Buch lesen: «Schlechte Zeiten für Märchen und andere wundersame Geschichten und Gedichte»

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Gisela Walitzek

Schlechte Zeiten für Märchen und andere wundersame Geschichten und Gedichte

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Anstelle eines Vorwortes

Leschil

Hänsel und Gretel

Forty-five

Schurkenstreich

Der Watzmann

Kleiner dicker Bär

Fischzug

Der Literat

Frau Holle

Schlechte Zeiten

Starthilfe für Elfie

Gewissenhaft

Krötenwanderung

In einem anderen Land

Herr Kunze

Leanders letzter Wille

Begründete Hoffnung

Letztendlich

Über mich

Impressum neobooks

Anstelle eines Vorwortes

Es war einmal eine Frau. Die war mit der Zeit schon etwas in die Jahre gekommen und lebte damit glücklich und zufrieden. In jungen Jahren hatte sie für einen Hamburger Buchverlag über Hexen und Nixen, Trommler und Trolle und andere wundersame Wesen geschrieben und einige von ihnen waren danach einfach in ihrem Leben geblieben.

So war sie mit der Zeit nicht nur etwas schrunzelig, sondern auch etwas schrullig geworden. Wenn ihre Kleider immer enger wurden, ihre Vorräte an Erdbeereis im Gefrierschrank dahinschmolzen und sie am Morgen Chipskrümel auf dem Sofa oder Schokoladenpapier im Abfalleimer entdeckte, so vermutete sie dahinter das Werk von Geistern oder Heinzelmännchen. Doch nie hörte sie in der Nacht ein Klappern und ein Lärmen, ein Rupfen und ein Zupfen, ein Putzen und ein Schaben und am Morgen war ihr Tagwerk leider auch nie gemacht.

Eines Tages erhielt die Frau eine Nachricht von einer guten Fee. Die fragte an, ob sie in der Adventszeit an jedem Tag von einer von vierundzwanzig Frauen ein selbstgebasteltes, gehäkeltes, getöpfertes oder irgendwie gewerkeltes Geschenk erhalten wolle. Das wollte die Frau natürlich von Herzen gern.

Das Kleingedruckte, dass sie sich damit auch verpflichtete, vierundzwanzig Geschenke selbst zu basteln, zu häkeln, zu töpfern oder irgendwie zu werkeln, um damit die vierundzwanzig Frauen zu beschenken, verdrängte sie erfolgreich. Denn sie war ja etwas wunderlich und es war ja noch Sommer.

Als sich der Sommer aber dem Ende neigte, da schrieben vierundzwanzig Frauen in einer eigens eingerichteten Messenger-Gruppe, dass sie schon fleißig bastelten und häkelten, malten und töpferten oder irgendwie werkelten, um rechtzeitig zum ersten Advent mit ihren Geschenken für den Adventskalender fertig zu sein. Da wurde der Frau ganz anders. Was sie nämlich im Sommer nicht bedacht hatte, war, dass sie mit zwei linken Händen gestraft war, mit denen sie weder basteln noch häkeln noch töpfern noch irgendwie handwerkeln konnte.

In der Nacht erschien der armen Frau wieder die gute Fee. Die sagte „Ich will ja nichts sagen, aber du sitzt ganz schön in der Klemme.“

Das hatte die Frau sich auch schon gedacht. Dann aber fiel ihr ein, dass sie ja in jungen Jahren mit dem Schreiben von Geschichten über Hexen und Nixen, Trommler und Trolle und andere wundersame Wesen ihr Geld verdient hatte. „Ich schreibe einfach für jede Frau eine Geschichte“, erklärte sie deshalb frohgemut.

Da guckte die gute Fee aber dumm. Denn sie hatte das Projekt Adventskalender nur ins Leben gerufen, um guten Frauen ihr neues Buch ‚Basteln, Häkeln, Töpfern oder irgendwie Handwerken für Dumme‘ aufzuschwatzen.

„Das schaffst du nie“, prophezeite die gute Fee der Frau böse, verstreute noch etwas Feenstaub, der sich beim Niederfallen in gemeine Staubflocken verwandelte, und flog unflätig fluchend von dannen.

Entgegen der düsteren Prognose der Fee entwickelte sich das Schreibprojekt der guten Frau jedoch prächtig. Die ehemaligen Verleger des Buchverlages gaben der Frau die Rechte an ihren Märchen zurück und so hatte sie – ohne die Feder zu schwingen – schon sechs Geschichten geschrieben.

Die Frau war zufrieden, bis der Oktober kam und sich in der Messenger-Gruppe die Nachrichten über das muntere Basteln, Töpfern, Häkeln und Handwerken überschlugen. Da öffnete die Frau all ihre Schubladen und fand darin einige angestaubte Geschichten, die noch brauchbar waren. So hatte sie – ohne die Feder zu schwingen – schon zwölf Geschichten geschrieben.

Die Frau war zufrieden, bis der November kam und die vierundzwanzig Frauen in der Messenger-Gruppe posteten, dass sie ihre Geschenke schon verpackt hatten. Da merkte die Frau, dass ihr noch viel zu viele Geschichten fehlten.

„Das schaffst du nie“, prophezeite die gute Fee und die Frau war geneigt, ihr recht zu geben.

Nachdem sie drei Tage und drei Nächte vergeblich versucht hatte, zwölf halbwegs annehmbare Geschichten zusammenzuschreiben und sich vor Verzweiflung und Gram die Haare raufte, kaufte sie von der Hexe schließlich zu einem Wucherpreis das Buch ‚Basteln, Häkeln, Töpfern oder irgendwie Handwerken für Dumme‘ und bastelte aus Tannenzapfen, Zimtstangen, Wachsresten, Sägespänen und Eierkartons merkwürdig duftende und noch merkwürdiger aussehende Kaminanzünder, die sie in allerletzter Minute per Express an die vierundzwanzig Frauen verschickte. Dann lobte und likte sie in der Adventszeit an jedem Tag in der Messenger-Gruppe jedes Geschenk der vierundzwanzig Frauen so sehr, dass die vierundzwanzig Frauen gar nicht anders konnten, als auch ihre kümmerlichen Kaminanzünder zurück zu liken. An Heiligabend legte sich die Frau erschöpft unter den Weihnachtsbaum.

„Warum nicht gleich so?“, stänkerte in der Nacht die gute Fee.

Als sich die Frau aber am Weihnachtsmorgen den Feenstaub aus den Augen rieb, überkam sie eine bahnbrechend geniale Idee. Sie würde es genauso machen wie die blöde Fee. Sogleich schickte sie in die Messenger-Gruppe die Einladung zu einer Adventskalenderbastelgruppe für das kommende Jahr.

Nach dem Feenprinzip würde sie den Frauen keine Geschichte schenken, sondern ein selbstgebasteltes Lesezeichen, das sie nach der Anleitung aus dem doofen Hexenbuch mit nur wenigen Handgriffen falten wollte. Das würde sie zusammen mit einer Bestellkarte für ihr Märchenbuch, das sie aus den fertigen und unfertigen Geschichten im Laufe des Jahres zusammenschreiben wollte, an alle vierundzwanzig Frauen schicken.

Wenn nämlich, so der Plan, nur die Hälfte der vierundzwanzig Frauen das Buch kaufen, lesen und liken würden, so würde die Frau nach dem Schneeballprinzip zu bescheidenem Reichtum gelangen, ihre systemrelevante Stelle kündigen und noch mehr unnütze Bücher schreiben können. Und so schrieb sie und schrieb sie und wenn sie nicht schrieb, lebte sie glücklich, zufrieden und wunderlich bis ans Ende ihrer Tage.

Diese Geschichte hat sich so natürlich nicht wirklich zugetragen. Allerdings hat mich ein Adventskalenderprojekt 2020 zu diesem Vorwort inspiriert. Alles andere ist sowieso erstunken und erlogen oder haarscharf an der Wahrheit vorbei.

Da meine Beiträge im Metta Kinau Verlag, die die Grundlage des Projektes bildeten, in der Reihe Märchen und wundersame Wesen erschienen, sind auch alle anderen Geschichten wunderlich und merkwürdig geworden.

Ich indes bin weder Hexe noch Nixe, kenne keinen Anton, keinen Leopold und keinen Leschil, schüttele nur äußerst selten am Fenster mein Federbett und habe noch nie in meinem Leben einen Butt geangelt oder verspeist.

Ich danke den Gebrüdern Grimm, Wilhelm Busch und allen verschrobenen Gestalten in meinem Leben, die mich zu all dem inspirierten. All den anderen danke ich natürlich auch.

Gisela Walitzek, 2021

Leschil

Das Fatale an der Sache war, dass ich anfangs gar nicht merkte, wie ich unaufhaltsam hineinschlitterte. Sie begann nämlich so harmlos, dass ich bis heute nicht weiß, ab wann ich hätte Verdacht schöpfen müssen.

Mit der fremden Stimme fing es an, doch natürlich dachte ich mir nichts dabei. Ab und an ist sie beim Telefonieren einfach da in der Leitung und spricht irgendwas zu irgendwem. Eine Fehlschaltung der Telefongesellschaft oder eine Überlastung im Netz, die jeder kennt und die niemanden interessiert, weil sie sich erledigt hat, sobald man den Hörer auflegt.

In meiner Leitung war es ein Wispern. Es war zu der Zeit, als ich jeden Abend mit Simon telefonierte. Simon war Sachbearbeiter bei einer Versicherung und abgesehen davon, dass ihm ein halber Eckzahn fehlte, sah er blendend aus. Sara und die anderen platzten vor Neid.

Zuerst dachte ich mir nichts dabei, doch immer und nur dann, wenn ich mit Simon telefonierte – zuerst nur selten, hin und wieder und zum Schluss immer öfter – wisperte es. Simon hörte das Wispern nicht. Es wisperte anscheinend nur bei mir. Doch das manchmal so laut, dass ich nichts mehr verstand. Weder von dem, was Simon mir sagte, noch von dem, was die Stimme wisperte.

Irgendwann wurde es mir zu bunt. Total entnervt rief ich die Störungsstelle an. Sie versprachen, der Sache auf den Grund zu gehen. Besonders zuversichtlich klang das nicht.

Ich hatte mich geirrt. Der Hörer war noch warm, als es an der Haustür klingelte. Es war der Entstörer von der Telefongesellschaft.

„Das ging aber schnell“, staunte ich.

„Ich hatte in der Gegend zu tun“, wisperte er.

Das leuchtete mir ein. Ich dankte Gott für diese Fügung des Schicksals. Er war groß, schlank und doch muskulös und seine Zähne waren – soweit ich das beurteilen konnte – makellos in Ordnung. Während er sich über das Telefon beugte, erzählte er mir, dass er Schach spielte, Beethoven liebte und Schneekugeln sammelte. Genau das Gleiche tat ich auch.

„Sie sollten unbedingt etwas gegen Ihre Heiserkeit tun“, sagte ich beim Abschied zu ihm und spürte doch selbst schon einen dicken Kloß im Haus.

Er lächelte wehmütig und schloss leise die Tür. Im Treppenhaus bewegte er sich so leichtfüßig, dass ich keine Schritte vernahm.

Zwei Tage später wisperte es schon wieder. Gleich am nächsten Morgen rief ich überglücklich die Störungsstelle an. Sie wollten ihr Möglichstes tun und sie hielten Wort. Es klingelte, als ich gerade aufgelegt hatte.

Er verbrachte seinen Urlaub im Gebirge und war nicht verheiratet. Genau wie ich. Simon erwähnte ich natürlich nicht.

Diesmal dauerte es drei Tage, bis es wieder wisperte. Ich hatte schon das Schlimmste befürchtet.

Der Entstörer klingelte beim letzten Knacken in der Leitung. Er aß leidenschaftlich gerne Knoblauch zu Fisch. Wie das passte. Mit Simon hatte es deswegen öfter Probleme gegeben.

Ich konnte es nicht fassen. Vor allem, als es tagelang nicht mehr wisperte. Es war zum Verrücktwerden. Ich hatte Simon den Laufpass gegeben und dabei erst zu spät bedacht, dass mein neues Glück an seiner Leitung hing.

Am fünften Tag hielt ich es nicht mehr aus. Ich wählte die Nummer der Störungsstelle und begann zu erklären, dass es schon wieder wisperte. Ich hatte die Lüge noch nicht zu Ende gesprochen, als es klingelte. Mit einem Strauß roter Rosen stand der Entstörer vor der Tür. Er war gekommen, um um meine Hand anzuhalten.

„Ich liebe Sie“, wisperte er. Sein Hals war noch immer nicht besser geworden. Doch das trübte unser Glück natürlich nicht.

Wenn dies überhaupt jemand zu tun vermochte, so waren es Sara und die anderen. Sie starrten abwechselnd auf ihn und mich und wünschten mir kopfschüttelnd alles Gute. Was hatte ich auch anderes erwartet? Es war der Neid. Der blanke Neid. Erst Simon und dann er. So viel Glück konnte man selbst der besten Freundin nicht gönnen. Wir feierten unsere Hochzeit im engsten Kreis.

Vertrauensvoll hatte ich Leschil – er erklärte mir seinen ungewöhnlichen Namen mit einer Laune seiner Mutter – die Vorbereitungen überlassen. Der Brautführer war sein bester Freund. Er war mir nicht geheuer. Ich fröstelte, als er mich durch den Saal geleitete.

Wir waren gerade bis zur Mitte vorgedrungen, als ich Leschil hinter mir wispern hörte. Ich hatte ihm mindestens drei Hals-Nasen-Ohren-Ärzte empfohlen, doch seine Stimme wurde einfach nicht besser.

„Bevor du meine Frau wirst, musst du mir noch eins geloben“, wisperte er.

Ich traute meinen Ohren nicht. Hätte er sich das nicht früher überlegen können?

„Öffne niemals die Dose mit dem grünen Fisch.“

Entweder ich hatte mich verhört oder Leschil hatte heimlich getrunken. Auf jeden Fall aber war es ihm ernst. Er stupste mich ungeduldig.

„Ich soll niemals die Dose mit dem grünen Fisch öffnen?“, fragte ich vorsichtshalber nach. Leschils Gewisper war manchmal kaum zu verstehen.

„Genau“, mischte sich jetzt wispernd auch noch der Brautführer ein. Anscheinend hatte er Leschil beim Trinken Gesellschaft geleistet.

„Versprichst du es?“, forderte Leschil flehentlich.

Der Mann hatte Humor. Es war hier weder Zeit noch Ort für langatmige Diskussionen. Wie mir zu meinem Entsetzen jetzt erst bewusst wurde, traten der Brautführer und ich schon seit geraumer Zeit auf der Stelle. Leschil klebte uns wie eine Schmeißfliege im Nacken. Auf die Hochzeitsgesellschaft – so klein sie auch war – mussten wir wirken wie die Marx-Brothers in Concert. Der Standesbeamte räusperte sich nervös.

Ich hatte die Wahl, schreiend hinauszurennen oder einzuwilligen und weiterzugehen. Ich entschied mich für Letzteres. So knapp vor dem Ziel meiner Träume hätte ich ganz anderes versprochen. Ich gelobte es hoch und heilig.

Mein „Ja“ zischte noch durch den Gang, als ich schon neben Leschil vor dem Standesbeamten stand. Ich konnte mich nicht erinnern, das letzte Stück gegangen zu sein.

Unsere Ehe wurde glücklich. An das merkwürdige Versprechen und die denkwürdigen Umstände, unter denen Leschil es mir abverlangt hatte, dachte ich erstmal nicht. Leschil war der liebevolle Ehemann und heißblütige Liebhaber, von dem ich immer geträumt hatte. Was interessierte es mich im Nachhinein, dass ihm am Tag unserer Hochzeit die Nerven versagt hatten.

Nach etwa drei Wochen – es war seit unserer Hochzeit Leschils erster Arbeitstag und ich langweilte mich fürchterlich – fand ich im Gemüsefach des Kühlschranks eine Dose. Ich traute meinen Augen nicht und rief als erstes nach Leschil. Dabei hatte ich selbst die Tür hinter ihm von innen verriegelt. Leschil hatte mir beim Weggehen dazu geraten. Eine halbe Stunde zuvor hatte ich mir aus dem Gemüsefach einen Apfel genommen. Ich war mir sicher, dass die Dose dort noch nicht gelegen hatte. Sie sah ziemlich abgegriffen aus. Den Deckel zierte ein grüner Fisch.

Ich zögerte keine Sekunde. Ich würde dem Spuk ein Ende bereiten. Beherzt öffnete ich die Dose mit dem grünen Fisch.

Im Stillen hatte ich damit gerechnet, dass mir eine Clownsfratze entgegenspringen oder ein Lachsack zu dröhnen beginnen würde. Doch wider Erwarten geschah all dies nichts. Nur auf dem Boden der Dose lag ein kleiner Zettel.

Du hast die Dose mit dem grünen Fisch geöffnet, stand darauf geschrieben. So schlau war ich auch. Etwas mehr Fantasie hätte ich Leschil schon zugetraut. Ich wollte die Dose gerade wieder verschließen, als ich in der rechten unteren Ecke des Zettels das kleine Bitte-wenden-Kürzel bemerkte.

Ich bin nicht der, für den du mich hältst, hatte Leschil auf der Rückseite vermerkt.

Dieser Meinung war ich allmählich auch. Doch wer um alles in der Welt war er? War er andersherum? Nicht Beamter auf Lebenszeit? Gebissträger? Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Kurzentschlossen warf ich den Zettel mitsamt Dose ins Gemüsefach zurück.

Früher als erwartet drehte sich Leschils Schlüssel in der Wohnungstür. Ich lag in der Badewanne und rührte mich nicht.

„Da bin ich wieder, Darling“, wisperte es aus dem Flur. Leschil würde eine Behandlung beim Heilpraktiker ins Auge fassen müssen.

Als sich die Tür zum Bad öffnete, stand vor mir ein wildfremder Mann. Er war klein und dick, hatte gelbliche, fettige Haare und aschfahle, pickelige Haut. Ich weiß bis heute nicht, warum ich nicht zu schreien begann. Ich weiß bis heute nicht, woran ich es gemerkt habe. Denn trotz allem wusste ich – das war Leschil. Er hätte zur Bestätigung nicht wieder wispern müssen. Als er es trotzdem trat, überraschte es mich nicht, dass ihm ein halber Eckzahn fehlte.

Der grüne Fisch hatte Leschil verzaubert. Er war nicht mehr der, der er noch vor Stunden gewesen war. Er selbst wollte von all dem nichts wissen.

Noch für denselben Abend lud ich all meine Freunde ein. Sie sollten kommen und es ihm bestätigen. Sie kamen, aßen, tranken und dann gingen sie wieder, ohne auch nur eine einzige Bemerkung über Leschils Veränderung verloren zu haben. Sie schienen sie überhaupt nicht wahrzunehmen.

Ich begleitete Sara zur Tür.

„Findest du nicht, dass Leschil sich in letzter Zeit verändert hat?“, fragte ich sie geradeheraus. Sie war schließlich meine beste Freundin gewesen und würde mich nicht belügen.

„Eigentlich nicht“, log sie dann doch. Ich fasste es nicht.

„Findest du nicht, dass er irgendwie kleiner, dicker – sagen wir – hässlicher geworden ist“, bohrte ich nach.

„Nein“, sagte sie.

„Du lügst“, sagte ich.

„Sagen wir es so“, sagte sie, „seit ich ihn kenne, ist Leschil klein, dick und hässlich. Ob mal mehr oder weniger, fällt nicht ins Gewicht. Er hat fettige Haare, aschfahle Haut, ist pickelig, wispert und was er wispert, bliebe besser ungesagt. Du musst verrückt gewesen sein, als du ihn geheiratet hast.“

Sara log, wenn sie nur den Mund aufmachte.

Es war schlimm für mich, die beste Freundin zu verlieren. Es war noch schlimmer für mich, in eine Wohnung zurückzukehren, in der ein kleiner, dicker, hässlicher Mann saß und behauptete, mein Ehemann zu sein. So und nicht anders.

Ich konnte ihn nicht vom Gegenteil überzeugen. Seine Ausweispapiere, die Fotos von unserer Hochzeit, die Kleider in seinem Schrank, das alles gab ihm recht. Er war klein, dick und hässlich. Und all dies war er schon immer gewesen.

Die Wahrheit war erschütternd. Der Fisch hatte nicht Leschil, der Fisch hatte mich entzaubert. Natürlich war er danach mitsamt der Dose aus dem Gemüsefach verschwunden. Leschil tat so, als wisse er von nichts und habe keine Ahnung, wovon ich rede.

Ich lebe seither Seite an Seite mit einem kleinen, dicken, hässlichen Mann. Er wispert und was er wispert, bliebe besser ungesagt. Ich verlasse ihn nicht, denn noch gebe ich nicht auf. Ich will Leschil – meinen Leschil – wiederhaben.

Ich weiß, dass ich dazu den grünen Fisch brauche. Es hat wenig Zweck, nach ihm zu suchen, denn wenn es an der Zeit ist, werde ich ihn im Gemüsefach finden. Ich werde von ihm verlangen, dass er mir unverzüglich eine zweite Chance gibt. Doch diesmal muss er nicht mich, er muss Leschil verzaubern. Und dann werden Sara und die anderen ja sehen.

Der kostenlose Auszug ist beendet.