Die Gejagte

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Ich wollte keine Aufmerksamkeit. Ich wollte Antworten. Damals wollte ich herausfinden, warum ich ein Freak war.

Jetzt wusste ich es. Ich hatte Everianisches Blut in meinen Adern. Ich hatte keine Ahnung, wie meine Mutter in Minnesota mit einem Everianer angebandelt hatte, aber das hatte sie. War mein Samenspender nach einem kurzen Fick auf der Erde wieder nach Everis zurückgekehrt? War er getötet worden? Ich würde es nie erfahren. Verdammt, wären diese Everianer nicht zur Jagd auf die Erde gekommen und hätten sie dabei nicht zufällig von meinem Sieg bei der Laufmeisterschaft gelesen, dann wäre ich jetzt wahrscheinlich noch auf der Erde. Sie hatten mir nicht wirklich die Wahl gelassen zu bleiben, nachdem sie meine Markierung entdeckt und mein Tempo gesehen hatten. Ich war gezwungenermaßen mit ihnen nach Everis zurückgekehrt, um als Everianerin zu leben. Was, obwohl es mir in den Genen lag, nicht wirklich einfach gewesen war. Thema Kulturschock.

“Ich werde unmöglich jetzt nach Everis zurückgehen und bis ans Ende meiner Tage glücklich und zufrieden mit meinem Partner zusammenleben,” verkündete ich und funkelte dabei den Doktor an, damit er ja verstand, wie ernst ich es meinte. “Ich bin der Akademie verpflichtet und ich habe nicht die Absicht, mich zur Ruhe zu setzen.”

“Das müssen Sie auch nicht, aber Sie sollten zu ihm gehen,” entgegnete er darauf. “Die Details können Sie später gemeinsam klären …”

Ich zog eine Augenbraue hoch und verschränkte die Arme vor der Brust. “Ich sollte zu ihm gehen? Morgen kehre ich zur Akademie zurück. Er kann selber transportieren und mich dort treffen.”

“So ist die Tradition. Ich bedaure. Die Braut wird immer zum Mann transportiert. Sollten Sie sich weigern, dann würden sie seine Ehre verletzen.”

Ich runzelte die Stirn. “Ich werde jetzt nicht auf Gründe eingehen, warum diese Tradition geändert werden sollte.”

“Wollen Sie das Match ablehnen? Ihn entehren?”

Zum Teufel verdammt. Das war das Allerletzte, was ich einem edlen Krieger antun wollte. “Nein. Will ich nicht.”

“Ausgezeichnet.” Der Doktor hielt die Hände hoch, als wolle er meinen verbalen Angriff abwiegeln: “Sie transportieren zu ihm. Wie Sie sich dann entscheiden, wo Sie leben werden, bleibt allein Ihnen beiden überlassen.”

“Du kannst die Hosen anbehalten,” sprach Kira und zwinkerte mir zu. “Geh einfach zu ihm.”

Ich verdrehte nur die Augen. Dann knurrte ich sogar. Denn ehrlich gesagt liebte ich diesen Testtraum. Jeden einzelnen Moment davon. Ich wollte überhaupt keine Hose anhaben. Ich wollte heiß, feucht und nackig sein, mit seiner Zunge—oder seinem Schwanz—tief in mir drin.

“Du wirst ganz rot, Frau Vizeadmiralin.” Kira grinste wie die närrische Deppin, die sie auch war. Ich konnte es ihr nicht verübeln. Kriegsfürst Anghar war ein imposanter Krieger. Und ehrlich gesagt wäre niemand in der Lage gewesen, mich in den Teststuhl zu zwingen. Ich hatte mich bewusst von Kira und Rachel überreden lassen. Denn ich war es leid, länger allein zu sein.

“Gut.” Ich warf die Hände in die Luft und wiederholte es nochmal: “Na gut!”

Alle drei atmeten aus und entspannten sich sichtlich, was mich nur noch wütender auf mich machte, weil ich mir überhaupt erlaubt hatte, Schwäche und Unsicherheit zu zeigen. “Ich werde zu ihm transportieren.”

Der Doktor stand umgehend auf und Kira und Rachel waren schnurstracks dabei, mich aus der Tür und Richtung Transportzentrum zu drängeln, damit ich es mir bloß nicht anders überlegte. Ich stand auf der Transportplattform und der Doktor war dabei, dem Techniker die Koordinaten mitzuteilen. Ich blickte an mir herunter und stellte sicher, dass meine Vizeadmiraluniform der Koalitionsflotte tadellos saß und ich meine Waffe an den Schenkel geschnallt hatte. Wenn ich schon die Kolonie verlassen würde, dann in voller Montur.

Doktor Surnen räusperte sich: “Es ist üblich, dass die Bräute in einer etwas feminineren Aufmachung eintreffen …”

Ich warf ihm einen bösen Blick zu: “Treiben Sie es nicht zu weit, Doktor. Mein potenzieller Partner soll genau wissen, mit wem er es zu tun hat.”

Der Doktor grinste tatsächlich, was für einen Prillonen äußerst selten war, ganz besonders in der Kolonie. “Wie Sie wünschen, meine Dame.”

“Ich bin keine Dame.”

Noch mehr Grinsen, aber er sagte nichts darauf. Ein verdammt smarter Prillone.

“Gib’s ihm, Niobe! Dann sorg dafür, dass er um mehr bettelt.” Kira hatte die Hände auf die Hüften gestemmt und lachte. Der Doktor warf ihr für den unangebrachten Ratschlag einen finsteren Blick zu, ich aber ignorierte ihn und erwiderte ihr Lächeln.

“Das werde ich.” Betteln. Pushen. Verführen. Mich quer durch den Wald jagen.

Meine Pussy zog sich zusammen, als die Erinnerungen wieder aufkamen. Gott, ich konnte es kaum erwarten.

“Mach bloß nichts, was wir nicht auch tun würden,” sprach Rachel vom unteren Ende der kleinen Treppe.

“Ihr habt drei Tage, dann komme ich nach und will Einzelheiten hören. Alle Einzelheiten.” Kira wackelte mit den Augenbrauen und ich funkelte sie an.

“Abgemacht.” Hoffentlich würde ich auch ein paar Einzelheiten zu erzählen haben. Ich wandte mich wieder dem Doktor zu. “Wohin gehe ich überhaupt? Everis?”

Er blickte kurz auf, dann schaute er zurück aufs Transportpanel. “Nein, Vizeadmiralin. Elitejäger Quinn ist gegenwärtig mit der Kampfgruppe Karter im Sektor 437 stationiert. Den Aufzeichnungen zufolge leitet er von einer unterirdischen Basis auf Latiri 4 aus Aufklärungspatrouillen gegen die Hive.”

Die Karter? Sektor 437? Der Doktor war dabei mich mitten in einen Kriegsschauplatz zu schicken. Ich wusste es. Kira wusste es scheinbar auch.

“Oh Gott. Das ist genau an der Front.” Ihr Blick sprang von Doktor Surnen zu mir. “Vielleicht solltest du warten. Er ist nicht einmal auf dem Schlachtschiff, Niobe. Er ist auf Bodenmission.”

Elitejäger Quinn.

Hübscher Name. Quinn. Meine Gedanken schweiften einen Moment lang ab. Er war ein Elitekrieger. Er würde stark sein. Schnell. Womöglich genauso schnell wie der Krieger aus meinem Traum …

“Niobe, nein! Das kann nicht dein Ernst sein. Du musst warten.”

Ich war so sehr damit beschäftigt, mir Quinn vorzustellen, dass es einen Moment dauerte, bis ich Kiras Worte registriert hatte. “Stopp. Er ist auf dem Boden? Ich dachte, er ist auf dem Schlachtschiff Karter.”

Doktor Surnen räusperte sich erneut, prüfte etwas auf seinem Tablet und wandte sich mir zu: “Normalerweise wäre ich nicht berechtigt es Ihnen mitzuteilen und ich könnte Sie auch nicht an seinen Standort transportieren. Aber wie ich sehe, verfügen Sie über ein sehr hohes Freigabelevel beim Geheimdienst.”

“Das tue ich.” Ich wusste über so ziemlich alles in diesem Krieg Bescheid. Nicht alles alles, aber fast. Meine Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst war umfangreich und langjährig.

Er seufzte. “Elitejäger Quinn ist zurzeit mit einer Jägereinheit im Einsatz und betreibt Aufklärung über die Hive. Seine Einheit ist in einer unterirdischen Basis hinter den feindlichen Linien stationiert.”

“Was?” Mein Partner war jetzt im Hive-Gebiet?

“Der Kampf um Latiri 4 und Latiri 7 ist für diesen Krieg entscheidend. Diese beiden Planeten und ihre Monde sind perfekt positioniert, um als Angriffsbasis für mehrere Weltraumsektoren zu dienen. Die Hive sind nicht bereit, sie aufzugeben und wir ebenso wenig.”

Das wusste ich. Ich wusste sogar, dass wir dem Beispiel der Hive gefolgt waren und mit dem Bau unterirdischer Stützpunkte begonnen hatten, um sie dazu zu bringen unser Territorium zu überlaufen. Wenn sie sich dann nichtsahnend auf der Oberfläche eingenistet hatten, sammelten unsere unterirdischen Aufklärungsteams wichtige Informationen über ihre Bewegungen, Pläne und technologischen Entwicklungen. Über die neuen unterirdischen Programme hatte ich vor ein paar Monaten in einem Briefing gelesen. Aber darüber zu lesen und in eine Untergrundfestung zu transportieren, die sich unter dem von den Hive kontrolliertem Gebiet befand, waren zwei sehr verschiedene Angelegenheiten.

Kira und der Doktor starrten mich beide an. Wollte ich lieber warten?

Nein. Nicht wirklich. Aber ich war auch nicht naiv.

“Ist der Stützpunkt gesichert?”

Der Doktor blickte wieder auf sein Tablet. “Ich bin sicher, dass Sie das mit besseren Quellen als mit mir abklären könnten, aber den gegenwärtigen Daten zufolge, ja.”

Das musste erstmal einen Moment lang einsickern. “Und wie lange ist Quinn auf der Basis stationiert?”

Er verlautete ein langes, tiefes Seufzen und ich wusste, dass die Antwort mir nicht gefallen würde. “Unbegrenzt. Jägereinheiten arbeiten nicht wie die anderen Koalitionstruppen. Sie kooperieren mit der Koalitionsflotte solange es ihrer Agenda entspricht. Er könnte morgen wieder aufbrechen. Er könnte jahrelang dort bleiben. Es gibt keine festen Regeln, sondern unterliegt dem Elitejäger, der für die Einheit verantwortlich ist und ihren Gefolgschaften auf Everis.”

Sicher, ich könnte zur Akademie zurückkehren und abwarten. Oder ich könnte transportieren und mich in ein wildes Abenteuer stürzen.

Ein aufgeregtes Kribbeln machte sich in mir breit. Ich hatte seit Jahren nicht mehr am Kampfgeschehen teilgenommen, aber die Vorstellung schreckte mich nicht ab. Was mich stattdessen zusammenzucken ließ, war die Vorstellung, in mein spärliches Büro in der Akademie zurückzukehren und noch einen einzigen Tag länger aus dem verdammten Fenster dort zu starren. Sicher, ich hatte eine wichtige Aufgabe. Ich bildete Kämpfer aus. Ich machte sie clever. Ich rettete Leben. Gelegentlich zog der Geheimdienst mich zu einer Mission hinzu. Heutzutage aber handelte es sich dabei eher um Diplomatie und Spionagetricks als offene Kriegstreiberei. Ich war ein Schreibtischjockey und dieses Dasein saugte mir regelrecht die Seele aus dem Mark.

 

Meine Hauptaufgabe bestand darin, neue Krieger auszubilden und dafür zu sorgen, dass sie sich da draußen auch zurechtfanden. Aber ich langweilte mich. Ich war einsam. Ein paar Tage Aufregung und schlüpfriger Sex klangen also echt toll.

“Ich habe über zehn Jahre bei der ReCon verbracht, ehe ich in die Akademie befördert wurde. Ich fürchte mich nicht, mir die Hände schmutzig zu machen, Kira.”

Kira war beim inneren Geheimdienst. Sie und ihr Partner, der Atlanische Kriegsfürst, standen immer noch im Dienst. Sie kannte mich und sie wusste, dass ich es ernst meinte. “Ich weiß.” Sie erwähnte nichts vom Geheimdienst, denn das war gegen das Protokoll, aber ihrem Blick zufolge wusste sie genau, wovon ich sprach. “Es sind nicht deine Hände, um die ich mir Sorgen mache.”

Rachel lachte laut auf, als die Vibrationen der Transportplattform unter meinen Fußsohlen aufstiegen. Eine Sekunde später standen mir die Härchen auf den Armen zu Berge.

“Ihr Transport beginnt in drei … zwei … eins.”

Dann waren meine beiden Freundinnen weg und ich fand mich auf einer anderen Transportfläche wieder.

Nicht in der Kolonie. Auf Latiri 4.

Statt von einem knackigen Elitejäger begrüßt zu werden, stand ich einem Hive-Trio gegenüber, das genauso geschockt war wie ich. Was zum Teufel war hier los?

Alle drei zückten ihre Waffen. Drei ehemalige Viken-Krieger, die jetzt mit Hive-Technologie überzogen waren. Da war keinerlei Licht in ihren Augen. Keine Seele. Sie waren wahrhaftig tot. Integriert.

Au Scheiße. Doktor Surnen musste seine Infos updaten.

Das hier war kein Koalitionsstützpunkt.

Das hier war die Hive-Hölle …

3


Quinn, Latiri 4, Integrationszentrum der Hive, Sektor 437

Meine Wange lag auf den kalten, harten Zellenboden gepresst und die Vibration der nahen Transportfläche ließen meinen Schädel dröhnen. Bestimmt trafen gerade noch mehr Gefangene in dieser Hölle ein. Noch mehr Krieger, die ich nicht retten konnte.

Scheiß drauf, ich konnte mich nicht einmal selbst retten.

Die letzte Spritze, die der Nexus mir hatte verabreichen lassen, ätzte sich wie Säure durch meinen Organismus.

Schlimmer noch, ich konnte sie jetzt in meinem Schädel hören, ein Hintergrundgeräusch wie das ständige Geschwirre der Insekten auf den Bäumen von Everis. Ssss. Rassel. Summ. Der Lärm war konstant. Der Kopfschmerz ließ mich frustriert die Zähne knirschen. Aber ich kämpfte weiter gegen das Geräusch, egal wie sehr es auch schmerzte. Sollte ich aufgeben, dann würden sie mich übernehmen und lieber wäre ich tot.

Das Hive-Trio, das die Transportfläche leitete, bewegte sich wie lautlose Drohnen im perfekten Gleichklang. Zwar schmerzte es, Koalitionskrieger zu sehen, die voll integriert und in stumpfsinnige Maschinen verwandelt worden waren, aber der Anblick war lange nicht so grausig wie der Gedanke, genauso zu enden wie sie.

Leer.

Empfindungslos.

Eine Waffe, die der Nexus gegen meine Brüder richten konnte.

Diese Basis war eigentlich als Koalitionsstützpunkt gebaut worden. Latiri 4 und Latiri 7, beide im Sektor 437 und unter Kommandant Karters Schutz, verkörperten seit Langem die Frontlinie dieses Krieges. Seit Jahren. Dieser Weltraumsektor war für den Versorgungstransport und als Ausgangspunkt zu mehreren bewohnten Planeten unerlässlich.

Die Koalitionsflotte konnte es sich nicht leisten, die Kontrolle über diesen Sektor zu verlieren. Also war diese unterirdische Basis errichtet worden, heimlich, als dieser Felsbrocken noch uns gehört hatte.

Und dann hatten wir sie reingelassen. Hatten wir die Hive glauben lassen, sie hätten unser Gebiet erobert.

In Wahrheit aber war es eine Falle, um hinter feindlichen Linien Informationen zu sammeln. Die Basis hatte fast ein Jahr gedient, um die Aktivitäten der Hive auszuspionieren. Das Wissen, das wir hier gewonnen hatten, hatte das Blatt langsam zu unserem Vorteil gewendet.

Bis vor etwa einer Woche, als wir von Hive-Soldaten und Drohnen überfallen und überrannt worden waren. Die Integrationseinheiten waren direkt hinter ihnen eingezogen und die Folter, der Tod und die Integration meiner Kumpels und Waffenbrüder hatte begonnen.

Der Nexus war am zweiten Tag eingetroffen. Seine Ankunft war das Ende der Elitejäger unter meinem Kommando. Wir wurden ausgesondert. Beiseitegestellt. Die Injektionen, die uns verabreicht wurden, machten das Werk der Hive für die Außenwelt unsichtbar.

Aber ich konnte spüren, was sie in meinem Inneren anrichteten. Die mikroskopisch kleine Technologie fraß sich wie ein Virus durch meine Zellen, sie brach Dinge auf und reparierte sie. Sie machte mich zu etwas anderem.

Ich hatte mitangesehen, wie sie diesen versteckten Zufluchtsort in eine Produktionsstätte für Hive-Soldaten umfunktioniert hatten und mich gefragt, warum niemand zu unserer Rettung kam.

Wie konnte es sein, dass das Schlachtschiff Karter nicht wusste, was hier passiert war? Wir mussten uns alle paar Tagen mit aktuellen Informationen bei der Koalition melden. Und ich saß seit acht Tagen in dieser Zelle fest.

Ich blinzelte benommen, als das Wummern der Transportfläche nachließ. Das Trio Vikenscher Drohnen vor meinen Augen erstarrte und richtete seine Waffen auf etwas, das ich nicht sehen konnte.

Ich rappelte mich auf und stützte mich an der Wand ab, um mich aufzurichten, dabei ignorierte ich den brennenden Schmerz in meinen Beinen. Von früheren Erfahrungen wusste ich, dass der Schmerz nachlassen würde, sobald ich wieder aufrecht stand.

“Der Transport wurde nicht genehmigt, Frau. Wo sind deine Wachen?” Der Chef des Trios sprach langsam und deutlich, als ob er ein paar Momente brauchte, um ihre Anwesenheit zu verarbeiten. Hatte er gerade Frau gesagt? Was hatte verdammt nochmal eine Frau hier zu suchen? Es gab zwar nicht wenige weibliche Koalitionskrieger, aber die wurden bei einer Gefangennahme woanders hingebracht. Nahm ich jedenfalls an, denn ich hatte keine einzige durch den Transportraum eintrudeln gesehen. Oder wieder hinausgehen sehen, ohne Kopf und Verstand und mit voll integrierten Körpern, um ihre ehemaligen Freunde und Verbündete zu bekämpfen.

Ich trat so nah wie möglich an die Energiebarriere und erstarrte. Ich lauschte. Das Energiefeld würde einem Atlanen im vollen Bestienmodus standhalten. Das wusste ich; ich hatte zugesehen, wie sich mehrere davon blutig geschlagen hatten, als sie versucht hatten, auszubrechen. Ich konnte die Barriere zwar nicht durchbrechen, aber ich konnte mich vorbereiten. Irgendetwas stimmte nicht. Irgendetwas fühlte sich … anders an und dabei handelte es sich nicht um das Gesumme in meinem Schädel. Alles, was die Hive aufmischte, war aus meiner Sicht gut.

Ich wartete auf die Antwort der unbekannten Frau, genau wie die drei Hive-Drohnen, die nebeneinander aufgereiht im Transportraum standen.

Statt eine Antwort zu bekommen wurden alle drei in rascher Folge mit Ionenschüssen ausgelöscht. Hatte sie sie getötet? War sie eine Kundschafterin vom Schlachtschiff Karter? Der erste Schlag eines ReCon-Teams? Hoffnung stieg mir zu Kopf und mir wurde schwindelig.

Sekunden später rannte eine Frau in einer seltsamen Panzerung hinter die Transportsteuerung, ihre Hände huschten so schnell über das Panel, dass ich mich anstrengen musste, um ihren Bewegungen zu folgen. Ich musste blinzeln. Sie war umwerfend. Langes, brünettes Haar, das zu einer einfachen Frisur zurückgezogen war, die ich noch nie gesehen hatte. Ihre Panzerung bedeckte jeden Zentimeter von ihr und saß wie eine zweite Haut, aber es war das Abzeichen an ihrer Brust, das mich schockte.

Ein Vizeadmiral? Allein?

Sollte das eine Art Witz sein?

Wer war diese Frau? Und warum war sie hier?

“Hallo! Hier drüben!” Ich rief ihr zu und seufzte erleichtert, als sie aufblickte. Sie drehte sich zu mir um und mir blieb die Luft weg, jede Zelle meines Körpers reagierte auf diese Frau vor mir. Ihr dunkelbrauner Blick bohrte sich in meinen wie ein Schlag in die Magengrube und alle Qualen, die ich in den letzten Tagen erlitten hatte, verpufften ins Nichts. Die Integrationen, die Folter, nichts davon war von Bedeutung. Das einzige, was mir jetzt noch etwas bedeutete, war sie. Ich musste überleben; nicht, damit ich auch nur einen weiteren Tag lang kämpfen konnte, sondern damit ich sie erobern konnte. Um meinen Schwanz tief in sie hineinzustecken, ihren Körper zu beherrschen, sie meinen Namen kreischen lassen. Ich hatte nie an Liebe auf den ersten Blick geglaubt, oder an Verpartnerungsprotokolle. Nicht einmal an die Markierung in meiner Hand. Ich hatte gesehen, wie andere Everianer ihre markierte Partnerin gefunden hatten und hatte die krasse Verbindung gesehen, die sie miteinander teilten, aber ich hatte es mir nie für mich so vorgestellt.

Meine Markierung fing nicht zu brennen an, sie flackerte nicht auf. Sie war also nicht meine markierte Partnerin. Aber das war kaum überraschend. Einer von hundert, wenn überhaupt, fand seine markierte Partnerin. Die meisten Everianer wählten ihre Gefährten nach denselben Maßstäben wie auf vielen anderen Welten auch; Anziehung, Respekt, Gemeinsamkeiten.

Verlangen. Die wenig greifbare Verbindung zwischen Liebenden. Diese Frau mochte zwar nicht meine markierte Partnerin sein … aber sie würde mir gehören.

Ich hatte mich vor einiger Zeit testen lassen. Und jeder Tag der verstrich, ohne das meine interstellare Braut eingetroffen war, hatte mir bewiesen, dass ich richtig lag. So etwas wie die perfekte Frau gab es nicht. Zumindest nicht für mich.

Jedenfalls nicht bis jetzt, bis ich sie erblickt hatte. Scheiße. Sie.

Ich dachte, sie würde zu meiner Zelle eilen und mich befreien. Stattdessen neigte sie den Kopf zur Seite; wahrscheinlich hörte sie dasselbe wie ich—noch mehr Hive-Soldaten, die durch die Gänge gerannt kamen. War sie eine Everianerin? Ein Mensch? Vike? Definitiv keine Atlanin. Von hier aus konnte ich es einfach nicht erkennen, nicht, ohne sie aus der Nähe zu sehen, sie zu berühren, ihre Haut zu riechen. Und die verfluchte Energiebarriere verhinderte genau das.

Sie machte sich wieder an der Transportsteuerung zu schaffen.

“Stopp. Sie kommen!” warnte ich. Ich schloss meine Augen und zählte die Schritte. “Es sind nochmal drei. Schwer.” Die Schritte wurden immer lauter, als größere, langsamere Kreaturen sich auf uns zu bewegten. Es musste sich entweder um Prillonen oder Atlanen handeln, die zu Kampfmaschinen der Hive integriert worden waren. Ich wusste, dass der Feind seine gefährlichsten Krieger in diesem Bereich unterbrachte, aber die Atlanischen Gefangenen waren auch auf dieser Etage und es brauchte eine Bestie, um gegen eine andere Bestie zu kämpfen. Die leichteren, schnelleren Soldaten wurden eine Etage drüber untergebracht oder bewachten die Landedecks. Mit einem Angriff so tief in der Basis hatten sie nicht gerechnet. Ich ebenfalls nicht.

War das überhaupt ein Angriff? Eine einzelne Frau rechtfertigte kaum einen größeren Gegenschlag. Allerdings hatte sie gerade eben drei ihrer Soldaten ausgeschaltet.

Die Hive hatten sich geirrt, wenn die gedacht hatten, dass sie hier sicher wären. Genau wie wir. Und ich würde ihnen die Hölle heiß machen, sollte ich je aus dieser Zelle rauskommen.

Die Frau ignorierte mich, also brüllte ich erneut: “Hier drüben! Du musst das Energiefeld von meiner Zelle deaktivieren! Ich kann helfen.”

Das ließ sie aufhorchen. Sie beugte sich runter und riss einem der toten Hive die Ionenpistole aus der Hand. Ein integrierter Vike. Dann kam sie herübergerannt und hielt lange genug inne, um das Steuerpanel neben meiner Zelle zu zerballern. Das Energiefeld brach sofort in sich zusammen und ich preschte vorwärts und nahm ihr die Pistole aus der Hand.

“Was ist hier los? Ich dachte, das ist ein Koalitionsstützpunkt.”

“Das war es auch, bis vor einer Woche. Die Hive sind reintransportiert und haben uns überrannt. Ohne Vorwarnung. Wir dachten, hier unten wären wir sicher.”

“Gibt es noch mehr Krieger? Andere Gefangene?” wollte sie wissen. Allerdings schaute sie mich nicht an. Sie blickte auf den Flur, wo in etwa fünf Sekunden drei weitere Hive auftauchen würden. Größer dieses Mal. Stärker.

 

“Es wurden viele hereintransportiert. Ich habe jeden einzelnen von ihnen gesehen. Keine Ahnung, wie viele davon noch leben.”

Ich lauschte wieder. Ein Atlane und zwei Prillonen, hätte ich raten sollen. Mist. Die würden nicht mit einem einzelnen Schuss niedergehen. Nein, sie wären sehr viel schwieriger totzukriegen.

Irgendetwas in meiner Stimme ließ sie aufhorchen, denn dieser dunkle Blick wanderte zu mir zurück und ich erblickte so etwas wie Trauer oder Mitleid in ihren Augen. Ich konnte nicht ausmachen, was genau von beiden es war und ich wollte weder das eine noch das andere.

“Geh in Deckung. Ich erledige sie.” Ich brauchte keine Mitleidsorgie. Jetzt, als ich befreit war und mit einer Waffe an der Hand, konnte die schwirrende Hilflosigkeit in meinem Kopf sich gefälligst zum Teufel scheren.

“Drei von ihnen werden gleich da sein. Und einer davon ist … war ein Atlane.”

“Ich weiß.”

Sie wusste es? Woher? Konnte sie ihn etwa auch hören?

Sie schaute mich nicht länger an, sondern war hinter der Ecke in Deckung gegangen, genau, wie ich es vorgeschlagen hatte, sodass nur ihre Schulter und ihre Ionenwaffe den Hive als Zielscheibe dienten.

Sie kniff die Augen zusammen und zielte.

Die Götter mochten mir helfen, sie war umwerfend. Wie zum Teufel hatte sie den feinen Unterschied in den schweren Schritten des integrierten Atlanen herausgehört? Mir war es klar gewesen, aber ich hatte Jägersinne. Sie war kein Elitejäger. Ich wusste nicht, was sie war, abgesehen davon, dass sie hübsch war—ich blickte kurz rüber auf die drei toten Viken auf dem Boden hinter ihr—und tödlich. Effizient. Skrupellos.

“Wer bist du?” Ich konnte mir die Frage einfach nicht verkneifen, auch wenn wir gerade auf den Feind warteten. Sie war ein Rätsel. Ein komplettes, totales Rätsel, das ich sehnlichst lösen wollte. “Und wie bist du hierhergekommen?”

Sie war offensichtlich hereintransportiert. Aber wo hatte sie die Koordinaten her? Woher wusste sie über das geheime Integrationszentrum der Hive Bescheid?

Natürlich ignorierte die vertrackte Frau die Fragen.

Mit dunklen, scharfen Augen blickte sie zu mir auf. “Wirst du wie eine Zielscheibe hier rumstehen oder wirst du mir helfen uns hier rauszuschaffen?”

Ich erkannte ihre Sprache als eine verbreitete Erdensprache wieder. War sie etwa ein Mensch? Und wenn ja, wie konnte sie die nahenden Soldaten hören? Wie hatte sie einen davon als Atlanen identifiziert? Menschen waren für ihre Hartnäckigkeit und ihren Mut bekannt, nicht für ihre überragenden Sinne.

“In Deckung, Krieger. Sofort.”

Diesen Tonfall—der eines Kommandanten, der es gewohnt war, dass man ihm gehorchte—hatte ich nur selten von einer Frau gehört, und ganz bestimmt nicht von einer, die so zierlich und hübsch war wie sie. Es war egal, von welchem Planeten sie kam. Hier, inmitten eines verfluchten Integrationszentrums, wurde ich hart. Mein Schwanz schien sich nicht darum zu kümmern, dass der Feind uns gleich einheizen würde. Ich wollte sie. Und ihre dominante Art. Oh ja, sie hatte Wirkung auf mich. Mein verborgener Jäger wollte ihr zeigen, wer wirklich das Sagen hatte. Vielleicht nicht präzise in diesem Moment, aber sobald ich erstmal diesen reizenden Körper seiner Uniform entledigt hatte, würde sie einsehen, dass ich der Boss war.

Ich grinste. Oh ja. Ich war der Jäger und sie würde schon bald herausfinden, dass sie die Gejagte war.

Ein Brüllen tönte durch den Korridor, die integrierte Atlanische Bestie gab uns eine Warnung. Bei den Atlanen war ich mir nie sicher, ob sie komplett den Hive-Implantaten erlegen waren oder ob sie immer noch dagegen ankämpften. Manchmal zögerten sie einen tödlichen Schuss hinaus, um einem ReCon-Kämpfer oder einem Krieger auf dem Schlachtfeld die Chance zu geben, sie auszuschalten.

Ein rascher Tod war in diesem Falle eine Gnade.

Ich positionierte mich so, damit ich die Stellung der Frau decken konnte und prüfte das Energielevel der Waffe. Sie war vollständig geladen und ich stellte die Ionenpistole auf maximale Feuerkraft. “Ich werde sie aufhalten. Kennst du dich mit der Transportsteuerung aus?”

Sie blickte über ihre Schulter und warf mir einen gereizten Blick zu, ihre Lippen waren schmal und fest. “Halt sie von uns fern und ich werde uns hier rausschaffen. Für die restlichen Gefangenen werden wir später zurückkehren.”

“Verstanden.”

Sie stand auf und drehte sich, sodass sie mit dem Rücken zur Wand war, während ich weiter den Korridor ins Visier nahm. “Wie lautet dein Name?” fragte sie.

“Quinn.”

Sie blinzelte langsam, als ob mein Name sie verwunderte und ihr Blick musterte interessiert mein Gesicht. Mit etwas mehr als nur einfachem Kampfinstinkt. “Du bist Everianer? Ein Elitejäger?”

Ich nickte. “Ja.” Sie schien viel über meine Spezies zu wissen. Ungewöhnlich. Die meisten Aliens von der Erde hatten kaum etwas von meinem Planeten gehört.

“Gut. Dann solltest du es schaffen, sie mir vom Leib zu halten.”

Jetzt war ich auf einmal gereizt. “Selbstverständlich.”

Sie grinste und am liebsten wollte ich sie küssen, als ich das Funkeln in ihren Augen sah. Scheiße. Im Ernst, ich wollte sie gegen die Wand nageln und meinen Schwanz in ihr vergraben. Aber das würde warten müssen, bis wir diesem Felsbrocken entkommen waren. Diese Unverfrorenheit würde ich ihr schon austreiben. Sie in heißes Keuchen verwandeln. In hauchiges, lustvolles Stöhnen.

Ohne noch ein Wort zu verlieren, stürmte sie zur Steuerung und ich wandte mich wieder dem Korridor zu, als auch schon der erste Angreifer auftauchte. Der integrierte Atlane war vorne in der Mitte. Die Decken in dieser Basis waren drei Meter hoch und trotzdem duckte er sich, als ob er fürchtete, er könnte sich den Kopf einschlagen.

Das würde er nicht, es sei denn, er würde zum Sprung ansetzen.

Ich feuerte nonstop, bis die Bestie auf die Knie fiel. Wie Wasser, das einen Felsen umströmte, liefen die anderen beiden um ihn herum und kamen näher. Prillonische Krieger, jedenfalls waren sie das einmal. Um sie machte ich mir kaum Sorgen. Zwei Schüsse für jeden und sie waren außer Gefecht gesetzt; sie krümmten sich auf dem Boden, während sich der Atlane hinter ihnen wieder aufrappelte.

“Beeil dich,” rief ich. “Die Bestie ist wieder im Anmarsch.”

“Bin schon dabei.” Die Frau war nach vorne gebeugt, ihre Finger huschten fanatisch über die Steuerung. Die Konzentration auf ihrem Gesicht war eine weitere, faszinierende Bereicherung ihres Repertoires, aber mir blieb keine Zeit, sie anzustarren. Ich speicherte den Anblick für später ab, wenn ich mir ausreichend Zeit nehmen und eventuell mit den Fingerspitzen ihre Lippen nachzeichnen könnte, während ich zusah, wie ihr Gesichtsausdruck sich unter meiner Berührung wandelte.

“Wir. Töten.” Der integrierte Atlane war voll im Bestienmodus und scheinbar hatte er den Befehl bekommen mich zu töten. Wahrscheinlich würde er sie ebenfalls töten.

“Aber nicht heute.” Ich feuerte, gründlich, und traf alle empfindlichen Stellen in der Panzerung der Bestie. Seinen Hals. Seine Knie. Sein Gesicht, sobald ich Zeit für einen Extraschuss hatte.

Ich hörte, wie sein Helm aufbrach und unterdrückte einen Triumphschrei. Vor meinen Augen nahm er den Helm ab und warf ihn gleichgültig beiseite.

Götter, er war verdammt nochmal gigantisch.

Ich wollte ihn nicht töten. Wirklich nicht. Ein Kopfschuss und er wäre erledigt, aber ich kannte ihn. Hatte die letzten Monate mit ihm zusammen gedient. Bevor wir gefangengenommen wurden. Seit dem Einmarsch der Hive in diese Basis hatte ich ihn nicht mehr gesehen. Bis jetzt. Bis er ausreichend integriert worden war, um von ihnen gesteuert zu werden. Um zu kämpfen, mich zu töten.

Er war ein anständiger Typ. Ehrbar. Ein wahrer Krieger.

“Scheiße verdammt, Zan.”

Ich drosselte die Feuerkraft meiner Waffe und hoffte, die geringere Ladung würde ihn außer Gefecht setzen, aber nicht töten. Die Prillonen, die ich erschossen hatte, waren nicht von dieser Basis. Die waren nicht wie dieser Atlane eben erst integriert worden. Sie waren alte Bekehrte, ihre Persönlichkeiten längst verschwunden. Leere Hüllen, deren Körper mit so vielen Integrationen versehen waren, dass sie gänzlich zu Hive geworden waren. Durch und durch der Feind. Ich hatte gehört, dass die Hive ihre zuverlässigen, vollständig integrierten Soldaten wie diese beiden Prillonen zusammen mit den Atlanischen Bestien losziehen ließen, um sie im Zaum zu halten.