener „Spitzenreiter“ war Schiller mit zehn Bänden. Goethe war nicht vertreten.

Zu August SchumannSchumann und seinen Bibliotheken siehe Fallbacher 1992: 12–17; ein Verzeichnis der Etui-BibliothekEtui-Bibliothek der Deutschen Classiker unter www.miniaturbuch.de.

Die Firma Gebr. SchumannSchumann firmierte nur teilweise auf dem Titel. Zumeist waren angegeben „Aachen, bey F. W. Forstmann“ oder „Mannheim, bey Schwan und Götz“ oder „Heilbronn, bey G. G. Strasser“. Auf den Umschlaginnenseiten ist das Unternehmen teilweise als Kommissionär genannt. Die differierenden Angaben dienten wohl einzig der Verschleierung, dass es sich bei den Ausgaben der durch Privilegien geschützten Autoren um unautorisierte Nachdrucke handelte.

Die braun-grauen Broschuren waren klein und fast quadratisch, der Umschlag einheitlich typografisch gestaltet. Autor und Werktitel gingen daraus nicht hervor, sondern wurden nur im Innentitel genannt. Das uneinheitliche Format schwankte zwischen 8 cm und 10 cm in der Breite und 9,5 cm bis 12 cm in der Höhe. Der Umfang betrug um 160 Seiten, selten über 200 Seiten. Die Bändchen enthielten als Frontispiz ein Bild des Dichters oder der Hauptfigur eines Dramas sowie einen kurzen biografischen Abriss. Broschiert kosteten die Titel in der Subskription neun Groschen, gebunden 12 Groschen. Der Ladenpreis lag um die Hälfte höher.

Der Erfolg der Reihe veranlasste Schumann, ab 1818 die preis- und ausstattungsgleiche Taschenbibliothek der ausländischen KlassikerTaschenbibliothek der ausländischen Klassiker herauszubringen, in der er französische, englische, spanische und italienische Autoren in der Originalsprache veröffentlichte. Vertreten waren neben Shakespeare, Voltaire, Cervantes und Tasso auch der zeitgenössisch außerordentlich beliebte Walter Scott. Die Taschenbibliothek war auf 60 Bändchen angelegt.

1820 kündigte SchumannSchumann in einer „Nachricht“ auf den Umschlaginnenseiten an, neben den Originalen auch Übersetzungen der ausländischen Klassiker herauszubringen. Diese Taschenbibliothek der ausländischen KlassikerTaschenbibliothek der ausländischen Klassiker in neuen Verdeutschungen erschien zwischen 1821 und 1830. Ab 1822 bestand die Reihe zu weiten Teilen aus einer umfangreichen Werkausgabe Scotts. Eine genauere Erforschung sowohl der Taschenbibliothek der ausländischen Klassiker als auch der Taschenbibliothek der ausländischen Klassiker in neuen VerdeutschungenTaschenbibliothek der ausländischen Klassiker in neuen Verdeutschungen steht noch aus. 1840 wurde das Unternehmen mit allen Beständen an den MetzlerMetzler Verlag in Stuttgart verkauft, der Neuauflagen der Übersetzungen unter eigenem Namen publizierte.

 

Miniatur-Bibliothek der Deutschen ClassikerMiniatur-Bibliothek der Deutschen Classiker und Cabinets-Bibliothek der Deutschen Classiker

Abb. 3:

Miniatur-Bibliothek der Deutschen Classiker 54: Göthe’s Genius. Bibliographisches InstitutBibliographisches Institut, Hildburghausen/New York 1829, 80 Seiten. Format 7,2 cm x 11,1 cm. Der Reiheneinband war nicht titelspezifisch gestaltet, sodass erst der Haupttitel Aufschluss über den Inhalt gab.


Wie SchumannSchumann hat man auch Carl Joseph MeyerMeyer (1796–1856) bei seinen Bibliotheken des unrechtmäßigen Nachdrucks von Werken bezichtigt, die durch Privilegien urheberrechtlich geschützt waren. Meyer argumentierte, seine Bände seien „eine Anthologie in Einzellieferungen und die Veröffentlichung eines Bändchens mit einigen wenigen Stücken eines Autors verstoße nicht gegen die Rechte von Autor und Verleger“ (Sarkowski 1976: 24). Zudem hatte er Einfluss auf die Gesetzgebung genommen, als im Jahr 1828 im Herzogtum Sachsen-Coburg-Gotha als erstem deutschen Land der 20jährige Urheberschutz eingeführt worden war. Bezeichnenderweise waren Anthologien nach diesem Gesetz nicht schutzwürdig.

MeyerMeyer hatte den Verlag Bibliographisches InstitutBibliographisches Institut 1826 in Gotha unter dem Namen seiner Frau Minna gegründet; alleiniger Geschäftsführer war er. Zwei Jahre später erfolgte der Umzug nach Hildburghausen, weil der Verlag dort sehr günstige Konditionen für seine Druckerei erhielt, nicht zuletzt weil ihm gestattet war, die Bücher auch im eigenen Haus zu binden, was in anderen (Klein-)Staaten des Reichs wegen der Zunftbestimmungen nicht erlaubt war. Als Ortsangabe verwendete der Verlag neben Gotha auch die Zusätze Philadelphia, New York, Amsterdam, Paris, ohne dass immer ein Nachweis zu erbringen gewesen wäre, dass es dort auch Niederlassungen des Verlagshauses gab.

Am 1. Mai 1827 kündigte MeyerMeyer in einem Prospekt die Cabinets-Bibliothek der Deutschen Classiker; eine rechtmäßige Auswahl des Schönsten und Gediegensten aus ihren sämmtlichen Werken an. Vorgesehen waren wöchentlich vier verschiedene Ausgaben in jeweils eigenem Format, auf unterschiedlichem Papier und jede Ausgabe eigens gesetzt. Realisiert wurden davon die beiden Reihen Miniatur-Bibliothek der Deutschen ClassikerMiniatur-Bibliothek der Deutschen Classiker und Cabinets-Bibliothek der deutschen Classiker.

In der Miniatur-BibliothekMiniatur-Bibliothek der Deutschen Classiker erschienen zwischen 1827 und 1834 insgesamt 204 Bände, also etwa zwei Bände pro Monat. Das Format betrug 7,0 cm x 11,5 cm, der Umfang der fadengehefteten Broschuren im Durchschnitt sechs Bogen (96 Seiten), der Preis 2 ½ Silbergroschen. Der Umschlag war wie bei der Schumannschen Etui-Bibliothek als Reihentitel einheitlich gestaltet. Im Innenteil zeigte ein Stahlstich als Frontispiz den auch mit einer Kurzbiografie vorgestellten Autor.

Nicht zuletzt auf Grund der Urheberrechtssituation machten Autoren der Aufklärung einen großen Teil des Programms aus: von Bürger, der die Sammlung eröffnete, und Herder über Kleist und Lessing bis zu Mendelssohn und Knigge. Klopstock war mit elf Titeln am häufigsten vertreten, es folgten Herder und Seume mit acht. Von Goethe wurden sechs Bändchen publiziert. Umfangreiche Werke wie zum Beispiel Wielands Abderiten erschienen in fünf Bänden.

Am umfangreichsten über die hier vorgestellten Meyerschen Bibliotheken informieren Sarkowski 1976: 22–26, bibliografisch 202–207 und 242–249 sowie Fallbacher 1992: 62–77.

Gleichzeitig mit der Miniatur-BibliothekMiniatur-Bibliothek der Deutschen Classiker erschien die Cabinets-Bibliothek der deutschen Classiker. Sie entsprach in der Nummerierung und inhaltlich der Miniatur-Bibliothek, hatte jedoch ein größeres Format (9,0 cm x 14 cm), besseres Papier, einen größeren Schriftgrad und mehr Durchschuss. Dadurch vergrößerte sich der Umfang auf durchschnittlich acht Bogen (128 Seiten); der Preis betrug 5 ½ Silbergroschen.

Aus dem Buchhandel schlug MeyerMeyer heftiger Widerstand entgegen. Vier Wochen nach der Ankündigung der Bibliothek verkündeten vor allem Berliner Buchhändler in einer Zeitungsbeilage, dass sie keine Subskriptionen auf die Reihe in ihren Buchhandlungen annehmen wollten. Dieser Boykottaufruf, aber auch Kapitalknappheit zwangen den Verleger, ungewöhnliche Vertriebsmethoden anzuwenden. Er verlangte Barzahlung; nur bei größeren Umsätzen akzeptierte er Dreimonatswechsel. Die Käufer mussten sich zur Abnahme einer Jahresserie verpflichten, und jeweils ein Bändchen war im Voraus zu bezahlen (Pränumeration).

Der Verlag trieb die Interessenten durch Plakate auf Poststationen, durch große Anzeigen und durch Verteilung von Prospekten in die Buchhandlungen. Zudem verpflichtete er Kolporteure. Aber auch Privatleute lockte er: „Subskriptionssammler erhalten auf 6 Exemplare ein siebtes umsonst. Aufträge von 50 Exemplaren aber genießen alle im Buchhandel gewöhnlichen Vorteile“ – so eine Anzeige von 1828 (nach Sarkowski 1976: 25). Das empfand der Buchhandel natürlich als Affront. Etwas mehr als ein Jahr nach Start der Reihe behauptete Meyer in einer Anzeige, dass von den Titeln der ersten Serie je 40.000 Exemplare verkauft worden seien.

Schon mit der parallelen Publikation der Miniatur-Bibliothek der Deutschen ClassikerMiniatur-Bibliothek der Deutschen Classiker und der Cabinets-Bibliothek der deutschen ClassikerCabinets-Bibliothek der deutschen Classiker erwies sich MeyerMeyer als geschickt und effizient in der Wiederverwertung der Substanz, und so legte er folgerichtig in den Jahren 1839 bis 1844 die Neue Miniatur-Bibliothek der deutschen ClassikerMiniatur-Bibliothek der deutschen Classiker, Neue auf. Bei geänderter Nummerierung entsprachen die Nachdrucke in Format und Ausstattung der Miniatur-Bibliothek; mit zwei Silbergroschen war der Preis etwas niedriger.

Zwischen 1841 und 1846 folgte in 130 Bänden die Familien-Bibliothek der Deutschen KlassikerFamilien-Bibliothek der Deutschen Klassiker, basierend auf den vorangegangenen Bibliotheken, aber im wesentlich größeren Format von 12,0 cm x 15,5 cm und daher neu gesetzt. Auch die Familien-Bibliothek wurde wiederverwertet, nämlich in der 1855/1856 aufgelegten National-Bibliothek der Deutschen ClassikerNational-Bibliothek der Deutschen Classiker mit 120 Bänden, dieses Mal jedoch für den bürgerlichen Bücherschrank in Leinenbänden.

Collection of British Authors

Abb. 4:

Collection of British and American AuthorsCollection of British and American Authors 90 (Tauchnitz Edition): Robert Burns: The Poetical Works. Bernhard TauchnitzTauchnitz, Leipzig 1845, 363 Seiten. Format 11,8 cm x 16,4 cm. Der Copyright-Vermerk konnte in der Formulierung leicht abweichen.

In eine ganz andere Richtung ging der Anspruch einer noch viel umfangreicheren Sammlung. Christian Bernhard TauchnitzTauchnitz (1816–1895), der im Alter von noch nicht einmal 21 Jahren 1837 in Leipzig den Verlag Bernh. Tauchnitz jun. gegründet hatte, startete vier Jahre später eine der umfangreichsten Taschenbuchreihen in der Geschichte dieses Buchtyps, die Collection of British Authors, im Folgenden in der Regel Tauchnitz-EditionAlbatross Modern Continental Library, The genannt. Ziel war es, die besten britischen Autoren auf dem Kontinent und vor allem in Deutschland in originalsprachigen (und preiswerten) Ausgaben bekannt zu machen.

Zum damaligen Zeitpunkt gab es kein internationales Urheberrecht, das die britischen Autoren vor einer solchen Publikation geschützt hätte. Gleichwohl sicherte TauchnitzTauchnitz ihnen zum einen ein Honorar zu, und so konnte er die Bände als „Authorized Edition“ deklarieren. Zum anderen verpflichtete er sich in einem Zirkular an die britischen Verleger und Autoren, seine Edition nicht in England oder den Kolonien zu verkaufen (Ausschnitte aus dem englischsprachigen Dokument bei Fallbacher 1992: 83f.). Entsprechend war auf der Vorderseite der Bändchen vermerkt: „This Collection is published with copyright for Continental circulation, but all purchasers are earnestly requested not to introduce the volumes into England or into any British Colony.“

Fünf Faktoren machten die Reihe auch für bekannte britische Autoren attraktiv. Das war erstens der niedrige Preis von einem halben Taler pro Band. Dieser konnte – nicht zuletzt wegen des eingesetzten Gipsstereotypiedrucks – bis 1871 gehalten werden. Zweitens berührte TauchnitzTauchnitz mit seiner Selbstverpflichtung, die Bände nicht in Großbritannien zu verbreiten, nicht die gewachsenen Autor-Verleger-Beziehungen. Drittens verschaffte er den Autoren – engere Beziehungen unterhielt er vor allem zu Charles Dickens, aber auch zu Edward Bulwer-Lytton, William Thackeray und Wilkie Collins – durch die freiwillige Zahlung von Honoraren (auch für Nachauflagen) eine zusätzliche Einnahmequelle. Viertens besaßen die Tauchnitzschen Ausgaben eine sehr gute editorische Qualität, sodass der Verlag einen ‚Finderlohn‘ für denjenigen ausschreiben konnte, der einen Satzfehler in einem der Bände finden würde. Und schließlich verbreitete Tauchnitz die Ausgaben seiner Autoren nicht nur in Deutschland, sondern vor allem auch in Frankreich, Belgien, den Niederlanden und in Italien (siehe Mienert u.a. 2017: 29–34 und 46–51).