NICHT WIEDER ROSA MOOS

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
NICHT WIEDER ROSA MOOS
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Gloria Fröhlich

NICHT WIEDER ROSA MOOS

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

Impressum neobooks

1. Kapitel

Wer ich bin und wie ich heiße, ist nicht wichtig und würde nichts bringen.

Hin und wieder habe ich das Gefühl, ich wäre ein Mensch. Ich habe nämlich so viel Verstand, dass ich nicht bei Rot über den Zebrastreifen laufe. Nachts, wenn der Verkehr ruht, ist es mir möglich, der Versuchung, es doch zu tun, eisern zu widerstehen, und das auch nur, weil ich nachts nicht unterwegs bin. Und ich kann gut artikulieren, was ich möchte, aber viel weniger gut, was ich nicht will. Und davon gibt es meistens mehr. Ist das nun bockig, gelinde gesagt schüchtern, um das Adjektiv feige zu vermeiden oder einfach nur dumm? „Einst haben die Kerle auf Bäumen gehockt, behaart und mit böser Visage…es geht noch weiter in Erich Kästners Gedicht „Die Entwicklung des Menschen“. Und wer will von meinen Stärken und Schwächen ein Urteil ableiten, wie es um mich steht oder mir einen Namen geben, der zu mir passen würde? Die Bockigen, die Schüchternen oder die Dummen? Und auch alle die, die auch nicht bei Rot über den Zebrastreifen laufen und sich das auch nachts nicht trauen? Aber es macht mich stutzig, dass mein Verstand sich weigert, zu begreifen, warum ein Ende meines Bademantelgürtels nach dem reinigenden Prozess in der Waschmaschine aus einer der beiden Ösen, die ihn normalerweise in seiner Position halten, so viel länger heraushängt, als das andere. Und ich habe nicht herausfinden können, ob es jedes Mal dasselbe Ende ist. Um Bescheid zu wissen, hätte ich es mir merken müssen, um Vorkehrungen treffen zu können, damit sich diese Sache nicht ständig wiederholt. So muss ich nach jeder Wäsche wieder für Ausgleich sorgen, damit nichts den Fußboden berührt und wieder schmutzig wird, bevor ich die gesamte textile Feuchtigkeit zum Trocknen an die Wäscheleine hänge. Da versagt etwas, das nur funktioniert, wenn nicht eingeweicht, tüchtig geschäumt, systematisch hin und her und von rechts nach links gedreht und dann wie wild geschleudert wird, bis nichts mehr tropft. Dazu braucht die Waschmaschine unter anderem auch meinen Bademantel, damit sie sich als das fühlt, was sie ist und beweisen kann, dass sie ihre Pflicht erfüllt. In einem Prospekt, der mir ins Haus flatterte, habe ich gelesen, dass es eine Testsiegerin bei Personenwaagen gibt. Es ist nicht zu glauben, da finden doch tatsächlich merkwürdige Stresssituationen und Prüfungsängste statt, von denen ich keine Ahnung habe. Die Waage, die gewonnen hat, hat Teppichfüße! Es würde mir nicht an Vorstellungskraft mangeln, wenn ein Läufer Füße hat, weil ein Läufer ohne Füße nur sehr schwer vorstellbar ist. Aber meine Fantasie holpert, denn ich habe noch nie einen Teppich mit Füßen und wie viele er haben könnte, gesehen, bei denen die Möglichkeit besteht, sie bei einer Personenwaage einzusetzen, damit Pluspunkte und ein Sieg garantiert sind. Da fällt mir gerade der dunkle Puck auf der weißen Eisfläche bei einem hektischen Eishockeyspiel ein. Wahrscheinlich deshalb, weil er auch an Siegen beteiligt ist. Ein Großraumbüro ist übrigens nicht so mein Ding. Zu viel geballte Aktivität auf einem Haufen, die sich eifrig hochschraubt. Beim übereifrigen Basteln mit Schrauben, kommt nach fest bekanntlich lose. Aber zurück zum Puck. Es gibt die Ampel und den Zebrastreifen, um mich im Griff zu haben, damit ich nicht schon bei Gelb unruhig werde und geduldig auf Grün warte, mit der Gewissheit, dass ich mich in wenigen Sekunden auf eigenen Beinen in Bewegung setzen darf. Nicht so der Puck, der nichts tut, um sich zu bewegen und somit gezwungener Maßen in sich selbst ruht. Das ist für ihn ganz selbstverständlich. Der Puck ist total fremdbestimmt und ohne Vorahnung von einer Horde siegeswilliger und ehrgeiziger Schläger umzingelt, die ihn bei einem „Spiel“, das für den Puck „bitterer Ernst“ ist, im Auge behalten. Mit roher Gewalt und einer unvorhergesehenen Geschwindigkeit und einer Willkür, die unberechenbar ist, wird er in alle Richtungen gedroschen, damit die, die das am besten können, siegen. Dann bekommt die Mannschaft einen Pokal. Und der Puck? Überflüssig, ihn noch zu erwähnen. Außerdem ist er es ja gewohnt, hin und wieder geprügelt zu werden. Wie Tennisbälle und Golfbälle in angeblich bester Gesellschaft schließlich auch. Durch Fremdeinwirkung so richtig Fahrt aufzunehmen, ob über spiegelglattes Eis oder durch die Luft, ist auch eine Möglichkeit, aktiv zu sein. Alles nur halb so schlimm. Bei jedem Spiel gibt es Regeln, damit man weiß, warum andere siegen, wenn man sich nicht daran hält, sie zu beachten. Da nützt es auch nichts, wenn man besser ist. Und häufig fühlt man sich wie ein Puck. Wird zum Spielball. Und auch unser Alltag ist gespickt mit Regeln. Und da kann ich wieder auf das Beispiel Ampel zurückgreifen. Aber ich muss nicht zwangsläufig bei Grün mit den anderen mitlaufen. Und wenn, ist es klug, zu verhindern, in den Gegenverkehr zu geraten. Ich darf nicht gegen den Strom schwimmen. Dann gibt es ein gerempeltes Durcheinander, böse Blicke, und ich werde unter Umständen auf meinem Weg zum Ziel ganz erheblich zurückgeworfen. An einer Ampel die Regel zu missachten, kann im schlimmsten Fall den Tod und eine Urne bedeuten. Die sieht so ähnlich aus, wie ein Siegerpokal. Das ist kein Trost, ich weiß. Aber ich habe an der Ampel meistens die Möglichkeit, ob Urne oder nicht, selbst zu entscheiden, wenn nicht ein Raser die Kontrolle über sein Fahrzeug verliert. Und ich stehe nicht nur so unentschlossen rum, sondern habe etwas vor, wenn ich in der Warte- und kurzen Ruhephase am Straßenrand verweile, nicht all zuviel denke und der Ampel das Kommando für mein Vorankommen überlasse. Eigentlich fehlt mir da das Blau. Für mich ist Blau nämlich eine Angstfarbe. Dann könnte man von mir aus das Rot weglassen. Bei Blau wäre ich auch dann schon sehr vorsichtig, wenn es nicht durch LED hell erleuchtet und noch warnender nach Aufmerksamkeit schreit. Pflaumen und Blaubeeren sind allerdings auch blau. Das bringt mich jetzt etwas durcheinander. Aber fest steht, Rot ist eine Signalfarbe und bedeutet Gefahr. Da ist Vorsicht geboten! Beim giftigen Fliegenpilz ist das deshalb auch überhaupt keine Frage. Weil das, was nach dem Verzehr geschieht, nicht unbekannt ist und unter Umständen übel endet. Vielleicht sogar in einer Urne. Bei Erdbeeren und Kirschen ist die Farbe Rot ein völlig falsches Signal für uns, wenn wir an die Ampel denken. Das gilt natürlich nicht für die Stare und für Schnecken, die davon keine Ahnung haben. Gegen den Appetit der Stare sollen grüne Netze über den Kirschen schützen, obwohl grün da als Signal ja auch völlig falsch ist. Ein wirklich heilloses Durcheinander, für das es eigentlich auch ein Signal geben müsste, um eine Verunsicherung zu vermeiden. Zur Abwehr der Stare gibt es außerdem noch Schreckschüsse in regelmäßiger Abfolge, die sie ebenfalls von der unrechtmäßigen Ernte abhalten sollen. Gegen Schnecken, die aus ihrer Sicht überhaupt kein Unheil anrichten, wird Schneckentod gestreut, um sie umzubringen, bevor sie sich an den reifen Früchten zu schaffen machen und die saftige Süße in ihre gierigen Mäuler stecken. Was mich jetzt nachdenklich macht ist, dass sich Schnecken nicht von der Farbe Gelb vorwarnen lassen, wie wir bei der Ampel. Da werden wir unruhig, weil wir sogleich mit Rot rechnen müssen und da bleiben sollen, wo wir sind. Vielleicht reagieren Schnecken nicht auf Gelb, weil sie glauben, dass nach Gelb das köstliche Erdbeerrot kommt, mit dem sie rechnen können und sich schon auf den Weg machen. Und das haben pfiffige Menschen herausgefunden, die sich über die schleimigen Kriechtiere immer wieder ärgern. Absichtlich und hinterlistig locken sie sie mittels Bier in den Tod. Denn die Schnecken schleimen sich in ein volles Bierglas, fallen hinein und bevor sie ganz und gar betrunken sind und nicht merken, welcher Gefahr sie sich aussetzen, ertrinken sie qualvoll. Das Verspeisen der meisten roten Früchte geht bei Schnecken eindeutig zunächst einmal in Richtung Genusssucht, die wir als bodenlose Frechheit empfinden und uns einen Dreck um ihre Versorgung mit wichtigen Mineralstoffen und Vitaminen scheren, weil sie für uns widerliches Ungeziefer sind. Aber hier möchte ich anmerken, nicht für alle Menschen! Und es gibt Menschen, die auf Erdbeeren allergisch reagieren und sie meiden! Schnecken würden uns alles, aber auch alles an Erdbeeren wegfressen, wenn wir sie nicht daran hindern würden. Und wenn wir die herrlichen Früchte für uns gerettet haben, die wir zuckern und unter Bergen von Schlagsahne begraben und uns damit die Bäuche voll schlagen und sie außerdem noch auf Tortenböden gelegt und zu Marmelade verarbeitet haben, dann erinnern wir uns doch wieder an die kulinarischen Vorzüge von Schnecken und frönen dann einer weiteren Genusssucht, indem wir das Ungeziefer, das es noch in größerer, mundgerechterer Ausführung gibt, in geschmolzener Knoblauchbutter schwenken und sie uns als Delikatesse auf der Zunge zergehen lassen! Wir Gourmets, wir Feinschmecker! Das Leben ist nun mal ein Nehmen und nicht unbedingt immer ein Geben. Aber gierig nach Leckereien, verspeisen wir Gourmets tatsächlich die falschen Schnecken, nämlich die fünfzig Millimeter große Helix pomatia aus ihrem kugelförmigen Gehäuse, die bei der Reduzierung der fresswütigen Nacktschnecken helfen würde. Eine Weinbergschnecke kann fünf bis acht und in einem Terrarium sogar dreißig Jahre alt werden, wenn sie nicht zu Speisezwecken in eine Küche verschleppt wird.

 

Rot ist aber auch die Farbe der Liebe. Und da ist Rot ein verdammt hinterhältiges Signal, das man immer erst als solches erkennt, wenn man sich das Gegenteil beweisen wollte und es nicht funktioniert hat. Die rote Rose warnt nicht. Nein, sie lockt hartnäckig und mit Raffinesse unter dem Mäntelchen der Liebe. Für dieses Spiel braucht sie aber mindestens zwei, die mitmachen und bereit sind, Kompromisse einzugehen oder einen Irrtum und eine Trennung, viele Tränen und ein gebrochenes Herz in Kauf zu nehmen. Stiel und Blätter der Rose gehen vielleicht sogar bewusst ohne gelbes Innehalten und Vorsicht zu raten, geschmeidig ineinander über. Und zu dem Rosenrot, kommen noch spitze Dornen, die ganz erheblich verletzen können. Mehr Warnung geht eigentlich nicht! Es gibt aber auch rote Nelken als Alternative, die aber in beiden Richtungen nicht das Gewollte erreichen und dann doch Zweifel an der Ehrlichkeit des Überbringers in der Herzensangelegenheit aufkommen lassen. Liebe braucht keinen Zebrastreifen, die geht alle möglichen Wege. Auch Blut ist rot und bedeutet Verletzung, wenn es austritt und uns die Gefahr, in der wir stecken, bewusst macht.

Und jetzt gebe ich noch einen Einblick in mich als Mensch, der ich glaube zu sein. Ich möchte sterben, um zu leben, wenn Sanftmusik intensiv auf mein Innerstes trifft und wenn es weit über Gänsehaut bekommen, hinausgeht. Das gilt nicht nur für klassische Musik. Hinzukommt außerdem noch, und das ärgert mich zuweilen und ist mir auch in Gesellschaft sehr unangenehm, dass ich nah am Wasser gebaut bin, und das extrem nah. Das heißt unter anderem auch, dass mich ein handgroßer Kloß im Hals würgt und es mich sichtbar große Anstrengung kostet, mich gegen die Tränen zu wehren, um letztendlich doch wie ein Schlosshund zu heulen, wenn es unter anderem auch um Menschen geht, die ich überhaupt nicht kenne, aber ihre Schicksale erfahre. Und dann habe ich mich neulich gefragt, was Karotten eigentlich wollen, wenn sie während einiger Tage in meinem Kühlschrank auf ihrer Oberfläche noch zusätzlich helle, haarfeine Wurzeln bilden, die in der Kühle des Gemüsefaches doch so sinnlos ins Leere greifen. Was soll das? Ich habe immer geglaubt, ausgewachsenes, essfertiges Gemüse vom Wochenmarkt in mein Haus getragen zu haben und freute mich auf eine Mahlzeit, ohne etwas schlachten zu müssen, das noch zappelt und dann blutet. Aber was wäre aus den Karotten noch geworden, hätte man sie in der Erde gelassen? Wer weiß das? Ich kaufe sie am liebsten mit Kraut. Das buschige Grün ist viel versprechend, trügt aber über die eigentliche Nahrungsmenge hinweg. Und auch das ist ein Irrtum, denn auch das Kraut ist essbar, nicht nur für Meerschweinchen. Neugierig geworden, habe ich es einmal probiert, dabei jedoch das Mümmeln der Meerschweinchen nicht aus meinem Kopf bekommen. Dass der Appetit beim Essen kommt, traf bei mir nicht zu. Obwohl, bei Katzenfutter wäre ich mir nicht so sicher, denn das wird angeblich auf Qualität geprüft. Und Mausefleisch ist garantiert nicht drin, sonst müsste es draufstehen. Aber da spielt die Fantasie zu sehr mit und verdirbt mir garantiert den Appetit, weil ich keine Katze bin. Aber durch das Kraut an den Karotten ist die bewusste Selbsttäuschung auch wie ein Kick, das Gemüse selbst frisch vom Feld geerntet zu haben. Nimmt man den Karotten nicht das Kraut, fühlen sie sich vielleicht noch sehr lebendig. Sie haben dadurch nur völlig andere Lebensumstände, keine Bodenhaftung mehr, sind ohne Halt, aber arbeiten noch eifrig an ihrer Zukunft, von der ich keine Vorstellung habe, wie die aussehen könnte und nie erfahren werde, was sie noch vorhätten. Grützwürste mit oder ohne Rosinen sind eine ganz andere Sache. Es ist nicht miteinander zu vergleichen. Die haben ihre Wurzeln ganz woanders.

2. Kapitel

Und es ist jetzt die Zeit zwischen Abend und Morgen und Geisterstunde. Und ich bin bereit für diesmal vielleicht mit oder ohne Geister, je nach Befindlichkeit und offen für heikle Überraschungen mit Folgen für alle Beteiligten. Und wer war Friedrich von Bodenstedt? Ein Schriftsteller von 1810 bis 1892, der den Dichternamen Mirza Schaffy hatte. Er soll so etwas Ähnliches gesagt haben, wie: „Wenig große Lieder bleiben, mag ihr Ruhm auch stolzer sein, doch die kleinen Sprüche schreiben, sich ins Herz des Menschen ein. Schlagen Wurzeln, treiben Blüte, tragen Frucht und wirken fort. Wunder wirkt oft im Gemüte ein geweihtes Dichterwort“. Und das hört sich großartig an, so dass ich dabei mitwirken möchte. Aber wenn sich das folgende Gedicht von mir nun nicht in die Herzen und Seelen der Menschen liest, habe ich nicht das erreicht, was Mirza Schaffy in dem Glauben, dass es so ist, versprochen hat. Aber ich möchte es trotzdem versuchen. „Monster gibt es überall und Gespenster auch. Beide Spezis haben Angst und Schrecken in Gebrauch. Monster gruseln tüchtig und Gespenster spuken. Nachts sind Monster flüchtig, überwinden Luken. Am Morgen sitzen sie am Tisch, man sieht sie in den Läden, sie fahren Bus und ärgern fies und das durchaus verwegen. Kein Gespenst mag helles Licht, sie heulen und krakeelen, auch wenn man will, man sieht sie nicht, kann sie deshalb nicht zählen. Verstecken sich in allen Zimmern, sie kriechen durch die Fenster, ein schaurig, nächtlich Gruselwimmern, das machen nur Gespenster. Sie stürmen Fliegengitter, nichts nützt die Mausefalle, Erfahrungen sind bitter, das wissen wir doch alle. Ein Monster sein, auf Erden, dann wird man Ängste los, selbst ein Gespenst zu werden, sehr fies und rigoros“. Wenn das nicht in die Herzen geht, dann geht es vielleicht ein klein wenig in einige Köpfe, wenn man zwischen den Zeilen etwas entdeckt. Mal sehen! Eigentlich sollte ich die Nacht nicht zum Tag machen und in dieser Dunkelzeit mit geschlossenen Augen in tiefem Schlaf daliegen und vielleicht etwas träumen. „Was macht die Nacht, wenn du nicht schlafen kannst, Unruhe schafft und mit des Schlafes Bruder tanzt? Wenn sie lauert, die Müdigkeit bis zur Weißglut reizt, dich nicht bedauert und nicht mit ihrem Nachtblei geizt? Zählst die endlosen Stunden mit ihr, verschwendest die Gedanken? Du Störenfried in ihrem Revier, wirst du dich mit ihr zanken? Siehst die Schuld allein bei ihr und wiegt dein Vorwurf schwer? Oder meinst du dann ein Wir, erfährst nur Gegenwehr?“ Reimend frage ich mich, wie die Nachtgeschichte weitergeht. Und sie geht tatsächlich sofort weiter. „Dringt das Gewissen ins Geschehen? Wer ist irgendwann gescheiter und lässt das Spiel zu Ende gehen? Die Nacht ist kein Tag, du erlebst sie hellwach und pur. Die Nacht tut, was sie vermag, hat auch ihre Stunden nur. Hoffst du auf das Morgenlicht, die jeder Nacht das Dunkel raubt, worauf verlegst du das Gewicht und welcher Vorwurf ist erlaubt? Kommt die Geduld auf leisen Sohlen und schiebt die Nacht dann vor sich her, um sie auch diesmal abzuholen, bis zu ihrer Wiederkehr?“ Und genauso ist es, ich bin hellwach und allein mit diesem Wortschwall aus meinem Hirn, den ich in meinem Bett sitzend, aufgeschrieben habe und jetzt friere. Tag hat schon begonnen. Und es ist genau dieser Tag, für den ich mich spontan entscheide, weil es mich drängt, einmal zu versuchen, alles, was während der nächsten vierundzwanzig Stunden in meinem Kopf herumgeistert und von außen noch dazukommt, zu komprimieren, ohne darüber zu spekulieren, ob der Tag, der diesem folgt, für mein Vorhaben vielleicht noch mehr Potential hergeben würde und dadurch effektiver wäre. Oder ein Tag in der nächsten Woche oder im nächsten Monat, eventuell im Juni. Und wer glaubt, es wird jetzt geistig hochtrabend, der wird sicherlich enttäuscht, denn dieser Tag wird bestimmt so profan, wie viele andere davor und noch folgende Alltage. Und unsortiert und ohne Zusammenhänge wird es sein, so, wie es mir gerade in den Sinn kommt. Sozusagen schriftlicher Smalltalk. Die Idee mit diesem einen Tag kam mir gerade eben und bei vollem Bewusstsein. Dazu muss ich klarstellen, dass ich mehr Zeit dafür brauche, als diesen einen Tag. Meine Schreiberei wird sich über Wochen hinziehen, bis daraus ein Buch entstanden ist.

Ich liege gut zugedeckt, auf kühlem Laken, und meine Augen wandern mit diesem Vorhaben aufmerksam durch die seltsame, stille Licht- und Schattenwelt dieser doch so vertrauten Umgebung. Und ich stelle fest, dass diese vier Wände für mich nachts schon immer wie ein Abendteuer hätten sein können. Auch mystisch, wenn der Vollmond sein silbernes Theaterstück aufführt und unkompliziert und gemächlich mit seiner Helle erst durch das Fenster, dann über den Fußboden kriecht und eine ganze Weile auf meinem Kopfkissen verweilt. Und das nicht, weil es so gemütlich ist, sondern weil er gar nicht weiß, dass er auf seiner Reise bei mir Rast macht. Es interessiert ihn nicht, so einfach ist das. Er wird wahrscheinlich in vielen anderen Zimmern und auf manchem Kissen sogar lästig sein. Und ich nehme an, nicht nur in den Betten, auch auf Sofas und Bettvorlegern oder Teppichen und Auslegewaren. Neugierig wandert er über Buchrücken in dunkelbraunen Schrankwänden und klebt eine Weile mit seinem Licht an Hausfassaden, wie Straßenlaternen das immer tun, sobald es dunkel wird. Es gibt aber auch Menschen, die können den Vollmond nicht leiden. Doch mich fasziniert er immer wieder. Stundenlang kann ich ihn anschauen, und ich möchte ihn anheulen wie ein Wolf. Warum? Vielleicht aufgrund einer Erinnerung an ein früheres Leben? Wer weiß das schon. Es gibt so viele Dinge zwischen Himmel und Erde, die wir uns nicht erklären können. Und nicht nur darum liebe ich die Vollmondnächte, dieses großartige, atemberaubende, magische Licht- und Schattenspektakel aus dem Universum. Ich sehne diese hellen, schattenreichen Nächte herbei, weil sie mich inspirieren. Mein Gehirn läuft dann auf Hochtouren, und meine Begeisterung hält sich überhaupt nicht in Grenzen. Dann muss ich etwas tun und schreibe bis ins Morgenrot. Da turnen Worte und eilende Zeilen, ohne Halt auf Linien zu finden, schnurstracks in das Notizbuch, das in ständiger Bereitschaft auf meinem Nachttisch liegt. Dann wird der leuchtende Trabant zu meiner Muse: „Mond, ich schließe nicht die Lider, wenn ich von dir träumen will. Mit dir kommt die Sehnsucht wieder und das wahre Glücksgefühl, wenn dein Silber mich verführt und dein Licht mein Herz berührt. Wenn du mich in dunkler Stille, mit auf deine Reise nimmst, wenn sich doch mein Traum erfülle, doch das ist ein Hirngespinst. Mond, ich schließe nicht die Augen, fühle mich mit dir verbunden, aber ich muss wieder glauben, DU hast mich noch nicht gefunden. (Damit meine ich, dass er mich nicht kennt, und das wird ja auch nie geschehen, aber ich will keine wehmütige Stimmung und es geht weiter). Mond, ich schließe nicht die Lider, eine Träne glänzt im Licht, tröstlich ist, ich seh’ dich wieder, und ich weiß schon, wann das ist“. Ende!

Nun bin ich ein wenig abgeschweift und kehre gedanklich zurück ins Nachtzimmer, dessen spannende Abwechslung ich bisher nur als normal und nicht als großartiges Erlebnis erkannt und verpasst habe. Und ich werde zunehmend neugierig auf diese stille Dunkelwelt, an die sich meine Augen schnell gewöhnen. Über mir gibt es keine gewöhnliche Zimmerdecke. Nein, es gibt überhaupt keine Decke, sondern eine ganz erhebliche Höhe bis in die Dachspitze mit vielen, dicken Balken, die sich nicht nur nach oben strecken und an der Dachkonstruktion beteiligt sind, sondern drei von ihnen sind mit großen Abständen auch eine unbedingt erforderliche Stütze von der Schräge zur graden Wand gegenüber. Sie stemmen sich gegen die Verkleidung aus Rigipsplatten und gegen das Dach.

 

Ich bin mal gespannt, wie lange die Revierkämpfe der beiden Drosselmänner noch dauern. Es scheint zwischen ihnen so eine Art Hassliebe zu geben. Zuerst springen sie sich wütend Brust gegen Brust an, als hätten sie sich diese Art zu kämpfen, von den imposanten Hähnen, die, bevor sie getrennt, sprich umgesiedelt oder geschmort werden, auf einem Bauernhof in Konkurrenz unter einer Horde Hennen leben, abgeguckt. Das sieht bei den sehr viel kleineren Drosselkerlen jedoch nicht ganz so gefährlich aus. Da fliegen auch keine Federn, und sie bleiben unverletzt. Kaum haben sie festgestellt, dass das viel zu Nerven aufreibend ist, lassen sie voneinander ab und rennen hintereinander her, als wäre nichts geschehen, picken beinah an derselben Stelle nach Kleinstlebewesen, meistens erwischen sie Regenwürmer und sitzen dann friedlich nebeneinander in der Rotbuche. Genauso war es neulich im Linienbus. Zwei Männer, ich schätzte sie Ende dreißig, die ihre Muskeln über Jahre systematisch unter professioneller Anleitung zu festen, strammen Faserbündeln aufgebaut haben, bauten sich in stummer Drohgebärde nur einen winzigen Schritt von etwa dreißig Zentimeter von einander, aber beinahe Bizeps an Bizeps an der Tür auf. Für mich war es spannend, wem es von den beiden gelingen würde, als Erster den Bus zu verlassen, denn es war eindeutig das Ziel für die Bestätigung in der Öffentlichkeit, hier der Platzhirsch zu sein. Den starken Muskelprotzen war der Wille, sich hier auszuprobieren und zu produzieren, auch sofort anzumerken, als der Bus langsam an die Haltestelle fuhr. Als sich die Tür öffnete, machten sie tatsächlich gleichzeitig einen Schritt nach vorn. Ein kurzes, heftiges Gedrängel, und wie nicht anders zu erwarten, verkeilten sie sich mit verbissenen Gesichtern in der Türöffnung und rührten sich nicht mehr von der Stelle. Vielleicht hätte jetzt ein treffsicherer Fausthieb die Rangordnung geregelt, wenn die Menschen hinter ihnen nicht laut darauf bestanden hätten, dem noch immer stummen, kampfwütigen Gehabe ein Ende zu machen, um aussteigen zu können, so dass der Klügere mit den noch geringfügig, weniger bepackten Muskeln, schließlich nachgab und einen knallroten Kopf bekam, sich das jedoch nicht bieten lassen wollte und dem „Sieger“ kräftig in die Hacken trat, als der mit stolz geschwellter Muskelbrust mit seinem Ellenbogen den Rivalen mit sichtlicher Verachtung streifte und den Bus mit Elan verließ. Der Blick auf die Kampfhähne, die jetzt so richtig in Fahrt kamen und noch etwas zu erledigen hatten, blieb mir leider verwehrt, als sich die Tür schloss und der Bus sich in Bewegung setzte.